Urteil vom Verwaltungsgericht Hannover (10. Kammer) - 10 A 5157/15

Tenor

Der Bescheid der Beklagten vom 1. Oktober 2015 wird aufgehoben.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die vorläufige Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v. H. des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, soweit nicht der Kläger zuvor Sicherheit in Höhe von 110 v. H. des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen die Anordnung seiner Abschiebung nach Malta im Rahmen eines sog. Dublin-III-Verfahrens und begehrt die Prüfung seines Asylbegehrens durch die Beklagte im nationalen Verfahren.

2

Der Kläger ist nach eigenen Angaben 1995 geboren und malischer Staatsangehöriger. Er reiste ebenfalls nach eigenen Angaben am 15. August 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 2. September 2015 einen Asylantrag. In der Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge der Beklagten gab der Kläger an, sein Heimatland im Mai 2012 verlassen zu haben und u. a. über Burkina Faso, Niger, Libyen, Malta und Italien in die Bundesrepublik gereist zu sein.

3

Die Überprüfung der Fingerabdrücke des Klägers im EURODAC-System ergab, dass er am 20. April 2014 in Malta Asyl beantragt hatte. Das Bundesamt richtete unter dem 21. September 2015 ein Übernahmeersuchen an Malta, auf das die maltesischen Behörden mit Schreiben vom 30. September die Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags des Klägers anerkannten.

4

Mit Bescheid vom 1. Oktober 2015 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers als unzulässig ab, befristete das gesetzliche Wiedereinreiseverbot gem. 11 Abs. 1 AufenthG auf 12 Monate und ordnete die Abschiebung des Antragstellers nach Malta an. Der Bescheid wurde am 6. Oktober 2015 an einen empfangsermächtigten Vertreter der Gemeinschaftsunterkunft ausgehändigt, in der der Antragsteller seine Unterkunft hatte.

5

Der Kläger hat am 13. Oktober 2015 Klage erhoben und gleichzeitig um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht. Dem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz hat die Kammer mit Beschluss vom 27. Oktober 2015 entsprochen (10 B 5158/15).

6

Zur Begründung seiner Klage macht der Kläger geltend, dass ihm bei einer Zurückschiebung nach Malta aufgrund systemischer Mängel des dortigen Asylverfahrens eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 4 der Europäischen Grundrechtecharta bzw. Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention drohe.

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Der Kläger beantragt,

8

den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 1. Oktober 2015 aufzuheben.

9

Die Beklagte beantragt,

10

die Klage abzuweisen.

11

Sie verteidigt den angefochtenen Bescheid. Das Asylsystem Maltas weise keine systemischen Mängel im Sinne der Dublin-Verordnung auf. Eine Aussetzung von Rücküberstellungen nach Malta sei deshalb nicht erforderlich.

12

Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen. Der Inhalt sämtlicher Akten war Gegenstand der Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

13

Das Gericht entscheidet durch den Einzelrichter, dem die Kammer den Rechtsstreit gem. § 76 Abs. 1 AsylG mit Beschluss vom 27. Oktober 2015 übertragen hat, und im erklärten Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO).

14

Die Klage ist teilweise zulässig und, soweit sie zulässig ist, begründet.

15

I. Sie ist zulässig, soweit der Kläger die Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt. In der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass gegen Entscheidungen des Bundesamtes, die Durchführung eines Asylverfahrens nach Maßgabe von § 27 a AsylG abzulehnen, eine Anfechtungsklage statthaft ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.10.2015 – BVerwG 1 C 32.14 –; juris; OVG Lüneburg, Beschluss vom 6.11.2014 – 13 LA 66/14 – juris; OVG NRW, Urteil vom 7.3.2014 – 1 A 21/12.A – juris; BayVGH, Beschluss vom 2.2.2015 – 13 a ZB 14.50068 – juris).

16

Mit dem Begehren, die Beklagte zu verpflichten, ein Asylverfahren in der Bundesrepublik Deutschland durchzuführen, ist die Klage dagegen unzulässig.

