Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (1. Kammer) - 1 B 115/18
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Der Streitwert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
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Die 1963 geborene Antragstellerin ist türkische Staatsangehörige und reiste am 01.12.2013 ohne Visum mit einem türkischen Pass in die Bundesrepublik Deutschland ein. In Deutschland schloss sie am 21.02.2014 die Ehe mit einem – mittlerweile verstorbenen - Deutschen.
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Die zunächst beantragte Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zweck der Eheschließung wurde abgelehnt, da die Antragstellerin nicht mit dem erforderlichen Visum eingereist gewesen sei. Das Visumverfahren sei nachzuholen.
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Am 15.01.2015 wurde der Antragstellerin eine auf sechs Monate befristete Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG erteilt (Bl. 84 d. Beiakte), da eine Trennung der Ehegatten aufgrund der Pflegebedürftigkeit des Ehemannes und zum Schutz der Ehe nicht zuzumuten sei. Daher könne die Antragstellerin zunächst die erforderlichen Sprachkenntnisse erwerben und das Visumverfahren später nachholen (Bl. 78 d. Beiakte).
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In der Folgezeit wurde die Aufenthaltserlaubnis mehrfach verlängert, zuletzt bis zum 5. Juni 2018. Die Antragstellerin legte in diesem Zusammenhang Einkommensnachweise für den Zeitraum vom 29.04.2015 (Eintritt) bis zum 31.03.2016 (Austritt) bei der xxx vor (Bl. 100 ff. d. Beiakte).
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Am 6. Oktober 2017 verstarb der Ehemann der Antragstellerin.
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Im Juni 2018 beantragte die Antragstellerin zuletzt die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis, woraufhin sie eine Fiktionsbescheinigung, befristet bis zum 02.10.2018, erhielt.
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Mit Schreiben vom 23.08.2018 beantragte die Antragstellerin die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis oder einer Aufenthaltserlaubnis nach § 31 AufenthG (Bl. 135 d. Beiakte).
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Mit Bescheid vom 04.09.2018 lehnte der Antragsgegner den Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis sowie den Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis ab und forderte die Antragstellerin auf, die Bundesrepublik Deutschland bis zum 11.10.2018 zu verlassen. Anderenfalls werde die Abschiebung in die Türkei angedroht (Bl. 137 ff. d. Beiakte). Die Voraussetzungen von § 28 Abs. 1 AufenthG lägen nicht vor, da der Ehemann verstorben sei. Im Übrigen fehle es an den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen. Die Voraussetzungen von § 25 Abs. 5 AufenthG lägen ebenfalls nicht mehr vor, da nach dem Tod des Ehemannes keine schützenswerten Rechte, wie das Recht auf Ehe und Familie gem. Art. 6 Grundgesetz gegeben seien. Auch die Voraussetzungen von § 31 Abs. 1 AufenthG lägen nicht vor, da die Antragstellerin zuvor 2;ber keinen Aufenthaltstitel zum Zweck des Ehegattennachzugs verfügt habe, sondern über eine humanitäre Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG. Die Antragstellerin habe auch kein Recht nach Artikel 6 Abs. 1 Spiegelstrich 1 ARB 1/18 erworben, da sie nicht durchgehend ein Jahr lang ordnungsgemäß bei einem Arbeitgeber beschäftigt gewesen sei. Schließlich lägen die Voraussetzungen einer Niederlassungserlaubnis nicht vor, denn die Antragstellerin besitze nicht seit fünf Jahren eine Aufenthaltserlaubnis.
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Hiergegen legte die Antragstellerin mit Schreiben vom 26.09.2018 Widerspruch ein. Sie sei aufgrund der Erkrankung des Ehemannes nicht dazu gekommen, einen Sprachkurs abzuschließen. Zudem leide sie seit dem Tod ihres Ehemannes unter Depressionen. Diesbezüglich wurde ein hausärztliches Attest vom 17.09.2018 vorgelegt, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird (Bl. 154 d. Beiakte).
