Beschluss vom Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße (5. Kammer) - 5 K 384/20.NW
Tenor
Das Verfahren wird eingestellt.
Die Kosten des übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärten Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.
Der Streitwert wird auf 5.000 € festgesetzt.
Gründe
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Nachdem die Beteiligten die Hauptsache des anhängigen Rechtsstreits übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 3 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – einzustellen und gemäß § 161 Abs. 2 VwGO nur noch über die Kosten des Verfahrens nach billigem Ermessen unter Beachtung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu entscheiden.
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Von Bedeutung ist dabei, ob und inwieweit die Beteiligten durch eigene Maßnahmen die Erledigung herbeigeführt haben. Daneben können bei der Billigkeitsentscheidung aber auch andere Erwägungen von Bedeutung sein. In der Regel entspricht es billigem Ermessen, die Kosten dem Beteiligten aufzuerlegen, der voraussichtlich unterlegen wäre (Clausing, in: Schoch/Schneider/Bier, Verwaltungsgerichtsordnung, Stand Juli 2020, § 161 Rn. 23). Die Kosten können auch entsprechend dem Grad der Erfolgsaussichten gequotelt werden. Ist der Ausgang des Verfahrens aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen gänzlich offen, wird es zumeist der Billigkeit entsprechen, die Kosten den Beteiligten zu gleichen Teilen aufzuerlegen (Neumann/Schaks, in: Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 5. Auflage 2018, § 161 Rn. 89). Maßgeblicher Zeitpunkt ist die Sach- und Rechtslage unmittelbar vor Eintritt des Ereignisses, an welches die Beteiligten ihre Erledigungserklärungen knüpfen, mag dieses tatsächlich zu einer Erledigung geführt haben oder nicht (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 19. Februar 2021 – 7 B 10014/21.OVG –; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 06. März 2020 – 9 A 4502/19 –, BeckRS 2020, 3560, Rn. 3; Kopp/Schenke, VwGO, 26. Auflage 2020, § 161 Rn. 16 m.w.N.; Neumann/Schaks, in: Sodan/Ziekow, a.a.O., § 161 Rn. 83).
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Nach diesem Maßstab entspricht es vorliegend billigem Ermessen, die Kosten des Verfahrens dem Beklagten aufzuerlegen, weil dieser bei einer streitigen Entscheidung voraussichtlich unterlegen wäre.
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A. Das Gericht geht davon aus, dass die Klage zum Zeitpunkt der übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Beteiligten zulässig war.
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1. Zunächst richtete sich die örtliche Zuständigkeit des Gerichts nach der vorrangig zu prüfenden Vorschrift des § 52 Nr. 1 VwGO. Danach ist in Streitigkeiten, die sich auf unbewegliches Vermögen oder ein ortsgebundenes Recht oder Rechtsverhältnis beziehen, das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk das Vermögen oder der Ort liegt. Zweck der Vorschrift ist es, in Streitigkeiten, die einen spezifischen Bezug zu einem Ort aufweisen, das mit der besten Ortskundigkeit oder zumindest der besten Möglichkeit, sich diese Kundigkeit zu verschaffen, ausgestattete ortsnächste Gericht entscheiden zu lassen. Diesem Ziel entspricht es, den von § 52 Nr. 1 VwGO geforderten Bezug der Streitigkeit auf unbewegliches Vermögen oder ein ortsgebundenes Recht oder Rechtsverhältnis weit auszulegen (OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 05. August 2016 – 2 F 10675/16 –, juris Rn. 2). Es genügt daher jede, auch nur mittelbare Beziehung des Rechtsstreits zum unbeweglichen Vermögen bzw. ortsgebundenen Recht oder Rechtsverhältnis (vgl. Ziekow, in: Sodan/Ziekow, a.a.O., § 52 Rn. 8). Ein hinreichender Ortsbezug besteht z.B. bei Streitigkeiten über Forst- und Jagdrechte (s. Berstermann, in: BeckOK VwGO, Posser/Wolff, Stand Januar 2021, § 52 Rn. 6; Kraft, in: Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 15. Auflage 2019, § 52 Rn. 12). Eine Ortsgebundenheit liegt nicht nur dann vor, wenn das Recht oder Rechtsverhältnis in einer Liegenschaft und deren aufstehenden wesentlichen Bestandteilen wurzelt. Sie ist nach Sinn und Zweck des Gerichtsstandes der Belegenheit auch dann anzunehmen, wenn das Recht oder Rechtsverhältnis derart eng an die belegene Sache gebunden ist, dass es ohne dieses nicht denkbar ist (s. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 30. November 2000 – 13 A 1600/98 –, juris Rn. 5; VG Koblenz, Beschluss vom 11. Februar 2021 – 3 K 1130/20.KO –).
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Vorliegend prägt der Ortsbezug die Rechtsstreitigkeit wesentlich. Die Klägerin hat bestritten, dass die Voraussetzungen für eine im Schreiben der Zentralstelle der Forstverwaltung vom 20. März 2020 vorgenommene Verkürzung sowie Aufhebung der Schonzeit für bestimmte Wildarten für bestimmte Zeiträume nach § 32 Abs. 1 Satz 3 Landesjagdgesetz – LJG – vorgelegen haben. Nach § 32 Abs. 1 Satz 3 LJG kann die obere Jagdbehörde die Schonzeiten für bestimmte Gebiete oder für einzelne Jagdbezirke aus besonderen Gründen, insbesondere aus Gründen der Landeskultur, zur Bekämpfung von Tierseuchen, zur Beseitigung kranken oder kümmernden Wildes, zur Vermeidung von übermäßigen Wildschäden, zu wissenschaftlichen Lehr- und Forschungszwecken, bei Störung des biologischen Gleichgewichts oder der Wildhege, abkürzen oder aufheben. Damit liegt eine besondere Beziehung des Rechts oder Rechtsverhältnisses zu einem bestimmten Territorium vor (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. Dezember 1996 – 7 AV 11-18/96 –, NJW 1997, 1022 und BVerwG, Beschluss vom 18. Juli 2016 – 3 AV 1/16 –, NVwZ 2017, 726). Das angerufene Gericht war damit zuständig für die in Eigenregie bewirtschafteten nicht verpachteten staatlichen Eigenjagdbezirke des Landesbetriebs Landesforsten Rheinland-Pfalz, die im Zuständigkeitsbereich des VG Neustadt/Wstr. liegen.
