Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (1. Kammer) - 1 B 118/18

Tenor

Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 28. September 2018 wird wiederhergestellt.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 5.000,00 € festgesetzt.

Gründe

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Der Antragsteller ist Inhaber eines Forstbaumbetriebs. Mit Bescheid vom 28. September 2018 ordnete der Antragsgegner gegenüber dem Antragsteller an, dass dieser die auf dem Gelände seines Betriebs ausgelegten Netze zu entfernen habe und dass das auf diese Weise gewonnene und nicht verkehrsfähige Saatgut nicht weiter be- oder verarbeitet werden dürfe.

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Der Antrag des Antragstellers,

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die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die Anordnung des Antragsgegners vom 28. September 2018 wiederherzustellen,

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hat Erfolg.

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Insbesondere ist er nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) statthaft, da der Antragsgegner nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung angeordnet hat.

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Der Antrag ist auch begründet.

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Zunächst ist auszuführen, dass bereits die Anordnung der sofortigen Vollziehung den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO nicht entspricht. Das mit dieser Vorschrift normierte Erfordernis einer schriftlichen Begründung des besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts soll neben der Information des Betroffenen und des mit einem eventuellen Aussetzungsantrag befassten Gerichts vor allem die Behörde selbst mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG zwingen, sich des Ausnahmecharakters der Vollziehungsanordnung bewusst zu werden und die Frage des Sofortvollzuges besonders sorgfältig zu prüfen. Die Anforderungen an den erforderlichen Inhalt einer solchen Begründung dürfen hierbei aber nicht überspannt werden. Diese muss allein einen bestimmten Mindestinhalt aufweisen. Dazu gehört es insbesondere, dass sie sich – in aller Regel – nicht lediglich auf eine Wiederholung der den Verwaltungsakt tragenden Gründe, auf eine bloße Wiedergabe des Textes des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO oder auf lediglich formelhafte, abstrakte und letztlich inhaltsleere Wendungen, namentlich solche ohne erkennbaren Bezug zu dem konkreten Fall, beschränken darf. Demgegenüber verlangt § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO nicht, dass die für das besondere Vollzugsinteresse angeführten Gründe auch materiell überzeugen, also inhaltlich die getroffene Maßnahme rechtfertigen (OVG Münster, Beschluss vom 8. November 2016, Az.: 8 B 1395/15, Rn. 6,- zitiert nach juris). Diese Anforderungen werden vorliegend nicht erfüllt. Der Antragsgegner hat die Anordnung der sofortigen Vollziehung nur angeordnet und knapp mit einem Halbsatz begründet. Eine Begründung des öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehung liegt so nicht im ausreichenden Maße vor. Vielmehr hätte der Antragsgegner die Gründe der Gefahr der Vermischung von Saatgut noch ausführen müssen und welche Folgen eine solche Vermischung gehabt hätte. Gerade weil auch der Bescheid keine Ausführungen hierzu enthält, wären diese zumindest dann bei der Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung erforderlich gewesen. Es ist so nicht erkennbar, dass sich der Antragsgegner des Ausnahmecharakters der sofortigen Vollziehung bewusst war. Auch eine Ausnahme des Begründungserfordernisses nach Satz 2 kommt vorliegend nicht in Betracht. Es handelt sich vorliegend nicht um eine Notstandsmaßnahme. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung erfolgte nachträglich nach Bescheiderlass am 2. Oktober 2018. In diesem Zeitraum wäre es dem Antragsgegner durchaus möglich gewesen diese zu begründen. Zudem hat der Antragsgegner seine Anordnung nicht als Notstandsmaßnahme bezeichnet. Dies wäre erforderlich gewesen, um überhaupt von einer Begründung abzusehen.

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Darüber hinaus überwiegt das Aussetzungsinteresse des Antragstellers das Interesse des Antragsgegners an der sofortigen Vollziehung der Verfügung.

