Urteil vom Verwaltungsgericht Magdeburg (8. Kammer) - 8 A 721/16
Tatbestand
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Der Kläger begehrt als Beihilfeberechtigter im Land Sachsen-Anhalt die Bewilligung von Beihilfe für die am 18.01.2016 erfolgte kieferorthopädische Behandlung seiner am 23.03.1996 geborenen Tochter L… in Höhe von 220,17 EUR.
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Unter dem 14.09.2005 wurden aufgrund des Heil- und Kostenplanes vom 19.07.2005 die Aufwendungen der geplanten kieferorthopädischen Behandlung des Kindes nach § 15 Abs. 2 i. V. m. § 6 BBhV dem Grunde nach für den Behandlungszeitraum von 6 Jahren, mithin vom September 2005 bis September 2011 anerkannt. Darüber hinaus waren Leistungen zu Retention bis zu 2 Jahren nach Abschluss der anerkannten Behandlung, also bis September 2013 beihilfefähig.
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Mit dem streitbefangenen Beihilfebescheid vom 22.03.2016 lehnte der Beklagte die geltend gemachte Beihilfe mit der Begründung ab, dass sowohl die Behandlungs- als auch die Retentionszeit der Behandlung im Jahre 2016 der erwachsenen Tochter überschritten seien. Den dagegen eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28.10.2016 als unbegründet zurück und vertiefte dabei die Ausführungen des Ausgangsbescheides hinsichtlich der Überschreitung der Behandlungsdauer und auch der Behandlungssumme.
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Der Kläger verfolgt sein Begehren mit der fristgerecht erhobenen Klage weiter und ist der Auffassung, dass es sich um eine Erstattungsfähigkeit aufgrund der Nachbehandlungsphase, der sogenannten Retentionsphase handele. Die aktive Behandlung mit einer festsitzenden Zahnspange dauere mehrere Jahre, so wie es auch der Heil- und Kostenplan vorgesehen habe. Mit Entfernung der aktiven Zahnspange ende jedoch noch nicht die Behandlung. Denn in der anschließenden Nachbehandlungsphase müsse das Behandlungsergebnis in jedem Fall stabilisiert werden. Ohne entsprechende Sicherungsmaßnahmen bliebe der Behandlungserfolg nicht stabil. Dazu werde ein dünner Draht, ein sog. Retainer an der Innenseite der Frontzähne befestigt, der die Zähne in der gewünschten Position halte. Ein Verzicht auf diese Nachbehandlung würde den bis dahin erzielten Behandlungserfolg in jedem Fall zunichtemachen. Von einer mehrjährigen, wenn nicht sogar lebenslangen Nachbehandlung müsse ausgegangen werden.
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Nachdem das Gericht dem Kläger aufgegeben hat, eine aussagekräftige zahnärztliche Stellungnahme der behandelnden Kieferorthopädin vorzulegen, wonach es sich bei in streitbefangenen kieferorthopädischen Maßnahmen um solche der sog. Retentionsphase handele, legte dieser eine Stellungnahme der Kieferorthopädin Frau Dr. M… vom 19.10.2017 vor:
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" Die Zähne des Menschen sind nicht in Zement eingebettet, sondern in Knochenmaterial, das sich ständig im Umbau befindet und besonders in den ersten Jahren nach der kieferorthopädischen Behandlung ähnlich wie Gummi reagiert. Die Zähne haben daher immer eine gewisse Neigung in die ursprünglich (schiefe) Ausgangsstellung zurückzuwandern. Außerdem beeinflussen der Druck der evtl. durchbrechenden Weisheitszähne und die Kräfte, die durch das ein Leben lang anhaltende Restwachstum von Kinn und Nase wirken, die Zähne. Dazu kommt noch, dass beim Abbeißen und Kauen so enorme Kräfte auf Zähne und Zahnhalteapparat wirken wie auf keinen anderen Körperteil. Das alles kann zu einer deutlichen Veränderung der Zahnstellung führen.
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Um diesen unerwünschten Verschiebungen der Zähne gegenzusteuern und damit eine Zweitbehandlung zu vermeiden, verwendet man Schienungsgeräte (Lingualretainer und Retentionsplatten). Wie lange diese Geräte getragen werden sollten ist individuell unterschiedlich und von vielen Faktoren abhängig (Anomalie, Ausmaß der ursprünglichen Zahnfehlstellung, Zunge, Lippen, Kaumuskulatur, Bindegewebe, skelettalen Strukturen, Habits usw.) und im Einzelfall nicht voraussagbar.
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Da bei L... eine Nichtanlage beider unterer 2. Prämolaren vorlag, die eine Ausgleichextraktion der entsprechenden Zähne im Oberkiefer erforderte ist die Schienung besonders wichtig, da die Gefahr des Sich-Verschiebens hier extrem groß ist. Darum ist es nur richtig, dass L... ihre Geräte akkurat trägt und bei erforderlichen Reparaturen sofort erscheint und diese vornehmen lässt."
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Unter dem 12.12.2017 legte der Kläger auf Anforderung des Gerichts eine Ergänzung der Kieferorthopädin vor:
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"In Ergänzung meiner Stellungnahme vom 19.10.2017 zur kieferorthopädischen Behandlung von L... B. weise ich darauf hin, dass es sich um eine medizinisch erforderliche Fortsetzung der im Jahr 2005 begonnenen Behandlung handelt, die nicht unterbrochen wurde."
