Urteil vom Verwaltungsgericht Köln - 15 K 11402/17
Tenor
Die Beklagte wird unter entsprechender Aufhebung des Bescheides vom 14.07.2016 und des Widerspruchsbescheids vom 17.07.2017 verpflichtet, über den Antrag des Klägers auf Gewährung weiteren Freizeitausgleichs für die Zeit vom 01.01.2016 bis zum 30.06.2016 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen der Kläger zu 3/4 und die Beklagte zu 1/4.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung i. H. v. 110 vom Hundert des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit i. H. v. 110 vom Hundert des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
1
T a t b e s t a n d
2Die Parteien streiten über die Anerkennung von Fahrtzeiten als Arbeitszeit.
3Der Kläger ist bei der Beklagten, die ihren Sitz in C. hat, als C1. des gehobenen Dienstes beschäftigt. Zu seinen Aufgaben gehört die Mitwirkung an C2. der M. im gesamten Bundesgebiet. Während der Prüfungen übt er seine Tätigkeit überwiegend in den Räumen der verschiedenen zu prüfenden Unternehmen aus. An welchen Prüfungen die C1. mitwirken, wird durch die jeweilige Referatsleitung u.a. unter Berücksichtigung der Prüfungspläne der M. , der laufenden Prüfungen, der Arbeitsauslastung und besonderer Umstände festgelegt. Die Planung der Mitwirkung sowie der konkrete Prüfungsablauf werden sodann in Abstimmung mit den M. und zu prüfenden Unternehmen durch die C1. selbst festgelegt. Ebenso planen diese ihre Dienstreisen sowie insbesondere deren zeitliche Lage selbst. Gewöhnlich fahren sie von ihrer Wohnung direkt zum prüfenden Unternehmen und nach Arbeitsende von dort wieder zurück zu ihrer Wohnung. Bei mehrtägigen Prüfungen können sie am Prüfungsort in einem Hotel übernachten. Neben den C2. fallen als dienstliche Tätigkeiten auch in geringerem Umfang Referatsbesprechungen in der Zentrale in C. oder anderenorts und Fortbildungsveranstaltungen an.
4Die Berechnung der geleisteten Arbeitszeiten erfolgt auf der Grundlage der Dienstvereinbarung über die gleitende Arbeitszeit zwischen dem C3. für T. und dem Personalrat beim C3. für T. (Gleitzeit-DV BZSt) vom 30.01.2014, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird. Reisezeiten werden hiernach nur insoweit als Arbeitszeit angerechnet, als sie innerhalb der Regelarbeitszeit anfallen. Reisezeiten außerhalb der Regelarbeitszeit werden nur im eingeschränkten Umfang als Arbeitszeiten anerkannt. Die angefallenen Arbeits- und Reisezeiten tragen die C1. monatlich in EXCEL-Gleitzeittabellen eines von der Beklagten bereitgestellten Zeiterfassungsprogramms ein. Die monatlichen Meldungen werden vom jeweiligen Referatsleiter gegengezeichnet.
5Der Kläger beantragte mit Schreiben vom 01.12.2015 bei der Beklagten, ihm über die bereits anerkannten Zeiten hinaus weitere Arbeitszeiten auf seinem Gleitzeitkonto gutzuschreiben. Seit Einführung der Gleitzeit seien ihm 220,60 Stunden Fahrtzeit nicht als Arbeitszeit angerechnet worden. Des Weiteren seien ihm 8,32 Stunden Fahrtzeit nur zu 25 % angerechnet worden. Zusätzlich seien Fahrtzeiten in Hohe von 52,25 Stunden zwischen Hotel und Dienstort angefallen, die nicht berücksichtigt worden seien. Zur Begründung verwies er auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 10.09.2015 – C-266/14 –. Hiernach seien auch solche Reisezeiten als Arbeitszeiten anzuerkennen, die die Beklagte im Antragszeitraum nicht anerkannt habe. Den Antrag ergänzte er mit anwaltlichem Schreiben vom 05.07.2016, in dem er für den Zeitraum von August 2012 bis Dezember 2015 eine nicht anerkannte Mehrarbeit von 342,53 Stunden geltend machte. Beigefügt war dem Schreiben eine von ihm erstellte Aufstellung der Mehrarbeitsstunden für den Zeitraum August 2012 bis Juni 2016.
6Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 14.07.2016 ab. Sie verwies darauf, dass nach geltender Rechtslage Reisezeiten keine Arbeitszeiten seien (§ 11 Abs. 1 Satz 3 Verordnung über die Arbeitszeiten der Beamtinnen und Beamte des Bundes - AZV) und Reisezeiten nur dann vollständig anzuerkennen seien, wenn diese innerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit anfielen (§ 11 Abs. 1 Satz 4 AZV).