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Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann durch das Gericht die aufschiebende Wirkung im Falle des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO, also in Fällen, in denen die sofortige Vollziehung eines Verwaltungsaktes im öffentlichen Interesse von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat, besonders angeordnet wurde, ganz oder teilweise wiederhergestellt werden. In den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs ganz oder teilweise anordnen. Die gerichtliche Entscheidung ergeht dabei auf der Grundlage einer umfassenden Interessenabwägung. Gegenstand der Abwägung sind das private Aussetzungsinteresse einerseits und das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes andererseits. Im Rahmen der Interessenabwägung können auch Erkenntnisse über die Rechtmäßigkeit und die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes Bedeutung erlangen. Lässt sich bei der gebotenen summarischen Überprüfung die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides ohne weiteres feststellen, ist sie also offensichtlich, so ist die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs wiederherzustellen bzw. anzuordnen, weil an der sofortigen Vollziehung eines offensichtlich rechtswidrigen Bescheides kein öffentliches Interesse bestehen kann. Erweist sich der angefochtene Bescheid als offensichtlich rechtmäßig, bedarf es in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse von der Behörde im Einzelfall angeordnet wurde, noch eines besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung, das mit dem Interesse am Erlass eines Verwaltungsaktes in der Regel nicht identisch ist, sondern vielmehr ein qualitativ anderes Interesse ist. Insbesondere in Fällen der Gefahrenabwehr kann dieses besondere Vollzugsinteresse aber mit dem Interesse am Erlass des Bescheides selbst identisch sein. Lässt sich die Rechtmäßigkeit bei summarischer Prüfung nicht eindeutig beurteilen, bedarf es schließlich einer allgemeinen Interessenabwägung im Sinne einer Folgenabwägung. Dabei sind die Folgen gegenüberzustellen, die einerseits eintreten, wenn dem Antrag stattgegeben wird, die Bescheide sich aber später im Hauptsacheverfahren als rechtmäßig erweisen bzw. die andererseits eintreten, wenn der Antrag abgelehnt wird, die Bescheide sich aber später im Hauptsacheverfahren als rechtswidrig erweisen (OVG Schleswig, Beschluss vom 6. August 1991, Az.: 4 M 109/91, Rn. 3-4,- zitiert nach juris).

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Gemessen an diesen Maßstäben erweist sich der Antrag als begründet. Bei der vorzunehmenden Interessenabwägung überwiegt das private Interesse des Antragstellers an einem einstweiligen Aufschub der Vollziehung das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts. Die Anordnung des Antragsgegners vom 28. September 2018 erweist sich nämlich nach summarischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig. Infolgedessen kann kein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit bestehen.

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Die ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

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Die Anordnung des Antragsgegners, dass der Antragsteller die auf dem Grundstück seines Forstbetriebs ausgelegten Netze zu entfernen hat und dass das auf diese Weise gewonnene und nicht verkehrsfähige Saatgut nicht weiter be- oder verarbeitet werden darf, ist rechtswidrig und verletzt den Antragsteller in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

