Urteil vom Verwaltungsgericht Magdeburg (8. Kammer) - 8 A 11/11

Tatbestand

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Die Klägerin führt die Disziplinarklage gegen den beklagten Polizeivollzugsbeamten im Rang eines Kriminalobermeisters mit dem Ziel seiner Entfernung aus dem Beamtenverhältnis.

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Der 1960 geborene Beamte erlernte nach dem Abschluss der 10-klassigen Polytechnischen Oberschule den Beruf eines Baufacharbeiters. Von 1979 bis 1989 war er als Berufssoldat der Grenztruppen tätig. Ab Dezember 1989 war er als Obersekretär im VPKA A-Stadt und ab 1991 als Sachbearbeiter Kriminalitätsbekämpfung im Polizeirevier in A-Stadt Mitte tätig. Es folgte 1991 die Ernennung zum Kriminalobermeister auf Probe und im Jahre 1994 die Lebenszeiternennung.

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Die in dem Beklagten zuletzt erstellte dienstliche Beurteilung schloss mit der Gesamtbewertung „befriedigend“.

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Bis zu den hier einschlägigen Geschehnissen war der Beklagte weder straf- noch disziplinarrechtlich vorbelastet.

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Mit Verfügung vom 21.05.2010 wurde der Beklagte vorläufig des Dienstes enthoben und mit Verfügung vom 15.06.2010 wurde die Einbehaltung der Dienstbezüge um 30 % angeordnet.

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Mit der Disziplinarklage schuldigt die Klägerin den Beklagten an ein schweres Dienstvergehen gemäß § 47 Abs. 1 Satz 1 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) begangen zu haben indem er:

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„… zumindest bis zum 23.02.2010, dem Tag der Durchsuchung seines Arbeitsplatzes im Revierkommissariat A-Stadt Süd-Ost, auf elektronischen Datenträgern mindestens 123 Film- und Bilddateien, die unter anderem sexuelle Missbrauchshandlungen zwischen erwachsenen Personen und Kindern beiderlei Geschlechts (61 Dateien) sowie Personen von 14 bis 18 Jahren beiderlei Geschlechts (62 Dateien) zeigen, gespeichert und ausgedruckt habe.“

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Zum Sachverhalt trägt die Disziplinarklage vor, dass am 09.02.2010 einer Kollegin des Beklagten ein aufgeschlagenes Notizbuch auf den Schreibtisch des Beklagten aufgefallen sei. Die dort verzeichneten Internetseiten ließen auf pornografischen Inhalt schließen. Infolge dessen seien interne Ermittlungen eingeleitet worden. Am 23.02.2010 habe der Beklagte während seiner Dienstzeit auf seinem Dienstrechner Internetseiten mit kinder- und jugendpornografischem Inhalt geöffnet und ca. 60 Seiten mit diesen Inhalten ausgedruckt. Diese Druckwerke seien durch andere Mitarbeiter zufällig im Dienstdrucker gefunden worden.

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Im Ergebnis der dienstlichen Auswertungen sei festgestellt worden, dass der Beklagte im Zeitraum vom 15.12.2009, vermehrt ab 04.02.2010 bis zum 23.02.2010 gezielte Recherchen nach Web-Seiten mit sexuellen Inhalten im Internet während der Dienstzeit vorgenommen habe. In diesem Zeitraum seien fast täglich Web-Seiten-Aufrufe, die einen kinder-, jugend- und tierpornografischen Inhalt vermuten ließen, festzustellen. Allein für den 23.02.2010 seien insgesamt 110 Web-Seiten-Aufrufe mit pornografischen Inhalten ermittelt worden. Die Seiten seien in der Zeit von 06:59:55 Uhr bis 12:04:29 Uhr nahezu ununterbrochen (Sekundenabstände) abgerufen worden. Dabei sei lediglich eine zeitliche Unterbrechung von 07:25 bis 09:52 Uhr festzustellen.

