Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (1. Kammer) - 1 B 30/19

Tenor

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die in Ziffer 1 des Bescheides vom 20. März 2019 angeordnete Verpflichtung zum Aufenthalt in ihrer Wohnung von montags bis freitags zwischen 20:00 Uhr und 6:00 Uhr wird wiederhergestellt. Insoweit wird der Antragstellerin Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt B. bewilligt.

Im Übrigen wird der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 20. März 2019 (räumliche Beschränkung auf das Gebiet des Landes Schleswig-Holstein in Ziffer 2) abgelehnt.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (vorläufige Aussetzung der Abschiebung der Antragstellerin) wird abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens tragen die Antragstellerin zu 2/3 und der Antragsgegner zu 1/3.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird im Übrigen abgelehnt.

Der Streitwert wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe

1

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat nur teilweise Erfolg.

2

Die Kammer geht nach ihrem gegenwärtigen Erkenntnisstand (noch) von der Zulässigkeit des Antrages auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes aus. Es lässt sich gegenwärtig noch nicht feststellen, dass die Antragstellerin sich nicht nur vorübergehend nicht an der in der Antragsschrift mitgeteilten Adresse aufhält. Sollte die Antragstellerin allerdings nicht nur kurzfristig dort nicht mehr erreichbar und auch der Aufenthalt an einem anderen Ort nicht mehr bekannt sein, würde es für die Zulässigkeit des Antrages auf vorläufigen Rechtsschutz sowohl an dem allgemeinen Rechtsschutzbedürfnis als auch an der Zulässigkeit wegen des Verstoßes gegen die zwingende Verfahrensvorschrift des § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO analog, die auch die Angabe der jeweils aktuellen ladungsfähigen Anschrift fordert (§ 173 VwGO in Verbindung mit § 130 Nr. 1 ZPO), mangeln. Daneben könnte die nicht nur vorübergehende Aufgabe einer Unterkunft ohne Mitteilung eines aktuellen Aufenthalts an das Gericht oder zumindest an den Prozessbevollmächtigten den Schluss zulassen, dass jemand entweder in sein Heimatland zurückgereist ist oder die Bundesrepublik Deutschland verlassen hat und das Rechtsschutzbegehren deswegen nicht mehr weiter verfolgen will oder er untergetaucht ist, was die Schutzwürdigkeit seines Rechtsschutzinteresses ebenfalls entfallen lassen würde (vgl. Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 13. November 2018 – 15 B 18.32145 –, juris). Die Verpflichtung zur Mitteilung der aktuellen Wohnanschrift kann nur ausnahmsweise entfallen, wenn besondere dem Gericht mitgeteilte Gründe dies rechtfertigen, etwa fehlender Wohnort wegen Obdachlosigkeit oder ein schutzwürdiges Geheimhaltungsinteresse (BVerwG, Beschluss vom 14. Februar 2012 – 9 B 79/11 –, juris).

3

Der nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO zulässige Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des eingelegten Widerspruchs gegen den Bescheid vom 20. März 2019 hat nur hinsichtlich der in Ziffer 1 des Bescheides geregelten Verpflichtung zum Aufenthalt in der Unterkunft der Antragstellerin während eines bestimmten Zeitraums Erfolg, hinsichtlich der in Ziffer 2 erfolgten Beschränkung des Aufenthaltes auf das Land Schleswig-Holstein dagegen keinen Erfolg. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel der vorläufigen Verpflichtung des Antragsgegners, die Abschiebung der Antragstellerin auszusetzen, hat ebenfalls keinen Erfolg.