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2. Die Klage war nach Auffassung des Gerichts zwar nicht als Feststellungsklage nach § 43 VwGO, aber als Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO (bezüglich der Schonzeitenaufhebung für Schmalrehe und Rehböcke, für Schmaltiere und Schmalspießer beim Rot- und Damwild sowie für Schmalschafe und Jährlinge beim Muffelwild vom 15. April bis 30. April 2020) bzw. als Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 VwGO (bezüglich der Schonzeitenaufhebung für Muffelwild außerhalb der Bewirtschaftungsbezirke bis zum 31. März 2021) statthaft.
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Gemäß § 43 Abs. 1 VwGO kann durch Klage die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat (Feststellungsklage). Die Feststellung kann nach § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO nicht begehrt werden, soweit der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können. Von Letzterem war nach Auffassung der Kammer hier auszugehen.
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Die Zentralstelle der Forstverwaltung hat mit an den Landesbetrieb Landesforsten Rheinland-Pfalz gerichteten Schreiben vom 20. März 2020 die vom Beklagten beantragte und vom Kläger beanstandete Schonzeitaufhebung gewährt. Zwar erging dieses Schreiben nicht in der äußerlichen Form eines Verwaltungsakts im Sinne des § 1 Abs. 1 Landesverwaltungsverfahrensgesetz – LVwVfG – i.V.m. § 35 Verwaltungsverfahrensgesetz – VwVfG –. Jedoch handelte es sich bei diesem Schreiben nicht lediglich um eine behördeninterne Maßnahme. Es erfüllte vielmehr die Anforderungen an einen materiellen Verwaltungsakt.
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Ein Verwaltungsakt i. S. d. § 35 Satz 1 VwVfG ist die rechtsverbindliche hoheitliche Regelung eines Einzelfalles durch eine Verwaltungsbehörde. Die getroffene Maßnahme muss Rechte des Betroffenen unmittelbar begründen, verbindlich feststellen, beeinträchtigen, aufheben oder mit bindender Wirkung verneinen. Eine solche Regelung eines Einzelfalles setzt eine unmittelbare rechtliche Außenwirkung voraus. Ob eine Verwaltungsmaßnahme ihrer Rechtsnatur nach Verwaltungsakt ist, hängt davon ab, ob sie ihrem objektiven Sinngehalt nach darauf gerichtet ist, Außenwirkung zu entfalten, nicht aber davon, wie sie sich im Einzelfall tatsächlich auswirkt (BVerwG, Urteil vom 26. April 2012 – 2 C 17/10 –, NVwZ 2012, 1483). Ob eine solche Gerichtetheit auf unmittelbare Außenwirkung besteht, wird wesentlich durch die Ausgestaltung des zugrundeliegenden materiellen Rechts bestimmt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. Februar 1978 – VII B 36.77 –, NJW 1978, 1820).
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Mit dem an den Landesbetrieb Landesforsten Rheinland-Pfalz gerichteten Schreiben vom 20. März 2020 traf die Zentralstelle der Forstverwaltung als nach § 44 Abs. 1 Satz 2 LJG zuständige obere Jagdbehörde eine Einzelanordnung nach § 32 Abs. 1 Satz 3 LJG zugunsten ihres Rechtsträgers „Land Rheinland-Pfalz“ dahingehend, dass die Schonzeit für bestimmte Wildarten für die in Eigenregie bewirtschafteten nicht verpachteten staatlichen Eigenjagdbezirke des Landesbetriebs Landesforsten Rheinland-Pfalz aufgehoben wurden. Dieses Schreiben stellte entgegen der Ansicht des Beklagten nicht lediglich ein behördeninternes Papier dar, dem keinerlei Außenwirkung zukommt. Vielmehr hatte dieses Schreiben die Qualität des sog. „In-sich-Verwaltungsakts“. Soweit eine Behörde gegenüber ihrem eigenen Rechtsträger eine Maßnahme trifft, ist Außenwirkung jedenfalls dann anzunehmen, wenn eine vergleichbare Maßnahme auch gegenüber einem Privaten hätte ergehen können (s. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 9. Auflage 2018, § 35 Rn. 190; Niesler, in: Brand/Domgörgen, Handbuch Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozess, 4. Auflage 218, D 61). Dies war hier der Fall und wurde in über 100 Fällen vom Beklagten auch entsprechend praktiziert.
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Ist das Schreiben vom 20. März 2020 aber als Verwaltungsakt zu qualifizieren, so war die Feststellungsklage gegenüber der Fortsetzungsfeststellungsklage – die Schonzeitaufhebung hatte sich in Bezug auf die Schonzeit für Schmalrehe und Rehböcke, für Schmaltiere und Schmalspießer beim Rot- und Damwild sowie für Schmalschafe und Jährlinge beim Muffelwild bereits erledigt – und der Anfechtungsklage gemäß § 43 Abs. 2 VwGO subsidiär.
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Die Umstellung von der Feststellungsklage zur Fortsetzungsfeststellungsklage und Anfechtungsklage wäre nach § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 264 Nr. 2 Zivilprozessordnung – ZPO – zulässig gewesen.
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3. Der Kläger war nach Auffassung der Kammer auch klagebefugt im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO.
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3.1. Zwar folgt die Klagebefugnis des Klägers nicht aus den §§ 63, 64 Bundesnaturschutzgesetz – BNatSchG –, da der Kläger bei einer Entscheidung nach § 32 Abs. 1 Satz 3 LJG – anders als etwa bei der Befähigungsprüfung für Jagdaufseherinnen und Jagdaufseher (s. § 33 Abs. 2 Nr. 3 LJG) und bei der Brauchbarkeitsprüfung von Jagdhunden (s. § 36 Abs. 2 LJG) – nicht zu beteiligen ist.
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3.2. Allerdings ergab sich die Klagebefugnis aus § 2 Umweltrechtsbehelfsgesetz – UmwRG – i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 UmwRG.