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Mit rechtskräftigem Urteil des Amtsgerichts A-Stadt vom 06.12.2010 wurde der Beklagte wegen Besitzes kinderpornografischer Schriften in Tateinheit mit dem Besitz jugendpornografischer Schriften zu einer Freiheitsstrafe von 7 Monaten verurteilt, wobei die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt wurde. Das Urteil führt zu den auf der geständigen Einlassung des Angeklagten und den Aktenbestandteilen und Urkunden getroffenen Feststellungen im Tatbestand aus:

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„Zumindest bis zum 23.02.2010, dem Tag der Durchsuchung seines Arbeitsplatzes im Polizeikommissariat A-Stadt Süd-Ost, speicherte der Angeklagte auf elektronischen Datenträgern mindestens 123 Film- und Bilddateien, die unter anderem sexuelle Missbrauchshandlungen zwischen erwachsenen Personen und Kindern beiderlei Geschlechts (61 Dateien) sowie Personen von 14 bis 18 Jahren beiderlei Geschlechts (62 Dateien) zeigen. Es werden auch sexuelle Handlungen von Kindern bzw. von Personen zwischen 14 und 18 Jahren untereinander dargestellt. Die Bilder zeigen sexuellen Handlungen wie Oral- und Vaginalverkehr sowie Manipulationen an den Geschlechtsteilen. Die Kindereigenschaft der jeweiligen Beteiligten ergibt sich aus deren Physiognomie, deren Körperbau, dem Entwicklungsstand der Geschlechtsteile und der fehlenden Schambehaarung.“

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Der Beklagte habe schuldhaft gegen seine ihm obliegende innerdienstliche Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten gemäß § 34 Satz 3 BeamtStG verstoßen. Mit Verweis auf die Rechtsprechung handele es sich um ein schwerwiegendes innerdienstliches Dienstvergehen.

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Schuldausschließungs- und Milderungsgründe seien nicht zu erkennen. Insbesondere handele es sich nicht um eine einmalige persönlichkeitsfremde Gelegenheitstat. Denn der Beklagte habe über einen längeren Zeitraum, nämlich über zwei Monate sich den Besitz der Dateien verschafft.

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Der Beklagte habe im Kernbereich seiner dienstlichen Pflichten als Polizeivollzugsbeamter so erheblich versagt, dass ihm das Vertrauen, das sein Beruf erfordere, nicht mehr entgegengebracht werden könne.

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Die Klägerin beantragt,

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den Beklagten aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen.

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Der Beklagte stellt keinen Antrag, ist geständig und räumt die Geschehnisse vollumfänglich ein. Er habe die Tat aus Neugier begangen. Zu Hause habe er damals wie heute keinen Computer.

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Mit der Nachtragsdisziplinarklage vom 21.02.2012 beschuldigt die Klägerin den Beklagten zwei weiterer außerdienstlicher Pflichtenverstöße.

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Während der Suspendierung habe sich der Beklagte des Verdachtes der Fischwilderei ausgesetzt. Am 23.09.2010 sei gegen den Beklagten Strafanzeige gestellt worden, weil er im Gewässer der Flachwasserzone (Biotop) im Bereich des Mittellandkanals geangelt habe. Dieser Bereich sei von der Angelfischerei gänzlich ausgenommen. Das Strafverfahren sei gemäß § 153 Abs. 1 StPO gegen den geständigen Beklagten eingestellt worden.

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Am 08.08.2011 habe die freie Tankstelle E. S. GmbH gegen den Beklagten Strafanzeige wegen des Verdachtes des Tankbetruges erstattet. Demnach habe der Beklagte am 12.07.2011 zum Bezahlen eine ec-Karte vorgelegt, die nicht akzeptiert worden sei. Daraufhin habe er ein Schuldanerkenntnis unterschrieben und sich in der Folgezeit jedoch nicht um die Bezahlung gekümmert. Unter dem 20.10.2011 sei auch dieses Strafverfahren gemäß § 153 Abs. 1 StPO eingestellt.

