Beschluss vom Verwaltungsgericht Köln - 10 L 735/15
Tenor
1. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
2. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.
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Gründe
2Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist abzulehnen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den nachfolgenden Gründen nicht die gemäß § 166 VwGO i.V.m. § 114 Absatz 1 Satz 1 ZPO erforderliche hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.
3Der nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO gestellte Antrag,
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1. die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 19.02.2015 betreffend die Entziehung des Reisepasses wiederherzustellen,
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2. die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 19.02.2015 betreffend die Beschränkung des Personalausweises anzuordnen,
ist nicht begründet. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der angefochtenen Maßnahmen überwiegt das Aussetzungsinteresse des Antragstellers, weil die angefochtene Verfügung offensichtlich rechtmäßig ist.
8Rechtsgrundlage für die in Nr. 1 des angefochtenen Bescheides verfügte Passentziehung ist § 8 PassG, Rechtsgrundlage für die Personalausweisbeschränkung in Nr. 2 die Vorschrift des § 6 Abs. 7 PAuswG. Zu den Voraussetzungen dieser Vorschriften hat das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW) mit
9Beschluss vom 16.04.2014 – 19 B 59/14 -, juris,
10ausgeführt:
11„Danach kann ein Pass dem Inhaber entzogen werden, wenn „Tatsachen bekanntwerden“, die nach § 7 Abs. 1 PassG die Passversagung rechtfertigen würden. § 7 Abs. 1 Nr. 1 PassG setzt tatbestandlich voraus, dass „bestimmte Tatsachen“ die Annahme begründen, dass der Passinhaber die innere oder äußere Sicherheit oder sonstige erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährdet. Unter dieser Voraussetzung kann die zuständige Behörde nach § 6 Abs. 7 PAuswG auch die Ausweisbeschränkung in Nr. 2 der Ordnungsverfügung gegenüber dem Antragsteller anordnen. Im vorliegenden Fall ist die 3. Alternative des § 7 Abs. 1 Nr. 1 PassG einschlägig (Gefährdung sonstiger erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland). Solche Belange gefährdet der Passinhaber insbesondere, wenn bestimmte Tatsachen die Prognose rechtfertigen, er werde sich im Ausland an Gewalttätigkeiten beteiligen, die geeignet sind, die auswärtigen Beziehungen oder unter besonderen Umständen auch das internationale Ansehen der Bundesrepublik zu schädigen.
12BVerwG, Urteil vom 25. Juli 2007 ‑ 6 C 39.06 ‑, BVerwGE 129, 142, juris, Rdn. 28 (G-8-Gipfel Genua); VGH Bad-Württ., Urteil vom 7. Dezember 2004 ‑ 1 S 2218/03 ‑, VBlBW 2005, 231, juris, Rdn. 21.
13Der Passversagungstatbestand in § 7 Abs. 1 Nr. 1 PassG setzt lediglich voraus, dass konkrete Tatsachen vorliegen, die die Begründetheit der behördlichen Gefahreneinschätzung nachvollziehbar rechtfertigen. Die Anknüpfungstatsachen für die Gefahrenprognose müssen nach Zeit, Ort und Inhalt so konkret gefasst sein, dass sie einer Überprüfung im gerichtlichen Verfahren zugänglich sind. Hingegen erfordert § 7 Abs. 1 Nr. 1 PassG keine eindeutigen Beweise für diese Gefahreneinschätzung. Ausreichend ist eine auf Tatsachen gestützte positive Gefahrenprognose. Eine bloße Möglichkeit, eine reine Vermutung oder ein durch konkrete Tatsachen nicht belegbarer Verdacht genügen nicht, um eine konkrete Gefährdungslage im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 1 PassG zu begründen.
14Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 14/2726 vom 18. Februar 2000, S. 6; VG Berlin, Urteil vom 6. März 2012 ‑ 23 K 59.10 ‑, juris, Rdn. 18; VG Braunschweig, Beschluss vom 27. Oktober 2011 ‑ 5 B 164/11 ‑, juris, Rdn. 22; VG Aachen, Urteil vom 26. August 2009 ‑ 8 K 637/09 ‑, juris, Rdn. 46; entsprechend zur Passentziehung wegen Steuerflucht nach § 7 Abs. 1 Nr. 4 PassG OVG Bremen, Beschluss vom 25. Januar 2013 ‑ 1 B 297/12 ‑, NordÖR 2013, 217, juris, Rdn. 5.
