Beschluss vom Verwaltungsgericht München - M 27 E 22.1386

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.

II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Der Streitwert wird auf 1.250,-- € festgesetzt.

Gründe

I.

Der am … geborene Antragsteller, ein pakistanischer Staatsangehöriger, begehrt mit seinem Antrag die Aussetzung der Abschiebung bis zu der Entscheidung in der Hauptsache.

Der Antragsteller reiste am ... 2016 als unbegleiteter Minderjähriger in das Bundesgebiet ein und stellte am ... 2016 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) einen Asylantrag, welcher mit Bescheid vom 12. Mai 2017 abgelehnt wurde. Die hiergegen erhobene Klage wies das Bayerische Verwaltungsgericht München mit Urteil vom 19. Juli 2019 ab (M 23 K 17.47088). In diesem Verfahren hatte der Antragsteller zwei ärztliche Atteste vom ... 2017 und vom ... 2019 vorgelegt. Das Attest vom ... 2017 enthält unter anderem die Diagnosen „Anpassungsstörung F 43.2, Störung der Impulskontrolle (V.a. F 63.8)“. In dem Attest vom ... 2019 wird festgestellt, dass sich der Antragsteller weiterhin in psychiatrischer Behandlung befinde. Aufgrund der vorliegenden Symptomatik sei eine Steigerung der neuroleptischen Medikation mit Quetiapin 50mg auf 100mg/Tag notwendig gewesen. Eine psychotherapeutische Behandlung sei fachärztlich indiziert.

Der Antragsteller wurde in der Folge mehrfach über seine Ausreisepflicht informiert und über die Pass- und Mitwirkungspflichten belehrt. Am ... 2018 erteilte das Landratsamt … dem Antragsteller erstmals eine Duldung, welche in der Folge fortlaufend verlängert wurde. Wohl im Februar 2019 reiste der Antragsteller aus dem Bundegebiet aus und wurde am ... 2019 von der Schweiz nach Deutschland rücküberstellt und erhielt erneut eine Duldung. Nach zwischenzeitlichem Erhalt einer Aufenthaltsgestattung und einer anschließenden Grenzübertrittsbescheinigung erteilte das Landratsamt … dem Antragsteller am ... 2020 wiederum eine Duldung, welche zuletzt bis zum ... 2022 gültig war. Seit dem ... 2022 ist der Antragsteller erneut im Besitz einer Grenzübertrittsbescheinigung; die Ausreisefrist endet am ... 2022.

Mit Urteil des Amtsgerichts … vom 4. März 2021 (Az. 3a Ds 140 Js 11533/19 jug) wurde der Antragsteller des versuchten Inverkehrbringens von Falschgeld schuldig gesprochen und gegen ihn ein Freizeitarrest verhängt.

Am ... 2021 legte der Antragsteller bei der Ausländerbehörde einen pakistanischen Reisepass vor, welcher von der Ausländerbehörde einbehalten wurde.

Mit Bescheid des Bundesamts vom 20. Juli 2021 wurde ein von dem Antragsteller gestellter Antrag auf Abänderung des Bescheids vom 12. Mai 2017 bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG abgelehnt. Aus der Begründung des Bescheids geht hervor, dass der Antragsteller in diesem Verfahren ein Attest des … I* ... ... … mit den Diagnosen „Anpassungsstörungen (F43.2), Suizidversuch (Z91.8)“ sowie einen Beschluss des Amtsgerichts … über die Anordnung der vorläufigen Unterbringung des Antragstellers in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses bis längstens 4. April 2020 vorgelegt hatte.

Mit Schreiben an das Landratsamt … vom ... 2021 nahm der damalige Bevollmächtigte des Antragstellers, welcher am ... 2019 gegenüber dem Landratsamt … die Vertretung des Antragstellers angezeigt hatte, Bezug auf einen von dem Antragsteller am ... 2019 unterzeichneten Formblattantrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, welcher sich nicht in der Behördenakte befindet, sowie auf einen von dem Antragsteller am ... 2020 bei der Stadt … gestellten Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis (Aufenthaltszweck Ausbildung/Studium). Er stellte klar, dass ein Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG gestellt werde. Hilfsweise wurde die Erteilung einer Beschäftigungsduldung beantragt.

Am ... 2022 nahm der Antragsteller gegenüber dem Landratsamt … seine Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Niederschrift zurück. Mit Schreiben seines damaligen Bevollmächtigten vom selben Tag erklärte dieser für den Antragsteller die Anfechtung der Rücknahmeerklärung wegen Irrtums, da der Antragsteller davon ausgegangen sei, nach Rücknahme des Antrags eine Duldung und nicht lediglich eine Grenzübertrittsbescheinigung zu erhalten.

Am 10. März 2022 stellte der Antragsteller beim Bundesamt einen Folgeantrag, welcher mit Bescheid vom 24. März 2022 abgelehnt wurde. Ausweislich der Begründung des Bescheides machte er in diesem Verfahren eine persönliche Bedrohung durch Feinde seiner Familie in seinem Heimatland geltend.

Am 9. März 2022 erhob der Antragsteller beim Bayerischen Verwaltungsgericht München zur Niederschrift Klage auf Verpflichtung des Beklagten, dem Antragsteller eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen (M 27 K 22.1384) und stellte den Antrag,

den Antragsgegner im Rahmen einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zu verpflichten, für die Dauer des Klageverfahrens keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen durchzuführen.

