Urteil vom Verwaltungsgericht Köln - 18 K 1451/21
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
1
Tatbestand
2Der Kläger beantragte bei der Bezirksregierung Düsseldorf am 5. August 2020 eine erneute Zuverlässigkeitsüberprüfung als Luftfahrer gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 LuftSiG, nachdem seine luftsicherheitsrechtliche Zuverlässigkeit zuvor bereits mehrfach festgestellt worden war.
3Die Bezirksregierung Düsseldorf hörte den Kläger mit Schreiben vom 30. Oktober 2020 zu der beabsichtigten Verneinung der luftsicherheitsrechtlichen Zuverlässigkeit an, weil ihr folgende gegen den Kläger geführte strafrechtliche Verfahren bekannt geworden seien:
41. Verfahren wegen Nötigung im Straßenverkehr, eingestellt am 7. März 2018 gemäß § 170 Abs. 2 StPO,
52. Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten wegen vorsätzlicher Straßenverkehrsgefährdung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung durch Urteil des Amtsgerichts T. vom 00. 00 0000, rechtskräftig seit dem 00. 00 0000.
6Hierzu nahm der Kläger mit Schreiben vom 13. November 2020 Stellung. Er teilte mit, dass er auf einer Landstraße leider etwas zu schnell gefahren sei, ihm ein Maishäcksler entgegengekommen sei und er bei einem Ausweichmanöver eine Radfahrerin touchiert habe. An seinem Verhalten habe das Amtsgericht T. ein Exempel für alle Verkehrsteilnehmer statuieren wollen. Der Kläger sei von seinem damaligen Anwalt schlecht beraten worden und habe daher gegen das Urteil vom 00. 00. 0000 keine Berufung mehr einlegen können. Der Unfall im 00.0000 sei der schlimmste Tag in seinem und im Leben der verletzten Radfahrerin gewesen. Der Tag habe alles für ihn verändert; er habe zuvor noch nie einem Menschen Schaden zugefügt. Er sei kein rücksichtsloser Mensch, der andere mit Vorsatz oder Absicht verletzen könne. Das Leben und die Gesundheit stelle für ihn das höchste Gut dar.
7Mit Bescheid vom 12. Februar 2021, zugestellt am 17. Februar 2021, sprach die Bezirksregierung Düsseldorf dem Kläger die luftsicherheitsrechtliche Zuverlässigkeit für Luftfahrer gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 4 LuftSiG ab. Zur Begründung führte sie an, dass nach dem Regelbeispiel des § 7 Abs. 1a Satz 2 Nr. 2 LuftSiG aufgrund der Verurteilung des Klägers zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten von einer fehlenden Zuverlässigkeit zum Schutz vor Angriffen auf die Sicherheit des zivilen Luftverkehrs auszugehen sei. Umstände, die im Fall des Klägers die durch die Begehung dieser Straftat indizierte luftsicherheitsrechtliche Unzuverlässigkeit widerlegten, lägen nicht vor. Es beständen Zweifel daran, dass sich der Kläger zukünftig an die Rechtsordnung und die zur Wahrung der Luftsicherheit geltenden Vorgaben halten werde. Sowohl im Straßenverkehr als auch im Luftverkehr könnten kleinste Nachlässigkeiten weitreichende Folgen für eine nicht eingrenzbare Vielzahl von Menschen haben. In dem Urteil des Amtsgerichts T. sei festgestellt worden, dass der Kläger die technisch-physikalischen Möglichkeiten seines hochmotorisierten Fahrzeugs habe ausnutzen und einen Geschwindigkeitsrausch ohne Rücksicht auf die weitere Verkehrslage habe erleben wollen. Die Einlassung des Klägers, er sei während der Fahrt verträumt gewesen, habe sich nach den Feststellungen des Urteils als Schutzbehauptung erwiesen. Das abgeurteilte Verhalten des Klägers lege nahe, dass er sich künftig auch hinsichtlich der Belange der Luftsicherheit unreflektiert und eigeninteressiert verhalten werde. Die Bezirksregierung Düsseldorf habe auch berücksichtigt, dass die Verurteilung des Klägers deutlich über der im Regelbeispiel des § 7 Abs. 1a Satz 2 Nr. 2 LuftSiG genannten Freiheitsstrafe von einem Jahr liege, weshalb es sich nicht um ein Bagatelldelikt handele.
8Gegen den Bescheid vom 12. Februar 2021 hat der Kläger am 17. März 2021 Klage erhoben.
9Zur Begründung macht er geltend, dass der Bescheid bereits deshalb rechtswidrig sei, weil die unionsrechtlichen Vorgaben aus den Verordnungen (EU) 2018/1139 und 1178/2011 für die Erteilung von Pilotenlizenzen nicht beachtet worden seien. Auf unionsrechtlicher Ebene werde die Erteilung von Pilotenlizenzen nicht an das Vorliegen der persönlichen Zuverlässigkeit eines Betroffenen geknüpft. Nach Art. 1 und 2 der Verordnung (EG) 216/2008 müssten Piloten den im Anhang III dieser Verordnung aufgeführten Anforderungen genügen und im Besitz einer Lizenz sein, die der auszuführenden Tätigkeit entspricht. Nach Art. 7 der Verordnung (EG) 216/2008 werde eine Lizenz erteilt, wenn die Vorschriften zur Sicherstellung der Erfüllung grundlegender Anforderungen an theoretische Kenntnisse, praktische Fähigkeiten, Sprachkenntnisse und Erfahrung erfüllt seien. Die gemäß Art. 7 Abs. 4 der Verordnung (EG) 216/2008 vorgesehenen weiteren Durchführungsbestimmungen seien in der Verordnung (EU) 1178/2011 enthalten, deren Anwendung für die Erteilung von Pilotenlizenzen Deutschland ab dem 8. April 2015 beschlossen habe. In den genannten unionsrechtlichen Vorschriften würden lediglich Anforderungen an den Aspekt der Flugsicherheit („safety“), nicht hingegen an den Aspekt der Luftsicherheit („security“) als Voraussetzung für die Erteilung einer Pilotenlizenz geregelt. Die Erstreckung der Zuverlässigkeitsüberprüfung auf Luftfahrer gehe rechtswidrig über diese Anforderungen hinaus.