7Der Kläger legte hiergegen unter dem 22.07.2016 Widerspruch ein. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17.07.2017 zurück.
8Am 11.08.2017 hat der Kläger Klage erhoben.
9Er ist der Auffassung, im Rahmen seiner Außendiensttätigkeit seien sämtliche Fahrten zu und von den zu prüfenden Unternehmen als Arbeitszeit anzuerkennen. Die Tätigkeit als Betriebsprüfer und die Fahrten zu den zu überprüfenden Betrieben seien untrennbar verbunden. Die Summen der bislang nicht anerkannten Reisezeiten, welche Streitgegenstand seien, ergäben sich aus den monatlich vorgelegten EXCEL-Gleitzeittabellen.
10Der Kläger beantragt,
11die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheides vom 14.07.2016 und des Widerspruchsbescheides vom 17.07.2017 zu verpflichten, ihm für die Zeit vom 01.08.2012 bis zum 30.06.2016 einen Freizeitausgleich im Umfang von 401,56 Stunden zu gewähren.
12Die Beklagte beantragt,
13die Klage abzuweisen.
14Sie verweist auf die Regelung des § 11 AZV, die auch im Lichte der Rechtsprechung des EuGH keiner Änderung bedürfe. Dem angeführten Urteil des EuGH habe ein Sachverhalt zu Grunde gelegen, der mit dem vorliegenden nicht vergleichbar sei. Maßgeblich für die Entscheidung des EuGH sei gewesen, dass die Fahrtzeiten vom Arbeitgeber verbindlich vorgegeben gewesen seien; der Arbeitnehmer habe im Fall des EuGH bezüglich der Einsatzorte und Fahrtzeiten vollständig dem Weisungsrecht des Arbeitgebers unterstanden. Demgegenüber gebe der Dienstherr dem Kläger keine verbindlichen Prüfungstermine vor, vielmehr plane der Kläger die Prüfungsreihenfolge und deren zeitliche Lage in Abstimmung mit der Landesfinanzverwaltung und den zu prüfenden Unternehmen selbst. Er sei in seiner Zeiteinteilung und Reiseplanung weitestgehend frei. Auch sei es dem Kläger freigestellt, mit welchen Verkehrsmitteln er zum Ziel gelange und ob er zwecks Minimierung der Reisezeiten ein Hotelzimmer vor Ort anmiete.
15Ferner rügt die Beklagte, dass die Zeitangaben in den Anträgen des Klägers ausschließlich auf dessen Angaben beruhten. Inwieweit Reisezeiten zwischen Hotel und Unternehmen angefallen seien, lasse sich aus seinen Aufzeichnungen und auch aus den vorliegenden Gleitzeittabellen nicht entnehmen.
16E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
17Die zulässige Klage ist teilweise begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO). Der Kläger hat einen Anspruch darauf, dass die Beklagte ihm einen weiteren Freizeitausgleich für den Zeitraum vom 01.01.2016 bis 30.06.2016 bewilligt für Reisezeiten, die sie bislang nicht als Arbeitszeiten anerkannt hat; für den Zeitraum vor dem 01.01.2016 steht dem Kläger dieser Anspruch aber nicht zu.
18Ein Anspruch auf Freizeitausgleich kommt zunächst nicht nach § 88 Satz 2 Bundesbeamtengesetz (BBG) in Betracht, da die Vorschrift u.a. voraussetzt, dass Mehrarbeit angeordnet oder genehmigt worden ist. Daran fehlt es vorliegend.
19Ein Anspruch auf Freizeitausgleich ergibt sich aber aus dem auf den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 Bürgerliches Gesetzbuch) gestützten beamtenrechtlichen Ausgleichsanspruch. Zieht der Dienstherr einen Beamten über die regelmäßige Dienstzeit hinaus zum Dienst heran, ohne dass die Voraussetzungen für die Anordnung oder Genehmigung von Mehrarbeit erfüllt sind, so ist diese Inanspruchnahme rechtswidrig und hat der Beamte einen Anspruch darauf, dass sie unterbleibt. Dieser Billigkeitsanspruch kommt indes nur für rechtswidrige Zuvielarbeit in Betracht, die ab dem auf die erstmalige Geltendmachung der Rechtswidrigkeit der Heranziehung folgenden Monat geleistet wurde; die Geltendmachung durch den Beamten dient dazu, eine Prüfung des Dienstherrn mit dem Ziel herbeizuführen, die Belange des Beamten zu berücksichtigen, und die Dienstpläne entsprechend anzupassen,
20vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Beschluss vom 02.04.2019 – 2 B 43.18 –, juris, Rn. 10, und Urteil vom 28.05.2003 – 2 C 28.02 –, juris, Rn. 19 f.
