Urteil vom Verwaltungsgericht Münster - 6 K 53/20
Tenor
Der Bescheid des Beklagten vom 31. Januar 2019 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 6. Dezember 2019 wird aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
1
Tatbestand
2Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Pflegewohngeld für den Zeitraum vom 1. Februar 2019 bis 9. September 2019.
3Die am 9. September 2019 verstorbene Mutter der Klägerin, Frau H. W. , war pflegebedürftig und wurde ab dem 22. Juli 2017 vollstationär in einem Heim untergebracht.
4Am 17. Juli 2017 beantragte die Klägerin als Bevollmächtigte ihrer Mutter für diese unter anderem Pflegewohngeld.
5Mit Bescheid vom 22. August 2017 wurde der Mutter der Klägerin mit dem Einzug am 22. Juli 2017 in die vollstationäre Einrichtung „Haus T. “ in X. durchgängig Pflegewohngeld bewilligt.
6Mit Antrag vom 9. Januar 2019 begehrte die Klägerin als Bevollmächtigte der Mutter für diese zusätzlich Sozialhilfeleistungen. Infolge der neu eingereichten Unterlagen überprüfte der Beklagte die Voraussetzungen für die Gewährung von Pflegewohngeld erneut und stellte fest, dass die Mutter unter anderem über einen Bestattungsvorsorgevertrag und drei Sterbegeldversicherungen verfügte.
7Demzufolge hob der Beklagte mit Bescheid vom 31. Januar 2019 den Bewilligungsbescheid vom 22. August 2017 mit Wirkung zum 1. Februar 2019 auf und begründete dies damit, dass das vorhandene Vermögen der Mutter den geschützten Betrag von 10.000 € übersteige, da unter anderem der Bestattungsvorsorgevertrag anzurechnen und es der Mutter zuzumuten sei, den Betrag zur Bestreitung der Heimpflegekosten einzusetzen. Damit sei der Bescheid vom 22. August 2017 nach § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) zum 1. Februar 2019 zurückzunehmen.
8Dagegen legte die Klägerin Widerspruch ein, den sie damit begründete, dass die Berücksichtigung des Bestattungsvorsorgevertrages rechtswidrig erfolgt sei. Dieser sollte der Beerdigung dienen; es stelle eine besondere Härte dar, sollte die Mutter dieses Geld verbrauchen müssen.
9Mit Widerspruchsbescheid vom 6. Dezember 2019 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Nach § 48 SGB X sei der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, wenn eine wesentliche Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse eingetreten sei. So liege es hier. Bei der Erstantragsstellung seien die drei vorhandenen Sterbegeldversicherungen und der Bestattungsvorsorgevertrag nicht angegeben worden, die tatsächlichen finanziellen Verhältnisse seien demnach erst bei der erneuten Antragstellung bekannt geworden. Insbesondere sei es der Klägerin zuzumuten, den Bestattungsvorsorgevertrag als größten finanziellen Reserveposten zur Finanzierung der Investitionskosten der Heimunterbringung einzusetzen. Dies ergebe sich daraus, dass sich die Klägerin mit Übergabevertrag vom 4. Juli 2002 im Gegenzug zur Übergabe eines Grundbesitzes in X. unter anderem verpflichtet habe, die Kosten einer standesgemäßen Bestattung der Eltern und Grabpflege zu übernehmen, soweit diese nicht durch Versicherung oder Sterbegelder gedeckt seien. Durch diese Verpflichtung habe die Mutter der Klägerin allerdings schon ausreichend vorgesorgt, sodass es des Bestattungsvorsorgevertrages nicht mehr bedürfe und dieser damit einzusetzen sei. Wenn der Bestattungsvorsorgevertrag als Härte geschützt würde, käme dies im Ergebnis der Tochter zugute, da diese dann ihrer Verpflichtung aus dem Übergabevertrag nicht mehr nachkommen müsste. Dies sei aber sozialhilferechtlich nicht schützenswert. Unter Ausübung des gesetzlich eingeräumten Ermessens könne keine andere Entscheidung getroffen werden.
