Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (1. Kammer) - 1 B 113/20

Tenor

1. Dem Antragsteller wird für die erste Instanz Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt XXX aus B-Stadt bewilligt, soweit er die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen Ziffer 2. des Bescheides des Antragsgegners vom 26. August 2020 begehrt. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

2. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 8. September 2020 gegen Ziffer 2. des Bescheides vom 26. August 2020 wird angeordnet. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

3. Der Antragsteller und der Antragsgegner tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte.

4. Der Streitwert wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der am 00. Mai 19… in Baku/ehem. UdSSR geborene Kläger ist armenischer Volkszugehöriger aus (jetzt) Aserbaidschan. Er reiste Anfang 1990 nach Russland, wo er nach eigenen Angaben ohne offizielle Registrierung lebte. Am 30. Juli 1999 reiste er in die Bundesrepublik Deutschland weiter und stellte einen Asylantrag, mit dem er die Anerkennung als Asylberechtigter sowie die Feststellung von Abschiebungsverboten für politisch Verfolgte begehrte. Mit Bescheid vom 21. September 1999 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländische Flüchtlinge (Bundesamt) die Anerkennung als Asylberechtigter wegen Einreise über einen sicheren Drittstaat ab (Ziffer 1) und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG bezüglich Aserbaidschans vorlägen (Ziffer 2). Gegen diesen Bescheid erhob der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten Klage (4 A 192/00), woraufhin das Verwaltungsgericht Schleswig Ziffer 2 des Bescheides durch Urteil vom 16. Juni 2003 aufhob, wobei es im Wesentlichen darauf abstellte, dass offenbleiben könne, welcher Staatsangehörigkeit der Antragsteller sei, denn sowohl die aserbaidschanische, die armenische und die russische Staatsangehörigkeit unterstellt, ließen sich keine Abschiebungsverbote feststellen. Gehe man von der aserbaidschanischen Staatsangehörigkeit des Antragstellers aus, gebe es für ihn im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung trotz der Verfolgung armenischer Volkszugehöriger eine inländische Fluchtalternative in Berg-Karabach. Hinsichtlich Armeniens seien keine Verfolgungstatbestände ersichtlich oder vorgetragen. Abschiebungsverbote mit Blick auf die Russische Föderation schieden wegen des anzunehmenden fehlenden Erwerbs der Staatsangehörigkeit aufgrund des illegalen Aufenthaltes aus, weil eine Abschiebung nach Russland ohne Staatsangehörigkeit nicht möglich sei. Selbst den Erwerb der russischen Staatsangehörigkeit unterstellt, drohe dem Antragsteller jedoch keine an seine Ethnie anknüpfende Verfolgung. Die Entscheidung wurde rechtskräftig (OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 28. November 2003 - 1 LA 132/03 -).

2

Mit Bescheid vom 16. Dezember 2004 stellte das Bundesamt fest, dass keine Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorlägen (Ziffer 1), forderte den Antragsteller zur Ausreise auf und drohte andernfalls die Abschiebung nach Aserbaidschan an (Ziffer 2). Auf die gegen den Bescheid erhobene Klage (14 A 2/05) hin, hob das Verwaltungsgericht Schleswig durch Urteil vom 22. Februar 2007 die Ziffer 2 des Bescheides auf, soweit hierin die Abschiebung nach Aserbaidschan angedroht wurde und stellte fest, dass die in Ziffer 1 des Bescheides vom 16. Dezember 2004 getroffene Feststellung, dass Abschiebungshindernisse nicht vorlägen, gegenstandlos sei. Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht aus, der Antragsteller sei kein aserbaidschanischer Staatsangehöriger, weil er vor der Staatsgründung Aserbaidschans bereits nach Russland ausgereist sei und die Staatangehörigkeit Aserbaidschans entweder nie erlangt oder jedenfalls aufgrund des langen Auslandsaufenthaltes wieder verloren habe. Weil der Antragsteller wegen der fehlenden Möglichkeit aserbaidschanische Papiere zu erlangen auf unabsehbare Zeit nicht nach Aserbaidschan abgeschoben werden könne, könne die Abschiebungsandrohung ohne die an sich gebotene gerichtliche Prüfung von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG (zuvor § 53 AuslG) aufgehoben werden. Die Feststellung in Ziffer 1 sei jedoch mangels Rechtsschutzbedürfnisses nicht aufzuheben, sondern faktisch gegenstandslos. Die Entscheidung wurde am 22. Mai 2007 rechtskräftig.