10Die Vorschrift des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung (EG) 300/2008 habe den nationalen Gesetzgeber nicht dazu ermächtigt, das Erfordernis der Zuverlässigkeitsüberprüfung gemäß § 7 LuftSiG auch auf Luftfahrer zu erstrecken. Dieser Annahme stehe das von der Europäischen Kommission am 25. September 2014 gegen die Bundesrepublik Deutschland eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren wegen Verstoßes nationalen Rechts gegen die Verpflichtung zur Erteilung von Pilotenlizenzen nach Art. 7 der Verordnung (EG) 216/2008 entgegen. Dieses Vertragsverletzungsverfahren habe die Europäische Kommission am 16. Juli 2015 verschärft und der Bundesrepublik Deutschland aufgegeben, binnen zwei Monaten Abhilfemaßnahmen für den vorgeworfenen Rechtsverstoß zu benennen.
11Die Vorschrift des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung (EG) 300/2008 sei lediglich eine Auslegungsregel für Maßnahmen eines Mitgliedsstaates, nicht hingegen eine Ermächtigung zur Regelung weitergehender nationaler Maßnahmen. Letztere müssten auf der Grundlage einer Risikobewertung und in Übereinstimmung mit dem Gemeinschaftsrecht erfolgen sowie relevant, objektiv, nicht diskriminierend und dem jeweiligen Risiko angemessen sein. Diese strengen Voraussetzungen an strengere nationale Maßnahmen erfülle § 7 LuftSiG nicht.
12Die Versagung der Zuverlässigkeit nach § 7 LuftSiG für Piloten stelle einen rechtswidrigen Eingriff in die ausschließliche bzw. nach Art. 4 Abs. 2 Buchstabe g) AEUV bestehende konkurrierende europäische Gesetzgebungskompetenz dar. Von ihrer Gesetzgebungskompetenz hinsichtlich der Erteilung von Pilotenlizenzen habe die Europäische Union in den Verordnungen (EU) 2018/1139 und 1178/2011 Gebrauch gemacht. Eine Ergänzungsbefugnis des nationalen Gesetzgebers bestehe nicht. Mit § 7 Abs. 1 Satz LuftSiG vergleichbare Regelungen existierten daher in den übrigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union nicht. Wäre der Kläger in einem anderen Mitgliedstaat wie etwa Österreich ansässig, müsse er sich als Pilot keiner Zuverlässigkeitsprüfung unterziehen. Die für dieses Verfahren entscheidungserheblichen Fragen seien dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorzulegen.
13Durch den angegriffenen Bescheid werde das Recht des Klägers auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG verletzt, weil die unionsrechtlichen Vorgaben umgangen worden seien. Die europäischen Luftsicherheitsvorschriften berührten nicht die Wirksamkeit von Pilotenlizenzen. Sie beträfen ausschließlich die Begleitung von Personen auf bestimmten Teilen des Flughafengeländes, was sich eindeutig aus Art. 3 Nr. 15 der Verordnung (EG) 300/2008 ergebe. Danach sei die Zuverlässigkeitsüberprüfung einzig für einen unbegleiteten Zugang von Personen zu Sicherheitsbereichen, nicht jedoch für die Erteilung einer Pilotenlizenz relevant. Die von der Bezirksregierung Düsseldorf herangezogene Vorschrift des § 7 LuftSiG sei zudem nicht verhältnismäßig, da darin anders als in § 4 LuftVG nicht konkret geregelt sei, wann eine Lizenz einzuziehen sei. Es fehlten in der Vorschrift konkrete, positiv formulierte Kriterien, die für die Annahme der Zuverlässigkeit sprächen. Ferner verstoße § 7 LuftSiG gegen den Grundsatz eines fairen Verfahrens gemäß Art. 2 GG, weil danach bloße Zweifel und damit vage Annahmen der zuständigen Behörde für eine Versagung der Zuverlässigkeitsfeststellung genügten, der Betroffene hingegen einen eindeutigen Nachweis seiner Zuverlässigkeit erbringen müsse, ohne zu wissen, welche Maßstäbe für einen solchen Nachweis gälten. Dies sei für den Betroffenen diskriminierend und stigmatisierend.
14Der angegriffene Bescheid sei auch deshalb rechtswidrig, weil der Beklagte die fehlende Zuverlässigkeit allein mit dem Vorliegen des Regelbeispiels in § 7 Abs. 1a Satz 2 Nr. 2 LuftSiG begründet habe, obwohl der Gesetzgeber mit den Regelbeispielen in § 7 LuftSiG lediglich Anhaltspunkte für die Annahme einer Unzuverlässigkeit habe schaffen wollen. Eine erforderliche weitergehende Gesamtabwägung habe der Beklagte nicht vorgenommen. Es fehle an einer Darlegung, unter welchen Voraussetzungen das Regelbeispiel widerlegt werden könne. Der Beklagte habe nicht schlüssig dargelegt, weshalb der Kläger für das Führen eines Luftfahrzeugs charakterlich ungeeignet sei. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb eine strafrechtliche Verurteilung Gewähr dafür biete, dass eine Person Eingriffe in den Luftverkehr vornehmen werde. Es fehle auch in der einschlägigen Rechtsprechung an hinreichenden Nachweisen für einen solchen Zusammenhang, der die bloße Mutmaßung einer Gefahr für die Luftsicherheit rechtfertige.
15Der Kläger beantragt,
16den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids der Bezirksregierung Düsseldorf vom 12. Februar 2021 zu verpflichten, festzustellen, dass der Kläger zuverlässig im Sinne des § 7 LuftSiG ist.
17Der Beklagte beantragt,
18die Klage abzuweisen.
