Urteil vom Verwaltungsgericht Lüneburg (1. Kammer) - 1 A 227/05
Tatbestand
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Der Kläger wendet sich gegen seine Entlassung aus der Bundeswehr.
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Der 1981 geborene Kläger bewarb sich am 15. März 2002 für den freiwilligen Dienst in der Bundeswehr um eine Einstellung als Soldat auf Zeit in der Laufbahn der Unteroffiziere. Die in den auszufüllenden Bewerbungsunterlagen enthaltene Fragestellung, ob der Bewerber Mitglied einer in der Bundesrepublik Deutschland für verfassungswidrig erklärten, verbotenen oder durch den Bundesminister des Innern als verfassungsfeindlich bekannt gemachten Partei oder Organisation (z.B. Nationaldemokratische Partei Deutschlands/ NPD) war bzw. ist oder ob der Bewerber einer anderen extremistischen Organisation, Gruppe oder Gruppierung (z.B. Skinheads) angehörte bzw. angehört, beantwortete der Kläger mit „Nein“ (Frage Nr. 4 des Zusatzfragebogens zum Bewerbungsbogen). Der Kläger versicherte zudem, dass die in dem Zusatzfragebogen gemachten Angaben vollständig seien und der Wahrheit entsprächen; ferner bestätigte er, dass ihm bewusst sei, dass unvollständige oder wahrheitswidrige Angaben u.a. die sofortige Lösung des Dienstverhältnisses zur Folge haben können. Der Kläger wurde aufgrund seiner Bewerbung zunächst zu einer 4-monatigen Eignungsübung (Beginn 1. Oktober 2002) einberufen und am 23. Januar 2003 mit Wirkung zum 1. Februar 2003 zum Stabsunteroffizier unter Berufung in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit berufen. Die abzuleistende Dienstzeit wurde auf acht Jahre festgesetzt (Ende 30. September 2010).
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Mit Schreiben vom 28. Januar 2005 teilte das Amt für den militärischen Abschirmdienst mit, dass zu dem Kläger vorhaltbare Erkenntnisse wegen extremistischer Bestrebungen vorlägen. Aus eigenen Angaben des Klägers gehe hervor, dass er seit 1999 Kontakte in die „rechte Szene“ habe. U.a. sei er Ende 1999 der neu gegründeten Kameradschaft „Verena“ beigetreten, die er im Frühjahr 2002 verlassen habe. 1999 habe er die Mitgliedschaft in der NPD beantragt, ferner an einem Parteitag der NPD in B. teilgenommen. Zudem unterhalte er gelegentliche Kontakte zu ehemaligen und aktiven Angehörigen der rechtsextremistischen Szene und besuche bisweilen auch „Szenekneipen“.
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Am 2. März 2005 vernahm der Disziplinarvorgesetzte den Kläger zum Vorwurf, falsche Angaben bei seiner Bewerbung gemacht zu haben. Wegen der Einzelheiten wird auf die Vernehmungsniederschrift vom 2. März 2005 verwiesen. Am 24. März 2005 beantragte der Disziplinarvorgesetzte, den Kläger aus der Bundeswehr zu entlassen. Der nächsthöhere Disziplinarvorgesetzte schloss sich dem Antrag an.
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Mit Bescheid vom 4. Mai 2005 verfügte der Kommandeur des Heerestruppenkommandos die Entlassung des Klägers aus der Bundeswehr. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Kläger durch seine unrichtigen Angaben im Bewerbungsbogen zu seiner Mitgliedschaft in der NPD und seiner Mitgliedschaft in der rechtsextremistischen Kameradschaft „Verena“ über einstellungsrelevante Umstände getäuscht habe. Die arglistige Täuschung habe zu der Einstellung als Soldat auf Zeit geführt.
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Gegen den Bescheid legte der Kläger am 17. Mai 2005 Beschwerde ein, die mit Beschwerdebescheid des Befehlshabers des Heeresführungskommandos vom 23. Juni 2005 zurückgewiesen wurde.
