Beschluss vom Verwaltungsgericht Koblenz (3. Kammer) - 3 L 84/21.KO
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000 € festgesetzt.
Gründe
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Der sinngemäße Antrag des Antragstellers, gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die in Ziffer 1 der Allgemeinverfügung des Antragsgegners vom 30. Januar 2021 für das Kreisgebiet getroffene und nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. §§ 28 Abs. 3, 16 Abs. 8 Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG –) sofort vollziehbare Ausgangsbeschränkung im Zeitraum zwischen 21:00 Uhr und 5:00 Uhr des Folgetages anzuordnen, hat keinen Erfolg.
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Nach der vom Gericht im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmenden Interessenabwägung, bei welcher die Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu berücksichtigen sind, überwiegt vorliegend das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der angegriffenen Regelung das private Interesse des Antragstellers, von einer Vollziehung einstweilen verschon zu bleiben. Nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage sind die Erfolgsaussichten derzeit offen. Die daher vorzunehmende, von den Erfolgsaussichten unabhängige umfassende Folgenabwägung fällt zulasten des Antragstellers aus.
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Angesichts der Kürze der für die Prüfung der Sach- und Rechtslage zur Verfügung stehenden Zeit vermag die Kammer weder die offensichtliche Rechtmäßigkeit noch die offensichtliche Rechtswidrigkeit der auf Grundlage der § 28 Abs. 1, § 28a Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. Abs. 2 IfSG getroffenen nächtlichen Ausgangsbeschränkung festzustellen.
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In der Rechtsprechung einiger Verwaltungsgerichte wird es mangels Vorliegens einer Einzelfallregelung vereinzelt als unzulässig erachtet, eine solche für zahlreiche Sachverhalte geltende Maßnahme in der Handlungsform einer Allgemeinverfügung zu treffen, sondern vielmehr die Regelung im Wege einer Rechtsnorm gefordert (vgl. VG Greifswald, Beschluss vom 29. Januar 2021 – 4 B 134/21 HGW –; VG Karlsruhe, Beschluss vom 10. Dezember 2020 – 2 K 5102/20 –, juris; offen gelassen in VG Neustadt, Beschluss vom 14. Dezember 2020 – 5 L 1076/20.NW – und VG Minden, Beschluss vom 08. Januar 2021 – 7 L 12/21 –, juris). Nach Einschätzung der Kammer spricht manches dafür, dass es sich bei einer für ein bestimmtes Kreisgebiet während einer bestimmten Zeit getroffenen Ausgangssperre aus Anlass der Corona-Pandemie um eine konkret-generelle Regelung handelt, auch wenn hiervon eine Vielzahl unterschiedlicher Sachverhalte erfasst werden. Ob es sich angesichts dessen noch um eine Einzelfallregelung handelt, bedarf wegen der Schwierigkeit dieser Rechtsfrage einer vertieften Prüfung, die den Rahmen des hier anhängigen Eilverfahrens sprengen würde.
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Auch die materielle Rechtmäßigkeit der in Ziffer 1 der Allgemeinverfügung geregelten nächtlichen Ausgangssperre kann derzeit nicht abschließend beurteilt werden.
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Als notwendige Schutzmaßnahme zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) für die Dauer der Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach § 5 Abs. 1 Satz 1 IfSG durch den Deutschen Bundestag kommt nach § 28 Abs. 1, § 28a Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. Abs. 2 IfSG u.a. die Anordnung einer Ausgangsbeschränkung, nach der das Verlassen des privaten Wohnbereichs nur zu bestimmten Zeiten oder zu bestimmten Zwecken zulässig ist, in Betracht. Dies ist allerdings nur zulässig, soweit auch bei Berücksichtigung aller bisher getroffenen anderen Schutzmaßnahmen eine wirksame Eindämmung der Verbreitung von COVID-19 erheblich gefährdet wäre. Dem nach § 28 Abs. 1 IfSG dem Antragsgegner hinsichtlich Art und Umfang der Bekämpfungsmaßnahmen eingeräumten Ermessen sind ferner durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Grenzen gesetzt. Dies bedeutet, dass die Maßnahme geeignet, erforderlich und angemessen sein muss.
