Beschluss vom Verwaltungsgericht Köln - 4 L 1009/20.A
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
1
Gründe
2Der sinngemäß gestellte Antrag des Antragstellers,
3die aufschiebende Wirkung der Klage im Verfahren 4 K 2742/20.A gegen die im Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 23. April 2020 unter Ziffer 3 enthaltene Abschiebungsandrohung anzuordnen,
4hat keinen Erfolg. Er ist unbegründet.
5Eine Anfechtungsklage gegen die vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) ausgesprochene Abschiebungsandrohung hat nach § 75 AsylG keine aufschiebende Wirkung. Das Gericht kann die aufschiebende Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO, § 71a Abs. 4 i.V.m. § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG anordnen. Dies setzt nach § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts voraus. Solche ernstlichen Zweifel liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung im Hauptsacheverfahren wahrscheinlich nicht standhält,
6vgl. BVerfG, Urteil vom 14.05.1996 – 2 BvR 1516/93 –, juris Rn. 99.
7Davon ausgehend unterliegt die Rechtmäßigkeit der im Bescheid des Bundesamts vom 23. April 2020 unter Ziffer 3 enthaltenen Abschiebungsandrohung in der Fassung der Änderung vom 19. Juni 2020 im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen ernstlichen Zweifeln.
8Rechtsgrundlage für die Abschiebungsandrohung ist § 71a Abs. 4 i.V.m. § 34 Abs. 1, § 36 Abs. 1 AsylG. Nach diesen Vorschriften droht das Bundesamt dem Ausländer nach den §§ 59 und 60 Abs. 10 AufenthG die Abschiebung unter Bestimmung einer Ausreisefrist von einer Woche schriftlich an, wenn sein Asylantrag als unzulässig abgelehnt wird, die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen oder die Abschiebung ungeachtet des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausnahmsweise zulässig ist, und der Ausländer nicht im Besitz eines Aufenthaltstitels ist.
9Diese Voraussetzungen sind hier gegeben.
10Das Bundesamt hat den Asylantrag des Antragstellers zu Recht gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG abgelehnt. Danach ist ein Asylantrag unzulässig, wenn im Falle eines Zweitantrags nach § 71a AsylG ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen ist.
11Das Bundesamt ist zutreffend davon ausgegangen, dass es sich bei dem Asylantrag des Antragstellers um einen Zweitantrag nach § 71a AsylG handelt.
12Gemäß § 71a Abs. 1 AsylG liegt ein Zweitantrag vor, wenn der Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstatt (§ 26a AsylG), für den die Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft über die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren gelten oder mit dem die Bundesrepublik Deutschland darüber einen völkerrechtlichen Vertrag geschlossen hat, im Bundesgebiet einen Asylantrag stellt. Ein erfolgloser Abschluss des in einem sicheren Drittstaat betriebenen Asylverfahrens setzt voraus, dass der Asylantrag entweder unanfechtbar abgelehnt oder das Verfahren nach Rücknahme des Asylantrag bzw. dieser gleichgestellten Verhaltensweisen endgültig eingestellt worden ist,
13vgl. BVerwG, Urteil vom 14.12.2016 – 1 C 4.16 –, juris Rn. 29.
14Es obliegt dem Bundesamt, den negativen Abschluss des Erstverfahrens im Rahmen der Amtsermittlungspflicht zu belegen; bloße Mutmaßungen genügen nicht. Welche Anforderungen im Einzelnen an die Nachforschungspflicht des Bundesamts zu stellen sind, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Erforderlich sind grundsätzlich tragfähige Informationen zum Verfahrensstand und zum Tenor einer gegebenenfalls getroffenen Entscheidung in dem Mitgliedstaat. Im Falle der Unaufklärbarkeit trägt das Bundesamt die materielle Beweislast.
15Vgl. OVG Sachsen, Beschluss vom 27.04.2020 – 2 A 647/19.A –, juris Rn. 4; VG Düsseldorf, Beschluss vom 24.01.2020 – 12 L 2792/19.A –, juris Rn. 32 m.w.N; VG München, Beschluss vom 13.12.2019 – M 12 S 19.34141 –, juris Rn. 20.
