Urteil vom Verwaltungsgericht Münster - 3 K 472/18.A
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung in entsprechender Höhe Sicherheit leistet.
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Der Kläger ist eigenen Angaben nach türkischer Staatsangehöriger und türkischer Volkszugehöriger. Er reiste mit dem Flugzeug und mit einem am 20. 12. 2017 ausgestellten Schengen-Visum am 10. 1. 2018 in die Bundesrepublik ein. Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 26. 1. 2018 gab er an, er gehöre wie auch seine Eltern der Gülen-Bewegung an. Er habe seit der Mittelschule Bildungseinrichtungen und Internate der Gülen-Bewegung besucht und in der Mittelschule Nachhilfe von Studenten erhalten, die der Gülen-Bewegung angehört hätten. Während des Studiums habe er die Leitung von zehn Wohngruppen übertragen bekommen. Er habe die neuen Studenten auf die Wohnungen verteilt und ihnen auch die Stadt J. und die Gülen-Bewegung nähergebracht. Nach dem Putschversuch von 2016 habe er nichts mehr für die Bewegung gemacht. Sein Vater sei bis dahin Lehrer an einem Gymnasium in N. gewesen und habe sich dann wegen Problemen mit Leuten von der AKP an eine Mittelschule in J1. versetzen lassen. Am 29. 7. 2016 sei sein Vater von der Polizei für eine Aussage mitgenommen worden und dann aber im Gefängnis festgehalten worden. Sein Vater sei wegen Mitgliedschaft in einer Terrororganisation angeklagt worden. Seiner Mutter, seinen Geschwistern und ihm, dem Kläger, sei nichts geschehen. Weil sein Vater im Gefängnis gesessen habe, habe er sich aber nicht als Lehrer an staatlichen Schulen bewerben können; er habe deshalb in einer Bäckerei gearbeitet. Zwei seiner Freunde aus der Bäckerei, die ebenfalls in der Gülen-Bewegung gewesen seien, seien deswegen festgenommen worden. Er selber werde in seinem Viertel auch seltsam und wütend angeschaut, weil bekanntgeworden sei, dass er mit der Gülen-Bewegung zu tun gehabt habe. Er habe befürchtet, dass die Leute seinen Namen an die Polizei weitergäben; deshalb sei er nach Deutschland geflüchtet. Von einem Verfahren gegen ihn habe er aber nichts erfahren.
3Mit Bescheid vom 30. 1. 2018 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Anerkennung als Asylberechtigter und auf Zuerkennung subsidiären Schutzes ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Ferner forderte es den Kläger auf, die Bundesrepublik innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe des Bescheids zu verlassen, und drohte ihm die Abschiebung in die Türkei an. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot befristete es auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung. Zur Begründung führte es aus, der Kläger habe vor seiner Ausreise keine Schwierigkeiten mit den türkischen Behörden gehabt. Seine Befürchtungen beruhten auf Vermutungen und Spekulationen. Er sei in der Lage gewesen, ohne Einschränkungen seiner Arbeit nachzugehen und die Türkei noch im Januar 2018 legal mit einem Visum auf dem Luftweg zu verlassen.
4Der Kläger hat am 6. 2. 2018 Klage erhoben und bezieht sich auf sein bisheriges Vorbringen. Er ergänzt, er sei bereits deshalb gefährdet, weil inzwischen eine Gruppenverfolgung von Gülen-Anhängern in der Türkei stattfinde. Davon abgesehen, sei er auch individuell gefährdet, weil er ein Konto bei der Bank B. habe, auf dem noch Geldeingänge bis zum 7. 12. 2015 zu verzeichnen gewesen seien. Es sei für eine strafrechtliche Verfolgung in der Türkei schon ausreichend, wenn eines der Kriterien für die Gülen-Anhängerschaft erfüllt sei. Bei ihm lägen aber ohnehin mehrere Kriterien vor, da er auch mehrere Wohngruppen der Gülen-Bewegung geleitet habe und der Anwalt seines Vaters in dessen Strafverfahren den Behörden mitgeteilt habe, dass nicht dieser, sondern er, der Kläger, den Messengerdienst Bylock bis Juli 2016 genutzt habe. Schließlich sei auch seine Mutter verhaftet und inzwischen zu fünf Jahren Freiheitsstrafe wegen Mitgliedschaft in der angeblichen Terrororganisation FETÖ verurteilt worden, weil sie Gesprächskreise geleitet und das Programm Bylock genutzt habe. Er habe erfahren, dass in diesem Zusammenhang im Jahr 2018 auch nach ihm selbst gefahndet worden sei. In der mündlichen Verhandlung trägt er erstmals vor, er sei an einem Privatgymnasium in F1. aktiv, das zur Gülen-Bewegung gehöre. Er sei dort Vertreter des Direktors im Studentenwohnheim und achte darauf, dass die Hausordnung eingehalten werde. Außerdem mache er mit Schülern und Studenten Ausflüge, biete psychologische Beratung an und unterstütze sie.
