Urteil vom Verwaltungsgericht Münster - 6 K 2417/19
Tenor
Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Klägerin die Klage zurückgenommen hat.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
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T a t b e s t a n d
2Die Klägerin ist die Mutter der am 00.00.0000 geborenen Zwillinge S. und M. E. . Sie versieht ihren Dienst als Professorin an der Fachhochschule N. . Mit Ablauf der von ihr in Anspruch genommenen Elternzeit beabsichtigte die Klägerin, ihren Dienst ab dem 00.00.0000 wieder aufzunehmen und ihre Söhne ab diesem Zeitpunkt in einer Kindertageseinrichtung betreuen zu lassen.
3Zu diesem Zweck trug sie ihre beiden Kinder im 00.00.0000 in den sog. Kita-Navigator, ein von der Beklagten zur Verfügung gestelltes Online-Informations- und Vormerkungsangebot für Betreuungsplätze im Stadtgebiet, ein. Neben Informationen zu ihrer Person (ihrer Anschrift sowie unter anderem den Angaben „berufstätig“, „alleinerziehend“, „evangelisch“) und dem gewünschten Betreuungsumfang gab die Klägerin als gewünschte Betreuungseinrichtungen zunächst ausschließlich Kindertageseinrichtungen in Wohnortnähe an. Ein Platzangebot in einer der vorgemerkten Kindertageseinrichtungen machte die Beklagte der Klägerin nicht. Daraufhin versuchte die Klägerin eigeninitiativ, unter anderem in der Kindertageseinrichtung der Fachhochschule, Betreuungsplätze für ihre Söhne zu beschaffen. Am 8. November 2018 wandte sich die Beklagte telefonisch an die Klägerin, die mitteilte, weiterhin auf Platzsuche zu sein. Nach zahlreichen telefonischen Sachstandsanfragen bei der Beklagten teilte diese der Klägerin am 19. Dezember 2018 mit, dass aktuell eine Überbelegung einer Kindertagesstätte für beide Kinder geprüft werde. Zudem wandte sich die Beklagte am 20. Dezember 2018 telefonisch an die KiTa „Die N1. “ und fragte nach Kapazitäten. Bei der Kindertageseinrichtung handelt es sich um eine durch den eingetragenen Verein „Die N1. e.V.“ als anerkannten freien Träger der Jugendhilfe geführte Einrichtung, die öffentlich nach Maßgabe des Gesetzes zur frühen Bildung und Förderung von Kindern (KiBiZ NRW) gefördert wird. Danach erhält der Träger eine Förderung in Höhe von 96 % der gesetzlich anerkennungsfähigen Betriebskosten. Den verbleibenden Betrag in Höhe von 4 % hat er aus eigenen Mitteln aufzubringen. Hierfür erhebt der Träger Beiträge von den Eltern als Vereinsmitgliedern.
4Die Kindertageseinrichtung meldete sich am darauffolgenden Tag bei der Beklagten und teilte mit, aus rechnerischer Sicht könnten die Kinder aufgenommen werden. Voraussetzung seien ein Kennenlernen und der Eindruck, dass Familie und Einrichtung zueinander passten. In einem Telefonat am 21. Dezember 2018 benannte die Beklagte die KiTa „Die N1. “ als potentielle KiTa für beide Kinder der Klägerin. Diese sagte zu, Kontakt mit der dortigen Leitung aufzunehmen und sich Anfang Januar 2019 wieder bei der Beklagten zu melden.
5Im Anschluss trug die Klägerin die KiTa „Die N1. “ in den KiTa-Navigator ein und ging mit dem eingetragenen Verein „Die N1. e.V.“ Betreuungsverträge ein. Diese sahen unter anderem vor, dass Eltern unbeschadet anderer (an die Beklagte zu leistender) Zahlungen im Zusammenhang mit der Betreuung verpflichtet seien, regelmäßig Beiträge an den Trägerverein zu zahlen. Der entsprechende Beitrag werde auf Vorschlag des Vorstandes durch die Mitgliederversammlung festgesetzt und betrage zur Zeit ca. 70,- Euro monatlich. Zudem erhebe der Verein ein Entgelt für die Verpflegung (Frühstück/Mittagessen) des Kindes in Höhe von ebenfalls zur Zeit ca. 70,- Euro. Vom 1. März 2019 bis zum 31. Juli 2020 ließ die Klägerin ihre beiden Söhne in der Kindertageseinrichtung „Die N1. “ betreuen. Zum 1. August 2020 wechselten beide in eine städtische Kindertageseinrichtung in H. .
6Mit Schreiben vom 15. Juli 2019 wandte sich die Klägerin an die Beklagte und forderte sie auf, ihr die bereits entstandenen und bis einschließlich Juli 2020 noch entstehenden Kosten für private Elternbeiträge von 140,- Euro pro Kind und Monat der Betreuung, insgesamt 4.760,- Euro, zu erstatten. Der Anspruch stütze sich auf den richterrechtlichen Folgenbeseitigungsanspruch in Form des Folgenentschädigungsantrages (sic!). Das Bundesverwaltungsgericht habe ein richterrechtliches Haftungsinstitut bei zulässiger Selbstbeschaffung einer Jugendhilfeleistung entwickelt.
7Die Beklagte trat den Forderungen mit Schreiben vom 30. Juli 2020 entgegen. Ein Kostenerstattungsanspruch bestehe nicht, da die gesetzlichen Voraussetzungen nicht vorlägen.
8Mit weiterem Schriftsatz vom 15. August 2019 bekräftigte die Klägerin ihre Forderung auf Kostenerstattung, nunmehr unter Nennung eines monatlichen Geldbetrages von 75,- Euro je Kind. Die Klägerin habe keine andere Wahl gehabt, als ihre Kinder in der KiTa „Die N1. “ unterzubringen. Sie sei zur Unterschrift unter die Betreuungsverträge gezwungen worden, obwohl staatliche und kirchliche Betreuungsplätze günstiger seien. Die KiTa befinde sich außerhalb des Wohngebiets der Klägerin und sei von dieser nicht binnen 15 Minuten zu Fuß zu erreichen. Auch sei die Trägerform für die Klägerin nicht nur finanziell ungünstig, sondern zudem ungeeignet, weil die geforderten Elterndienste von ihr nur mit zusätzlichen Belastungen erfüllt werden könnten. Der Verweis auf die schließlich der Klägerin zugeteilten Betreuungsplätze widerspreche den Grundsätzen von Treu und Glauben.
9Mit Schreiben vom 27. August 2019, das eine Rechtsbehelfsbelehrung nicht enthielt, lehnte die Beklagte das Begehren der Klägerin ab und verwies zur Begründung auf ihr Schreiben vom 30. Juli 2020.
10Die Klägerin hat am 26. September 2019 Klage erhoben.
11Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor: Ihr seien trotz rechtzeitiger Bewerbung um Betreuungsplätze und regelmäßiger Nachfragen auch Anfang Februar 2019 noch keine Plätze in einer staatlich geführten oder kirchlich organisierten Einrichtung zur Verfügung gestellt worden. Als einzige Möglichkeit sei ihr seitens der Beklagten der Abschluss der Betreuungsverträge mit dem eingetragenen Verein „Die N1. e.V.“ eröffnet worden. Dass anderweitige Plätze nicht verfügbar seien, habe ihr die Beklagte auch auf Aufforderung nicht schriftlich bestätigt. Mit Blick auf die Wiederaufnahme ihrer Berufstätigkeit zum 00.00.00 sei die Klägerin gezwungen gewesen, die Betreuungsverträge zu unterschreiben. Hierzu habe sie kurz vor Vertragsunterzeichnung die KiTa in ihre Wünsche im KiTa-Navigator einstellen müssen. Durch die Betreuung in einer Elterninitiative seien ihr zusätzliche Kosten entstanden, die sie bei rechtzeitigem und ordnungsgemäßem Nachweis zweier Betreuungsplätze durch die Beklagte nicht hätte tragen müssen. Diese Kosten setzten sich zusammen aus einem Trägeranteil von 41,- Euro, einem Vereinsbeitrag von 29,- Euro und einem Verpflegungsentgelt von 70,- Euro, jeweils pro Monat und Kind. Zudem sei die Klägerin nach Abschluss der Betreuungsverträge im KiTa-Navigator der Beklagten gesperrt gewesen, sodass es ihr nicht möglich gewesen sei, zum 1. August 2019 die Einrichtung zu wechseln. Erst zum 1. August 2020 sei der Wechsel in eine städtische Einrichtung in H. möglich geworden. Die Klägerin sei für den Zeitraum der Betreuung bei den „N2. “ so zu stellen, als läge ein Fall der sog. zulässigen Selbstbeschaffung eines kostenpflichtigen Betreuungsplatzes vor. Die Beklagte sei ausschließlich in der Lage gewesen, Plätze in der Elterninitiative zur Verfügung zu stellen. Die Vergabe erscheine wahllos, ohne Bezug zu den übrigen Kriterien. Es widerspreche dem Gleichbehandlungsgrundsatz, dass andere Eltern staatlich und kirchlich geförderte Plätze zur Verfügung gestellt bekämen. Sie habe freiwillig keinen Platz in einer Elterninitiative begehrt. Erst als ihr ein Platz in den staatlichen und kirchlichen KiTas in Wohnortnähe nicht habe vermittelt werden können, habe sie etwa die Vormerkung bei der Elterninitiative „Die N3. “ in L. Ost getätigt. Hierzu habe sie sich genötigt gefühlt, weil die KiTa mit freien Plätzen geworben habe. Daraus könne ihr nicht grundsätzlich unterstellt werden, dass sie zur Zahlung von Sonderbeiträgen bereit sei. Die Klägerin auf die angebliche Freiwilligkeit ihrer Entscheidung zu verweisen, widerspreche Treu und Glauben. Sie habe sich in einer Notlage befunden. Auch müsse sich die Klägerin im Rahmen der Elterninitiative engagieren, was aufgrund der vollzeitigen Berufstätigkeit kaum zu schaffen sei. Die Kita sei nicht wohnortnah. Sie befinde sich außerhalb des Wohngebiets der Klägerin, sei 6,5 Kilometer vom Wohnhaus der Klägerin entfernt und nicht binnen 15 Minuten fußläufig zu erreichen. Auch suche die Klägerin nicht ausschließlich den Fachbereich H1. (M1. -D. ) zur Arbeit auf, sondern auch die anderen Standorte der Fachhochschule, etwa das I. . Zudem gehe sie Arbeiten in P. und L1. nach und mache Unterrichtsbesuche in berufsbildenden Schulen im Umland. Die KiTa verlange, dass man im Falle eines Unfalls oder bei Krankheit eines Kindes innerhalb von maximal 10 Minuten vor Ort sei. Das könne die Klägerin selbst nicht absichern. Sie bediene sich der Hilfe ihrer Nachbarn, sodass eine KiTa in Wohnortnähe äußerst wichtig sei. Die Nähe zum Standort der Fachhochschule sei irrelevant. Überdies sei die Platzvergabe nicht durch die Stadt veranlasst worden: Die KiTa-Leitung habe ihr die Plätze vergeben, nachdem der Vorstand über die Aufnahme der Kinder entschieden habe. Erst dann habe sie die „N1. “ im KiTa-Navigator vorgemerkt, damit ein Vertrag habe ausgedruckt werden können. Schließlich sei von einem Mitarbeiter der Beklagten die fehlerhafte Aussage getätigt worden, der Vereinsbeitrag sei nur für ein Kind, also pro Familie zu zahlen. Dies sei eindeutig und mit Begründung erfolgt. Zwar sei der betreffende Mitarbeiter diesbezüglich unsicher gewesen und habe mitgeteilt, sich rückversichern und zurückzurufen zu wollen, er habe sich aber nicht noch einmal gemeldet.
12Soweit der schriftlich angekündigte Antrag der Klägerin sich zunächst auch auf die Erstattung von Verpflegungsentgeltzahlungen in Höhe von 140,- Euro pro Monat für ihre beiden Söhne zusammen erstreckte, hat die Klägerin den Antrag im Termin zur mündlichen Verhandlung zurückgenommen.
13Die Klägerin beantragt,
14die Beklagte unter Aufhebung ihres Ablehnungsbescheids vom 00.00.0000 zu verurteilen, ihr für den Zeitraum vom 1. März 2019 bis 31. Juli 2020 monatliche Aufwendungen in Höhe von 140,- Euro für die Betreuung ihrer Kinder S1. und M. E. , insgesamt 2.380 Euro, zu erstatten.
15Die Beklagte beantragt,
16die Klage abzuweisen.
17Sie ist der Auffassung, bei den Vereinsbeiträgen handele es sich um Kosten, die seitens der Klägerin zu tragen seien. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung gelte dies sogar im Falle selbstbeschaffter Tagesbetreuung, wenn diese in einer Einrichtung stattfinde, mit der der öffentliche Träger der Jugendhilfe seine Pflicht aus § 24 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII zur rechtzeitigen Beschaffung eines Betreuungsplatzes ebenfalls hätte erfüllen können. Der Anspruch auf einen Betreuungsplatz richte sich nicht allein auf Einrichtungen von Trägern, die zusätzliche Beiträge nicht erhöben. Darauf komme es aber im Einzelnen nicht an, da es weder ein „Systemversagen“ gegeben habe noch die Betreuungsplätze selbst beschafft worden seien. Vielmehr habe die Beklagte der Klägerin die Betreuungsplätze Ende 2018 angeboten und diese habe sie im Februar 2019 angenommen. Wenn Eltern nicht ihr Wunschplatz angeboten werden könne, dann müssten sie Kindertageseinrichtungen, in denen ein Platz frei sei, im KiTa-Navigator vormerken, damit eine Platzzusage des Trägers möglich würde und später ein Vertrag geschlossen werden könne.
18Wenn die Klägerin das Angebot zurückgewiesen hätte, wäre Rechtsschutz ihrerseits erfolglos geblieben, weil die Plätze den Anspruch der Zwillinge auf zumutbare Tagesbetreuung erfüllten. Gegebenenfalls unzumutbare finanzielle Belastungen seien im Verfahren nach § 90 SGB VIII zu behandeln. Dass der Betreuungsort nicht in der Nähe des Wohnorts sei, habe keine Relevanz, da er jedenfalls in unmittelbarer Nähe des Arbeitsplatzes der Klägerin liege. Er sei ebenso bequem zu erreichen; der Bring- und Abholaufwand sei minimal. Dadurch, dass die Klägerin den Platz angenommen habe, habe sie sich jedes Rechts begeben, der Beklagten treuwidriges Verhalten vorzuwerfen. Besondere Anforderungen an die Eltern betreffend ihre Erreichbarkeit bei Krankheiten seitens der KiTa „Die N1. “ seien der Beklagten nicht bekannt. Alle von der Klägerin zu bestreitenden Wege (Wohnung – M1. -D. /I. – KiTa) seien kurz und auch mit dem Fahrrad zu bewältigen. Gelegentliche Dienstreisen nach P. oder anderswo könnten keinen Einfluss darauf haben, ob eine Kinderbetreuung in der Nähe des Arbeitsplatzes akzeptabel sei.
19Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der vorgelegten Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
20E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
21Soweit die Klägerin ihre Klage im Termin zur mündlichen Verhandlung zurückgenommen hat, war das Verfahren einzustellen.