21Hiernach scheidet zunächst der geltend gemachte Anspruch des Klägers auf Freizeitausgleich für den Zeitraum vor dem 01.01.2016 aus, weil der Kläger eine rechtswidrige Zuvielarbeit erstmals durch seinen Antrag vom 01.12.2015 gegenüber der Beklagten gerügt hat.
22Für den Zeitraum ab dem 01.01.2016 ist ein Anspruch des Klägers aber gegeben, soweit nicht anerkannte Reisezeiten für Fahrten zu den zu prüfenden Unternehmen und zu dienstlich angeordneten Lehrgängen und Tagungen angefallen sind, nicht indes für Fahrten von der Wohnung des Klägers zu Referatsbesprechungen nach C. , wo sich sein dienstlicher Wohnsitz befindet.
23Dem Anspruch steht zunächst nicht entgegen, dass der Kläger keine konkreten Nachweise für die von ihm behaupteten nicht als Arbeitszeit anerkannten Reisezeiten vorgelegt hat. Die nicht anerkannten Reisezeiten kann die Beklagte auf der Grundlage der monatlichen EXCEL-Tabellen des von ihr bereitgestellten Zeiterfassungsprogramms ermitteln. Soweit der Kläger auch Zeiten für Fahrten vom Hotel zum zu prüfenden Unternehmen geltend gemacht hat, die nicht in diesen Tabellen dokumentiert worden sind, betraf dies nach seiner Erklärung in der mündlichen Verhandlung nur den Zeitraum vor dem 01.01.2016, für den ein Anspruch des Klägers aber aus den oben genannten Gründen nicht besteht.
24Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch darauf, dass im Zeitraum vom 01.01.2016 bis 30.06.2016 die Anfahrtszeiten von seinem Wohnsitz zum zu prüfenden Unternehmen bzw. – bei einer mehrtägigen Prüfung – zum Hotel und die Zeiten für die Rückfahrt zu seinem Wohnsitz als Arbeitszeiten in vollem Umfang anerkannt werden und nicht nur – wie erfolgt –, soweit sie innerhalb der Regelarbeitszeit angefallen sind.
25Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 04.11.2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung definiert den Begriff "Arbeitszeit" als jede Zeitspanne, während der ein Arbeitnehmer gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten arbeitet, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder seine Aufgaben wahrnimmt. Dieser Begriff ist im Gegensatz zur Ruhezeit zu sehen, beide Begriffe schließen einander aus.
26Zu den Aufgaben, die der Kläger auf seinem Dienstposten wahrzunehmen hat, gehört die steuerrechtliche Prüfung der maßgeblichen Unterlagen im zu prüfenden Unternehmen. Er ist insoweit verpflichtet, sich am Ort des zu prüfenden Unternehmens aufzuhalten, um dort seine dienstlichen Aufgaben verrichten zu können. Dies setzt zwingend voraus, dass der Kläger das auswärtige Unternehmen aufsucht; mithin gehört zu seinen dienstlichen Aufgaben auch, sich zum zu prüfenden Unternehmen zu begeben.
27Dies rechtfertigt es, die Fahrtzeiten von seinem Wohnsitz zu den zu prüfenden Unternehmen und zurück als Arbeitszeiten einzustufen. Es ist davon auszugehen, dass der Kläger während dieser Fahrten zu und von den zu prüfenden Unternehmen arbeitet,
28vgl. EuGH, Urteil vom 10.09.2015 – C-266/14 –, juris, Rn. 43;
29vgl. auch Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 22.04.2009 – 5 AZR 292/08 –, juris, Rn. 15, wonach Fahrten eines Außendienstmitarbeiters zur auswärtigen Arbeitsstelle zu den vertraglichen Hauptleistungspflichten eines Arbeitnehmers gehören.
30Die Kammer teilt nicht die Einschätzung der Beklagten, dass die Entscheidung des EuGH vorliegend nicht einschlägig sei, weil sich der entschiedene Fall von dem vorliegenden Fall wesentlich unterscheide. Die Beklagte verweist insoweit auf den Umstand, dass in dem vom EuGH entschiedenen Fall der Arbeitnehmer verpflichtet war, während der Fahrtzeit zwischen dem ersten und dem letzten Kunden des Tages den Anweisungen seines Arbeitgebers Folge zu leisten, der die Kundenreihenfolge ändern oder einen Termin streichen oder hinzufügen konnte. Vergleichbare Anweisungen der Dienststelle während der Fahrten ergehen unstreitig gegenüber den Bundesbetriebsprüfern nicht.
