Urteil vom Verwaltungsgericht Hannover (1. Kammer) - 1 A 1273/20

Tenor

Der Abwasserbeitragsbescheid der Beklagten vom 3. Februar 2020 wird aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand

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Der Kläger wendet sich gegen die Festsetzung eines Abwasserbeitrags.

2

Der Kläger ist Eigentümer des mit einem Wohnhaus bebauten und 517 m2 großen Grundstücks "A-Straße" (Flurstück 97/17, Flur 1, Gemarkung D.). Das Grundstück ging – wie auch das schon früher bebaute Grundstück "E. " aus dem einheitlichen Grundstück "F. /G. " hervor. Das Grundstück mit der alten landwirtschaftlichen Hofstelle "H. 15}" und dem weiteren Wohnhaus "G. " stand im Eigentum der Großeltern des Klägers. Das Grundstück "F. " war nach der 1969 beginnenden Entwässerungsakte bereits zu diesem Zeitpunkt an den Schmutzwasserkanal angeschlossen; 1979 erging eine Aufforderung der Beklagten, auf dem Anschlussstutzen einen Kontrollschacht zu setzen. Nach der ebenfalls 1969 beginnenden Entwässerungsakte des Grundstücks "G. " erging in diesem Jahr zur seinerzeitigen Anschrift "D. 77" eine Aufforderung der Gemeinde D. zum Anschluss an die Schmutzwasserkanalisation und zur Stilllegung einer vorhandenen Kleinkläranlage, aus der das geklärte Wasser in die Regenwasserkanalisation abgeleitet worden war. In den Entwässerungsakten der Beklagten, die zu den heutigen Grundstücken "E. " (Flurstück 97/11), "A-Straße" (Flurstück 97/17), "G. " (Flurstück 97/16) und "H. 15}" (Flurstück 97/19) getrennt geführt werden, befindet sich ein Abwasserbeitragsbescheid nur bezüglich des Grundstücks "E. ", welches abgeteilt und vom Vater des Klägers mit einem Wohnhaus bebaut wurde. Unter dem 20. Oktober 1981 wurde ein Kanalbaubeitrag für den Schmutzwasserkanal i. H. v. 2.339,64 DM festgesetzt (Geschossflächenzahl 0,4; 349,20 m2 Geschossfläche zu je 6,70 DM).

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Nach dem Liegenschaftskataster entstand das klägerische Grundstück "A-Straße" (Flurstück 97/17) im Jahre 2003. Es liegt nicht im Bereich eines Bebauungsplans. Im Jahre 2018 wurden für die geplante Bebauung mit einem Einfamilienhaus eine Baugenehmigung und eine Entwässerungsgenehmigung erteilt. Es erfolgte ein Anschluss an den Schmutzwasserkanal in der Straße "I. "; im Juli und August 2019 wurden die auf dem Grundstück hergestellten Entwässerungsanlagen von der Beklagten abgenommen. Mit Bescheid vom 3. Februar 2020 setzte die Beklagte für das Grundstück einen Abwasserbeitrag für die Schmutzwasserbeseitigung i. H. v. 3.360,50 EUR fest. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass das Grundstück nach Anschluss an den Schmutzwasserkanal im Juli/August 2019 der Beitragspflicht unterläge. Bei einer Grundstücksfläche von 517 m2, einer Geschossflächenzahl von 0,5 und einem Beitragssatz von 13,00 EUR/m2 ergebe sich der festgesetzte Beitrag.