22Die Kammer sieht es – entgegen der in der mündlichen Verhandlung geäußerten Auffassung der Beklagten, wegen der geltend gemachten Amtshaftungsansprüche bestehe eine abdrängende Sonderzuweisung zu den ordentlichen Gerichten nach Art. 34 Satz 3 des Grundgesetzes (GG) – in der Rechtsprechung als geklärt an, dass der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten in Verfahren der vorliegenden Art eröffnet ist,
23vgl. BVerwG, Urteile vom 26. Oktober 2017 - 5 C 19.16 -, juris, m.w.N. zum verwaltungsgerichtlichen Verfahrensgang.
24Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gem. § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zulässig.
25Der Bescheid der Beklagten vom 00.00.0000, in welchem die Beklagte die Erstattung von angefallenen Kosten und das Anerkenntnis der Übernahme dieser Kosten für die Zukunft abgelehnt hat, stellt einen Verwaltungsakt im Sinne des § 31 Satz 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuches (SGB X) dar. Neben der Aufhebung des angegriffenen Verwaltungsaktes, die im Wege der Anfechtungsklage erreicht werden kann, ist das Begehren der Klägerin noch auf tatsächliches Handeln in Gestalt einer Zahlung gerichtet, dessen Durchsetzung im Wege einer allgemeinen Leistungsklage statthaft ist.
26Vgl. zur prozessualen Konstellation VG Mainz, Urteil vom 18. Juni 2020 - 1 K 381/19.MZ -, juris; VG Darmstadt, Urteil vom 13. September 2016 - 5 K 404/14.DA -, juris.
27Die so verstandene Klage ist zulässig, obwohl die Klägerin ein nach § 62 SGB X, § 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO, § 110 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 9 Justizgesetz (JustG NRW) erforderliches Vorverfahren nicht durchgeführt hat. Zunächst enthielt der ablehnende Bescheid der Beklagten vom 00.00.0000 keine Rechtsbehelfsbelehrung. Darüber hinaus hat sich die Beklagte nach Klageerhebung sachlich zur Klage eingelassen und deren Abweisung beantragt. Damit ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aus Gründen der Prozessökonomie und im Einklang mit dem Regelungszweck des § 68 VwGO ein Vorverfahren entbehrlich,
28vgl. bereits und statt aller BVerwG, Urteil vom 20. April 1994 - 11 C 2.93 -, juris Rn. 18.
29Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Klägerin steht gegenüber der Beklagten kein Anspruch auf Erstattung eines Betrages in Höhe von zuletzt noch geltend gemachten 2.380,- Euro zu, den sie in der Zeit vom 1. März 2019 bis zum 31. Juli 2020 über die an die Beklagte entrichteten Elternbeiträge hinaus an den Verein „Die N1. e.V.“ gezahlt hat. Der Ablehnungsbescheid vom 27. August 2019 erweist sich damit insgesamt als rechtmäßig, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
30I. Der geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch besteht bereits dem Grunde nach nicht. Er lässt sich nicht auf die Regelung des § 36a des Achten Buches Sozialgesetzbuches (SGB VIII) stützen. Nach § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII ist der Träger der öffentlichen Jugendhilfe für den Fall, dass Hilfen abweichend von den Absätzen 1 und 2 vom Leistungsberechtigten selbst beschafft werden, zur Übernahme der erforderlichen Aufwendungen nur verpflichtet, wenn 1. der Leistungsberechtigte den Träger der öffentlichen Jugendhilfe vor der Selbstbeschaffung über den Hilfebedarf in Kenntnis gesetzt hat, 2. die Voraussetzungen für die Gewährung der Hilfe vorlagen und 3. die Deckung des Bedarfs a) bis zu einer Entscheidung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe über die Gewährung der Leistung oder b) bis zu einer Entscheidung über ein Rechtsmittel nach einer zu Unrecht abgelehnten Leistung keinen zeitlichen Aufschub geduldet hat. Zwar findet § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII hier entsprechend Anwendung (1.). Es sind jedoch weder dessen Voraussetzungen erfüllt (2.) noch sind die geltend gemachten Aufwendungen übernahmefähig (3.).
311. Eine unmittelbare Anwendung der Vorschrift scheidet aus, da deren Gegenstand die Selbstbeschaffung von „Hilfen“ im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 4 bis 6 SGB VIII ist. Bei der Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und in der Kindertagespflege (§ 22 ff. SGB VIII) handelt es sich indes nicht um solche Hilfen, sondern um Angebote gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 3 SGB VIII.
32Vgl. BVerwG, Urteile vom 26. Oktober 2017 - 5 C 19.16 -, juris Rn. 8; vom 12. September 2013 - 5 C 35.12, juris = BVerwGE 148, 13, Rn. 24.
33Insoweit besteht eine planwidrige Regelungslücke. Es ist höchstrichterlich geklärt, dass § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII in Bezug auf jugendhilferechtliche Leistungen, die die frühkindliche Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und in der Kindertagespflege im Sinne des § 24 Abs. 2 SGB VIII betreffen, analog anzuwenden ist.
34Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Oktober 2017 - 5 C 19.16 -, juris Rn. 11-20, dort mit ausführlicher, im Ergebnis bejahender Prüfung der Voraussetzungen einer Analogie unter rechtshistorischer und teleologischer Betrachtung und mit Beleuchtung der Gegenargumente.
35Der in § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII normierte Fall ist mit dem hier in Rede stehenden nicht geregelten Sachverhalt vergleichbar, weil es bei beiden Fallgestaltungen um einen enttäuschten gesetzlichen Primäranspruch, der keine bloße Geldleistung zum Gegenstand hat, und um den Ersatz von Aufwendungen für die Selbstbeschaffung geht.
362. Die Voraussetzungen des entsprechend anwendbaren § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII liegen jedoch nicht vor.
37Dabei kann im Einzelnen offen bleiben, ob die Klägerin hinsichtlich des geltend gemachten Anspruches aus § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII analog aktivlegitimiert ist. Inhaber des Primäranspruches auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder in der Kindertagespflege ab der Vollendung des ersten bis zur Vollendung des dritten Lebensjahrs ist nach § 24 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII allein das betreffende Kind,
38vgl. BVerwG, Urteil vom 12. September 2013 - 5 C 35.12 -, juris Rn. 47.
39Steht der Primäranspruch jedoch dem Kind selbst zu, so spricht vieles dafür, dass auch mögliche Sekundäransprüche auf Erstattung der Mehrkosten einer selbst beschafften Hilfe auf der Grundlage von § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII analog, auf die das Klagebegehren zutreffender Weise zu stützen ist, dem Kind zuzustehen haben. Ob etwas anderes sich vorliegend aus dem Umstand ergibt, dass unstreitig die Klägerin für ihre Söhne für die streitbefangenen Kosten aufgekommen ist, kann im Ergebnis offenbleiben, denn (auch) die weiteren Voraussetzungen des Anspruches sind nicht erfüllt:
40Der Analogieschluss ist auf sämtliche Tatbestandsmerkmale, an die die Bestimmung die Rechtsfolge des Übernahmeanspruchs knüpft, sinngemäß zu erstrecken,
41vgl. BVerwG, Urteile vom 26. Oktober 2017 - 5 C 19.16 -, juris, und vom 12. September 2013 - 5 C 35.12 -, juris = BVerwGE 148, 13 Rn. 39.