5Der Kläger beantragt,
6unter Aufhebung des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 30. 1. 2018 die Beklagte zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen,
7sowie die Beklagte zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,
8hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, ihm subsidiären Schutz zuzuerkennen,
9weiter hilfsweise die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 oder § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich der Türkei besteht.
10Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
11die Klage abzuweisen.
12Die Beklagte bezieht sich zur Begründung auf die Begründung des angefochtenen Bescheids.
13Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
14E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
15Das Gericht konnte trotz Ausbleibens der Beklagten zur Sache verhandeln und entscheiden, weil die Beklagte in der ordnungsgemäßen Ladung gemäß § 102 Abs. 2 VwGO darauf hingewiesen worden ist, dass auch ohne sie verhandelt und entschieden werden kann.
16Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
17Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 30. 1. 2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, denn er hat keinen Anspruch auf die Anerkennung als Asylberechtigter, auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder subsidiären Schutzes oder die Feststellung von Abschiebungsverboten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 VwGO).
18Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Anerkennung als Asylberechtigter gemäß Art. 16 a Abs. 1 GG und auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG i. V. m. § 3 AsylG, weil er nicht politisch verfolgt ist bzw. sein Leben oder seine Freiheit nicht wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist.
19Der Kläger hat im Fall seiner Rückkehr in die Türkei nach der Überzeugung des Gerichts nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine politische Verfolgung wegen einer Zurechnung zur Gülen-Bewegung zu befürchten.
20Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer eine Verfolgung aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d. h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann.
21BVerwG, Urteil vom 20. 2. 2013 – 10 C 23.12 – juris, Rdn. 32.
22Eine Gruppenverfolgung allein wegen einer allgemeinen Zurechnung zur Gülen-Bewegung hat der Kläger nicht zu befürchten. Es kann dahinstehen, ob bereits Anhaltspunkte für eine staatliche Gruppenverfolgung von Anhängern der Gülen-Bewegung vorliegen, da jedenfalls die Merkmale, nach denen der türkische Staat Personen der Gülen-Bewegung zurechnet, nicht hinreichend kongruent sind, um sie als eine durch ein gemeinsames und unverzichtbares Merkmal im Innern geprägte und auch eine nach außen deutlich abgegrenzte Identität innehabende Gruppe im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 4 AsylG anzusehen.
23Die Annahme einer Gruppenverfolgung setzt voraus, dass entweder sichere Anhaltspunkte für ein an asylerhebliche Merkmale anknüpfendes staatliches Verfolgungsprogramm oder für eine bestimmte Verfolgungsdichte vorliegen, welche die „Regelvermutung“ eigener Verfolgung rechtfertigt. Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne Weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht.
24Dies ist bei vom türkischen Staat der Gülen-Bewegung zugerechneten Personen nicht der Fall, wie der Blick auf die unterschiedlichen Anhaltspunkte zeigt, welche der türkische Staat im Einzelfall als Indiz für eine Anhängerschaft ausreichen lässt oder auch nicht:
25Die vom islamistischen, seit 1999 im Exil in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen 1969 gegründete Bewegung war lange Zeit eng mit der AKP verbunden und hat durch ihr Engagement im Bildungsbereich über Jahrzehnte ein islamisches Bildungs-Elitenetzwerk aufgebaut, aus dem die AKP nach der Regierungsübernahme 2002 Personal für die staatlichen Institutionen rekrutierte im Rahmen ihrer Bemühungen, die kemalistischen Eliten zurückzudrängen. Im Dezember 2013 kam es zum politischen Zerwürfnis zwischen der AKP und der Gülen-Bewegung, als der Bewegung zugerechnete Staatsanwälte und Richter Korruptionsermittlungen gegen die Familie des damaligen Ministerpräsidenten Erdogan sowie Minister seines Kabinetts aufnahmen. Seitdem wirft die Regierung Gülen und seiner Bewegung vor, die staatlichen Strukturen der Türkei unterwandert zu haben. Seit Ende 2013 hat die Regierung in mehreren Wellen Zehntausende mutmaßlicher Anhänger der Gülen-Bewegung in diversen staatlichen Institutionen suspendiert, versetzt, entlassen oder angeklagt. Die Regierung hat ferner Journalisten strafrechtlich verfolgt und Medienkonzerne, Banken und auch andere Privatunternehmen durch die Einsetzung von Treuhändern zerschlagen und teils enteignet. Die türkische Regierung hat die Gülen-Bewegung als terroristische Organisation eingestuft, die sie „FETÖ“ oder auch „FETÖ/PDY“ nennt („Fethullahistische Terrororganisation/ Parallele Staatliche Struktur“)
26Vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 14. 6. 2019, S. 4; Kamil Taylan an VG Karlsruhe vom 13. 1. 2017, S. 8 f.