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Die Aussetzung der Vollziehung lehnte der Antragsgegner am 27.09.2018 ab.
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>Die Antragstellerin hat am 15. Oktober 2018 einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gestellt. Zur Begründung verweist sie auf die wiederholt erteilten Aufenthaltserlaubnisse nach § 25 Abs. 5 AufenthG. Es bestehe ein Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis. Auch die Ehe habe mehr als drei Jahre bestanden, sodass die Niederlassungserlaubnis nach § 31 i.V.m. § 26 Abs. 4 AufenthG erteilt werden müsse. Zudem sei die Antragstellerin aufgrund der psychischen Erkrankung zurzeit arbeitsunfähig. Sie erhalte eine große Witwenrente und habe sich für den Integrationskurs zum 18.10.2018 angemeldet.
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Die Antragstellerin beantragt,
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die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 26.09.2018 gegen die Verfügung des Antragsgegners vom 04.09.2018 anzuordnen.
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Der Antragsgegner beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Zur Begründung wird das Vorbringen aus dem Bescheid vom 04.09.2018 wiederholt und vertieft.
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Die Antragstellerin hat ein weiteres hausärztliches Attest vom 19.10.2018 eingereicht. Danach leide sie seit dem Tod ihres Mannes unter Depressionen und sei zurzeit arbeitsunfähig. Es werde eine psychiatrische Stellungnahme empfohlen.
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Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Antragsgegners verwiesen.
II.
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Der Antrag richtet sich ausschließlich gegen die mit der streitbefangenen Verfügung erfolgte Ablehnung des Antrages auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, §§ 88, 122 VwGO. Das Vorbringen der Antragstellerin im Widerspruchs- und Gerichtsverfahren richtet sich der Sache nach nur hiergegen und nicht gegen die gleichzeitig verfügte Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung, die bei Feststellung des Bestehens eines Anspruchs auf eine Aufenthaltserlaubnis ohnehin von dem Antragsgegner aufzuheben wären.
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Der Antrag ist zulässig. Er ist insbesondere statthaft als Antrag gem. § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 1 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 26.09.2018 gegen die Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis in dem Bescheid vom 04.09.2018, dem von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung zukommt, § 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG.
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Die Antragstellerin kann ihr Rechtsschutzziel mit dem nach § 123 Abs. 5 VwGO primär anzuwendenden Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO erreichen. Beantragt ein Ausländer vor Ablauf seines Aufenthaltstitels dessen Verlängerung oder die Erteilung eines anderen Aufenthaltstitels, gilt der bisherige Aufenthaltstitel vom Zeitpunkt seines Ablaufs bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als fortbestehend, § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG. Vorliegend hat die Antragstellerin vor Ablauf ihrer gültigen Aufenthaltserlaubnis im Juni 2018 die Erteilung eines anderen Aufenthaltstitels beantragt. Damit galt die ursprüngliche Aufenthaltserlaubnis der Antragstellerin nach § 81 Abs. 4 AufenthG bis zur Entscheidung der Antragsgegnerin als fortbestehend. Mit Erlass des Bescheides vom 04.09.2018 ist diese Fortgeltungsfiktionswirkung entfallen. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung gem. § 80 Abs. 5 VwGO hätte zwar nicht die Wiederherstellung der Fiktionswirkungen zur Folge, allerdings würde in diesem Fall die Einstellung des Vollzugs nach § 241 Abs. 1 Nr. 3 LVwG erreicht werden können. Deshalb ist in diesen Fällen § 80 Abs. 5 VwGO der zutreffende Rechtsbehelf (vgl. dazu OVG Schleswig, Beschluss vom 25. Juli 2011 – 4 MB 40/11 -, n.v. S. 4 der Beschlussausfertigung).
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Der Antrag ist aber unbegründet.
