Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (2. Kammer) - 2 B 31/18

Tenor

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruches des Antragstellers vom 23. August 2018 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 10. August 2018 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 11. September 2018 wird angeordnet.

Die Kosten des Verfahrens werden der Antragsgegnerin auferlegt.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 1.265,- € festgesetzt.

Gründe

1

Der Antrag ist zulässig und begründet.

2

Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des am 23.08.2018 eingelegten Widerspruchs gegen den Festsetzungsbescheid für die Zweitwohnungssteuer für die Jahre 2016 und 2017 für die Wohnung 1, A-Straße in A-Stadt stellt die gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1, 1. Alt. VwGO iVm § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO statthafte Rechtsschutzform dar und ist nach Ablehnung des zuvor gestellten Antrages auf Aussetzung der Vollziehung nach § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO zulässig.

3

Der Antrag ist auch begründet.

4

In öffentlichen Abgaben- und Kostensachen kommt nach der Rechtsprechung der Kammer die Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer erhobenen Anfechtungsklage oder eines zuvor eingelegten Widerspruchs gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1, 1. Alt. VwGO nur in Betracht, wenn auf Grund summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage ein Erfolg des Rechtsbehelfs wahrscheinlicher ist als ein Misserfolg. Dies folgt aus der Wertung des Gesetzgebers, der mit dem in § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO geregelten Ausschluss der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten - um eine solche handelt es sich bei der vorliegend streitbefangenen Zweitwohnungssteuerveranlagung - zum Ausdruck gebracht hat, dass eine solche Abgabe regelmäßig zunächst zu erbringen ist, und dass das Risiko, im Ergebnis möglicherweise zu Unrecht in Vorleistung treten zu müssen, den Zahlungspflichtigen trifft. Dementsprechend ist ein Anordnungsantrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1, 1. Alt VwGO in entsprechender Anwendung des § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO nur dann erfolgreich, wenn die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides ernstlichen Zweifeln begegnet oder wenn die Vollziehung für den abgaben- bzw. kostenpflichtigen Antragsteller eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

5

Vorliegend bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Steuerbescheides. Grund hierfür ist – unabhängig von vom Antragsteller individuell geltend gemachten Bedenken an der Zweitwohnungssteuererhebung wegen der in den Jahren 2016 und 2017 mit seiner Ehefrau unterhaltenen zwei getrennten Wohnsitze -, dass die Satzung der Antragsgegnerin den Steuermaßstab an die Jahresrohmiete nach § 79 BewG anknüpft. Hierzu hat die Kammer in den letzten Monaten in mehreren Zweitwohnungssteuerverfahren fast gleichlautende rechtliche Hinweise folgenden Inhalts erteilt:

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„Gemäß § 4 Abs. 1 der Satzung über die Erhebung einer Zweitwohnungssteuer in der Gemeinde Langballig (ZWStS) bemisst sich die Steuer nach dem Mietwert der Wohnung. Gemäß § 4 Abs. 2 ZWStS gilt als Mietwert die Jahresrohmiete. Die Vorschriften des § 79 des Bewertungsgesetzes finden mit der Maßgabe Anwendung, dass die Jahresrohmieten, die gemäß Artikel 2 des Gesetzes zur Änderung des Bewertungsgesetzes vom 13. August 1965 vom Finanzamt auf den Hauptfeststellungszeitpunkt 01. Januar 1964 festgestellt wurden, jeweils für das Erhebungsjahr auf den September des Vorjahres hochgerechnet werden. Die Hochrechnung erfolgt dann entsprechend der Steigerung der Wohnungsmieten nach den vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten Preisindizes.

