Beschluss vom Verwaltungsgericht Münster - 1 L 948/16
Tenor
Die aufschiebende Wirkung der Klage 1 K 2478/16 des Antragstellers gegen das Rückkehrverbot und die Zwangsgeldandrohung in der polizeilichen Verfügung des Antragsgegners vom 20. Juni 2016 wird angeordnet.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
Der Streitwert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
1
G r ü n d e
2Die im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotene Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit der polizeilichen Verfügung einerseits und dem Interesse des Antragstellers andererseits, vorläufig von der Vollziehung der Verfügung verschont zu bleiben, fällt zugunsten des Antragstellers aus.
3Maßgeblich hierfür ist, dass die Verfügung des Antragsgegners sich bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nur möglichen summarischen Prüfung jedenfalls nicht als offensichtlich rechtmäßig darstellt. Vielmehr ist zweifelhaft, ob der Ausspruch des Rückkehrverbots gegenüber dem Antragsteller nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand noch sachgerecht ist.
4Maßgeblich für die vom Gericht im Rahmen seiner Interessenabwägung vorzunehmende summarische Prüfung der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Rückkehrverbots ist der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung. Es handelt sich nämlich um einen noch nicht erledigten Dauerverwaltungsakt. Der Antragsgegner ist insoweit verpflichtet, seine Ermessenserwägungen auch nach Erlass der polizeilichen Maßnahme bis zum Ablauf ihrer Geltungsdauer zu aktualisieren, sofern sich der maßgebliche Sachverhalt nachträglich ändert.
5Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 14. Mai 2012 – 5 B 599/12 -, nrwe, Rn. 6.
6Ausgehend davon stellt sich zumindest die weitere Aufrechterhaltung des mit der angefochtenen Verfügung gegen den Antragsteller ausgesprochenen Rückkehrverbots nunmehr als ermessensfehlerhaft dar.
7Gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 PolG NRW kann die Polizei eine Person zur Abwehr einer von ihr ausgehenden gegenwärtigen Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer anderen Person aus einer Wohnung, in der die gefährdete Person wohnt, sowie aus deren unmittelbaren Umgebung verweisen und ihr die Rückkehr in diesen Bereich untersagen.
8Ob zunächst Anhaltspunkte für das Vorliegen einer vom Antragsteller ausgehenden gegenwärtigen Gefahr für die körperliche Unversehrtheit der Beigeladenen bestanden, ist nach Aktenlage erheblich zweifelhaft. Der Antragsteller selbst rief am frühen Morgen des 20. Juni 2016 zweimal die Polizei und teilte mit, seine alkoholisierte Freundin randaliere. Der erste Einsatz wurde von der Polizei ohne Treffen von Maßnahmen beendet, nachdem die Beigeladene bei Eintreffen der Polizeibeamten schlafend im Bett lag. Kurz darauf rief der Antragsteller erneut die Polizei. Sowohl der Antragsteller als auch die Beigeladene gaben an, es sei lediglich zu verbalen Streitigkeiten gekommen. Die Beigeladene gab dennoch an, sie habe Angst vor dem Antragsteller, da er häufig aggressiv und gewalttätig ihr gegenüber sei. Hierzu gab sie gegenüber den Polizeibeamten vor Ort ferner an, dass es in der Zeit von Dezember 2015 bis April 2016 insgesamt drei zeitlich versetzte Vorfälle gab, während derer der Antragsteller sie geschlagen und gewürgt habe. Sie zeigte den Beamten hierzu einige abgespeicherte Bilder ihrer Verletzungen, auf denen man blaue Flecken im Bereich der Arme und des Halses erkennen konnte. Die Beigeladene tätigte die vorgenannten Angaben jedoch in erheblich alkoholisierten Zustand. Die Polizeibeamten führten einen freiwilligen Atemalkoholtest durch, der bei der Beigeladenen einen Wert von 0,94 mg/l (entspricht fast 2 Promille) ergab. Der (ebenfalls alkoholisierte) Antragsteller gab zu dem Vorwurf der früheren Taten an, er habe die Beigeladene weder geschlagen noch gewürgt. Man bräuchte sie nur anzufassen, dann bekäme sie schon blaue Flecken.