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Die Nachtragsdisziplinarklage führt aus, dass zumindest bei dem Sachverhalt hinsichtlich des Verdachtes des Tankbetruges mildernd zu berücksichtigen sei, dass sich der Beklagte zu diesem Zeitpunkt wegen der strafrechtlichen Verurteilung und des anhängigen Disziplinarverfahrens in einer sehr negativen Lebensphase befunden habe. Er habe sich in dieser Zeit seiner Familie noch nicht anvertraut und sei mehrere Tage untergetaucht, so dass seine Schwester Vermisstenanzeige erstattet habe.

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Mit Beschluss vom 13.12.2012 hat das Gericht die mit der Nachtragsdisziplinarklage zur Last gelegten Handlungen nach § 53 Satz 1 DG LSA aus dem Disziplinarverfahren ausgeschieden, da sie für die Art und Höhe der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme nicht oder voraussichtlich nicht ins Gewicht fallen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungs- und Ermittlungsvorgänge verwiesen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Disziplinarklage ist begründet. Der Beklagte hat ein schwerwiegendes innerdienstliches Dienstvergehen gemäß § 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG begangen, welches die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis nach sich zieht.

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Beamte begehen ein Dienstvergehen, wenn sie schuldhaft die ihnen obliegenden Dienstpflichten verletzen (§ 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG). Der Beklagte hat zur Überzeugung des Disziplinargerichtes gegen seine sogenannte Wohlverhaltenspflicht verstoßen, wonach das Verhalten des Beamten innerhalb und außerhalb des Dienstes der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden muss, die sein Beruf erfordern (§ 34 Satz 3 BeamtStG) sowie seiner Pflicht zuwider gehandelt, sich mit voller Hingabe seinem Beruf zu widmen (§ 34 Satz 1 BeamtStG). Gegen diese Dienstpflichten hat der Beklagte verstoßen, indem er auf seinem dienstlichen Computer die unstreitig festgestellten 123 Film- und Bilddateien mit kinder- und jugendpornografischem Inhalt herunter lud und speicherte und dadurch die Straftatbestände des § 184 b Abs. 4 und § 184 c Abs. 4 Satz 1 StGB verwirklichte. Die diesbezüglichen tatsächlichen Feststellungen in den Urteil des Amtsgerichts A-Stadt vom 06.12.2010 sind für das Disziplinargericht bindend (§ 54 Abs. 1 Satz 1 DG LSA) und werden im Übrigen von dem Beklagten auch nicht bestritten.

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Bei dem Fehlverhalten des Beklagten handelt es sich um ein als innerdienstlich zu qualifizierendes Dienstvergehen. Denn er hat die straf- und dienstrechtlichen Verfehlungen während seiner Dienstzeit und zudem mit den ihm vom Dienstherrn zur Verfügung gestellten Dienstmitteln, nämlich dem Computer und innerhalb des ihm zur Verfügung gestellten dienstlichen Arbeitsplatzes (Büro) begangen. Durch die Speicherung der kinderpornografischen Dateien auf seinem Dienstcomputer hatte er die Möglichkeit, die Dateien in seinem unmittelbaren dienstlichen Umfeld zu betrachten.