7

Im Wesentlichen identische Regelungen finden sich in Schleswig-Holstein in fast allen Satzungen über die Erhebung der Zweitwohnungssteuer. Das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht, das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht und das Bundesverwaltungsgericht vertreten in ständiger Rechtsprechung seit Jahrzehnten die Auffassung, dass es sich bei diesem Maßstab der indexierten Jahresrohmiete um einen geeigneten Steuermaßstab handelt, um den Aufwand des Steuerpflichtigen realitätsnah abzubilden. So hat das BVerwG im Urteil vom 29.01.2003 – 9 C 3/02 -, BVerwGE 117, 345 ausgeführt:

8

„Es widerspricht nicht dem Charakter der Aufwandsteuer, wenn eine Gemeinde aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung und zur Verhinderung von Umgehungsgeschäften die Zweitwohnungssteuer auch gegenüber Mietern von Zweitwohnungen anhand eines realitätsnah pauschalierten Maßstabs – hier der nach dem Bewertungsgesetz ermittelten Jahresrohmiete – bestimmt. (Leitsatz) … Der von der Beklagten hier vorrangig gewählte Maßstab einer nach der Mietpreisentwicklung indexierten Jahresrohmiete ist danach bundesrechtlich nicht zu beanstanden; denn er ist grundsätzlich geeignet, den mit der Nutzung einer Wohnung typischerweise betriebenen Aufwand entsprechend ihrem Nutzwert generalisierend, aber dennoch hinreichend realitätsnah darzustellen (RN 23).“

9

Die nach dem Bewertungsgesetz ermittelte Jahresrohmiete dient eigentlich dem Finanzamt zur Ermittlung des Einheitswertes, der wiederum ein Berechnungselement zur Bestimmung der Grundsteuer darstellt. Mit Beschluss vom 22.10.2014 – II R 16/13 - hat der Bundesfinanzhof (BFH) Vorschriften über die Einheitsbewertung dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit vorgelegt. Der BFH hielt die Vorschriften über die Einheitsbewertung ab dem Bewertungsstichtag 1. Januar 2009 für verfassungswidrig, weil die Maßgeblichkeit der Wertverhältnisse am Hauptfeststellungszeitpunkt 1. Januar 1964 für die Einheitsbewertung zu Folgen führe, die mit dem allgemeinen Gleichheitssatz nicht mehr vereinbar sein. Wiederholt haben Kläger in den Verfahren über die Erhebung der Zweitwohnungssteuer vor dem Verwaltungsgericht geltend gemacht, auch der Steuermaßstab der indexierten Jahresrohmiete sei unwirksam, weil auch insoweit auf den weit zurückliegenden Hauptfeststellungszeitpunkt 1. Januar 1964 abgestellt werde. Dies führe dazu, dass der Steuerveranlagung Mietwerte zugrunde gelegt würden, die in keiner Weise mehr den Mietwert realitätsnah abbildeten.

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Die Kammer vertritt bislang die Auffassung, dass die Entscheidung des BFH auf das Zweitwohnungssteuerrecht nicht übertragbar ist, weil die Hochrechnung der Jahresrohmiete anderen Regeln folgt als bei der Ermittlung des Einheitswerts nach dem Bewertungsgesetz und die indexierte Jahresrohmiete auch tatsächlich hinsichtlich der erforderlichen Abbildung des Aufwandes noch zu realitätsnahen Ergebnissen gelangt. Zudem gehe auch der BFH davon aus, dass die Vorschriften über die Einheitsbewertung des Grundvermögens für Stichtage bis zum 1. Januar 2007 noch verfassungsgemäß sind, so dass auch der BFH keine Bedenken gegen die Verwendung der nach dem Bewertungsgesetz ermittelten Jahresrohmiete, sondern nur gegen die nach dem Bewertungsgesetz vorgesehenen Hochrechnungsregeln habe. (vgl. Urteil der Kammer vom 20.01.2015 - 2 A 48/14 - n.v.). Das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht hat bislang Zulassungsanträge, die darauf gestützt wurden, nach der Entscheidung des BFH dürfe die Jahresrohmiete auch nicht mehr zur Bestimmung der Zweitwohnungssteuer herangezogen werden, abgelehnt.