17

Für eine solche Klage fehlt das Rechtsschutzbedürfnis. Denn bereits die Anfechtungsklage bietet den erforderlichen, aber auch ausreichenden Rechtsschutz, so dass es einer weitergehenden Klage auf Verpflichtung der Beklagten nicht bedarf. Zwar ist bei fehlerhafter oder verweigerter sachlicher Entscheidung der Behörde im Falle eines gebundenen begünstigenden Verwaltungsakts regelmäßig die dem Rechtsschutzbegehren des Klägers allein entsprechende Verpflichtungsklage die richtige Klageart mit der Konsequenz, dass das Gericht die Sache spruchreif zu machen hat und sich nicht auf eine Entscheidung über die Anfechtungsklage beschränken darf, die im Ergebnis einer Zurückverweisung an die Verwaltungsbehörde gleichkäme (vgl. BVerwG, Urteil vom 7.3.1995 – BVerwG 9 C 264.94 –, juris). Dieser auch im Asylverfahren geltende Grundsatz kann jedoch auf behördliche Entscheidungen, die – wie hier – auf der Grundlage von § 27 a AsylVfG a. F. ergangen sind, keine Anwendung finden. Denn die Beklagte hat eine Entscheidung in der Sache noch gar nicht getroffen. Es ist auch nicht erkennbar, dass sie eine solche Entscheidung im Falle der Aufhebung des angegriffenen Bescheides verweigern würde. Vielmehr hat die Beklagte für den Fall ihrer Zuständigkeit, die nur anzunehmen ist, wenn in dem als zuständig bezeichneten Mitgliedstaat systemische Mängel bestehen und sich kein anderer vorrangig zuständiger Mitgliedstaat ausmachen lässt, von Amts wegen den Asylantrag sachlich zu prüfen. Eines auf Durchführung des Asylverfahrens gerichteten Verpflichtungsausspruchs oder gar eines „Durchentscheidens“ des Gerichts über den Asylantrag des Klägers bedarf es daher nicht (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 7.3.2014 – 1 A 21/12.A –, juris; dem folgend VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 16.4.2014 – A 11 S 1721/13 –, juris; vgl. auch VG Düsseldorf, Urteil vom 10.2.2014 - 25 K 8830/13.A -, InfAuslR 2014, 159; VG Karlsruhe, Urteil vom 6.3.2012 - A 3 K 3069/11 -, BeckRS 2012, 53496 m. w. N.; VG Hamburg, Urteil vom 23.4.2014 – 10 A 1242/12 –, juris m. w. N.).

18

II. Soweit die Klage zulässig ist, ist sie auch begründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

19

Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 2. Halbs. AsylG der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung. Die Beklagte hat ihre Entscheidungen auf § 27 a und § 34 a AsylVfG a. F. gestützt, die als § 27 a AsylG und § 34 a AsylG im Wesentlichen unverändert fortgelten. Gemäß § 27 a AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat aufgrund von EU-Recht oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Nach § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung an, wenn der Ausländer in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat abgeschoben werden soll.

20

Diese Voraussetzungen liegen nicht (mehr) vor. Zwar ist die Beklagte aufgrund von Art. 13 Abs. 1, Art. 25 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (vom 29.6.2013, Abl. L 180 – Dublin III-VO –) zunächst zutreffend von einer Zuständigkeit Maltas ausgegangen, weil der Kläger aus einem Drittstaat kommend die maltesische Grenze überschritten hat und die maltesischen Behörden auf Ersuchen der Beklagten die Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags des Klägers anerkannt haben.

21

Die Beklagte kann sich auf eine Zuständigkeit Maltas jedoch nicht berufen, weil der unter Nummer 2. des angefochtenen Bescheides angeordneten Abschiebung des Klägers dorthin dauerhafte Hindernisse entgegenstehen (1.) und die Beklagte daher entweder – soweit noch möglich – Aufnahmeersuchen an andere infrage kommende Mitgliedsstaaten richten oder das Verfahren in eigener Zuständigkeit führen müsste (2.).