42Vorliegend hat sich die Klägerin zur Überzeugung der Kammer die Angebote zur frühkindlichen Förderung in einer von einem anerkannten, öffentlich geförderten Träger der freien Jugendhilfe betriebenen Tageseinrichtung bereits nicht im Sinne des Gesetzes „selbst beschafft“. Die Beschaffung erfolgte tatsächlich auf der Grundlage einer aktiven Entscheidung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe im Sinne des § 36a Abs. 1 SGB VIII,
43vgl. zu dieser Voraussetzung BVerwG, Beschluss vom 20. Dezember 2017 - 5 B 9.17 -, juris, Leitsatz 1.
44Nach der in den Verwaltungsvorgängen befindlichen „Protokollübersicht zur nachfolgenden Bedarfsmeldung“ standen die Beteiligten im November und Dezember 2018 in telefonischem Austausch betreffend den Nachweis zweier Betreuungsplätze für die Söhne der Klägerin. Dabei wurde mit der Leitung einer der von der Klägerin im KiTa-Navigator vorgemerkten Einrichtungen auch die Überbelegung für beide Kinder geprüft, aber für kritisch befunden. Für den 20. Dezember 2018 ist ein Telefonat der Beklagten (Herrn I1. ) mit der Leitung der „N1. “ notiert. Dort heißt es: „Sie klärt mit dem Vorstand, ob die zusätzliche Aufnahme aus Kitasicht möglich ist. Sie meldet sich morgen zurück und dann kann ggf. ein Kennenlernen mit der Mutter stattfinden. Es ist wichtig für die Kitaleitung, dass es persönlich passt.“ Unter dem 21. Dezember 2018 ist die Rückmeldung der KiTa notiert: „Aus rechnerischer Sicht können die Kinder aufgenommen werden. Voraussetzung ist aber ein Kennenlernen und der Eindruck, dass Familie und Einrichtung zueinander passen.“ Am gleichen Tag rief die Beklagte die Klägerin an. Hierzu ist festgehalten: „Der Mutter die Kita N1. als potentielle Kita für beide Kinder benannt. Sie nimmt Kontakt mit der Leitung auf und meldet sich Anfang Januar bei uns.“ Diesen Geschehensablauf bestätigt letztlich auch die Klägerin, die in der Klageschrift hierzu feststellt: „Insofern hat die Beklagte (…) der Klägerin die beiden Kita-Plätze im Trägerverein „Die N1. e.V.“ tatsächlich zugewiesen, wenngleich die Klägerin formal Betreuungsverträge mit dem Verein unterschreiben musste.“
45An dem Umstand, dass tatsächlich die Beklagte der Klägerin die Betreuungsplätze durch aktives Tun beschafft hat, ändert es nichts, dass es sich bei den zur Verfügung gestellten Plätzen nicht um die Wunschplätze der Klägerin handelte und dass die schlussendlich angenommenen Plätze sich nicht unter den von ihr ursprünglich im KiTa-Navigator vorgemerkten Einrichtungen befanden. Gegen die Annahme, die Eintragungen im KiTa-Navigator hätten Einfluss auf die Frage nach der Selbstbeschaffung, spricht bereits, dass es Eltern dann in der Hand hätten, durch die Auswahl nur weniger Betreuungseinrichtungen, ggf. noch solcher, von denen bekannt ist, dass sie derzeit nicht über freie Plätze verfügen, den Selbstbeschaffungsfall selbst herbeizuführen, wenn die Beklagte anschließend einen anderen zumutbaren, nicht aber den Wunschplatz vermittelte. Ebenfalls nicht zum Erfolg der Klage führt die aufgeworfene Frage nach den technischen Modalitäten des Vertragsabschlusses: Es ist unerheblich, ob die Beklagte von der Klägerin verlangte, die KiTa „Die N1. “ noch nachträglich in den KiTa-Navigator einzutragen, um es der Einrichtung zu ermöglichen, einen Betreuungsvertrag auszudrucken. Auch begründet es keine Selbstbeschaffung, dass die Betreuungsverträge nicht mit der Beklagten, sondern mit der KiTa-Leitung (nach vorheriger Vorstellung der Familie und Billigung durch den Vorstand) geschlossen wurden. Maßgeblich ist, dass die Beklagte der Klägerin die Betreuungsplätze im Sinne des § 24 SGB VIII durch aktives Tun nachgewiesen und damit im Sinne des § 36a SGB VIII analog beschafft hat.
46Auch die weiteren Voraussetzungen des entsprechend anwendbaren § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII waren im streitgegenständlichen Zeitraum vom 1. März 2019 bis zum 31. Juli 2020 nicht erfüllt. Zwar hatte die Klägerin für diesen Zeitraum gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Nachweis zweier bedarfsgerechter Betreuungsplätze für ihre beiden Söhne. Dieser – fällige – Anspruch wurde von der Beklagten jedoch bezogen auf den streitgegenständlichen Zeitraum durch den Nachweis der beiden Plätze in der Kindertageseinrichtung „Die N1. “ in rechtlich nicht zu beanstandender Weise erfüllt. Es lag mit anderen Worten kein sog. Systemversagen im Sinne der Norm vor.
47Nach § 24 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII hat ein Kind, das das erste Lebensjahr vollendet hat, bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres einen Anspruch auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege. Die Norm vermittelte mithin im streitgegenständlichen Zeitraum den Söhnen der Klägerin gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf den Nachweis eines bedarfsgerechten Platzes in einer Tageseinrichtung oder in der Kindertagespflege. Im Unterschied zu den in § 24 Abs. 1, Abs. 3 Satz 2 und Abs. 4 SGB VIII begründeten objektiv-rechtlichen Pflichten verleiht § 24 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII ein subjektives Recht auf frühkindliche Förderung. Dies legt bereits der Wortsinn des Merkmals „Anspruch“ nahe und entspricht der Begründung des Gesetzentwurfs,
48vgl. BT-Drs. 16/9299 S. 2 f., 10, 12 und 15; BVerwG, Urteil vom 26. Oktober 2017 - 5 C 19.16 -, juris m.w.N.
49Der Rechtsanspruch ist auf den Nachweis eines bedarfsgerechten Betreuungsplatzes gerichtet,
50vgl. OVG N. , Urteil vom 20. April 2016 - 12 A 1262/14 -, juris Rn. 39, 80.
51Dafür spricht bereits der Umstand, dass § 24 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII ein subjektives Recht auf Förderung in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege begründet. Es drängt sich auf, dass die diesem Rechtsanspruch korrespondierende Pflicht des Trägers in einem aktiven Tun besteht. Dem trägt eine Pflicht zum Nachweis eines Betreuungsplatzes Rechnung.
52Der Anspruch gemäß § 24 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII auf Nachweis eines Angebots zur frühkindlichen Förderung in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege selbst unterliegt nicht dem Einwand der Kapazitätserschöpfung.
53Vgl. BVerfG, Urteil vom 21. Juli 2015 - 1 BvF 2/13 -, juris = BVerfGE 140, 65, Rn. 43.
54Er ist erfüllt, wenn dem anspruchsberechtigten Kind ein kommunaler oder öffentlich geförderter privater Betreuungsplatz nachgewiesen wird.
55Einem Kapazitätsvorbehalt unterworfen sind hingegen das Recht zur Wahl der Betreuungsform und das Recht, zwischen dem Anbieter der frühkindlichen Förderung, einem öffentlich-rechtlichen Träger oder einem Träger der freien Jugendhilfe, zu wählen. Der in Rede stehende Nachweis muss dem konkret-individuellen Bedarf entsprechen. Die Höhe des Teilnahmebeitrags ist für den geschuldeten Nachweis ohne Bedeutung.
56vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Oktober 2017 - 5 C 19.16 -, juris m.w.N.
57In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist geklärt, dass der Anspruch des § 24 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII auf den Nachweis eines bedarfsdeckenden Betreuungsplatzes in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege gerichtet ist,
58vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Oktober 2017 - 5 C 19.16 -, juris, unter Ablehnung eines „echten Alternativanspruches“ für den Fall, dass eine Betreuungsform nicht zur Verfügung steht; BGH, Urteil vom 20. Oktober 2016 - III ZR 278/15 -, juris.