31Gleichwohl rechtfertigt dieser Unterschied es nicht, die Fahrtzeiten des Klägers nicht als Arbeitszeiten anzusehen. Für das Vorliegen von Arbeitszeit ist es neben den oben erörterten Umständen erforderlich, dass ein Arbeitnehmer seinem Arbeitgeber zur Verfügung steht, weil er sich in einer Lage befindet, in der er rechtlich verpflichtet ist, den Anweisungen seines Arbeitgebers Folge zu leisten und seine Tätigkeit für ihn auszuüben. Diese Voraussetzungen liegen bei den Fahrtzeiten des Klägers zu den zu prüfenden Unternehmen vor, auch wenn der Kläger bestimmte Modalitäten der Fahrten selbst bestimmen kann. Entscheidend ist, dass der Kläger die von der Beklagten benannten Unternehmen aufsuchen muss und keine Möglichkeiten hat, auf die Fahrten zu verzichten oder diese abzukürzen. Damit kann der Kläger aufgrund der Anweisungen seines Arbeitgebers während der Fahrten nicht über seine Zeit verfügen und seinen eigenen Interessen nachgehen, weshalb er seinem Arbeitgeber zur Verfügung steht, um seinen Anweisungen (Aufsuchen des zu prüfenden Unternehmens) Folge zu leisten,
32vgl. EuGH, Urteil vom 10.09.2015 – C-266/14 –, juris, Rn. 39 am Ende.
33Dies begründet die Einstufung der Fahrtzeiten als Arbeitszeiten.
34Für die Qualifizierung als Arbeitszeit unerheblich ist es auch, dass das Fahren möglicherweise eine Tätigkeit ist, die sich als weniger belastend darstellt als die eigentlichen Arbeitsaufgaben des Klägers. Nach der Rechtsprechung des EuGH gehört zu den wesentlichen Merkmalen des Begriffs „Arbeitszeit“ nicht die Intensität der vom Arbeitnehmer geleisteten Arbeit oder dessen Leistung,
35vgl. EuGH Urteil vom 21.02.2018 – C-518/15 –, juris, Rn. 56.
36Der Einstufung der Fahrtzeiten als Arbeitszeiten steht schließlich nicht die Vorschrift des § 11 Abs. 1 Satz 3 AZV entgegen, die bestimmt, dass Reisezeiten keine Arbeitszeiten sind. Denn diese Bestimmung der Arbeitszeit deckt sich nicht mit dem Begriff der Arbeitszeit des Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2003/88/EG. Maßgeblich für die Auslegung des Begriffs Arbeitszeit ist aufgrund des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts die inhaltliche Reichweite des Begriffs Arbeitszeit, wie sie sich aus der Richtlinie ergibt.
37Die Bestimmung des Begriffs der Arbeitszeit in § 11 Abs. 1 Satz 3 AZV kann auch nicht mit der Beklagten dahingehend ausgelegt werden, dass sie (auch) eine Festlegung treffen will, in welchem Umfang Reisezeiten als Arbeitszeiten angerechnet werden können. Zwar steht das Unionsrecht einer gesonderten Regelung der Vergütung bestimmter Arbeitszeiten nicht entgegen, denn die Richtlinie 2003/88/EG regelt mit Ausnahme des bezahlten Jahresurlaubs nicht Fragen des Arbeitsentgelts für Arbeitnehmer. Somit muss in den Mitgliedsstaaten nicht für sämtliche Zeiten, die „Arbeitszeit“ im Sinne des Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie sind, eine Entgeltpflicht bestehen. Gleichermaßen muss vom Dienstherrn nicht jeder Dienst unabhängig von der Intensität der Inanspruchnahme, wie etwa ein Bereitschaftsdienst, in voller Höhe als Arbeitszeit anerkannt werden, solange nicht die unionsrechtlich zulässige Arbeitszeit von 48 Wochenstunden überschritten wird,
38vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Urteil vom 15.09.2020 – 6 A 2634/18 –, juris, Rn. 89 ff.