22

1. Die Voraussetzungen für die Anordnung der Abschiebung gemäß § 34 a Abs. 1 AsylG liegen nicht vor, weil nicht feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Denn nach Auffassung des Gerichts ist eine Überstellung nach Malta gegenwärtig unzulässig, weil es im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller dort systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU–Grundrechtecharta mit sich brächten.

23

a. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat derartige systemische Mängel für das Asylverfahren wie für die Aufnahmebedingungen der Asylbewerber in Fällen der Überstellung von Asylbewerbern im Rahmen des Dublin-Systems nach Griechenland der Sache nach bejaht (vgl. EGMR – Große Kammer, Urteil vom 21.1.2011 – Nr. 30696/09, M.S.S. – NVwZ 2011, 413) und in Folgeentscheidungen insoweit ausdrücklich auf das Kriterium des systemischen Versagens (‚systemic failure‘) abgestellt (EGMR, Entscheidungen vom 2.4.2013 – Nr. 27725/10, Mohammed Hussein u. a. – ZAR 2013, 336 Rn. 78; vom 4.6.2013 – Nr. 6198/12, Daytbegova u. a. – Rn. 66; vom 18.6.2013 – Nr. 53852/11, Halimi – ZAR 2013, 338 Rn. 68; vom 27.8.2013 – Nr. 40524/10, Mohammed Hassan – Rn. 176 und vom 10.9.2013 – Nr. 2314/10, Hussein Diirshi – Rn. 138).

24

Ein „systemisches Versagen“ im Sinne dieser Rechtsprechung setzt allerdings nicht voraus, dass ein Systemfehler eine Vielzahl von Asylsuchenden betreffen muss. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (Große Kammer) hat in seinem Urteil vom 4.11.2014 – Nr. 29217/12, Tarakhel – vielmehr die dem Betroffenen drohende Verletzung seiner Rechte aus Art. 3 EMRK durch eine drohende unmenschliche oder erniedrigende Behandlung in den Mittelpunkt der Betrachtung gestellt und dazu ausgeführt, dass sich die Ursache der drohenden Gefahr weder auf das Schutzniveau auswirkt, das durch die Konvention garantiert wird, noch auf die sich aus der Konvention ergebenden Pflichten des Staates, der die Abschiebung der Person anordnet. Das dem gemeinsamen europäischen Asylsystem zugrunde liegende Prinzip gegenseitigen Vertrauens befreit diesen Staat danach gerade nicht davon, eine gründliche und individuelle Prüfung der Situation der betroffenen Person vorzunehmen und die Durchsetzung der Abschiebungsanordnung auszusetzen, falls die Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung festgestellt werden sollte (EGMR, Urteil vom 4.11.2014 – a. a. O. –, Rn. 104). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte weist auch darauf hin, dass dieser Ansatz auch vom Supreme Court des Vereinigten Königreichs in dessen Urteil vom 19. Februar 2014 – (2014) UKSC 12 – (Rn. 56 ff.) verfolgt wurde.

25

Im Sinne dieser Rechtsprechung beschreibt der Begriff der „systemischen Mängel“ die Vorhersehbarkeit und Reproduzierbarkeit einer drohenden Rechtsverletzung. Ein systemischer Mangel ist danach eine Systemstruktur oder eine fehlende Struktur, die als notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung dazu führt, dass Fälle, die diese Systemstelle durchlaufen, Rechtsverletzungen verursachen (vgl. eingehend Lübbe, ZAR 3/2014, S. 107).

26

b. Nach diesem Maßstab liegen im Asylsystem Maltas systemische Mängel vor, weil es an rechtlichen Regelungen fehlt, die die Einhaltung der europarechtlichen Mindestanforderungen an die Bearbeitung von Asylanträgen sicherstellen.

