Beschluss vom Verwaltungsgericht Münster - 1 L 1033/19
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 5.000 Euro festgesetzt.
1
G r ü n de
3Der sinngemäße Antrag des Antragstellers,
4die aufschiebende Wirkung der Klage vom 21. Oktober 2019 - 1 K 2613/19 - gegen den Bescheid des Polizeipräsidiums Münster vom 21. Oktober 2019 wiederherzustellen, soweit ein anderer als der vom ihm aufgezeigte Aufzugsweg bestätigt und eine Nutzung der Bundesautobahnen untersagt wird,
5ist als Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 Satz 1, 2. Alt. VwGO i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO zulässig, aber unbegründet.
61. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist formell ordnungsgemäß, insbesondere entspricht sie dem formalen Erfordernis der Begründung nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Der Antragsgegner hat in der Begründung der Vollziehungsanordnung auf Seite 8 seiner Verfügung vom 21. Oktober 2019 hinreichend erkennen lassen, dass er sich des Ausnahmecharakters der Anordnung der sofortigen Vollziehung bewusst war. Die Begründung weist auch einen noch ausreichenden Bezug zu dem vorliegenden Einzelfall auf, indem sie auf die Gefahren hinweist, die bei einer aufschiebenden Wirkung der Klage drohen würden.
72. Die vom Gericht gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung zwischen dem privaten Interesse des Antragstellers, von Vollzugsmaßnahmen einstweilen verschont zu bleiben, und dem öffentlichen Interesse am sofortigen Vollzug des Bescheides vom 21. Oktober 2019 fällt zu Lasten des Antragstellers aus.
8Die getroffene Regelung erweist sich nach der in diesem vorläufigen Rechtsschutzverfahren aus zeitlichen Gründen allein möglichen summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten als offensichtlich rechtmäßig – a) – und es besteht ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung – b) –.
9a) Die mit Ziffer III. des Bescheids des Polizeipräsidiums Münster vom 21. Oktober 2019 getroffene Regelung ist aller Voraussicht nach offensichtlich rechtmäßig.
10Das Polizeipräsidium Münster bestätigte unter dem 21. Oktober 2019 dem Antragsteller die Anmeldung der am 21. September (gemeint offensichtlich: Oktober) 2019 ab 21.30 Uhr in Bersenbrück ausgehenden Versammlung mit dem Thema „Begleitdemonstration zur Veranstaltung in Bonn“. Mit der Versammlung, zu der eine Teilnehmerzahl von bis zu 490 Personen mit ihren landwirtschaftlichen Zugmaschinen erwartet werden, soll auf dem Weg zur Kundgebung in Bonn am 22. Oktober 2019 auf die Situation der Landwirte in Deutschland aufmerksam gemacht und die Unzufriedenheit mit der aktuellen Agrarpolitik zum Ausdruck gebracht werden. Der Weg nach Bonn soll nach der Anmeldung des Antragstellers u.a. über die Bundesautobahnen 31, 2, 3, 59 und 565 führen. Abweichend hiervon bestätigte das Polizeipräsidium Münster mit Ziffer III. seines Bescheids dem Antragsteller den in der Anlage I zum Bescheid aufgeführten Versammlungsweg nach Bonn, der keine Benutzung von Bundesautobahnen vorsieht, und untersagte unter Anordnung der sofortigen Vollziehung ausdrücklich die Nutzung von Bundesautobahnen.
11Die hiernach getroffene Regelung, die Versammlung auf eine alternative Route unter Ausschluss der Benutzung von Bundesautobahnen zu verweisen, findet ihre Rechtsgrundlage in § 15 Abs. 1 VersG. Nach dieser Vorschrift kann die zuständige Behörde die Versammlung oder den Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist.
12Ist eine versammlungsbehördliche Verfügung auf eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit gestützt, erfordert die von der Behörde und den befassten Gerichten angestellte Gefahrenprognose tatsächliche Anhaltspunkte, die bei verständiger Würdigung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts ergeben. Bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen nicht aus. Gibt es neben Anhaltspunkten für die von der Behörde und den Gerichten zugrunde gelegte Gefahrenprognose auch Gegenindizien, haben sich die Behörde und die Gerichte auch mit diesen in einer den Grundrechtsschutz des Art. 8 Abs. 1 GG hinreichend berücksichtigenden Weise auseinanderzusetzen. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für ein Verbot oder eine Auflage liegt grundsätzlich bei der Behörde.