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Am 18. Juli 2005 hat der Kläger Klage erhoben. Der Kläger macht geltend, keine wahrheitswidrigen Angaben bei seiner Bewerbung gemacht zu haben. Er sei nicht Mitglied der NPD gewesen. Er habe zwar 1999 Informationsmaterial von der NPD erhalten und auch einen Mitgliedsantrag abgeschickt. Darauf sei jedoch keine Reaktion erfolgt. Erst 1 1/2 bis 2 Jahre später habe er zufällig bei einem NPD-Mitglied seinen Mitgliedsausweis gesehen. Diesen habe er aber nicht an sich genommen. Zudem habe er sich geweigert, rückwirkend Mitgliedsbeiträge für die NPD zu zahlen. Eine Mitgliedschaft in der NPD sei daher nicht zustande gekommen. In der Kameradschaft „Verena“ sei er zwar Mitglied gewesen, bei dieser handele es sich jedoch nicht um eine extremistische Gruppierung. Diese sei vielmehr mit dem Hintergrund gegründet worden, „kulturell etwas Sinnvolles zu machen“ wie die Pflege von Soldatendenkmälern, Kranzniederlegungen und Kameradschaftsabende. Die Verfassungsschutzberichte des Landes Niedersachsen aus den Jahren 2000 bis 2004 beinhalteten keinen Hinweis auf die Kameradschaft „Verena“.
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Der Kläger beantragt,
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die Entlassungsverfügung des Kommandeurs Heerestruppenkommando vom 4. Mai 2005 in Gestalt des Beschwerdebescheides des Befehlshabers Heeresführungskommando vom 23. Juni 2005 aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie nimmt im Wesentlichen auf die Bescheide Bezug.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid in Gestalt des Beschwerdebescheids ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Rechtsgrundlage der streitigen Entlassung ist § 55 Abs. 1 in Verbindung mit § 46 Abs. 2 Nr. 2 SG. Danach ist ein Zeitsoldat u.a. dann zu entlassen, wenn er seine Ernennung durch arglistige Täuschung herbeigeführt hat. Die Vorschrift ist nach ihrem Sinn und Zweck darauf gerichtet, die Entschließungsfreiheit der Ernennungsbehörde wiederherzustellen und den Öffentlichen Dienst vor Personen, die durch unlauteres Verhalten diese Entschließungsfreiheit eingeschränkt haben, zu bewahren (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.10.1996 - 2 C 23/96 - m.w.N., juris). Voraussetzung für eine Entlassung ist, dass die arglistige Täuschung kausal für die Ernennung war.
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(1.) Eine arglistige Täuschung des Klägers bei seiner Bewerbung liegt vor. Eine solche ist gegeben, wenn der Bewerber durch Angaben, deren Unrichtigkeit ihm bewusst ist oder deren Unrichtigkeit er für möglich hält und in Kauf nimmt oder durch Verschweigen oder Entstellen von Tatsachen bei einem an der Ernennung maßgeblich beteiligten Bediensteten der Ernennungsbehörde einen Irrtum hervorruft, von dem er weiß oder billigend in Kauf nimmt, dass er für die Entscheidung über die Ernennung von Bedeutung ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.10.1996, a.a.O.). Das Verschweigen von Tatsachen ist eine Täuschung, wenn die Ernennungsbehörde nach Tatsachen gefragt hat oder der Ernannte auch ohne Befragung weiß oder in Kauf nimmt, dass die verschwiegenen Tatsachen für ihre Entscheidung erheblich sind oder sein können (vgl. u.a. BVerwG, Urteil vom 18.9.1985 - 2 C 30.84 -, Buchholz 237.5 § 14 Nr. 2, m.w.N.).
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Hier hat der Kläger im Zusatzfragebogen eine Mitgliedschaft in der NPD verneint, obwohl er 1999 einen Aufnahmeantrag gestellt und für ihn ein Mitgliedsausweis erstellt worden ist. Bereits diesen Umstand hätte er bei wahrheitsgemäßer Beantwortung der Frage 4. in dem Zusatzfragebogen angeben müssen. Denn ihm war zum Zeitpunkt seiner Bewerbung bekannt, dass er bei der NPD als Mitglied geführt worden ist. Bei dieser Sachlage war es nicht ausreichend, die Frage nach der Mitgliedschaft in der NPD schlicht zu verneinen. Der Kläger hat durch seine unvollständigen Angaben vielmehr bewusst Tatsachen verschwiegen, die erkennbar für seine Einstellung relevant waren und durch die Einstellungsbehörde weiter aufgeklärt werden mussten. Auf die Einschätzung des Klägers, dass die Mitgliedschaft tatsächlich nicht zustande gekommen sei, kommt es insoweit nicht an. Darüber hinaus wertet die Kammer das diesbezügliche Vorbringen des Klägers als Schutzbehauptung. Zum einen ist es nicht nachvollziehbar, dass ein Mitgliedsausweis erstellt, dieser aber nicht dem Mitglied, sondern ohne dessen Kenntnis einer dritten Person ausgehändigt worden sein soll. Zum anderen hat der Kläger zum Mitgliedsausweis unterschiedliche Angaben gemacht: Während er gegenüber Mitarbeitern des Militärischen Abschirmdienstes am 26. Mai 2004 und 9. Dezember 2004 geäußert hat, er sei von einem „Bekannten“ auf ausstehende Mitgliedsbeiträge angesprochen worden und dieser habe ihm einige Wochen später den NPD-Ausweis präsentiert (Bericht des MAD vom 28. Januar 2005, Seite 2), hat er in seiner Vernehmung vom 2. März 2005 angegeben, beim Besuch des NPD-Mitglieds C. zufällig seinen Ausweis in ihrer Wohnung gesehen zu haben. Es ist mit Blick auf die erfolgte Antragstellung auch nicht glaubhaft, dass der Kläger an einem NPD bzw. JN-Parteitag lediglich als politisch interessierter Besucher teilgenommen haben will.