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Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 1. Alt. VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs in den Fällen anordnen, in denen die aufschiebende Wirkung - wie hier - gesetzlich ausgeschlossen ist. Die gerichtliche Entscheidung ergeht auf der Grundlage einer umfassenden Interessenabwägung. Gegenstand der Abwägung sind das private Aufschubinteresse der Antragstellerin einerseits und das öffentliche Interesse an der Vollziehung des Verwaltungsaktes andererseits. Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind maßgeblich Erkenntnisse über die Rechtmä23;igkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes einzustellen, wenn aufgrund der gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage Erfolg oder Misserfolg des Rechtsbehelfs offensichtlich erscheinen. Ergibt sich danach eine offensichtliche Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts, ist als weiteres Kriterium auf die gesetzgeberische Wertung zurückzugreifen, die in der Entscheidung zum Ausdruck kommt, es beim Grundsatz der aufschiebenden Wirkung aus § 80 Abs. 1 S. 1 VwGO zu belassen oder aber bereits von Gesetzes wegen zunächst den Sofortvollzug anzuordnen, was für den Fall des gesetzlich angeordneten Sofortvollzuges dessen Bestätigung zur Folge hat (OVG Schleswig Beschluss vom 19.02.2001 – 3 M 4/01 – S. 6 mwN.). Ist eine Rechtmäßigkeit der angegriffenen Entscheidung nicht in diesem Sinne offensichtlich, so ist eine am Einzelfall orientierte weitere Interessenabwägung vorzunehmen.
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Auch in den Fällen des § 81 Abs. 4 AufenthG, d. h. im Falle eines Verpflichtungsbegehrens in der Hauptsache, wird über die Begründetheit eines Antrages nach § 80 Abs. 5 VwGO nach den allgemeinen Maßst228;ben entschieden, also im Wesentlichen nach den Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung in der Hauptsache und den durch einen Sofortvollzug gegebenenfalls verursachten irreparablen Wirkungen (vgl. Samel in: Renner/ Bergmann/ Dienelt, Ausländerrecht, 10. Auflage, AufenthG, § 81, Rn. 39).
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Eine Verpflichtungsklage hat dann Aussicht auf Erfolg, wenn die Ablehnung des Verwaltungsaktes rechtswidrig war und die Antragstellerin dadurch in ihren Rechten verletzt ist, § 113 Abs. 5 VwGO. Dies ist der Fall, wenn sich die Ablehnung des Antrags auf Aufenthaltserlaubnis entweder als rechtswidrig oder – bei Ermessensentscheidungen- als zweckwidrig erweist; die Antragstellerin also einen Anspruch auf den abgelehnten Verwaltungsakt oder zumindest ermessensfehlerfreie Entscheidung hierüber hat.
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Nach diesen Grundsätzen war dem öffentlichen Vollzugsinteresse der Vorrang einzuräumen.
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Die Antragstellerin hat keinen Anspruch auf Erteilung der begehrten Aufenthaltserlaubnis.
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Als Anspruchsgrundlage kommt zunächst nicht § 31 AufenthG in Betracht. Nach der Bestimmung des § 31 Abs. 1 Satz 1 AufenthG, die gemäß § 28 Abs. 3 Satz 1 AufenthG auf Ehegatten Deutscher entsprechend anzuwenden ist, wird die Aufenthaltserlaubnis des Ehegatten im Falle der Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft als eigenständiges, vom Zweck des Familiennachzugs unabhängiges Aufenthaltsrecht für ein Jahr verlängert, wenn die eheliche Lebensgemeinschaft seit mindestens drei Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet bestanden hat oder der Ausländer gestorben ist, während die eheliche Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet bestand und der Ausl228;nder bis dahin im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis, Niederlassungserlaubnis oder Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EU war, es sei denn, er konnte die Verlängerung aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen nicht rechtzeitig beantragen.