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Der Kläger hat am 20. Februar 2020 Klage erhoben. Die Grundstücke "G. ", "A-Straße", "E. " und "F. " hätten ursprünglich ein einheitliches Grundstück gebildet, welches über eine Hauskläranlage verfügt habe. Der Kanal in den Straßen "J. " und "I. " sei 1964 verlegt worden. Das Abwasser sei dann über die öffentliche Abwasserleitung entsorgt worden und die Großeltern des Klägers hätten Beiträge für die Maßnahme gezahlt. 2001 sei in der Straße "I. " die Abwasserleitung erneuert worden. Bei dieser Gelegenheit seien auch die Hausanschlüsse für die Flurstücke 97/16 (G.) und 97/17 (heute A-Straße) erneuert worden. Beiträge dafür seien gezahlt worden. Selbst wenn man unterstellte, dass das herangezogene Grundstück erst mit dem Schmutzwasseranschluss "G. " erschlossen worden wäre, könne hierfür heute kein Entgelt verlangt werden. Es komme nicht darauf an, ob und wie sich vermeintlich wirtschaftliche Vorteile durch die Baumaßnahmen in 2019 ergeben hätten. Wegen der abwassertechnischen Erschließung der Flurstücke, aus dem das herangezogene Grundstück hervorgegangen sei, sei Festsetzungsverjährung eingetreten. Ob das Grundstück "F. /G. " nach heutigen Maßstäben übergroß gewesen sei, könne keine Rolle spielen. Bereits im Jahre 1969 sei ein Schmutzwasserkanal vorhanden gewesen und die Abgabenpflicht habe bestanden. Eine Beitragspflicht lebe nach Herausmessung eines Grundstücksteils auch dann nicht wieder auf, wenn durch eine Beitragsheranziehung nicht der volle beitragsrechtliche Vorteil hätte abgegriffen werden können, weil die frühere Satzung nicht auf das mögliche Maß der baulichen Nutzung abgestellt habe. Es sei auch nicht zulässig, nach Teilung von bereits insgesamt erschlossenen Grundstücken im Wege der Nachverdichtung eine erneute Heranziehung vorzunehmen.

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Der Kläger beantragt,

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den Abwasserbeitragsbescheid der Beklagten vom 3. Februar 2020 aufzuheben.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Es sei nach Aktenlage davon auszugehen, dass für das Grundstück "F. /G. " nie ein Beitragsbescheid ergangen sei. Selbst wenn eine Heranziehung erfolgt wäre, könnte sie nach der derzeitigen Rechtslage nicht die besonderen wirtschaftlichen Vorteile abgelten, die für das Grundstück "A-Straße" durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme des Schmutzwasserkanals eröffnet seien. Wenn ein Beitragsbescheid für einen vor 1974 erfolgten Anschluss ergangen wäre, wäre für die Berechnung nicht das Maß der baulichen Nutzung maßgeblich gewesen, sondern ein Grundbetrag, der sich um die Anzahl der auf dem Grundstück befindlichen Wohnungseinheiten erhöht hätte. Zumindest für heutige Verhältnisse sei das mehrfach geteilte Hofgrundstück übergroß; die alte Berechnungsmethode könne nicht die besonderen wirtschaftlichen Vorteile im Sinne des seit 1974 geltenden Satzungsrechts abgelten. Bedingt durch die Nutzung als landwirtschaftlicher Hof wäre nur eine Wohnung zugrunde gelegt worden. Dadurch hätte der volle beitragsrechtliche Vorteil nicht abgegriffen werden können. Von daher sei es unerheblich, ob für die damalige Forderung Festsetzungsverjährung eingetreten sei. Die Erhebung eines Abwasserbeitrags nach Teilung des Grundstücks "G. " und Entstehung des Grundstücks "A-Straße" sei rechtmäßig, nachdem dieses einen neuen Anschluss erhalten habe. Das Grundstück "A-Straße" sei nach der Herausteilung neu entstanden und unerschlossen gewesen. Die Erschließung sei erst mit der betriebsfertigen Herstellung der Abwasseranlage vor dem Grundstück einschließlich des Grundstücksanschlusses inklusive Revisionsschacht – also im Juli/August 2019 – gesichert worden. Zu diesem Zeitpunkt sei eine erneute Betrachtung des Grundstücks in beitragsrechtlicher Hinsicht erfolgt. Entsprechend sei die Rechtslage auch im Jahr 1981 gesehen worden, als ein Beitragsbescheid für das herausgeteilte Grundstück "E. " ergangen sei, nachdem dieses einen Anschluss bekommen habe. Abwasserbeiträge seien bei den 2001/2002 durchgeführten Arbeiten, bei denen auch Arbeiten an den Niederschlagswasser- oder Schmutzwasseranschlüssen stattgefunden haben könnten, nicht erhoben worden. Eine Kostenerstattung für Kanalanschlussleitungen, die eventuell als Beitragserhebung hätte fehlinterpretiert werden können, sei nach Aktenlage aber nicht gefordert worden. Der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung sei gewahrt worden. Es könne auch nicht richtig sein, dass aufgrund dieses Prinzips die Erhebung von Abwasserbeiträgen für Nachverdichtungen ausgeschlossen sei. Durch die Nachverdichtungen erhöhe sich die Ausnutzung der öffentlichen Abwasseranlagen und damit der Aufwand für die Abwasserbeseitigung, welcher durch die Beiträge gedeckt werden solle.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage, über die nach dem Übertragungsbeschluss der Kammer vom 15. Dezember 2021 der Einzelrichter entscheidet (§ 6 Abs. 1 VwGO), hat Erfolg.