3

Daraufhin wurden dem Antragsteller verschiedentlich Duldungen ausgestellt. Seit dem 24. September 2014 war er im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG, zuletzt mit einer Gültigkeitsdauer bis zum 30. April 2018. Am 22. März 2018 beantragte er die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis und sprach hierzu am 29. Januar 2019 beim Antragsgegner vor. In dem Gespräch wurde der Antragsteller darauf hingewiesen, dass er sich um einen Reisepass aus Aserbaidschan bzw. Armenien bemühen müsse. Die hierfür erforderlichen Dokumente für die Vorlage bei der Botschaft wurden ihm im Nachgang übersandt. Am 12. Februar 2019 reichte er die Ausdrucke von Bustickets von B-Stadt nach Berlin und zurück vom 10. bis 11. Februar 2019 sowie Fotos ein, die ihn offenbar vor der Aserbaidschanischen Botschaft in Berlin zeigten. Im Rahmen der Vorsprache zur Beantragung einer Fiktionsbescheinigung am 17. Februar 2020 tat der Antragsteller gegenüber dem Antragsgegner kund, er werde nicht noch einmal nach Berlin reisen, weil ihm dies zu teuer sei und er in der Aserbaidschanischen Botschaft eh nichts bekomme. In Armenien sei er noch nie gewesen und bekomme in der dortigen Botschaft auch nichts.

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Mit Schreiben vom 10. März 2020 hörte der Antragsgegner den Antragsteller zur beabsichtigten Ablehnung der Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis an. Ihm wurde Frist zur Stellungnahme bis 9. April 2019 gewährt.

5

Durch Bescheid vom 26. August 2020 lehnte der Antragsgegner die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ab (Ziffer 1), wies den Antragsteller auf seine Pflicht hin, die Bundesrepublik binnen eines Monats nach Zustellung des Bescheides zu verlassen und drohte für den Fall der nicht freiwilligen fristgerechten Ausreise die Abschiebung nach Aserbaidschan, Armenien oder einen anderen zur Aufnahme bereiten Staat an (Ziffer 2). Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus, dass ein vom Antragsteller verschuldetes Ausreisehindernis vorliege, weil er zumutbare Anforderungen zur Beseitigung des Ausreisehindernisses nicht erfülle, indem er Mitwirkungspflichten zur Beschaffung von Identitätspapieren nicht hinreichend nachkomme. Außerdem fehle es am Vorliegen der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen, weil sein Lebensunterhalt aufgrund des Bezugs von Sozialleistungen nicht gesichert, seine Staatsangehörigkeit nicht geklärt und die Passpflicht nicht erfüllt sei.

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Mit Schreiben vom 8. September 2020 erhob der Antragsteller hiergegen Widerspruch und hat am selben Tag einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung bei Gericht anhängig gemacht, zu dessen Begründung er vorträgt, dass das Ausreisehindernis von ihm nicht zu vertreten sei. Es lägen seine aserbaidschanische Geburtsurkunde und Schulzeugnisse vor. Nach Aserbaidschan könne er aber nach den verwaltungsgerichtlichen Feststellungen nicht abgeschoben werden. Die armenische Staatsbürgerschaft besitze er nicht, weshalb die armenische Botschaft – trotz mehrerer Versuche – seine Anfragen nicht beantworte. Dies solle bei Personen armenischer Volkszugehörigkeit, die in Aserbaidschan geboren seinen, regelmäßig der Fall sein. Es sei nicht ersichtlich, welcher Staat zu seiner Aufnahme bereit sei. Zudem leide er an einer psychischen Erkrankung, deren Nachweis er durch Einreichung von Attesten nachholen werde.

