Beschluss vom Verwaltungsgericht Mainz (4. Kammer) - 4 L 437/19.MZ

Tenor

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird auf 5.000,00 € festgesetzt.

Gründe

1

Der Antrag der Antragstellerin, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den von der Antragstellerin beim Antragsgegner eingereichten Fernsehwahlwerbespot auf den zugeteilten Sendeplätzen auszustrahlen, hat keinen Erfolg.

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Er ist unbegründet. Die Antragstellerin hat einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht (§§ 123 Abs. 1 und 3 VwGO, 920 Abs. 2 ZPO).

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Der Antragsgegner ist trotz des grundsätzlichen Anspruchs der Antragstellerin nach § 5 Abs. 1 Parteiengesetz i.V.m. Art. 21 Abs. 1 Satz 1 sowie Art. 3 Abs. 1 GG auf Ausstrahlung eines Wahlwerbespots zu dessen Zurückweisung befugt, weil der von der Antragstellerin vorgelegte Wahlwerbespot evident gegen die allgemeinen Strafgesetze verstößt und dieser Verstoß nicht leicht wiegt (zum Maßstab vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Februar 1978 – 2 BvR 523/75, 2 BvR 958/76, 2 BvR 977/76 –; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 31. August 2011 – OVG 3 S 1112.11 –, juris). Die gewählte Darstellung macht in ihrem Gesamtzusammenhang in Deutschland lebende Ausländer in einer Weise böswillig verächtlich, die ihre Menschenwürde angreift und geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören.

4

Der Wahlwerbespot zeigt eingangs einen schwarzgrauen Hintergrund vor dem Blutspritzer am Bildschirm herunterlaufen, man hört das Laden einer Waffe und einen Schuss. Es folgen immer schneller werdende Einblendungen von Tatorten und Namen von Opfern von Gewaltdelikten/Tötungsdelikten. Unterlegt ist diese Sequenz mit dem gesprochenen Text:

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„Seit der willkürlichen Grenzöffnung 2015 und der seither unkontrollierten Massenzuwanderung werden Deutsche fast täglich zu Opfern ausländischer Messermänner. Migration tötet!“

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Dann wird die Aussage „Migration tötet“ in großen roten Lettern eingeblendet. Es folgt der gesprochene Text:

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„Jetzt gilt es zu handeln, um Schutzzonen für unsere Sicherheit zu schaffen.“

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Eingeblendet ist der Text „Wir schaffen Schutzzonen“ gefolgt von einem Symbol mit einem stilisierten „Z“. Der Parteivorsitzende teilt im Folgenden mit, dass diese Sicherheit in Gefahr sei. Viele Städte und Stadtteile seien zwischenzeitlich zu No-Go-Areas für Deutsche geworden, was man nicht länger hinnehmen wolle. Da der Staat wegsehe oder nicht in der Lage sei zu handeln, habe die Antragstellerin mit ihrer Schutzzonen-Kampagne selbst die Initiative ergriffen. Schutzzonen seien Orte, an denen sich Deutsche sicher fühlen sollen. Der Text ist bebildert mit Menschen mit einer Schutzweste mit einem „Z“ und dem Schriftzug „Wir schaffen Schutzzonen“, die auf Straßen und in der S-Bahn patrouillieren oder die mit einer Fahne mit dem Symbol dieser Schutzzone auf einem Dach stehen.

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Dieser Wahlwerbespot erfüllt den Tatbestand der Volksverhetzung (§ 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB). Danach wird bestraft, wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe, Teile der Bevölkerung oder einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet.

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Mit dem streitgegenständlichen Wahlwerbespot greift die Antragstellerin die Menschenwürde der in Deutschland lebenden Ausländer – insbesondere der Menschen, die seit September 2015 nach Deutschland gekommen sind – an. Dieser Teil der Bevölkerung wird von ihr böswillig in einer Weise verächtlich gemacht, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören.

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Ein böswilliges Verächtlichmachen liegt vor, wenn die Betroffenen aus verwerflichen Beweggründen durch Äußerungen als der Achtung der Staatsbürger unwert oder unwürdig dargestellt werden (vgl. Sternberg-Lieben/Schittenhelm in Schönke/Schröder, StGB, 30.Aufl. 2019, § 130, Rn. 5d; Krauß in Laufhütte u.a., Leipziger Kommentar, StGB 12., Aufl. 2009, § 130 Rn. 49). Diese Kriterien werden durch den Wahlwerbespot der Antragstellerin in Bezug auf die in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Migranten erfüllt.