13Hierbei ist zu berücksichtigen, dass von dem Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters nach Art. 8 Abs. 1 GG prinzipiell auch die Auswahl des Ortes und die Bestimmung der sonstigen Modalitäten der Versammlung umfasst ist. Die Behörde hat im Normalfall lediglich zu prüfen, ob durch die Wahl des konkreten Versammlungsorts Rechte anderer oder sonstige verfassungsrechtlich geschützte Rechtsgüter der Allgemeinheit beeinträchtigt werden. Ist dies der Fall, kann der Veranstalter die Bedenken durch eine Modifikation des geplanten Ablaufs ausräumen oder aber es kommen versammlungsrechtliche Auflagen in Betracht, um eine praktische Konkordanz beim Rechtsgüterschutz herzustellen. Art. 8 Abs. 1 GG und dem aus ihm abgeleiteten Grundsatz versammlungsfreundlichen Verhaltens der Versammlungsbehörde entspricht es, dass auch bei Auflagen das Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters im Rahmen des Möglichen respektiert wird. Ferner ist von Bedeutung, ob durch die Auflage die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit beseitigt werden kann, ohne den durch das Zusammenspiel von Motto und geplantem Veranstaltungsort geprägten Charakter der Versammlung – ein Anliegen ggf. auch mit Blick auf Bezüge zu bestimmten Orten oder Einrichtungen am Wirksamsten zur Geltung zu bringen – erheblich zu verändern.
14Vgl. im Einzelnen: OVG NRW, Beschlüsse vom 3. November 2017 - 15 B 1370/17 -, juris, Rn. 8 ff., und vom 30. Januar 2017 - 15 A 296/16 -, juris, Rn. 10 ff.; jeweils m.w.N.
15Gemessen an diesen Maßstäben erweist sich Ziffer III. der angegriffenen Verfügung vom 21. Oktober 2019 nach summarischer Prüfung als rechtmäßig.
16Sieht man Bundesfernstraßen wie Bundesautobahnen (vgl. § 1 Abs. 2, Abs. 3 FStrG) nicht generell als versammlungsfreie Räume an, die aufgrund ihrer Widmung allein für den Straßenverkehr dem Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG entzogen sind, ist jedenfalls zu berücksichtigen, dass Verkehrsinteressen im Rahmen von versammlungsrechtlichen Anordnungen gemäß § 15 Abs. 1 VersG erhebliche Bedeutung beigemessen werden darf. Das Interesse des Veranstalters und der Versammlungsteilnehmer an der ungehinderten Nutzung einer Bundesfernstraße hat je nach Lage der Dinge im Einzelfall hinter die Belange der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs zurückzutreten. Für Bundesautobahnen gilt dies in herausgehobener Weise, weil sie gemäß § 1 Abs. 3 FStrG nur für den Schnellverkehr mit Kraftfahrzeugen bestimmt sind.
17Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 3. November 2017 - 15 B 1370/17 -, juris, Rn. 15 ff., und vom 30. Januar 2017 - 15 A 296/16 -, juris, Rn. 17 ff.; jeweils m.w.N.
18Dies zugrunde gelegt, gewährleistet die in Ziffer III. des Bescheids des Antragsgegners getroffene Regelung, den Antragsteller auf eine alternative Route unter Ausschluss der Benutzung von Bundesautobahnen zu verweisen, eine praktische Konkordanz der widerstreitenden Interessen, insbesondere der vorrangig betroffenen Grundrechte der Versammlungsfreiheit des Antragstellers aus Art. 8 Abs. 1 GG und der gefährdeten Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs sowie u.a. des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG) der übrigen Verkehrsteilnehmer; weitergehender Ermessenserwägungen bedurfte es insoweit nicht.
19Die vom Antragsgegner getroffene Gefahrenprognose lässt eine Gefahrsituation im vorstehenden Sinne erkennen. Der Antragsgegner ist ausgehend von der durchschnittlichen Verkehrslast pro Stunde in nachvollziehbarer Weise davon ausgegangen, dass auf der angemeldeten Route mit einem erheblichen Verkehrsaufkommen zu rechnen ist. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der Uhrzeit der angemeldeten Versammlung, zumal das Verkehrsaufkommen im einsetzenden morgendlichen Berufsverkehr stark ansteigt. Zugleich ist insoweit in Rechnung zu stellen, dass es sich nach den Erwartungen des Antragstellers um eine große Zahl von Versammlungsteilnehmern mit ihren landwirtschaftlichen Zugmaschinen handelt, die sich zudem über einen längeren Zeitraum im fließenden Verkehr bewegen sollen. Die hiernach zu erwartenden Verkehrsbehinderungen werden zusätzlich erhöht, wenn auf der angemeldeten Route einspurige Streckenabschnitte – etwa aufgrund von Baustellen oder in Folge von Verkehrsunfällen – zu passieren sind. Diese tatsächlichen Umstände rechtfertigen die Schlussfolgerung, dass eine Durchführung der Versammlung auf der angemeldeten Route zu erheblichen Verkehrsbehinderungen für eine große Zahl von Verkehrsteilnehmern führen würde.
