Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (2. Kammer) - 2 B 50/20

Tenor

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 02.10.2020 gegen die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 24.09.2020 wird angeordnet.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 7.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

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Das vorläufige Rechtsschutzgesuch hat Erfolg.

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Der Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung des mit Schreiben vom 02.10.2020 erhobenen Widerspruchs gegen die den Beigeladenen vom Antragsgegner erteilte Baugenehmigung vom 24.09.2020 anzuordnen, beurteilt sich nach §§ 80 a Abs. 3, 80 Abs. 5 S. 1, 1. Alternative VwGO. Der Antrag ist statthaft und auch sonst zulässig. Nach § 80 Abs. 5 S. 1, 1. Alternative VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs in den Fällen anordnen, in denen die aufschiebende Wirkung nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1-3 VwGO entfällt. Das ist hier der Fall, da dem Widerspruch des Antragstellers gegen die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für den „Umbau und Nutzungsänderung Stall- und Maschinenhalle zu Kunstschmiede, Schlosserei und Metallgestaltung“ auf dem Grundstück F-Straße in A-Stadt nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwGO iVm § 212 a Abs. 1 BauGB keine aufschiebende Wirkung zukommt.

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Der Antrag ist auch begründet.

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Die gerichtliche Entscheidung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ergeht auf der Grundlage einer umfassenden Interessenabwägung. Gegenstand der Abwägung sind das Interesse des beigeladenen Bauherrn an der sofortigen Ausnutzung der ihm erteilten Baugenehmigung einerseits und das Interesse des antragstellenden Nachbarn, von der Vollziehung der Baugenehmigung bis zur Entscheidung in der Hauptsache verschont zu bleiben, andererseits. Im Rahmen dieser Interessenabwägung können auch Erkenntnisse über die Rechtmäßigkeit oder die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes, der vollzogen werden soll, Bedeutung erlangen, allerdings nicht als unmittelbare Entscheidungsgrundlage, sondern als in die Abwägung einzustellende Gesichtspunkte. Darüber hinaus ist in die Abwägung einzustellen, dass nach dem Willen des Gesetzgebers Widerspruch und Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens gemäß § 212 a Abs. 1 BauGB keine aufschiebende Wirkung haben sollen und der Gesetzgeber damit dem Bauverwirklichungsinteresse grundsätzlich den Vorrang eingeräumt hat. Insofern kann das Gericht die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage nur anordnen, wenn auf Seiten des Antragstellers geltend gemacht werden kann, dass mit überwiegender Wahrscheinlichkeit seine Rechtsposition durch den Bau und die Nutzung des genehmigten Vorhabens unerträglich oder in einem nicht wiedergutzumachenden Maße beeinträchtigt bzw. gefährdet wird. Dabei macht der Verweis auf die Rechtsposition des antragstellenden Nachbarn allerdings deutlich, dass bei baurechtlichen Nachbarrechtsbehelfen nicht allein die objektive Rechtswidrigkeit der angefochtenen Baugenehmigung in den Blick zu nehmen ist, sondern dass Rechtsbehelfe dieser Art nur erfolgreich sein können, wenn darüber hinaus gerade der widersprechende bzw. klagende Nachbar in subjektiv-öffentlichen Nachbarrechten verletzt ist. Ob die angefochtene Baugenehmigung insgesamt objektiv rechtmäßig ist, ist dagegen nicht maßgeblich. Vielmehr ist die Baugenehmigung allein daraufhin zu untersuchen, ob sie gegen Vorschriften verstößt, die dem Schutz des um Rechtsschutz nachsuchenden Nachbarn dienen. Der Nachbar kann sich nur auf solche Interessen berufen, die das Gesetz im Verhältnis der Grundstücksnachbarn untereinander als schutzwürdig ansieht. Dabei ist für die Beurteilung der Verletzung von öffentlich-rechtlich geschützten Nachbarrechten durch eine Baugenehmigung allein der Regelungsinhalt der Genehmigungsentscheidung maßgeblich. Eine hiervon abweichende Ausführung kann die Aufhebung der Baugenehmigung demgegenüber nicht rechtfertigen.

