Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (11. Kammer) - 11 B 36/18

Tenor

Die Anträge werden abgelehnt.

Die Antragsteller haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Der Streitwert wird auf 5.000,00 € festgesetzt.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe

1

Die als Anträge auf Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen die Ordnungsverfügung vom 7.9.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1.2.2018 verstandenen Anträge der Antragsteller sind zulässig aber unbegründet.

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Die Anträge sind zulässig.

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Sie sind hinsichtlich der Ziffer 1 (Aufforderung zur Vorlage eines Pass bzw. Passersatzes), Ziffer 2 (Aufforderung zur Vorlage identitätsbescheinigender Urkunden), Ziffer 3 (Aufforderung gegebenenfalls bei der Botschaft des Heimatstaates vorzusprechen und ein Heimreisedokument zu beantragen, sowie einen Nachweis hierüber vorzulegen) und Ziffer 4 (Übergabe des gegebenenfalls ausgestellten Heimreisedokuments) als Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 2.3.2018 gemäß § 80 Abs. 5 S. 1 2. Alt und Abs. 2 Ziff. 4 VwGO statthaft, da die Klage insoweit wegen der Anordnung des Sofortvollzuges in Ziffer 8 des Bescheides nicht die sonst regelmäßige aufschiebende Wirkung des § 80 Abs. 1 VwGO entfaltet.

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Hinsichtlich der Ziffer 5 (Androhung der zwangsweisen Vorführung im Sinne des § 80 Abs. 4 AufenthG bei der Botschaft der Republik Armenien gegebenenfalls am Ort eines Außentermins), Ziffer 6 (Androhung der Aufnahme von Passersatzpapieranträgen in den Räumlichkeiten des Landesamtes für Ausländerangelegenheiten) und Ziffer 7 (gegebenenfalls Androhung der zwangsweisen Vorführung bei einer sogenannten Expertenkommission oder bei ermächtigten Bediensteten des Staates, dessen Staatsangehörigkeit die Antragsteller vermutlich besitzen) ist der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 S. 1 1. Alt. und Abs. 2 Ziff. 3 VwGO statthaft, da Rechtsmittel gegen vollstreckungsrechtliche Androhungen nach § 248 Abs. 1 LVwG keinen Suspensiveffekt entfalten.

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Die Anträge sind aber unbegründet.

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Bezüglich des Antrages auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 S.1 Alt. 2 VwGO gegen die Verfügungen in den Ziffern 1-4 des Bescheides ist im Rahmen der Prüfung der Rechtmäßigkeit der Anordnung des Sofortvollzuges eine Interessenabwägung vorzunehmen. In dieser ist das Aufschubinteresse der Antragsteller mit dem öffentlichen Vollzugsinteresse abzuwägen. In diese Abwägung sind auch, aber nicht ausschließlich maßgeblich die Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs einzustellen. Erweist sich der angegriffene Verwaltungsakt nach der in diesem Rahmen gebotenen summarischen Prüfung als offensichtlich rechtmäßig, so ist weiter zu prüfen, ob es ein darüber hinausgehendes öffentliches Interesse an der Anordnung des Sofortvollzuges gibt und damit ein Verzicht auf den gesetzlich regelmäßig vorgeschriebenen Suspensiveffekt gerechtfertigt werden kann. Erweist sich der angegriffene Verwaltungsakt indes als offensichtlich rechtswidrig, so ist die aufschiebende Wirkung anzuordnen, da es an der sofortigen Vollziehung eines offensichtlich rechtswidrigen Verwaltungsaktes kein öffentliches Interesse geben kann.

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Gemessen an diesen Maßstäben begegnet die Anordnung des Sofortvollzuges hinsichtlich der Ziffern 1-4 des angefochtenen Bescheides keinen Bedenken.

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Die Anordnung des Sofortvollzuges begegnet keinen formell rechtlichen Bedenken.

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Sie ist insbesondere gemäß den Anforderungen des § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO ausreichend begründet. Der Antragsgegner hat in gerade noch ausreichender Weise dargelegt, warum in diesem Einzelfall von dem gesetzlich angeordneten Suspensiveffekt abgewichen werden muss. Durch das Abstellen unter anderem auf die Gefahr der weiteren Sicherung des Lebensunterhaltes durch den Bezug öffentlicher Mittel, fehlende überwiegende Interessen der Antragsteller und Betonung des besonderen öffentlichen Interesses an der Durchsetzung der Ausreise von ausreisepflichtigen Ausländern hat der Antragsgegner in noch ausreichender Weise einzelfallbezogen und nicht floskelhaft begründet, sodass erkennbar ist, dass er sich des Ausnahmecharakters der Anordnung des Sofortvollzuges bewusst war.

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Die Anordnung des Sofortvollzuges begegnet auch keinen materiellrechtlichen Bedenken.