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Nach der neuerlichen straf- und disziplinarrechtlichen Rechtsprechung wiegen das Sichverschaffen und der Besitz kinderpornografischer Dateien bereits nach ihrer Eigenart schwer. Denn entscheidend für den strafrechtlichen Unrechtsgehalt dieser Taten und den sich daraus ergebenden disziplinarrechtlichen Folgewirkungen ist der Umstand, dass der Besitz, das Verschaffen und das Weiterleiten kinderpornografischer Bilddateien das an den Kindern begangene kriminelle und sittliche Unrecht bei der Erstellung der Bilder perpetuiert, das heißt fortgesetzt wird. Denn ohne das Vorhandensein eines solchen Marktes, auf dem derartige Bilder angeboten werden, würden diese bereits nicht erstellt werden. Der durch den Besitz und das Verschaffen derartiger Bildmaterialien sich fortsetzende sexuelle Missbrauch an den Kindern greift in den sittlichen Reifeprozess eines jungen Menschen ein und gefährdet die harmonische Entwicklung einer Gesamtpersönlichkeit sowie die Einordnung des Kindes in die Gemeinschaft. Denn ein Kind oder Jugendlicher kann wegen seiner fehlenden bzw. noch nicht hinreichenden Reife das sexuell Erlebte intellektuell und gefühlsmäßig in der Regel gar nicht oder nur sehr schwer verarbeiten. Bildmaterial, das den sexuellen Missbrauch von Kindern durch diesbezüglich skrupellose Erwachsene wiedergibt, degradiert die sexuell missbrauchten Kinder zum jeweils bloßen auswechselbaren Objekt geschlechtlicher Begierde und verstößt damit gegen die unantastbare Menschwürde gemäß Art. 1 Abs. 1 GG. Denn die Kinder werden für die Erregung sexueller Reize beim Betrachter ausgenutzt. Kinderpornografie geht eindeutig über die nach den gesellschaftlichen Anschauungen und Wertvorstellungen des sexuellen Anstandes gezogenen, dem Menschenbild des Grundgesetzes entsprechenden Grenzen hinaus. Der sexuelle Missbrauch eines Kindes oder Jugendlichen ist im höchsten Maße persönlichkeits- und sozialschädlich. Der Täter benutzt die Person eines Kindes oder Jugendlichen als „Mittel“ zur Befriedigung seines Geschlechtstriebes. Dies auch dann, wenn er sich an dem jeweiligen bildlich dargestellten Opfer nicht selbst unmittelbar vergreift. Damit mach er sich aber ebenfalls für die mit der Herstellung von Kinderpornografie zwangsläufig verbundenen gravierenden Verletzungen an Leib und Seele der hierbei missbrauchten Kinder verantwortlich (absolut herrschende Rechtsprechung: vgl. nur: BVerwG, Urt. vom 06.07.2000, 2 WD 9.00; BVerwG, Urt. vom 19.08.2010, 2 C 13.10; OVG Lüneburg, Urt. vom 08.02.2012, 19 LD 10/09; VGH Baden-Württemberg, Urt. vom 20.06.2012, DL 13 S 155/12; BayVGH, Urt. vom 17.11.2011, 16 a D 10.2504; jeweils m. w. N. und alle juris).

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Vorliegend kommt hinzu, dass der Beklagte als Polizeibeamter einer Berufsgruppe angehört, die zum einen Straftaten verfolgen und nicht selbst zu begehen haben und zum anderen unter dem Gesichtspunkt des Schutzes der sexuellen Integrität von Kindern und Jugendlichen besonders in die Pflicht genommen und zu vorbildlichen Verhalten aufgerufen sind. Auch ein Polizeibeamter gehört zum Beispiel neben der Berufsgruppe der Lehrer, Pädagogen und Erzieher zu dem Personenkreis, von dem die Allgemeinheit ein hohes Maß an Sensibilität und Verantwortungsbewusstsein erwartet, wenn es um Straftaten zum Nachteil junger Menschen geht auch wenn einem Polizeibeamten anders als etwa bei einem Lehrer oder Erzieher die Kinder und Jugendlichen nicht unmittelbar zur Sorge und Erziehung anvertraut wurden. So handelt auch und vielleicht gerade ein im öffentlichen Bereich arbeitender und tätiger Polizeibeamter zum Schutze der Kinder und Jugendlichen. Es ist der Allgemeinheit und Öffentlichkeit nicht zu vermitteln, dass ein zur Verfolgung derartiger Straftaten berufener Polizeibeamter in seinem vom Dienstherrn zur Verfügung gestellten Dienstzimmer mittels des ebenso dienstlich zur Verfügung gestellten Rechners sich derartige unter Strafe gestellte Bilder verschafft, besitzt und anschaut.