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Nach diesem Maßstab überwiegt vorliegend das Interesse des Antragstellers, zunächst von der Ausnutzung der Baugenehmigung und der Schaffung vollendeter Tatsachen verschont zu bleiben, das Interesse der Beigeladenen, die ihnen erteilte Baugenehmigung sofort ausnutzen zu können; denn bei der in diesem Verfahren nur möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage lässt sich mit hinreichender, d. h. überwiegender Wahrscheinlichkeit feststellen, dass die angefochtene Baugenehmigung des Antragsgegners vom 24.09.2020 Nachbarrechte des Antragstellers verletzt.

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Das Vorhaben ist planungsrechtlich unzulässig. Das Vorhabengrundstück liegt innerhalb des im Zusammenhang bebauten Ortes A-Stadt. Mangels einer Überplanung durch einen Bebauungsplan richtet sich die Zulässigkeit des Vorhabens planungsrechtlich nach § 34 BauGB. Gem. § 34 BauGB ist ein Vorhaben innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Entspricht die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete, die in der BauNVO bezeichnet sind, beurteilt sich die Zulässigkeit des Vorhabens gem. § 34 Abs. 2 BauGB nach seiner Art allein danach, ob es nach der Verordnung in dem Baugebiet allgemein zulässig wäre; auf die nach der Verordnung ausnahmsweise zulässigen Vorhaben ist § 31 Abs. 1, im Übrigen ist § 31 Abs. 2 BauGB entsprechend anzuwenden. Ein Verstoß gegen die Art der baulichen Nutzung entfaltet Drittschutz. Der Gebietsgewährleistungsanspruch berechtigt den Grundstückseigentümer als Nachbarn, sich gegen ein hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung im Baugebiet nicht zulässiges Vorhaben selbst dann zur Wehr zu setzen, wenn es an einer unzumutbaren Beeinträchtigung fehlt. Dieser bauplanungsrechtliche Nachbarschutz beruht auf dem Gedanken des wechselseitigen Austauschverhältnisses. Weil und soweit der Eigentümer eines Grundstücks in dessen Ausnutzung öffentlich-rechtlichen Beschränkungen unterworfen ist, kann er deren Beachtung grundsätzlich auch im Verhältnis zum Nachbarn durchsetzen. Dabei findet der Gebietsgewährleistungsanspruch nicht nur im förmlich festgesetzten Baugebiet Anwendung, sondern auch in einem Gebiet, dessen Charakter maßgeblich durch die tatsächliche Bebauung geprägt ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 16.09.1993 – 4 C 28.91 -, zitiert nach juris).

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Vorliegend ist die nähere Umgebung nach den frei verfügbaren Satellitenbildern (z. B. Google Maps) als Dorfgebiet nach § 5 BauNVO einzustufen. Gem. § 5 Abs. 1 BauNVO dienen Dorfgebiete der Unterbringung der Wirtschaftsstellen land- und forstwirtschaftlicher Betriebe, dem Wohnen und der Unterbringung von nicht wesentlich störenden Gewerbebetrieben sowie der Versorgung der Bewohner des Gebiets dienenden Handwerksbetrieben. Die nähere Umgebung des Vorhabengrundstücks ist schwerpunktmäßig geprägt durch Wohnbebauung. Es ist aber auch ersichtlich, dass es in A-Stadt noch diverse landwirtschaftliche Betriebe gibt, die damit auch ein Dorfgebiet kennzeichnen. Auch die Beteiligten gehen bislang vom Vorliegen eines Dorfgebietes aus, so dass es hierzu keiner weiteren Ausführungen bedarf.

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In dieses Dorfgebiet fügt sich der geplante Betrieb, bestehend aus einer Schmiede und einem Bereich Metallbau, von seiner Art her nicht ein.