11

Mit Urteil vom 10.04.2018 (1 BvL 11/14, 1 BvL12/14, 1 BvL 1/15, 1 BvR 639/11, 1 BvR 889/12) hat das Bundesverfassungsgericht nunmehr die Unvereinbarkeit diverser Vorschriften des Bewertungsgesetzes mit Art. 3 Abs. 1 GG festgestellt. In seiner Begründung geht das BVerfG davon aus, dass das System der Einheitsbewertung auch nicht - wie vom BFH angenommen - für Stichtage bis zum 01. Januar 2007 mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Stichhaltige Gründe habe der BFH für seine entgegenstehende Annahme nicht vorgebracht. Jedenfalls seit dem 01.01.2002, der am weitesten zurückliegende entscheidungserhebliche Zeitpunkt, sei von einer Unvereinbarkeit auszugehen. Die festgestellten evidenten Wertverzerrungen seien nicht auf die jüngste Dekade beschränkt, sondern zeigten strukturelle Verwerfungen der Einheitsbewertung auf, die zwangsläufig schon relativ bald nach Überschreiten des ursprünglich vorgesehenen 6-Jahres-Zyklus begonnen hätten.

12

Zur Jahresrohmiete nach § 79 BewG führt das BVerfG u.a., dass die übliche Miete für nach dem 01.01.1964 errichtete Gebäude nach § 79 Abs. 2 Satz 2 BewG in Anlehnung an die Jahresrohmiete zu schätzen sei. Dies geschehe regelmäßig anhand von Mietspiegeln, die von den Finanzbehörden aufgestellt worden seien. Weil der Hauptfeststellungszeitpunkt nach wie vor seit 1964 laufe, blieben die Mieten der Mietspiegel zum 01.01.1964 weiterhin, auch bei zwischenzeitlich veränderten Wertverhältnissen, maßgeblich. Damit böten die Mietspiegel mittlerweile keine hinreichend objektivierbaren Schätzungsgrundlagen mehr. Je weiter der Hauptfeststellungszeitpunkt zurückliege und je mehr deshalb neue Gebäude in anderer Bauweise und Ausstattung als 1964 errichtet würden, desto mehr führe die Anwendung der Mietspiegel für 1964 nicht nur zu veralteten, sondern auch zu nicht realitätsgerechten Mietansätzen. Die einzelnen Ausstattungsgruppen in den Mietspiegeln bildeten systembedingt die Verhältnisse am 1. Januar 1964 ab und seien offenkundig in keiner Weise mehr vergleichbar mit heutigen Standards. Es bleibe kein Raum zur Differenzierung bei heute maßgeblichen wertbildenden Faktoren mit der Folge, dass höchst ungleich ausgestattete Grundstücke gleich bewertet würden, obwohl nach der Logik der Mietspiegel eigentlich eine Abstufung vorgenommen werden müsste.

13

Die Wertverzerrungen im Bewertungssystem ließen sich auch nicht damit rechtfertigen, dass ein besonderer Verwaltungsaufwand vermieden werden solle. Dem Gesetzgeber stehe zwar ein erheblicher Gestaltungsspielraum zu, jedoch decke dieser nicht die Inkaufnahme eines dysfunktionalen Bewertungssystems. Auch Gründe der Typisierung und Pauschalierung rechtfertigten nicht die Aussetzung des Hauptfeststellungszeitpunktes und ihre Folgen.

14

Die Mitglieder der 2. Kammer sind gegenwärtig übereinstimmend der Auffassung, dass es im Lichte dieser Ausführungen des BVerfG geboten ist, in mehreren Verhandlungen in Kammerbesetzung erneut über die Geeignetheit der indexierten Jahresrohmiete als Steuermaßstab in Satzungen über die Erhebung der Zweitwohnungssteuer zu entscheiden.

15

Wegen der sich daraus möglicherweise ergebenden weitreichenden Konsequenzen erhalten die Beteiligten Gelegenheit, zur Vorbereitung einer mündlichen Verhandlung binnen sechs Wochen zur Wirksamkeit der Satzung vorzutragen. Dabei sollte vorsorglich auch dazu Stellung genommen werden, ob im Falle einer Unwirksamkeit des Steuermaßstabes der indexierten Jahresrohmiete die Zweitwohnungssteuer in Folge der Anwendung eines Ersatzmaßstabes in möglicherweise geringerer Höhe rechtmäßig bliebe oder aber § 4 der Satzung insgesamt unwirksam und damit die Steuerveranlagung in vollständiger Höhe rechtswidrig wäre.

