Beschluss vom Verwaltungsgericht Karlsruhe - 2 K 441/08

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.

2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Der Streitwert wird auf EUR 5.000 festgesetzt.

Gründe

 
Der Antrag des Antragstellers,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 18.02.2008 gegen Ziffer 2 der Verfügung der Antragsgegnerin vom 14.02.2008 wiederherzustellen,
ist zulässig, jedoch unbegründet.
Der Antrag ist in dem angeführten Sinne auszulegen (vgl. § 88 VwGO), da sich der Antragsteller in seiner Antragsschrift ausdrücklich nur gegen die Auflage betreffend den räumlichen Verlauf des Aufzuges wendet. Der Antrag ist gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig.
Der Antrag ist unbegründet.
Bei der gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmenden Interessenabwägung überwiegt vorliegend das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung von Ziffer 2 der angegriffenen Verfügung das Interesse des Antragstellers daran, dass diese Auflage vor dem rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens nicht durchgesetzt wird. Denn Ziffer 2 der Verfügung dürfte aller Voraussicht nach rechtmäßig sein.
Nach § 15 Abs. 1 VersG kann die zuständige Behörde eine Versammlung oder einen Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist.
Bei der Bestimmung über den räumlichen Verlauf der Versammlung handelt es sich nach Auffassung der Kammer tatsächlich um eine Auflage i.S.v. § 15 Abs. 1 VersG, nicht um ein Versammlungsverbot. Denn sie erfasst lediglich Modalitäten der Versammlungsdurchführung in örtlicher Hinsicht, die nicht so wesentlich sind, dass die Auflage faktisch einem Verbot gleichkommt (vgl. BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, Beschl. v. 06.05.2005 - 1 BvR 961/05 -, juris Rn. 18). Die behördliche Verfügung ist daher an den rechtlichen Voraussetzungen einer versammlungsrechtlichen Auflage, nicht an denen eines Versammlungsverbots zu messen.
Der Begriff der „öffentlichen Sicherheit“ umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen, wobei in der Regel eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit angenommen wird, wenn eine strafbare Verletzung dieser Schutzgüter droht (BVerfGE 69, 315 , 353 f.). Für die versammlungsrechtliche Gefahrenprognose gelten nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Grundrecht der Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG ) strenge Anforderungen: Danach setzt die mit der Formulierung der „erkennbaren Umstände“ in § 15 Abs. 1 VersG bezeichnete Prognosebasis tatsächliche Anhaltspunkte bzw. nachweisbare Tatsachen voraus, bloße Verdachtsmomente und Vermutungen reichen nicht (BVerfGE 69, 315, 353 f.; aus jüngerer Zeit etwa BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, Beschl. v. 06.06.2007 - 1 BvR 1423/07 -, NJW 2007, 2167, 2168). Der Prognosemaßstab der „unmittelbaren Gefährdung“ erfordert, dass der Eintritt eines Schadens für die Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (vgl. BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, Beschl. v. 26.01.2001 - 1 BvQ 8/01 -, NJW 2001, 1407, 1408, Beschl. v. 06.06.2007, a.a.O. 2168). Notwendig ist dabei immer ein hinreichend konkreter Bezug der Erkenntnisse oder Tatsachen zu der geplanten Veranstaltung (BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, Beschl. v. 01.05.2001 - 1 BvQ 21/01 -, NJW 2001, 2078, 2079).
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Im vorliegenden Fall dürfte aller Voraussicht nach ohne die Auflage eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit bestehen; ob darüber hinaus, wie von der Antragsgegnerin vorgebracht, auch eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Ordnung vorliegt, kann offenbleiben.
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Die Antragsgegnerin hat umfassend die Geschehnisse im Zusammenhang mit Demonstrationen politisch links gerichteter Gruppierungen in den letzten - und damit nicht, wie vom Antragsteller angeführt, lange zurückliegenden - Jahren sowie Umstände im Vorfeld der geplanten Versammlung am 23.02.2008 dargelegt. In den Jahren, in denen der „...“ eine Mahnwache auf dem ... veranstaltete, fanden stets nach vergleichbarem Muster linksgerichtete Versammlungen statt, die Auslöser für eine Bewegung zahlreicher Versammlungsteilnehmer Richtung ... waren mit dem Ziel, die unter dem Schutz der Versammlungsfreiheit stehende Mahnwache zu stören und zu verhindern. Darauf, dass diese Zielrichtung auch in diesem Jahr verfolgt wird, deuten nicht zuletzt die von dem Antragsteller ursprünglich angemeldete Route und der Zeitpunkt des Aufzuges hin. Mit der Route läge der Hauptbahnhof im Zentrum der Aufzugsroute, und zwar genau zu der Zeit, in der mit der Ankunft von Teilnehmern der Mahnwache des „...“ zu rechnen ist. Für das Gericht nachvollziehbar hat die Polizeidirektion Pforzheim ausgeführt, dass gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen anreisenden Teilnehmern der Mahnwache des „...“ und Teilnehmern des vom Antragsteller angemeldeten Aufzuges vorprogrammiert wären. Mit Recht verweist die Antragsgegnerin auch darauf, dass eine Vergleichbarkeit mit den Abläufen von Versammlungen der Vorjahre trotz verschiedener Veranstalter und damit fehlender „personeller Kontinuität“ festzustellen ist.