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Es handelt sich bei ihm nicht um einen der Versorgung der Bewohner des Gebiets dienenden Handwerksbetrieb. Handwerksbetriebe gehören zu den sonstigen Gewerbebetrieben nach § 5 Abs. 2 Nr. 6 BauNVO. Dies ergibt sich nicht unmittelbar aus Nr. 6, sondern aus der Bezeichnung der Zweckbestimmung des Dorfgebietes in § 5 Abs. 1 Satz 1. Dadurch ist zweierlei sichergestellt: Einmal, dass zweifellos weiterhin Handwerksbetriebe zu den Gewerbebetrieben gehören, auch wenn sie im Katalog des § 5 Abs. 2 BauNVO nicht aufgeführt sind, zum anderen, dass sie, wenn sie der Versorgung der Bewohner des Gebiets dienen, nicht durch den Störgrad für Gewerbebetriebe, wie ihn für diese Anlagen § 5 Abs. 1 S. 1 BauNVO bezeichnet, eingeengt werden. Handwerksbetriebe mit Versorgungsfunktionen gehören daher zum Dorfgebiet mit der Folge, dass die sich üblicherweise aus der Betriebsausübung ergebenden Störungen grundsätzlich zumutbar, also insbesondere von der Wohnnutzung im Dorfgebiet hinzunehmen sind. In der der Gesetzesänderung von 1990 zugrundeliegenden Begründung des Bundesrates ist sogar die Rede davon, dass zum Charakter eines Dorfgebietes – unabhängig von ihrem Störungsgrad – gehören sollten Betriebe, die der Versorgung der Bewohner des Gebiets dienen, wie etwa Tischlereien, Schlossereien, Schmieden, kleine Handwerkzeugbetriebe und Landmaschinenmechaniker-Werkstätten. Diese Betriebe sollten deshalb – wie bisher – in Dorfgebieten generell zulässig sein. Allerdings ist nach dem Wortlaut der Vorschrift und nach dem verfolgten Zweck erforderlich, dass diese Handwerksbetriebe der Versorgung der Bewohner des Gebietes dienen, weil sie anderenfalls der Typik des Dorfgebiets widersprechen. Diese Voraussetzung ist vorliegend nicht gegeben. Handwerksbetriebe dienen der Versorgung des Gebiets, wenn sie in Bezug auf ihre Versorgungsaufgabe in funktionaler Beziehung zum Dorfgebiet stehen. In Betracht kommen daher solche Handwerksbetriebe, die Funktionen gegenüber der land- und forstwirtschaftlichen Nutzung erfüllen; mit Rücksicht auf die drei Hauptfunktionen des Dorfgebiets (Land- und Forstwirtschaft, Wohnen und Gewerbe) erstreckt sich die in der Versorgung des Gebiets dienenden Funktionen des Handwerksbetriebs auch auf das Wohnen und das Gewerbe in Dorfgebieten. Ein Handwerksbetrieb dient nur der Versorgung des Gebiets, wenn er sich funktional dem betreffenden Gebiet zuordnen lässt. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn er in einem ins Gewicht fallenden Umfang von den Bewohnern des maßgeblichen Versorgungsbereichs auch in Anspruch genommen wird. Eine nur gelegentliche Inanspruchnahme reicht nicht aus. Es muss also ein nennenswerter Bezug zu den Versorgungsbedürfnissen der maßgeblichen Umgebung vorhanden sein. Trägt sich ein Handwerksbetrieb – bei der gebotenen typisierenden Betrachtungsweise – wirtschaftlich im erheblichen Umfang nicht mehr aus einem Besucherkreis, der aus dem umgebenden Gebiet zu erwarten ist, so dient er nicht der Versorgung des Gebiets (vgl. Ernst-Zinkahn/Bielenberg Krautzberger, BauGB, Kommentar, § 5 BauNVO Rdnr. 45; BVerwG, Urteil vom 29.10.1998 – 4 C 9/97 – zitiert nach juris). Aus Sicht der Kammer kann nicht davon ausgegangen werden, dass die geplante Kunstschmiede/der geplante Metallbaubetrieb einen nennenswerten Anteil des erforderlichen Umsatzes durch Aufträge der Bewohner des maßgebenden Baugebietes, das hier im Wesentlichen identisch ist mit dem Siedlungsgebiet der Gemeinde A-Stadt, die über ca. 550 Einwohner verfügt, wird erzielen können. In der Kunstschmiede und dem Bereich Metallbau sollen die drei Gesellschafter tätig werden. Es bedarf daher eines erheblichen Umsatzes, um wirtschaftlich arbeiten zu können. Wie die Beigeladenen geltend machen, zeichnen sich ihre Produkte durch handwerkliche und künstlerische Fähigkeiten aus, so dass sie preislich mit Massenware nicht konkurrieren können. Es ist daher davon auszugehen, dass die 550 Einwohner aus A-Stadt nur in Einzelfällen diese Produkte nachfragen werden, so dass ein nennenswerter Umsatzanteil hierauf nicht entfällt. Der geplante Betrieb hat daher nicht die erforderliche Versorgungsfunktion für das Dorfgebiet.