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Sie bezieht sich auf die offensichtlich rechtmäßigen Ordnungsverfügungen in den Ziffern 1-4 des Bescheides, welche ihre Rechtsgrundlage in den gesetzlich geregelten Mitwirkungspflichten des § 48 Abs. 1 S.1 AufenthG (Ziffer 1 und 4 des Bescheids), § 48 Abs. 3 S. 1 AufenthG (Ziffer 2 des Bescheids) und § 82 Abs. 4 S. 1 AufenthG. Nach diesen Normen sind Ausländer verpflichtet, Pässe oder Ersatzpapiere den Ausländerbehörden auszuhändigen und vorübergehend zu überlassen, soweit dies zur Durchführung oder Sicherung von Maßnahmen nach dem AufenthG erforderlich ist. Sie sind weiter verpflichtet, wenn sie keinen gültigen Pass oder Passersatz haben, an der Beschaffung eines Identitätspapiers mitzuwirken sowie alle Urkunden, sonstige Unterlagen und Datenträger, die für die Feststellung ihrer Identität und Staatsangehörigkeit und für die Feststellung und Geltendmachung einer Rückführungsmöglichkeit in einen anderen Staat von Bedeutung sein könnten und in deren Besitz sie sind, den Ausländerbehörden auf Verlangen vorzulegen, auszuhändigen und zu überlassen. Schließlich kann auch angeordnet werden, dass die Ausländer bei der zuständigen Behörde sowie den Vertretungen oder ermächtigten Bediensteten des Staates, dessen Staatsangehörigkeit sie vermutlich besitzen, persönlich erscheinen, soweit es zur Vorbereitung und Durchführung von Maßnahmen nach dem AufenthG und nach ausländerrechtlichen Bestimmungen in anderen Gesetzen erforderlich ist.

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Diese Voraussetzungen liegen vor. Nach Ablehnung ihrer Asylanträge als offensichtlich unbegründet im März 2017 sowie weiterer Ablehnung der hiergegen gestellten Eilrechtsanträge nach § 80 Abs.5 VwGO im April 2017 sind die Antragsteller vollziehbar ausreisepflichtig. Bemühungen der Antragsteller, ihre freiwillige Ausreise voranzutreiben, sind nicht ersichtlich. Sie geben selbst an, ihre Pässe nach Einreise in die Bundesrepublik Deutschland mutwillig zerstört zu haben. Dass sie sich derzeit - um ihre Ausreise vorzubereiten und ihrer Ausreisepflicht nachzukommen- um Ersatzpapiere gekümmert haben, ist nicht ersichtlich und auch nicht dargetan.

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Es ist mangels Begründung des Widerspruchs gegen die Ordnungsverfügung vom 7.9.2017 und mangels Begründung dieses Eilrechtsantrages und der dazugehörigen Klage auch sonst nicht ersichtlich, dass die Tatbestandsvoraussetzungen der oben genannten Normen im übrigen nicht erfüllt sind.

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Die Anordnung des Sofortvollzuges wurde von dem Antragsgegner in nicht zu beanstandender Weise damit begründet, dass einer weiteren Verzögerung des Ausreiseverfahrens durch die Antragsteller begegnet werden müsse, um den Gesetzeszweck, die Ausreise von ausreisepflichtigen Ausländern schnellstmöglich zu beenden, zu erreichen. Zu Recht ordnet der Antragsgegner ein bei den Antragstellern möglicherweise vorhandenes Interesse, bis zur Bestandskraft der Entscheidung den Anordnungen nicht nachkommen zu müssen und damit eine Passersatzbeschaffung für eine unbekannte Frist auszusetzen, als nachrangig ein. Ebenfalls zu Recht weist der Antragsgegner darauf hin, dass in diesem besonderen Fall zusätzlich ein immer länger währender Bezug öffentlicher Leistungen zu erwarten ist.

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Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Antragsteller durch die mutwillige Zerstörung ihrer Pässe mehr als deutlich gemacht haben, dass sie freiwillig nicht ausreisen werden, hat der Antragsgegner dem Sofortvollzug der Ziffern 1-4 des angefochtenen Bescheides zu Recht das erheblichere Gewicht zugesprochen. Es ist insbesondere nicht ersichtlich, warum die Antragsteller das Hauptsacheverfahren bzgl. der Ablehnung ihrer Asylanträge nicht in Armenien abwarten können. Dies ist vielmehr vom Gesetzgeber vorgesehene regelmäßige Folge der Ablehnung der Asylanträge als offensichtlich unbegründet, wenn -wie hier- die sofortige Vollziehbarkeit nicht gerichtlich gestoppt wird.

16

Auch im Übrigen sind die Anträge unbegründet.