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Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Eine Aufenthaltserlaubnis nach dem Aufenthaltsgesetz stellt nur dann eine "Aufenthaltserlaubnis des Ehegatten" im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz 1 AufenthG dar, wenn sie diesem nach den Vorschriften des 6. Abschnitts in Kapitel 2 des Aufenthaltsgesetzes zum Zweck des Ehegattennachzugs erteilt worden ist. Eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 25 AufenthG – wie sie die Antragstellerin innehatte - erfüllt diese Voraussetzung nicht. Hierf252;r spricht schon der Wortlaut des § 31 Abs. 1 AufenthG. Die Vorschrift knüpft die Verlängerungsfähigkeit der erteilten Aufenthaltserlaubnis daran, dass es sich um die "Aufenthaltserlaubnis des Ehegatten" handelt, und beschreibt den zu erteilenden Aufenthaltstitel als "eigenständiges, vom Zweck des Familiennachzugs unabhängiges Aufenthaltsrecht". Das spricht dafür, dass es sich bei dem zu verlängernden Aufenthaltstitel um einen solchen handeln muss, der dem Ehepartner zum Zweck des Familiennachzugs erteilt wurde. Denn andernfalls wäre schwer verständlich, wieso der neue Aufenthaltstitel unabhängig vom Zweck des Familiennachzugs sein soll, wenn schon der Ausgangstitel unabhängig hiervon erteilt wurde (BVerwG, Urteil vom 04. September 2007 – 1 C 43/06 –, Rn. 17, juris). Hierfür spricht zudem die systematische Stellung des § 31 AufenthG in Kapitel 2 Abschnitt 6 des Aufenthaltsgesetzes und die Gesetzeshistorie (vgl. BVerwG, Urteil vom 04. September 2007 – 1 C 43/06 –, BVerwGE 129, 226-243, Rn. 18 f., juris). Eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 25 AufenthG erfüllt diese Voraussetzung selbst nicht, wenn die Erteilung auf der Unmöglichkeit der Ausreise wegen des besonderen Schutzes der ehelichen Lebensgemeinschaft durch Art. 6 GG oder Art 8 EMRK beruhte (Bergmann/Dienelt/Dienelt AufenthG § 31 Rn. 31-43, beck-online m.w.N.).
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Die Voraussetzungen von § 28 Abs. 1 AufenthG liegen nicht vor, weil der Ehemann der Antragstellerin 2017 verstorben ist.
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Auch ein Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis ist nicht gegeben. Gem. § 26 Abs. 4 Satz 1 kann im Übrigen einem Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach diesem Abschnitt besitzt, eine Niederlassungserlaubnis erteilt werden, wenn die in § 9 Abs. 2 Satz 1 bezeichneten Voraussetzungen vorliegen. Das ist indes nicht der Fall, weil die Antragstellerin erst seit 2015 und damit nicht seit fünf Jahren die Aufenthaltserlaubnis besitzt (§ 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG).
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Schließlich besteht kein Anspruch nach § 25 Abs. 5 AufenthG. Danach kann einem Ausl8;nder, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Die Aufenthaltserlaubnis soll erteilt werden, wenn die Abschiebung seit 18 Monaten ausgesetzt ist. Unter „Ausreise“ im Sinne dieser Vorschrift ist sowohl die zwangsweise Abschiebung als auch die freiwillige Ausreise zu verstehen. Nur wenn sowohl die Abschiebung als auch die freiwillige Ausreise unmöglich sind, kommt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach dieser Vorschrift in Betracht (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2006 - 1 C 14.05 -, juris, Rn. 15; OVG Lüneburg, Urteil vom 11. Juli 2014 – 13 LB 153/13 –, Rn. 46, juris).
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Die Antragstellerin ist zwar vollziehbar ausreisepflichtig. Gemäß § 58 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ist die Ausreisepflicht vollziehbar, wenn der Ausländer noch nicht die erstmalige Erteilung des erforderlichen Aufenthaltstitels oder noch nicht die Verlängerung beantragt hat oder trotz erfolgter Antragstellung der Aufenthalt nicht nach § 81 Abs. 3 als erlaubt oder der Aufenthaltstitel nach § 81 Abs. 4 nicht als fortbestehend gilt. Die Antragstellerin hat zwar die Verlängerung ihres Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 5 AufenthG beantragt. Dieser Antrag wurde indes mit dem Bescheid vom 04.09.2018 abgelehnt. Mit Ablehnung des Antrags auf einen Aufenthaltstitel enden auch die Wirkungen des § 81 Abs. 3 und 4 AufenthG (Bergmann/Dienelt/Bauer/Dollinger AufenthG § 58 Rn. 12-20, beck-online).