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Ob die angegriffene Ausgangssperre rechtmäßig ist, insbesondere verhältnismäßig und ermessensgerecht, wird wegen der Schwierigkeit der hiermit verbundenen Fragen abschließend ebenfalls erst in einem Hauptsacheverfahren zu klären sein. Als Anlass für die bis zum 14. Februar 2020 befristete nächtliche Ausgangsbeschränkung hat der Antragsgegner in der Begründung der Allgemeinverfügung mitunter einen rasanten Anstieg der Infektionszahlen im Kreisgebiet auf einen 7-Tages-Inzidenzwert von zeitweise über 200 sowie ein diffuses, nicht lokalisierbares Infektionsgeschehen angegeben. Er hält die nächtliche Ausgangsbeschränkung wegen der damit verbundenen Gefahr einer Überlastung des Gesundheitssystems sowie für Leib und Leben zahlreicher Menschen für notwendig. Inzwischen liegen zwar verfassungs- bzw. obergerichtliche Entscheidungen betreffend die Verhältnismäßigkeit landesweiter Ausgangsbeschränkungen in anderen Bundesländern vor. So sieht der Bayerische Verfassungsgerichtshof jedenfalls keine offensichtliche Verletzung von Freiheitsgrundrechten (s. Bay VerfGH, Entscheidung vom 17. Dezember 2020 – Vf. 110-VII-20 –, Rn. 24, juris und vom 30. Dezember 2020 – Vf. 96-VII-20 –, Rn. 25, juris). Auch die baden-württembergische Regelung ist nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg voraussichtlich mit höherrangigem Recht vereinbar (vgl. Beschluss vom 18. Dezember 2020 – 1 S 4028/20 –, juris). Im Hauptsacheverfahren wird jedoch vor allem zu prüfen sein, ob die nächtliche Ausgangssperre bis zum 14. Februar 2021 befristet werden durfte oder ob nicht vielmehr der Antragsgegner im Rahmen der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme verpflichtet ist, aufgrund des bereits seit dem 28. Januar 2021 begonnen Sinkens des 7-Tages-Inzidenzwerts schon vor dem 14. Februar 2021 zu prüfen, ob die nächtliche Ausgangssperre (weiterhin) erforderlich ist. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob im Falle eines sich wohl lokal ereigneten Ausbruchsgeschehens in einer Pflegeeinrichtung für Senioren (vgl. die vorgelegten Lageberichte des Antragsgegners Nr. 20/2021, Nr. 21/2021 und Nr. 24/2021) eine nächtliche Ausgangssperre für das gesamte Kreisgebiet gerechtfertigt ist. Überdies bedarf auch die Angemessenheit der Maßnahme einer vertieften Prüfung im Hauptsacheverfahren.
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Die von daher vorzunehmende Folgenabwägung fällt zum Nachteil des Antragstellers aus. Würde der Vollzug der Ziffer 1 der Allgemeinverfügung ausgesetzt, erwiese sich diese aber in einem späteren Hauptsacheverfahren als rechtmäßig, so könnten in der Zwischenzeit durch einen weiteren Anstieg der Infektionszahlen schwerwiegende und erhebliche Beeinträchtigungen der dem staatlichen Schutzauftrag unterliegenden Funktionsfähigkeit der Gesundheitsversorgung sowie Schädigungen des überragenden Schutzgutes der menschlichen Gesundheit eintreten (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz – GG –). Bleibt die Anordnung dagegen sofort vollziehbar, erweist sie sich aber im Hauptsacheverfahren als rechtswidrig, entstehen beim Antragsteller keine tiefgreifenden und vor allem keine dauerhaften Beeinträchtigungen seiner Rechte aus Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 11 Abs. 1 GG. Insbesondere macht der Antragsteller nicht substantiiert geltend, selbst in irgendeiner Weise besonders stark durch die Maßnahme betroffen zu sein und ein gesteigertes Interesse daran zu haben, seine Wohnung während der Geltung der Ausgangsbeschränkung zu verlassen. Darüber hinaus ist die vom Antragsteller in Bezug genommene Allgemeine Erklärung der Menschrechte (Resolution 217 A (III) der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1948 rechtlich nicht verbindlich und begründet daher keine einklagbaren subjektiven Rechte, die der Antragsteller gegenüber dem Antragsgegner erfolgreich geltend machen könnte (VG München, Beschluss vom 30. Juli 2019 – M 22 E 19.3507 –, juris, Rn. 20 m.w.N.). Demgegenüber steht die zu befürchtende Überlastung des Gesundheitssystems und damit gegebenenfalls verbundene Gesundheitsschädigungen einzelner Personen sowie möglicherweisen deren Tod und damit Grundrechtseinbußen, die nicht reversibel sind. Hinzu kommt, dass der Antragsgegner eine umfassende Ausnahmeregelung in Ziffer 1 der angefochtenen Allgemeinverfügung getroffen hat. Die dortige Aufzählung triftiger Gründe für eine Ausnahme von der nächtlichen Ausgangsbeschränkung zeigt, dass er berufliche, gesundheitliche und auch sonstige private Interessen berücksichtigt hat. Wägt man die hier betroffenen Belange ab, haben der Gesundheitsschutz und damit das öffentliche Interesse an der Vollziehung der angegriffenen Regelung Vorrang vor den rechtlich geschützten Interessen des Antragstellers, zumal die nächtliche Ausgangssperre zeitlich begrenzt, nämlich nur bis zum 14. Februar 2021, gültig ist.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG. Eine Reduzierung des Streitwerts im Hinblick auf den Eilrechtsschutz war wegen der Vorwegnahme der Hauptsache nicht angezeigt (Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013).
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Referenzen
- VwGO § 154 1x
- IfSG § 5 Bund-Länder-Informationsverfahren 1x
- 7 L 12/21 1x (nicht zugeordnet)
- 5 L 1076/20 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 80 2x
- § 28a Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. Abs. 2 IfSG 2x (nicht zugeordnet)
- 1 S 4028/20 1x (nicht zugeordnet)
- 4 B 134/21 1x (nicht zugeordnet)
- § 52 Abs. 2 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- 2 K 5102/20 1x (nicht zugeordnet)
- IfSG § 28 Schutzmaßnahmen 1x