10Die Klägerin hat am 9. Januar 2020 Klage erhoben.
11Sie macht im Wesentlichen geltend: die Anrechnung des Bestattungsvorsorgevertrages sei rechtswidrig erfolgt. Der Bestattungsvorsorgevertrag sei allein für die Bestattung der Mutter vorgesehen gewesen. So sei auch der Passus des § 7 des Übergabevertrages zu verstehen, wonach sie für die Bestattung nur zu sorgen habe, soweit nicht Versicherungen oder Sterbegelder eingriffen.
12Die Klägerin beantragt,
13den Bescheid des Beklagten vom 31. Januar 2019 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 6. Dezember 2019 aufzuheben.
14Der Beklagte beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Unter Wiederholung und Vertiefung des außergerichtlichen Vortrages macht er im Wesentlichen geltend, dass es im vorliegenden Verfahren nicht um die Angemessenheit, also die Höhe des Bestattungsvorsorgevertrages gehe, sondern darum, dass sich die Klägerin mit Übergabevertrag eines Wohnhauses bereits verpflichtet habe, für eine standesgemäße Bestattung und Grabpflege der Mutter aufzukommen. Eine weitere, überobligatorische, Absicherung, z.B. durch einen Bestattungsvorsorgevertrag, sei daher nicht schützenswert, zumal die Mutter der Klägerin noch über drei Sterbegeldversicherungen verfügt habe.
17Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.
18Entscheidungsgründe
19Die zulässige Klage hat Erfolg.
20Der Bescheid des Beklagten vom 31. Januar 2019 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 6. Dezember 2019 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
21Die Voraussetzungen des § 48 SGB X als allein in Betracht kommende Ermächtigungsgrundlage für die Abänderung des Bescheides vom 22. August 2017 liegen nicht vor. Nach § 48 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung - wie es hier der Beklagte für die Bewilligung von Pflegewohngeld erkennbar angenommen hat – bei Änderung der Verhältnisse für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist.
22Dies wäre nur gegeben, wenn das Bestehen eines Bestattungsvorsorgevertrages tatsächlich zu einer wesentlichen Änderung der tatsächlichen bzw. rechtlichen Verhältnisse führen würde, nämlich dadurch, dass er als nicht schützenswertes und damit verwertbares Vermögen anzusehen wäre. Dies ist allerdings nicht der Fall.
23Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 des Alten- und Pflegegesetzes Nordrhein-Westfalen (APG NRW) wird Pflegewohngeld in vollstationären Dauerpflegeeinrichtungen in Nordrhein-Westfalen als Unterstützung der Personen (Anspruchsberechtigte) gewährt, die gemäß § 14 des Sozialgesetzbuches 11 (SGB XI) pflegebedürftig und nach § 43 SGB XI oder im Rahmen einer privaten Pflegeversicherung anspruchsberechtigt sind und deren Einkommen zur Finanzierung der von ihnen ansonsten zu tragenden förderungsfähigen Aufwendungen im Sinne des § 10 Abs. 1 ganz oder teilweise nicht ausreicht. Nach § 14 Abs. 2 Satz 1 APG NRW wird Pflegewohngeld nicht gezahlt, wenn unter anderem durch Einsatz eigenen Einkommens und Vermögens die Zahlung der Investitionskosten möglich ist. Nach § 14 Abs. 3 Satz 1 APG NRW erfolgt die Ermittlung des einzusetzenden monatlichen Einkommens und Vermögens unter anderem entsprechend der Regelungen des Elften Kapitels des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII). Nach der danach anzuwendenden Vorschrift des § 90 Abs. 1 SGB XII ist das gesamte verwertbare Vermögen einzusetzen. Zum Vermögen in diesem Sinn gehören bewegliche und unbewegliche Güter und Rechte, sofern der zum Vermögenseinsatz Verpflichtete Eigentümer oder Rechtsinhaber ist, sie in Geld schätzbar sind und eine gewisse Wertbeständigkeit aufweisen. Hiervon erfasst werden auch Forderungen bzw. Ansprüche gegen Dritte. Die Verwertbarkeit des Vermögens setzt voraus, dass der Vermögensinhaber unter rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkten über das Vermögen verfügen kann und auch in der Lage ist, es rechtzeitig zur Bedarfszeit zu realisieren.
