Beschluss vom Verwaltungsgericht Karlsruhe - 3 K 1391/14

Tenor

Das Bundesverwaltungsgericht wird zur Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts gem. § 53 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 S. 1 VwGO angerufen.

Das Verfahren wird bis zu einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts über die örtliche Zuständigkeit ausgesetzt.

Gründe

 
I.
Die Klägerin begehrt die Erteilung einer Genehmigung nach § 2 Abs. 1 Nr. 3, § 9ff. PBefG bzw. einer Zustimmung nach § 45 Abs. 2, § 40 Abs. 2 PBefG zu einer Fahrplanänderung für den bereits genehmigten Linienverkehr mit Kraftfahrzeugen im Personenfernverkehr auf der Strecke Karlsruhe-Pforzheim-Stuttgart-München.
Nachdem die Beklagte der gem. § 45 Abs. 2, § 40 Abs. 2 Nr. 2 PBefG angezeigten Fahrplanänderung innerhalb eines Monats widersprochen hatte, verweigerte sie der Klägerin mit Bescheid vom 01.10.2013 die beantragte Zustimmung zur Fahrplanänderung unter Hinweis darauf, dass die vorgesehene Haltestelle ZOB Stuttgart-Vaihingen nach Ansicht der Stadt Stuttgart u.a. aus Gründen der Verkehrssicherheit nicht für den Omnibuslinienfernverkehr im geplanten Umfang geeignet sei und die Stadt Stuttgart das nach § 11 Abs. 3 S. 3 PBefG erforderliche Einvernehmen daher verweigert habe. Mit Bescheid vom 14.04.2014 wies das Regierungspräsidium Karlsruhe den Widerspruch der Klägerin gegen die Ablehnungsentscheidung u.a. unter Hinweis darauf zurück, dass die Fahrplanänderung als wesentliche Änderung gem. § 2 Abs. 2 Nr. 1 PBefG nicht lediglich anzeige- bzw. zustimmungsbedürftig sei, sondern einer erneuten Genehmigung bedürfe. Mit Schriftsatz vom 09.05.2014 hat die Beklagte Klage erhoben und zunächst beantragt, den Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheids aufzuheben (Ziffer 1), festzustellen, dass sie bereits aufgrund ihrer Anzeige vom 25.04.2013 zur Umsetzung des geänderten Fahrplans berechtigt sei (Ziffer 2), sowie hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, die erforderliche Genehmigung zu erteilen (Ziffer 3). Auf richterlichen Hinweis hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 09.06.2015 dann jedoch mitgeteilt, am Klageantrag zu 2 nicht mehr festhalten zu wollen.
Mit Beschluss vom 30.03.2015 hat der Berichterstatter die Stadt Stuttgart zum Verfahren beigeladen und die Beteiligten um Stellungnahme zur örtlichen Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts im Hinblick auf die Klageanträge zu 1 und 3 gebeten. Die Beklagte hat daraufhin eine Verweisung an das Verwaltungsgericht Stuttgart angeregt, weil von einem ortsgebundenen Recht im Sinne des § 52 Abs. 1 VwGO ausgegangen werden könne und eine Befassung des VG Stuttgart aufgrund der größeren räumlichen Nähe zur in Augenschein zu nehmenden Haltestelle zweckmäßig sei. Die Beigeladene hat geäußert, dass es zwar in der Sache um die Eignung des Busbahnhofs Stuttgart-Vaihingen gehe, der Wesenskern der Streitigkeit aber die Erteilung bzw. Versagung durch die zuständige Genehmigungsbehörde sei. Die Klägerin hat sich dahingehend eingelassen, dass die Kommentierung, soweit sie das Vorliegen eines ortsgebundenen Rechts bejahe, auf das „Recht eines Linienverkehrsunternehmens in Bezug auf die von ihm befahrene Strecke“ abstelle, während hier streitgegenständlich lediglich die Intensivierung der Nutzung einer bereits genehmigten Haltestelle auf einer Strecke sei. Daher sei von einer Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts nach § 52 Nr. 3 VwGO auszugehen.