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Der geplante Betrieb ist auch nicht gem. § 5 Abs. 2 Nr. 6 BauNVO als sonstiger Gewerbebetrieb zulässig. Aus der allgemeinen Zweckbestimmung des Dorfgebietes in Abs. 1 der Vorschrift folgt, dass zulässige sonstige Gewerbebetriebe im Sinne der Nr. 6 nur solche sein können, die nicht wesentlich stören. Aus Sicht der Kammer handelt es sich aber bei der geplanten Schmiede/dem geplanten Metallbaubetrieb um einen wesentlich störenden Gewerbebetrieb, wobei unerheblich ist, ob von ihm tatsächlich Immissionen ausgehen werden, die die nach der TA-Lärm zulässigen Richtwerte für Dorfgebiete überschreiten. Für die Beurteilung der Frage, ob und inwieweit ein Gewerbebetrieb den im Mischgebiet oder Dorfgebiet zulässigen Störgrad „nicht wesentlich störend“ einhält, ist auch nach ständiger Rechtsprechung des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts im Ausgangspunkt nicht von den konkreten Verhältnissen des jeweiligen Betriebes, sondern von einer typisierenden Betrachtung auszugehen. Eine solche Betrachtungsweise ist grundsätzlich sachgerecht, um bei der Beurteilung der planungsrechtlichen Zulässigkeit eines Vorhabens eine klare Unterscheidung der (ihrer „Art“ nach) unzulässigen Vorhaben von den zulässigen Vorhaben zu ermöglichen. Lässt sich der zu beurteilende Gewerbebetrieb einer typischen Betriebsform zuordnen, kann von den sich erfahrungsgemäß (typischerweise) hieraus ergebenden Störungen grundsätzlich ausgegangen werden. Im Fall der Abweichung vom typischen Erscheinungsbild des betreffenden Vorhabentyps kann aber wiederum die Annahme begründet sein, dass der konkrete Betrieb nach seiner Art und Betriebsweise Störungen, die das Maß des Zulässigen im Dorfgebiet/Mischgebiet überschreiten, nicht befürchten lässt, so dass eine Gebietsverträglichkeit dauerhaft und zuverlässig sichergestellt ist. Dabei muss die Abweichung von der typischen Betriebsform erheblich sein. Auch eine schalltechnische Untersuchung, die die Einhaltung maßgeblicher Immissionsrichtwerte prognostiziert, ist allein nicht geeignet, insoweit eine Atypik zu belegen. Auch die der Baugenehmigung beigefügten Lärmschutzauflagen sind grundsätzlich nicht geeignet, den typischerweise störenden Betrieb gebietsverträglich zu machen. Es kommt auch nicht darauf an, ob der Bauherr gewillt ist, den Betrieb dergestalt zu führen, dass der Störgrad die Schwelle der Zulässigkeit nicht überschreitet. Planungsrechtliche Versagungsgründe können weder durch freiwillige Betriebseinschränkungen durch den Bauherrn noch durch die Auflagen einer „maßgeschneiderten“ Baugenehmigung ausgeräumt werden, wenn Grundsätze der typisierenden Betrachtungsweise entgegenstehen. Nicht entscheidend ist, ob eine für den Bauherrn günstige Schallimmissionsprognose vorliegt (vgl. OVG Schleswig, Urteil vom 06.12.2016 – 1 LB 6/14; Beschluss vom 13.11.2020 – 1 LA 36/17 -). Bei der Typisierung ist grundsätzlich nicht auf das Maß der gerade gegenwärtig hervorgerufenen oder in Aussicht genommenen, sondern der bei funktionsgerechter Nutzung möglichen Störungen abzustellen. In diesem Rahmen können auch mögliche Steigerungen der Betriebsintensität in Rechnung zu stellen sein. Ein Betrieb kann als wesentlich störend erscheinen, wenn sich aufgrund einer Vorausschau (Prognose), die sich nicht auf die aktuellen Störwirkungen beschränkt, ergibt, dass Störungen einzubeziehen sind, die auch bei funktionsgerechter Nutzung der Anlage nicht auszuschließen sind (BVerwG, Urteil vom 24.09.1992 – 7 C 7/92 -; EZB § 6 BauNVO, Rdnr. 30). Nur so lassen sich Konflikte bewältigen und letztlich vermeiden.