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Denn die Voraussetzungen der Rechtsgrundlage, auf die der Antragsgegner seine Anordnung stützt, liegen nicht vor. Nach § 18 Abs. 4 Forstvermehrungsgutgesetz (FoVG) dürfen die Landesstellen eine bestimmte Verwendung oder die Vernichtung von im Inland nicht vertriebsfähigen Vermehrungsgut anordnen sowie entsprechendes Vermehrungsgut einziehen, soweit dies erforderlich ist, um zu verhindern, dass dieses Vermehrungsgut zur Verwendung im Wald in Verkehr gebracht wird. Bei den von dem Antragsteller mit Hilfe von Netzen aufgefangenen Eicheln handelt es sich bereits nicht um Vermehrungsgut im Sinne des FoVG. Nach § 1 Abs. 2 FoVG darf forstliches Vermehrungsgut nur nach Maßgabe der folgenden Vorschriften erzeugt, in Verkehr gebracht, eingeführt oder ausgeführt werden. § 2 FoVG definiert sodann die einzelnen Begrifflichkeiten des FoVG. Nach Nr. 1 dieser Vorschrift ist forstliches Vermehrungsgut jedes Vermehrungsgut der in der Anlage aufgeführten Baumarten und künstlichen Hybriden, die für forstliche Zwecke in Deutschland oder in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union von Bedeutung sind. Diese Anlage umfasst auch Eichen. Nr. 2 definiert sodann die Arten von Vermehrungsgut. Nach Nr. 1 lit. a sind als Saatgut Zapfen, Fruchtstände, Früchte und Samen, die zur Aussaat im Wald oder zur Erzeugung von Pflanzgut bestimmt sind, anzusehen. Die von dem Antragsteller aufgefangenen Eicheln sind nicht als Saatgut in diesem Sinne zu klassifizieren. Der Antragsteller hat nämlich vorgetragen, dass er die Eicheln nur mit Hilfe von Netzen aufgefangen hat, damit einer seiner Mitarbeiter diese an seine Schweine verfüttern kann. Die mit den Netzen aufgefangenen Eicheln waren demzufolge nicht zur Aussaat im Wald oder zur Erzeugung von Pflanzgut bestimmt. In dem Begriff „bestimmt“ ist eine subjektive Zweckbestimmung zu sehen. Nach Auffassung der Kammer kommt es vordringlich darauf an, welchen Zweck derjenige, der die Eicheln sammelt, damit verfolgt. Denn erst durch eine Zweckverfolgung kann ein Gegenstand für eine Verwendung bestimmt sein. Hierfür spricht auch die Gesetzesbegründung. Diese umschreibt die Formulierung „Aussaat im Wald“ als auch den Fall, dass durch Aussaat Wald neu begründet werden soll (BT-Drucksache 14/7384, S. 17). Durch das Wort „soll“ wird auch in der Gesetzesbegründung deutlich gemacht, dass es einen Verwendungszweck geben muss, der vom Verwender verfolgt werden muss. So können die Eicheln entweder für das Aussäen im Wald oder zur Erzeugung von Pflanzgut bestimmt sein, aber auch für andere Verwendungszwecke (wie hier bspw. als Futtermittel). Die Angabe des Antragstellers, dass er die Eicheln zu Futterzwecken auffängt, ist auch plausibel. Eicheln werden in der Landwirtschaft oft als Futtermittel für Schweine verwendet. Es sind auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Angabe des Antragstellers eine bloße Schutzbehauptung ist und davon ausgegangen werden muss, dass der Antragsteller tatsächlich die Eicheln doch als Saatgut verwenden möchte. Die Angabe des Antragsgegners, dass in drei vergangenen Fällen der Verdacht bestand, dass im Betrieb des Antragstellers Pflanz- bzw. Saatgut vertauscht worden sei, kann nicht dazu führen, an den Angaben des Antragstellers zu zweifeln. Die anschließenden Kontrollen führten zu keinen Unregelmäßigkeiten in der Buchführung. Der Verdacht dürfte sich daher nicht bestätigt haben. Auch ist das Verfüttern von Eicheln nicht durch das FoVG eingeschränkt. Der Gesetzgeber nennt in der Gesetzesbegründung als anderweitige Verwendung im Sinne von § 18 Abs. 4 FoVG ausdrücklich die Verfütterung (BT-Drucksache 14/7384, S. 24). Auch wenn sich diese Art der Verwendung auf nichtvertriebsfähiges Vermehrungsgut bezieht – welches hier wie oben ausgeführt gar nicht erst vorliegt – so zeigt die Nennung doch, dass die Verfütterung zulässig ist.