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Der Kläger beantragt,
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den Beklagten unter insoweitiger Aufhebung des streitbefangenen Bescheides vom 22.03.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.10.2016 zu verpflichten, dem Kläger die beantragte Beihilfe für die kieferorthopädische Behandlung des Kindes L... in Höhe von 220,17 EUR anzuerkennen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen
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und verteidigt die in den Bescheiden geäußerte Rechtsansicht. Entscheidend sei, dass Aufwendungen für Leistungen zu Retention nur bis zu 2 Jahre nach Abschluss der auf Grundlage des Heil- und Kostenplanes von der Festsetzungsstelle genehmigten kieferorthopädischen Behandlung beihilfefähig sind. Da nach dem Bewilligungsbescheid vom 14.09.2005 Leistungen bis zum September 2011 anerkannt wurden, könnten Leistungen zur Retention auch nur bis zu 2 Jahren nach Abschluss der anerkannten Behandlung, also bis September 2013 als beihilfefähig angesehen werden. Demnach sind die Leistungen im Jahre 2016 nicht beihilfefähig.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang verwiesen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage, über die durch den Einzelrichter (§ 6 VwGO) ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO) entschieden werden konnte, ist unbegründet. Denn die Ablehnung der Beihilfe für die kieferorthopädischen Leistungen bei der Tochter des Klägers ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 S. 1 VwGO). Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine entsprechende Beihilfe.
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Gemäß § 15 Abs. 2 BBhV (jetzt: § 15 a) Abs. 1 BBhV) sind Aufwendungen für kieferorthopädische Leistungen beihilfefähig, wenn
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1. bei Behandlungsbeginn das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet ist
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oder
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2. bei schweren Kieferanomalien eine kombinierte kieferchirurgische und kieferorthopädische Behandlung erfolgt
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und die Festsetzungsstelle den Aufwendungen vor Beginn der Behandlung auf der Grundlage eines vorgelegten Heil- und Kostenplans zugestimmt hat. Aufwendungen für Leistungen zur Retention sind bis zu 2 Jahre nach Abschluss der auf Grundlage des Heil- und Kostenplanes von der Festsetzungsstelle genehmigten kieferorthopädischen Behandlung beihilfefähig (jetzt § 15 a) Abs. 5 BBhV).
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Aufwendungen kieferorthopädischer Leistungen über den Bewilligungszeitraum hinaus sind nur dann beihilfefähig, wenn die Festsetzungsstelle die Beihilfefähigkeit vorher anerkannt hat oder wenn innerhalb der Retentionszeit Leistungen zur Retention berechnet werden.
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Für die Tochter des Klägers wurde die kieferorthopädische Behandlung aufgrund des Heil- und Kostenplanes vom 19.07.2005 mit Bescheid vom 14.09.2005 als grundsätzlich beihilfefähig anerkannt. Da im Behandlungsplan die voraussichtliche Behandlungsdauer mit 6 Jahren angegeben wurde, galt die Anerkennung von September 2005 bis September 2011. Darüber hinaus waren Leistungen zu Retention bis zu 2 Jahren nach Abschluss der anerkannten Behandlung, also bis September 2013 beihilfefähig.
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Die nunmehr streitbefangenen Aufwendungen aufgrund der zahn- und kieferorthopädischen Rechnung vom 08.03.2016 sind im Januar 2016 entstanden. Demnach liegen diese Leistungen eindeutig und nachvollziehbar nach dem Ende der Retentionszeit im September 2013. Aufgrund der eindeutigen gesetzlichen Regelung zur 2-jährigen Retentionszeit ist eine Verlängerung derselben – und hier um 3 Jahre – rechtlich nicht möglich. Damit findet die Beihilfe- und Erstattungsfähigkeit seine Grenzen. Eine sogar vom Kläger begehrte lebenslange Retentionsphase ist ausgeschlossen. Demnach stellt sich die hier geltend gemachte ärztliche Leistung nach verständiger Würdigung nicht als Fortführung einer begonnenen genehmigten kieferorthopädischen Behandlung dar. Abzustellen ist auf die spezifisch kieferorthopädische Behandlung, nicht aber auf irgendeine zahn- oder kieferorthopädische Behandlung im Nachhinein (vgl.: VG Düsseldorf, Urteil v. 18.05.2005, 26 K 7689/03 und Urteil v. 30.10.2007, 2 K 1098/07; beide juris).
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Im Übrigen weist das Gericht darauf hin, dass der bei dem Kind des Klägers anscheinend benutzte sog. Positionierer bzw. Positioner ebenso wie ein festsitzender Lingualretainer lediglich den Zweck verfolgt, nach Beendigung der durch die kieferorthopädische Behandlung bewirkten aktiven Zahnbewegung das Ergebnis zu sichern, d. h. alle zuvor bewegten Zähne an Ort und Stelle zu halten. Damit handelt es sich nicht mehr um die aktive Therapiephase sondern um die sog. Retentionsphase, die – wie dargelegt – nur für 2 Jahre als erstattungsfähig angesehen werden kann. Es handelt sich nicht mehr um die bloße Fortsetzung der (genehmigten) Behandlung. Die Verordnung derartiger Retainer kann nicht als aktives Therapieelement und somit auch nicht als Weiterbehandlung gewertet werden (VG Düsseldorf, Urteil v. 30.10.2007, 2 K 1098/07; juris).
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Referenzen
- 26 K 7689/03 1x (nicht zugeordnet)
- BBhV § 15 Implantologische Leistungen 1x
- VwGO § 101 1x
- BBhV § 6 Beihilfefähigkeit von Aufwendungen 1x
- VwGO § 113 1x
- VwGO § 6 1x
- 2 K 1098/07 2x (nicht zugeordnet)