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Die Klage ist begründet. Die Festsetzung des Abwasserbeitrags für die Schmutzwasserbeseitigung für das Grundstück "A-Straße" ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, so dass der Bescheid vom 3. Februar 2020 aufzuheben ist (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

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Als Rechtsgrundlage für die Heranziehung des klägerischen Grundstücks zu einem Abwasserbeitrag wurde von der Beklagten auf ihre Satzung über die Erhebung von Beiträgen und Gebühren und Kostenerstattungen für die Abwasserbeseitigung (Abgabensatzung für die Abwasserbeseitigung) – im Folgenden: ABAS – in der zum Zeitpunkt des Anschlusses (Juli/August 2019) geltenden Fassung der 18. Änderungssatzung vom 3. Dezember 2018 abgestellt. Nach § 3 Abs. 1 Buchst. b ABAS unterliegen Grundstücke u. a. der Beitragspflicht, wenn sie an die jeweilige öffentliche Abwasseranlage angeschlossen werden können und sie – ohne dass für sie eine bauliche oder gewerbliche Nutzung festgesetzt ist – nach der Verkehrsauffassung Bauland sind und nach der geordneten baulichen Entwicklung der Gemeinde zur Bebauung oder gewerblichen Nutzung anstehen. Nach § 3 Abs. 2 ABAS unterliegen Grundstücke auch dann der Beitragspflicht, wenn sie nicht Bauland im Sinne des Absatzes 1 sind, aber tatsächlich an die jeweilige öffentliche Abwasseranlage angeschlossen wurden. § 3 Abs. 3 ABAS stellt klar, das Grundstück grundsätzlich das Grundstück im bürgerlich-rechtlichen Sinne ist. Gemäß § 6 Abs. 1 ABAS entsteht die Beitragspflicht mit der betriebsfertigen Herstellung der jeweiligen Abwasseranlage vor dem Grundstück einschließlich der Fertigstellung des jeweiligen Anschlusskanals für das Grundstück; nach § 6 Abs. 2 ABAS im Falle des § 3 Abs. 2 ABAS mit dem tatsächlichen Anschluss der auf dem Grundstück vorhandenen Baulichkeit.

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Zwar wurde für das ausweislich des Liegenschaftskatasters seit 2003 existierende klägerische Grundstück "A-Straße" ein eigener Anschlusskanal erst in 2019 hergestellt. Die Festsetzung eines Beitrags in 2020 kommt gleichwohl aufgrund des Grundsatzes der Einmaligkeit der Beitragserhebung nicht in Betracht, weil eine Beitragspflicht für die gesamte Fläche des ursprünglichen Grundstücks "F. /G. " - zu der auch die Fläche des klägerischen Grundstücks gehörte, vermutlich noch in den 1960er-Jahren, spätestens aber mit Inkrafttreten der Satzung über die Erhebung von Beiträgen und Gebühren für die Entwässerung der Gemeinde A-Stadt (Entwässerungsabgabensatzung) vom 19. Dezember 1974 – im Folgenden EAS 1974 – entstanden war. Der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung bedeutet, dass jedes Grundstück bzw. jede Grundstücksfläche für ein- und dieselbe Maßnahme – hier für die Herstellung des Schmutzwasserkanals in den Straßen "J. " und "I. " – nur einmal veranlagt werden kann, wobei auf den satzungsmäßig zu definierenden Zeitpunkt der Fertigstellung abzustellen ist. Der Grundsatz bezieht sich nicht nur auf das Verbot einer doppelten tatsächlichen Heranziehung derselben Grundstücksfläche für dieselbe Maßnahme, sondern bereits auf die Entstehung der sachlichen Beitragspflicht: Eine einmal entstandene Beitragspflicht kann nicht zu einem späteren Zeitpunkt nochmals oder gar in anderer Höhe entstehen (vgl. Rosenzweig/Freese/von Waldthausen, Niedersächsisches Kommunalabgabengesetz, Stand: Oktober 2020, § 6 Rn. 264).