59Das Bundesverwaltungsgericht hat darüber hinaus entschieden, dass § 24 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII ebenso wenig ein kapazitätsunabhängiges subjektives Recht vermittelt, zwischen frühkindlicher Förderung in öffentlich-rechtlicher oder in freier Trägerschaft zu wählen. Gemäß § 3 Abs. 1 SGB VIII ist die Jugendhilfe durch die Vielfalt von Trägern unterschiedlicher Wertorientierungen und die Vielfalt von Inhalten, Methoden und Arbeitsformen gekennzeichnet. Leistungen der Jugendhilfe werden nach § 3 Abs. 2 SGB VIII von Trägern der freien Jugendhilfe und von Trägern der öffentlichen Jugendhilfe erbracht. Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII haben die Leistungsberechtigten das Recht, zwischen Einrichtungen und Diensten verschiedener Träger zu wählen und Wünsche hinsichtlich der Gestaltung der Hilfe zu äußern. Indes besteht auch das Recht, zwischen Betreuungsangeboten in öffentlich-rechtlich betriebenen Tageseinrichtungen und solchen in privat-rechtlich organisierten Tageseinrichtungen zu wählen, nur im Rahmen der vorhandenen Kapazitäten. Fehlt es an diesen, so muss sich der Anspruchsberechtigte auch auf die Förderung in jeweils anderer Trägerschaft verweisen lassen.
60Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Oktober 2017 - 5 C 19.16 -, juris Rn. 40, mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung auch bereits zur überkommenen Rechtslage.
61Dieser Rechtsauffassung schließt sich die Kammer an. Der Kapazitätsvorbehalt ergibt sich wie auch für das Wahlrecht betreffend die Betreuungsform aus der systematischen und historischen Auslegung. Die dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe in § 79 Abs. 1 SGB VIII zugewiesene Gesamtverantwortung schließt sowohl die Planungsverantwortung als auch die Finanzverantwortung ein. Im Rahmen der Gesamtverantwortung, aber auch der Gewährleistungspflicht nach § 79 Abs. 2 SGB VIII hat er eine bedarfsgerechte und effiziente frühkindliche Förderung in der Gesamtheit sicherzustellen. Die Pflicht, ein entsprechendes Angebot vorzuhalten, beschränkt sich auf den Gesamtbedarf an Betreuungsplätzen. Dem anspruchsberechtigten Kind und seinen Erziehungsberechtigten steht es im Rahmen des § 5 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 SGB VIII frei, innerhalb dieses Angebotes einen Betreuungsplatz entsprechend dem spezifischen Bedarf des Kindes und im Einklang mit den Wünschen der Erziehungsberechtigten auszuwählen. Angesichts der prognostizierten Kosten für den Ausbau der Betreuung bei Schaffung des gesetzlichen Anspruchs,
62vgl. BT-Drs. 16/9299 S. 3 f.,
63verbietet sich die Annahme, dass den Gesamtbedarf übersteigende Doppelstrukturen aufgebaut werden sollten. Nichts anderes ergibt sich unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Dieses hat festgestellt, dass § 24 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII Kindern, die das erste Lebensjahr vollendet haben, bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres einen Rechtsanspruch auf frühkindliche Förderung im Rahmen eines öffentlich geförderten Betreuungsverhältnisses verschafft.
64Vgl. BVerfG, Urteil vom 21. Juli 2015 - 1 BvF 2/13 -, juris = BVerfGE 140, 65 Rn. 43.
65Mithin werden Betreuungseinrichtungen in privater Trägerschaft von dem Anspruch ebenfalls erfasst, wenn sie öffentlich gefördert sind. Dies trifft auf den „Die N1. e.V.“ als Elterninitiative zu. Der Verein ist öffentlich geförderter Träger der freien Jugendhilfe.
66Die Beklagte hat zur Überzeugung der Kammer auch hinreichend dargelegt, dass Betreuungsplätze in einer von der Klägerin präferierten Einrichtung in öffentlicher oder kirchlicher Trägerschaft nicht zur Verfügung standen. Insoweit ist eine Betrachtung des jeweiligen Einzelfalles anzustellen. Für die – über das gewöhnliche Maß hinausgehende – Schwierigkeit der Platzbeschaffung im Falle der Klägerin spricht es einerseits, dass der Bedarf unterjährig zum 1. März 2019 bestand und dass für die Zwillinge der Klägerin zwei Betreuungsplätze in einer Einrichtung zu suchen waren. Aus den Verwaltungsvorgängen der Beklagten ergibt sich, dass sich die Platzvermittlung der Beklagten insbesondere im Dezember 2018 intensiv der Angelegenheit annahm und unter anderem die Überbelegung einer der Wunscheinrichtungen der Klägerin prüfte. Letztlich hat die Klägerin die Kapazitätserschöpfung in ihren Wunscheinrichtungen in der mündlichen Verhandlung auch selbst eingeräumt, indem sie der Kammer berichtet hat, in allen Wunscheinrichtungen persönlich vorgesprochen zu haben, aber mit Hinweis auf nicht bestehende Kapazitäten abgewiesen worden zu sein.
67Demgegenüber kann die Klägerin nicht mit Erfolg vortragen, ihr sei auch auf Aufforderung keine Bestätigung darüber ausgehändigt worden, dass ihr keine Betreuungsplätze vermittelt werden könnten. Die Beklagte bot, wie gezeigt, der Klägerin Betreuungsplätze an, die diese schließlich auch annahm. Ohne Erfolg bleibt insoweit ihr Vortrag, sie habe diese Plätze eigentlich nicht gewollt und die Annahme sei einer Notlage geschuldet gewesen. Regelmäßig werden sich Eltern für ihre Kinder nur eine oder nur einige wenige Betreuungseinrichtungen „wünschen“, sodass, wenn diese keine Kapazitäten aufweisen, es einen häufigen, wenn nicht gar den Regelfall bilden dürfte, sie auf „ungewollte“ weitere Angebote zu verweisen. Hieraus können die Anspruchsberechtigten aber jedenfalls dann nichts für sich herleiten, wenn der nachrangig angebotene Platz nach objektiven Kriterien bedarfsgerecht ist. Insoweit hat das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen entschieden, dass es fehlgeht, vom Jugendhilfeträger einen Nachweis über die Kapazitätserschöpfung in Wunscheinrichtungen zu verlangen, wenn nicht die Gesamtkapazität an zumutbaren Betreuungsplätzen in Kindertageseinrichtungen erschöpft war,
68vgl. OVG NRW, Beschluss vom 9. Dezember 2021 - 12 A 2377/18 -, juris Rn. 16.
69So liegt der Fall hier: Der beklagtenseits erbrachte Nachweis von Betreuungsplätzen genügte zur Überzeugung der Kammer den Anforderungen des § 24 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII, da er dem konkret-individuellen Bedarf der anspruchsberechtigten Kinder und der Klägerin insbesondere in (betreuungs-)zeitlicher und räumlicher Hinsicht entsprach.
70Die Klägerin hat Bedenken hinsichtlich der angebotenen Betreuungszeit der von ihren Söhnen in Anspruch genommenen Betreuungsplätze nicht geltend gemacht. Sie hat insbesondere weder vorgetragen noch ist für die Kammer anderweitig ersichtlich, dass die Betreuungsplätze mit einem Betreuungsumfang von 45 Stunden in der Woche innerhalb der Öffnungszeiten der Einrichtung von insgesamt 46,5 Stunden pro Woche dem individuellen Bedarf der Kinder oder dem der Klägerin nicht gerecht geworden wären.