27Zum Stand August 2016 sind 35 Gesundheitseinrichtungen, 1.045 Bildungsinstitutionen, 104 Stiftungen, 1.125 Vereine, 15 Universitäten sowie 29 Gewerkschaften wegen angeblicher Verbindungen zur Gülen-Bewegung geschlossen worden.
28Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich (BFA), Kurzinformation vom 4. 8. 2016, S. 1 m. w. N.
29Aktuell liegen auch nach Einschätzung des Auswärtigen Amts deutliche Anhaltspunkte für eine systematische Verfolgung vermeintlicher Anhänger der Gülen-Bewegung vor, welcher von türkischer Regierungsseite her der Putschversuch im Juli 2016 zur Last gelegt wird.
30Vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 14. 6. 2019, S. 9 f.
31Türkische Behörden und Gerichte können eine Person nicht erst dann als „FETÖ“-Terrorist einordnen, wenn diese Mitglied der Gülen-Bewegung ist oder persönliche Beziehungen zu den Mitgliedern der Bewegung unterhält. Als Indiz für eine Mitgliedschaft in der Gülen-Bewegung genügen aus Sicht der türkischen Sicherheitsbehörden u. a. schon der Besuch der Person oder eines Kindes an einer der Organisation angeschlossenen Schule, die Einzahlung von Geldern in eine der Organisation angeschlossenen Bank, also Geldanlagen nach dem Aufruf von Fetullah Gülen ab 25. Dezember 2013 bei der Bank Asya, der Besitz einer 1-US-Dollar-Banknote der F-Serie (als geheimes Erkennungszeichen), die Anstellung an einer mit der Gülen-Bewegung (ehemals) verbundenen Institution, z. B. einer Universität oder einem Krankenhaus, das Abonnieren der (vormaligen) Gülen-Zeitung „Zaman“ oder der Nachrichtenagentur Cihan oder der Besitz von Gülens Büchern sowie Kontakte zu der Gülen-Bewegung zugeordneten Einrichtungen. Nutzer der Smartphone-Anwendung „ByLock“ stehen ebenfalls in Verdacht, 23.171 Nutzer sind verhaftet, allerdings auch Hunderte Personen zu Unrecht der Nutzung der mobilen Anwendung beschuldigt und deswegen wieder freigelassen worden.
32Vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 14. 6. 2019, S. 9 f.; BFA, Länderinformationsblatt Türkei vom 18. 10. 2018, S. 14 m. w. N.
33Daher kann davon ausgegangen werden, dass eine Person, welche der türkische Staat der Gülen-Bewegung zurechnet, in der Türkei mit systematischen asylerheblichen Verfolgungshandlungen rechnen muss. Ob bereits eine vermutete Gülen-Anhängerschaft ausreicht, wegen Terrorverdachts inhaftiert zu werden, hängt vom Einzelfall und den plausibel geltend gemachten Ansatzpunkten ab, die aus Sicht des türkischen Staats eine solche Zurechnung tragen würden. Gülen-Anhänger werden wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung angeklagt. Zusätzlich können sie noch wegen Terrorfinanzierung, Leitung bestimmter Gruppierungen, als Imame der Armee, Polizei, usw. angeklagt werden. Die Höchststrafe ist lebenslänglich. Mehrere Delikte (z. B. Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, Finanzierung, Mord, etc.) können gleichzeitig angeklagt werden, eventuell verhängte Freiheitsstrafen werden zusammengerechnet.
34BFA, Länderinformationsblatt Türkei vom 18. 10. 2018, S. 14.
35Daraus ergibt sich derzeit noch kein so konkretes und vom türkischen Staat auch konsequent angewandtes Profil einer Einstufung einer Person als Gülen-Anhänger und ihrer Zurechnung zur Gülen-Bewegung, dass dieses den Rückschluss zuließe, dass jede Person, die dieses Profil erfüllt, bereits in das Risiko einer landesweiten Verfolgung geriete. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass eine nicht näher objektivierbare Gewichtung von einzelnen Anhaltspunkten seitens des türkischen Staats vorgenommen wird, ohne dass im Einzelfall von außen immer nachvollziehbar ist, ob und warum eine Person zugerechnet wird oder nicht. Dies gilt auch für den Kläger.