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Vom Standpunkt eines unvoreingenommenen und verständigen Durchschnittspublikums (vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. Februar 2010 – 1 BvR 369/04 –) enthält der Werbespot durch seine Bilder und seinen Wortlaut im Gesamtzusammenhang die objektive Aussage, dass Ausländer - insbesondere jene die im Jahr 2015 und später eingereist sind - sämtlich Straftäter sind. Die verwendete Bildabfolge mit Blutspritzern, immer schneller werdenden Einblendungen von Tatorten und Opfern, die einen rasanten Anstieg von Gewalttaten suggerieren, erweckt zusammen mit dem unterlegten Text den Eindruck einer akute Bedrohung der deutschen Bevölkerung durch die Gesamtgruppe der nach der 2015 erfolgten „willkürlichen Grenzöffnung“ eingereisten Migranten.

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Eine irgendwie geartete Differenzierung findet nicht statt, allenfalls könnte man sie darin sehen, dass sich die Bezeichnung „Messermänner“ nur auf den männlichen Teil dieser Gruppe bezieht. Diese Gruppe der Ausländer wird für die im Spot aufgeführten Gewalt-/Tötungsdelikte pauschal verantwortlich gemacht. Dabei wird suggeriert, dass diese Ausländer sämtlich und stets schwerkriminell sind und fast täglich Kapitalverbrechen an Deutschen begehen.

14

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschluss vom 4. Februar 2010, a.a.O., sowie Beschluss vom 24. September 2009 – 2 BvR 2179/09 –, juris) haben die Gerichte bei der Auslegung und Anwendung strafrechtlicher Vorschriften dem Grundrecht der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG Rechnung zu tragen, damit dessen wertsetzende Bedeutung auch bei der Rechtsanwendung gewahrt bleibt. Die Gerichte dürfen daher einer Meinungsäußerung keine Bedeutung beilegen, die sie objektiv nicht hat. Auf eine im Zusammenspiel der offenen Aussagen verdeckt enthaltene zusätzliche Aussage darf die Verurteilung zu einer Sanktion oder vergleichbar einschüchternd wirkende Rechtsfolgen nur gestützt werden, wenn sich die verdeckte Aussage dem angesprochenen Publikum als unabweisbare Schlussfolgerung aufdrängt. Im Fall der Mehrdeutigkeit dürfen die Gerichte nicht von der zur Verurteilung führenden Deutung ausgehen, ehe sie andere Deutungsmöglichkeiten mit tragfähigen Gründen ausgeschlossen haben.

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Dies zugrunde gelegt lässt sich aus dem Gesamtzusammenhang der einzelnen Filmsequenzen, die ohne Zäsur nahtlos ineinander übergehen, sowie dem gesprochenen Text in objektiver Hinsicht allein die Aussage entnehmen, dass die in Folge der angeblich willkürlichen Grenzöffnung eingereisten Ausländer sämtlich schwerkriminell seien und fast täglich Tötungsdelikte gegen Deutsche begehen. Diese verdeckte Aussage drängt sich dem angesprochenen Publikum unabweisbar auf. Insbesondere durch die Einblendung der zum Teil anonymisierten Namen angeblicher Opfer entsprechender „Messermänner“ und der jeweiligen Tatorte wird suggeriert, dass die seit September 2015 eingereisten Ausländer kollektiv gewalttätige Individuen darstellten, die fast täglich Deutsche angreifen und der Schutz der Deutschen vor diesen Angreifern nur durch die Einrichtung von Schutzzonen zu gewährleisten ist. Durch die im Spot beschriebene Bildabfolge und den zugehörigen Text, der weder relativiert noch differenziert, sondern Ausländer uneingeschränkt mit Kriminalität in Verbindung bringt, wird dem Zuschauer vermittelt, dass Ausländer schwere Gewalt- und Tötungsdelikte begehen und daher eine ernsthafte Bedrohung für die deutsche Bevölkerung darstellten. Die insbesondere zu Beginn des Wahlwerbespots gezeigten Bilder lassen nur den Schluss zu, dass sich die nach September 2015 in die Bundesrepublik Deutschland eingereisten Ausländer generell kriminell verhalten. Die von der Antragstellerin behauptete Differenzierung, es gehe in dem Spot nur um diejenigen Personen, die tatsächlich entsprechende Taten begingen, wird gerade nicht vorgenommen. Vielmehr ist explizit von unkontrollierter Massenzuwanderung und Migration die Rede, infolge derer Deutsche fast täglich zu Opfern ausländischer „Messermänner“ würden. Damit wird deutlich, dass die nach Deutschland immigrierten Menschen gemeint sind, vor denen sich Deutsche schützen müssen. Migranten werden mit der Formulierung „Migration tötet“ generell als gefährlich gebrandmarkt und pauschal mit der Gefahr von Tötungsdelikten verknüpft. Die gewählte Formulierung „Migration tötet“ macht dabei - anders als die Antragstellerin vorträgt - keinen wesentlichen Unterschied zur Formulierung „Migranten töten“, da beim angesprochenen Publikum in der Gesamtschau des Wahlwerbespots die gleiche Aussage assoziiert wird.

16

Die danach in dem Wahlwerbespot der Antragstellerin enthaltene objektive Aussage, die zur genannten Teilgruppe gehörenden Ausländer seien per se Schwerststraftäter und damit als der Achtung der übrigen Bürger unwert und unwürdig, erfolgt aus ausländerfeindlichen und damit verwerflichen Motiven.