16Das in Griechenland durchgeführte Asylverfahren des Antragstellers ist erfolglos abgeschlossen worden. Dies ergibt sich aus der Antwort des griechischen Ministeriums für Migrationspolitik vom 21. Juni 2019 auf das Wiederaufnahmegesuch des Bundesamts. Danach stellte der Antragsteller am 9. Januar 2018 einen förmlichen Asylantrag. Sein Antrag auf internationalen Schutz (Flüchtlingsschutz oder subsidiären Schutz) wurde abgelehnt. Gegen die Entscheidung legte er am 29. März 2018 Rechtsmittel ein. Sein Antrag wurde in zweiter Instanz abgelehnt. Eine Aufenthaltserlaubnis wurde ihm von Seiten der griechischen Behörden nicht ausgestellt. Diese Angaben stimmen mit denen des Antragstellers überein. In der Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrags am 13. Juni 2019 erklärte er gegenüber dem Bundesamt, dass sein Antrag abgelehnt worden sei und er dagegen geklagt habe. Er habe das Land verlassen, weil sein Aufenthaltstitel abgelaufen sei und sie ihn nicht hätten verlängern wollen.
17Das Bundesamt hat auch zu Recht kein weiteres Asylverfahren durchgeführt.
18Nach § 71a Abs. 1 AsylG ist bei einem Zweitantrag ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen ist, wenn die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen. Letzteres setzt voraus, dass sich die Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG), neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (§ 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG), oder Wiederaufnahmegründe nach § 580 ZPO gegeben sind (§ 51 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG). Der Betroffene muss zudem ohne grobes Verschulden außerstande gewesen sein, den Wiederaufgreifensgrund in dem früheren Verfahren geltend zu machen (§ 51 Abs. 2 VwVfG). Der Antrag auf Wiederaufgreifen muss ferner binnen drei Monaten nach Kenntnisnahme des Wiederaufgreifensgrundes gestellt werden (§ 51 Abs. 3 VwVfG).
19Der Ausländer muss die seiner Ansicht nach vorliegenden Voraussetzungen für einen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens selbst vortragen. Beruft er sich auf eine nachträgliche Änderung der Sachlage zu seinen Gunsten, genügt schon die Möglichkeit einer günstigeren Entscheidung aufgrund der geltend gemachten Wiederaufgreifensgründe.
20Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 04.12.2019 – 2 BvR 1600/19 –, juris Rn. 20, und vom 03.03.2000 – 2 BvR 39/98 –, juris Rn. 32; BVerwG, Urteile vom 30.08.1988 – 9 C 47.87 –, juris Rn. 8, und vom 23.06.1987 – 9 C 251.86 –, juris Rn. 8.
21Dafür genügt es, wenn der Ausländer eine Änderung der allgemeinen politischen Verhältnisse oder Lebensbedingungen im Heimatstaat oder der sein persönliches Schicksal bestimmenden Umstände im Verhältnis zu der der früheren Asylentscheidung zugrunde gelegten Sachlage glaubhaft und substantiiert vorträgt. Nicht von Bedeutung ist, ob der neue Vortrag im Hinblick auf das glaubhafte persönliche Schicksal des Antragstellers sowie unter Berücksichtigung der allgemeinen Verhältnisse im angeblichen Verfolgerland tatsächlich zutrifft, die Verfolgungsfurcht begründet erscheinen lässt und die Annahme einer relevanten Verfolgung rechtfertigt. Diese Prüfung hat im Rahmen eines neuen, mit den Verfahrensgarantien des Asylgesetzes ausgestatteten materiellen Anerkennungsverfahrens zu erfolgen. Lediglich wenn das Vorbringen des Antragstellers zwar glaubhaft und substantiiert, jedoch von vornherein nach jeder vertretbaren Betrachtungsweise ungeeignet ist, zur Asylberechtigung beziehungsweise zur Zuerkennung internationalen Schutzes zu verhelfen, darf der Folgeantrag als unzulässig abgelehnt bzw. die Unzulässigkeitsentscheidung gerichtlich bestätigt werden.
22Vgl. BVerfG, Beschluss vom 04.12.2019 – 2 BvR 1600/19 –, juris Rn. 20 f. m.w.N.