19Zur Begründung wiederholt und vertieft er die Ausführungen in dem angegriffenen Bescheid. Ergänzend trägt er vor, dass die nach § 7 Abs. 1 Nr. 4 LuftSiG erforderliche Zuverlässigkeitsüberprüfung für Luftfahrer mit den unionsrechtlichen Anforderungen an die Erteilung von Pilotenlizenzen im Einklang ständen. Es stehe den Mitgliedstaaten frei, strengere Überprüfungsmaßnahmen für das Luftfahrtpersonal vorzusehen. Damit sei weder eine Inländerdiskriminierung noch ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot aus Art. 3 GG verbunden. Das strafrechtlich abgeurteilte Verhalten des Klägers falle deshalb besonders ins Gewicht, weil der Kläger wiederholt eine Zuverlässigkeitsüberprüfung habe durchführen lassen und deshalb die hohen Anforderungen an Personen mit Zugang zum Sicherheitsbereich eines Flughafens gekannt habe. Die Versagung der Zuverlässigkeit habe er mit seinem Verhalten bewusst in Kauf genommen. Weil es nicht tragbar sei, dass sich Luftfahrer im Sicherheitsbereich aufhielten, die nicht über die erforderliche luftsicherheitsrechtliche Zuverlässigkeit verfügten, sei es gerechtfertigt, eine Versagung der Zuverlässigkeitsfeststellung bereits bei geringen Zweifeln auszusprechen.
20Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie des von dem Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.
21Entscheidungsgründe
22Die zulässige Klage ist unbegründet. Der die Feststellung der luftsicherheitsrechtlichen Zuverlässigkeit ablehnende Bescheid vom 12. Februar 2021 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
23Eine Rechtswidrigkeit des Bescheids folgt weder aus einer Unionsrechtswidrigkeit (dazu 1.) oder einer Verfassungswidrigkeit (dazu 2.) der von dem Beklagten zugrunde gelegten Ermächtigungsgrundlage noch aus einer fehlerhaften Anwendung der Ermächtigungsgrundlage durch den Beklagten (dazu 3.).
241. Entgegen der Auffassung des Klägers bedarf er als Luftfahrer gem. § 7 Abs. 1 Nr. 4 LuftSiG einer luftsicherheitsrechtlichen Zuverlässigkeitsüberprüfung. Der Anwendung des § 7 Abs. 1 Nr. 4 LuftSiG steht insbesondere nicht der Grundsatz des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts,
25vgl. hierzu grundlegend EuGH, Urteil vom 15. Juli 1964 – C 6/64 – Costa/E.N.E.L.,
26entgegen. Nach diesem Grundsatz ist nationales Recht unanwendbar, soweit es dem Unionsrecht entgegensteht. Dadurch soll gewährleistet werden, dass sich das Unionsrecht gegen entgegenstehendes nationales Recht durchsetzt. Im Fall eines Konflikts zwischen dem Unionsrecht und dem nationalen Recht ist es Sache des nationalen Gerichts, das innerstaatliche Gesetz unter voller Ausschöpfung des Beurteilungsspielraums, den ihm das nationale Recht einräumt, in Übereinstimmung mit den Anforderungen des Unionsrechts auszulegen und anzuwenden; soweit eine solche unionskonforme Auslegung nicht möglich ist, darf es entgegenstehende innerstaatliche Vorschriften nicht anwenden.
27Vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2020 – 1 C 22.19 – juris Rn. 46.
28Die Nichtanwendung nationalen Rechts nach diesem Grundsatz setzt eine Kollision zwischen nationalem und europäischem (Sekundär-)Recht voraus. An einer solchen fehlt es hier. Das nationale luftsicherheitsrechtliche Erfordernis einer Zuverlässigkeitsüberprüfung auch für Luftfahrer unterfällt nicht dem Regelungsbereich der unionsrechtlichen Vorschriften zur Erteilung von Pilotenlizenzen.
29Sowohl die Verordnung (EU) 2018/1139 zur Festlegung gemeinsamer Vorschriften für die Zivilluftfahrt und zur Errichtung einer Agentur der Europäischen Union für Flugsicherheit, die der von dem Kläger zitierten Verordnung (EG) 216/2008 nachgefolgt ist, als auch die Verordnung (EU) 1178/2011 zur Festlegung technischer Vorschriften und von Verwaltungsverfahren in Bezug auf das fliegende Personal in der Zivilluftfahrt gemäß der Verordnung (EG) 216/2008 enthalten ausschließlich Regelungen zur Gewährleistung der Flugsicherheit („safety“). Sämtliche Regelungen in diesen beiden Verordnungen betreffen allein die Abwehr innerbetrieblicher Gefahren des Flugverkehrs. Das nach nationalem Recht in § 7 Abs. 1 Nr. 4 LuftSiG auch für Luftfahrer normierte Erfordernis der Zuverlässigkeitsüberprüfung betrifft hingegen den Bereich der Luftsicherheit („security“). Es dient der Abwehr von äußeren Gefahren für den Luftverkehr wie etwa kriminelle bzw. terroristische Angriffe auf den Luftverkehr.
30Vgl. Meyer/Stucke, in: Grabherr/Reidt/Wysk, Luftverkehrsgesetz, § 7 LuftSiG, 22. EL 2021, Rn. 23a.
31Die Anordnung einer luftsicherheitsrechtlichen Zuverlässigkeitsüberprüfung auch für Luftfahrer durch § 7 Abs. 1 Nr. 4 LuftSiG kollidiert nicht mit den Anforderungen der Verordnung (EU) 2018/1139 und der Verordnung (EU) 1178/2011, da diese beiden Verordnungen einen anderen Gegenstand als die vorstehende nationale Vorschrift. Die Regelungsgegenstände der Flugsicherheit („safety“) und Luftsicherheit („security“) haben nicht nur unterschiedliche Zielrichtungen, sondern erfordern auch unterschiedliche Maßnahmen zur Realisierung der bezweckten Ziele.