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Gemäß § 2 Abs. 1 UmwRG kann eine nach § 3 anerkannte inländische oder ausländische Vereinigung, ohne eine Verletzung in eigenen Rechten geltend machen zu müssen, Rechtsbehelfe nach Maßgabe der Verwaltungsgerichtsordnung gegen eine Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 oder deren Unterlassen einlegen, wenn die Vereinigung 1. geltend macht, dass eine Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 oder deren Unterlassen Rechtsvorschriften, die für die Entscheidung von Bedeutung sein können, widerspricht, 2. geltend macht, in ihrem satzungsgemäßen Aufgabenbereich der Förderung der Ziele des Umweltschutzes durch die Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 oder deren Unterlassen berührt zu sein, und 3. im Falle eines Verfahrens nach a) § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 2b zur Beteiligung berechtigt war; b) § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 zur Beteiligung berechtigt war und sie sich hierbei in der Sache gemäß den geltenden Rechtsvorschriften geäußert hat oder ihr entgegen den geltenden Rechtsvorschriften keine Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden ist. Bei Rechtsbehelfen gegen eine Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2a bis 6 oder gegen deren Unterlassen muss die Vereinigung zudem die Verletzung umweltbezogener Rechtsvorschriften geltend machen.
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3.2.1. Bei dem Kläger handelt es sich um eine nach § 3 UmwRG anerkannte inländische Vereinigung (s. Bekanntmachung im Ministerialblatt der Landesregierung Rheinland-Pfalz vom 09. April 1991, MinBlatt 1991, Seite 175 und das Anerkennungsschreiben des Ministeriums für Umwelt, Forsten und Verbraucherschutz vom 06. April 2010).
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3.2.2. Hier konnte sich der Kläger auf § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 UmwRG berufen, denn dessen sachlicher Anwendungsbereich ist eröffnet. Danach ist das Umweltrechtsbehelfsgesetz auch anzuwenden auf Rechtsbehelfe gegen Verwaltungsakte oder öffentlich-rechtliche Verträge, durch die andere als in den Nummern 1 bis 2b genannte Vorhaben unter Anwendung umweltbezogener Rechtsvorschriften des Bundesrechts, des Landesrechts oder unmittelbar geltender Rechtsakte der Europäischen Union zugelassen werden.
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(1) Der als weiter Auffangtatbestand konzipierte § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 UmwRG soll sicherstellen, dass Art. 9 Abs. 3 Aarhus-Konvention vollständig im deutschen Recht umgesetzt ist (OVG Niedersachsen, Beschluss vom 26. Juni 2020 – 4 ME 116/20 –, juris; s. auch BT-Drucksache 422/16, Seite 26 f.). Entsprechend dieser Zielsetzung ist die Bestimmung abschließend (Schieferdecker, in: Hoppe/Beckmann/Kment, UVPG/UmwRG, 5. Auflage 2018, § 1 UmwRG Rn. 64). Der Begriff des „Vorhabens“ im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 UmwRG orientiert sich an der Begriffsbestimmung des § 2 Abs. 4 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung – UVPG – (vgl. Schlacke, in: Gärditz, Verwaltungsgerichtsordnung mit Nebengesetzen, 2. Auflage 2018, § 1 UmwRG Rn. 50). Vorhaben sind danach die Errichtung, der Betrieb und die Änderung von Anlagen und die Durchführung und Änderung von sonstigen in Natur und Landschaft eingreifenden Maßnahmen.
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(2) § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 UmwRG greift nur ein, wenn ein Vorhaben unter Anwendung „umweltbezogener Rechtsvorschriften“ des Bundesrechts, des Landesrechts oder unmittelbar geltender Rechtsakte der Europäischen Union zugelassen wird. Der Begriff der umweltbezogenen Rechtsvorschriften ist in § 1 Abs. 4 UmwRG legaldefiniert, d.h. darunter sind Bestimmungen zu verstehen, die sich zum Schutz von Mensch und Umwelt auf 1. den Zustand von Umweltbestandteilen im Sinne von § 2 Abs. 3 Nr. 1 Umweltinformationsgesetz – UIG – oder 2. Faktoren im Sinne von § 2 Abs. 3 Nr. 2 UIG beziehen. Als Umweltbestandteile werden in § 2 Abs. 3 Nr. 1 UIG aufgezählt: Luft und Atmosphäre, Wasser, Boden, Landschaft und natürliche Lebensräume einschließlich Feuchtgebiete, Küsten- und Meeresgebiete, die Artenvielfalt und ihre Bestandteile einschließlich gentechnisch veränderter Organismen, sowie die Wechselwirkungen zwischen diesen Bestandteilen. Faktoren sind Stoffe, Energie, Lärm und Strahlung, Abfälle aller Art sowie Emissionen, Ableitungen und sonstige Freisetzungen von Stoffen in die Umwelt, die sich auf die Umweltbestandteile im Sinne der Nr. 1 auswirken oder wahrscheinlich auswirken (§ 2 Abs. 3 Nr. 2 UIG).
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Demnach beschränken sich umweltbezogene Rechtsvorschriften nicht auf Rechtsvorschriften, in denen der Begriff „Umwelt“ im Titel oder der Überschrift vorkommt. Entscheidender Faktor ist allein, ob sich die betreffende Rechtsvorschrift in irgendeiner Weise auf Umweltbestandteile oder Faktoren im Sinne des § 2 Abs. 3 Nr. 1 und 2 UIG bezieht (vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Drucksache 18/9526, Seite 32; Bay. VGH, Beschluss vom 11. April 2018 – 2 CS 18/198 –, juris; Fellenberg/Schiller, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand August 2020, § 1 UmwRG Rn. 113). Von § 1 Abs. 4 UmwRG erfasst sein dürfte damit das gesamte materielle Umweltrecht, etwa die Vorschriften des Naturschutzrechts (Bundesnaturschutzgesetz und die entsprechenden Landesnaturschutzgesetze), des Waldrechts (Bundeswaldgesetz und Landesforstgesetze), des Immissionsschutzrechts (Bundesimmissionsschutzgesetz, Landesimmissionsschutzgesetze, Bundesimmissionsschutzverordnungen, TA Lärm, TA Luft) sowie wasserrechtliche Vorschriften (Wasserhaushaltsgesetz und Landeswassergesetze). Gleiches gilt für das umweltbezogene Verfahrensrecht. Bei allen anderen Rechtsnormen ist im konkreten Einzelfall zu prüfen, ob die in Bezug genommene Bestimmung voraussichtlich unmittelbare oder mittelbare Auswirkungen auf die Umwelt hat (Fellenberg/Schiller, in: Landmann/Rohmer, a.a.O., § 1 UmwRG Rn. 161).