36Im Einzelfall kann jedoch eines der genannten Kriterien bereits ausreichen, um ein Ermittlungsverfahren einzuleiten. Eine Verurteilung setzt in der Regel das Zusammentreffen mehrerer dieser Indizien voraus.
37Vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 14. 6. 2019, S. 5 und 9 f.; Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke u. a. zur Situation der Gülen-Bewegung, BT-Drs. 19/3397, S. 3 f.
38Im September 2017 entschied der Kassationsgerichtshof, dass der Besitz von „Bylock“ einen ausreichenden Nachweis für die Aufnahme in die Gülen-Bewegung darstellt. Im Oktober 2017 entschied das Gericht jedoch, das Sympathisieren mit der Gülen-Bewegung sei nicht gleichbedeutend mit einer Mitgliedschaft und stelle somit keinen ausreichenden Nachweis für letztere dar. Mehrere Personen, die wegen angeblicher Nutzung von „Bylock“ verhaftet wurden, wurden freigelassen, nachdem im Dezember 2017 nachgewiesen wurde, dass Hunderte von Personen zu Unrecht der Nutzung der mobilen Anwendung beschuldigt wurden. Ende September 2018 wurden mindestens 21 Verdächtige in Istanbul verhaftet, denen vorgeworfen wurde, „Bylock“ zu verwenden und an Trainingsaktivitäten des Unternehmens beteiligt gewesen zu sein. Das Oberste Berufungsgericht entschied, dass diejenigen, die nach dem Aufruf von Fethullah Gülen Anfang 2014 Geld bei der Bank Asya eingezahlt haben, als Unterstützer und Begünstiger der Gülen-Bewegung angesehen werden könnten. Die Generalstaatsanwaltschaft Ankara hat Ende Mai 2018 Haftbefehle gegen 59 Personen erlassen, die Kunden der inzwischen geschlossenen Bank waren.
39BFA, Länderinformationsblatt Türkei vom 18. 10. 2018, S. 14 f.
40In besonderem Maße sind Richter und Staatsanwälte, Polizeibeamte und Armeeangehörige sowie Lehrer, Journalisten und Wissenschaftler von den Verfolgungsmaßnahmen betroffen.
41Bei Verfahren, die politische Tatvorwürfe zum Gegenstand haben, werden rechtsstaatliche Standards nicht eingehalten. Hinsichtlich der Strafzumessungs- und Strafverfolgungspraxis in der Türkei zeigt sich ein ambivalentes Bild: Einerseits wurden der Türkei Fortschritte im Bereich der Justiz bescheinigt, andererseits bestehen auch erhebliche Defizite (z. B. teilweise exzessiv lange Dauer der Strafverfahren und der Untersuchungshaft). Die Notstandsdekrete und Gesetzesänderungen im Nachgang des Putschversuchs vom Juli 2016 haben die Unabhängigkeit der Justiz eingeschränkt; Massenentlassungen und der Ersatz erfahrener Richter und Staatsanwälte durch unerfahrenes Personal haben zu Kapazitätsengpässen in der Justiz geführt und neben dem auf die Justiz ausgeübten politischen Druck die Aussicht auf ein ordnungsgemäßes und faires Verfahren eingeschränkt.
42Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 14. 6. 2019, S. 14 f.; BFA, Länderinformationsblatt Türkei vom 18. 10. 2018, S. 23 ff.
43Ebenso wurde im zweiten Anlauf der Hohe Rat der Richter und Staatsanwälte (HSK), welcher u. a. über Verwarnungen, Versetzung oder den Verbleib im Beruf dieser Justizbediensteten entscheidet, einer stärkeren Kontrolle des Justizministeriums unterworfen; im Nachgang zum Putschversuch wurde ein nicht unerheblicher Teil des HSK-Personals (insgesamt 14.993) im Rahmen von Versetzungen ausgetauscht. Seit dem Putschversuch vom Juli 2016 wurden außerdem 4.166 Richter und Staatsanwälte entlassen.
44Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 14. 6. 2019, S. 14; BFA, Länderinformationsblatt Türkei vom 18. 10. 2018, S. 25; vgl. auch Kamil Taylan an VG Karlsruhe vom 13. 1. 2017, S. 13.