20Zugleich ist der Antragsgegner zutreffend davon ausgegangen, dass von der Versammlung auf der angemeldeten Route eine Gefahr für die hochrangigen Rechtsgüter von Leib und Leben ausgeht. So bestünde – zumal bei Einspurigkeit – die Gefahr von Rückstaus mit einem entsprechend hohen Unfallrisiko, weil Kraftfahrzeuge mit hoher Geschwindigkeit auf den Aufzug des Antragstellers zuführen und innerhalb kürzester Zeit aus hoher Geschwindigkeit abrupt – ggf. bis zum Fahrzeugstillstand – abgebremst werden müssten. Dies gilt umso mehr, als Verkehrsteilnehmer auf Bundesautobahnen regelmäßig mit hohen Geschwindigkeiten unterwegs sind und zumindest grundsätzlich darauf vertrauen dürfen, dass andere Verkehrsteilnehmer nicht ohne triftigen Grund langsamer als 60 km/h fahren (vgl. § 3 Abs. 2, § 18 Abs. 1 Satz 1 StVO), und damit ein erheblicher Geschwindigkeitsunterschied zu den landwirtschaftlichen Zugmaschinen bestünde. Gefahrerhöhend wirken hier zudem die schlechte(re)n Sichtverhältnisse bei Dunkelheit. Hinzu tritt weiterhin die Gefahr sog. „Gaffer“-Unfälle auf der für den Verkehr freibleibenden Fahrbahn in Fahrtrichtung sowie den Fahrspuren in Gegenrichtung. Die Gefahr der Ablenkung der weiteren Verkehrsteilnehmer wird verstärkt durch die völlig Atypik, als Verkehrsteilnehmer auf einer Autobahn mit einer Versammlung konfrontiert zu werden, die nicht mit Ablenkungen vergleichbar ist, die sonst autobahntypisch z. B. durch Unfälle und Baustellenarbeiten hervorgerufen werden. Ein Verkehrslenkungs- und Sicherheitskonzept, das die vorstehend geschilderten Gefahren hinreichend effektiv zu vermeiden verspräche, ist – zumal in Anbetracht der kurzen zeitlichen Vorlaufzeit – nicht ersichtlich.
21Vor diesem Hintergrund wird die Versammlungsfreiheit des Antragstellers aus Art. 8 Abs. 1 GG nicht unverhältnismäßig beeinträchtigt. Der Antragsgegner hat seine Versammlung nicht – anders als der Antragsteller meint auch nicht faktisch – vollständig verboten, sondern als milderes Mittel diesen auf eine andere Route verwiesen. Dass bei Nutzung der Alternativroute ihrerseits größere Gefahren für die öffentliche Sicherheit drohten, kann das Gericht auf der Grundlage der plausiblen und nachvollziehbaren Gefahrenprognose des Antragsgegners nach Aktenlage – nicht zuletzt angesichts der deutlich höheren Geschwindigkeiten der Verkehrsteilnehmer auf Bundesautobahnen sowie des verringerten Verkehrsaufkommens auf Bundes- und Landstraßen nachts – nicht erkennen. Der Antragsteller ist für sein mit der Anmeldung zum Ausdruck gebrachtes Anliegen, auf die Situation der Landwirte in Deutschland aufmerksam zu machen und die Unzufriedenheit mit der aktuellen Agrarpolitik zum Ausdruck zu bringen, auch nicht zwingend auf die Nutzung der Autobahn selbst als Versammlungsort angewiesen, zumal es mit diesem nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang steht. Vielmehr kann er seinem Anliegen auch an anderen Orten, etwa auf der vom Antragsgegner angebotenen Alternativroute Ausdruck verleihen und hiermit die Öffentlichkeit erreichen. Dies gilt umso mehr, wenn man auf der Grundlage der Angaben des Antragstellers von einer Länge des Konvois von rund 20 km sowie einer Durchfahrtszeit von einer knappen Stunde ausgeht.
22Vgl. zum Vorstehenden: OVG NRW, Beschlüsse vom 3. November 2017 - 15 B 1370/17 -, juris, Rn. 19 f., und vom 30. Januar 2017 - 15 A 296/16 -, juris, Rn. 21 ff.
23b) Es besteht ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung. Ohne die sofortige Vollziehbarkeit könnte aufgrund der aufschiebenden Wirkung der Klage die Versammlung wie angemeldet durchgeführt werden, da mit einer rechtskräftigen Entscheidung über die Klage bis zum Abschluss der Veranstaltung offensichtlich nicht zu rechnen ist. Damit könnte den Gefahren für die öffentliche Sicherheit nicht wirksam begegnet werden, deren Abwehr der voraussichtlich rechtmäßige Bescheid vom 21. Oktober 2019 dient.
24Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 und 2 GKG.
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
- FStrG § 1 Einteilung der Bundesstraßen des Fernverkehrs 2x
- VwGO § 154 1x
- 15 B 1370/17 3x (nicht zugeordnet)
- §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 und 2 GKG 3x (nicht zugeordnet)
- § 18 Abs. 1 Satz 1 StVO 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 80 1x
- 1 K 2613/19 1x (nicht zugeordnet)
- 15 A 296/16 3x (nicht zugeordnet)
- § 15 Abs. 1 VersG 1x (nicht zugeordnet)