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(3) In Anwendung dieser Grundsätze handelt es sich nach Auffassung des Gerichts bei § 32 Abs. 1 Satz 3 LJG um eine unter § 1 Abs. 4 UmwRG fallende umweltbezogene Rechtsvorschrift.
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§ 32 Abs. 1 Satz 3 LJG regelt die Befugnis der oberen Jagdbehörde, die Schonzeiten für bestimmte Gebiete oder für einzelne Jagdbezirke aus besonderen Gründen, insbesondere aus Gründen der Landeskultur, zur Bekämpfung von Tierseuchen, zur Beseitigung kranken oder kümmernden Wildes, zur Vermeidung von übermäßigen Wildschäden, zu wissenschaftlichen Lehr- und Forschungszwecken, bei Störung des biologischen Gleichgewichts oder der Wildhege, abzukürzen oder aufzuheben. Bei den temporären Schonzeiten steht das Interesse an einer ausgewogenen Wildpopulation im Vordergrund (Metzger, in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, Stand Oktober 2020, § 22 BJagdG Rn. 1). Schonzeiten verfolgen den Zweck der Hege des Wildes und sollen die Aufzucht der Jungtiere sichern (VG Ansbach, Beschluss vom 30. April 1998 – AN 15 E 98.00625 –, BeckRS 1998, 31211362 und VG München, Beschluss vom 24. Januar 2012 – M 7 SE 12.166 – BeckRS 2012, 212732). Das Jagdrecht weist, wie § 2 LJG aufzeigt, zahlreiche Berührungspunkte mit dem Naturschutzrecht und dem Artenschutzrecht auf. Danach soll das Landesjagdgesetz dazu beitragen, einen artenreichen und gesunden Wildbestand zu erhalten und in einem seinen natürlichen Lebensgrundlagen und den landeskulturellen Gegebenheiten angepassten Verhältnis zu entwickeln (Nr. 1), die natürlichen Lebensgrundlagen des Wildes zu sichern und zu verbessern (Nr. 2), bedrohte Wildarten zu schützen, ihren Bestand zu sichern und zu mehren (Nr. 3), Beeinträchtigungen einer ordnungsgemäßen land-, forst- und fischereiwirtschaftlichen Nutzung durch das Wild zu vermeiden (Nr. 4), die wild lebenden Tierarten als wesentlichen Bestandteil der biologischen Vielfalt und des Naturhaushaltes in ihrer Vielfalt zu bewahren (Nr. 5), das Jagdwesen unter Berücksichtigung der sonstigen öffentlichen Belange, insbesondere der Belange der Landeskultur und des Naturschutzes, zu entwickeln (Nr. 6), die Belange des Tierschutzes in allen Bereichen der Jagdausübung zu berücksichtigen (Nr. 7) und die Jagd als naturnahe nachhaltige Nutzungsform und als Kulturgut zu sichern (Nr. 8).
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Während § 2 Nr. 1 und Nr. 2 LJG den Schutz des Wildes und seiner natürlichen Lebensgrundlagen als Handlungsziel und Handlungsschwerpunkt herausstellen, hebt der Gesetzgeber mit § 2 Nr. 3 LJG den Schutz von Wildarten, deren Bestand bedroht ist, in besonderer Weise hervor. Damit findet die naturschutzrechtliche Vorgabe der Wahrung eines günstigen Erhaltungszustands der Arten auch in die jagdrechtlichen Vorschriften Eingang (Schaefer/Asam/Konrad, Kommentar zum Landesjagdgesetz, Stand Dezember 2020, § 2 Anm. 2.2.). § 31 Abs. 1 LJG greift diese Zielsetzung auf. Danach ist der Abschuss des Wildes so zu regeln, dass die berechtigten Ansprüche der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft auf Schutz gegen Wildschäden sowie die Belange des Naturschutzes, der Landschaftspflege und der Bekämpfung von Tierseuchen gewahrt bleiben. Den Erfordernissen des Waldbaus und der Vermeidung von Wildschäden ist der Vorrang vor der zahlenmäßigen Hege einer Wildart zu geben. Innerhalb der durch die Sätze 1 und 2 gebotenen Grenzen soll die Abschussregelung dazu beitragen, dass ein gesunder Wildbestand aller heimischen Wildarten in angemessener Zahl erhalten bleibt und insbesondere der Schutz von Wildarten gesichert ist, deren Bestand bedroht ist; dies gilt für Rot-, Dam- und Muffelwild nur innerhalb der Bewirtschaftungsbezirke.
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Aufgrund der aufgezeigten Berührungspunkte mit dem Naturschutz- und Artenschutzrecht ist die auch im Zusammenhang mit den §§ 2, 31 und 38 LJG – Letzterer regelt zusätzlich die Verringerung des Wildbestandes unabhängig von den Schonzeiten – stehende Ausnahmeregelung des § 32 Abs. 1 Satz 3 LJG nach Auffassung der Kammer als umweltbezogene Rechtsvorschrift im Sinne des weit zu verstehenden § 1 Abs. 4 UmwRG anzusehen (vgl. auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17. Mai 2019 – OVG 11 S 40.19 –, juris zu § 18 Abs. 2 Satz 1 Pflanzenschutzgesetz – PflSchG –).
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3.2.3. Indem der Kläger u.a. naturschutzrechtliche Bedenken und Einwendungen gegen die Schonzeitaufhebung erhoben hat, machte er geltend, dass die erteilte Genehmigung Rechtsvorschriften widerspricht, die für die Entscheidung von Bedeutung sein können, § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UmwRG.