45Insbesondere in Verfahren wegen des Vorwurfs einer Mitgliedschaft in der PKK, DHKP-C und „FETÖ“ kann nur noch sehr eingeschränkt von einer unabhängigen Justiz ausgegangen werden.
46Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 14. 6. 2019, S. 14.
47Das türkische Recht sichert die grundsätzlichen Verfahrensgarantien im Strafverfahren. Anders als bei Fällen von allgemeiner Kriminalität sind in Verfahren mit politischen Tatvorwürfen bzw. Terrorismusbezug unabhängige Verfahren kaum bzw. zumindest nicht durchgängig gewährleistet, insbesondere werden im Südosten Fälle mit Bezug zur angeblichen Mitgliedschaft in der PKK oder KCK sowie Fälle mit Gülen-Bezug häufig als geheim eingestuft und eine Akteneinsicht von Verteidigern, bisweilen auch ihre Teilnahme an Befragungen unterbunden. Im Zuge der strafrechtlichen Aufarbeitung des Putschversuches vom Juli 2016 schränkte das Dekret 668 am 27. 7. 2016 die regulären Verfahrensgarantien für Personen weitreichend ein, auch wenn es mittlerweile entschärft wurde. So reicht für diese Personengruppe u.a. die maximale Dauer des Polizeigewahrsams zunächst 7 Tage mit einer einmaligen Verlängerung um weitere 7 Tage. Außerdem wurde für die Strafverfolgungsbehörden die Möglichkeit geschaffen, das Recht von inhaftierten Beschuldigten, ihren Verteidiger zu treffen, für 24 Stunden einzuschränken bzw. für diese Zeit auch jeden Kontakt zu verbieten, nachdem Teile dieser Bestimmungen durch eine Änderung der Notstandsdekrete vom 23. 1. 2017 rückgängig gemacht wurden. Die Kommunikation zwischen Mandanten und Verteidigern kann audio-visuell überwacht werden; in zahlreichen Fällen im Zusammenhang mit Terrorismusvorwürfen wurde der überwachte Kontakt mit dem Verteidiger auf bis zu eine Stunde pro Woche in Anwesenheit eines Beamten reduziert und wird mittlerweile wieder zeitlich unbeschränkt gewährleistet.
48Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 14. 6. 2019, S. 15.
49Grundsätzliche Probleme werfen die Verhaftungswellen gegen Rechtsanwälte auf, die wegen PKK- oder „FETÖ“-Verdachts Angeklagten beistanden und teils deswegen selbst verhaftet wurden. Angeklagte in diesen Verfahren wegen „Terrorismus“-Verdachts haben Schwierigkeiten, überhaupt noch vertretungsbereite Rechtsanwälte zu finden.
50Vgl. VG Augsburg, Urteil vom 12. 11. 2019 – Au 6 K 17.34204 –, juris, Rdn. 46 m. w. N.
51Grundsätzlich kommt es nicht zu einer Verurteilung, wenn der Angeklagte bei Gericht – etwa durch Abwesenheit – nicht wenigstens einmal gehört werden konnte. Es kommen dann die Fristen für Verfolgungs- und Vollstreckungsverjährung zum Tragen.
52Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 14. 6. 2019, S. 16.
53Dies zugrunde gelegt, geht das Gericht davon aus, dass Personen, die in der Türkei wegen der Anhängerschaft oder Mitgliedschaft in der Gülen-Bewegung Strafverfolgung zu befürchten haben, im Einzelfall eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung drohen kann. Das gilt auch für Personen, die keine führende Stellung in der Gülen-Bewegung innehatten bzw. noch innehaben.
54Vgl. VG Augsburg, Urteil vom 20. 3. 2019 – Au 6 K 17.33882 –, juris, Rdn. 32; VG Berlin, Urteil vom 27. 8. 2019 – 36 K 1006.17 –, juris, Rdn. 26.
55Die grundsätzlich bestehende Gefahr verfolgungsrelevanter Handlungen für Anhänger der Gülen-Bewegung in der Türkei entbindet aber nicht von dem Erfordernis, im jeweiligen Einzelfall nach den oben benannten Grundsätzen die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Strafverfolgung festzustellen. Ist gegen den Betroffenen in der Türkei wegen seiner Mitgliedschaft in der Gülen-Bewegung ein Strafverfahren bereits anhängig, besteht aufgrund der oben aufgeführten Bedenken an der Einhaltung rechtsstaatlicher Standards in der Regel mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgungsgefahr. Liegen dagegen keine Erkenntnisse zu einem bereits anhängigen Strafverfahren vor, sind im Rahmen der anzustellenden Gefahrenprognose insbesondere die oben genannten Gesichtspunkte zu berücksichtigen, die die türkischen Strafverfolgungsbehörden für die Feststellung der Anhängerschaft bzw. Mitgliedschaft in der Gülen-Bewegung heranziehen. Beim Vorliegen entsprechender Indizien ist aber nicht per se davon auszugehen, dass ein Strafverfahren eingeleitet wird. Nicht jedes Mitglied der mehrere Millionen Mitglieder umfassenden Gülen-Bewegung, das eines oder mehrere der genannten Indizien verwirklicht, gerät automatisch in das Visier des türkischen Staates.