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Der Antragsteller beantragt,

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die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs vom 8. September 2020 anzuordnen.

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Der Antragsgegner beantragt,

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den Antrag abzulehnen.

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Zur Begründung bezieht er sich vornehmlich auf die Begründung des angegriffenen Bescheides und führt darüber hinaus aus, dass das zunächst hinsichtlich Aserbaidschans festgestellte Aufenthaltsverbot durch rechtskräftiges Urteil vom 16. Juni 2003 aufgehoben worden sei. Soweit die Passlosigkeit des Antragstellers ein Ausreisehindernis darstelle, sei dieses vom Antragsteller selbst zu vertreten. Eine mögliche Passausstellung komme durch die Länder Aserbaidschan, Armenien und Russland in Betracht. Die hierfür zumutbaren Handlungen habe der Antragsteller nicht erfüllt. Die eingereichten Fotos stellten keinen hinreichenden Nachweis für Bemühungen zur Passerlangung dar. Negativbescheinigungen, Terminvereinbarungen oder anderweitige geeignete schriftliche Nachweise für eine Vorsprache bei den Botschaften oder eine Bemühung hierum habe der Antragsteller trotz Aufforderungen nicht vorgelegt.

12

Hinsichtlich des übrigen Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

II.

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1. Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 166 VwGO i. V. m. § 114 ZPO sind hinsichtlich des aus dem Tenor ersichtlichen Umfangs erfüllt, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung des Antragstellers gegenüber dem angefochtenen Bescheid vom 26. August 2020 in diesem Umfang aus den Gründen zu 2. Aussicht auf Erfolg bietet. Dass der Antragsteller bisweilen keine Unterlagen zur beantragten Prozesskostenhilfe eingereicht hat, ist unschädlich, weil sich seine Mittellosigkeit aufgrund des Bezugs von Leistungen nach dem SGB II aus dem angegriffenen Bescheid selbst sowie den beigezogenen Verwaltungsvorgängen ergibt. Im Übrigen war der Antrag mangels hinreichender Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung abzuweisen.

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2. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 8. September 2020 gegen die in Ziffer 1. des Bescheides vom 26. August 2020 erfolgte Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis des Antragstellers ist gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 i. V. m. § 80 Abs. 2 Nr. 2 VwGO statthaft, weil der Suspensiveffekt von Widerspruch und Klage nach § 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG kraft Gesetzes entfällt. Auch dem Widerspruch gegen die in Ziffer 2. ausgesprochene Abschiebungsandrohung als Maßnahme des Verwaltungsvollzuges kommt gemäß § 248 Abs. 1 Satz 2 LVwG SH von Gesetz wegen keine aufschiebende Wirkung zu.

15

Der Antrag ist auch im Übrigen zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.

16

Die im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO durch das Gericht vorzunehmende Interessenabwägung zwischen dem privaten Aufschubinteresse des Antragstellers einerseits und dem öffentlichen Vollziehungsinteresse des Antragsgegners andererseits geht teilweise zu Lasten des Antragstellers, teilweise zu Lasten des Antragsgegners aus. Nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nur möglichen und gebotenen summarischen Prüfung der Sachlage sowie der Prüfung der Rechtslage, wie sie sich auf dieser Basis darstellt, ist lediglich Ziffer 1. des streitgegenständlichen Bescheides offensichtlich rechtmäßig (a.). Bei dieser Sachlage überwiegt in den Fällen des gesetzlich angeordneten Sofortvollzuges regelmäßig das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheides gegenüber dem privaten Aussetzungsinteresse des Antragstellers (vgl. OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 6. August 1991 – 4 M 109/91 –, juris Rn. 5). Ziffer 2. hingegen erweist sich als offensichtlich rechtswidrig, weshalb das Aussetzungsinteresse des Antragstellers überwiegt, weil an der sofortigen Vollziehung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes kein öffentliches Interesse bestehen kann (b.).