23Davon ausgehend liegen keine Wiederaufgreifensgründe im Sinne des § 51 Abs. 1 VwVfG vor. Der Antragsteller hat gegenüber dem Bundesamt mehrfach ausdrücklich erklärt, in Griechenland die gleichen Gründe geltend gemacht zu haben. Soweit er in seiner Anhörung am 13. Juni 2019 geäußert hat, dort lediglich den Zeitraum unterschiedlich dargestellt zu haben, begründet dies keine nachträgliche Änderung der Sachlage und stellt auch kein neues Beweismittel dar. Eine nachträgliche Änderung der Sachlage ergibt sich darüber hinaus nicht aus dem Vorbringen des Antragstellers im Eilverfahren, wonach er nunmehr aktiver Unterstützer des Punjab-Referendums Khalistan 2020 für die Unabhängigkeit Khalistans von Indien sei. Dieser vage und pauschale Vortrag ist nicht geeignet, eine Veränderung seiner persönlichen Situation glaubhaft zu machen.
24Des Weiteren hat das Bundesamt zutreffend festgestellt, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen.
25Das Gericht folgt diesbezüglich den Feststellungen und der Begründung des Bescheids des Bundesamts vom 23. April 2020 und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 77 Abs. 2 AsylG von einer weiteren Darstellung ab. Ergänzend weist es darauf hin, dass auch die aktuelle Entwicklung der Corona-Pandemie in Indien zu keiner anderen Beurteilung führt. Derzeit gibt es landesweit mehr als 500.000 bestätigte Fälle, davon ca. 203.000 aktive Infektionen. Über 15.600 Personen sind im Zusammenhang mit dem Virus gestorben. Die Ausgangssperre wurde vorerst bis zum 31. Juli 2020 verlängert. Orts- und lageabhängige Lockerungen außerhalb der „Containment Zones“ (abgesperrte Gebiete mit hohen COVID-19-Infektionszahlen) sind möglich, ebenso lageabhängige erneute Verschärfungen der Ausgangssperre in einzelnen Bundesstaaten. Die Fallzahlen im Bundesstaat Punjab liegen mit 5.000-10.000 aktiven Infizierten im mittleren Bereich.
26Vgl. Auswärtiges Amt, Indien: Reise- und Sicherheitshinweise (Stand: 03.07.2020)
Das Gericht geht auch unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie davon aus, dass dem Antragsteller bei einer Rückkehr nach Indien keine Existenzgefährdung im Sinne der hohen Anforderungen an ein Abschiebungsverbot aus humanitären Gründen droht. Nach den Angaben des Antragstellers in der Anhörung vom 13. Juni 2019 verfügt er über einen Schulabschluss und war vor seiner Ausreise in der Landwirtschaft tätig. Er kann zudem familiäre Unterstützung in Anspruch nehmen. Seine Eltern hatten bereits zuvor seinen Lebensunterhalt mitfinanziert. Sie besitzen ein eigenes Haus und landwirtschaftliche Grundstücke. Ihre wirtschaftlichen Verhältnisse beurteilte der Antragsteller als gut. Weitergehende Gesichtspunkte, die einer Abschiebung entgegenstehen könnten, hat der Antragsteller wie dargestellt nicht substantiiert vorgetragen.
28Die Abschiebungsandrohung ist auch sonst rechtmäßig. Insbesondere entspricht sie im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) den unionsrechtlichen Anforderungen an die Verbindung einer Ablehnungsentscheidung mit einer Rückkehrentscheidung, namentlich dem Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf gegen die Ablehnung des Antrags auf internationalen Schutz,
29vgl. EuGH, Urteil vom 19.06.2018 – C-181/16 („Gnandi“) –, juris.
30Das Bundesamt hat die Abschiebungsandrohung unter dem 19. Juni 2020 zugunsten des Antragstellers dahingehend geändert, dass die Ausreisefrist erst mit der Bekanntgabe der Ablehnung des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO beginnt. Dadurch ist die zunächst festgesetzte Ausreisefrist ersetzt worden durch eine Wochenfrist, deren Lauf (erneut) mit dem Abschluss des Eilverfahrens beginnt. Eine solche Abänderung ist auch noch nach Ablauf der ursprünglich gesetzten Ausreisefrist im laufenden gerichtlichen Verfahren möglich.
31Vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2020 – 1 C 19.19 –, juris Rn. 59 ff; VG Würzburg, Beschluss vom 17.04.2020 – W 8 S 20.30448 –, juris Rn. 29.
32Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
33Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).
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Referenzen
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