Zur Begründung wird vorgebracht, dass der Antragsteller nicht in Pakistan leben wolle. Sein Vater sei gestorben, zu seiner Mutter habe er seit eineinhalb Jahren keinen Kontakt mehr. Der Antragsteller gehe davon aus, dass sie ebenfalls gestorben sei. Er könne nachts nicht schlafen, weil er immer Angst habe, abgeschoben zu werden. Er arbeite als Küchenhelfer und habe einen unbefristeten Arbeitsvertrag.

Das Landratsamt … legte für den Antragsgegner am 13. April 2022 die Behördenakten vor. Ein Antrag wurde nicht gestellt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.

II.

Der zulässige Antrag ist unbegründet.

1. Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht auch schon vor Klageerhebung durch einstweilige Anordnung den vorläufigen Zustand in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis regeln, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gefahr zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO ist, dass der Antragsteller sowohl einen Anordnungsanspruch, d.h. den materiellen Anspruch, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, als auch einen Anordnungsgrund, d.h. die Eilbedürftigkeit der Sache glaubhaft macht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).

2. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt; ein Anordnungsanspruch ist nicht gegeben. Der Antragsteller hat weder einen Anspruch auf Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG noch einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG glaubhaft gemacht.

a) Die Voraussetzungen des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG sind im vorliegenden Fall nach summarischer Prüfung nicht erfüllt. Nach dieser Vorschrift ist die Abschiebung eines Ausländers auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird.

aa) Aus dem Vorbringen des Antragstellers zu seinen persönlichen Verhältnissen in Pakistan ergibt sich kein Anspruch auf Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG. Die Prüfung, ob zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG vorliegen, obliegt allein dem Bundesamt. Die Ausländerbehörde ist nach § 42 Satz 1 AsylG an die diesbezügliche Entscheidung des Bundesamts gebunden.

bb) Ein Duldungsanspruch des Antragstellers ergibt sich auch nicht aus seiner Asylfolgeantragsstellung. Der Asylfolgeantrag des Antragstellers wurde mit Bescheid des Bundesamts vom 24. März 2022 abgelehnt. Durch Übersendung des Bescheids an den Antragsgegner hat das Bundesamt dem Antragsgegner mitgeteilt, dass kein weiteres Asylverfahren durchgeführt wird, sodass § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG einer Abschiebung des Antragstellers nicht entgegensteht.

Einstweiliger Rechtsschutz unter zielstaatsbezogenen Gesichtspunkten ist in dieser Konstellation im Übrigen allein durch einen gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichteten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel zu erlangen, die Ausländerbehörde darüber zu informieren, dass vorläufig keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen auf der Grundlage der Mitteilung durchgeführt werden dürfen (vgl. OVG Bremen, B. v. 3.12.2021 - 2 B 432/21 - juris Rn. 5; OVG RhPf, B.v. 20.7.2017 - 7 B 11085/17 - juris Rn. 5 f.).

cc) Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf eine Verfahrensduldung (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 10.1.2022 - 19 CE 21.2652 - juris Rn. 10 ff.). Ein sicherungsfähiger Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Abs. 1 AufenthG besteht mangels vierjährigen ununterbrochenen erlaubten, geduldeten oder gestatteten Voraufenthalts des Antragstellers im Bundesgebiet (§ 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG) nicht.

dd) Ein Anspruch auf Erteilung einer Duldung ergibt sich auch nicht aus einer etwaigen Reiseunfähigkeit des Antragstellers.

Zunächst ist festzustellen, dass die Ausländerbehörde an die durch das Bundesamt in den Bescheiden vom 12. Mai 2017, vom 20. Juli 2021 und vom 24. März 2022 vorgenommene Prüfung der zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote nach § 42 AsylG gebunden ist.

Ein rechtliches Abschiebungshindernis liegt allerdings auch dann vor, wenn durch die Beendigung des Aufenthalts eine konkrete Leibes- oder Lebensgefahr zu befürchten ist, so dass die Abschiebungsmaßnahme wegen des nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verbürgten grundrechtlichen Schutzes auszusetzen ist. Erforderlich ist dabei, dass infolge der Abschiebung als solcher (unabhängig vom konkreten Zielstaat) eine wesentliche Verschlechterung des gesundheitlichen Zustandes für den betroffenen Ausländer konkret droht. In Betracht kommen damit nur inlands-, nicht hingegen zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote (BayVGH, B. v. 10.1.2022 - 19 CE 21.2652 - juris Rn. 23; BayVGH, B.v. 11.4.2017 - 10 CE 17.349 - juris Rn. 17, m.w.N.). An

Nach § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG wird gesetzlich vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Will der Ausländer diese gesetzliche Vermutung widerlegen, muss er nach § 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten (§ 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG).

Unter Heranziehung dieses Maßstabes ist vorliegend eine Reiseunfähigkeit des Antragstellers nicht erkennbar. Eine aktuelle, den gesetzlichen Vorgaben entsprechende ärztliche Bescheinigung hat der Antragsteller nicht vorgelegt. Die in der Behördenakte befindlichen ärztlichen Atteste erfüllen die Voraussetzungen des § 60a Abs. 2c AufenthG ersichtlich nicht.

b) Der Antragsteller hat auch keinen Anspruch auf Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG im Ermessenswege. Nach dieser Vorschrift kann einem Ausländer eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Solche dringenden humanitären oder persönlichen Gründe sind vorliegend nicht ersichtlich.

Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nrn. 1.5 und 8.3 (entsprechend) des Streitwertkatalogs.

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