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Der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung ergibt sich landesrechtlich aus § 6 Abs. 6 NKAG, wonach die Beitragspflicht mit der Beendigung der beitragsfähigen Maßnahme entsteht. Anders als die Kommunalabgabengesetze einiger anderer Bundesländer existiert in Niedersachsen gerade keine Vorschrift, die bei nachträglichen Erhöhungen der baulichen Ausnutzbarkeit eines Grundstücks eine Nachveranlagung ermöglichen würde (vgl. etwa § 29 Abs. 2 und 3 des Kommunalabgabengesetzes Baden-Württemberg, ferner dazu VG Karlsruhe, Beschl. v. 17.11.2020 - 12 K 3661/20 -, juris Rn. 38 ff., wonach neben der gesetzlichen Regelung erforderlich ist, dass sich die Gemeinde eine Nachveranlagung durch eine zulässige satzungsrechtliche Regelung vorbehalten hat). In Niedersachsen wurden vielmehr spezielle Stundungsregelungen in § 6a NKAG getroffen, die aufgrund des Umstandes notwendig erschienen, dass für übergroße Grundstücke infolge der Unzulässigkeit von Tiefenbegrenzungsregelungen exorbitant hohe Beiträge entstehen können (vgl. Rosenzweig/Freese/von Waldthausen, a. a. O., § 6a Rn. 30). Die Schaffung dieser Regelung impliziert die Vorstellung, dass auch sehr große oder gar "übergroße" Grundstücke mit ihrer gesamten Fläche beitragspflichtig werden konnten.

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Unabhängig von der Frage, ob eine Heranziehung der Großeltern des Klägers für das ursprüngliche Grundstück "F. /G. " für die erstmalige Herstellung des Abwasserkanals in den Straßen "J. " und "I. " tatsächlich vorgenommen wurde, war eine Beitragspflicht für dieses Grundstück mit seiner gesamten Fläche – aus welcher das klägerische Grundstück 2003 letztlich hervorging – nach Einschätzung des Einzelrichters spätestens 1975 entstanden. Für die Frage der Entstehung des Abwasser- oder Kanalbaubeitrags für ein Grundstück ist das dem Zeitpunkt der Beendigung der beitragspflichtigen Maßnahme korrespondierende Satzungsrecht anzuwenden, da sich umgekehrt das anzuwendende Satzungsrecht nach dem Zeitpunkt der Entstehung der sachlichen Beitragspflicht richtet (vgl. Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Stand: März 2021, § 8 Rn. 565). Seit Inkrafttreten der EAS 1974 bemisst sich der Kanalbau- bzw. Abwasserbeitrag nach dem Produkt aus der Fläche eines Grundstücks mit einer Geschossflächenzahl, welche die bauliche Ausnutzbarkeit widerspiegelt. In § 6 Abs. 1 EAS 1974 war geregelt, dass die Beitragspflicht mit der Anschlussmöglichkeit an die öffentliche Entwässerungsanlage oder Beendigung einer beitragsfähigen Maßnahme entsteht, wobei vorgesehen war, dass die Gemeinde den dafür maßgebenden Zeitpunkt feststellt. § 6 Abs. 3 EAS 1974 enthielt eine dem § 6 Abs. 2 ABAS entsprechende Regelung mit der Maßgabe, dass die Beitragspflicht frühestens mit der Genehmigung des Anschlusses entstehen sollte. Vor Inkrafttreten der EAS 1974 galt in D. die Gebührenordnung zur Satzung über den Anschluss an die Benutzung der Abwasseranlagen vom 5. Januar 1968. Da diese Gebührenordnung von der Beklagten nicht vorgelegt werden kann, lässt sich nur aus noch auffindbaren anderen Bescheiden – die auf Grundlage der Übergangsvorschrift des § 9 EAS 1974 ergangen waren – indirekt rekonstruieren, dass sich nach dieser Gebührenordnung der Kanalbaubeitrag für ein Grundstück aus einem Grundbetrag (1.000,00 DM) und einem Steigerungsbetrag je Wohnungseinheit (200,00 DM) zusammengesetzt haben dürfte. Nach der kommunalen Gebietsreform wurden die satzungsrechtlichen Regelungen der neuen Ortsteile Hemmingens – so auch die Gebührenordnung der früheren Gemeinde D. – durch die EAS 1974 zum 1. Januar 1975 außer Kraft gesetzt. Gemäß der Übergangsregelung in § 9 EAS 1974 war die Erhebung eines Kanalbaubeitrages in Höhe der einmaligen Kanalanschlussgebühr nach den früheren Gebührenordnungen bei Grundstücken vorgesehen, für die eine einmalige Kanalanschlussgebühr nach dem bisherigen Ortsrecht allein deshalb nicht erhoben werden konnte, weil diese Grundstücke noch nicht angeschlossen waren.