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Es ist aber nicht ersichtlich, dass die Ausreise der Antragstellerin aus rechtlichen oder tatsächlichen Gr52;nden unmöglich ist. Das ist dann der Fall, wenn ihr rechtliche Hindernisse entgegenstehen, welche die Ausreise ausschließen (wie etwa das Fehlen erforderlicher Einreisepapiere oder sonstige Einreiseverbote in den Herkunftsstaat) oder als unzumutbar erscheinen lassen. Derartige Hindernisse können sich sowohl aus inlandsbezogenen Abschiebungsverboten ergeben, zu denen u.a. auch diejenigen Verbote zählen, die aus Verfassungsrecht (etwa mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG) oder aus Völkervertragsrecht (etwa aus Art. 8 EMRK) in Bezug auf das Inland herzuleiten sind, als auch aus zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2, 3, 5 und 7 AufenthG. Bei Bestehen solcher Abschiebungsverbote hat nach dem Gesetzeskonzept die zwangsweise Rückführung des betroffenen Ausländers zu unterbleiben. Dann aber ist ihm in aller Regel auch eine freiwillige R252;ckkehr in sein Heimatland aus denselben rechtlichen Gründen nicht zuzumuten und damit unmöglich im Sinne des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG (BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2006 – 1 C 14/05 –, BVerwGE 126, 192-201, Rn. 17).
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Aufgrund der erforderlichen Pflege ihres Ehemannes ist der Antragsgegner unter Berücksichtigung der in Art. 6 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK getroffenen Wertentscheidungen in der Vergangenheit davon ausgegangen, dass die Ausreise unmöglich im Sinne des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG war. Diese Voraussetzungen sind jedenfalls seit dem Ableben des Ehemannes nicht mehr gegeben. Weitere familiäre Beziehungen, die in den Anwendungsbereich von Art. 6 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK fall, bestehen in Deutschland nicht.
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Eine rechtliche Unmöglichkeit der Ausreise ergibt sich auch nicht aufgrund einer bestehenden Reiseunfähigkeit aus gesundheitlichen Gründen. Gem. § 60a Abs. 2c AufenthG wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Die Antragstellerin hat keine qualifizierte ärztliche Bescheinigung vorgelegt. Diese stammt bereits nicht von einem Facharzt, sondern von ihrem Hausarzt. Auch verhält sich das Attest nicht zu den Tatsachen, aufgrund derer die Depression diagnostiziert worden ist. Ein Attest, dem nicht zu entnehmen ist, wie es zur prognostischen Diagnose kommt und welche Tatsachen dieser zugrunde liegen, ist nicht geeignet, das Vorliegen eines Abschiebungsverbots wegen Reiseunfähigkeit zu begründen (Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht, Beschluss vom 10. Juli 2017 – 1 B 90/17 –, Rn. 12, juris; vgl. VGH München, Beschluss vom 5. Januar 2017 – 10 CE 17.30 –, juris Rn. 7 m.w.N.).
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Schließlich steht der Antragstellerin auch keine Aufenthaltserlaubnis nach Art. 6 Abs. 1 erster Gedankenstrich ARB 1/80 zu. Danach hat vorbehaltlich der Bestimmungen in Artikel 7 über den freien Zugang der Familienangehörigen zur Beschäftigung der türkische Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört, in diesem Mitgliedstaat nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber, wenn er über einen Arbeitsplatz verfügt.