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Bei Branchen, die eine große Brandbreite unterschiedlicher betrieblicher „Typen“ aufweisen, deren üblichen Betriebsformen hinsichtlich des Störgrades von „nicht wesentlich störend“ über „störend“ bis hin zu unterschiedlichen Graden von „belästigend“ reichen, sind die konkreten Verhältnisse des Betriebes zugrunde zu legen. Eine von der typisierenden Betrachtungsweise abweichende Beurteilung kommt dann in Betracht, wenn ein Betrieb nicht das branchentypische Erscheinungsbild aufzeigt und nach seiner (atypischen) Art und Betriebsweise von vorneherein keine für das Wohnen wesentlichen Störungen befürchten lässt und damit seine Gebietsverträglichkeit dauerhaft und zuverlässig sichergestellt ist. Dies setzt voraus, dass die Abweichung von der typischen Betriebsform erheblich ist (OVG Schleswig, Urteil vom 06.12.2016 – 1 LB 6/14 -).

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Bei Anlegung dieser Maßstäbe geht die Kammer zunächst davon aus, dass es sich bei dem geplanten Handwerksbetrieb um einen typischen Metallbaubetrieb handelt. Für die Einstufung kommt es nicht darauf an, wie der Bauherr seinen geplanten Betrieb benennt, ob etwa Schmiede, Schlosserei oder Metallbaubetrieb. Maßgebend ist vielmehr, wie sich die geplanten Betriebsabläufe darstellen und insbesondere welche Maschinen zur Metallverarbeitung Anwendung finden. Weitere Gesichtspunkte sind der flächenmäßige Umfang des Betriebes, die Anzahl der Mitarbeiter und die Öffnungszeiten. Grundsätzlich werden Metallbaubetriebe in der Rechtsprechung und der Kommentarliteratur als wesentlich störende Gewerbebetriebe eingestuft. Selbst wenn man der Auffassung wäre, bei metallverarbeitenden Betrieben wäre die Bandbreite der möglichen Störungsgrade derart groß, dass auf die konkreten Umstände des Einzelfalles abzustellen wäre, müsste hier aufgrund einer Bewertung der oben genannten Kriterien von einem wesentlich störenden Gewerbebetrieb ausgegangen werden (vgl. hierzu etwa Sächsisches OVG, Beschluss vom 28.09.2012 – 1 B 313/12 – BRS 79, Nr. 173, Bayrischer VGH, Beschluss vom 26.10.2009 – 9 C S 09.2104 -). Die Einstufung des Betriebes muss erfolgen auf der Grundlage der der Baugenehmigung zugrundeliegenden Betriebsbeschreibung durch die Beigeladenen. Hiernach verfügt die geplante Schmiede über eine Grundfläche von 212 qm und der Bereich Metallbau über eine Fläche von 154 qm. In dem Betrieb sollen die drei Gesellschafter beschäftigt werden. In dem Betrieb sind alle Maschinen vorhanden, die für eine Metallverarbeitung erforderlich sind. Die Art der gewerblichen Tätigkeit soll bestehen in der Herstellung von Kunstschmiedearbeiten mittels Warmumformung am Ambos, Lufthammer und Presse sowie dem anschließenden Zusammenfügen der Teile zu fertigen Baugruppen mittels traditioneller (z. B. Nieten) und moderner Techniken (z. B. Schweißen). Es sollen alle Arten von Metallgegenständen gefertigt werden, welche sich mit den Mitteln der Schmiedetechnik gestalten lassen. Diese werden in Einzelanfertigungen oder Kleinserien hergestellt. Des Weiteren sollen Schmiedekurse angeboten werden. Erzeugt werden sollen Tore, Treppengeländer, Gitter, Zäune, Möbel, Werkzeuge, Gartenartikel und alles aus Metall, was sich gestalten lässt. Die Anlieferung des Rohmaterials erfolgt auf dem hinteren Hof und wird dann in einem Materiallager verwahrt. Das eingelagerte Material wird dann im Bereich der Säge in passende Abschnittslängen geschnitten. Von dort wird das Material im Bereich der Zerspanung weitergearbeitet, z. B. entgratet, gebohrt, geschliffen, etc. Anschließend werden die Halbzeuge in der Montage/Schweißerei zu einer Baugruppe zusammengesetzt oder sie werden in der Schmiede zur Weiterverarbeitung gebracht. In der Schmiede wird die Form der Teile durch Warmumformung gestaltet. Anschließend werden die Schmiedeteile in der Montage/Schweißerei gebracht, wo sie zu Baugruppen zusammengesetzt werden. Die fertigen Baugruppen werden durch das große hintere Tor auf den Hof gebracht, wo sie auf den Transportwagen verladen und zum Kunden gefahren werden. Der Betrieb verfügt über alle wesentlichen technischen Geräte, die zur Metallverarbeitung erforderlich sind. Die Beigeladenen haben in ihrer Betriebsbeschreibung selbst ausgeführt, Schmieden und Metallbearbeitung seien laut, dies lasse sich leider nicht durch wirtschaftlich vertretbare Maßnahmen ausschließen. Beide Bereiche würden als Lärmbereich deklariert und alle Personen, welche sich in dem Bereich während der Arbeit aufhielten, müssten entsprechende PSA tragen. Die wesentlichen Betriebsgeräusche in der Werkstatt seien das Trennen und Schleifen von Metall mit dem kleinen und großen Winkelschleifer, das Schmieden mit dem Handhammer auf dem Ambos, das Schmieden mit dem Lufthammer und die generelle Metallbearbeitung (sägen, bohren, schweißen etc.). Die Geräusche fielen während der gesamten Betriebszeit an. Das am stärksten anfallende Betriebsgeräusch im Werkstattbereich „Metallbearbeitung“ werde die Arbeit mit dem großen Winkelschleifer sein, welcher einen Schalldruckpegel von ca. 92 dB(A) erreiche.