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Welcher Disziplinarmaßnahme im Einzelfall erforderlich ist, richtet sich gemäß § 13 Abs. 1 DG LSA nach der Schwere des Dienstvergehens unter angemessener Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten und des Umfangs der durch das Dienstvergehen herbeigeführten Vertrauensbeeinträchtigung. Danach kommt nach § 13 Abs. 2 Satz 1 DG LSA regelmäßig die Entfernung aus dem Dienst (bzw. die Aberkennung des Ruhegehaltes) dann in Betracht, wenn die Schwere des innerdienstlichen Dienstvergehens das für die weitere dienstliche Tätigkeit notwendige Vertrauensverhältnis endgültig zerstört hat (vgl. nur: BVerwG, Urt. v. 20.10.2005, 2 C 12.04 und Urt. v. 19.08.2010, 2 C 13.10; beide juris).

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Den Bedeutungsgehalt dieser gesetzlichen Begriffe hat das Bundesverwaltungsgericht in den Urteilen vom 20.10.2005 (2 C 12.04; juris) und vom 03.05.2007 (2 C 9.06; juris) näher bestimmt. Danach ist maßgebendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme nach dem gleichlautenden § 13 Abs. 1 Satz 2 Bundesdisziplinargesetz (BDG) die Schwere des Dienstvergehens. Sie beurteilt sich zum einen nach Eigenart und Bedeutung der verletzten Dienstpflichten, Dauer und Häufigkeit der Pflichtenverstöße und den Umständen der Tatbegehung (objektive Handlungsmerkmale), zum anderen nach Form und Gewicht des Verschuldens und den Beweggründen des Beamten für sein pflichtwidriges Verhalten (subjektive Handlungsmerkmale) sowie nach den unmittelbaren Folgen der Pflichtenverstöße für den dienstlichen Bereich und für Dritte, insbesondere nach der Höhe des entstandenen Schadens. Das Bemessungskriterium „Umfang der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit“ gemäß § 13 Abs. 1 Satz 4 BDG erfordert eine Würdigung des Fehlverhaltens des Beamten im Hinblick auf seinen allgemeinen Status, seinen Tätigkeitsbereich innerhalb der Verwaltung und seine konkret ausgeübte Funktion. Aus § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG folgt die Verpflichtung der Disziplinargerichte, über die erforderliche Disziplinarmaßnahme aufgrund einer prognostischen Gesamtwürdigung unter Berücksichtigung aller im Einzelfall belastenden und entlastenden Gesichtpunkten zu entscheiden. Gegenstand der disziplinarrechtlichen Bewertung ist die Frage, welche Disziplinarmaßnahme in Ansehung der Persönlichkeit des Beamten geboten ist, um die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und die Integrität des Berufsbeamtentums zu gewährleisten (vgl. zum Ganzen: BVerwG, Urt. v. 19.08.2010, 2 C 13.10; Urt. v. 03.05.2007, 2 C 9.06; Beschluss vom 26.06.2012, 2 B 28.12; alle juris).

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Für schwerwiegendes innerdienstliches Fehlverhalten hat die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gewisse Regeleinstufungen entwickelt (vgl. Urt. v. 03.05.2007, 2 C 9.06; Urt. v. 19.08.2010, 2 C 13.10; beide juris). Danach kommt regelmäßig die Entfernung aus dem Dienst (bzw. die Aberkennung des Ruhegehaltes) dann in Betracht, wenn die Schwere des innerdienstlichen Dienstvergehens das für die weitere dienstliche Tätigkeit notwendige Vertrauensverhältnis endgültig zerstört hat (vgl.: BVerwG, Urt. v. 20.10.2005, 2 C 12.04). Diese vorstehenden vom Bundesverwaltungsgericht herausgearbeiteten Regeleinstufungen gibt es z. B. zum innerdienstlichen Betrug (Urt. v. 04.05.2006, 1 D 13.05), zum Fernbleiben vom Dienst (Urt. v. 12.10.2006, 1 D 2.05; juris), zur Vorteilsnahme (Urt. v. 23.11.2006, 1 D 1.06; juris).