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Unstreitig hatte das seinerzeit ungeteilte ursprüngliche Grundstück "F. /G. " bereits vor 1974 fertiggestellte eigene Anschlusskanäle für die zwei vorhandenen Gebäude, die von den Hauptsammlern in den Straßen "J. " und "I. " ausgingen und die auch tatsächlich bereits in Verwendung waren. Es war mithin nicht nur eine rechtliche Anschlussmöglichkeit an die Schmutzwasserkanalisation gegeben, sondern sogar ein tatsächlicher Anschluss i. S. v. §§ 3, 6 EAS 1974 – und dies wohl sogar in doppelter Ausführung – vorhanden. Der Einzelrichter versteht § 6 Abs. 1 Satz 2 EAS 1974 nicht dahingehend, dass durch die dort vorgesehene Feststellung des maßgeblichen Zeitpunkts die Möglichkeit eingeräumt werden sollte, den Zeitpunkt der Entstehung der sachlichen Beitragspflicht (selbst nach Fertigstellung des Grundstückskanals) durch einen konstitutiven Akt der Beklagten von dem tatsächlichen Zeitpunkt der Anschlussmöglichkeit oder der Beendigung einer Maßnahme "abzukoppeln". Ob die Entstehung der Beitragspflicht nur von der Herstellung des Hauptsammlers oder auch von der Fertigstellung des Grundstücksanschlusses abhängen sollte – so wie es aktuell in § 6 Abs. 1 ABAS geregelt ist – bedarf in Anbetracht der schon vor 1975 vorhandenen Grundstücksanschlüsse keiner Entscheidung. Die Gesamtfläche des ursprünglichen Grundstücks war durch die vorhandenen Anschlüsse selbst dann bevorteilt, wenn man statt des im baurechtlichen Innenbereich maßgeblichen Buchgrundstücksbegriffs (vgl. zum Außenbereich hingegen: Nds. OVG, Beschl. v. 07.04.2000 - 9 M 2373/99 -, juris) von einem wirtschaftlichen Grundstücksbegriff ausgehen wollte. Auch die übrigen Voraussetzungen für eine Beitragspflicht nach der EAS 1974 waren für die gesamte Fläche gegeben. Die erst später aus dem ursprünglichen Grundstück herausgeteilten Flächen der heutigen Grundstücke "E. " und "A-Straße" waren schon vor tatsächlichen Errichtung von Wohngebäuden "nach der Verkehrsauffassung Bauland" i. S. v. § 3 Abs. 1 Buchst. b EAS 1974, denn es handelte sich um eine offenkundige Baulücke im unbeplanten Innenbereich i. S. v. § 34 Abs. 1 BauGB und nicht etwa um planungsrechtlichen Außenbereich i. S. v. § 35 BauGB, was durch die später ja auch erfolgten Lückenschlüsse trotz weiterhin fehlenden Bebauungsplans belegt wurde. Mithin entstand der sich grundsätzlich nach der vollen Grundstücksfläche und der Geschossflächenzahl richtende Kanalbaubeitrag spätestens bereits nach Inkrafttreten der EAS 1974, ohne dass es dabei darauf ankam, dass die Baulücke zwischen den Gebäuden "F. " und "G. " tatsächlich noch nicht geschlossen war. Schon die EAS 1974 stellte nämlich nicht auf die tatsächliche bauliche Ausnutzung eines Grundstücks, sondern auf die rechtliche Ausnutzbarkeit ab.

