Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (1. Kammer) - 1 B 3/21
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragsteller/innen tragen die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 5.000 Euro festgesetzt.
Gründe
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Der Antrag der Antragsteller/innen, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 5. Januar 2021 wiederherzustellen, ist nach §§ 122, 88 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) dahingehend auszulegen, dass sinngemäß die Antragsgegnerin einstweilen verpflichtet wird, eine Ausnahme von der Absonderungspflicht nach § 2 Abs. 5 der Corona-Quarantäneverordnung zu erteilen. Ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist vorliegend, entgegen der Rechtsmittelbelehrung des Bescheids vom 5. Januar 2021, unstatthaft, weil die Antragsteller/innen ihr Rechtsschutzziel – Befreiung von der Absonderungspflicht – nur mit einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO und nicht mit einer aufschiebenden Wirkung der Ablehnungsentscheidung erreichen können.
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Der so verstandene Antrag ist zwar zulässig, bleibt in der Sache jedoch ohne Erfolg.
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Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung der Rechte der Antragsteller/innen vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnten. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung notwendig erscheint, um insbesondere wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern. § 123 Abs. 1 VwGO setzt daher sowohl ein Bedürfnis für die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund) als auch einen sicherungsfähigen Anspruch (Anordnungsanspruch) voraus. Die tatsächlichen Voraussetzungen dafür sind glaubhaft zu machen (vgl. § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung). Dem Wesen und Zweck einer einstweiligen Anordnung entsprechend kann das Gericht im einstweiligen Anordnungsverfahren grundsätzlich nur vorläufige Regelungen treffen und Antragssteller/innen nicht schon – wie hier sinngemäß begehrt – das zusprechen, was sie – sofern ein Anspruch besteht – nur in einem Hauptsacheverfahren erreichen könnten. Dieser Grundsatz des Verbotes einer Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung gilt jedoch im Hinblick auf den durch Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) gewährleisteten wirksamen Rechtsschutz dann nicht, wenn die erwarteten Nachteile bei einem Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache unzumutbar wären und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg in der Hauptsache spricht.
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In Anwendung dieser Maßstäbe liegen die Voraussetzungen für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung nicht vor, weil nach dem Vorbringen der Antragsteller/innen der erforderliche hohe Wahrscheinlichkeitsgrad für den Erfolg in der Hauptsache nicht besteht.
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Einen bestehenden Anordnungsanspruch haben die Antragsteller/innen nicht hinreichend glaubhaft gemacht, denn die Erfolgsaussichten eines noch einzulegenden Rechtsbehelfs gegen den angegriffenen Bescheid vom 5. Januar 2021 bestehen nicht mit der erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit.
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Die Antragsteller/innen verfolgen mit ihren Anträgen eine Ausnahmegenehmigung von § 1 Abs. 1 QuarantäneVO, wonach Personen, die auf dem Land-, See-, oder Luftweg aus dem Ausland nach Schleswig-Holstein einreisen und sich zu einem beliebigen Zeitpunkt in den letzten zehn Tagen vor Einreise in einem Risikogebiet im Sinne des Absatzes 4 aufgehalten haben, verpflichtet sind, sich unverzüglich nach der Einreise auf direktem Weg in die Haupt- oder Nebenwohnung oder in eine andere, eine Absonderung ermöglichende Unterkunft zu begeben und sich für einen Zeitraum von zehn Tagen nach ihrer Einreise ständig dort abzusondern.Risikogebiet ist gemäß § 1 Abs. 4 QuarantäneVO ein Staat oder eine Region außerhalb der Bundesrepublik Deutschland, für den oder die zum Zeitpunkt der Einreise in die Bundesrepublik Deutschland ein erhöhtes Risiko für eine Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 besteht. Die Einstufung als Risikogebiet erfolgt mit Ablauf des ersten Tages nach Veröffentlichung durch das Robert Koch-Institut im Internet auf der Internetseite https://www.rki.de/covid-19-risikogebiete, nachdem das Bundesministerium für Gesundheit, das Auswärtige Amt und das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat darüber entschieden haben.