II.
1. Gem. § 52 Nr. 1 VwGO ist in Streitigkeiten, die sich auf unbewegliches Vermögen oder ein ortsgebundenes Recht oder Rechtsverhältnis beziehen, nur das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk das Vermögen oder der Ort liegt; diese ausschließliche Zuständigkeitsbestimmung geht den übrigen Bestimmungen zur gerichtlichen Zuständigkeit nach § 52 Nr. 2, Nr. 3 und Nr. 5 VwGO vor.
2. Erfasst werden damit solche Rechte, die „zu einem bestimmten Territorium in besonderer Beziehung stehen“ bzw. die „eine weitgehende Verbindung zwischen dem strittigen Recht und dem Territorium aufweisen, auf dem es ausgeübt wird" (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 24.10.2002 – 8 S 2225/02 –, juris, Rn. 30 unter Verweis auf BVerwG, Beschl. v. 10.12.1996 – 7 AV 11/96 – NJW 1997, 1022 und Beschl. v. 24.07.1962 – VII ER 420.62 – BayVBl. 1962, 382). Eine solche besondere Beziehung bzw. weitgehende Verbindung zwischen dem strittigen Recht zum Betrieb einer Kraftomnibuslinie im Personenfernverkehr im durch den Fahrplan bestimmten Umfang und den zum Betrieb genutzten Haltestellen liegt hier vor, weil sowohl die Genehmigung einer Kraftfahrzeuglinie als auch die Zustimmung zu einem Fahrplan bzw. zu einer Fahrplanänderung gem. § 40 Abs. 1 PBefG jeweils im Hinblick auf eine konkrete Linienführung und konkrete Haltestellen und Fahrzeiten erteilt werden und der Versagungsgrund des § 13 Abs. 2 Nr. 1 PBefG (fehlende Eignung der vorgesehenen Straßen aus Gründen der Verkehrssicherheit oder aufgrund ihres Bauzustandes) nach der gefestigten Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte nicht nur im Genehmigungsverfahren nach § 2 Abs. 1 Nr. 3, § 9ff. PBefG, sondern auch im auf die Fahrplanänderung bezogenen Zustimmungsverfahren zu prüfen wäre (BayVGH, Urt. v. 24.09.2012 – 11 B 12.321 –, juris, Rn. 74; VG Ansbach, Beschl. v. 04.12.2012 – AN 10 S 12.00163 –, juris, Rn. 53; VG Augsburg, Urt. v. 24.06.2008 – Au 3 K 07.1310 –, juris, Rn. 22; Urt. v. 23.06.2009 – Au 3 K 08.1663 –, juris, Rn. 20).
Die Ortsgebundenheit des hier in Rede stehenden Rechts bzw. Rechtsverhältnisses folgt auch aus dem in § 11 Abs. 3 S. 3, Abs. 4 S. 1 PBefG geregelten Erfordernis des Einvernehmens derjenigen Behörden, deren Bezirke von der Linienführung betroffen sind, ohne lediglich Transitstrecke zu sein. Denn auch dieses Einvernehmenserfordernis zeigt, dass das hier in Rede stehende Recht zum Betrieb einer Kraftomnibuslinie im Personenfernverkehr mit der durch den Fahrplan konkret umrissenen Linienführung und Nutzungsintensität gerade (auch) mit der Frage nach der Eignung der als Haltestellen vorgesehenen Standorte „steht und fällt“ (vgl. zu dieser Formulierung BVerwG, Beschl. v. 10.12.1996 – 7 AV 11/96 –, juris, Rn. 3. Vgl. zur Festlegung von Abflugrouten eines bestimmten Flughafens als „ortsgebundenes Recht“ im Sinne des § 52 Nr. 1 VwGO auch BVerwG, Urt. v. 28.06.2000 – 11 C 13/99 –, BVerwGE 111, 276, Rn. 27; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 24.10.2002 – 8 S 2225/02 –, juris, Rn. 30; BayVGH, GB v. 30.11.1993 – 20 A 93.40022 –, NVwZ-RR 1995, 114f.).