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Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs im Falle der Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO wiederherstellen, wenn die im Rahmen des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes vorzunehmende Interessenabwägung ergibt, dass das öffentliche Interesse oder ein überwiegendes Interesse eines Dritten an der Vollziehung des angegriffenen Verwaltungsaktes hinter das Interesse des Adressaten an einem Aufschub des Vollzugs zurücktritt. Das ist der Fall, wenn der Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist, denn an der sofortigen Vollziehung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes kann kein vorrangiges öffentliches Interesse bestehen. Umgekehrt ist der Rechtsschutzantrag abzulehnen, wenn der angefochtene Verwaltungsakt offensichtlich rechtmäßig ist und zusätzlich ein gesteigertes öffentliches Interesse an seiner Vollziehung besteht, das über das Interesse hinausgeht, das den Erlass des Verwaltungsaktes selbst rechtfertigt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 11. Mai 2007 – 2 BvR 2483/06 –, juris Rn. 31 f.). Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens bei summarischer Beurteilung des Sachverhalts hingegen offen, so entscheidet eine reine Abwägung der widerstreitenden öffentlichen und privaten Interessen, die für oder gegen die Dringlichkeit der Vollziehung sprechen, über die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes.

5

Nach der im vorliegenden Eilverfahren allein gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage erweist sich die mit dem Bescheid vom 20. März 2019 unter Ziffer 1 gegenüber der Antragstellerin angeordnete Pflicht, sich von Montag bis Freitag zwischen 20.00 und 06.00 Uhr in der ihr zugewiesenen Unterkunft aufzuhalten und die Absicht, sich zu diesen Zeiten nicht in ihrer Unterkunft aufzuhalten, spätestens am vorherigen Tag bis 12:00 Uhr dem Antragsgegner unter Angabe des beabsichtigten Aufenthaltsorts anzuzeigen, als offensichtlich rechtswidrig. Die in Ziffer 2 des Bescheides vom 20. März 2019 angeordnete Beschränkung des Aufenthaltes auf das Gebiet des Landes Schleswig-Holstein ist demgegenüber offensichtlich rechtmäßig; insoweit besteht auch ein besonderes – von dem Antragsgegner hinreichend dargelegtes (§ 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO) – öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung dieser Anordnung.

6

Rechtsgrundlage der Anordnung zum Aufenthalt in der Wohnung während bestimmter Zeiten kann nur § 46 Abs. 1 AufenthG sein. Nach dieser Vorschrift kann die Ausländerbehörde gegenüber einem vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer Maßnahmen zur Förderung der Ausreise treffen, insbesondere kann sie den Ausländer verpflichten, seinen Wohnsitz an einem bestimmten Ort zu nehmen. Es kommen alle Maßnahmen in Betracht, die geeignet sind, die freiwillige oder erzwungene Ausreise des Ausländers zu fördern. Hierzu zählt die Auferlegung von Handlungspflichten, z.B. die regelmäßige Vorsprache bei den zuständigen Behörden oder das Gebot zum Ansparen von finanziellen Mitteln für die Heimreise. Über die Verfügung zur Wohnsitznahme wird die Erreichbarkeit des Ausländers und die Einwirkungsmöglichkeit der Ausländerbehörde sichergestellt (vgl. BT-Drs. 15/420, S. 88 zu § 46). Eine entsprechende Anordnung muss einen sinnvollen Bezug zu diesem zulässigen Verfahrenszweck aufweisen und darf nicht in Schikane mit strafähnlichem Charakter ausarten, auf eine unzulässige Beugung des Willens hinauslaufen oder den Betreffenden im Einzelfall unverhältnismäßig treffen (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 11. März 2013 – 2 M 168/12 –, juris Rn. 6). In diesem Zusammenhang und unter diesen Voraussetzungen kann auch die Verpflichtung ausgesprochen werden, sich in eine bestimmte Unterkunft zu begeben, denn die in § 46 Abs. 1 AufenthG ausdrücklich genannte Wohnsitzauflage stellt keine abschließende Regelung dar, sondern bildet lediglich ein Beispiel („insbesondere“).