32Regelungen zur Luftsicherheit („security“) enthält auf europäischer Ebene die Verordnung (EG) 300/2008 über gemeinsame Vorschriften für die Sicherheit in der Zivilluftfahrt. Diese Verordnung legt in Art. 4 sowie dem zugehörigen Anhang lediglich gemeinsame luftsicherheitsrechtliche Grundstandards für die Mitgliedsstaaten fest, die eine Zuverlässigkeitsüberprüfung von Privatpiloten nicht vorsehen. Über die Grundstandards hinaus lässt diese Verordnung jedoch darüber hinausgehende Maßnahmen der Mitgliedstaaten zur Gewährleistung der Luftsicherheit ausdrücklich zu. Die Vorschrift des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung (EG) 300/2008 gestattet den Mitgliedstaaten, strengere Maßnahmen als die in Artikel 4 der Verordnung (EG) 300/2008 genannten gemeinsamen Grundstandards anzuwenden. Der Wortlaut des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung (EG) 300/2008 lautet:
33„Die Mitgliedstaaten können strengere Maßnahmen als die in Artikel 4 genannten gemeinsamen Grundstandards anwenden. Sie handeln dabei auf der Grundlage einer Risikobewertung und in Übereinstimmung mit dem Gemeinschaftsrecht. Diese Maßnahmen müssen relevant, objektiv, nichtdiskriminierend und dem jeweiligen Risiko angemessen sein.“
34Das Bundesverwaltungsgericht hat im Jahr 2011 entschieden, dass die Erstreckung der Zuverlässigkeitsüberprüfung auf Privatpiloten gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 4 LuftSiG mit der Regelung in Art. 6 Satz 1 der der Verordnung (EG) 300/2008 vorangegangenen Verordnung (EG) 2320/2002 im Einklang steht.
35Vgl. BVerwG, Urteil vom 14. April 2011 – 3 C 20/10 – juris Rn. 31.
36Der Wortlaut dieser Öffnungsklausel für die Mitgliedstaaten lautete in Art. 6 Satz 1 der vorangegangenen Verordnung (EG) 2320/2002:
37„Den Mitgliedstaaten steht es frei, Maßnahmen anzuwenden, die unter Einhaltung des Gemeinschaftsrechts strenger sind als die Maßnahmen dieser Verordnung.“
38Die Öffnungsklausel in Art. 6 der aktuell geltenden Verordnung (EG) 300/2008 weicht von dieser Ermächtigung durch weitere Anforderungen an die strengeren nationalen Regelungen ab. Nach Art. 6 Abs. 1 Sätze 2 und 3 der Verordnung (EG) 300/2008 handeln die Mitgliedstaaten bei der Schaffung strengerer Maßnahmen auf der Grundlage einer Risikobewertung und in Übereinstimmung mit dem Gemeinschaftsrecht. Die von den Mitgliedstaaten geregelten Maßnahmen müssen relevant, objektiv, nichtdiskriminierend und dem jeweiligen Risiko angemessen sein. Bereits aus diesen konkreten Anforderungen wird deutlich, dass Art. 6 der Verordnung (EG) 300/2008 nicht lediglich als Auslegungsregel zu verstehen ist.
39Diese zusätzlichen Anforderungen werden durch die in § 7 Abs. 1 Nr. 4 LuftSiG vorgesehene Erstreckung der Zuverlässigkeitsüberprüfung auf Luftfahrer erfüllt. Dem Erfordernis der Zuverlässigkeitsüberprüfung auch für Luftfahrer liegt die Einschätzung des nationalen Gesetzgebers zugrunde, dass auch von Personen, die nur gelegentlich Zugang zu den Sicherheitsbereichen an Flughäfen haben, relevante Gefahren für die Sicherheit des Luftverkehrs ausgehen können. Ergebnis der Risikobewertung durch den nationalen Gesetzgeber war es, die Sicherheit auch an Kleinflughäfen und in der allgemeinen Luftfahrt zu erhöhen.
40Vgl. BT-Drs. 15/2361, S. 17.
41Dieses Risiko hat der nationale Gesetzgeber auch im Jahr 2016 noch gesehen und die Zuverlässigkeitsüberprüfung auch für Luftfahrer wegen der erhöhten abstrakten Gefahr eines terroristischen Anschlags auf den Luftverkehr beibehalten,
42vgl. BT-Drs. 18/9833, S. 2.
43Da auch Privatpiloten Einfluss auf die Sicherheit des Luftverkehrs haben, ist deren Zuverlässigkeitsüberprüfung zum Zweck der Abwehr von äußeren Gefahren für den Luftverkehr als relevant, objektiv und dem Risiko angemessen zu bewerten. Die Regelung des § 7 Abs. 1 Nr. 4 LuftSiG wirkt auch nicht diskriminierend, wie der Kläger mit seinem Einwand, seine Zuverlässigkeit als Privatpilot werde in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union nicht überprüft, zumindest andeutungsweise annimmt. Der deutsche Gesetzgeber kann nicht auch die Voraussetzungen für die Erteilung ausländischer Fluglizenzen normieren. Die durch ihn getroffene Differenzierung zwischen den Personenkreisen, für die es aufgrund ihrer Möglichkeiten der Einwirkung auf die Sicherheit des Luftverkehrs einer Zuverlässigkeitsüberprüfung bedarf, ist nicht gleichheitswidrig.
44Vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. Mai 2010 – 2 BvL 8/07 – juris Rn. 154, so auch BVerwG, Urteil vom 14. April 2011 – 3 C 20/10 – juris Rn. 31.
45Konkrete Anhaltspunkte dafür, weshalb die Regelung des § 7 Abs. 1 Nr. 4 LuftSiG den Anforderungen in Art. 6 Abs. 1 Sätze 2 und 3 der Verordnung (EG) 300/2008 nicht gerecht werden soll, hat der Kläger darüber hinaus nicht dargelegt.