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Ermächtigungsgrundlage für die Erteilung einer Ausnahme ist § 2 Abs. 5 QuarantäneVO. Danach kann die zuständige kommunale Gesundheitsbehörde in begründeten Fällen bei Vorliegen eines triftigen Grundes auf Antrag weitere Ausnahmen erteilen.
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Der beantragten Ausnahme bedarf es vorliegend aller Voraussicht nach, weil die in § 1 Abs. 1 QuarantäneVO normierte Pflicht zur Absonderung in die eigene Häuslichkeit nach Rückreise aus einem ausländischen Risikogebiet mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht gegen höherrangiges Recht – insbesondere Verfassungsrecht – verstößt und daher anwendbar ist.
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Es bestehen keine überwiegenden Bedenken, dass es sich bei den von dem Verordnungsgeber in Anspruch genommenen Bestimmungen des § 32 Satz 1 i. V. m. § 30 Abs. 1 Satz 2 Infektionsschutzgesetz (IfSG) um eine den verfassungsmäßigen Anforderungen genügende Verordnungsermächtigung für die Anordnung einer häuslichen Absonderung handelt (vgl. dazu OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 20. November 2020 – 13 B 1770/20.NE –, juris Rn. 36), wenn auch in der bisherigen obergerichtlichen Rechtsprechung nach wie vor nicht abschließend geklärt ist, ob Reiserückkehrer/innen aus ausländischen Risikogebieten als „Ansteckungsverdächtige“ im Sinne des § 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG zu behandeln sind (eher verneinend u. a. Bayerischer VGH, Beschluss vom 3. Dezember 2020 – 20 NE 20.2749 – juris Rn. 44 ff.).
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Die Regelung des § 1 Abs. 1 QuarantäneVO greift zwar insbesondere in die durch Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG geschützte Fortbewegungsfreiheit ein, erweist sich jedoch nicht als offensichtlich unverhältnismäßig.
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Mit dem Schutz von Leben und Gesundheit und der Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems verfolgt die Verordnung zunächst einen legitimen Zweck (vgl. zum Schutzzweck der Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie nunmehr § 28a Abs. 3 Satz 1 IfSG n. F.).
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Zur Erreichung dieses Zwecks ist die allgemeine Absonderungspflicht für Reiserückkehrer/innen aus ausländischen Risikogebieten – die in der Sache wohl als milderes Mittel zu Reisebeschränkungen/-verboten konzipiert ist – grundsätzlich auch geeignet, erforderlich und angemessen (entgegen OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 20. November 2020, a. a. O. die Verhältnismäßigkeit tendenziell bejahend wohl: Sächsisches OVG, Beschluss vom 9. Dezember 2020 – 3 B 417/20, OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 7. Dezember 2020 – 11 S 123/20 und Beschluss vom 3. Dezember 2020 – 11 S 122/20, VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 3. Dezember 2020 – 1 S 3737/20, Bayerischer VGH, Beschluss vom 3. Dezember 2020 – 20 NE 20.2749 – Rn. 55, OVG Lüneburg, Beschluss vom 30. November 2020 – 13 MN 520/20, offenlassend: OVG des Saarlandes, Beschluss vom 10. Dezember 2020 – 2 B 361/20; jeweils juris).
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Bei der Geeignetheit der Absonderungspflicht spielt die Frage der Geeignetheit der Ausweisung von Risikogebieten eine wesentliche Rolle. Es drängt sich derzeit nicht auf, dass die bislang durch die zuständigen Stellen vorgenommenen Einstufungen von Gebieten als Risikogebiete i. S. d. § 1 Abs. 4 QuarantäneVO jeder Grundlage entbehren, folglich ungeeignet wären und die Verordnung daher in einem hypothetischen Hauptsacheverfahren nicht zur Anwendung käme.
