Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (2. Kammer) - 2 B 60/17
Tenor
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung wird abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Antragsteller auferlegt.
Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 7.500,- € festgesetzt.
Gründe
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Das vorläufige Rechtsschutzgesuch des Antragstellers bleibt ohne Erfolg.
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Es ist bereits zweifelhaft, ob der vom Antragsteller gestellte Antrag zu 1., die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die den Beigeladenen vom Antragsgegner erteilte Baugenehmigung vom 27.9.2017 anzuordnen sowie (2.) dem Antragsgegner aufzugeben, die Baustelle auf dem Grundstück A. in F-Stadt stillzulegen, seinem Rechtsschutzziel entspricht. Denn er trägt im Laufe des gerichtlichen Verfahrens ausdrücklich einschränkend vor, er wende sich lediglich gegen die erteilte Befreiung, soweit sie eine Aufschüttung an seiner Grundstücksgrenze bis zu einer Höhe von 1,50 m gestatte.
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Aber auch ein in diesem Sinne verstandener Antrag zu 1. ist nach §§ 80 a Abs. 3, 80 Abs. 5 Satz 1, 1. Alt. VwGO statthaft und auch sonst zulässig. Denn nach § 80 Abs. 5 Satz 1, 1. Alt. VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs in den Fällen anordnen, in denen die aufschiebende Wirkung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 VwGO entfällt. Das ist hier der Fall, da dem Widerspruch des Antragstellers gegen die Befreiung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO iVm § 212 a Abs. 1 BauGB keine aufschiebende Wirkung zukommt.
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Der Antrag ist jedoch unbegründet. Die gerichtliche Entscheidung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ergeht auf der Grundlage einer umfassenden Interessenabwägung. Gegenstand der Abwägung sind das Interesse der beigeladenen Bauherren an der sofortigen Ausnutzung der ihnen erteilten Baugenehmigung einerseits und das Interesse des antragstellenden Nachbarn, von der Vollziehung der Baugenehmigung bis zur Entscheidung in der Hauptsache verschont zu bleiben, andererseits. Im Rahmen dieser Interessenabwägung können auch Erkenntnisse über die Rechtmäßigkeit oder die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes, der vollzogen werden soll, Bedeutung erlangen, allerdings nicht als unmittelbare Entscheidungsgrundlage, sondern als in die Abwägung einzustellende Gesichtspunkte. Darüber hinaus ist in die Abwägung einzustellen, dass nach dem Willen des Gesetzgebers Widerspruch und Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens gemäß § 212 a Abs. 1 BauGB keine aufschiebende Wirkung haben sollen und der Gesetzgeber damit dem Bauverwirklichungsinteresse grundsätzlich den Vorrang eingeräumt hat. Insofern kann das Gericht die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage nur anordnen, wenn auf Seiten des Antragstellers geltend gemacht werden kann, dass mit überwiegender Wahrscheinlichkeit seine Rechtsposition durch den Bau und die Nutzung des genehmigten Vorhabens unerträglich oder in einem nicht wieder gutzumachenden Maße beeinträchtigt bzw. gefährdet wird. Dabei macht der Verweis auf die Rechtsposition des antragstellenden Nachbarn allerdings deutlich, dass bei baurechtlichen Nachbarrechtsbehelfen nicht allein die objektive Rechtswidrigkeit der angefochtenen Baugenehmigung in den Blick zu nehmen ist, sondern dass Rechtsbehelfe dieser Art nur erfolgreich sein können, wenn darüber hinaus gerade der widersprechende bzw. klagende Nachbar in subjektiv-öffentlichen Nachbarrechten verletzt ist. Ob die angefochtene Baugenehmigung insgesamt objektiv rechtmäßig ist, ist dagegen nicht maßgeblich. Vielmehr ist die Baugenehmigung allein daraufhin zu untersuchen, ob sie gegen Vorschriften verstößt, die dem Schutz des um Rechtsschutz nachsuchenden Nachbarn dienen. Der Nachbar kann sich nur auf solche Interessen berufen, die das Gesetz im Verhältnis der Grundstücksnachbarn untereinander als schutzwürdig ansieht. Dabei ist für die Beurteilung der Verletzung von öffentlich-rechtlich geschützten Nachbarrechten durch eine Baugenehmigung allein der Regelungsinhalt der Genehmigungsentscheidung maßgeblich. Eine hiervon abweichende Ausführung kann die Aufhebung der Baugenehmigung demgegenüber nicht rechtfertigen.