46Der Annahme, dass § 7 Abs. 1 Nr. 4 LuftSiG durch die Öffnungsklausel des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung (EG) 300/2008 gedeckt ist, steht auch nicht die Regelung in Art. 3 Nr. 15 der Verordnung (EG) 300/2008. Danach bezeichnet der Ausdruck „Zuverlässigkeitsüberprüfung“ die dokumentierte Überprüfung der Identität einer Person, einschließlich etwaiger Vorstrafen, als Teil der Beurteilung der persönlichen Eignung für den unbegleiteten Zugang zu Sicherheitsbereichen. Diese Regelung beschränkt die möglichen nationalen Maßnahmen nicht darauf, einer Person mit negativer Zuverlässigkeitsüberprüfung einen lediglich begleiteten Zugang zu Sicherheitsbereichen zu gestatten,
47a. A. jedoch Giemulla, NZV 2016, S. 260 (261),
48da sie nicht die zulässigen Maßnahmen zur Gewährleistung der Luftsicherheit verbindlich für die Mitgliedstaaten festlegt. Die Vorschrift des Art. 3 der Verordnung (EG) 300/2008 enthält zunächst lediglich Begriffsbestimmungen und keine Vorgabe für Maßnahmen zur Gewährleistung der Luftsicherheit. An diese Begriffsbestimmung hat der europäische Gesetzgeber die Mitgliedstaaten nicht gebunden. Darüber hinaus stände die von dem Kläger angenommene Beschränkung der Gestaltungsfreiheit der Mitgliedstaaten im Widerspruch zu der ausdrücklichen Ermächtigung in Art. 6 Abs. 1 der Verordnung (EG) 300/2008. Darin wird den Mitgliedstaaten ausdrücklich zugestanden, von den in der Verordnung lediglich als Grundstandards determinierten Regelungen unter Wahrung des Gemeinschaftsrechts im Übrigen und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in relevanter, objektiver und nichtdiskriminierender Weise abzuweichen.
49So bereits VGH München, Beschluss vom 29. Juli 2021 – 8 ZB 21.812 – juris Rn. 11; VG Düsseldorf, Urteil vom 18. Mai 2017 – 6 K 7615/16 – juris Rn. 30.
50Auch das von dem Kläger angeführte Vertragsverletzungsverfahren, das die EU-Kommission gegen die Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2014 wegen der aus ihrer Sicht unzulässigen nationalen weiteren administrativen Anforderungen an die Erteilung der Pilotenlizenz eingeleitet hat,
51vgl. https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/MEMO_15_5356 unter Ziffer 5 (zuletzt abgerufen am 23. November 2021), Aktenzeichen INFR (2014)4109.
52zeigt nicht die Unionsrechtswidrigkeit der Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 4 LuftSiG auf. Der deutsche Gesetzgeber hat durch das Gesetz zur Verbesserung der Rahmenbedingungen luftsicherheitsrechtlicher Zuverlässigkeitsüberprüfungen vom 22. April 2020 die Erteilung der Erlaubnis für Luftfahrer (§ 4 Abs. 1 LuftVG) von der Zuverlässigkeitsprüfung entkoppelt. Durch die Änderung die Streichung des 2. Halbsatzes aus § 4 Absatz 1 Satz 2 Nr. 3 LuftVG ist die Erteilung einer Erlaubnis für Luftfahrer jedenfalls nicht mehr von einer zuvor erfolgreich abgeschlossenen Zuverlässigkeitsüberprüfung abhängig,
53vgl. BT-Drs. 19/16428, S. 17.
54Daraufhin wurde das Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission am 30. Oktober 2020 eingestellt,
55vgl. https://ec.europa.eu/atwork/applying-eu-law/infringements-proceedings/infringement_decisions/index.cfm?lang_code=EN&typeOfSearch=false&active_only=0&noncom=0&r_dossier=INFR%282014%294109&decision_date_from=&decision_date_to=&title=&submit=Search, (zuletzt abgerufen am 23. November 2021)
56Da die vorgenannten unionsrechtlichen Vorschriften nach den vorstehenden Ausführungen luftsicherheitsrechtliche Aspekte der Erteilung von Pilotenlizenzen nicht abschließend regeln und der deutsche Gesetzgeber zur Regelung des § 7 Abs. 1 Nr. 4 LuftSiG durch Art. 6 Abs. 1 der Verordnung (EG) 300/2008 ermächtigt wurde, besteht keine Kollision mit Unionsrecht, die eine Vorlage des Verfahrens an den Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung erforderlich machte. Ungeachtet dessen ist die durch den Kläger aufgeworfene Frage der Vereinbarkeit von § 7 Abs. 1 Nr. 4 LuftSiG mit Unionsrecht in diesem Verfahren nicht entscheidungserheblich. Streitgegenstand dieses Verfahrens ist der von dem Kläger geltend gemachte Anspruch auf Feststellung der luftsicherheitsrechtlichen Zuverlässigkeit, die keine Voraussetzung für die Erteilung einer Erlaubnis nach § 4 Abs. 1 LuftVG darstellt. Für den Fall, dass die luftverkehrsrechtliche Erlaubnis des Klägers gem. § 4 Abs. 3 LuftVG widerrufen würde, kann die Unionsrechtswidrigkeit der Anwendung von § 7 LuftSiG in einer Klage gegen diesen selbstständig anfechtbaren Verwaltungsakt geltend gemacht werden.
572. Die Vorschrift des § 7 LuftSiG verstößt auch nicht gegen Vorgaben nationalen Verfassungsrechts.
58Entgegen der Auffassung des Klägers ist diese Norm mit dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot vereinbar. Die Verwendung des unbestimmten Begriffs der Zuverlässigkeit ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe ist verfassungsrechtlich zulässig, sofern sich diese durch eine Auslegung der betreffenden Normen nach den Regeln der juristischen Methodenlehre hinreichend konkretisieren lassen und verbleibende Ungewissheiten nicht so weit gehen, dass die Vorhersehbarkeit und Justiziabilität des Handelns der durch die Normen ermächtigten staatlichen Stellen gefährdet sind.
59Vgl. BVerfG, Urteil vom 24. April 2013 – 1 BvR 1215/07 – juris Rn. 181, m.w.N.
60Diesen Anforderungen genügt die Verwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs in § 7 LuftSiG. Der Begriff der Zuverlässigkeit ist in ständiger Rechtsprechung dahingehend konkretisiert worden, dass als zuverlässig gilt, wer nach dem Gesamteindruck seines Verhaltens die Gewähr dafür bietet, dass er seine Tätigkeit künftig ordnungsgemäß ausfüllen wird und dementsprechend als unzuverlässig, wer diese Gewähr nicht bietet.
61Vgl. BVerwG, Urteil vom 2. Februar 1982 – 1 C 146.80 – juris Rn. 13, std. Rspr.