7

Die vom Antragsgegner verfügte abendliche und nächtliche Aufenthaltsverpflichtung der Antragstellerin in ihrer Unterkunft geht noch über diese dargestellten Maßnahmen hinaus. Sie erschöpft sich nicht in einer Wohnsitzauflage, der Zuweisung einer speziellen Unterkunft oder einer Meldeverpflichtung, sondern gibt der Antragstellerin positiv die Verpflichtung auf, sich zu bestimmten Zeiten an einem bestimmten Ort aufzuhalten.

8

Für eine damit zumindest infrage kommende Freiheitsbeschränkung im Sinne eines „nächtlichen Hausarrests“ soll nach einer in der Rechtsprechung vertretenen Auffassung § 46 Abs. 1 AufenthG keine ausreichende Grundlage bilden so (OVG Lüneburg, Beschluss vom 22. Januar 2018 – 13 ME 442/17 –, Rn. 3 - 6, juris). Die Ausländerbehörde habe nach dieser Auffassung demgegenüber nach § 46 Abs. 1 AufenthG – über die ohnehin bestehende gesetzliche Anzeigepflicht des § 50 Abs. 4 AufenthG hinaus – insoweit nur die Möglichkeit, unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit einem vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer aufzugeben, sich täglich (werktäglich) bei ihr zu melden und eine geplante Abwesenheit zuvor anzuzeigen. Auch auf diesem Wege sei die Erreichbarkeit des Ausländers in hinreichender Weise sichergestellt. Des weitergehenden Eingriffs durch Verpflichtung zum nächtlichen Aufenthalt in seiner Unterkunft bedürfe es dazu nicht (OVG Lüneburg, Beschluss vom 22. Januar 2018 – 13 ME 442/17 –, Rn. 3 - 6, juris). Demgegenüber sollen Anzeigepflichten hinsichtlich vorhersehbarer (beabsichtigter) und kurzfristiger (spontaner) Aufenthalte außerhalb der Unterkunft für den Zeitraum montags bis freitags von 0.00 bis 6.00 Uhr unter Angabe des abweichenden Aufenthaltsortes zulässig sein (OVG Lüneburg, Beschluss vom 13. März 2018 – 13 ME 38/18 –, Rn. 8, juris). Die Eingriffsintensität sei bei solchen Anzeigepflichten gering, da sie nicht den Aufenthalt beschränkten, sondern den Betreffenden lediglich anhielten, bei Abwesenheit in den Nachtstunden montags bis freitags, die ohnehin üblicherweise in der Unterkunft verbracht würden, eine Meldung gegenüber der Ausländerbehörde zu machen bzw. eine Nachricht zu hinterlassen, und sei daher in Abwägung mit dem angestrebten Ziel, die Erreichbarkeit sicherzustellen, nicht unangemessen (OVG Lüneburg, Beschluss vom 15. Januar 2019 – 8 ME 93/18 –, Rn. 4 - 7, juris).

9

Eine grundsätzliche Anwendbarkeit des § 46 Abs. 1 AufenthG auf eine Verpflichtung, sich zu bestimmten Zeiten in der zugewiesenen Unterkunft aufzuhalten, um die persönliche Erreichbarkeit zu gewährleisten, ist nach einer anderen in der Rechtsprechung vertretenen und von der Kammer geteilten Rechtsauffassung nach Sinn und Zweck im Lichte der Gesetzgebungsgeschichte anzunehmen und weder nach der Normsystematik noch durch höherrangiges Recht ausgeschlossen (so mit sehr ausführlicher Begründung VG Hamburg, Beschluss vom 16. November 2018 – 7 E 4941/18 –, Rn. 7 - 26, juris; Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht, Beschluss vom 17. Mai 2018 – 1 B 39/18 –; VG Freiburg (Breisgau), Beschluss vom 22. November 2018 – 4 K 6442/18 –, Rn. 11, juris mit der Begründung, eine bloße Meldeauflage erscheine in Überstellungs- bzw. Abschiebungsfällen nicht gleich geeignet).