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Der Kläger hat des Weiteren seine Mitgliedschaft bei der Kameradschaft „Verena“ als deren Gründungsmitglied verschwiegen und damit billigend in Kauf genommen, Tatsachen zu verschwiegen, die für die Einstellung relevant waren. Diese Kameradschaft ist - unter Auswertung des dem Gericht vorliegenden Erkenntnismaterials - eine rechtsextremistische Gruppierung (gewesen). Im Jahresbericht Rechtsextremismus 2002 der Polizeidirektion Hannover vom 21. Januar 2003 heißt es:
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„2.1.1.4 Kameradschaft Verena
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Hinter dem Namen „Verena“ verbirgt sich die hier bekannte C., whft. in D. (06/2002). Die Kameradschaftsführerin kümmert sich um die Nachwuchsgewinnung und -förderung. Es bestehen enge Kontakte zu den anderen rechtsextremistischen Kreisen unterhalb der Parteiebene. Seit der Auflösung des Nationalen Stammtisches in E. bemüht sich die Kameradschaft Verena, die verschiedenen Organisationen für gemeinsame Veranstaltungen zusammenzuführen. So wurde z.B. eine Busfahrt zur Wewelsburg mit der Teilausstellung „1933 -1945 - Kult- und Terrorstätte der SS“ mit ca. 40 Personen aus den verschiedenen Organisationsformen durchgeführt“.
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Gleich lautende Informationen finden sich in der Lageinformation Nr. 7 zu rechtsorientierten Skinheads im Zuständigkeitsbereich der PD Hannover, Stand 31. Januar 2002. Angesichts der vom Kläger zugestandenen und im Bericht des MAD aufgeführten Aktivitäten des Klägers in der rechtsextremistischen Szene sind ihm der Hintergrund der Kameradschaft und deren Wirkbereich auch bekannt gewesen. Dass der Kläger als Gründungsmitglied der genannten Kameradschaft und als Teilnehmer eines Musikabends mit der rechtsradikalen Band „F.“, von der er auch Tonträger besaß, keinen extremistischen Hintergrund erkannt haben will, ist nicht glaubhaft. Ihm war jedenfalls bewusst, dass es sich um eine extremistische Gruppierung handeln kann, nach welcher im Zusatzbogen gefragt wurde.
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(2.) Die unvollständigen bzw. unrichtigen Angaben des Klägers bei seiner Bewerbung sind für die erfolgte Einstellung auch ursächlich geworden. Eine arglistige Täuschung ist schon dann für die Ernennung ursächlich, wenn sich feststellen lässt, dass die Behörde bei Kenntnis des wahren Sachverhalts von der Ernennung jedenfalls zu diesem Zeitpunkt Abstand genommen hätte. Hiernach genügt es für die Ursächlichkeit der Täuschung, dass die Behörde ohne sie den Bewerber jedenfalls nicht, wie geschehen, alsbald ernannt, sondern zunächst weitere Prüfungen und Erwägungen angestellt und erst auf dieser vervollständigten Grundlage ihre Entscheidung getroffen hätte, gegen die der Bewerber sodann bei ungünstigem Ergebnis Rechtsschutz hätte in Anspruch nehmen können (zu dem insoweit inhaltsgleichen § 12 Abs. 1 Nr. 1 BBG vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. Dezember 1998 - Az: 2 B 100/98; zitiert nach juris). Wären die vom Kläger eingeräumten weit reichenden Kontakte zu extremistischen Gruppieren vor seiner Einstellung bekannt gewesen, wäre eine Einstellung nicht erfolgt. Die Bundeswehr nimmt Schaden, wenn sie in ihren Reihen Soldaten duldet, die Bindungen zu extremistischen und verfassungsfeindlichen politischen Parteien der hier vorliegenden Art duldet. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird insoweit auf die Begründung des angegriffenen Bescheides Bezug genommen (§ 117 Abs. 5 VwGO).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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