Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (8. Kammer) - 8 B 57/17

Tenor

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragsteller gegen die gegenüber dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 06.02.2017 wird hinsichtlich der Errichtung des Reihenhauses A-Straße, A-Stadt angeordnet.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Der Streitwert wird auf 7.500,00 € festgesetzt.

Gründe

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Der Antrag nach §§ 80 a Abs. 3 S. 2, 80 Abs. 5 VwGO ist nach § 88 VwGO dahingehend auszulegen, dass die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Baugenehmigung vom 06.02.2017 nur insoweit begehrt wird, als diese die Errichtung des Reihenhauses A-Straße in A-Stadt betrifft, welches angrenzend an das Grundstück der Antragsteller (A-Straße) errichtet werden soll. Der Begründung des Eilantrages lässt sich entnehmen, dass die Antragsteller sich nur gegen die Errichtung des Reihenhauses A-Straße, nicht jedoch hinsichtlich der Reihenhäuser ..., ... und ... zur Wehr setzen.

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Der Antrag ist zulässig und begründet.

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Nach § 212 a Abs. 1 BauGB haben Widerspruch und Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens keine aufschiebende Wirkung. Legt ein Dritter gegen die einem anderen erteilte und diesen begünstigende Baugenehmigung Widerspruch oder Anfechtungsklage ein, so kann das Gericht auf Antrag gemäß § 80 a Abs. 3 Satz 2 VwGO in entsprechender Anwendung von § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die bundesgesetzlich gemäß § 212 a Abs. 1 BauGB ausgeschlossene aufschiebende Wirkung des Widerspruchs oder der Anfechtungsklage ganz oder teilweise anordnen.

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Die Kammer trifft eine eigene Ermessensentscheidung darüber, welche Interessen höher zu bewerten sind - die für einen sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts oder die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung streitenden. Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache als wesentliches, aber nicht alleiniges Indiz zu berücksichtigen. Eine zum Erfolg des Antrags führende Nachbarrechtsverletzung ergibt sich nicht schon aus der objektiven Rechtswidrigkeit einer Baugenehmigung, sondern nur dann, wenn durch die Baugenehmigung Rechtsnormen verletzt werden, die zumindest auch dem Schutz der Nachbarschaft dienen, also drittschützende Wirkung haben.

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Die Sach- und Rechtslage erweist sich als offen, da sich bei der vorzunehmenden summarischen Prüfung nicht feststellen lässt, ob die Baugenehmigung vom 06.02.2017 nachbarschützende Rechte der Antragsteller verletzt. Im Rahmen der Interessenabwägung sind die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung streitenden Interessen der Antragsteller jedoch höher zu gewichten als die für einen sofortigen Vollzug der angefochtenen Baugenehmigung streitenden Interessen des Beigeladenen.

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Zwar kann der Einwand der Antragsteller, dass die Parkplätze (vermutlich) auf den Flurstücken ..., ..., ... und ... ausgewiesen worden seien und diese nunmehr überbaut würden, von vornherein nicht zur Annahme einer Nachbarrechtsverletzung führen. Wie sich nämlich aus dem Bauschein vom 03.04.1956 (vgl. Beiakte D) entnehmen lässt, ist die sich an das Grundstück der Antragsteller angrenzende Fläche, auf der jetzt das Reihenhaus Nr. ... errichtet werden soll, nicht als PKW-Stellplatzfläche, sondern als sogenannter Trockenplatz genehmigt worden. Für die angrenzenden Fertiggaragen, welche durch das jetzige Bauvorhaben nicht berührt werden, gibt es eine gesonderte Baugenehmigung (Bauschein vom 24.07.1964, vgl. Beiakte E). Wenn die Antragsteller den an ihr Reihenhaus angrenzenden Bereich bislang – ohne irgendeine rechtliche Absicherung - als PKW-Abstellfläche genutzt haben, ist dies jedenfalls nicht schützenswert. Die Antragsteller tragen selbst vor, dass auf den Flurstücken, die zur bisherigen Reihenhaussiedlung zählen, keine zugeordneten Parkplätze gehören, weder an der Straße noch auf den Grundstücken selbst.