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Nach diesem Maßstab überwiegt vorliegend das Interesse der Beigeladenen, die ihnen erteilte Baugenehmigung incl. Befreiung sofort, d. h. ungeachtet des Widerspruchs des Antragstellers ausnutzen zu können. Denn bei der in diesem Verfahren nur möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage lässt sich nicht mit hinreichender, d. h. überwiegender Wahrscheinlichkeit feststellen, dass die Befreiung für die Aufschüttung des Grundstücks A. 10 in F-Stadt zur Errichtung eines Einfamilienhauses Nachbarrechte des Antragstellers verletzt.
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Die Kammer lässt ausdrücklich offen, ob die erteilte Genehmigung incl. Befreiung bzw. Abweichung objektiv rechtmäßig ist, da dies – wie oben dargelegt – nicht zum Prüfungsumfang des Nachbarantrags gehört.
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Ein Verstoß der auf der Grundlage des § 69 LBO im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren erteilten Baugenehmigung gegen nachbarschützende Vorschriften des Bauordnungsrechts gemäß § 69 Abs. 1 S. 1 LBO ist ebenfalls nicht Prüfungsgegenstand des vorliegenden Verfahrens. Denn in einem solchen Verfahren wird außer bei Sonderbauten die Vereinbarkeit der Vorhaben mit den Vorschriften der Landesbauordnung und den Vorschriften aufgrund der Landesbauordnung nicht geprüft; lediglich die §§ 65 Abs. 4, 68 und 70 LBO bleiben unberührt.
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Aber auch ein Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften des insoweit allein maßgeblichen Bauplanungsrechts einschließlich des Gebots der Rücksichtnahme ist nicht auszumachen.
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Die genehmigte Aufschüttung ist entgegen der Auffassung des Antragstellers nicht rücksichtslos. Denn – anders als er die erteilte Befreiung versteht – hat der Antragsgegner keine Aufschüttung entlang der gesamten gemeinsamen Grundstücksgrenze bis zu einer Höhe von 1,50 m genehmigt. Vielmehr ist die Baugenehmigung und damit auch die erteilte Befreiung in Verbindung mit den der Genehmigung zugrundliegenden Bauvorlagen zu lesen. Aus diesen (Bl. 40, 41, 42 BA) ergibt sich zweifelsfrei, dass die Aufschüttung allein in dem Umfang vorgesehen (und genehmigt) ist, um das Einfamilienhaus der Beigeladenen waagerecht mit einer Oberkante Erdgeschossfußboden von 24,17 m ü.NHN positionieren zu können. Die geplante Geländehöhe liegt bei 23,87 m. Dabei endet die Aufschüttung gen Norden 90 cm hinter der Außenwand des Einfamilienhauses und fällt dann schräg ab auf das natürliche Geländeniveau des Grundstücks der Beigeladenen. Die vom Antragsteller mit seinem Widerspruch eingereichte Zeichnung (Bl. 51 BA) mit einer waagerechten Fortsetzung der aufgeschütteten Gartenfläche gen Norden ist nicht Gegenstand der den Beigeladenen erteilten Baugenehmigung incl. Befreiung. Vielmehr ergibt sich aus dem Lageplan (Bl. 36 BA), dass die nördliche Außenwand des Hauses der Beigeladenen ca. 3 m südlich des Beginns der mit dem Antragsteller gemeinsamen Grundstücksgrenze liegt. Da die genehmigte Aufschüttung 90 cm nördlich der Hauswand schräg bis auf das natürliche Geländeniveau abfällt, werden später in dem Bereich, der an der Grundstücksgrenze zum Antragsteller hin liegt, nach dem ergänzend eingereichten Lageplan Bl. 58 BA allenfalls noch marginale Ausläufer der Aufschüttung vorhanden sein. Der derzeit nach den vom Antragsteller eingereichten Lichtbildern bestehende Umfang der Aufschüttungen ist nicht genehmigt und nicht von Dauer. Der im Grenzbereich zum Antragsteller aufgeschüttete Mutterboden wird dort nur vorübergehend während der Bauarbeiten gelagert. Auch ist nach Auskunft der Baufirma die Kiesaufschüttung während der Bauphase größer als nach Fertigstellung des Hauses, damit ein Gerüst aufgestellt werden kann. Die Beigeladenen haben schriftlich zugesagt, dass zu jeder Grundstücksgrenze in den Abstandflächen keine Aufschüttungen verbleiben würden, die höher als 1 m sind.