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3.2.4. Überdies machte der Kläger geltend, in seinem satzungsgemäßen Aufgabenbereich der Förderung der Ziele des Umweltschutzes durch die unterlassene Entscheidung berührt zu sein (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UmwRG). Er konnte sich insofern auf § 2 Abs. 1 seiner Satzung (s. https://ljv-rlp.de/der-ljv/formelles/satzung/) berufen, wonach der Landesjagdverband als vorrangige Ziele und Aufgaben die nachhaltige Sicherung der Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts, der Nutzungsfähigkeit der Naturgüter, der Vielfalt, Eigenart und Schönheit von Natur und Landschaft durch Schutz und Erhaltung der Artenvielfalt durch Sicherung ihrer natürlichen Lebensgrundlagen, Erhaltung unbebauter Bereiche als Lebensraum für die frei lebende Tierwelt, Pflege und Wiederherstellung von Wasserflächen und Feuchtgebieten, sparsamen und schonenden Umgang mit sich erneuernden und sich nicht erneuernden Naturgütern unter Wahrung der Belange der Landeskultur, der Förderung des Natur- und Umweltschutzes sowie der Landespflege und des Tierschutzes verwirklicht. Durch die Verkürzung der Schonzeiten stand insbesondere die nachhaltige Sicherung der Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts und der Nutzungsfähigkeit der Naturgüter im Sinne der genannten Vorschrift der Satzung im Raum.
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3.2.5. Das schließlich nach § 2 Abs. 1 Satz 2 UmwRG bei Verwaltungsakten nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 UmwRG bestehende Erfordernis, dass die Vereinigung die Verletzung umweltbezogener Vorschriften geltend machen muss, ist, wie ausgeführt, erfüllt.
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3.2.6. In § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UmwRG werden für die hier ergangene Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 UmwRG keine zusätzlichen Anforderungen an die Klagebefugnis aufgestellt.
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4. Der Kläger konnte sich hinsichtlich der erledigten Schonzeitaufhebung in Bezug auf Schmalrehe und Rehböcke, Schmaltiere und Schmalspießer beim Rot- und Damwild sowie auf Schmalschafe und Jährlinge beim Muffelwild auch auf ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse berufen.
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Allein in Betracht kam hier die Wiederholungsgefahr. Erforderlich ist hierfür die hinreichend bestimmte Gefahr, dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen ein gleichartiger Verwaltungsakt ergehen wird (s. z.B. BVerwG, Beschluss vom 17. Dezember 2019 – 9 B 52/18 –, NVwZ-RR 2020, 331). Zur Bejahung der Wiederholungsgefahr genügt eine in den Grundzügen fortbestehende Sachlage. Bei Ungewissheit, ob künftig gleiche tatsächliche Verhältnisse vorliegen werden, besteht kein berechtigtes Interesse (vgl. Riese, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsgerichtsordnung, Stand Juli 2020, § 113 Rn. 126). Das Feststellungsinteresse fehlt auch, wenn aufgrund der Einmaligkeit der Situation eine Wiederholung ausgeschlossen ist (Wolff, in: Sodan/Ziekow, a.a.O., § 113 Rn. 271). Hat sich die Wiederholungsgefahr bereits in einem nachfolgenden Verwaltungsakt realisiert, kann eine erneute Rechtsbeeinträchtigung insoweit nicht mehr verhindert werden. Daher entfällt das Fortsetzungsfeststellungsinteresse wegen Wiederholungsgefahr (im engeren Sinne) und der Betroffene ist auf die Rechtsschutzmöglichkeit der Anfechtung des neuen Verwaltungsakts zu verweisen (BVerwG, Beschluss vom 17. Dezember 2019 – 9 B 52/18 –, NVwZ-RR 2020, 331).
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Hiernach war vorliegend ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse gegeben. Der Beklagte hat die Schonzeitaufhebung für alle in Eigenregie bewirtschafteten nicht verpachteten staatlichen Eigenjagdbezirke des Landesbetriebs Landesforsten Rheinland-Pfalz in dem Schreiben vom 20. März 2020 damit begründet, die Folgen des Klimawandels hätten die Wälder mit voller Wucht getroffen. Diese besorgniserregende Entwicklung offenbare die Annahme eines besonderen Grundes im Sinne des § 32 Abs. 1 Satz 3 LJG. Durch die Jagdausübung müsse ein wesentlicher Beitrag zur erfolgreichen Wiederaufforstung der geschädigten Flächen und zur Stabilisierung der Naturverjüngung in den aufgelichteten Waldbeständen geleistet werden. In den vergangenen Jahren sei ein merklich früherer Beginn der Vegetationszeit in Rheinland-Pfalz festzustellen. Eine am 15. April beginnende und damit um ca. 14 Tage vorverlegte Jagdzeit werde daher als geeignete Maßnahme angesehen, die vorgenannten Ziele zu erreichen.
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In der Folge entwickelten die oberste und obere Jagdbehörde zusammen mit mehreren Interessenverbänden, darunter auch dem Kläger, im Mai 2020 das Strategiepapier „Waldumbau, Wild und Jagd im Zeichen des Klimawandels“. In dieser Walderklärung wurde auch ausdrücklich auf die Möglichkeit der Stellung von Anträgen zur Verkürzung von Schonzeiten nach § 32 Abs. 1 Satz 3 LJG hingewiesen.
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Schließlich bezeichnete die Ministerin für Umwelt, Energie, Ernährung und Forsten hat in ihrem Schreiben vom 18. Juni 2020 an den Vorsitzenden des Ausschusses für Umwelt Energie, Ernährung und Forsten im Landtag Rheinland-Pfalz die Vorverlegung der Jagdzeit auf Anfang oder Mitte April als Baustein einer effizienten Jagd in Zeiten des Klimawandels. Inzwischen habe die obere Jagdbehörde neben dem Antrag des Landesbetriebs Landesforsten über 170 weitere Einzelanträge bearbeitet und den Beginn der Jagdzeit vom 1. Mai auf den 15. April vorverlegt. Erste Erfahrungen in diesem Jahr hätten gezeigt, dass diese Maßnahme wirksam sei. Entsprechend den Vorgaben der Walderklärung sei in den Diskussionen der Schwerpunkt auf der Anwendung und Umsetzung bestehender jagdrechtlicher Vorschriften gelegt worden. Insofern spiele die Frage nach einer Änderung der Landesjagdverordnung und einer damit verbundenen allgemeinen Vorverlegung der Jagdzeiten keine entscheidende Rolle. Vielmehr sei die von Seiten des Landesgesetzgebers eingeräumte Möglichkeit einer Abkürzung oder Aufhebung der Schonzeit aus besonderen Gründen als geeignetes Steuerungsinstrument der oberen Jagdbehörde angesehen, das daher Aufnahme in das Strategiepapier „Waldumbau, Wild und Jagd im Zeichen des Klimawandels“ gefunden habe. Dabei habe keine landesweit gültige Gesamtentscheidung getroffen werden sollen. Die hohe Zahl von über 170 Einzelanträgen auf Vorverlegung der Jagdzeit auf Mitte April, die von der Oberen Jagdbehörde genehmigt worden seien, zeigten offensichtlichen Handlungsbedarf für die Jagdpraxis. Von einer Einzelfall- oder Sonderregelung für den Staatswald könne also keine Rede sein.