71Die Kammer ist zudem der Überzeugung, dass die nachgewiesenen Betreuungsplätze nach den konkreten Umständen des Einzelfalles in Anlehnung an § 24 Abs. 1 Satz 3 SGB VIII hinsichtlich ihrer örtlichen Lage den individuellen Bedarfen der Klägerin und ihrer Söhne entsprachen, die Beklagte die Klägerin mit anderen Worten auf die Betreuung dort verweisen durfte. Voraussetzung hierfür ist es, dass der Betreuungsplatz von den Eltern und dem Kind in zumutbarer Weise zu erreichen ist. Die Zumutbarkeit richtet sich nach den Umständen des konkreten Einzelfalles,
72vgl. OVG N. , Beschluss vom 14. August 2013 - 12 B 793/13 -, juris = NJW 2013, 3803 (3805); VG N. , Beschluss vom 14. Juli 2017 - 6 L 1177/17 -, juris.
73Insoweit sind die konkreten Belange sowohl des anspruchsberechtigten Kindes als auch seiner Erziehungsberechtigten maßgebend. Nicht zutreffend und mit der Erforderlichkeit einer Einzelfallprüfung unvereinbar ist insoweit zunächst die Rechtsauffassung der Klägerin, ein Betreuungsplatz sei nur dann in örtlicher Hinsicht zumutbar, wenn er binnen 15 Minuten fußläufig von der Wohnanschrift der Familie zu erreichen wäre. Zwar hat das erkennende Gericht in einem Eilbeschluss,
74vgl. VG N. , Beschluss vom 14. Juli 2017 - 6 L 1177/17 -, juris,
75angenommen, „jedenfalls für den Innenstadtbereich N4. [könne] davon ausgegangen werden, dass hier in der Regel eine fußläufige Erreichbarkeit der Betreuungsplätze in Kindertageseinrichtungen bzw. in Kindertagespflege gegeben ist, ein Betreuungsplatz jedenfalls in nicht mehr als 15 Minuten erreicht werden kann.“ Daraus ergibt sich jedoch nicht der seitens der Klägerin gezogene Schluss, sie hätte Anspruch auf den Nachweis eines in 15 Minuten fußläufig zu erreichenden Betreuungsplatzes. Einerseits wurde die (Einzelfall-)Entscheidung seinerzeit auf die Innenstadtlage des Wohnortes der Antragsteller gestützt. Insoweit ergibt sich zwanglos der Verweis auf die in der Regel zu bewerkstelligende Erreichbarkeit zu Fuß, denn gerade im Innenstadtbereich ist das Gehen auf kurzen Strecken in zeitlicher Hinsicht gegenüber Verkehrsmitteln wettbewerbsfähig. Andererseits ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des zitierten Beschlusses nicht, dass zwingend Fußläufigkeit gegeben sein muss. Schließlich ist die Entscheidung nicht dahingehend zu lesen, dass es sich bei den genannten 15 Minuten um eine starre und in jedem Einzelfall zu beachtende Obergrenze handeln sollte, die noch dazu auch in Stadtbezirken außerhalb der Innenstadt Gültigkeit hätte.
76Die Klägerin wohnt nicht im Innenstadtbereich von N. , sondern am äußersten Ortsrand des Stadtteils H. . Eine mit der innerstädtischen Situation vergleichbare (räumliche) Betreuungsdichte kann hier bereits mit Blick auf einen einfachen Stadtplan schon deshalb nicht gegeben sein, weil in nördlicher und westlicher Richtung die Stadt(teil)grenze erreicht ist und die Bebauung endet. Zudem ist auch die Verkehrsmittelwahl für sie nicht derart eingeschränkt, dass etwa keine taugliche Alternative zum Gehen vorhanden wäre. Die Klägerin hat selbst vorgetragen, den Weg zur Dienststätte aus „morgendlichem Zeitmangel“ mit dem privaten Kfz zu bestreiten. Jedenfalls in diesem Einzelfall eines zur Verfügung stehenden und ohnehin eingesetzten privaten Kfz ist auch dieses für die Ermittlung eines zumutbaren Anfahrtsweges zur Kinderbetreuung heranzuziehen.
77Nach dem Gesagten war das Angebot des Betreuungsplatzes in der KiTa „Die N1. “ an der H2.----- 00 für die Klägerin auch in örtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden. Das gilt zur Überzeugung der Kammer bereits, wenn man nur ihre Wohnanschrift zu Grunde legt: Die kürzeste mit dem Auto befahrbare Strecke zwischen ihrer Wohnanschrift und der KiTa beträgt laut dem Kartendienst Google Maps 4,1 Kilometer (über den H3. ), und nicht, wie die Klägerin mit anwaltlichem Schriftsatz hat vortragen lassen, 6,5 Kilometer. Die Fahrzeit beträgt bei mäßigem Verkehr nach Google Maps neun Minuten. Auch wenn sich diese Zeit im Berufsverkehr nicht an jedem Tag wird realisieren lassen, dürfte eine Fahrzeit von etwa 15 Minuten zwanglos zu bewerkstelligen sein. Gleiches gälte, wenn die Klägerin ein Fahrrad für den Weg zur KiTa einsetzte: Die Fahrtzeit betrüge dann laut Google Maps je nach Strecke 14 bis 15 Minuten, wobei die Zeiten mit dem Fahrrad erfahrungsgemäß deutlich weniger verkehrsabhängig sind. Damit standen der Klägerin zur Überzeugung der Kammer gleich zwei Methoden des Individualverkehrs zur Verfügung, um die KiTa von ihrer Hausanschrift aus in angemessener Zeit zu erreichen.
78Jedenfalls kein für die Klägerin günstigeres Ergebnis ergibt sich aus dem Umstand, dass diese ihren Dienst (auch) am Fachbereich H1. der Fachhochschule am M1. -D. versieht. Diese Dienstanschrift ist lediglich 500 Meter von der KiTa entfernt. Wenn die Klägerin zudem angibt, auch andere Standorte der Fachhochschule wie das I. anfahren zu müssen, hat sie bereits nicht glaubhaft gemacht, dass dies regelmäßig zu Beginn oder Schluss ihrer täglichen Dienstzeiten stattfindet. Die Kammer war auch nicht gehalten, dem nachzugehen, denn einerseits liegt die KiTa bereits in angemessener Entfernung zur Wohnanschrift und von dieser ausgehend auch bei Zugrundelegung des I2. als Dienstort in allgemeiner Richtung des Arbeitsweges und andererseits ist auch der Fahrtweg vom I. zur KiTa und andersherum mit einer Strecke von lediglich 2,1 km und einer Fahrzeit von vier Minuten (Kfz) bzw. sieben Minuten (Fahrrad) realisierbar. Die Klägerin kann damit sowohl KiTa als auch I. nacheinander regelmäßig mit dem Auto in unter 20 Minuten Fahrtzeit ansteuern. Darauf, dass die Klägerin Dienstfahrten zu Berufsschulen im N5. und Dienstreisen in andere Städte zu unternehmen hat, kommt es unabhängig von deren nicht näher dargelegter Häufigkeit nach dem Gesagten nicht an. Ihr war es zuzumuten, vor Antritt und nach Beendigung dieser Tätigkeiten die vertretbare Fahrt zur KiTa anzutreten bzw. die anfallenden Wege so zu planen, dass sie über die KiTa führten.
79Die Beantwortung von seitens der Beklagten aufgeworfenen Fragen wie derjenigen, ob der Klägerin entgegenzuhalten sei, dass sie sich selbst um einen Platz in der fachhochschuleigenen Kindertageseinrichtung mit noch ungünstigeren Fahrtwegen bemüht habe, kann nach dem Gesagten auf sich beruhen.