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Allerdings könnte der Umstand, dass durch die Errichtung des Reihenhauses A-Straße das an der Längsseite des Gebäudes der Antragsteller vorhandene Fenster zugemauert wird, gegenüber den Antragstellern rücksichtslos sein.

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Das Bauvorhaben ist nach § 34 BauGB zu beurteilen, da dieses im unbeplanten Innenbereich von A-Stadt belegen ist. Über den Begriff des „Einfügens“ in § 34 Abs. 1 BauGB enthält diese Vorschrift auch das nachbarschützende Gebot der Rücksichtnahme. Die Kammer geht davon aus, dass sich das vorhandene Fenster an der Längsseite – wie auch der Antragsgegner vorträgt – in der Giebelwand im Dachgeschoss befindet. Dafür spricht auch das antragstellerseits überreichte Lichtbild (Anlage Ast 5), dass das Gebäude der Antragsteller nur bezüglich des Erd- und des Obergeschosses abbildet. Ein Fenster im Obergeschoss ist hier nicht vorhanden.

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Der Antragsgegner weist zutreffend darauf hin, dass nach der aktuellen Rechtslage (vgl. § 63 Abs. 1 Nr. 11 b) die Errichtung von Fenstern und Türen sowie die dafür bestimmten Öffnungen (formell) verfahrensfrei sind. Nach der aktuellen Fassung der Landesbauordnung sind Öffnungen in Brandwänden aber unzulässig (vgl. § 31 Abs. 8 S. 1 LBO). Ferner sind diese als Gebäudeabschlusswand erforderlich, wenn die Abschlusswand an der Grundstücksgrenze errichtet wird, es sei denn, dass ein Abstand von mindestens 5 m zu bestehenden oder nach den baurechtlichen Vorschriften zulässigen künftigen Gebäuden gesichert ist (§ 31 Abs. 2 Nr. 1 LBO).

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Da derzeit nicht feststeht, wann das vorhandene Fenster errichtet wurde, lässt sich nicht beurteilen, ob die zitierten Vorschriften auf das vorhandene Fenster überhaupt anwendbar sind. Es ist nämlich denkbar, dass das Fenster zum Zeitpunkt seiner Errichtung – mangels einer dem § 31 LBO vergleichbaren Vorschrift - dem materiellen Baurecht entsprochen hat und damit Bestandsschutz genießt. Wenn letzteres der Fall wäre, könnte das Fenster durch die Errichtung des Reihenhauses 43a nicht einfach „zugemauert“ werden.

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Ob das an der Längsseite des Reihenhauses der Antragsteller im Dachgeschoss vorhandene Fenster Bestandsschutz genießt, ist einer Klärung im Hauptsacheverfahren bzw. im derzeit noch anhängigen Widerspruchsverfahren vorbehalten. Zu klären ist insoweit, wann das Fenster errichtet wurde und welche bauordnungsrechtlichen Vorschriften zum Zeitpunkt der Errichtung maßgeblich waren. Klarstellend weist die Kammer darauf hin, dass das Fenster nicht mit Bauschein vom 03.04.1956 (vgl. Beiakte B) genehmigt wurde.

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Der Interessenabwägung geht sodann zu Gunsten der Antragsteller aus. Die Kammer hat jedenfalls erhebliche Zweifel daran, dass eine einmal vorgenommene Schließung der Fensteröffnung im Dachgeschoss nach einem eventuellen Obsiegen der Antragsteller im Hauptsacheverfahren wieder rückgängig gemacht werden würde. Das Interesse des Beigeladenen an der Errichtung des Reihenhauses A-Straße muss demgegenüber zurückstehen.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig, da er keinen Sachantrag gestellt und damit kein Kostenrisiko eingegangen ist (§ 162 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 154 Abs. 3 VwGO).

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Der Streitwert beträgt für das Hauptsacheverfahren nach §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG unter Zugrundelegung der regelmäßigen Wertannahmen des Berufungsgerichts 15.000,00 € und ist für das Eilverfahren zu halbieren.


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