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Für die disziplinarrechtliche Ahnung des außerdienstlichen Besitzes von Kinderpornografie hat das Bundesverwaltungsgericht aus dem seit 2004 geltenden angehobenen Strafrahmen des § 184 b Abs. 4 StGB von bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe geschlossen, das für die Maßnahmenbemessung jedenfalls dann auf einen Orientierungsrahmen bis zur Zurückstufung abzustellen ist, wenn das Dienstvergehen keinen Bezug zu den dienstlichen Aufgaben des Beamten aufweist (BVerwG, Beschluss vom 26.06.2012, 2 B 28.12 mit Verweis auf Urteil vom 19.08.2010, 2 C 13.C; beide juris).

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Hinsichtlich der Schwere des Dienstvergehens und der Bestimmung des Disziplinarmaßes bei dem Besitz kinderpornografischer Schriften ist weiter auf die Anzahl der Bilder (a. A.: OVG LSA, Urt. v. 05.11.2009, 10 L 3/09; juris), die Häufigkeit des Herunterladens sowie die in den Bildern oder Videos hinsichtlich ihrer Ausführungsart dargestellten sexuellen Handlungen abzustellen (BVerwG, Urt. v. 19.08.2010, 2 C 13.10; vgl. zu einem einmaligen innerdienstlichen Herunterladen kinderpornografischer Inhalte: BayVGH, Urt. v. 17.11.2011, 16a D 10.2504; alle juris).

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Mit der – zudem disziplinarrechtlich bindenden – tatbestandlichen Feststellung in dem Urteil des Amtsgerichts A-Stadt vom 06.12.2010, dass mindestens 123 Film- und Bilddateien, die unter anderem sexuelle Missbrauchshandlungen zwischen erwachsenen Personen und Kindern beiderlei Geschlechts (61 Dateien) sowie Personen von 14 bis 18 Jahren beiderlei Geschlechts (62 Dateien) zeigen, ist das dem Beamten zur Last gelegte Fehlverhalten auch hinreichend deutlich festgestellt worden. Zwar deutet die im Tatbestand enthaltene Wendung, „die unter anderem“ darauf hin, dass von den als „mindestens“ 123 bezeichneten Film- und Bilddateien auch andere, mithin erlaubte erwachsenenpornografische oder tierpornografische Inhalte angesprochen sein könnten. Diese Ungenauigkeit wird jedoch im Folgenden dadurch behoben, dass der Tatbestand die kinderpornografischen Dateien mit 61 und die jugendpornografischen Dateien mit 62 Dateien hinsichtlich der Anzahl und Darstellung der Inhalte hinreichend bezeichnet (vgl. zur nichthinreichenden Feststellung hinsichtlich der Anzahl der kinderpornografischen Bilder: BVerwG, Urt. v. 19.08.2010, 2 C 13.10; juris). Es wird ausgeführt, dass es sich um die Darstellung sexueller Handlungen wie Oral- und Vaginalverkehr sowie Manipulationen an den Geschlechtsteilen von Kindern bzw. von Personen zwischen 14 und 18 Jahren untereinander handelt, wobei die Kindereigenschaft erkennbar war. Damit handelt es sich hinsichtlich der Anzahl der Bilder, der Häufigkeit des Herunterladens sowie der in den Bildern dargestellten sexuellen Handlungen nicht mehr nur um einen geringfügigen Verstoß.

