Urteil vom Verwaltungsgericht Magdeburg (8. Kammer) - 8 A 759/16

Tatbestand

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Die Klägerin wendet sich als Rechtsnachfolgerin nach Dr. Karl B. gegen den Bescheid des Beklagten vom 23.11.2016, mit welchem Ausgleichsleistungen für die entschädigungslose Enteignung des ehemaligen landwirtschaftlichen Unternehmens „Gut B…? wegen Versäumung der Antragsfrist abgelehnt wurden.

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Der Bescheid führt aus, dass eine fristgerechte Antragstellung nach §§ 1 Abs. 1, 6 Abs. 1 Satz 1 und 3 Ausgleichsleistungsgesetz (AusglLeistG) nicht gegeben sei. Ansprüche auf Ausgleichsleistungen seien beim Amt für offene Vermögensfragen geltend zu machen gewesen. Dabei gelte nach § 6 Abs. 1 Satz 3 AusglLeistG die Ausschlussfrist ab dem 31.05.1995. Der klägerische Vortrag, bereits am 24.08.1990 gegenüber dem Kreis W… einen entsprechenden Antrag gestellt zu haben, sei nicht nachgewiesen. Unbestritten sei dem Rat des Kreises W…, wie im Rückschein des Einschreibens dokumentiert, am 29.08.1990 ein Brief der Klägerin zugegangen. Der Nachweis, dass es sich bei dem Inhalt dieses Briefes um den in Kopie vorgelegten Antrag auf Ausgleichsleistungen hinsichtlich des ehemaligen landwirtschaftlichen Unternehmens „Gut B..? handele, sei dadurch nicht geführt. Ein Anscheinsbeweis, dass bei einem mittels Einschreiben mit Rückschein versendeten Briefes, dieser den vom Absender behaupteten Inhalt habe, sei nicht anerkannt. Vielmehr wohne einem derartigen Geschehensablauf gerade keine derartige Typizität inne, dass vom Zugang einer verkörperten Erklärung zwingend auf dessen Inhalt geschlossen werden könne. Auch die dazu geführten Ermittlungen hätten nicht ergeben, dass die Klägerin bei anderen Ämtern einen entsprechenden Antrag gestellt habe.

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Eine vom Bundesverwaltungsgericht zum Vermögensrecht entwickelte sogenannte „Nachsichtgewährung? sei nicht möglich. Denn dies erfordere jedenfalls ein staatliches Fehlverhalten bei der Anwendung von Rechtsvorschriften, wodurch der Antragsteller nicht in der Lage gewesen sei, seine Rechte innerhalb der Ausschlussfrist zu wahren. Derartiges staatliches Fehlverhalten sei vorliegend nicht ersichtlich.

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Mit der dagegen fristgerecht erhobenen Klage begehrt die Klägerin weiter Ausgleichsleistungen und führt aus, dass sie den entsprechenden vermögensrechtlichen Antrag vom 24.08.1990 fristgerecht am 27.08.1990 mittels Einschreiben durch Rückschreiben an den damaligen Rat des Kreises W… geschickt habe. Dass dieser vermögensrechtliche Antrag nicht bei der Behörde auffindbar sei, sei ihr nicht zuzurechnen. Sie habe alles getan, was sie tun konnte. Dass ein Schriftstück dem damaligen Rat des Kreises W... eingegangen sei, belege der Rückschein. Bei der Behörde ist jedoch keinerlei Aktenbestandteil angefertigt worden. Auch unter Berücksichtigung des Vorhalts, dass es sich um einen leeren Briefumschlag oder einen anderen Inhalt als den vermögensrechtlichen Antrag gehandelt habe, müsste zumindest dieser Briefumschlag und oder der vermeintlich andere Inhalt bei der Behörde auffindbar sein. Dafür trage die Behörde und damit der Beklagte als Rechtsnachfolger die Beweislast.

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Die Klägerin beantragt,

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den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 23.11.2016 zu verpflichten, über den Antrag der Klägerin vom 24.08.1990 (Eingang 27.08.1990) unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichtes erneut zu entscheiden.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen

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und verteidigt die in dem Bescheid und den Schriftsätzen geäußerte Rechtsansicht zum nichtbewiesenen fristgerechten Antrag durch die Klägerin.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang verwiesen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO). Denn der Beklagte geht zu Unrecht von einer verfristeten Antragstellung auf Ausgleichsleistungen aus.

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Allein streitig und entscheidungserheblich zwischen den Beteiligten ist, ob ein fristgerecht gestellter Antrag der Klägerin bezüglich der vermögensrechtlichen Ansprüche aus der entschädigungslosen Enteignung des „Gutes B..? gestellt wurde. Ein fristgemäßer Antrag nach §§ 1 Abs. 1, 6 Abs. 1 AusglLeistG musste bis zum 31.05.1995 gestellt werden, wobei bereits nach dem Vermögensgesetz (VermG) gestellte Anträge fortwirken. Dabei handelt es sich um eine materiell-rechtlich wirkende Ausschlussfrist, so dass eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht möglich ist (BVerwG, Urt. v. 28.03.1996, 7 C 28.95; juris).