80Zu keinem anderen Ergebnis führt der Vortrag der Klägerin, die KiTa habe von ihr eingefordert, im Falle einer Erkrankung oder Verletzung eines Kindes müsse dieses binnen einer Reaktionszeit von nur 10 Minuten abgeholt werden. Sie sei als Alleinerziehende dabei auf ihre Nachbarn angewiesen, die zu den Kindern in einem großelternähnlichen Verhältnis stünden und, da die Einrichtung nicht wohnortnah sei, die zeitlichen Vorgaben nicht einhalten könnten. Die Kammer wertet dieses klägerische Vorbringen, ohne dass es einer weiteren Aufklärung bedürfte, als Schutzbehauptung. Einerseits findet sich eine entsprechende verbindliche Klausel nicht in dem zu den Akten gereichten Exemplar des Betreuungsvertrages für die Söhne der Klägerin, in dem unter § 14.1 indes festgehalten ist, dass Änderungen und Ergänzungen des Vertrages der Schriftform bedürfen und mündliche Nebenabreden nicht getroffen worden sind. Andererseits hat die Beklagte erklärt, von derartigen Bestimmungen oder Elternbeschwerden hierüber keine Kenntnis zu haben. Schließlich erscheinen die behaupteten Anforderungen der Kammer lebensfremd, da sie sich für die überwiegende Mehrzahl der Eltern, wenn nicht gar für alle, als unerfüllbar darstellen dürften. Eine Reaktionszeit von nur zehn Minuten dürfte selbst für diejenige Minderheit der Eltern, die in unmittelbarer Nähe zur Einrichtung leben und arbeiten und die ihre Arbeitsstätte bei Meldung eines Unfalls oder einer Krankheit unverzüglich verlassen können, regelmäßig nicht in jedem Fall zu realisieren und deshalb von Seiten der Einrichtung nicht zu verlangen sein. Tatsächlich dürften bereits, ein sofortiges telefonisches Erreichen der Eltern unterstellt, erforderliche Absprachen mit Kollegen und die verbleibenden Wegzeiten mehr als zehn Minuten dauern. Der Wunsch, im Krisenfall seine Kleinkinder zügig selbst oder durch Vertrauenspersonen aus der KiTa abholen (lassen) zu können, ist menschlich nachvollziehbar. Grundsätzlich sind entsprechende Erwägungen jedoch bereits in die obigen Anforderungen betreffend die Zumutbarkeit der örtlichen Lage des Betreuungsangebotes eingestellt. Dass im vorliegenden Einzelfall anderes gelten könnte, ist für die Kammer nicht ersichtlich.
81Die Annahme, dass die Beklagte der Klägerin angemessene Betreuungsplätze im Sinne des § 24 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII nachgewiesen hätte, wird auch nicht dadurch in Zweifel gezogen, dass für die Inanspruchnahme der Plätze zusätzliche Teilnahmebeiträge zu entrichten waren. Das Bundesverwaltungsgericht hat insoweit festgestellt, dass die Höhe des Teilnahmebeitrages für die Erfüllung des Anspruchs auf Nachweis ohne Bedeutung ist.
82Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Oktober 2017 - 5 C 19.16 -, juris Rn. 44, m.w.N. aus der Literatur.
83Zu Recht führt das Bundesverwaltungsgericht insoweit aus, dass weder Wortlaut noch Entstehungsgeschichte einen Anhaltspunkt dafür lieferten, dass nur solche Plätze nachgewiesen werden dürfen, für die ein in der Höhe begrenzter Teilnahmebeitrag zu leisten ist.
84Es ist dem Bundesverwaltungsgericht beizupflichten, wenn es feststellt, die Höhe des zu entrichtenden Teilnahmebeitrags sei von Bedeutung für den mit § 24 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII verfolgten Zweck, jedem anspruchsberechtigten Kind Zugang zu einer bedarfsgerechten Betreuung zu eröffnen und tatsächlich eine verlässliche, bestmögliche Kinderbetreuung zu gewährleisten: Die Erreichung dieses Zieles darf nicht dadurch gefährdet oder gar vereitelt werden, dass ein nachgewiesener Betreuungsplatz für den Leistungsberechtigten mit unzumutbar hohen Aufwendungen verbunden ist. Gleichwohl ist die Höhe des Teilnahmebeitrags nicht schon bei dem Nachweis eines Betreuungsplatzes in Rechnung zu stellen. Dies folgt aus der Systematik des Gesetzes. Der Gesetzgeber hat sich dafür entschieden, die Prüfung der konkret-individuellen Zumutbarkeit für den Teilnahmebeitragspflichtigen einem eigenständigen Verfahren zuzuweisen. Es ist dem Verfahren nach § 90 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII vorbehalten, den Beitragsschuldner vor unzumutbaren finanziellen Belastungen zu bewahren. Nach § 90 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII soll u.a. der Teilnahmebeitrag vom Träger der öffentlichen Jugendhilfe ganz oder teilweise übernommen werden, wenn die Belastung dem Kind und den Eltern nicht zuzumuten ist.
85Vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 25. April 1997 - 5 C 6.96 -, juris; zum Ganzen BVerwG, Urteil vom 26. Oktober 2017 - 5 C 19.16 -, juris Rn. 44.
86Dem Gebot, die von § 24 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII insbesondere angestrebte Gewährung einer bestmöglichen Kinderbetreuung nicht durch unzumutbare finanzielle Hürden zu gefährden oder zu vereiteln, ist bei der Auslegung und Anwendung des § 90 Abs. 3 SGB VIII, den in § 90 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII genannten Bestimmungen des Zwölften Buches Sozialgesetzbuches (SGB XII) und anderer einschlägiger landesrechtlicher Regelungen mit besonderem Gewicht Rechnung zu tragen. Dies gilt gleichermaßen für das Anliegen des Gesetzgebers, durch die Tagesbetreuung den differenzierten Bedürfnissen von Kindern und Familien auch im Hinblick auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie den Anforderungen an eine Wissensgesellschaft zu entsprechen und Chancengleichheit für Kinder zu erreichen.
87Die Höhe des Beitrags ist entgegen dem klägerischen Vortrag auch nicht aus Gründen des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz, GG) bereits bei dem Nachweis eines Betreuungsplatzes zu beachten. Insbesondere ist der Träger der öffentlichen Jugendhilfe nicht zur Vermeidung eines gleichheitswidrigen Begünstigungsausschlusses gehalten, dem Kind einen Platz in einer Einrichtung in öffentlicher Trägerschaft nachzuweisen, weil für die Nutzung dieser Einrichtungen geringere Beiträge erhoben werden als in Einrichtungen privater Träger. Ein Gleichheitsverstoß liegt schon deshalb nicht vor, weil die Ungleichbehandlung aus Sachgründen in einer dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügenden Weise gerechtfertigt ist.
88Vgl. BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2014 - 1 BvL 21/12 -, juris = BVerfGE 138, 136 Rn. 121.
89Sie ist im Kern Folge der nicht zu beanstandenden Entscheidung des Gesetzgebers, dass der Anspruch aus § 24 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII auch durch Nachweis eines Platzes in einer Einrichtung eines privaten Trägers erfüllt werden kann. Hinzu kommt, dass bei einer unzumutbaren finanziellen Belastung durch einen Teilnahmebeitrag dieser – wie dargelegt – nach § 90 Abs. 4 SGB VIII ganz oder teilweise übernommen werden soll.