15Hierin liegt eine Herabstufung des anzulegenden Wahrscheinlichkeitsmaßstabs in Bezug auf die vorausgesetzte Gefährdung. Der Passversagungsgrund des § 7 Abs. 1 Nr. 1 PassG liegt nicht erst dann vor, wenn der Betreffende Belange der Bundesrepublik Deutschland tatsächlich gefährdet, sondern schon dann, wenn der begründete Verdacht einer solchen Gefährdung besteht. Diese Herabstufung ergibt sich aus dem Wortlaut des § 7 Abs. 1 Nr. 1 PassG, der lediglich verlangt, dass Tatsachen „die Annahme“ einer Gefährdung im Sinne der Nr. 1 begründen, ohne dass die Gefährdung selbst vorliegen muss. Insofern führt der Passversagungstatbestand in § 7 Abs. 1 Nr. 1 PassG zu einer ähnlichen Vorverlagerung des Gefährdungsschutzes wie auch der Ausschlusstatbestand des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG im Rahmen der Einbürgerung.
16Dazu allgemein BVerwG, Beschluss vom 16. Juli 2003 ‑ 6 VR 10.02 ‑, juris, Rdn. 13 (Vereinsverbot); zu § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG: BVerwG, Beschluss vom 8. Juni 2011 ‑ 5 B 55.10 ‑, juris, Rdn. 3; Urteil vom 2. Dezember 2009 ‑ 5 C 24.08 ‑, BVerwGE 135, 302, juris, Rdn. 15, 18 (IGMG); Urteil vom 22. Februar 2007 ‑ 5 C 20.05 ‑, BVerwGE 128, 140, juris, Rdn. 19 f. (PKK-Selbsterklärung).
17In diesem herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab unterscheidet sich der Passversagungstatbestand in § 7 Abs. 1 Nr. 1 PassG ebenso wie der Ausschlusstatbestand des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG von Vereinsverboten sowie von Behauptungen in einem Verfassungsschutzbericht, für die keine Verringerung des Regelbeweismaßes der vollen richterlichen Überzeugungsgewissheit nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO eingreift. Bei diesen Maßnahmen ist eine Herabstufung des Wahrscheinlichkeitsmaßstabs insbesondere nicht wegen des sachtypischen Beweisnotstandes gerechtfertigt, in dem sich die handelnde Behörde befindet, weil der Verfassungsschutz seine Erkenntnisquellen und Arbeitsweisen schützen, Vertraulichkeitszusagen an Informanten einhalten muss und deshalb oftmals die Vorlage seiner Akten nach § 99 VwGO verweigert. Denn eine solche Beweisregel ist weder in § 99 VwGO noch an anderer Stelle der Verwaltungsgerichtsordnung vorgesehen.
18BVerwG, Urteil vom 21. Mai 2008 ‑ 6 C 13.07 ‑, BVerwGE 131, 171, juris, Rdn. 25, 29 (VS-Bericht BW 2001); Urteil vom 3. Dezember 2004 ‑ 6 C 10.02 ‑, NVwZ 2005, 1435, juris, Rdn. 16 (Vereinsverbot).
19Nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 PassG erstreckt sich die Herabstufung des Wahrscheinlichkeitsmaßstabs auf die von dieser Vorschrift vorausgesetzte Gefährdung, nicht aber auch auf die einzelnen „bestimmten Tatsachen“ im Sinne dieses Eingriffstatbestandes. Für diese Indiztatsachen verbleibt es vielmehr bei dem Regelbeweismaß der vollen richterlichen Überzeugungsgewissheit nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Als ausschließlich auf diese Indiztatsachen bezogen versteht der Senat die Aussage der Vorinstanz, ein geheimhaltungsbedingter Beweisnotstand führe nicht zu einer Herabstufung des Regelbeweismaßes der vollen richterlichen Überzeugungsgewissheit nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO (Seite 9 unten des Beschlussabdrucks).