17

a. Gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG kann einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Die Aufenthaltserlaubnis soll erteilt werden, wenn die Abschiebung seit 18 Monaten ausgesetzt ist. Sie darf nur erteilt werden, wenn der Ausländer unverschuldet an der Ausreise gehindert ist. Ein Verschulden des Ausländers liegt insbesondere vor, wenn er falsche Angaben macht oder über seine Identität oder Staatsangehörigkeit täuscht oder zumutbare Anforderungen zur Beseitigung der Ausreisehindernisse nicht erfüllt.

18

Die Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG sind zwar erfüllt. Der Antragsteller war seit rechtskräftiger Ablehnung seines Asylantrages am 22. Mai 2007 und bei erstmaliger Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG im Jahr 2014 gemäß §§ 50 Abs. 1, 58 Abs. 2 AufenthG vollziehbar ausreisepflichtig, weil er keinen Aufenthaltstitel besaß und die während des Asylverfahrens erteilte Aufenthaltsgestattung nach dessen Beendigung weggefallen ist. Die im Asylbescheid vom 16. Dezember 2004 angedrohte Abschiebung war in Ermangelung der tatsächlichen Durchführbarkeit aufgrund fehlender Ausreisepapiere auch über 18 Monate ausgesetzt und seine Ausreise aus tatsächlichen Gründen unmöglich. Er besitzt keinen Reisepass oder sonstiges Identitätsdokument, mithilfe dessen eine Ausreise ermöglicht werden könnte. Das tatsächliche Ausreisehindernis ist vom Antragsteller allerdings verschuldet, weil er zumutbare Anforderungen zur Beseitigung des Ausreisehindernisses noch nicht erfüllt hat. Besitzt der Ausländer keinen gültigen Pass oder Passersatz, ist er gemäß § 48 Abs. 3 Satz 1 AufenthG verpflichtet, an der Beschaffung des Identitätspapiers mitzuwirken sowie alle Urkunden, sonstigen Unterlagen und Datenträger, die für die Feststellung seiner Identität und Staatsangehörigkeit und für die Feststellung und Geltendmachung einer Rückführungsmöglichkeit in einen anderen Staat von Bedeutung sein können und in deren Besitz er ist, den mit der Ausführung dieses Gesetzes betrauten Behörden auf Verlangen vorzulegen, auszuhändigen und zu überlassen. Identitätspapiere im Sinne dieser Vorschrift sind alle für die Rückreise benötigten Papiere (Grünewald, GK-AufenthG, § 48 Rn. 43 m. w. N). Zwar hat der Antragsteller seine vorhandenen Dokumente dem Antragsgegner vorgelegt. Diese stellen aber keine Identitätspapiere im vorgenannten Sinne dar. Dass er in hinreichender Weise an der Beschaffung eines Identitätspapiers mitgewirkt hat, hat er nicht glaubhaft dargelegt. Insoweit kommen als Staaten der Staatsangehörigkeit und damit als ausweisausstellende Staaten jedenfalls Aserbaidschan und Armenien, ggf. auch Russland, in Betracht. Der Antragsteller hat weder vorgetragen noch belastbare Nachweise dafür vorgelegt, dass er tatsächlich bei den dortigen Konsularbehörden vorgesprochen hat und diese Vorsprachen erfolglos blieben. Zur Begründung nimmt die Kammer gemäß § 117 Abs. 5 VwGO Bezug auf die Ausführungen im angegriffenen Bescheid und schließt sich der Auffassung an, dass die eingereichten Bustickets nach Berlin und die Fotos vor der dortigen Botschaft Aserbaidschans für eine tatsächliche Vorsprache oder eine erfolglose Bemühung hierum keinen Beweiswert haben. Dass der Antragsteller bei der Armenischen Botschaft vorgesprochen oder einen Termin zur Vorsprache zu vereinbaren versucht hat, hat er weder glaubhaft vorgetragen, noch ist dies ersichtlich. Vielmehr hat er im Gespräch gegenüber dem Antragsgegner ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er nicht noch einmal nach Berlin fahre, weil ihm dies zu teuer sei und dass er zu keinem Zeitpunkt in Armenien gelebt habe, dort also auch keine Dokumente bekomme. Nachweise der im Widerspruch behaupteten Kontaktversuche gegenüber der Armenischen Botschaft hat er nicht vorgelegt. In der Folge kann offenbleiben, ob der Antragsteller die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 AufenthG erfüllt und ob der Antragsgegner sein Ermessen bezüglich des Absehens von den Voraussetzungen des Abs. 1 nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG (fehlerfrei bzw. überhaupt) ausgeübt hat.