27

Nach dem periodischen Bericht der Europäischen Asylinformationsdatenbank AIDA vom Februar 2015 (http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_-_malta_thirdupdate_final.pdf, abgerufen am 26.10.2015) gibt es in Malta keine gesetzlichen Regelungen, die den Rechtsrahmen der Dublin-Verordnungen umsetzen, sondern nur behördliche Verfahrensvorschriften (AIDA report – a. a. O. – S. 21).

28

Dabei stellt sich insbesondere die Situation der Dublin-Rückkehrer als problematisch dar. Wenn ein Antragsteller Malta durch Flucht aus behördlichem Gewahrsam oder irreguläre Ausreise verlässt, wird sein Asylantrag nach Art. 13 der örtlichen Verfahrensvorschriften, die insofern Art. 28 der Richtlinie 2013/32/EU – Asylverfahrensrichtlinie 2013 – aufgreifen, als stillschweigend zurückgenommen betrachtet. Bei einer Rücküberstellung nach Malta als dem nach der Dublin III-Verordnung zuständigen Mitgliedsstaat ist das Verfahren daher in fast allen Fällen bereits eingestellt und der Antragsteller ausreisepflichtig. Er hat zwar die Möglichkeit, eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu beantragen, diese erfolgt jedoch im Wege eines Zweitantrags unter der Voraussetzung, dass er Wiederaufnahmegründe darlegt. Während des Verfahrens können Antragsteller in ihre Heimatstaaten abgeschoben werden (vgl. AIDA report– a. a. O. – S. 22). Diese Praxis stand zum Berichtszeitpunkt in Widerspruch zu Art. 20 Abs. 2 der Richtlinie 2005/85/EU (Asylverfahrensrichtlinie 2005 –; nunmehr Art. 28 Abs. 2 Asylverfahrensrichtlinie 2013 –) und zu Art. 18 Abs. 2 UA 2 der Dublin III-VO. Danach haben die Mitgliedsstaaten sicherzustellen, dass ein Antragsteller, der sich nach Einstellung der Antragsprüfung wegen stillschweigender Rücknahme wieder bei der zuständigen Behörde meldet, berechtigt ist, um Wiedereröffnung des Verfahrens zu ersuchen oder einen neuen Antrag zu stellen, der nicht als Folgeantrag geprüft wird. Durch den Verstoß gegen diese Vorschriften laufen Antragsteller Gefahr, selbst tatsächlich vorliegende Gründe für einen Anspruch auf internationalen Schutz nicht wirksam vortragen zu können.

29

Während der Bearbeitungsdauer über das Wiederaufnahmeersuchen, die vollständig im Ermessen der Behörde steht, sind die Antragsteller der Gefahr einer vorzeitigen Abschiebung ausgesetzt und befinden sich häufig in Haft oder Arrest, die den Zugang zu rechtlicher Hilfe zusätzlich erschwert. Die Möglichkeit, Antragsteller noch vor oder während der Prüfung des Folgeantrags abzuschieben, verstößt zudem gegen das Gebot des Non-Refoulement, das ebenfalls in Art. 20 Abs. 2  UA 3 der Asylverfahrensrichtlinie 2005 bzw. Art. 28 Abs. 2 UA 3 der Asylverfahrensrichtlinie 2013 und Art. 18 Abs. 2 UA 3 Dublin III-VO seinen Niederschlag gefunden hat.