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Auch die abwasserbeitragsrechtliche Abrechnung von Teilflächen eines Grundstücks, die nach dem alten – in Einzelheiten nicht rekonstruierbaren – Ortsrecht D. s möglicherweise noch keine Rolle gespielt hatten, weil nur auf die Baulichkeiten als solche nebst einer gewissen "Umgriffsfläche" abgestellt worden wäre, hätte nach Auffassung des Einzelrichters bereits nach Inkrafttreten der EAS 1974 erfolgen müssen. Jedenfalls seit der EAS 1974 galt nutzungsbezogener Flächenmaßstab, bei dem es allein auf die rechtliche Ausnutzbarkeit eines Grundstücks ankam. Abgesehen von der (rechtlich nur zur Abgrenzung von Außen- und Innenbereich zulässigen und vorliegend schon wegen der geringeren Tiefe nicht einschlägigen) Tiefenbegrenzungsregelung in § 4 Abs. 3 EAS 1974 zielt dieser Maßstab auf die Gesamtfläche eines Grundstücks ab. Dass sich bei einem solchen Maßstab die Beitragspflicht bei leitungsgebundenen Anlagen für landwirtschaftliche Hofstellen im Innenbereich nicht auf die Fläche der tatsächlich an die Kanalisation angeschlossenen Gebäude mit einer gewissen Umgriffsfläche beschränkt, sondern sich auf das gesamte Grundstück erstreckt, soweit es dem Innenbereich zuzuordnen und damit bebaubar ist, ist in der Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts geklärt (vgl. Urt. v. 27.01.1993 - 9 L 4763/91 -, juris). Mit Nacherhebungen konnte jedenfalls nicht bis zu einer tatsächlichen weitergehenden Ausnutzung der insgesamt bereits beitragspflichtig gewordenen Grundstücksfläche zugewartet werden. Genau dies hatte die Beklagte aber offenkundig getan, denn die erste dokumentierte Heranziehung zu einem Kanalbaubeitrag erfolgte für die später abgeteilte und vom Vater des Klägers mit einem Wohnhaus bebaute Fläche "E. " (erst) im Jahre 1981. Wenn es früher schlicht versäumt wurde, einen Bescheid für das ursprüngliche Grundstück "F. /G. " zu erlassen, obwohl dies möglich gewesen wäre, kam es nicht etwa zu einem "Wiederaufleben" der Beitragspflicht, als aus dem ursprünglichen Grundstück Teile zwecks neuer Bebauung "herausgemessen" wurden. Es handelt sich vorliegend nicht etwa um einen Fall des späteren "Hineinwachsens" in eine beitragsrelevante Nutzungsmöglichkeit von bislang nicht veranlagten Teilflächen, bei dem eine Nachveranlagung auch nach niedersächsischem Recht möglich wäre (vgl. dazu Rosenzweig/Freese/von Waldthausen, a. a. O., § 6 Rn. 265; Nds. OVG, Beschl. v. 19.07.2012 - 9 ME 117/11 -, V. n. b.).