24Vgl. BSG, Urteil vom 18. März 2008 - B 8/9b SO 9/06 R -, Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge (ZEV) 2008, 539, mit weiteren Nachweisen.
25In Anwendung dieser Maßgaben stand der Mutter der Klägerin in dem hier in Rede stehenden Zeitraum kein hinreichendes einzusetzendes Vermögen im Sinn der genannten Vorschriften zur Deckung der Investitionskosten zur Verfügung.
26Insbesondere kann von der Mutter der Klägerin nicht verlangt werden, die im Hinblick auf ihre dereinstige Bestattung auf den geschlossenen Bestattungsvorsorgevertrag gezahlten Beträge in Höhe von insgesamt 6.000 € für die Investitionskosten einzusetzen.
27Zwar gehörten diese Beträge im streitigen Zeitraum zum verwertbaren Vermögen der Mutter der Klägerin, weil der Vertrag - was zwischen den Beteiligten im Ergebnis nicht streitig ist – jedenfalls durch die Berechtigte selbst hätte gekündigt werden können und der Mutter der Klägerin dann entsprechende Rückzahlungsansprüche zugestanden hätten. Jedoch stellte der Einsatz dieses Vermögens für die Mutter der Klägerin eine Härte im Sinne des § 14 Abs. 3 S. 1 APG NRW i.V.m. § 90 Abs. 3 S. 1 SGB XII dar.
28Nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichtes für das Land Nordrhein-Westfalen ist geklärt, dass die Verwertung des zum Zweck der angemessenen Bestattungsvorsorge und der angemessenen Grabpflege vorgesehenen Vermögens eines Heimbewohners in Anlehnung an die sozialhilferechtliche Rechtsprechung auch im Pflegewohngeldrecht grundsätzlich eine Härte bedeuten würde.
29Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 27. Februar 2013 - 12 A 1255/12 -, juris, Rn. 3, mit weiteren Nachweisen.
30Auch nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist der Wunsch vieler Menschen, für die Zeit nach ihrem Tod vorzusorgen, dahin zu respektieren, dass ihnen die Mittel erhalten bleiben, die sie für eine angemessene Bestattung (und eine angemessene Grabpflege) zurückgelegt haben. Denn nur auf diese Weise, d.h. nur dann, wenn die für Bestattung und Grabpflege zurückgelegten Mittel zu Lebzeiten nicht zu einem anderen Zweck eingesetzt werden müssen, stehen sie nach dem Tod für Bestattung und Grabpflege zur Verfügung.
31Vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Dezember 2003 - 5 C 84.02 -, juris, Rn. 22 = NJW 2004, 2914.
32Unter Anwendung dieser Grundsätze hat hier im Ergebnis nichts anders zu gelten.
33Zwar schließt eine schuldrechtliche Vereinbarung, mit der sich der Schuldner verpflichtet, die Kosten einer angemessenen Bestattung des Gläubigers zu tragen, die Annahme einer Härte im Sinne des § 90 Abs. 3 SGB XII beim Einsatz eines durch Bestattungsvorsorgevertrag angelegten Vermögens des Gläubigers für die Gewährung von Pflegewohngeld aus. Hat der Pflegeheimbewohner durch einen Vertrag bereits in vollem Umfang Vorsorge für seine angemessene Bestattung getroffen, bedeutet es für ihn keine Härte, wenn er sein Vermögen aus einem zusätzlich abgeschlossenen Bestattungsvorsorgevertrag für den Investitionskostenanteil des von ihm belegten Heimplatzes einsetzen muss.