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Bewegt sich der disziplinarrechtlich zu suchende Sanktionsrahmen daher bereits von vornherein nur im Bereich der sogenannten disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahmen, nämlich der Zurückstufung und der Entfernung aus dem Dienst, sind vorliegend wegen des innerdienstlichen Charakters der dienstlichen Verletzung keine den Beamten entlastenden Milderungsgründe ersichtlich, die es gebieten würden, aufgrund der Gesamtbewertung nach § 13 DG LSA von der disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahme Abstand nehmen zu müssen.

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Die von der Schwere des Dienstvergehens ausgehende Indizwirkung entfällt nur dann, wenn zugunsten des Beamten gewichtige Entlastungsgründe zu berücksichtigen sind, die den Schluss rechtfertigen, dass das dem Beamten vom Dienstherrn und der Allgemeinheit entgegengebrachte Vertrauen noch nicht endgültig verloren ist. Solche Gründe stellen zum einen die von der Rechtsprechung entwickelten anerkannten Milderungsgründe dar, die besondere menschliche Konfliktsituationen beschreiben. Hierzu zählen etwa das Handeln in einer wirtschaftlichen Notlage oder einer psychischen Ausnahmesituation oder besonderen Versuchssituation oder eine persönlichkeitsfremde Einzelverfehlung des Beamten. Entlastungsgründe können sich aber zum anderen auch aus allen Besonderheiten ergeben, die es im Einzelfall wegen der persönlichkeitsbedingten an § 13 DG LSA zu orientierenden Prognoseentscheidung gebieten, von der disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahme Abstand zu nehmen. Diese Besonderheiten müssen aber in ihrer Gesamtheit geeignet sein, die Schwere des Pflichtenverstoßes erheblich herabzusetzen. Generell gilt, dass das Gewicht der Entlastungsgründe um so größer sein muss, je schwerer z. B. das Zugriffsdelikt aufgrund der Schadenshöhe sowie der Tatumstände, wie Anzahl, Häufigkeit, Zeitraum, Verschiedenartigkeit und Tatausführung wiegt (zum Ganzen: BVerwG, U. v. 24.05.2007, 2 C 28.06; U. v. 06.06.2007, 1 D 2.06; U v. 29.05.2008, 2 C 59.07; BayVGH, U. v. 27.10.2010, 16a D 09.2470, m. w. Nachw.; OVG Lüneburg, U. v. 08.02.2011, 6 LD 4/08; ausführlich: VG Magdeburg, Urteil v. 29.11.2012, 8 A 12/11; alle juris).

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In diesem Sinne durchgreifende besondere Umstände, die ein Absehen von der schwerwiegendsten und eine mildere Disziplinarmaßnahme rechtfertigen würden, vermag das Disziplinargericht nicht zu erkennen. Aufgrund des längerfristigen Zugriffs auf die Internetseiten und der insgesamt abgespeicherten mindestens 123 Film- und Bilddateien mit kinder- und jugendpornografischem Inhalt kann nicht von einer einmaligen Gelegenheitstat oder einem persönlichkeitsfremden „Ausrutscher“ ausgegangen werden. Sonstige Gründe, die das Gericht in die Lage der möglichen Berücksichtigung derartiger Milderungsgründe setzt, sind vom Beklagten nicht vorgetragen worden. Allein die Neugier, die sexuelle Erregung oder die fehlende Nutzungsmöglichkeit zum Besuch derartiger Seiten im häuslichen Bereich, kann von vornherein keinen Entlastungsgrund darstellen. Da die geständige Einlassung des Beklagten nicht zur Tataufklärung beitrug, entlastet auch dies den Beamten nicht. Ein besonderes eventuell sich mildernd auswirkendes Nachttatverhalten wie z. B. psychotherapeutische Behandlungen, ist nicht festzustellen.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 72 Abs. 1 Satz 1 DG LSA. Das Verfahren ist gem. § 73 Abs. 1 Satz 1 gebührenfrei.


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