17

Dabei ist bezüglich der Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 S.1 Alt. 1 VwGO eine Interessenabwägung vorzunehmen, in der das Aufschubinteresse der Antragsteller mit dem öffentlichen Vollzugsinteresse abzuwägen ist. In diese Abwägung sind nicht ausschließlich, aber maßgeblich die Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs einzustellen. Denn erweist sich der angegriffene Verwaltungsakt nach der in diesem Rahmen gebotenen summarischen Prüfung als offensichtlich rechtmäßig, so ist regelmäßig dem öffentlichen Sofortvollzugsinteresse der Vorrang einzuräumen, da dies der gesetzgeberischen Wertung in § 80 Abs. 2 Ziff. 3 VwGO iVm § 248 LVwG entspricht. Erweist sich der angegriffene Verwaltungsakt indes als offensichtlich rechtswidrig, so ist die aufschiebende Wirkung anzuordnen, da es an der sofortigen Vollziehung eines offensichtlich rechtswidrigen Verwaltungsaktes kein öffentliches Interesse geben kann.

18

Nach diesen Maßstäben war hier bezüglich der Ziffern 5-7 des angefochtenen Bescheides dem Vollzugsinteresse der Öffentlichkeit der Vorrang einzuräumen, da sich die Androhungen als offensichtlich rechtmäßig erweisen.

19

Sie finden ihre Rechtsgrundlage in § 82 Abs.4 S. 1 und 2 AufenthG iVm den §§ 228 ff. LVwG.

20

Hiernach kann u.a. zwangsweise durchgesetzt werden, dass ein Ausländer bei der zuständigen Behörde sowie den Vertretungen oder ermächtigten Bediensteten des Staates, dessen Staatsangehörigkeit er vermutlich besitzt, persönlich erscheint sowie eine ärztliche Untersuchung zur Feststellung der Reisefähigkeit durchgeführt wird, soweit es zur Vorbereitung und Durchführung von Maßnahmen nach diesem Gesetz und nach ausländerrechtlichen Bestimmungen in anderen Gesetzen erforderlich ist.

21

Diese Voraussetzungen liegen vor.

22

Die (ggf. zwangsweise) Vorsprache bei der armenischen Botschaft, Beantragung von Passersatzpapieren oder Vorführung bei der Expertenkommission dienen der Vorbereitung der Ausreise der ausreisepflichtigen Antragsteller. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass diese eigenständige Bemühungen hierzu machen – insbesondere haben sie selbst mutwillig ihre Reisepässe zerstört. Die angedrohten Maßnahmen sind damit unerlässlich um dem gesetzgeberischen Auftrag des Vollzugs der Ausreisepflicht nachzukommen.

23

Zur Androhung der entsprechenden Maßnahmen findet landesrechtliches Vollstreckungsrecht Anwendung (OVG Münster Urteil vom 28.11.2006 – 19 B 1789/06; OVG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 5.4.2014 – OVG 3 S 71/13).

24

Die Androhungen in Ziffer 5-7 des angefochtenen Bescheids entsprechen den Anforderungen aus §§ 228, 229 Abs. 1 Ziff. 2, 235 Abs. 1 Ziff. 3, 236 und 239 LVwG. Denn wegen der Anordnung des Sofortvollzugs haben Rechtsmittel gegen die Anordnung zur ggf. erforderlichen Beantragung von Passpapieren bei der Botschaft insbesondere keine aufschiebende Wirkung (s.o.), § 229 Abs. 1 Ziff. 2 LVwG.

25

Mit der Androhung des unmittelbaren Zwangs (§ 235 Abs. 1 Ziff. 3 LVwG) hat der Antragsgegner auch ein taugliches Zwangsmittel ausgewählt. Die Zwangsmittel stehen nicht in einer zwingend anzuwendenden Reihenfolge nach Art von „Eskalationsstufen“, die Auswahl liegt vielmehr im Ermessen der Behörde. Der Antragsgegner hat hier in ermessensfehlerfreier Weise dargestellt, dass die Anwendung von Zwangsgeld aufgrund der finanziellen Bedürftigkeit der Antragsteller nicht gleichermaßen erfolgversprechend ist und die Handlungen mangels Vertretbarkeit nicht im Rahmen der Ersatzvornahme erfolgen können.

26

Mangels Begründung von Widerspruch, Eilrechtsantrag und Klage sind keine weiteren Einwendungen hiergegen ersichtlich.

27

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die Streitwertfestsetzung aus § 63 Abs. 2, 52 Abs. 2 GKG, wobei wegen der einheitlichen Zielrichtung der Anträge für die verheirateten Antragsteller nur ein Auffangstreitwert zugrunde gelegt wurde.

28

Mangels hinreichender Erfolgsaussichten war außerdem dem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Prozessbevollmächtigten der Antragsteller nach § 166 VwGO i.V.m. § 114 f. ZPO nicht zu entsprechen, sodass es auf die Prüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragsteller nicht mehr ankam.


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