17

Durch die dargestellte Aussage wird auch die Menschenwürde der betroffenen Ausländer angegriffen. Unter Menschenwürde ist der soziale Achtungsanspruch des Menschen zu verstehen, der es verbietet, den Menschen zum bloßen Objekt des Staates zu machen oder ihn einer Behandlung auszusetzen, die seine Subjektqualität prinzipiell in Frage stellt. Angriffe auf die Menschenwürde können in Erniedrigung, Brandmarkung, Verfolgung, Ächtung und damit in allen Verhaltensweisen bestehen, die dem Betroffenen seinen Achtungsanspruch als Mensch absprechen. Dabei ist allein die Verletzung der Ehre einer Person nicht als Angriff auf die Menschenwürde zu verstehen, vielmehr ist erforderlich, dass der angegriffenen Person ihr Lebensrecht als gleichwertige Persönlichkeit in der staatlichen Gemeinschaft abgesprochen und sie als unterwertiges Wesen behandelt wird. Dies kann der Fall sein, wenn einer Bevölkerungsgruppe pauschal sozial unerträgliche Verhaltensweisen oder Eigenschaften zugeschrieben werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. Februar 2010, a.a.O., auch BGH, Urteil vom 15. März 1994 – 1 StR 179/93 –, BGH St 40/97 [100]). Dies ist hier der Fall. Ausländer, insbesondere die nach dem September 2015 eingereisten Migranten, werden pauschal als Straftäter, insbesondere von Tötungsdelikten dargestellt und ihnen damit sozial unerträgliche Verhaltensweisen unterstellt; damit wird ihnen ohne Differenzierung das Lebensrecht als gleichwertige Persönlichkeiten in der staatlichen Gemeinschaft abgesprochen.

18

Die im Wahlwerbespot zum Ausdruck kommende Meinungsäußerung ist geeignet, den öffentlichen Frieden zu gefährden. Dies ist dann der Fall, wenn berechtigte Gründe für die Befürchtung vorliegen, dass das Vertrauen in die öffentliche Rechtssicherheit erschüttert wird, sei es auch nur bei der Bevölkerungsgruppe, gegen die sich die böswillige Verächtlichmachung richtet (vgl. BGH, Urteil vom 8. August 2006 - 5 StR 405/05 - NSTZ 2007, 216,217). Hier werden Ängste gegen Migranten geschürt, indem sie pauschal als Schwerststraftäter dargestellt werden, vor denen sich Deutsche schützen müssen. Hinzu kommt, dass die Antragstellerin Schutzzonen nur für Deutsche einrichten will und eine mit besonderen Symbolen gekennzeichnete „Bürgerwehr“ bereitstellen will, um Deutschen Schutz gegenüber den angeblich gefährlichen Migranten zu gewährleisten. Diese Äußerungen sind darüber hinaus geeignet, eine latent vorhandene Gewaltbereitschaft gegenüber Teilen der Bevölkerung zu vertiefen und damit den öffentlichen Frieden zu gefährden (vgl. OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 19. September 2009 – 3 M 155.09 –, juris; VG Berlin, Beschluss vom 28. April 2014 – 2 L 59.14 –, juris Rn. 14). Im Wahlwerbespot der Antragstellerin wird suggeriert, dass der Staat nicht willens oder in der Lage ist, Deutsche vor gewalttätigen Angriffen der ausländischen „Messermänner“ zu schützen. Das Gewaltmonopol des Staates wird in Frage gestellt, indem der Staat nicht als schutzwillig bzw. schutzfähig dargestellt wird. Solche Äußerungen sind geeignet, das Vertrauen in die Rechtssicherheit zu erschüttern, eine latent vorhandene Gewaltbereitschaft rechtsradikal gesinnter Personen gegenüber Ausländern zu stärken, Abneigungen gegen Migranten hervorzurufen und die Gewaltschwelle herabzusetzen.

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Auch in subjektiver Hinsicht ist der Tatbestand des § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB erfüllt. Zur Überzeugung der Kammer entspricht es dem Willen der Organe der Antragstellerin, die dargestellte Äußerungen, mit der Migranten böswillig verächtlich gemacht und in ihrer Menschenwürde angegriffen werden, zu verbreiten, weil sie sich dadurch einen Stimmenzuwachs bei der Wahl zum Europäischen Parlament 2019 erhofft.

20

Damit war der Eilantrag mit der sich aus § 154 Abs. 1 VwGO ergebenden Kostenfolge abzulehnen.

21

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 53 Abs. 3, 52 Abs. 2 GKG. Da die Antragstellerin hier bereits im Weg der einstweiligen Anordnung im Wesentlichen das begehrt, was sie auch im Hauptsacheverfahren erlangen könnte, war der volle Betrag des Auffangwertes für sein Begehren anzusetzen.

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