10

Soweit die Kammer jedoch in ihrem Beschluss vom 17. Mai 2018 – 1 B 39/18 – die von dem Antragsgegner getroffene Ermessensentscheidung zu einer Verpflichtung von montags bis freitags von 20:00 Uhr bis 6:00 Uhr ohne gesonderte Begründung, was die Dauer der werktäglichen Verpflichtung angeht, nicht als ermessensfehlerhaft beanstandet hat, hält sie daran nicht mehr fest. Es erscheint jedenfalls ohne weitergehende Ermessenserwägungen zur Notwendigkeit des zeitlichen Umfangs der Aufenthaltsverpflichtung unverhältnismäßig, wenn eine solche Verpflichtung zeitlich nicht weiter beschränkt wird.

11

Nach dem dargestellten Zweck der angefochtenen Verfügung soll diese sicherstellen, dass die Antragstellerin für eine Abschiebung zur Verfügung steht und der Antragsgegner zu den in der Verfügung genannten Zeiten über den Aufenthaltsort der Antragstellerin informiert ist, um die gesetzlich vorgesehene unangekündigte Abholung zur Durchführung der Abschiebung veranlassen zu können. Zur Erreichung dieses – für sich betrachtet zulässigen – Zwecks ist es indes nicht erforderlich, dass die Antragstellerin sich in Zeiträumen in der Unterkunft aufhält, in welchen der Vollzug einer Abschiebung nicht stattfindet bzw. nicht stattfinden könnte (VG Hamburg, Beschluss vom 16. November 2018 – 7 E 4941/18 –). Im Regelfall werden Abschiebungen nicht in den Abendstunden etwa zwischen 20:00 Uhr und 22:00 Uhr durchgeführt werden, sondern meist in den frühen Morgenstunden mit der Abholung des bzw. der Betroffenen an seiner bzw. ihrer Wohnunterkunft.

12

Die Verpflichtung, sich bereits ab 20:00 Uhr in der Wohnung aufhalten zu müssen, betrifft im Gegensatz zu Nachtzeiten auch Zeiträume, in denen man sich üblicherweise auch an anderen Orten (Besuche von Bekannten, Teilnahme an Kursen und Veranstaltungen) aufhalten kann. Der Verpflichtungszeitraum betrifft mit 10 Stunden täglich einen wesentlichen Teil des Tages. Soll die Abholung ausnahmsweise bereits in den Abendstunden erfolgen, würde es genügen, den Verpflichtungszeitraum auf diesen Zeitraum zu beschränken. Sollte ausnahmsweise eine genauere Planung und die Festlegung eines kürzeren Zeitraums für die tägliche Aufenthaltsverpflichtung nicht möglich sein, so müssten die Ermessenserwägungen der Ausländerbehörde bei der Entscheidung nach § 46 Abs. 1 AufenthG dies nachvollziehbar darlegen, um eine Verhältnismäßigkeit der Maßnahme rechtfertigen zu können. Daran fehlt es hier. Auch bei Anerkennung einer zuzubilligenden Notwendigkeit einer gewissen zeitlichen und planerischen Flexibilität bei der konkreten Durchführung von Abschiebungen – insbesondere wenn es sich um Sammelabschiebungen handelt –, dürfte es regelmäßig nicht erforderlich sein, dass sich der von einer anstehenden Abschiebung Betroffene auch bereits ab 20:00 Uhr des vorangehenden Tages in seiner Unterkunft aufhält. Dass aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls vorliegend etwas anderes gelten könnte, ist weder aus der Begründung der Ermessensentscheidung noch sonst ersichtlich.

13

Die Kammer beschränkt insoweit die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nicht auf bestimmte Zeiten. Der Antragsgegner kann im Rahmen des ihm zustehenden Ermessensspielraum insoweit eine ermessensfehlerfreie Entscheidung jederzeit nachholen (vgl. zur Teilbarkeit einer solchen Anordnung VG Hamburg, Beschluss vom 16. November 2018 – 7 E 4941/18 –, juris).