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Wahrscheinlich – dies lässt sich allerdings mangels Verfügbarkeit des alten Ortsrechts nur vermuten – hatte auch bereits die Gebührenordnung zur Satzung der Gemeinde D. über den Anschluss an die Benutzung der Abwasseranlagen vom 5. Januar 1968 Grundstücke in ihrer Gänze und nicht nur bezüglich der Baulichkeiten mit einer gewissen Umgriffsfläche im Blick. Auch dürfte die in ihren Einzelheiten unbekannte Gebührenordnung von einer einmaligen Abgabe für die einzelnen Grundstücke ausgegangen sein; ein von der Beklagten vorgelegter Beispielsbescheid für ein anderes Grundstück (Bl. 24 d. A.) legt dies nahe. Für den Fall der Entrichtung von Kanalanschlussgebühren (Kanalbaugebühren) nach altem Recht hat das das Oberverwaltungsgericht Lüneburg bereits 1981 entschieden, dass allein die Änderung der Bebauung eines an eine gemeindliche Abwasseranlage angeschlossenen Grundstücks ohne Änderung der gemeindlichen Anlage keine Beitragspflicht begründet (Urt. v. 17.09.1981 - 14 A 65/80 -, KStZ 1983, S. 231). Naheliegend erscheint zudem, dass auch eine Erhebung von "Gebühren" nach dem 1968 geltenden Ortsrecht in D. eine Refinanzierung des gemeindlichen Aufwands für den Kanalbau über die Gesamtheit der jeweils bevorteilten Grundstücke bezweckt hatte, auch wenn der Abgabenmaßstab ein anderer gewesen sein mag. Wurde der Aufwand für den Kanalbau indessen schon auf die Eigentümer der bevorteilten Grundstücke umgelegt, erscheint es fernliegend, dass sich der Satzungsgeber eine spätere erneute Heranziehungsmöglichkeit vorgestellt hatte. Belegt wird diese Einschätzung durch das ab 1974 geltende Satzungsrecht der Beklagten selbst. So spricht § 9 EAS 1974 in Bezug auf das alte Ortsrecht ausdrücklich von einer "einmaligen Kanalanschlussgebühr". Ob sich diese "einmalige Kanalanschlussgebühr" auf Grundstücke im bürgerlich-rechtlichen Sinne bezogen hatte oder ob dabei von einem wirtschaftlichen Grundstücksbegriff ausgegangen wurde, kann dahinstehen, da dies bezüglich des ursprünglichen Grundstücks "F. /G. " keinen Unterschied macht. Einer "einmaligen Kanalanschlussgebühr" dürfte die Vorstellung einer dauerhaften Abgeltungswirkung für die (erstmalige) Herstellung der öffentlichen Schmutzwasserbeseitigungseinrichtung immanent gewesen sein. Aus der Übergangsregelung in § 9 EAS 1974 ergibt sich zudem, dass die nach dem seit 1975 geltenden Beitragsmaßstab errechneten Kanalbaubeiträge und die auf die früheren einmaligen Kanalanschlussgebühren gedeckelten Kanalbaubeiträge als rechtlich gleichwertig zu betrachten sind: Die Idee, bei einem nach 1975 festgesetzten Kanalbaubeitrag, der aufgrund der Übergangsregelung des § 9 EAS 1974 auf die alte Höhe zu "deckeln" war, spätere weitere Festsetzungen bei höherer baulicher Ausnutzung eines Grundstücks – mit oder ohne Teilung desselben – für möglich zu halten, erschiene ersichtlich fernliegend. In § 9 EAS 1974 wurde – bezogen auf die nach § 2 Abs. 1 EAS 1974 bezweckte Abgeltung der besonderen wirtschaftlichen Vorteile – letztlich eine Gleichstellung von Kanalbaubeiträgen nach neuem Beitragsmaßstab und den Kanalanschlussgebühren nach altem Ortsrecht verankert.