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Damit steht nach den genehmigten Bauvorlagen fest, dass das Abstandflächenrecht des § 6 LBO eingehalten wird. Bei Beachtung der bauordnungsrechtlichen Abstandflächen ist aber ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot jedenfalls im Hinblick auf die durch die Abstandflächenregelung geschützten Nachbarbelange (Belichtung, Belüftung und Besonnung) grundsätzlich ausgeschlossen. Für die Annahme einer unzumutbaren Verschattung ist mangels besonderer Verhältnisse des Einzelfalles kein Raum.
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Ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot ergibt sich auch nicht aus der vom Antragsteller nicht weiter substantiierten Entwässerungsproblematik. Schon durch den natürlichen Geländeverlauf wird das auf dem Grundstück der Beigeladenen anfallende Regenwasser auch auf das Grundstück des Antragstellers entwässern. Inwieweit sich die Situation durch die genehmigte Aufschüttung verschärft, hat der Antragsteller nicht dargelegt. Ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot lässt sich daher insoweit (noch) nicht feststellen.
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Das Rücksichtnahmegebot vermittelt zudem in der Regel weder einen Schutz vor Einsichtsmöglichkeiten von benachbarten Häusern aus noch vor einer Verschlechterung der freien Aussicht. Dies ist im innerörtlich bebauten Bereich nicht zu vermeiden und daher hinzunehmen. Selbst die durch eine Dachterrasse eröffnete „Rundumsicht“ ist grundsätzlich hinzunehmen (vgl. VG Schleswig, Urteil vom 28.05.2010 - 2 A 74/09 -, OVG Schleswig, Urteil vom 24.04.2007 - 1 LB 16/06 -; BVerwG, Beschluss vom 03.01.1983 - 4 B 224.82 -, BRS 40 Nr. 192).
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Nach alledem ist der Antrag zu 1. mit der sich aus § 154 Abs. 1 VwGO ergebenden Kostenfolge abzulehnen. Der Antrag zu 2., den Antragsgegner zu verpflichten, die Baustelle stillzulegen, ist daher unabhängig davon, dass wegen des fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses (es bestand keine Veranlassung zu unterstellen, dass der Antragsgegner im Fall einer Anordnung der aufschiebenden Wirkung eine Baueinstellung unterlassen würde) durchgreifende Bedenken gegen dessen Zulässigkeit bestehen, ebenfalls erfolglos.
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Das Gericht hat davon abgesehen, die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen nach § 162 Abs. 3 VwGO aus Billigkeit für erstattungsfähig zu erklären, weil sie keinen eigenen Antrag gestellt haben und damit auch das Risiko eigener Kostenpflicht nach § 154 Abs. 3 VwGO nicht eingegangen sind.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 63 Abs. 2 GKG. Dabei hat die Kammer das wirtschaftliche Interesse des Antragstellers mit 15.000,00 € für das Hauptsacheverfahren in Ansatz gebracht. Für das vorliegende Eilrechtsschutzverfahren ergab sich wegen der Vorläufigkeit der Entscheidung eine Halbierung dieses Wertes.
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Referenzen
- 1 LB 16/06 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 80a 1x
- VwGO § 80 5x
- § 69 LBO 1x (nicht zugeordnet)
- §§ 65 Abs. 4, 68 und 70 LBO 3x (nicht zugeordnet)
- § 6 LBO 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 154 2x
- VwGO § 1 1x
- § 69 Abs. 1 S. 1 LBO 1x (nicht zugeordnet)
- §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 63 Abs. 2 GKG 3x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 162 1x
- 2 A 74/09 1x (nicht zugeordnet)
- § 212 a Abs. 1 BauGB 2x (nicht zugeordnet)