14

Die Anordnung zur räumlichen Beschränkung auf das Gebiet des Landes Schleswig-Holstein ist offensichtlich rechtmäßig. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 61 Absatz 1 c Nr. 3 AufenthG. Danach kann eine räumliche Beschränkung des Aufenthalts eines vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers angeordnet werden, wenn konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung gegen den Ausländer bevorstehen. Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Die Anordnung belastet die Antragstellerin auch nicht unverhältnismäßig, es verbleibt ihr eine nicht unerhebliche Bewegungsfreiheit innerhalb des Bundeslandes. Besondere Umstände, nach denen diese Beschränkung etwa aus persönlichen Gründen eine unverhältnismäßige Härte für die Antragstellerin bedeuten könnte, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

15

Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung liegen nicht vor. Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Voraussetzung hierfür ist, dass sowohl ein Anordnungsanspruch, d. h. der materielle Anspruch, für den der Antragsteller um vorläufigen Rechtsschutz nachsucht, als auch ein Anordnungsgrund, der insbesondere die Eilbedürftigkeit einer vorläufigen Regelung begründet, glaubhaft gemacht werden, § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung ( ZPO). Maßgebend sind dabei die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.

16

Die Antragstellerin hat gegen den Antragsgegner keinen Anspruch auf Aussetzung ihrer Abschiebung (Duldung) glaubhaft gemacht.

17

Die Abschiebung der Antragstellerin, die nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens vollziehbar ausreisepflichtig ist, wäre nach § 60 a Abs. 2 Satz 1 AufenthG auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Eine rechtliche oder tatsächliche Unmöglichkeit der Abschiebung in diesem Sinne ist nicht anzunehmen. Insoweit ist nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass insbesondere aus der geltend gemachten psychischen Erkrankung als rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung eine Reiseunfähigkeit der Antragstellerin resultiert.

18

In diesem Zusammenhang sind im vorliegenden aufenthaltsrechtlichen Verfahren sog. zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote (z. B nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG), etwa eine mögliche drohende Gefährdung der Gesundheit oder des Lebens der Antragstellerin durch die im Zielstaat der Abschiebung (Armenien) bestehenden Verhältnisse in diesem Verfahren nicht zu berücksichtigen. Nach § 42 AsylG ist die Ausländerbehörde an die Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 des Aufenthaltsgesetzes gebunden. Insoweit ist bestandskräftig festgestellt, dass keine Abschiebungsverbote vorliegen; ein Asylfolgeantrag oder ein Antrag auf Abänderung der Entscheidung des Bundesamtes zu den Voraussetzungen nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG ist nicht gestellt worden.

19

Ein rechtliches Abschiebungshindernis im Sinne des § 60 a Abs. 2 Satz 1 AufenthG liegt u.a. dann vor, wenn durch die Beendigung des Aufenthalts selbst unabhängig von den Verhältnissen im Zielstaat der Abschiebung eine konkrete Gefahr für Leib oder Leben und damit für die in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verbürgten Grundrechte zu befürchten ist. Besteht diese Gefahr unabhängig vom konkreten Zielstaat, kommt ein sogenanntes inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis wegen Reiseunfähigkeit in Betracht und dies in zwei Fällen: Zum einen scheidet eine Abschiebung aus, wenn und solange ein Ausländer wegen einer Erkrankung transportunfähig ist, das heißt, wenn sich sein Gesundheitszustand durch und während des eigentlichen Vorgangs des Reisens wesentlich verschlechtert oder eine Lebens- oder Gesundheitsgefahr transportbedingt erstmals entsteht (Reiseunfähigkeit im engeren Sinne). Außerhalb des eigentlichen Transportvorgangs kann sich zum anderen eine konkrete Gesundheitsgefahr aus dem ernsthaften Risiko ergeben, dass sich der Gesundheitszustand gerade durch die Abschiebung als solche wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtert (sogenannte Reiseunfähigkeit im weiteren Sinne).