56VG Berlin, Urteil vom 27. 8. 2019 – 36 K 1006.17 –, juris, Rdn. 26; VG Kassel, Urteil vom 1. 4. 2019 – 1 K 372/18.Ks.A –, juris, Rdn. 24 f.
57Insofern trifft es nicht zu, dass der türkische Staat – wie der Kläger meint – gegen alle türkischen Staatsangehörigen, die irgendwie in Verbindung mit der Gülen-Bewegung zu bringen sind, nach und nach ermittelt und sie inhaftiert und es nur von der Zeit abhängt, wann jemand verhaftet wird.
58Der Erkenntnislage ist – wie oben dargestellt – zwar zu entnehmen, dass das Vorliegen eines bzw. mehrerer der genannten Indizien für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens bzw. für eine strafrechtliche Verurteilung ausreicht, d. h. ein solches Verfahren bzw. eine Verurteilung möglich ist. Die Möglichkeit einer flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgung genügt indes nicht für die Gewährung internationalen Schutzes. Maßgeblich ist vielmehr, wie erläutert, die beachtliche Wahrscheinlichkeit. Zu der Frage, mit welcher Wahrscheinlichkeit bei Vorliegen eines oder mehrerer der genannten Indizien ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wird bzw. eine strafrechtliche Verurteilung erfolgt, ist den Erkenntnissen keine abschließende Aussage zu entnehmen. Das Gericht hat deshalb im Rahmen einer Gesamtbetrachtung, die alle Umstände des Einzelfalls berücksichtigt, eine Gefahrenprognose anzustellen. Im Rahmen dieser Prognose ist unter anderem zu würdigen, wie viele der genannten Indizien der Betroffene erfüllt, ob nahe Angehörige (insbesondere Eltern, Kind, Ehegatten) strafrechtlichen Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt waren, von welcher Dauer und welchem Umfang die Aktivitäten des Betroffenen waren, welche Stellung er innerhalb der Organisation hatte, ob er zu der Gruppe der besonders gefährdeten Personen der Staatsbediensteten, insbesondere der Richter, Staatsanwälte, Militär- oder Polizeiangehörigen, Wissenschaftler oder Lehrer zählt, ob der türkische Staat Nachweise für die Anhängerschaft oder Mitgliedschaft hat und ob der Betroffene Mitglied einer von dem türkischen Staat verbotenen Organisation war.
59Vgl. VG Berlin, Urteil vom 27. 8. 2019 – 36 K 1006.17 –, juris, Rdn. 26.
60Unter Anwendung dieser Maßstäbe droht dem Kläger zur Überzeugung des erkennenden Gerichts nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Strafverfolgung wegen Mitgliedschaft in der Gülen-Bewegung.
61Es ist nicht bekannt, dass gegen den Kläger ein Ermittlungsverfahren anhängig ist. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung selbst eingeräumt, mittels seines Zugangs im e-devlet nachgeschaut, aber nichts über sich gefunden zu haben.
62Die Indizien, die der Kläger ansonsten vorgebracht hat, reichen im Rahmen einer Gesamtbetrachtung nach der Überzeugung des Gerichts nicht aus, um mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass gegen ihn ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wird und er dadurch politische Verfolgung erleiden wird. Er hat zwar ein Gymnasium und eine Hochschule der Gülen-Bewegung besucht und während des Studiums an religiösen Unterhaltungen teilgenommen. Zudem hat er im Studentenwohnheim die neu hinzugekommenen Studenten betreut und ihnen den Unterricht erklärt sowie das Essen und Ausflüge organisiert. Bis zur Festnahme seines Vaters am 29. 7. 2016 hat er auch an Aktivitäten der Gülen-Bewegung teilgenommen. Ferner hat er unter Vorlage von Kontoauszügen angegeben, dass er ein Konto bei der Bank Asya gehabt habe, auf dem bis zum 7. 12. 2015 Geldeingänge zu verzeichnen gewesen seien. Schließlich hat sein Vater ihn in seinem Strafverfahren beschuldigt, den Messengerdienst „Bylock“ genutzt zu haben. Auch seine Mutter soll ihn während der Untersuchungshaft in gleicher Weise beschuldigt haben.