39Einer Auslegung dahingehend, dass mit § 11 Abs. 1 Satz 3 AZV (auch) eine Bestimmung des Umfangs der Anrechnung von Arbeitszeit getroffen worden wäre, steht aber bereits der Wortlaut der Vorschrift entgegen. Schließt diese nämlich für Reisezeiten das Vorliegen von Arbeitszeiten ausdrücklich aus, kann sie nicht zugleich den Umfang einer Anrechnung von Reisezeiten als Arbeitszeit regeln. Im Ergebnis nichts anderes ergibt sich aus § 11 Abs. 3 Satz 4 AZV, wonach Reisezeiten jedoch als Arbeitszeit berücksichtigt werden, soweit sie innerhalb der regelmäßigen täglichen Arbeitszeit anfallen (Nr. 1) oder die Arbeitszeit innerhalb eines Tages durch Dienstreisen unterbrochen wird (Nr. 2). Regelungsgegenstand dieser Vorschrift ist die Begründung eines Anspruchs auf Berücksichtigung von Reisezeiten als Arbeitszeiten, nicht hingegen die – davon zu trennende – Frage, ob ein solcher im rechtlichen Ausgangspunkt zunächst entstandener Anspruch im Wege einer nur teilweisen Berücksichtigung von Reisezeiten (gegebenenfalls bis „auf Null“) zu kürzen ist. Dieses Normverständnis wird auch durch die Verwendung des Begriffs „jedoch“ gestützt, der die Berücksichtigung von Reisezeiten als Arbeitszeiten nach § 11 Abs. 1 Satz 4 AZV in einen Gegensatz zu der Vorgabe in Satz 3 der Vorschrift stellt, wonach Reisezeiten von vornherein keine Arbeitszeiten sind.
40Als Arbeitszeiten sind auch nicht anerkannte Fahrtzeiten zu Fortbildungsmaßnahmen (Tagungen, Lehrgänge) einzustufen, die nicht am Dienstort in C. stattgefunden haben. Auch hier übte der Kläger seinen Dienst auf Anordnung der Beklagten an einem bestimmten Ort aus; seiner Dienstpflicht konnte er nur nachkommen, indem er zu den betreffenden Orten fuhr.
41Anders sieht es jedoch für Fahrten zwischen dem Wohnort des Klägers und C. aus. In C. befindet sich der dienstliche Wohnsitz des Klägers. Mit dem eigennützigen Zurücklegen des Wegs von der Wohnung zur Arbeitsstelle und zurück erbringt der Arbeitnehmer regelmäßig keine Arbeit für den Arbeitgeber,
42vgl. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 22.04.2009 – 5 AZR 292/08 – Rn. 15.
43Insoweit besteht kein Anspruch des Klägers, nicht anerkannte Reisezeiten ausgeglichen zu bekommen.
44Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Kammer hat bei der Aufteilung der Kosten berücksichtigt, dass der Kläger mit seinem Anspruch für ungefähr drei Jahre (August 2012 bis Dezember 2015) unterlegen ist und für ungefähr ein Jahr (2016) obsiegt hat.
45Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung.
46Die Berufung ist nach § 124a Abs. 1 Satz 1, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Die Beklagte hat dargelegt, dass der Ausgang des Rechtsstreits für zahlreiche vergleichbar gelagerte, ruhend gestellte Verwaltungsverfahren von Bedeutung ist. Zudem hat die Entscheidung für sie erhebliche personalwirtschaftliche Auswirkungen.
47Rechtsmittelbelehrung
48Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zu. Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, einzulegen. Sie muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
49Statt in Schriftform kann die Einlegung der Berufung auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) erfolgen.
50Die Berufung ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV bei dem Oberverwaltungsgericht, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, einzureichen, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt; sie muss einen bestimmten Antrag und die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe) enthalten.
51Vor dem Oberverwaltungsgericht und bei Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht eingeleitet wird, muss sich jeder Beteiligte durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.
52Die Berufungsschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.
53Beschluss
54Der Wert des Streitgegenstandes wird auf
555.000,00 €
56festgesetzt.
57Gründe
58Der festgesetzte Streitwert entspricht dem gesetzlichen Auffangstreitwert des § 52 Abs. 2 Gerichtskostengsetz, vgl. OVG NRW, Beschluss vom 08.05.2013 – 1 A 1434/11 –, juris, Rn. 32 ff..
59Rechtsmittelbelehrung
60Gegen diesen Beschluss kann schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, Beschwerde eingelegt werden.
61Statt in Schriftform kann die Einlegung der Beschwerde auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) erfolgen.
62Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, einzulegen. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
63Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.
64Die Beschwerdeschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
- § 11 Abs. 1 Satz 4 AZV 1x (nicht zugeordnet)
- § 11 Abs. 1 Satz 3 AZV 3x (nicht zugeordnet)
- § 11 AZV 1x (nicht zugeordnet)
- 6 A 2634/18 1x (nicht zugeordnet)
- 5 AZR 292/08 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 167 1x
- 5 AZR 292/08 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 155 1x
- 1 A 1434/11 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 124 1x
- VwGO § 55a 1x