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Angesichts dieser Gegebenheiten bestand zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung, in der die beiden Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt haben und zu deren Beginn der Kläger noch keine Kenntnis von dem Schreiben des Beklagten vom 18. Februar 2021 hatte, eine hinreichend bestimmte Gefahr, dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen ein gleichartiger Verwaltungsakt ergehen würde. Das Fortsetzungsfeststellungsinteresse wegen Wiederholungsgefahr war noch nicht entfallen, denn der Beklagte hatte bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung gerade noch keine neuerlichen Schonzeitaufhebung für das Jahr 2021 gegenüber dem Landesbetrieb Landesforsten erteilt.
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B. Die Klage hätte darüber hinaus auch in der Sache voraussichtlich Erfolg gehabt.
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Der am 20. März 2020 erlassene „In-sich-Verwaltungsakt“ des Beklagten war ausdrücklich auf die Vorschrift des § 32 Abs. 1 Satz 3 LJG gestützt. Danach kann die obere Jagdbehörde die Schonzeiten für bestimmte Gebiete oder für einzelne Jagdbezirke aus besonderen Gründen, insbesondere aus Gründen der Landeskultur, zur Bekämpfung von Tierseuchen, zur Beseitigung kranken oder kümmernden Wildes, zur Vermeidung von übermäßigen Wildschäden, zu wissenschaftlichen Lehr- und Forschungszwecken, bei Störung des biologischen Gleichgewichts oder der Wildhege, abkürzen oder aufheben.
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Die Jagd auf Wild darf gemäß § 32 Abs. 1 Satz 1 LJG nur zu den Jagdzeiten ausgeübt werden. Außerhalb dieser Jagdzeiten ist Wild mit der Jagd zu verschonen (§ 32 Abs. 1 Satz 2 LJG). Die konkreten Jagdzeiten hat die Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Ernährung, Weinbau und Forsten auf Grund der Ermächtigung des § 51 Abs. 1 Nr. 6 LJG in § 42 Abs. 1 Landesjagdverordnung – LJVO – festgelegt. Dieser verweist ausdrücklich auf die Ausnahmeregelung des § 32 Abs. 1 Satz 3 LJG.
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Da die Jagd auf Wild gemäß § 32 Abs. 1 Satz 1 LJG nur zu den Jagdzeiten ausgeübt werden darf und außerhalb dieser Jagdzeiten Wild mit der Jagd zu verschonen ist (§ 32 Abs. 1 Satz 2 LJG), hat die Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Ernährung, Weinbau und Forsten auf Grund der Ermächtigung des § 51 Abs. 1 Nr. 6 LJG die konkreten Jagdzeiten für alle bejagbaren Tierarten in § 42 Abs. 1 Landesjagdverordnung – LJVO – bestimmt. Dieser verweist jedoch ausdrücklich auf die Ausnahmeregelung des § 32 Abs. 1 Satz 3 LJG.
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1. Diese Vorschrift verlangt zum einen das Vorliegen besonderer Gründe für die Aufhebung der Schonzeit und beschränkt zum anderen die Schonzeitaufhebung auf bestimmte Gebiete oder einzelne Jagdbezirke. Die genannte Bestimmung benennt beispielhaft mögliche Gründe zur Rechtfertigung einer Schonzeitaufhebung; die Verwendung des Wortes „insbesondere" macht dabei deutlich, dass die Aufzählung der besonderen Gründe nicht abschließend ist. Die Vielfalt der vom Gesetzgeber benannten Gründe (jagdliche, landeskulturelle, wissenschaftliche) veranschaulicht, dass völlig unterschiedliche Motive eine Aufhebung der Schonzeit rechtfertigen können. Aus der gesetzgeberischen Wortwahl („besondere Gründe“) und der Breite der benannten Beispiele ist zu ersehen, dass der Rechtfertigungsgrund für die Schonzeitaufhebung kein außerordentliches oder herausragendes Gewicht haben muss. Es genügt, wenn die Ausweitung der Jagdzeiten unter Berücksichtigung der gegebenen Umstände vernünftigerweise geboten ist und die besonderen Gründe höheres Gewicht haben als die Gründe für die allgemeine (regelmäßig dem Schutz von Brut- und Setzzeit dienende) Schonzeitregelung (vgl. Bay. VGH, Urteil vom 11. Dezember 2017 – 19 N 14.1022 –, juris und Bay. VGH, Urteil vom 13. Februar 2019 – 19 N 15.420 –, juris zu Schonzeitaufhebungen durch Rechtsverordnung; s. aber VG Ansbach, Beschluss vom 30. April 1998 – AN 15 E 98.00625 –, BeckRS 1998, 31211362 und VG München, Beschluss vom 24. Januar 2012 – M 7 SE 12.166 – BeckRS 2012, 212732, die in Bezug auf Einzelanordnungen bei der Frage, ob besondere Gründe vorliegen, einen strengen Maßstab anlegen).