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Demnach ist eine ununterbrochene Beschäftigungsdauer von einem Jahr bei ein und demselben Arbeitgeber erforderlich. Artikel 6 Absatz 1 erster Gedankenstrich des Beschlusses Nr. 1/80 soll nur die Fortsetzung einer Beschäftigung bei demselben Arbeitgeber gewährleisten und ist daher nur anwendbar, soweit der türkische Arbeitnehmer die Verlängerung seiner Arbeitserlaubnis zur Fortsetzung seiner Beschäftigung bei demselben Arbeitgeber über die ursprüngliche Dauer ordnungsgemäßer Beschäftigung von einem Jahr hinaus beantragt (EuGH, Urteil vom 05. Oktober 1994 – C-355/93 –, juris). Das Erfordernis einer ununterbrochenen Beschäftigungsdauer von einem Jahr bei demselben Arbeitgeber beruht auf der Annahme, dass nur eine vertragliche Beziehung, die ein Jahr lang aufrechterhalten wird, eine Verfestigung des Arbeitsverhältnisses erkennen lässt, die ausreicht, um dem türkischen Arbeitnehmer die Fortsetzung seiner Beschäftigung bei demselben Arbeitgeber zu gewährleisten. Zudem würde die Kohärenz des durch die drei Gedankenstriche von Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 eingeführten Systems der schrittweisen Eingliederung des türkischen Arbeitnehmers in den Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaats erschüttert, wenn der Betroffene das Recht hätte, eine Beschäftigung bei einem anderen Arbeitgeber aufzunehmen, solange er nicht einmal die im ersten Gedankenstrich von Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 enthaltene Voraussetzung einer ordnungsgemäßen Beschäftigung von einem Jahr erfüllt hat. Denn die Möglichkeit, eine Beschäftigung bei einem anderen Arbeitgeber aufzunehmen, hat der türkische Arbeitnehmer dem zweiten Gedankenstrich der Bestimmung zufolge erst nach drei Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung in dem betreffenden Mitgliedstaat, unter dem Vorbehalt des Vorrangs von Gemeinschaftsinländern und wenn es sich um den gleichen Beruf handelt (Oberverwaltungsgericht Berlin, Beschluss vom 19. Mai 2004 – 8 S 26.01 –, Rn. 5, juris).
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Diese Voraussetzungen liegen nach der allein möglichen summarischen Prüfung nicht vor. Nachweise über ein länger andauerndes Beschäftigungsverhältnis hat die Antragstellerin bislang allein für den Zeitraum vom 29.04.2015 (Bl. 100 d. Beiakte) bis 31.03.2016 (Bl. 109a d. Beiakte) bei der xxx erbracht. Dieses Arbeitsverhältnis dauerte weder ein Jahr noch ist die Antragstellerin nach dem 31.03.2016 bei diesem Arbeitgeber weiter beschäftigt gewesen, sodass die beanspruchte Aufenthaltserlaubnis auch von Vornherein nicht dazu geeignet ist, ausschließlich die Fortsetzung der Beschäftigung bei demselben Arbeitgeber zu ermöglichen. Artikel 6 Absatz 1 erster Gedankenstrich verleiht dem türkischen Arbeitnehmer keinen Anspruch, wenn dieser vor Erreichen der Jahresfrist den Arbeitgeber wechselt und zur Fortsetzung seiner Beschäftigung bei einem neuen Arbeitgeber die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis beantragt. In diesem Fall entsteht das in Spiegelstrich 1 vorgesehene Recht auf Erneuerung der Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis erst nach Ablauf eines neuen Zeitraums ordnungsgemäßer Beschäftigung von einem Jahr (Bergmann/Dienelt/Dienelt ARB 1/80 Art. 6, beck-online).
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 52 Abs. 1, Abs. 2 GKG.
- 42
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Bevollmächtigten für das Antragsverfahren ist unbegründet, weil hinreichende Erfolgsaussichten nach Vorstehendem nicht gegeben sind, § 166 VwGO i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO (vgl. zum Prüfungsmaßstab: BVerfG, Beschluss vom 14. April 2003 – 1 BvR 1998/02 – NJW 2003, 2976).
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