9Es spricht Einiges dafür, dass die dokumentierte Gefahreneinschätzung der handelnden Beamten die Wohnungsverweisung wegen unzureichender Sachverhaltsaufklärung und -dokumentation nicht trägt. Die Polizeibeamten haben weder die angeblich vom Antragsteller stammenden älteren Verletzungen bildlich dokumentiert noch haben sie eine Vernehmung der Beigeladenen in nüchternem Zustand vorgenommen. Nach Aktenlage lässt sich die vor Ort getroffene Gefahrenprognose nicht bestätigen. Denn es drohte der Beigeladenen keine gegenwärtige Gefahr. Denn eine Verletzung der Beigeladenen hatte weder gerade stattgefunden noch stand eine solche unmittelbar bevor. Vielmehr gaben beide Beteiligte des Streits übereinstimmend an, es habe sich nur um eine verbale Auseinandersetzung gehandelt.
10Jedenfalls im Zusammenhang mit der Kontrolle des Rückkehrverbots am 23. Juni 2016 bestand Anlass, die Aufrechterhaltung der Wohnungsverweisung zu überprüfen. Ausweislich des Aktenvermerks vom 24. Juni 2016 wurde der Antragsteller am Abend des Vortages in der gemeinsamen Wohnung angetroffen und sowohl die Beigeladene als auch der Antragsteller versuchten, dessen Aufenthalt zu verdecken. Beide wollten unbedingt, dass der Antragsteller in der Wohnung verbleiben darf und angesichts der sehr ruhigen Atmosphäre wurde dem von Seiten der eingesetzten Polizeibeamten zugestimmt.
11Bei dieser Sachlage stellt sich die weitere Aufrechterhaltung des Rückkehrverbotes als ermessensfehlerhaft dar. Es hätte vielmehr berücksichtigt werden müssen, dass das Gewicht der Gründe, die für die Aufrechterhaltung der Maßnahme sprachen, hier durch die Versöhnung des Paares zumindest erheblich gemindert wurde. Nur dies erklärt auch zwanglos, warum der Antragsteller am 23. Juni 2016 in der Wohnung verbleiben dufte. Zudem geht aus der Antragsschrift deutlich hervor, dass die Beigeladene von sich aus weder den Polizeieinsatz noch die Verhängung eines zehntägigen Rückkehrverbots gegenüber dem Antragsteller für geboten gehalten hat. Mit dem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes haben sodann der Antragsteller und die Beigeladene darauf hingewiesen, dass sie ihren Streit beigelegt hätten.
12Maßnahmen nach § 34a PolG NRW sollen der gefährdeten Person die Möglichkeit eröffnen, sich in Ruhe und ohne Druck über die persönliche Lebenssituation und das weitere Vorgehen Klarheit zu verschaffen und hierzu gegebenenfalls anwaltliche Beratung und/oder die Unterstützung sonstiger Beratungsstellen in Anspruch zu nehmen.
13Vgl. die Begründung des Gesetzentwurfs, Landtag NRW, Drs. 13/1525, S. 9, 12, 17; OVG NRW, Beschluss vom 25. Juni 2010 - 5 B 794/10 -.
14Derartiges ist von der Beigeladenen offenbar nicht beabsichtigt. Zwar führt der Umstand allein, dass die zu schützende Person mit einer Wohnungsverweisung oder einem Rückkehrverbot nicht einverstanden ist, in der Regel nicht automatisch zur Rechtswidrigkeit der Maßnahme, insbesondere wenn zweifelhaft bleibt, ob dem ein freier Wille zugrunde liegt. Das entbindet aber nicht von der Verpflichtung, ein darin ggf. zum Ausdruck kommendes gemindertes Schutzinteresse bei der Ausübung des Ermessens einzelfallbezogen zu berücksichtigen und mit der Schwere der drohenden Gefahr sowie schutzwürdigen Interessen des Antragstellers abzuwägen. Zumindest zu dem Zeitpunkt wäre eine Vernehmung der Beigeladenen erforderlich gewesen.
15Vor diesem Hintergrund spricht Überwiegendes dafür, dass der Antragsgegner spätestens die Informationen aus der Antragsschrift zum Anlass hätte nehmen müssen, von der weiteren Aufrechterhaltung des streitgegenständlichen Rückkehrverbots Abstand zu nehmen.
16Vgl. auch OVG NRW, Beschluss vom 14. Mai 2012 – 5 B 599/12 –, nrwe, Rn. 7 ff.
17Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Androhung des Zwangsgeldes ist anzuordnen, weil das Rückkehrverbot nicht mehr vollziehbar ist.
18Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3, 154 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG und entspricht der Streitwertpraxis des Oberverwaltungsgerichts in Verfahren der vorliegenden Art (vgl. zum Beispiel OVG NRW, Beschluss vom 14. Mai 2012 - 5 B 599/12).
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