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Nach den Informationen des Robert-Koch-Instituts erfolgt die Einstufung als Risikogebiet
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„[…] nach gemeinsamer Analyse und Entscheidung durch das Bundesministerium für Gesundheit, das Auswärtige Amt und das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat. Die Einstufung als Risikogebiet basiert auf einer zweistufigen Bewertung. Zunächst wird festgestellt, in welchen Staaten/Regionen es in den letzten sieben Tagen mehr als 50 Neuinfizierte pro 100.000 Einwohner gab. In einem zweiten Schritt wird nach qualitativen und weiteren Kriterien festgestellt, ob z.B. für Staaten/Regionen, die den genannten Grenzwert nominell über – oder unterschreiten, dennoch die Gefahr eines nicht erhöhten oder eines erhöhten Infektionsrisikos vorliegt. Für die EU-Mitgliedstaaten wird seit der 44. Kalenderwoche hier insbesondere die nach Regionen aufgeschlüsselte Karte des Europäischen Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) berücksichtigt. Die Karte enthält Daten zur Rate der SARS-CoV-2-Neuinfektionen, zur Testpositivität und zur Testrate. Für Bewertungsschritt 2 liefert außerdem das Auswärtige Amt auf der Grundlage der Berichterstattung der deutschen Auslandsvertretungen sowie ggf. das Bundesministerium für Gesundheit sowie das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat qualitative Berichte zur Lage vor Ort, die auch die jeweils getroffenen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie beleuchten. Maßgeblich für die Bewertung sind insbesondere die Infektionszahlen und die Art des Ausbruchs (lokal begrenzt oder flächendeckend), Testkapazitäten sowie durchgeführte Tests pro Einwohner sowie in den Staaten ergriffene Maßnahmen zur Eindämmung des Infektionsgeschehens (Hygienebestimmungen, Kontaktnachverfolgung etc.). Ebenso wird berücksichtigt, wenn keine verlässlichen Informationen für bestimmte Staaten vorliegen.“, (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikogebiete_neu.html, zuletzt abgerufen am 8. Januar 2021)
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Nach dieser Beurteilung hat das Robert-Koch-Institut die Kanarischen Inseln als Risikogebiet eingestuft. Soweit die Antragsteller/innen diese Einschätzung anzweifeln und weiter der Auffassung sind, dass die Kanarischen Inseln bei der Risikoeinstufung nicht als eine Region zu beurteilen seien, sondern vielmehr Fuerteventura anders zu beurteilen sei als Teneriffa, kann dies im hiesigen Eilverfahren nicht abschließend geprüft werden. Dass die Kanarischen Inseln durch des Robert-Koch-Instituts als eine Region angesehen werden, erscheint aufgrund des Austausches der einzelnen Inseln untereinander und ihrer Lage nachvollziehbar.
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Es ist grundsätzlich nicht zu beanstanden, die Pflicht zur Absonderung an die Einreise aus einem ausländischen Risikogebiet anzuknüpfen, denn die Einreise aus anderen Ländern mit einem erheblichen Infektionsgeschehen stellt eine bedeutende Gefahrenquelle für die Weiterverbreitung des Coronavirus in Deutschland dar, der Aufenthalt und das Reisen in einem Risikogebiet birgt insoweit relevante Infektionsquellen (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 3. Dezember 2020 – 1 S 3737/20 –, juris Rn. 22 - 24).
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Dies greift auch die Begründung des § 1 Abs. 1 QaurantäneVO bei Einführung am 6. November 2020 auf, die zur Geeignetheit und Erforderlichkeit der Absonderung ausführt:
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„Aufgrund der Vielzahl von Infektionen weltweit, der Tatsache, dass ein Übertragungsrisiko in einer Vielzahl von Regionen besteht, des dynamischen Charakters des Virus und der damit verbundenen Ungewissheit hinsichtlich konkreter Infektionsgeschehen besteht eine gegenüber dem Inland deutlich erhöhte Wahrscheinlichkeit, dass eine Person, die aus einem Risikogebiet in das Bundesgebiet einreist, Krankheitserreger aufgenommen hat. Die erhöhte Wahrscheinlichkeit schlägt sich in der Vielzahl an positiven Testungen bei Reiserückkehrern aus Risikogebieten nieder. Bei den freiwilligen Testungen von Rückreisenden aus Nicht-Risikogebieten war die Zahl der festgestellten Infektionen dagegen außerordentlich gering.“, (vgl. QuarantäneVO vom 6. November 2020, Seite 13 am Anfang, abrufbar über: https://transparenz.schleswig-holstein.de/dataset/19143649-751f-4141-8f21-e3bf79c542f7/resource/9e0c4d7c-91cc-451d-99a6-d51064e901f9/download/corona-quarantneverordnung-vom-06.-november-2020.pdf, zuletzt abgerufen am 8. Januar 2021).