30

Übereinstimmend mit dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (vgl. Beschluss vom 9.4.2015 – 8 L 1100/15.A –, juris) geht das Gericht außerdem davon aus, dass die Haftpraxis Maltas Asylbewerbern gegenüber nicht im Einklang mit internationalem und europäischem Recht steht. Das Verwaltungsgericht Düsseldorf hatte hierzu ausgeführt (vgl. Beschluss vom 2.2.2015 – 13 L 2852/14.A –):

31

„Ausweislich verschiedener dem Gericht vorliegender Auskünfte werden in Malta Flüchtlinge, die in aller Regel ohne die erforderlichen Papiere irregulär und damit illegal einreisen, systematisch und routinemäßig inhaftiert. Rechtsgrundlage hierfür sei das Migrationsgesetz Maltas (Immigration Act, Chapter 217 of the Laws of Malta, im Folgenden: "Immigration Act"), welches nicht zwischen Migranten und Flüchtlingen, die um internationalen Schutz nachsuchen, bzw. Asylbewerbern unterscheide. Danach gelten alle irregulär Eingereisten ("prohibited immigrant" i.S.v. Artikel 5 Immigration Act) als Personen ohne Einreise- bzw. Aufenthaltsbefugnis. Ihnen gegenüber ergehe auf der weiteren Grundlage der Verwaltungsvorschrift "Policy Documents 2005" eine Zugangsverweigerungs- oder Ausweisungsverfügung mit Haftanordnung von unbestimmter Dauer (vgl. Artikel 14 Absatz 2 Immigration Act). Anders sehe es nur - bei einem kleinen Prozentsatz - der Ausländer aus, die Asyl beantragen, bevor sie von der Ausländerbehörde wegen illegaler Einreise bzw. illegalem Aufenthalt festgenommen werden. Insoweit werde von einer Inhaftierung bis zum Vorliegen der Entscheidung über ihren Asylantrag abgesehen. Die Praxis routinemäßiger Inhaftierung treffe (zunächst) auch die Gruppe von Schutzsuchenden mit besonderem Bedürfnissen ("Verletzliche") wie unbegleitete Minderjährige, Schwangere, Familien mit (minderjährigen) Kindern, Menschen mit Behinderungen etc., so lange, bis das Verfahren zur Anerkennung ihrer Verletzlichkeit abgeschlossen sei, was je nach Erkennbarkeit dieses Umstandes kürzer oder länger dauern könne. Dabei würden diejenigen Betroffenen, deren besonderer Status nicht ohne Weiteres erkennbar sei, wie unter Umständen psychisch Kranke oder ältere Minderjährige zunächst zusammen mit Flüchtlingen ohne besondere Bedürfnisse untergebracht. Das Migrationsgesetz enthalte keine Bestimmung zur maximalen Haftdauer. Sei über einen Asylantrag innerhalb eines Jahres noch nicht entschieden, erfolge die Freilassung des Antragstellers aufgrund einer Verwaltungsbestimmung, die dem Betroffenen den Zugang zum Arbeitsmarkt nach zwölf Monaten zuerkenne. Abschiebehaft sei ebenfalls auf der Grundlage von Verwaltungsvorschriften auf maximal 18 Monate begrenzt.

32

vgl. AIDA, Asylum Information Database, "National Country Report Malta" vom Mai 2014, S. 49 f.; Gemeinsame Publikation UNHCRs und des Europäischen Parlaments "know the facts" vom 9. April 2014, S. 8; Global Detention Project "Immigration Detention in Malta" vom Januar 2014, S. 4 ff.; UNHCR "UNHCR`s Position on the Detention of Asylum-seekers in Malta" vom 18. September 2013; Jesuits Refugee Service Europe (JRS) "Protection Interrupted, National Report Malta" vom Juni 2013 S. 5 ff.

33

Diese Feststellungen hat der jüngste AIDA-Bericht von Februar 2015 im Wesentlichen bestätigt. Zwar begründet die Inhaftierung einer Person als solche keine Verletzung von Art. 3 EMRK. Indes verpflichtet Art. 3 EMRK die Mitgliedstaaten, sich zu vergewissern, dass die Bedingungen der Haft mit der Achtung der Menschenwürde vereinbar sind und dass Art und Methode des Vollzugs der Maßnahme den Gefangenen nicht Leid oder Härten unterwirft, die das mit einer Haft unvermeidbar verbundene Maß an Leiden übersteigt, und dass seine Gesundheit und sein Wohlbefinden unter Berücksichtigung der praktischen Bedürfnisse der Haft angemessen sichergestellt sind (vgl. EGMR, Urteile vom 21.1.2011 – 30696/09 –, juris, Rn 221, und 15.7.2002 – 47095/99 –, Rn. 95).