63Die Aktivitäten des Klägers für die Gülen-Bewegung waren allerdings nicht besonders öffentlichkeitswirksam und nicht in herausgehobener Stellung, auch wenn der Kläger mehrfach betont hat, er habe im Studentenwohnheim Verantwortung übernommen. Exponiert hat er sich dennoch nicht. Es bleibt bei der Einführung von Studenten zu Beginn des Studiums, was sich im Wesentlichen innerhalb des Wohnheims und der dortigen Gruppe abgespielt hat und nicht weiter nach außen bekannt geworden ist. Das Wegschaffen der Gülen-Bücher, das der Kläger ebenfalls erwähnt hat, geschah gerade heimlich, so dass auch dies in der Öffentlichkeit nicht bekannt geworden ist. Entscheidend ist zudem, dass der Kläger sowohl beim Bundesamt als auch in der mündlichen Verhandlung selbst eingeräumt hat, nach der Verhaftung seines Vaters am 29. 7. 2016 mit den Aktivitäten für die Gülen-Bewegung aufgehört zu haben. Anders als seine Mutter, die inzwischen verhaftet wurde, ist er bis zu seiner Ausreise 1 ½ Jahre nicht mehr für die Gülen-Bewegung aktiv gewesen. Seine Mutter hingegen hat nach seinen Angaben bereits vor der Ausreise des Klägers, aber auch noch danach Gesprächskreise geleitet und somit in der Öffentlichkeit gestanden. Sein Vater hatte vor seiner Verhaftung als Lehrer an einer Gülen-Schule gearbeitet. Dadurch gehörte er zur Gruppe der besonders gefährdeten Personen. Der Kläger hat zwar studiert, um ebenfalls Lehrer zu werden, aber er hat diesen Beruf in der Türkei bis zu seiner Ausreise nicht ausgeübt. Vielmehr hat er in einer Bäckerei gearbeitet. Damit fällt er nicht in die Gruppe der besonders gefährdeten Personen. Er war auch kein Mitglied einer von dem türkischen Staat verbotenen Organisation.
64Den erstmals in der mündlichen Verhandlung angeführten Vortrag, er sei im Studentenwohnheim in F. bei H. , das in Verbindung mit der Gülen-Bewegung stehe, als Vertreter des Direktors tätig, weist das Gericht gemäß § 87 b Abs. 3 VwGO als verspätet zurück und entscheidet ohne weitere Ermittlungen in dieser Hinsicht. Dem Kläger ist mit der Ladung vom 12. 5. 2020 eine Frist zum Vortrag neuer Tatsachen bis zum 19. 6. 2020 gesetzt worden. Über die Folgen einer Fristversäumung ist er dabei belehrt worden. Er hat die Tätigkeit im Studentenwohnheim erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgetragen und die Verspätung nicht genügend entschuldigt. Es war ihm auch möglich, die Tätigkeit früher anzugeben, da er dort seinen Angaben nach bereits seit September 2019 aktiv ist. Die Zulassung des Vortrags würde nach der freien Überzeugung des Gerichts auch die Erledigung des Rechtsstreits verzögern, da genauer ermittelt werden müsste, inwiefern das Privatgymnasium in F., zu dem das Studentenwohnheim gehört, tatsächlich zur Gülen-Bewegung gehört, welche Tätigkeit der Kläger dort genau ausübt und inwieweit diese Tätigkeit in Deutschland den türkischen Sicherheitsbehörden bekannt würde. Diese Ermittlungen würden die Erledigung des Rechtsstreits erheblich verzögern.
65Eine besondere Gefährdung des Klägers aufgrund der Verhaftung von nahen Angehörigen lässt sich auch nicht aus der Inhaftierung seiner Eltern herleiten. Zum einen unterscheiden sich deren Aktivitäten – wie gezeigt – deutlich von denen des Klägers, zum anderen sind auch die Brüder des Klägers bisher unbehelligt geblieben, obwohl auch diese zumindest das gleiche Gymnasium wie der Kläger besucht haben und ebenfalls gefährdet wären, wenn – wie der Kläger vorgetragen hat – seine Familie generell als Anhänger der Gülen-Bewegung angesehen würde.