20

Gem. § 60 a Abs. 2 c Satz 1 AufenthG wird gesetzlich vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen, wenn nicht der Ausländer eine im Rahmen der Abschiebung beachtliche Erkrankung durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft macht (Satz 2). Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände enthalten, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben (Satz 3). Bereits vor Inkrafttreten dieser Bestimmung entsprach es der Rechtsprechung, dass vom Ausländer selbst vorgelegte ärztliche Stellungnahmen zu psychischen Erkrankungen nachvollziehbar die tatsächlichen Umstände anzugeben hatten, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt war (Befundtatsachen) sowie gegebenenfalls die Methode der Tatsachenerhebung zu benennen hatten. Ferner war die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose) nachvollziehbar ebenso darzulegen wie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich in Zukunft ergeben (prognostische Diagnose), wobei sich Umfang und Genauigkeit der erforderlichen Darlegung jeweils nach den Umständen des Einzelfalles richten (BVerwG, Urteil vom 11. September 2007 – 10 C 8/07 –, BVerwGE 129, 251-264, Rn. 15; Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein, Beschluss vom 26. März 2018 – 4 MB 24/18 –, Rn. 6, juris m.w.Nw.).

21

Ausgehend von diesen Grundsätzen hat die Antragstellerin die gesetzliche Vermutung ihrer Reisefähigkeit nach § 60 a Abs. 2c Satz 1 AufenthG nicht widerlegt. Die vorgelegten Unterlagen lassen keine ausreichenden Rückschlüsse auf ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis in Form einer Reiseunfähigkeit zu. Der Antragsgegner hat in dem die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG ablehnenden Bescheid vom 1. Juni 2018 unter erschöpfender Auswertung der Rechtsprechung zu einem inlandsbezogenen Abschiebungsverbot die bis zu diesem Zeitpunkt vorliegenden fachärztlichen Stellungnahmen umfassend und detailgenau tatsächlich und rechtlich zutreffend gewürdigt und die rechtlichen Folgen der Nichtbefolgung einer angeordneten ärztlichen Untersuchung aufgezeigt. Die Kammer folgt dieser sorgfältig gefassten ausführlichen und den Beteiligten dieses Verfahrens bekannten Begründung des Bescheides vom 1. Juni 2018 und sieht insoweit von einer Darstellung der Gründe ab. Die Antragstellerin ist ohne hinreichende Entschuldigung der Anordnung zur ärztlichen Untersuchung ferngeblieben.

22

Die danach eingereichten fachärztlichen Stellungnahmen sind nicht geeignet die Vermutung der Reisefähigkeit zu widerlegen. Die Bescheinigung über den Krankenhausaufenthalt vom 24. Oktober 2018 stellt als Diagnose R10.3 dar, nach dem ICD-Code also Unterbauchschmerzen. Es ist nicht erkennbar, dass daraus gegenwärtig eine Reiseunfähigkeit folgen könnte. Nach der Bescheinigung der Helios Klinik Schleswig vom 12. Januar 2019 erfolgte am Tage vorher ein Eingriff wegen einer Schwäche der Perforansvenen, also der Verbindungsvenen, die das oberflächliche mit dem tiefen Venensystem verbinden, an den Unterschenkeln. Die Wundheilung verlief komplikationslos, es sollten jedoch künftig Kompressionsstrümpfe getragen werden. Auch daraus lässt sich eine gegenwärtige Reiseunfähigkeit der Antragstellerin nicht herleiten.