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Der Auffassung der Kammer steht auch nicht § 21 Satz 1 Nr. 3 FoVG entgegen. Nach dieser Vorschrift kann die Bundesanstalt abweichend von § 1 Abs. 2 auf Antrag Erzeugung, Inverkehrbringen und Einfuhr für Saatgut erlauben, das nachweislich nicht für forstliche Zwecke bestimmt ist. Sinn und Zweck dieser Regelung ist es, den Verkehr mit Saatgut, bei dem eine nichtforstliche Verwendung zweifelsfrei nachgewiesen werden kann, keinen unnötigen Regelungen zu unterwerfen (BT-Drucksache 14/7384, S. 24). Aus der Systematik des FoVG ergibt sich, dass unter Verkehr gewerbliche Zwecke zu verstehen sind. Nach § 2 Nr. 9 lit. b FoVG ist unter Inverkehrbringen das gewerbsmäßige Vorrätighalten oder Anbieten zum Verkauf, Verkaufen, Abgeben, Liefern, einschließlich Lieferungen im Rahmen von Dienstleistungs- und Werkverträgen, sowie das Verbringen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu verstehen. Die vorangestellte Bezeichnung „gewerblich“ bezieht sich hierbei auf alle im Folgenden genannten Handlungen (BT-Drucksache 14/7384, S. 18). Hieraus folgt, dass das bloße Auffangen von Eicheln für Mitarbeiter (bzw. es Mitarbeitern zu ermöglichen so Eicheln zu sammeln) keinen Verkehr darstellt und deswegen auch nicht unter § 21 Satz 1 Nr. 3 FoVG fällt. Es ist nämlich nicht ersichtlich, dass der Antragsteller die Eicheln gewerbsmäßig an seinen Mitarbeiter verkauft.

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Darüber hinaus signalisiert der Begriff „dürfen“ in § 18 Abs. 4 FoVG, dass die Landesstellen Ermessen auszuüben haben. Dieses hat der Antragsgegner in seiner Anordnung vom 28. September 2018 nicht ausgeübt. Auch hat er sich mit der Erforderlichkeit einer Ermessensausübung nicht auseinandergesetzt.

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Es ist auch keine andere Ermächtigungsgrundlage ersichtlich, auf die der Antragsgegner seine Anordnung stützen könnte.

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Zudem ist noch auszuführen, dass der Antragsgegner hier eine völlig unzureichende Sachverhaltsaufklärung betrieben hat. Am 26. und 28. September 2018 hat ein Mitarbeiter des Antragsgegners anonym einen Anruf erhalten und ebenfalls anonym Bilder über WhatsApp (inwieweit das überhaupt anonym über WhatsApp geht, zumindest die Nummer müsste bekannt sein, kann hier dahingestellt bleiben) zugeschickt bekommen. Allein aufgrund dieser anonymen Hinweise – eine Vor-Ort-Kontrolle seitens des Antragsgegners ergibt sich aus der Akte nicht; entsprechende Vermerke sind nicht vorhanden – hat der Antragsgegner die Anordnung vom 28. September 2018 erlassen. Wie die Kontrollstelle die Flächen auf den Bildern als Flächen des Antragstellers identifiziert haben will (Bl. 54 der Beiakte) ist nicht ersichtlich. Der Antragsgegner hat weder beim Antragsteller, noch bei dessen Mitarbeitern Erkundigen zum Sachverhalt eingeholt. Zumindest ein aktenkundiger Vor-Ort-Termin zur tatsächlichen Lage der Netze und ob diese tatsächlich ausliegen wäre bei anonymen Hinweisen erforderlich gewesen, um eine Tatsachengrundlage zu erhalten, auf der man eine entsprechende Anordnung stützen kann. Selbst die Luftaufnahme mit den gekennzeichneten Flächen ist allem Anschein nach dem Mitarbeiter des Antragsgegners per WhatsApp zugeschickt worden. Zudem sind auf den Bildern keine Aufnahmedaten erkennbar. Der Antragsgegner konnte demnach gar nicht wissen, wann die Bilder gemacht wurden. Gerade deswegen wäre eine eigene Vor-Ort-Kontrolle wichtig gewesen.

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An einem offensichtlich rechtswidrigen Verwaltungsakt besteht kein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung.

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Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 28. September 2018 war demnach wiederherzustellen.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 2, 52 Abs. 2, 63 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG).


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