16

Zu gegebener Zeit wird der Einzelrichter/Vorsitzende darüber entscheiden, ob auch das vorliegende Verfahren zurück auf die Kammer übertragen und vor der Kammer verhandelt werden soll.“

17

Mittlerweile hat zwar das OVG Lüneburg mit Urteil vom 20.06.2018 – 9 LB 124/17 – entschieden, dass eine kommunale Zweitwohnungssteuer auch in Ansehung des besagten Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 10. April 2018 nach der Jahresrohmiete iSd § 79 BewG, die zum Hauptfeststellungszeitpunkt 01. Januar 1964 festgestellt oder geschätzt wurde und entsprechend der Steigerung der Wohnungsmieten (Bruttokaltmiete) nach dem Preisindex der Lebenshaltung aller privaten Haushalte im früheren Bundesgebiet auf den Stand im Monat Januar 1995 und sodann entsprechend der Steigerung der Wohnungsmieten (Nettokaltmiete) nach dem Verbraucherpreisindex für Deutschland auf den Stand im September des Vorjahres des Erhebungsjahres hochgerechnet wird, bemessen werden könne, jedoch räumt dieses Urteil nach Auffassung der Kammer die begründeten Zweifel nicht aus, weil sich das OVG Lüneburg wenig intensiv und detailliert gerade mit den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zur Jahresrohmiete und den sich aus der fehlenden Anpassung der zugrunde liegenden Mietspiegel und des daraus resultierenden Verstoßes gegen Art. 3 GG auseinandersetzt.

18

Aus Sicht der Kammer kann der angefochtene Steuerbescheid auch nicht deshalb als rechtmäßig angesehen werden, weil gemäß § 4 Abs. 4 ZWStS in den Fällen, in denen die übliche Miete nicht zu ermitteln ist, an deren Stelle sechs v. H. des gemeinen Wertes der Zweitwohnung treten. Zum einen fehlt es nämlich an Erkenntnissen zum gemeinen Wert und zum anderen erscheint zweifelhaft, ob Abs. 4 nicht von einer Unwirksamkeit der Absätze 1 bis 3 erfasst würde.

19

Soweit zu den Hinweisverfügungen der Kammer vereinzelt von den betroffenen Ämtern die Auffassung vertreten wird, die Heranziehung zur Zweitwohnungssteuer auf der Basis der Jahresrohmiete bleibe zunächst rechtmäßig, weil das Bundesverfassungsgericht die Fortgeltung der beanstandeten Normen zunächst bis zum 31.12.2019 beschlossen habe, vermag die Kammer dem nicht zu folgen. Nur das Bundesverfassungsgericht, nicht hingegen die Verwaltungsgerichte, ist befugt, eine Fortgeltungsanordnung zu treffen. Vorliegend geht es aber nicht um eine unmittelbare Anwendung von Bundesrecht. Das Bundesverwaltungsgericht hat schon mit Beschluss vom 22.10.2002 – 9 B 51.02 – ausgeführt, dass § 79 BewG im Falle der Bezugnahme in einer Satzung über die Zweitwohnungssteuer nicht als Bundesrecht, sondern als Landesrecht zu überprüfen ist. Das Verwaltungsgericht hat daher die Satzung einschließlich des Steuermaßstabs auf seine Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen. Sollte sich im Hauptsacheverfahren und im anschließenden Berufungsverfahren eine Unwirksamkeit der Satzung herausstellen, wäre es Sache der Antragsgegnerin zu prüfen, ob eine neue Satzung beschlossen und mit Rückwirkung in Kraft gesetzt wird.

20

Letztlich bedürfen diese Fragen entweder einer Entscheidung durch die Kammer in einem Hauptsacheverfahren oder aber einer Entscheidung des zur abschließenden Auslegung von Landesrecht berufenen Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts.

21

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung hat ihre Grundlage in §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 63 Abs. 2 GKG und berücksichtigt entsprechend der ständigen Spruchpraxis der Kammer in vorläufigen Rechtsschutzverfahren der vorliegenden Art den maßgeblichen Wert mit ¼ des Wertes der streitbefangenen Abgabenforderung.


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