62Darüber hinaus werden zur Konkretisierung des Begriffs in § 7 Abs. 1a Satz 2 LuftSiG Regelbeispiele für die Verneinung der Zuverlässigkeit genannt. Damit werden der Luftsicherheitsbehörde Anhaltspunkte vorgegeben, an denen sie die Beurteilung der Zuverlässigkeit ausrichten kann. Das Verhalten der Luftsicherheitsbehörde ist angesichts dieser Vorgaben, aber auch der Konturierung des Zuverlässigkeitsbegriffs in der Rechtsprechung hinreichend vorhersehbar. Dem steht nicht entgegen, dass das hier in Rede stehende Regelbeispiel in § 7 Abs. 1a Satz 2 Nr. 2 LuftSiG eine Negativ-Ausnahme zu dem Begriff der Zuverlässigkeit enthält und es an einer positiven Normierung von Kriterien fehlt, nach denen eine Ausnahme von dem Regelbeispiel anzunehmen ist. Daraus entsteht keine Ungewissheit hinsichtlich des Vorliegens der luftsicherheitsrechtlichen Zuverlässigkeit, weil dieser unbestimmte Rechtsbegriff nach den vorstehenden Ausführungen insgesamt hinreichend bestimmbar ist und das Regelbeispiel selbst der näheren Konkretisierung dient. Hinzu kommt, dass nach der einschlägigen Rechtsprechung hinreichend konturiert wurde, wann von einem atypischen Fall auszugehen ist, der eine Ausnahme von den Regelbeispielen in § 7 Abs. 1a Satz 2 LuftSiG gebietet. Das durch ein Regelbeispiel indizierte Fehlen der luftsicherheitsrechtlichen Zuverlässigkeit kann durch Tatsachen widerlegt werden, die verübte Straftaten bei Gesamtwürdigung des Verhaltens des Betroffenen und seiner Persönlichkeit derart in den Hintergrund treten lassen, dass im Hinblick auf diese allein keine Zweifel an seiner Zuverlässigkeit aufkommen könnten. Auch wenn ein Regelbeispiel erfüllt ist, können besondere Umstände des Einzelfalls charakterliche oder persönliche Schwächen ohne jeden Zweifel ausschließen.
63Vgl. VGH München, Beschluss vom 23. Oktober 2020 – 8 ZB 20.1520 – juris Rn. 14 m.w.N.
64In vergleichbarer Weise wie in § 7 Abs. 1a Satz 2 Nr. 2 LuftSiG hat sich der Gesetzgeber in verfassungsrechtlich zulässiger Weise auch in anderen Gesetzen der Regelungstechnik negativer Regelbeispiele bedient, um den Begriff der Zuverlässigkeit näher auszugestalten, vgl. etwa § 33c Abs. 2 Nr. 1 GewO, § 24b Abs. 4 Nr. 1 GewO, § 5 Abs. 1 und 2 WaffG.
65Die Vorschrift des § 7 LuftSiG verstößt auch nicht gegen das verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitsgebot, weil gemäß § 7 Abs. 6 LuftSiG bloße Zweifel an der Zuverlässigkeit eines Betroffenen für die Versagung einer Feststellung ebendieser genügen. Für den Bereich der Gefahrenabwehr gilt: Je gewichtiger das gefährdete Rechtsgut ist und je weitreichender es durch die jeweiligen Handlungen beeinträchtigt würde, desto geringere Anforderungen dürfen an den Grad der Wahrscheinlichkeit gestellt werden, mit der auf eine drohende Verletzung geschlossen werden kann, und desto weniger fundierend dürfen gegebenenfalls die Tatsachen sein, die auf die Gefährdung des Rechtsguts schließen lassen. Wegen des gerade beim Luftverkehr hohen Gefährdungspotentials und der Hochrangigkeit der zu schützenden Rechtsgüter begegnet es keinen Bedenken, an die Zuverlässigkeit von Flugzeugführern strenge Anforderungen zu stellen und schon bei begründeten Zweifeln zu Lasten des Überprüften zu entscheiden.
66Vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. August 2009 – 1 BvR 1726/09 – juris Rn. 11 m.w.N.
673. Schließlich ist auch die Anwendung des § 7 Abs. 1 Nr. 4 LuftSiG durch den Beklagten rechtlich nicht zu beanstanden. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Feststellung seiner Zuverlässigkeit im Sinne des § 7 LuftSiG.
68Zuverlässig im Sinne des § 7 LuftSiG ist nur, wer die Gewähr dafür bietet, die ihm obliegenden Pflichten zum Schutz vor Angriffen auf die Sicherheit des Luftverkehrs jederzeit in vollem Umfang zu erfüllen. Der Überprüfte muss nach dem Gesamtbild der Persönlichkeit das erforderliche Maß an Verantwortungsbewusstsein und Selbstbeherrschung aufbringen, selbst bei dem Inaussichtstellen von Vorteilen oder bei der Androhung von Nachteilen die Belange der Sicherheit des Luftverkehrs zu wahren und die ihm obliegenden Pflichten zum Schutz vor Eingriffen, insbesondere vor Flugzeugentführungen und Sabotageakten, jederzeit in vollem Umfang zu erfüllen. Dabei ist mit Blick auf die in Rede stehenden Rechtsgüter ein strenger Maßstab anzulegen. Der Zugang zu den nicht allgemein zugänglichen Bereichen eines Flugplatzgeländes darf nur Personen eröffnet werden, bei denen insoweit keine Zweifel verbleiben (§ 7 Abs. 6 LuftSiG).
69Vgl. OVG Münster, Beschlüsse vom 29. Juli 2021 – 20 B 1029/21 – n.v. und vom 30. Mai 2018 – 20 A 89/15 – juris Rn. 11.
70Vgl. zu der bis zum 3. März 2017 geltenden Fassung des § 7 LuftSiG: OVG Münster, Beschlüsse vom 23. Februar 2007 – 20 B 44/07 – juris Rn. 7, und vom 15. Juni 2009 – 20 B 148/09 – juris Rn. 7.
71Gemäß § 7 Abs. 1a Satz 1 LuftSiG bewertet die Luftsicherheitsbehörde die Zuverlässigkeit der betroffenen Person aufgrund einer Gesamtwürdigung des Einzelfalls. Der Zuverlässigkeitsbegriff wird durch § 7 Abs. 1a Satz 2 LuftSiG anhand von Regelbeispielen konkretisiert, deren Vorliegen die Zuverlässigkeit in der Regel ausschließen. Bei den Regeltatbeständen handelt es sich um typisierte Fallgruppen, die ausweislich der Gesetzesbegründung keinesfalls abschließenden oder ausschließenden Charakter besitzen. Der Katalog trägt der besonderen Gefährdung des Luftverkehrs durch mögliche Innentäter Rechnung.