34

Diesen Vorgaben entsprechende Mindestanforderungen für die Inhaftierung von Asylbewerbern enthält die Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (Aufnahmerichtlinie). Die Inhaftierungspraxis der maltesischen Behörden wird diesen Anforderungen nicht gerecht. Im Einzelnen:

35

Nach Art. 8 Abs. 1 und 3 Aufnahmerichtlinie darf Haft nicht allein deswegen angeordnet werden, weil der Betroffene einen Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes gestellt hat, sondern nur in Ausnahmefällen, insbesondere zur Überprüfung seiner Identität oder Staatsangehörigkeit, bei Fluchtgefahr im Falle notwendiger Beweissicherung, zur Prüfung des Einreiserechts, zur Durch- oder Fortführung eines Abschiebeverfahrens, wenn die Gefahr der Verzögerung oder der Vereitelung durch den Betroffenen besteht und bei Gefahr für die nationale Sicherheit und Ordnung. Tatsächlich werden Asylsuchende in Malta nahezu flächendeckend bis zur Abschiebung oder der positiven Entscheidung über das Asylgesuch in Haft genommen, auch wenn diese nicht auf das Asylgesuch, sondern die illegale Einreise und entsprechende Strafvorschriften gestützt wird. Die Inhaftierung erfolgt dabei nicht auf Order der Strafverfolgungsbehörden, sondern ist die Rechtsfolge einer Entscheidung der Einwanderungsbehörde. Die in Art. 9 Abs. 3 Aufnahmerichtlinie geforderte zügige Überprüfung der behördlichen Haftanordnung durch ein Gericht findet nicht statt (vgl. AIDA-Bericht – a. a. O. –, S. 54). Auch ein für diese Fälle geforderter unentgeltlicher Rechtsbeistand (vgl. Art. 9 Abs. 6 Aufnahmerichtlinie) ist in Malta nicht gewährleistet (vgl. AIDA-Bericht – a. a. O. –, S. 56).

36

Die Inhaftierung darf nur für den kürzest möglichen Zeitraum und nur so lange, wie die Gründe gemäß Art. 8 Abs. 3 bestehen, angeordnet werden (Art. 9 Abs. 1 Satz 1 Aufnahmerichtlinie). Die durchschnittliche Dauer der Inhaftierung beträgt dementgegen zwischen vier und acht Monaten (AIDA-Bericht – a. a. O. –, S. 48). Inhaftierung von unbestimmter Dauer des anschließenden Verfahrens treffe grundsätzlich auch Dublin-Rückkehrer, weil sie entweder in den Stand vor ihrer Ausreise - also in aller Regel als illegal Eingereiste - versetzt würden oder sogar wegen Flucht aus der Haft in Malta wegen illegaler Ausreise zur Strafhaft verurteilt würden (AIDA-Bericht – a. a. O. –, S. 21).

37

Die Inhaftierung von besonders schutzbedürftigen Personen ist nur im Ausnahmefall und unter weiteren sehr eingeschränkten Bedingungen zulässig (Art. 11 Aufnahmerichtlinie). Die Praxis routinemäßiger Inhaftierung der maltesischen Behörden trifft  dementgegen – wie vorstehend ausgeführt – tatsächlich (zunächst) auch die Gruppe von Schutzsuchenden mit besonderem Bedürfnissen („Verletzliche“) wie unbegleitete Minderjährige, Schwangere, Familien mit (minderjährigen) Kindern, Menschen mit Behinderungen etc. jedenfalls so lange, bis das Verfahren zur Anerkennung ihrer Verletzlichkeit abgeschlossen sei, was je nach Erkennbarkeit dieses Umstandes kürzer oder länger dauern könne. Dabei würden diejenigen Betroffenen, deren besonderer Status nicht ohne Weiteres erkennbar sei, wie unter Umständen psychisch Kranke oder ältere Minderjährige zunächst zusammen mit Flüchtlingen ohne besondere Bedürfnisse untergebracht. Die sofortige Unterbringung in offenen Lagern oder besonderen Einrichtungen gleich nach Ankunft erfolge nur für Flüchtlinge, die erkennbar zur Gruppe der Verletzlichen gehörten oder die vor ihrem Aufgriff einen Asylantrag gestellt haben, was in aller Regel nur auf legalem Wege Eingereisten gelinge (vgl. AIDA-Bericht – a. a. O. –, S. 48 f.).