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Die Betriebszeit sei an Werktagen von 7 bis 22 Uhr und an Sonn- und Feiertagen von 8 bis 16 Uhr; die Kernarbeitszeit sei von montags bis freitags von 7 bis 16 Uhr.

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Angesichts dieser Betriebsabläufe ist die Annahme eines atypischen metallverarbeitenden Betriebes nicht ansatzweise gerechtfertigt. Auch wenn nach dem Vorbringen der Beigeladenen bei ihrer Tätigkeit der handwerklich/künstlerische Aspekt eine große Rolle spielt, so dass die Herstellung eines Werkstücks längere Zeit in Anspruch nehmen wird, ändert dies doch nichts daran, dass auch dabei die für einen metallverarbeitenden Betrieb typischen störenden Geräusche entstehen. Es kommt auch nicht darauf an, welches Branchenbild „Metallbau“ in Deutschland vorherrscht und wie metallverarbeitende Betriebe, insbesondere Schlossereien und Schmieden in Statistiken der Bundesagentur für Arbeit oder des Bundesamtes für Statistik erfasst werden. Vorliegend geboten ist allein eine bauplanungsrechtliche Einstufung des Betriebes, abhängig von seiner Ausgestaltung und dem damit verbundenen Störgrad. Vorliegend musste das von den Beigeladenen in Auftrag gegebene schalltechnische Gutachten nachgebessert werden, weil zunächst nicht einmal die Immissionsrichtwerte der TA-Lärm für Dorfgebiete eingehalten werden konnten. Zudem ging das Immissionsgutachten nach der Auffassung des LLUR/Technischer Umweltschutz von nicht lebensnahen Annahmen und in der Praxis nur schwer überwachbaren Prämissen aus. Erst dadurch, dass dem Betrieb weitere Einschränkungen aufgegeben wurden, konnte letztlich festgestellt werden, dass die Immissionsrichtwerte der TA-Lärm eingehalten werden können. Die Baugenehmigung beinhaltet zudem Auflagen, um einen tatsächlich störungsfreien Betrieb der „Schmiede“ zu gewährleisten. Planungsrechtliche Versagungsgründe können aber, wie ausgeführt, weder durch freiwillige Betriebseinschränkungen durch den Bauherrn noch durch die Auflagen einer „maßgeschneiderten“ Baugenehmigung ausgeräumt werden, wenn Grundsätze der typisierenden Betrachtungsweise entgegenstehen. Ein solcher Fall liegt hier aber vor. Um das Vorhaben realisieren zu können, wird den Beigeladenen in Ziffer 3 der Auflagen zur Baugenehmigung sogar aufgegeben, die Wohnung innerhalb des Gebäudes ausschließlich für Betriebspersonal zu nutzen; eine Fremdnutzung wird ausgeschlossen. Ob die Voraussetzungen für die Erteilung einer Betriebsleiterwohnung vorliegen, sind von dem Antragsgegner überhaupt nicht geprüft worden, weil die Umnutzung der im Gebäude enthaltenen Wohnung auch gar nicht Gegenstand des Bauantragsverfahrens war. Durch die Auflage wird die Wohnung ohne einen