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2. Zum anderen legt § 32 Abs. 1 Satz 3 LJG verbindlich fest, dass Schonzeitaufhebungen nur für bestimmte Gebiete oder einzelne Jagdbezirke ausgesprochen werden dürfen. § 32 Abs. 1 Satz 3 LJG hat damit eine örtliche Dimension. Er stellt mit der Beschränkung auf bestimmte Gebiete oder einzelne Jagdbezirke klar, dass eine Schonzeitaufhebung nicht mit einheitlicher Begründung flächendeckend im Land Rheinland-Pfalz durch Einzelanordnungen ergehen kann. Vielmehr muss bei auf der Grundlage des § 32 Abs. 1 Satz 3 LJG ergehenden Schonzeitaufhebungen in Bezug auf jedes „bestimmte Gebiet“ oder jeder „einzelne Jagdbezirk“ auf die Besonderheiten des jeweiligen Gebiets oder Jagdbezirks eingegangen werden.
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3. Hiervon ausgehend war die Schonzeitaufhebung vom 20. März 2020 rechtswidrig.
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3.1. Der Beklagte hat die dem Landesbetrieb Landesforsten gewährte Schonzeitaufhebung für sämtliche von ihm forstlich und jagdlich bewirtschafteten nicht verpachteten staatlichen Eigenjagdbezirke mit dem Klimawandel und die damit im Zusammenhang gebrachten Verbiss- und Schälschäden durch Schalenwild begründet. Der Klimawandel verursache Trockenheitsschäden und die Wälder seien infolge der Hitze und Dürre von einer schwerwiegenden Borkenkäferkalamität betroffen. Es sei sicherzustellen, dass der vom Klimawandel betroffene Wald nicht noch zusätzlich durch hohe und regional zum Teil überhöhte Wildbestände belastet werde. Die Jagdausübung müsse einen wesentlichen Beitrag zur erfolgreichen Wiederaufforstung der geschädigten Flächen und zur Stabilisierung der Naturverjüngung in den aufgelichteten Waldbeständen leisten. In den vergangenen Jahren sei ein merklich früherer Beginn der Vegetationszeit in Rheinland-Pfalz festzustellen. Eine am 15. April beginnende und damit um ca. 14 Tage vorverlegte Jagdzeit werde daher als geeignete Maßnahme angesehen, die vorgenannten Ziele zu erreichen.
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3.2. Diese Begründung rechtfertigte jedoch nicht den Erlass des vom Kläger beanstandeten In-sich-Verwaltungsakts vom 20. März 2020 für sämtliche vom Beklagten forstlich und jagdlich bewirtschafteten nicht verpachteten staatlichen Eigenjagdbezirken ohne nähere Prüfung des jeweiligen Einzelfalles.
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Das Gewicht eines besonderen Grundes kommt nach dem Wortlaut des § 32 Abs. 1 Satz 3 LJG „Wildschäden“ nur dann zu, wenn übermäßige Wildschäden zu befürchten sind und diese durch die Verkürzung der Schonzeit vermieden werden können. Durch die Verwendung des Begriffs „übermäßig“ bringt das Landesjagdgesetz zum Ausdruck, dass die übliche Schadensverursachung durch Wild, für das Schonzeiten in § 42 LJVO festgelegt sind, die Verkürzung der Schonzeit noch nicht rechtfertigt. Vielmehr verlangt das Landesjagdgesetz, dass es um die Vermeidung eines das übliche Maß in erheblichem Umfang übersteigenden Wildschadens geht (vgl. VG Ansbach, Beschluss vom 30. April 1998 – AN 15 E 98.00625 –, BeckRS 1998, 31211362 und VG München, Beschluss vom 24. Januar 2012 – M 7 SE 12.166 – BeckRS 2012, 212732). Ferner ist das Kriterium der Vermeidung von übermäßigen Wildschäden auch von anderen jagdlichen und forstlichen Faktoren im jeweiligen Jagdgebiet abhängig, die nach der gesetzlichen Vorgabe des § 32 Abs. 1 Satz 3 LJG im Einzelfall zu prüfen und zu bewerten sind. Dazu dürften beispielsweise Schäden durch Borkenkäfer zählen, die infolge des Klimawandels zuletzt verstärkt auch in rheinland-pfälzischen Wäldern zu verzeichnen sind (s. dazu näher https://www.wald.rlp.de/de/bewahren/waldschutz-schutz-vor-schaedlingen/ borkenkaefer/). Die betroffenen Wälder im Land leiden erheblich unter dem Klimawandel (s. dazu etwa das Positionspapier des Bundesamtes für Naturschutz vom April 2020 „Wälder im Klimawandel“, https://www.bfn.de/fileadmin/BfN/landwirtschaft/Dokumente/BfN-Positionspapier_Waelder_im_Klimawandel_bf.pdf). Angesichts der sichtbaren Auswirkungen der Witterungsextreme der letzten beiden Jahre auf die Wälder in Deutschland sollen daher zeitnah Maßnahmen ergriffen werden, um die bestehenden Wälder stärker zu schützen und die Anpassungsfähigkeit und Widerstandsfähigkeit der Wälder zu fördern. Die Ziele der Wiederbewaldung und des Waldumbaus können jedoch gefährdet werden durch den Verbiss durch das heimische Schalenwild, das zu einem gewissen Teil vom Verbiss der Forstpflanzen lebt. Insofern soll die Verkürzung der Schonzeit dazu dienen, durch die Tiere verursachte Verbissschäden im Wald zu reduzieren.
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Die vom Beklagten zur Rechtfertigung der Schonzeitaufhebung angeführten Argumente sind daher vom Grundsatz her tragfähig, um vom Vorliegen besonderer Gründe für die Aufhebung der Schonzeit ausgehen zu können. Jedoch darf nicht übersehen werden, dass es sich bei der Schonzeitaufhebung nach § 32 Abs. 1 Satz 3 LJG um eine Einzelanordnung handelt, die einen spezifischen Bezug zu einem bestimmten Gebiet oder einem einzelnen Jagdbezirk aufweisen muss. Die obere Jagdbehörde muss danach im jeweiligen Einzelfall prüfen, ob die rechtlichen Voraussetzungen für eine Schonzeitaufhebung in dem bestimmten Gebiet bzw. in dem einzelnen Jagdbezirk gegeben sind, insbesondere, ob die Schonzeitaufhebung im jeweiligen Einzelfall erforderlich ist und es dort keine anderen geeigneten Maßnahmen gibt.