20

Bei beiden vorliegend denkbaren Sachverhaltsalternativen – entweder wurde für das ursprüngliche Grundstück "F. /G. " keinerlei Beitrag festgesetzt oder aber es wurde eine einmalige Kanalanschlussgebühr nach dem vor 1975 geltenden Recht erhoben – verfängt der Einwand der Beklagten nicht, dass bei Teilung und Bebauung von Grundstücken im Sinne einer Nachverdichtung eine neue beitragsrechtliche Bewertung vorzunehmen sei und eine einmalige Kanalanschlussgebühr nach dem vor 1975 geltenden Recht nicht den vollen Vorteil bei aus heutiger Sicht übergroßen Grundstücken "abgegriffen" habe. Diese Sichtweise läuft darauf hinaus – wie es ja auch geschehen ist – mit der Erhebung eines (weiteren) Abwasserbeitrags bis zur tatsächlichen Realisierung neuer Bebauung auf einem abgeteilten Grundstück zuwarten zu können, ohne Festsetzungsverjährung befürchten oder sich den Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung entgegenhalten lassen zu müssen. Dies wird dem eigenen Satzungsrecht der Beklagten nicht gerecht. Zum einen wird nämlich bereits seit 1974 auf die rechtliche Ausnutzbarkeit von Grundstücken und nicht auf die tatsächliche Ausnutzung abgestellt. Schon dies verbietet es, mit einer beitragsrechtlichen Neubewertung bis zur Realisierung von Bauvorhaben bzw. einer tatsächlichen Nachverdichtung abzuwarten. Hinzu kommt, dass sich – wie bereits dargestellt – aus § 9 EAS 1974 hinsichtlich der Abgeltungswirkung eine Gleichstellung von früheren Kanalanschlussgebühren und späteren Kanalbaubeiträgen ergibt. Eine "beitragsrechtliche Neubewertung " lässt sich auch nicht mit dem Hinweis auf die erfolgte kataster- und grundbuchrechtlichen Veränderungen rechtfertigen. War für die Fläche eines früheren Grundstücks bereits eine Beitragspflicht entstanden, kann die spätere Aufteilung des Grundstücks keine neuen Beitragspflichten begründen. Ob eine Nachverdichtung auf demselben Buchgrundstück oder auf einem abgeteilten Buchgrundstück erfolgt, macht beitragsrechtlich keinen Unterschied, wenn das Landesrecht und das darauf beruhende Satzungsrecht eine Nachveranlagungsmöglichkeit bei Nachverdichtungen nicht vorsieht. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob im Zuge der nachverdichtenden Bebauung weitere Grundstücksanschlusskanäle hergestellt werden; dies löst bei entsprechender satzungsrechtlicher Ausgestaltung einen auf diese Anschlüsse bezogenen Kostenerstattungsanspruch aus (vgl. §§ 16, 17 ABAS), nicht aber wird dadurch eine Abwasserbeitragspflicht für zu einem früheren Zeitpunkt bereits beitragspflichtig gewordene Flächen neu begründet. Die Flächen der heutigen Grundstücke "E. " und "A-Straße" wären nur dann nicht vom Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung erfasst worden, wenn sie in den 1960er-Jahren noch vor Herstellung des Hauptsammlers und Fertigstellung der Grundstücksanschlusskanäle grundbuch- und katastermäßig abgetrennt worden wären.

21

Es bedarf keinen vertiefenden Ausführungen, dass bei Annahme der Entstehung einer Beitragspflicht für das ursprüngliche Grundstück "F. /G. " wohl schon nach altem D. er Ortsrecht, spätestens aber nach Inkrafttreten der EAS 1974 zum Zeitpunkt des Erlasses des angegriffenen Beitragsbescheides in 2020 bereits Festsetzungsverjährung eingetreten war. Nach § 11 Abs. 3 und Abs. 6 Nr. 2 NKAG i. V. m. § 169 Abs. 1 Satz 1 AO ist eine Abgabenfestsetzung nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist. Die Festsetzungsfrist beträgt nach § 11 Abs. 3 Nr. 2 NKAG im Geltungsbereich des Kommunalabgabengesetzes grundsätzlich einheitlich vier Jahre; § 11 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b und Abs. 6 Nr. 2 NKAG i. V. m. § 170 Abs. 1 AO bestimmt, dass die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Abgabe entstanden ist, beginnt. Mangels nochmaliger Entstehung der Beitragspflicht infolge der Fertigstellung eines Anschlusskanals für das klägerische Grundstück im Juli/August 2019 begann die Festsetzungsverjährungsfrist auch nicht etwa erst mit Ablauf des Jahres 2019.

22

Gründe für eine Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 VwGO i. V. m. § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO liegen nicht vor. Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist nicht gegeben, wenngleich sich das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht– soweit ersichtlich – mit der Frage der Nachveranlagung zu Abwasserbeiträgen bei baulichen Nachverdichtungen auf aus heutiger Sicht "übergroßen" Grundstücken in der jüngeren Rechtsprechung nicht explizit befasst hat.

23

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

24

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.

 


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