20Bei einer Passentziehung wegen befürchteter Ausreise zur Teilnahme am bewaffneten Jihad kommen als Anknüpfungstatsachen vor allem konkrete Äußerungen des Passinhabers und seine Einbindung in einen Personenkreis von gewaltbereiten Islamisten sowie deren bisherige Aktivitäten und politische Ziele in Betracht (z. B. Teilnahme an regelmäßigen Zusammenkünften, bei denen Koransuren mit zentralen Leitsätzen des militanten Jihad besprochen werden; Teilnahme an einem Ausbildungscamp für Terroristen im Ausland; missglückte Ausreiseversuche; Auffinden eines USB-Speichersticks mit demokratiefeindlichen digitalisierten Büchern; eigene Äußerungen des Passinhabers über einen konkret geplanten Grenzübertritt nach Syrien mit Sprengstoffübergabe).
21OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 7. März 2011 ‑ 5 S 22.10, 5 M 34.10 ‑, NVwZ-RR 2011, 500, juris, Rdn. 4, 6; VG Hamburg, Beschluss vom 23. November 2012 ‑ 2 E 2951/12 ‑, juris, Rdn. 18 ff.; VG Berlin, Urteil vom 6. März 2012, a. a. O., Rdn. 18; Urteil vom 6. März 2012 ‑ 23 K 58.10 ‑, juris, Rdn. 20; VG Braunschweig, a. a. O., Rdn. 20; OVG NRW, Beschluss vom 11. September 2013 ‑ 18 B 866/13 ‑ (Ausreiseverbot nach § 46 Abs. 2 AufenthG).“
22Diesen Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts hat sich die Kammer angeschlossen,
23vgl. VG Köln, Urteil vom 10.12.2014 – 10 K 4302/13 -, juris.
24Danach liegen die gesetzlichen Voraussetzungen einer Passentziehung und Beschränkung des Personalausweises hier vor.
25Dabei kann offen bleiben, ob hinreichende Anknüpfungstatsachen dafür vorliegen, dass der Antragsteller tatsächlich beabsichtigt, selbst nach Syrien auszureisen und sich dort dem bewaffneten Jihad anzuschließen. Denn jedenfalls liegen hinreichende Anknüpfungstatsachen für eine Unterstützung des bewaffneten Jihad auf andere Weise vor. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird insoweit auf die zutreffenden Ausführungen in der Antragserwiderung der Antragsgegnerin vom 16.04.2015 Bezug genommen, die durch das Vorbringen des Antragstellers im gerichtlichen Verfahren nicht entkräftet werden. Zu Recht hat die Antragsgegnerin insbesondere darauf abgestellt, dass der Antragsteller – wie durch den zusammenfassenden polizeilichen Ermittlungsbericht und die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft Köln, hier insbesondere die abgehörten Telefonate, belegt ist – über einen längeren Zeitraum eng mit dem zurzeit in Untersuchungshaft sitzenden N. U. C. kooperiert und mit ihm zusammen „Syrienkonvois“, den Transport von Fahrzeugen und Bargeld nach Syrien, - angeblich zu humanitären Zwecken - organisiert und sich mehrfach in Syrien aufgehalten hat. Der Antragsteller hat auch eingeräumt, dass er – wie bei einer Grenzkontrolle festgestellt – einen Rucksack mit einem – nach seinen Angaben mit einem Tape überklebten – Aufnäher mit verbotenen Symbolen des „Islamischen Staates“ mit sich führte. Diese festgestellten Tatsachen tragen die Gefahrenprognose im Sinne der § 7 Abs. 1 Nr. 1 PassG, § 6 Abs. 7 PAuswG unabhängig davon, ob die von dem Antragsteller bestrittenen weiteren Angaben des N. U. C. zur Person des Antragstellers (u.a. zu einem angeblichen Aufenthalt des Antragstellers in einem Ausbildungslager) zutreffen.
26Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG (Hälfte des gesetzlichen Auffangstreitwerts von 5.000,00 Euro).
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Referenzen
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- 1 S 2218/03 1x (nicht zugeordnet)
- 2 E 2951/12 1x (nicht zugeordnet)
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- VwGO § 166 1x
- PAuswG § 6 Gültigkeitsdauer; vorzeitige Beantragung; räumliche Beschränkungen 1x
- VwGO § 154 1x
- § 52 Abs. 1 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 114 Voraussetzungen 1x
- 1 B 297/12 1x (nicht zugeordnet)
- 18 B 866/13 1x (nicht zugeordnet)
- 19 B 59/14 1x (nicht zugeordnet)