72Vgl. den Gesetzesentwurf der Bundesregierung zum Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Luftsicherheitsgesetzes vom 26. September 2016, BT-Drs. 18/9752, S. 53.
73Gemäß § 7 Abs. 1a Satz 2 Nr. 2 LuftSiG fehlt es in der Regel an der erforderlichen Zuverlässigkeit, wenn die betroffene Person wegen eines Verbrechens oder wegen sonstiger vorsätzlicher Straftaten zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, wenn seit dem Eintritt der Rechtskraft der letzten Verurteilung zehn Jahre noch nicht verstrichen sind.
74Die luftsicherheitsrechtliche Zuverlässigkeit kann bereits dann nicht bejaht werden, wenn ausreichend begründete Anknüpfungspunkte vorhanden sind, die auf einen charakterlichen Mangel oder eine sonstige Schwäche der Persönlichkeit hinweisen, die sich ihrerseits gefährdend auf die Belange der Luftsicherheit auswirken können.
75Vgl. OVG Münster, Beschluss vom 30. Mai 2018 – 20 A 89/15 – juris, m.w.N.
76Die erforderliche Zuverlässigkeit ist schon bei geringen Zweifeln zu verneinen, da bei Angriffen auf die Sicherheit des Luftverkehrs hochrangige Güter wie das Leben und die Gesundheit zahlreicher Menschen gefährdet werden, sodass bei der Prüfung ein strenger Maßstab anzulegen ist.
77Vgl. zu der Vorgängervorschrift des § 29d LuftVG BVerwG, Urteile vom 15. Juli 2004 – 3 C 33.03 – juris und vom 11. November 2004 – 3 C 8.04 – juris.
78Nach diesen Maßstäben fehlt dem Kläger die nach § 7 LuftSiG erforderliche Zuverlässigkeit. Der Kläger erfüllt bereits deshalb das Regelbeispiel des § 7 Abs. 1a S. 2 Nr. 2 LuftSiG, weil er durch Urteil des Amtsgerichts T. vom 00. 00. 0000, rechtskräftig seit dem 16. Juli 2020, wegen vorsätzlicher Straßenverkehrsgefährdung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt worden ist.
79Durch die Annahme des Regelbeispiels in § 7 Abs. 1a S. 2 Nr. 2 LuftSiG wird der Kläger nicht unangemessen benachteiligt, weil es ihm offen gestanden hätte, die Zweifel an seiner Zuverlässigkeit auszuräumen. Es sind jedoch keine durchgreifenden Gründe vorgetragen worden oder sonst ersichtlich, die die durch die abgeurteilte Straftat begründeten Zweifel daran ausräumten, dass der Kläger in Zukunft die Gewähr bietet, jederzeit die Belange der Luftsicherheit zu wahren. Es sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, die charakterliche oder persönliche Schwächen trotz der Straffälligkeit des Klägers ohne jeden Zweifel ausschließen. Angesichts des in dem Urteil des Amtsgerichts T. vom 00. 00. 0000 – hinsichtlich dessen es an gewichtigen Anhaltspunkten für die Unrichtigkeit der darin getroffenen Feststellungen fehlt – geschilderten rücksichtslosen Verhaltens des Klägers im Straßenverkehr, des erheblichen ausgesprochenen Strafmaßes, welches deutlich über das in dem Regelbeispiel festgelegte Mindestmaß hinausgeht, und weil seit der Verurteilung erst ein kurzer Zeitraum vergangen war, hätte es einer deutlicheren Abkehr von der dadurch dokumentierten Einstellung des Klägers zur Wahrung der Rechtsordnung und der Rechte und Interessen Anderer bedurft. Der Kläger hat sich im Rahmen der Anhörung zu dem streitgegenständlichen Bescheid mit Schreiben vom 13. November 2020 jedoch lediglich dahingehend geäußert, dass er leider etwas zu schnell gefahren sei und das Gericht nach Durchführung eines fehlerhaften Verfahrens in seinem Fall mit der Verurteilung ein Exempel habe statuieren wollen, gegen das er sich nicht habe zur Wehr setzen können, weil er anwaltlich fehlerhaft beraten worden sei. Im Wesentlichen führt er damit die Verurteilung in dem erfolgten Ausmaß auf Fehler außerhalb seines Verantwortungsbereichs zurück. Eine reflektierte Auseinandersetzung mit seinem eigenen Fehlverhalten lässt der Kläger darin nicht erkennen. Eine solche hat der Kläger auch nicht in der mündlichen Verhandlung zum Ausdruck gebracht. Vielmehr hat er dabei erneut auf das Fehlverhalten des Amtsgerichts T. und seines damaligen Strafverteidigers hingewiesen und gerügt, dass er infolge der Verurteilung zu Unrecht stigmatisiert und als Schwerverbrecher behandelt worden sei.
80Der fehlende luftverkehrsrechtliche Bezug der abgeurteilten Tat stellt ebenfalls keinen atypischen, die Regelvermutung widerlegenden, Umstand dar. Der Regeltatbestand setzt gemäß § 7 Abs. 1a S. 2 Nr. 2 LuftSiG eine strafrechtliche Verurteilung voraus, ohne dass diese im Zusammenhang zu Belangen der Luftsicherheit stehen muss.
81OVG Münster, Beschluss vom 11. Mai 2020 – 20 B 1433/19 –, n.v., S. 8.
82Straftatbestände kennzeichnen vielmehr Kernanforderungen der Rechtsordnung an die Öffentliche Sicherheit. Die luftsicherheitsrechtliche Zuverlässigkeit im Sinne § 7 LuftSiG baut auf das Vertrauen der Rechtsordnung auf, dass der von der Überprüfungspflicht erfasste Personenkreis sich im Besonderen selbstbeherrscht und verantwortungsbewusst zeigt, die Belange der Luftsicherheit zu wahren. Auch sollen nicht nur unmittelbar von dem Überprüften ausgehende Gefahren für die Luftsicherheit abgewehrt werden. Eine Gefährdung kann auch dadurch entstehen, dass eine Person, die Zugang zu Sicherheitsbereichen eines Flughafens Einfluss auf die Sicherheit des Luftverkehrs hat, Dritten zur Überwindung relevanter Sicherheitsvorkehrungen verhilft.