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Bei den Personen, die in der Vergangenheit als Veranstalter aufgetreten sind, handelt sich - wie bei dem Antragsteller - um strafrechtlich nicht vorbelastete und auch nicht in besonderer Weise auffällig gewordene, die nach außen als Einzelpersonen aufgetreten sind. Das Gericht ist jedoch der Auffassung, dass nach entgegen der Behauptung des Antragstellers doch eine Verbindung des Antragstellers zu dem „...“ besteht; aus diesem Grund können die im Vorfeld der geplanten Demonstration gewonnenen Erkenntnisse im Rahmen der Gefahrenprognose herangezogen werden.
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Zunächst erscheint die Behauptung des Antragstellers im Kooperationsgespräch, als Einzelperson zu handeln, nicht sehr lebensnah. Dass eine Person als Einzelperson eine auf zehn Stunden angelegte Versammlung „mit Redebeiträgen und Informationsstand“ (so in der Anmeldung) und „evtl. Kinderschminken, Jonglieren“ (so im Kooperationsgespräch) initiiert, liegt schon eher fern. Entscheidend dürfte jedoch sein, dass der Antragsteller für seine Versammlung das Thema „...“ gewählt hat. Damit hat er, wie die Antragsgegnerin in der angegriffenen Verfügung darlegt, den zentralen Slogan des „...“ aufgegriffen. Eine Erklärung dafür hat der Antragsteller nicht gegeben. Im Übrigen bestreitet er in seiner Antragsschrift auch nicht mehr ausdrücklich seine Nähe zu dem „...“, das nach eigener Aussage auf seiner Internet-Seite zu der diesjährigen Demonstration mobilisiert (vgl. ... [Stand: 20.02.2008]: „Zur diesjährigen Demonstration mobilisieren neben dem ... auch das ... landesweit.“).
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Die Antragsgegnerin hat in ihrer Verfügung vom Antragsteller nicht beanstandete Zitate angeführt, die eindeutig darauf schließen lassen, dass die Verhinderung der Mahnwache das wesentliche Ziel der geplanten Demonstration ist. So ist u.a. auf der Internet-Seite der „...“, die mit der des „...“ verlinkt gewesen ist, formuliert (gewesen): „Wir wollen uns daran machen dem faschistischen Treiben ein Ende zu bereiten.“ Auf der Internet-Seite des „...“, das nach eigener Aussage des „...“ zur Demonstration mobilisieren soll (s.o), wird das Ziel genannt, „langfristig das Zusammenspiel von Nazis, Bullen und etablierter Politik sabotieren zu können“. Am 20.02.2008 war auf der Internet-Seite des „...“ (s.o.) zu lesen: „Seit 2002 kommt es zu Aktionen gegen die Nazimahnwache des ... Im ersten Jahr konnte diese von AntifaschistInnen verhindert werden. Im Jahr darauf konnte die Demonstration nur von einem unverhältnismäßig großen Polizeiaufgebot begleitet durch die Stadt ziehen, um ihren Unmut über die Nazimahnwache zu äußern. Auch in den folgenden Jahren kam es jährlich zu Demonstrationen (1, 2, 3) und kleineren Konfrontationen, ein ähnlicher Erfolg wie die 2002 verhinderte Mahnwache konnte allerdings nicht mehr erzielt werden.“ Die Bezeichnung der Verhinderung der Mahnwache als „Erfolg“ spricht dabei für sich.
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Insgesamt ist die Gefahrenprognose der Antragsgegnerin nicht zu beanstanden.
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Die angegriffene Auflage leidet weiterhin sehr wahrscheinlich auch nicht an einem Ermessensfehler (vgl. § 114 Satz 1 VwGO). Insbesondere ist sie entgegen der Auffassung des Antragstellers auch nicht ungeeignet und auch ansonsten nicht unverhältnismäßig.
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Die Auflage kann zwar nicht verhindern, dass die angemeldete Versammlung einen Verlauf nimmt, der dem Muster der letzten Jahre vergleichbar ist. Denn trotz der Auflage können Versuche unternommen werden, die Mahnwache des „...“ zu verhindern. Jedoch kann durch die Auflage entgegen den Ausführungen des Antragstellers ein Zusammentreffen von mit der Eisenbahn anreisenden Teilnehmern der Mahnwache und Teilnehmern des Aufzuges zumindest erschwert werden. Der Antragsteller berücksichtigt nämlich nicht, dass die Teilnehmer der Mahnwache das Bahnhofsgelände verlassen können, ohne in direkten Kontakt mit der mit der Auflage vorgegebenen Wegstrecke zu kommen. Denn die Antragsgegnerin hat nachvollziehbar dargelegt, dass das Unterführungssystem des ... Bahnhofs der Polizei eine räumliche Trennung der politisch entgegengerichteten Gruppen ermöglicht. Auf diese Weise sollen schon in den Vorjahren direkte Konfrontationen wirksam verhindert worden sein.
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Die Auflage ist weiterhin auch erforderlich. Es ist kein milderes Mittel ersichtlich, um die durch die Auflage bewirkte Trennung des Aufzuges von den ankommenden Teilnehmern des Aufzuges zu verhindern. Insbesondere kann ein solches Mittel nicht in dem von dem Antragsteller in den Raum gestellten Transport der Mahnwachenteilnehmer mit Bussen gesehen werden. Diese Busse müssten die Route des Aufzuges kreuzen, was wiederum sehr wahrscheinlich zu gewaltsamen Aktionen aus der Versammlung heraus führen würde.
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Die Auflage ist schließlich auch nicht unzumutbar. Der Antragsteller führt selbst aus, dass die von ihm angemeldete Route durch die ... überwiegend durch ein Wohngebiet führt, in dem die Öffentlichkeitswirksamkeit der Veranstaltung eingeschränkt ist. Der Antragsteller kann auch drei der vier von ihm geplanten Zwischenkundgebungen durchführen. Die Behauptung des Antragstellers in der Antragsschrift, das Gebiet nördlich der Bahnlinie sei „per se von wichtigen Vorgängen abgeschnitten“, kann das Gericht im Übrigen nicht nachvollziehen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG.

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