38

Darüber hinaus haben die Verwaltungsgerichte Karlsruhe (Beschluss vom 8.10.2014 – A 8 K 345/14 –, juris, Rn. 11) und Oldenburg (Oldenburg), (Beschluss vom 23.7.2014 – 12 B 1217/14 –, juris, Rn. 27 m.w.N.) ausführlich dargelegt, dass Einschränkungen der Privatsphäre, fehlende Belüftungs- und Heizsysteme und eine unzureichende Ausstattung der sanitären Anlagen sowie mangelhafte hygienische Bedingungen deutliche Anzeichen dafür bieten, dass auch die konkreten Haftbedingungen den europäischen Standards nicht genügen. Auf die dortigen Ausführungen wird insofern Bezug genommen. Der AIDA-Bericht kritisiert außerdem nach wie vor eine exzessive Gewaltanwendung durch das Personal des Detention Service (vgl. AIDA-Bericht – a. a. O. –, S. 52 f.).

39

2. Vor diesem Hintergrund ist auch die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten aus Art. 51 Abs. 1 Satz 1 1. Alt., Art. 47 Satz 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (ABl. C 364, S. 1). Danach hat jede Person ein Recht darauf, dass bei der Durchführung des Unionsrechts durch die Mitgliedsstaaten seine Sache innerhalb angemessener Frist behandelt wird.

40

Diese Verfahrensgarantie wird durch eine Situation dauerhafter Unklarheit verletzt, wenn die Beklagte mangels Zuständigkeit die Bearbeitung seines Schutzgesuchs ablehnt, zugleich aber die Voraussetzungen einer Überstellung in den eigentlich zuständigen Mitgliedsstaat nicht vorliegen, ohne dass dahingehend eine Änderung absehbar ist. Das ist hier der Fall. Die Inhaftierungspraxis und die Haftbedingungen für Antragsteller in Malta werden seit Jahren gerügt, ohne dass eine Verbesserung eingetreten ist. Sowohl hinsichtlich der Asylverfahrensrichtlinie als auch hinsichtlich der Aufnahmerichtlinie hat Malta der Kommission die Umsetzung der Richtlinien bisher nicht mitgeteilt, wie die EU-Kommission am 23. September 2015 im Zusammenhang mit entsprechenden Vertragsverletzungsverfahren mitgeteilt hat. Der Premierminister Maltas äußerte sich dazu in der Presse dahingehend, dass die Umsetzung im Kabinett diskutiert werde, man könne jedoch nicht jeder Vorgabe zustimmen (vgl. Infringement procedures instituted against Malta, 18 other EU states; http://www.timesofmalta.com/​articles/​view/20150923/local/update-2-infringement-procedures-instituted-against-malta-18-other-eu.585524, abgerufen am 5. November 2015).

41

3. Mit der Aufhebung der Abschiebungsanordnung wird zugleich die Befristung des gesetzlichen Wiedereinreiseverbots gem. § 11 Abs. 1 AufenthG gegenstandslos.

42

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83 b AsylG. Soweit der Kläger hinsichtlich des Verpflichtungsbegehrens unterliegt, sieht das Gericht im Hinblick auf § 155 Abs. 1 Satz 2 VwGO keinen Anhalt für eine Kostenlast.

43

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.

 


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