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Vorliegend ist das Gericht nach dem Studium der Verwaltungsvorgänge und der Abwägung der Argumente der Beteiligten und letztendlich aufgrund der durch die allgemeine Lebenserfahrung anzunehmenden Auslegung des Lebenssachverhalts der Überzeugung, dass die Klägerin unter dem 24.08.1990 den formularmäßigen Antrag hinsichtlich der Geltendmachung vermögensrechtlicher Ansprüche hinsichtlich des „Gutes B…? gestellt hat und diesen mittels Einschreiben durch Rückschein am 27.08.1990 bei der Deutschen Bundespost in B-Stadt aufgegeben hat, welcher sodann am 29.08.1990 in W… beim Rat des Kreises - Landratsamt - eingegangen ist. Dies belegen die in Kopie eingereichten und der Akte zu entnehmenden Unterlagen des Einlieferungsscheins „R 604 c?. Der Einlieferungsschein ist ordnungsgemäß amtlich gestempelt und auch die Zustellung in W… am 29.08.1990 ist vom Postbevollmächtigten unterschrieben und gestempelt. Schließlich ist die Adresse mit „Rat des Kreises - Landratsamt - in DDR - 3120 W… angegeben.

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Der "Rat des Kreises W..." war seiner Zeit zuständige untere Landesbehörde für vermögensrechtliche Anträge (§ 24 VermG). Somit ist nach der allgemeinen Lebenserfahrung davon auszugehen, dass ein ordnungsgemäß adressierter Brief, welcher mit dem Aufwand der Wahl einer bestimmten postalischen Zustellart befördert wird, nämlich durch "Einschreiben mit Rückschein", auch den entscheidenden Inhalt, nämlich den vermögensrechtlichen Antrag, beinhaltet. Für die entgegenstehende Annahme, dass der zweifelsfrei zugestellte Briefumschlag einen anderen oder gar keinen Inhalt als den Antrag enthielt, gibt es keine Anhaltspunkte. Vielmehr - und das ist wieder entscheidend - müsste dann zumindest der bei der Behörde eingegangene Briefumschlag ohne oder mit dem anderen Inhalt als dem vermögensrechtlichen Antrag in einer entsprechenden Akte abgelegt worden sein. Aber gerade eine solche angelegte Akte ist nicht auffindbar, wie die Nachforschungen des Beklagten ergaben. Demnach bleibt allein die logische Schlussfolgerung, dass der - nachgewiesene - Posteingang bei der damals zuständigen Behörde nicht ordnungsgemäß bearbeitet wurde. Die Klägerin hat alles getan, was sie tun konnte um von dem Eingang und der ordnungsgemäßen Bearbeitung ihres Antrages auszugehen. Denn sie verfügte über den Einlieferungs- und Rückschein der Postsendung. Im Übrigen spricht neben der besonderen Beförderungsart auch die Aufbewahrung dieser Unterlagen dafür, dass sich die Klägerin der Wichtigkeit dieser Postsendung bewusst war.

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Der Klägerin kam auch keine Verpflichtung zu, sich bis zur Ausschussfrist am 31.12.1992 bzw. 31.05.1995 nach dem Eingang des Antrages zu erkundigen. Denn zum einen war sie sich ja des Rückscheines gewiss und zum anderen muss auch auf die damalige Situation bei den Behörden abgestellt werden. Aufgrund der in der Öffentlichkeit durch die Medienberichterstattung bekannten Vielzahl der vermögensrechtlichen Anträge waren die Behörden selbst darum bemüht, keine Nachfragen oder Eingangsbestätigungen bearbeiten zu müssen. Soweit die Klägerin in dem anderen von ihr betriebenen vermögensrechtlichen Verfahren, das hier relevante Verfahren verschwiegen hat, kann dies viele Gründe haben. Das auch damals bereits höhere Lebensalter der Klägerin, die Unübersichtlichkeit der Vermögensverhältnisse und auch die dortige Vertretung durch einen Rechtsanwalt vermögen dies zu rechtfertigen. Jedenfalls kann dieses Indiz nicht die objektiv feststehende Tatsache der fehlenden Aktenführung erschüttern. Der Beklagte muss somit die Nichtaufklärbarkeit des Verbleibs des - eigegangenen - Antrages gegen sich gelten lassen.

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Nachdem eine fristgerechte Antragstellung nunmehr vorliegt, kommt es auf eine Nachsichtgewährung nicht an. Der Beklagte wird sich der weiteren Prüfung des Anspruchs auf Ausgleichsleistungen widmen und den Antrag bescheiden müssen.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 2 GKG, wobei das Gericht wegen der hier zunächst zu endscheidenden Vorfrage der Zulässigkeit des Antrages vom Auffangstreitwert ausgeht.

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Diese Entscheidung ist nach § 6 Abs. 2 AusglLeistG, § 37 Abs. 2 VermG nicht mit der Berufung oder Beschwerde anfechtbar. Die Revision war nicht zuzulassen, weil ein Grund nach § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegt.


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