83Vgl. OVG Münster, Beschluss vom 15. Juni 2009 – 20 B 148/09 – juris, Rn. 16.
84Dass aufgrund der im Straßenverkehr begangenen Straftat ausnahmsweise keinerlei Rückschlüsse auf die luftsicherheitsrechtliche Zuverlässigkeit des Klägers zu ziehen sind, hat er nicht substantiiert dargelegt.
85Die Funktion des Regelbeispiels als Anhaltspunkt im Rahmen einer gemäß § 7 Abs. 1a Satz 1 LuftSiG anzustellenden Gesamtwürdigung hat der Beklagte in dem angegriffenen Bescheid auch erkannt und nicht – wie der Kläger meint – die Prüfung der Zuverlässigkeit mit der Annahme des Regelbeispiels in § 7 Abs. 1a Satz 2 Nr. 2 LuftSiG beendet. Er hat ausweislich der Begründung des angegriffenen Bescheids im Rahmen der Gesamtwürdigung geprüft, ob Tatsachen vorliegen, die die durch die Straftat indizierte Unzuverlässigkeit widerlegen.
86Es liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Beklagte das ihm eingeräumte Ermessen fehlerhaft ausgeübt hat. Seine Entscheidung, die Feststellung der Zuverlässigkeit des Klägers abzulehnen, ist vertretbar und berücksichtigt die Interessen des Klä-gers angemessen. Der Beklagte hat nicht lediglich formelhafte, allgemeingültige Ausführungen zur luftsicherheitsrechtlichen Zuverlässigkeit zur Begründung angegeben. Er hat sich ausführlich mit den Umständen des Einzelfalls des Klägers auseinandergesetzt und diese in rechtlich nicht zu beanstandender Weise gewürdigt. Er hat die Folgen der Ablehnung der Zuverlässigkeitsfeststellung für die private Lebensführung des Klägers rechtsfehlerfrei in die Abwägung eingestellt. Eine Verletzung des Rechts aus Art. 2 Abs. 1 GG liegt mit Blick auf den Schutz der Vielzahl hochrangiger Rechtsgüter, welcher mit der Ablehnung der Zuverlässigkeitsfeststellung bezweckt wird, nicht vor. Die Interessen und Rechte des Klägers hatten hinter das durch § 7 LuftSiG geschützte öffentliche Interesse an der Sicherheit des Luftverkehrs zum Schutz vor Angriffen auf die Sicherheit des zivilen Luftverkehrs zurückzutreten, zumal sich der Kläger angesichts seiner bisherigen Zuverlässigkeitsüberprüfungen der hohen Anforderungen an die Zuverlässigkeit von Luftfahrern hätte bewusst sein müssen. Der Beklagte hat entgegen der Auffassung des Klägers dessen Recht auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG nicht verletzt, indem er unionsrechtliche Vorgaben hinsichtlich der Erteilung von Pilotenlizenzen nicht beachtet hat. Ungeachtet des Umstands, dass der streitgegenständliche Bescheid nicht auf einer unionsrechtswidrigen Anwendung des § 7 Abs. 1 Satz 4 LuftSiG beruht, ist er sachliche Anwendungsbereich der Gewährleistung aus Art. 103 Abs. 1 GG nicht eröffnet. Dieser erstreckt sich bereits dem Wortlaut der Vorschrift zufolge nicht auf das Verwaltungsverfahren.
87Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
88Rechtsmittelbelehrung
89Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zu, wenn sie von diesem zugelassen wird. Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn
90- 91
1. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
- 92
2. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
- 93
3. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
- 94
4. das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
- 95
5. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, schriftlich zu beantragen. Der Antrag auf Zulassung der Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
97Statt in Schriftform kann die Einlegung des Antrags auf Zulassung der Berufung auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) erfolgen.
98Die Gründe, aus denen die Berufung zugelassen werden soll, sind innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils darzulegen. Die Begründung ist schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
99Vor dem Oberverwaltungsgericht und bei Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht eingeleitet wird, muss sich jeder Beteiligte durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.
100Die Antragsschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.
101Ferner ergeht folgender
102Beschluss
103Der Wert des Streitgegenstands wird auf
1045.000,00 €
105festgesetzt.
106Gründe
107Der festgesetzte Streitwert entspricht dem gesetzlichen Auffangstreitwert im Zeitpunkt der Klageerhebung (§ 52 Abs. 2 GKG).
108Rechtsmittelbelehrung
109Gegen diesen Beschluss kann schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle, Beschwerde bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln eingelegt werden.
110Statt in Schriftform kann die Einlegung der Beschwerde auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) erfolgen.
111Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, einzulegen. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
112Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.
113Die Beschwerdeschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
- 1 BvR 1726/09 1x (nicht zugeordnet)
- 20 B 148/09 2x (nicht zugeordnet)
- 3 C 20/10 2x (nicht zugeordnet)
- LuftSiG § 7 Zuverlässigkeitsüberprüfungen 52x
- 20 B 1029/21 1x (nicht zugeordnet)
- 6 K 7615/16 1x (nicht zugeordnet)
- 20 A 89/15 2x (nicht zugeordnet)
- 20 B 1433/19 1x (nicht zugeordnet)
- LuftVG § 4 5x
- VwGO § 113 1x
- Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 20 B 44/07 1x
- 2 BvL 8/07 1x (nicht zugeordnet)
- 1139 und 1178/20 2x (nicht zugeordnet)
- 1 BvR 1215/07 1x (nicht zugeordnet)
- § 24b Abs. 4 Nr. 1 GewO 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 154 1x
- VwGO § 55a 1x
- § 5 Abs. 1 und 2 WaffG 1x (nicht zugeordnet)
- § 52 Abs. 2 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- GewO § 33c Spielgeräte mit Gewinnmöglichkeit 1x