23

Schließlich widerlegt auch der Ambulanzbericht der psychiatrischen Institutsambulanz der Helios Fachklinik Schleswig vom 20. Februar 2019 nicht die gesetzliche Vermutung der Reisefähigkeit der Antragstellerin. Der Ambulanzbericht vom 28. März 2018 ist bereits in dem Bescheid vom 1. Juni 2018 umfassend gewürdigt worden Die Diagnose erfolgt auch bei der Bescheinigung vom 20. Februar 2019 im Wesentlichen auf Grundlage der (übersetzten) Angaben der Antragstellerin. Eine kritische Würdigung der Angaben der Antragstellerin oder die Erhebung weiterer Befunde lässt der Bericht nicht erkennen. In der Zusammenfassung heißt es in dem Bericht vom 20. Februar 2019, dass die Antragstellerin in einem psychisch sehr belasteten Zustand wegen der Angst vor Geräuschen, Toten, Pseudohalluzinationen und Wiedererleben von Vergangenem sei. Es wird allerdings auch berichtet, dass die Antragstellerin ihre verordnete Medikation zwischenzeitlich abgesetzt hatte und eine stationäre Aufnahme zur weiteren Abklärung der Beschwerden nicht durchführte. Mit ihrem Partner spreche sie nicht über die psychischen Beschwerden. In der Zusammenfassung des Berichts vom 20. Februar 2019 heißt es weiter, die Antragstellerin sei akut behandlungsbedürftig. Bei Abschiebung der Patientin würde sich das Befinden drastisch verschlechtern, wegen der mehrfachen, auch internistischen und vasculären Erkrankungen wäre sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit lebensbedroht.

24

Soweit sich die Behandlungsbedürftigkeit auf eine psychische Erkrankung bezieht, könnte die medikamentöse Behandlung auch während der Dauer einer Abschiebung bis zur Ankunft im Heimatland und unmittelbar daran anschließend weiter fortgesetzt werden. Soweit eine drohende Gesundheitsgefährdung mit internistischen Krankheiten begründet wird, ist dies aus den aktuellen Befunden nicht hinreichend nachvollziehbar. Die Venenschwäche ist behandelt worden, es ist das Tragen von Kompressionsstrümpfen empfohlen worden. Es ist aus den vorliegenden ärztlichen Berichten nicht erkennbar, dass die Antragstellerin wegen internistische Erkrankungen reiseunfähig, insbesondere flugunfähig sein könnte. Die Frage, ob bei der Antragstellerin nach ihrer Ankunft in Armenien eine Gesundheitsverschlechterung durch die dort bestehenden Verhältnisse droht, ist Gegenstand des Asylverfahrens gewesen und nicht in diesem aufenthaltsrechtlichen Verfahren zu prüfen.

25

Eine rechtliche Unmöglichkeit einer Abschiebung im Sinne von § 60 a Abs. 2 Satz 1 AufenthG kann sich daneben aus inlandsbezogenen Abschiebungsverboten ergeben, die aus Verfassungsrecht etwa mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG oder aus Art. 8 Abs. 1 EMRK herzuleiten sind. Nach Art. 6 Abs. 1 GG schutzwürdige Belange können einer Beendigung des Aufenthalts dann entgegenstehen, wenn es dem Ausländer nicht zuzumuten ist, seine familiären Bindungen durch Ausreise auch nur kurzfristig zu unterbrechen (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juni 1997 – 1 C 9.95 –, BVerwGE 105, 35, 39 f.; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 20. Mai 2009 – 11 ME 110/09 –, juris Rn. 10; jeweils m.w.N.). Der Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG umfasst das Recht auf ein familiäres Zusammenleben (vgl. BVerfG, Beschl. v. 12.5.1987 - 2 BvR 1226/83 u.a. -, BVerfGE 76, 1, 42). Er knüpft dabei nicht an bloße formal-rechtliche familiäre Bindungen an. Entscheidend ist vielmehr die tatsächliche Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern, mithin eine tatsächlich bestehende familiäre Lebensgemeinschaft (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 2. Februar 2011 – 8 ME 305/10 –, InfAuslR 2011, 151 m.w.N.). Art. 6 Abs. 1 GG schützt die Familie zunächst als tatsächliche Lebens- und Erziehungsgemeinschaft der Kinder und ihrer Eltern. Der Schutz des Familiengrundrechts zielt darüber hinaus aber auch generell auf den Schutz spezifisch familiärer Bindungen, wie sie auch zwischen erwachsenen Familienmitgliedern, zwischen Enkeln und Großeltern oder zwischen nahen Verwandten in der Seitenlinie bestehen können. In den so beschriebenen Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG fallen auch die Beziehungen zwischen volljährigen Familienmitgliedern. Diesen kommt im Verhältnis zu den widerstreitenden einwanderungspolitischen Belangen aber in der Regel nur ein geringeres Gewicht zu. Allenfalls dann, wenn beispielsweise ein erwachsenes Familienmitglied zwingend auf die Lebenshilfe eines anderen Familienmitglieds angewiesen ist und diese Hilfe sich ausschließlich in der Bundesrepublik Deutschland erbringen lässt, kann dies einwanderungspolitische Belange zurückdrängen (Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 9. August 2017 – 13 ME 167/17 – juris); die tatsächlich geleistete Hilfe muss eine wesentliche sein (Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 30. Mai 2018 – 8 ME 3/18 – juris). Eine solche Beziehung liegt zwischen der Antragstellerin und dem volljährig gewordenen Sohn jedoch nicht vor. Insbesondere ist nicht erkennbar, warum eine eventuell notwendige Hilfe zum Beispiel bei der Medikamentengabe, durch den Sohn nicht auch in Armenien geleistet werden könnte.