entsprechenden Umnutzungsantrag durch die Beigeladenen faktisch zu einer Betriebsleiterwohnung „umgewidmet“, um das Vorhaben als verträglich einzustufen. Auch die Ziffer 1 der Auflagen in der Baugenehmigung, wonach die Nutzung der nördlichen Hoffläche als Betriebsfläche nicht zugelassen wird, spricht für eine unzulässige „maßgeschneiderte“ Baugenehmigung. Zunächst war diese Fläche nach der Betriebsbeschreibung für den Betrieb erforderlich. Nunmehr soll hierauf verzichtet werden können. Es obliegt daher letztlich den Nachbarn, die Einhaltung dieser Auflage zu überwachen. Gleiches gilt letztlich für die Überprüfung, ob Fenster und Türen während der Durchführung lärmintensiver Arbeiten tatsächlich geschlossen sind. Die Baugenehmigung löst damit den potentiellen Immissionskonflikt nicht. Ein an sich als typisch wesentlich störender Gewerbebetrieb geplanter Metallverarbeitungsbetrieb wird hier ausnahmsweise zugelassen, obwohl – wie ausgeführt – eine derartige Handhabung nur dann zulässig ist, wenn die Abweichung von der typischen Betriebsform erheblich ist und der konkrete Betrieb nach seiner Art und Betriebsweise Störungen, die das Maß des Zulässigen im Dorfgebiet überschreiten, nicht befürchten lässt, so dass seine Gebietsverträglichkeit dauerhaft und zuverlässig sichergestellt ist. Das ist hier gerade nicht der Fall. Aus Sicht der Kammer ist hier im Falle der Zulassung des Bauvorhabens ein Immissionskonflikt vorprogrammiert. Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine Baugenehmigung eine gewisse Nutzungsbreite umfasst. Dies bedeutet, dass die Beigeladenen im Falle einer entsprechenden Nachfrage die Arbeitsabläufe verändern und auch zusätzliche Arbeitnehmer, insbesondere z. B. Auszubildende einstellen dürften, ohne dass dies einer erneuten Baugenehmigung bedürfte. Es kann also nicht ausgeschlossen werden, dass sich die Immissionen sogar noch verstärken könnten. Gerade ein derartig potentieller Immissionskonflikt soll aber durch die typisierende Betrachtung vermieden werden.

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Danach ist dem Antrag mit der sich aus § 154 Abs. 1 VwGO ergebenden Kostenfolge stattzugeben. Es entspricht nicht der Billigkeit iSd § 162 Abs. 3 VwGO, die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen für erstattungsfähig zu erklären.

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Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1, 63 Abs. 2 GKG, wobei der für ein entsprechendes Hauptsacheverfahren anzunehmende Wert von 15.000,- Euro für das betroffene Einfamilienhaus wegen des nur vorläufigen Regelungscharakters des Eilverfahrens um die Hälfte reduziert worden ist.


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