66Entscheidend ist schließlich, dass der Kläger seit der Verhaftung seines Vaters – womit seine Familie unmittelbar in den Fokus der türkischen Sicherheitsbehörden geraten ist – bis zu seiner Ausreise noch 1 ½ Jahre unbehelligt geblieben ist. Ihm wurde Ende 2017 sogar ein Visum ausgestellt, mit dem er legal auf dem Luftweg ausgereist ist. Vor dem Hintergrund der Überprüfungen im Rahmen des Visumverfahrens und der verschärften Kontrollen gerade an den Flughäfen ist nicht vorstellbar, dass die türkischen Behörden den Kläger einfach ausreisen ließen, wenn sie seiner habhaft werden wollten, auch wenn er wahrscheinlich noch nicht „an der Reihe war“, wie er gemeint hat.
67Aus der Verhaftung von Freunden und auch der beiden Arbeitskollegen des Klägers aus der Bäckerei kann für die konkrete Gefahrenprognose für den Kläger nichts hergeleitet werden, denn eine Verbindung zu diesen Personen konnte der Kläger nicht herstellen, außer dass sie zusammen gearbeitet haben. Zudem bleibt nebulös, warum die Arbeitskollegen überhaupt verhaftet wurden. Einer soll von seinem Nachbarn angezeigt worden sein, der andere auf der Straße von der Polizei angehalten und mitgenommen worden sein. Dass einer der beiden auch im Studentenwohnheim gearbeitet hat, sagt noch nichts über seine konkreten Tätigkeiten aus.
68Demgegenüber fallen das Konto des Klägers bei der Bank B. und die Beschuldigungen, den Messengerdienst „Bylock“ genutzt zu haben, nicht entscheidend ins Gewicht. Das Konto hat der Kläger nur bis Ende 2015 genutzt. Wäre dieses Indiz entscheidend, ist davon auszugehen, dass die türkischen Sicherheitskräfte bereits bis zur Ausreise des Klägers im Januar 2018 gegen ihn eingeschritten wären oder ihn zumindest an der Ausreise gehindert hätten.
69Den Beschuldigungen seiner Eltern in ihren Ermittlungs- bzw. Strafverfahren kommt schon deshalb keine erhebliche Bedeutung zu, weil nach dem oben Gesagten solche Denunzierungen inzwischen häufig vorkommen und sich ein bedeutender Teil auch als falsch herausstellt. Es dürfte sich auch für die türkischen Behörden aufdrängen, dass es sich häufig um taktische Aussagen handeln wird, vor allem, wenn – wie hier – der dadurch Beschuldigte sich bereits im Ausland aufhält und die Aussagenden davon ausgehen können, dass die türkischen Behörden seiner nicht habhaft werden. Dass auch der türkische Staat solche Anschuldigungen nicht immer zum Anlass für Ermittlungen nimmt, zeigt sich auch im vorliegenden Fall. Der Kläger konnte nicht angeben, dass gegen ihn bisher konkret etwas veranlasst wurde. Dass die Aussage seines Vaters Auswirkungen für ihn selbst hat, glaubt er nur, konnte aber keine objektiven Anhaltspunkte für diese Vermutung liefern. Dass wegen der Aussage seiner Mutter nach ihm inzwischen gefahndet wird, wie er zunächst behauptet hat, konnte er nicht glaubhaft schildern oder gar belegen. In der mündlichen Verhandlung hat er dann nur gemeint, er habe von dem Anwalt seiner Mutter gehört, dass der Richter ihn vernehmen wolle. Von einer Ladung oder gar von Fahndungsmaßnahmen, von denen seine Familie, insbesondere seine Brüder, sicherlich erfahren hätten, konnte er hingegen nichts berichten.
70Ein Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes aus § 4 Abs. 1 AsylG besteht ebenfalls nicht. Ein ernsthafter Schaden droht dem Kläger nicht aus den in § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG genannten Gründen.
71Für das Vorliegen nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG bestehen keine Anhaltspunkte.
72Die Abschiebungsandrohung des Bundesamts ist rechtmäßig. Sie entspricht den Anforderungen des § 34 Abs. 1 AsylG i. V. m. § 59 AufenthG.
73Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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Referenzen
- § 3 AsylG 1x (nicht zugeordnet)
- § 59 AufenthG 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 167 1x
- § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 102 1x
- § 3 Abs. 1 Nr. 4 AsylG 1x (nicht zugeordnet)
- § 4 Abs. 1 AsylG 1x (nicht zugeordnet)
- § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG 1x (nicht zugeordnet)
- § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG 1x (nicht zugeordnet)
- § 34 Abs. 1 AsylG 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 154 1x
- 1 K 372/18 1x (nicht zugeordnet)