19

b. Die in Ziffer 2 des Bescheides ausgesprochene Abschiebungsandrohung nach Aserbaidschan bzw. Armenien erweist sich hingegen nach der gebotenen rechtlichen Überprüfung aufgrund des summarisch ermittelten Sachverhaltes als offensichtlich rechtswidrig. Der Antragsgegner war nicht befugt, die Abschiebung nach Aserbaidschan oder Armenien anzudrohen. Dies gilt jedenfalls, wenn – wie hier – das Bundesamt im Rahmen der Abschiebungsandrohung nicht zur Prüfung etwaiger Abschiebungshindernisse gemäß § 72 Abs. 2 AufenthG beteiligt worden ist.

20

Hat das Bundesamt das Vorliegen von Abschiebungsverboten lediglich hinsichtlich des in der Androhung bezeichneten Zielstaates geprüft, gebietet es der Schutzzweck des § 24 Abs. 2 AsylG, dass eine Abschiebung in einen anderen Staat erst dann erfolgt, wenn auch hinsichtlich dieses Zielstaates die Prüfung im Sinne des § 24 Abs. 2 AsylG i. V. m. § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG durch das Bundesamt erfolgt ist (OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 13. August 2008 – 2 L 12/08 –, juris). Dies gilt vorliegend erst recht mit Blick darauf, dass die Zielstaatsbestimmung „Aserbaidschan“ in Anwendung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. u. a. Urteil vom 10. März 2007 – 1 C 21.02 –, juris) durch rechtskräftiges Urteil vom 22. Februar 2007 aufgehoben worden ist, ohne die Rechtmäßigkeit der Verneinung zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote hinsichtlich Aserbaidschans materiell-rechtlich zu überprüfen. Dem Antragsteller wurde mithin – Stand heute – weder die Aserbaidschan und Armenien umfassende behördliche Prüfung von Abschiebungsverboten durch das in der Sache damit befasste Bundesamt noch deren gerichtliche Überprüfung ermöglicht.

21

Es kann offenbleiben (offenlassend auch OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 22. März 2019 – 4 MB 16/19 –, juris), ob die hier erforderliche (nachträgliche) Konkretisierung des Zielstaats ausschließlich durch das Bundesamt erfolgen darf (in diesem Sinne: VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 13. September 2007 – 11 S 1684/07 –, juris Rn. 7 a. E.; Bergmann/Dienelt/Dollinger, 13. Aufl. 2020, AufenthG § 59 Rn. 45), weil im Ergebnis das Asylverfahren mangels Erfüllung des gesetzlichen Prüfungsauftrages gemäß § 24 AsylG noch nicht abgeschlossen ist, oder unter den Voraussetzungen der Beteiligung nach § 72 Abs. 2 AufenthG die Abschiebungsandrohung auch durch die Ausländerbehörde ausgesprochen werden darf (in diese Richtung wohl OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 13. August 2008 – 2 L 12/08 –, juris).

22

Denn jedenfalls hat vor einer Abschiebung das Bundesamt – in welcher Form auch immer – zu prüfen, ob Abschiebeverbote hinsichtlich der (neuen) Zielstaaten bestehen, was vorliegend unterblieben ist.

23

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 2. Alt. VwGO.

24

4. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 63 Abs. 2, 53 Abs. 2, 52 Abs. 2 GKG.


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