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Eine solche Prüfung hat der Beklagte hier nicht vorgenommen. In dem Schreiben vom 20. März 2020 wurden pauschal für sämtliche vom Landesbetrieb Landesforsten forstlich und jagdlich bewirtschafteten nicht verpachteten staatlichen Eigenjagdbezirke Schonzeitaufhebungen erteilt, ohne diese Jagdbezirke im Einzelnen namentlich zu benennen und ohne auf deren Eigenschaften (z.B. Baumbestand und Baumarten, Anteil der Flächen zur Wiederbewaldung, Dichte der Wildpopulation, Wildschadensursachen, Umfang der Kalamitätsschäden) und eventuellen Besonderheiten einzugehen. Nach Angaben des Beklagten (s. https://www.wald-rlp.de/de/nutzen/wild-jagd/jagd-in-rheinland-pfalz/jagd-im-staatswald/, abgerufen am 24. Februar 2021) hat der Staatswald in Rheinland-Pfalz eine nutzbare Jagdfläche von etwa 225.000 Hektar. Davon sind 45 % dieser Waldgebiete mit einer Fläche von etwa 100.000 Hektar an private Jägerinnen und Jäger verpachtet oder als Pirschbezirke vergeben. Damit verbleiben etwa 125.000 Hektar, auf denen die Forstämter die Regiejagd ausüben. Die am 20. März 2020 dem Beklagten erteilte Schonzeitaufhebung betrifft damit etwa 6,3 % der Gesamtfläche des Landes Rheinland-Pfalz von 1.984.700 Hektar. Es kann aber nicht angenommen werden, dass trotz der Berufung auf den Klimawandel die Entscheidung über die Erteilung einer Schonzeitaufhebung in den jeweiligen Jagbezirken nicht unterschiedlich ausfallen kann und in bestimmten Jagdbezirken nicht mildere Mittel der Jagd und des Wildschadensmanagements greifen können, wie sie etwa der Kläger in der Pirmasenser Erklärung vom 13. November 2019 verabschiedet hat (s. dazu https://vulkaneifel.ljv-rlp.de/wp-content/uploads/sites/26/2020/04/20200407_LJV_Position-zur-Schonzeitaufhebung.pdf, abgerufen am 24. Februar 2021). Da für die Erteilung einer Schonzeitaufhebung grundsätzlich auch eine Abwägung zwischen dem durch das Rehwild zu erwartenden Schaden und dem Tierschutz erforderlich ist, ist die Schonzeitaufhebung in den jeweiligen Jagdbezirken gegebenenfalls auf Aufforstungsflächen, Wiederbewaldungsflächen und Verjüngungsflächen zu beschränken, während Waldbestände, die nicht in Verjüngung stehen, unter Umständen hiervon auszunehmen sind.
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Das Gericht verkennt nicht, dass eine auf den Einzelfall eingehende Prüfung, ob die rechtlichen Voraussetzungen für eine Schonzeitaufhebung in sämtlichen vom Landesbetrieb Landesforsten forstlich und jagdlich bewirtschafteten nicht verpachteten staatlichen Eigenjagdbezirke gegeben sind, mit einem erheblichen Verwaltungsaufwand verbunden sein wird. Dies ist aber die Folge der gesetzlichen Regelung des § 32 Abs. 1 Satz 3 LJG, der der oberen Jagdbehörde lediglich die Befugnis einräumt, auf Antrag durch Einzelanordnung Schonzeitaufhebungen in bestimmten Gebieten oder einzelnen Jagdbezirken zu erteilen. Sollte das gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 6 LJG zuständige Ministerium der Auffassung sein, dass die aktuell in § 42 Abs. 1 LJVO bestimmten Jagdzeiten im Hinblick auf den Waldumbau in den rheinland-pfälzischen Wäldern, den der Klimawandel durch die Dürre der letzten Jahre ausgelöst hat, jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt geändert werden müssen, weil die Vegetation bedingt durch den Klimawandel im Frühjahr inzwischen einige wenige Wochen früher austreibt und deshalb eine an die ökologischen Bedingungen angepasste Bejagung zu erfolgen hat, steht es dem Ministerium frei, den § 42 Abs. 1 LJG zu ändern. Diesen Weg ist z.B. der Hessische Verordnungsgeber gegangen, indem er am 02. April 2020 die „Dritte Verordnung zur Änderung der Hessischen Jagdverordnung“ erlassen hat, in der die Schonzeiten für bestimmte Wildtiere verkürzt wurden (s. Gesetz und Verordnungsblatt für das Land Hessen 2020 Seite 240).
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Die Streitwertfestsetzung basiert auf § 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz – GKG –.
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Referenzen
- §§ 2, 31 und 38 LJG 3x (nicht zugeordnet)
- VwVfG § 35 Begriff des Verwaltungsaktes 1x
- § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UmwRG 1x (nicht zugeordnet)
- § 2 Abs. 3 Nr. 2 UIG 2x (nicht zugeordnet)
- § 2 Nr. 3 LJG 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 113 1x
- 2 C 17/10 1x (nicht zugeordnet)
- § 1 Abs. 4 UmwRG 4x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 161 1x
- VwGO § 43 4x
- 3 K 1130/20 1x (nicht zugeordnet)
- § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UmwRG 1x (nicht zugeordnet)
- 4 ME 116/20 1x (nicht zugeordnet)
- § 2 Abs. 1 UmwRG 1x (nicht zugeordnet)
- § 36 Abs. 2 LJG 1x (nicht zugeordnet)
- § 2 LJG 1x (nicht zugeordnet)
- § 2 Nr. 1 und Nr. 2 LJG 1x (nicht zugeordnet)
- § 32 Abs. 1 Satz 1 LJG 2x (nicht zugeordnet)
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- § 51 Abs. 1 Nr. 6 LJG 3x (nicht zugeordnet)
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- VwGO § 42 2x
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- BJagdG § 22 Jagd- und Schonzeiten 1x
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- Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (2. Senat) - 2 F 10675/16 1x
- VwGO § 173 1x
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- 9 A 4502/19 1x (nicht zugeordnet)
- § 32 Abs. 1 Satz 2 LJG 2x (nicht zugeordnet)
- § 3 UmwRG 1x (nicht zugeordnet)
- 7 B 10014/21 1x (nicht zugeordnet)
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