Bei der hier in Rede stehenden Genehmigung einer Fernbuslinie bzw. Zustimmung zur Fahrplanänderung gem. § 45 Abs. 2, § 40 Abs. 2 PBefG handelt es sich daher um ein ortsgebundenes Recht im Sinne des § 52 Nr. 1 VwGO (so im Ergebnis auch W.-R. Schenke, in: Kopp/Schenke, 21. Aufl. 2015, § 52 Rn. 7; Bier/Schenk, in: Schoch/ Schneider/Bier, VwGO, 28. EL. 2015, § 52 Rn. 15 [„Recht eines Linienverkehrsunternehmens in Bezug auf die von ihm befahrene Strecke“]. Einschränkend Ziekow, in: Sodan/Ziekow, GK-VwGO, 4. Aufl. 2014, § 52 Rn. 12: Anwendung des § 52 Nr. 1 VwGO nur dann, wenn – wie hier – der Rechtsstreit ausschließlich die durch örtliche Besonderheiten bedingte Linienführung selbst betrifft. A.A. aber – ohne nähere Begründung –Redeker/von Oertzen, 16. Aufl. 2014, § 52 Rn. 6). Örtlich zuständig gem. § 52 Nr. 1 VwGO sind mithin jene Verwaltungsgerichte, in deren Bezirk der Linienverkehr mit Kraftfahrzeugen betrieben werden soll (ggfs. mit Ausnahme jener Verwaltungsgerichte, deren Bezirke lediglich im Transit durchfahren werden; § 11 Abs. 3 S. 3 HS 2 PBefG), also jedenfalls die Verwaltungsgerichte Karlsruhe, Stuttgart und München.
3. Diese konkurrierende Zuständigkeit mehrerer Verwaltungsgerichte kann nicht durch direkte oder entsprechende Anwendung der Regelung des § 11 Abs. 3 S. 1, Abs. 4 S. 1 PBefG über die Konzentration der behördlichen Zuständigkeit bei der Genehmigungsbehörde, in deren Bezirk die Linie ihren Ausgangspunkt hat, aufgelöst werden (a.A. wohl Kraft, in: Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 52 Rn. 13, der unter Berufung auf diese Regelung bereits das Vorliegen eines ortsgebundenen Rechts verneint). Denn diese Regelung betrifft alleine das Verwaltungsverfahren und greift mithin zu einem Zeitpunkt, in dem nicht feststeht, ob der Unternehmer (im Genehmigungsverfahren) die persönlichen Voraussetzungen des § 13 Abs. 1 PBefG erfüllt oder ob – und ggfs. im Hinblick auf welche Teilstrecken bzw. Haltestellen – Bedenken bestehen, ob die im Fahrplan vorgesehene Linienführung im dort vorgesehenen Umfang den Anforderungen des § 13 Abs. 2 Nr. 1 PBefG genügt. Die erforderliche Klärung kann vielmehr erst im Rahmen des behördlichen Verfahrens und unter Einbeziehung der nach § 11 Abs. 3 S. 3, Abs. 4 S. 1 PBefG zu beteiligenden weiteren Behörden herbeigeführt werden. In dieser Situation ist es zweckmäßig, hinsichtlich der Behördenzuständigkeit formal an den Ausgangspunkt der geplanten Linien anzuknüpfen, so dass § 11 Abs. 3 S. 1 PBefG insoweit die allgemeinen Regelungen des § 3 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 LVwVfG zur Behördenzuständigkeit bei örtlich gebundenen Rechten als speziellere Regelung verdrängt. Diese Erwägungen sind auf die Situation im Zeitpunkt der Klageerhebung jedoch nicht übertragbar, weil in diesem Zeitpunkt regelmäßig bereits feststeht, ob die zu beteiligenden Behörden Einwendungen gegen die Streckenführung erhoben haben und bzgl. welcher Teilstrecken bzw. Haltestellen daher ggfs. gerichtliche Tatsachenfeststellungen erforderlich sein werden. Nur durch Anwendung des § 52 Nr. 1 VwGO i.V.m. § 53 Abs. 1 Nr. 2 VwGO kann in dieser Situation dem mit der Regelung des § 52 Nr. 1 VwGO verfolgten Zweck Rechnung getragen werden, den Rechtsstreit jenem Gericht zuzuweisen, das mit den örtlichen Verhältnissen vertraut ist und den ggfs. erforderlichen Augenschein mit dem vergleichsweise geringsten Aufwand einnehmen kann (vgl. zu diesen Regelungszwecken Kraft, in: Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 52 Rn. 11). Denn hierbei handelt es sich gerade auch um jene Kriterien, die das nach § 53 Abs. 1 Nr. 2 VwGO zuständige Gericht bei seiner an den Wertungen der gesetzlichen Zuständigkeitsordnung sowie dem Gebot einer effektiven und sachgerechten Verfahrensdurchführung orientierten Entscheidung berücksichtigen kann (vgl. BVerwG, Beschl. v. 13.03.2009 – 7 AV 1/09 –, juris, Rn. 3).
5. Da sich die örtliche Zuständigkeit für den vorliegenden Rechtsstreit mithin nach § 52 Nr. 1 VwGO richtet und als örtlich zuständige Gerichte jedenfalls jene Gerichte in Betracht kommen, deren Bezirke nicht lediglich im Transit befahren werden, war die Entscheidung gem. § 53 Abs. 3 S. 1 VwGO dem im Rechtszug höheren Gericht oder dem Bundesverwaltungsgericht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorzulegen. Da die beantragte Linienführung Haltestellen sowohl in Karlsruhe, Pforzheim, Stuttgart als auch in München vorsieht und damit bei Anwendung des § 52 Nr. 1 VwGO auch eine Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts München in Betracht kommt, ist vorliegend das Bundesverwaltungsgericht und nicht der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg zur Entscheidung berufen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 07.05.1996 – 2 AV 1/95 –, NVwZ 1996, 998 zur Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts bei mehreren Gerichtsständen in verschiedenen Bundesländern). Zwar hat die Stadt München ihr Einvernehmen für die Zustimmung zur beantragten Linienänderung erteilt und keine Bedenken hinsichtlich der Eignung der in ihrem Bezirk belegenen Straßen erhoben, so dass eine Verweisung an das Verwaltungsgericht München der Kammer nach dem gegenwärtigen Streitstand fernliegend erscheint; dennoch obliegt die Auswahl unter verschiedenen jeweils örtlich zuständigen Gerichten dem nach § 53 Abs. 3 S. 1 VwGO angerufenen Gericht und kann vom anrufenden Gericht nicht vorweggenommen werden. Auch eine eigenständige Zuständigkeitsbestimmung durch das Verwaltungsgericht nach dem Schwerpunkt des streitigen Rechtsverhältnisses ist durch die Regelung des § 53 VwGO ausgeschlossen (vgl. OVG Bremen, Beschl. v. 02.02.2009 – 1 D 599/08 –, juris, Rn. 12).
10 
Die Entscheidung über die Anrufung des gem. § 53 Abs. 3 VwGO zuständigen Gerichts ergeht als Beschluss (Bier/Schenk, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 28. EL 2015, § 53 Rn. 3).
11 
6. Aufgrund der konkurrierenden örtlichen Gerichtszuständigkeit entspricht es pflichtgemäßem Ermessen, das Verfahren bis zur Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts über den Antrag auf Zuständigkeitsbestimmung entsprechend § 94 VwGO auszusetzen, da der Rechtsstreit vor einer Entscheidung im Verfahren der Zuständigkeitsbestimmung nicht entschieden werden kann.

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