34Dies gilt jedoch nicht, soweit nach der vertraglichen Regelung der schuldrechtlichen Verpflichtung des Schuldners zur Tragung der angemessenen Bestattungskosten anderweitige Leistungen für die Bestattung des Gläubigers (hier: Bestattungsvorsorgevertrag) vorgehen sollen.
35Ein solcher Fall ist hier gegeben.
36Soweit der Beklagte im vorliegenden Verfahren auf den Übergabevertrag aus dem Jahr 2002 abstellt und daraus ableitet, die Klägerin habe sich vertraglich verpflichtet, die Beerdigung und die Grabpflege ihrer Eltern zu übernehmen – mit der Folge, dass Gelder, die zu Bestattungszwecken angespart wurden, verwertbar seien - so greift dieser Einwand nicht durch.
37Die vertragliche Regelung in § 7 des Übergabevertrages, auf die sich der Beklagte beruft, ist wie folgt gefasst:
38„Die Erschienene zu 2. trägt für die Erschienenen zu 1. die Kosten einer standesgemäßen Beerdigung und der laufenden Grabpflege, soweit diese nicht durch Versicherung oder Sterbegelder gedeckt sind.“
39Schon nach dem Wortlaut der Vertragsklausel schuldet die Klägerin ihren Eltern eine Bestattung und Grabpflege nur insoweit, wie nicht Sterbegelder oder Versicherung die Kosten decken. Dies ist dahingehend zu verstehen, dass die Klägerin die Kosten der Bestattung und Grabpflege nur zu tragen hat, soweit nicht andere für die Bestattung vorgesehenen Gelder vorhanden sind.
40Der Mutter der Klägerin war es – so ergibt es sich auch aus der Befragung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung - sehr daran gelegen, für ihre Beerdigung eigenständig vorzusorgen und für den Fall des Todes finanziell keine Belastung darzustellen. Dass der Mutter eine eigene Vorsorge nach dem Tod ganz besonders wichtig war, lässt sich auch daran erkennen, dass diese schon in den Jahren 1966, 1975 und 1990 jeweils eine Sterbegeldversicherung in Höhe von insgesamt 3.580 € abgeschlossen hatte. Der Wunsch nach eigener angemessener Vorsorge und Regelungen für den Fall des Todes – unabhängig von familiären, moralischen oder möglicherweise bestehenden rechtlichen Verpflichtungen Dritter, insbesondere Angehöriger – ist aber mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu respektieren. Dass der hier gegenständliche Bestattungsvorsorgevertrag in Höhe von 6.000 € auch unter Berücksichtigung der zuvor abgeschlossenen Sterbegeldversicherungen den Rahmen des Angemessenen nicht übersteigt, ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Auch der Zeitpunkt des Abschlusses des Bestattungsvorsorgevertrages bereits im Jahr 2015 lässt erkennen, dass kein unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang mit der Heimaufnahme der Mutter der Klägerin und der Erstantragsstellung im Jahr 2017 besteht.
41Die Kosten des nach § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfreien Verfahrens trägt der Beklagte, § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
- § 43 SGB XI 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 154 1x
- ZPO § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung 1x
- § 90 Abs. 1 SGB XII 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 113 1x
- 12 A 1255/12 1x (nicht zugeordnet)
- § 90 Abs. 3 S. 1 SGB XII 1x (nicht zugeordnet)
- § 90 Abs. 3 SGB XII 1x (nicht zugeordnet)
- § 14 Abs. 3 Satz 1 APG 1x (nicht zugeordnet)
- § 14 Abs. 3 S. 1 APG 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 167 1x
- § 14 Abs. 2 Satz 1 APG 1x (nicht zugeordnet)
- 9b SO 9/06 1x (nicht zugeordnet)
- § 48 SGB X 3x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 188 1x