26

Ein Abschiebungsverbot folgt auch nicht aus der beabsichtigten Eheschließung der Antragstellerin. Ein Duldungsanspruch nach § 60 a Abs. 2 Satz 1 AufenthG wegen Unvereinbarkeit der Abschiebung mit der aus Art. 6 Abs. 1 GG folgenden Eheschließungsfreiheit setzt voraus, dass die Eheschließung im Bundesgebiet unmittelbar bevorsteht. Dies ist regelmäßig nur dann anzunehmen, wenn der Eheschließungstermin feststeht oder jedenfalls verbindlich bestimmbar ist. Die Annahme einer unmittelbar bevorstehenden Eheschließung kommt grundsätzlich dann in Betracht, wenn die Vorbereitungen in dem Verfahren der Eheschließung bereits so weit vorangeschritten sind, dass die Anmeldung der Eheschließung vorgenommen wurde, die Verlobten die vom Standesbeamten geforderten Urkunden beschafft haben und bei der Prüfung der Ehefähigkeit von ausländischen Verlobten ein Antrag auf Befreiung von der Beibringung des Ehefähigkeitszeugnisses erfolgreich gestellt wird und jedenfalls dem Standesbeamten im Hinblick auf den gestellten Befreiungsantrag alle aus seiner Sicht erforderlichen Unterlagen vorliegen (Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht, Beschluss vom 05. Januar 2017 – 1 B 70/16 –, Rn. 33, juris). Nach diesem Maßstab ist eine unmittelbar bevorstehende Eheschließung nicht glaubhaft gemacht. Insbesondere ist noch kein Termin gemeinsam mit dem Standesamt zur Eheschließung bestimmt worden; ein solcher ist auch noch nicht konkret in naher Zukunft in Aussicht gestellt.

27

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO; die Kammer hat bei der Ermittlung der Kostenquote ausgehend von einem Gesamtstreitwert in Höhe von 5.000,-- EUR die im einzelnen streitigen Gegenstände (Aufenthaltsverpflichtung zu einer bestimmten Tageszeit, Beschränkung des Aufenthalts auf Schleswig-Holstein sowie Aussetzung der Abschiebung) mit je einem Drittel des Wertes (aufgerundet 1.666,67 EUR) berücksichtigt. Dies entspricht auch dem Wert, für den nach § 166 VwGO in Verbindung mit § 114 ZPO wegen hinreichende Aussicht auf Erfolg der Rechtsverfolgung Prozesskostenhilfe bewilligt wurde; im Übrigen wird der Antrag mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg der Rechtsverfolgung abgelehnt.

28

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 2, 52 Abs. 2, 63 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG).


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