90Schließlich führen auch die seitens der Klägerin in der Elterninitiative zu verrichtenden Elterndienste wie das Waschen von Textilien oder die Anbringung von Regalen nicht dazu, dass die angebotenen Betreuungsplätze unangemessen wären. Die aus den Elterndiensten folgende Ungleichbehandlung mit Eltern, deren Kinder in öffentlichen Einrichtungen betreut werden und die dort nicht zu vergleichbaren Diensten herangezogen werden, ist gleichfalls Folge der wie gezeigt nicht zu beanstandenden Entscheidung des Gesetzgebers, dass der Anspruch aus § 24 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII auch durch Nachweis eines Platzes in einer Einrichtung eines privaten Trägers erfüllt werden kann.
913. Der Anspruch der Klägerin auf Erstattung der ihr entstandenen Kosten in Höhe von 2.380,- Euro scheitert unbeschadet der getroffenen Feststellungen (jedenfalls) auf Rechtsfolgenseite. Das Bundesverwaltungsgericht hat hierzu entschieden, dass der Sekundäranspruch nicht mehr gewährt als der Primäranspruch.
92Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Oktober 2017 - 5 C 19.16 -, juris.
93Konnte die Beklagte nach dem Gesagten ihren Anspruch auf Nachweis von Betreuungsplätzen für die Söhne der Klägerin aus § 24 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII mit den im streitgegenständlichen Zeitraum tatsächlich in Anspruch genommenen Plätzen erfüllen, so scheidet ein Sekundäranspruch auf Übernahme von Aufwendungen in analoger Anwendung des § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII selbst für den Fall aus, dass sie die fraglichen Plätze tatsächlich selbst beschafft hätte.
94Der Umfang der zu übernehmenden erforderlichen Aufwendungen entspricht dem Betrag, der bei rechtzeitigem Nachweis eines ausreichenden Förderangebots von dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe nach den zugrunde liegenden öffentlich-rechtlichen Bestimmungen zu tragen gewesen wäre.
95Vgl. BVerwG, Urteile vom 26. Oktober 2017 - 5 C 19.16 -, juris, und vom 1. März 2012 - 5 C 12.11 -, juris = BVerwGE 142, 115 Rn. 22 f.
96Ist der Primäranspruch – wie hier – nicht auf den Nachweis eines beitragsfreien Betreuungsplatzes gerichtet, hat der Träger der öffentlichen Jugendhilfe nur diejenigen Aufwendungen zu übernehmen, die das nach § 24 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII anspruchsberechtigte Kind im Fall des rechtzeitigen und ordnungsgemäßen Nachweises eines Betreuungsplatzes nicht hätte tragen müssen. Vorliegend hätte die Klägerin – eine Selbstbeschaffung der in Anspruch genommenen Plätze für diese Zwecke unterstellt – die geltend gemachten Kosten ebenfalls selbst tragen müssen, da die Beklagte wie festgestellt ihren Primäranspruch mit den Plätzen in der Elterninitiative „Die N1. “ erfüllen konnte. Die Klägerin wäre anderenfalls durch eine Kostenübernahme besser gestellt als bei (hier tatsächlich erfolgter) Erfüllung des Primäranspruches.
97II. Ein Anspruch auf Erstattung der Zuzahlungen ergibt sich im vorliegenden Fall auch nicht aus § 90 Abs. 4 SGB VIII (analog). Die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Übernahme bzw. Erstattung der Zuzahlungen durch die Beklagte sind nicht erfüllt. Nach § 90 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII soll in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 3 (Inanspruchnahme von Angeboten der Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und Kindertagespflege) der Kostenbeitrag auf Antrag ganz oder teilweise erlassen oder ein Teilnahmebeitrag auf Antrag ganz oder teilweise vom Träger der öffentlichen Jugendhilfe übernommen werden, wenn die Belastung den Eltern und dem Kind nicht zuzumuten ist.
98Vorliegend kann offenbleiben, ob überhaupt von einem entsprechenden Antrag der Klägerin bzw. deren Söhnen auszugehen ist. Der sozialrechtliche Meistbegünstigungsgrundsatz (vgl. auch § 16 Abs. 3 des Ersten Buches Sozialgesetzbuches, SGB I) könnte insoweit dafür sprechen, den Antrag der Klägerin (auch) dahingehend weit auszulegen.
99Es mangelt im vorliegenden Fall aber jedenfalls an der erforderlichen Unzumutbarkeit der Belastung. Nicht zuzumuten sind Kostenbeiträge nach dem Gesetz immer dann, wenn Eltern oder Kinder Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch, Leistungen nach dem dritten und vierten Kapitel des Zwölften Buches oder Leistungen nach den §§ 2 und 3 des Asylbewerberleistungsgesetzes beziehen oder wenn die Eltern des Kindes Kinderzuschlag gemäß § 6a des Bundeskindergeldgesetzes oder Wohngeld nach dem Wohngeldgesetz erhalten. Die Klägerin hat selbst vorgetragen, das Amt der Professorin (FH) in Vollzeit auszuüben. Mangels anderweitiger Angaben ihrerseits ist davon auszugehen, dass sie sich unter Berücksichtigung ihrer individuellen Umstände besserstellt als Bezieher der im Gesetz genannten Leistungen. Gegenteiliges ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
100III. Entgegen der Auffassung der Klägerin ergibt sich der geltend gemachte Anspruch auch nicht aus dem Rechtsinstitut des richterrechtlichen Folgenbeseitigungsanspruches in Form des Folgenentschädigungsanspruches. Dieser gewohnheitsrechtlich anerkannte – und infolgedessen gegenüber dem gesetzlich geregelten Anspruch nach § 36a Abs. 3 SGB VIII (analog) als subsidiär zu behandelnde – Anspruch setzt unter anderem die Schaffung eines rechtswidrigen, noch andauernden Zustandes zu Lasten des Betroffenen voraus. Aus dem Gesagten ergibt sich, dass die Klägerin nicht durch einen rechtswidrigen Zustand belastet ist.
101IV. Auch sonstige Anspruchsgrundlagen wie der seitens der Klägerin vorgebrachte Grundsatz von Treu und Glauben verhelfen ihrem Anliegen nicht zum Erfolg. Das gilt auch mit Blick auf ihren Vortrag, ein Mitarbeiter der Beklagten habe ihr in einem Telefonat erklärt, die von ihr an den Verein „Die N1. e.V.“ zu entrichtenden Beträge fielen pro Familie und nicht pro Kind an. Die Beklagte hat Auskünfte des angegebenen Inhalts bestritten. Doch auch unterstellt, die Äußerungen wären wie von der Klägerin behauptet getätigt worden, könnte sie hieraus nichts für sich herleiten: Zwar gibt die Klägerin an, sich auf die Angaben verlassen zu haben. Sie trägt aber ebenso schriftsätzlich vor, der Mitarbeiter sei sich diesbezüglich unsicher gewesen, habe sich aber rückversichern und zurückrufen wollen. Dieser Rückruf sei nie geschehen. In dieser Situation hätte die Klägerin sich nicht auf die Auskunft des – unsicheren – Mitarbeiters verlassen dürfen. Erst recht hätte sie nicht aus dem Unterbleiben des angekündigten Rückrufes schließen dürfen, dass die unter Zweifeln geäußerte Auffassung zutreffe. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Mitarbeiter der Beklagten bzw. die Beklagte für die Erhebung der Vereinsbeiträge gar nicht zuständig war. Jedenfalls der Rechtsgedanke des § 38 Abs. 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (VwVfG NRW) und des § 34 Abs 1 SGB X legt es besonders nahe, dass die nur telefonisch und unter Offenlegung eigener Zweifel erteilte Auskunft (schon nach dem Vortrag der Klägerin selbst dürfte es sich letztlich eher um eine Mutmaßung gehandelt haben) keine rechtliche Bindungswirkung zu Lasten der Beklagten zu entfalten geeignet war.
102Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 2, 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei, § 188 Satz 2 VwGO.
103Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).
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