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Die hieraus für die Bürger/innen folgende Pflicht zur Absonderung und die damit einhergehende temporäre Einschränkung der Fortbewegungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG sowie eine möglicherweise faktische Erschwernis, einen (längeren) Auslandaufenthalt zu verleben und die – wohl nur als Grundrechtsreflex ggf. in Frage stehende – Einschränkung der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG sowie des Rechts auf Bildung aus Art. 7 Abs. 1 GG sind mit Blick auf die normierten Ausnahmetatbestände in § 2 QuarantäneVO und die Möglichkeit der Verkürzung der 10-tägigen Quarantäne auf 5-7 Tage bei nachgewiesener Negativtestung nach Maßgabe des § 3 QuarantäneVO nicht unverhältnismäßig. Denn gerade angesichts nach wie vor steigender Neuinfektions-/und Todeszahlen an bzw. in Verbindung mit dem Coronavirus und den aus aktuellen Medienberichten vernehmbaren zunehmenden Schwierigkeiten, Patient/innen mit schweren Verläufen auf deutschen Intensivstationen angemessen zu behandeln, insbesondere weil das erforderliche qualifizierte Personal hierzu fehlt, erscheint neben dem seit 16. Dezember 2020 verhängten „harten Lockdown“ bis zum 10. Januar 2021 (voraussichtlich auch darüber hinaus) auch eine Beschränkung von Reisebewegungen bzw. eine Einschränkung der Bewegung von ansteckungsverdächtigen Reiserückkehrer/innen am Erstwohnsitz bis zur nachgewiesenen Ansteckungsfreiheit angemessen.
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Dass der Verordnungsgeber die Gruppe der Reiserückkehrer/innen gegenüber den im Heimatland verbleibenden Bürger/innen unterschiedlich behandelt, begründet aller Voraussicht nach auch keinen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Denn es ist bereits nicht offenkundig, dass es sich hierbei um vergleichbare Sachverhalte handelt (dies tendenziell verneinend VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 3. Dezember 2020 – 1 S 3737/20 –, juris Rn. 61). Der Normgeber kann die nach seinem Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum notwendigen Beschränkungen des öffentlichen Lebens und individueller Freiheiten nur für seinen territorialen Hoheitsbereich treffen. Auf Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung im Ausland hat er keinen Einfluss. Reisen daher Personen aus einem ausländischen Risikogebiet ein, waren diese für die Zeit des Aufenthalts in diesem Gebiet nicht den gleichen Beschränkungen unterworfen, die der Verordnungsgeber Daheimgebliebenen auferlegt hat. Für den Verordnungsgeber ist nicht in jedem Einzelfall – bezogen auf jedes Land außerhalb der Bundesrepublik – nachprüfbar, welchen Infektionsrisiken Einreisende ausgesetzt waren. Aus diesem Grund sind diese beiden Gruppen bereits nicht vergleichbar (so bereits VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 3. Dezember 2020 – 1 S 3737/20 –juris, Rn. 61-64).
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Dass der Normgeber das Infektionsrisiko für Einreisen auf dem Land-, See- oder Luftweg pauschaliert betrachtet, ohne eine konkrete „Staffelung“ der Infektionsrisiken näher bestimmter Auslands(ein)reisen vorzunehmen, genügt dem Bestimmtheitsgrundsatz, wonach die Rechtsvorschrift so genau zu fassen ist, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist. Zur (Un-)Möglichkeit der näheren Bestimmung konkreter Fallgruppen aufgrund konkreter Infektionsrisiken hat das OVG Lüneburg im Beschluss vom 30. November 2020 (13 MN 520/20 –, a. a. O. Rn. 43 f.) zur dortigen Verordnung bereits ausgeführt:
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„Ein Vergleich der Infektionsgefahren für Reisende aus dem Ausland einerseits und Daheimgebliebene anderseits ist nur durch Berücksichtigung vieler Faktoren möglich. Hierzu zählt etwa die Risikobewertung an den jeweiligen Aufenthaltsorten im In- und Ausland und diese möglicherweise zu verschiedenen Zeiten. Dazu käme eine differenzierte Betrachtung von Zwischenaufenthalten in Gebieten mit anderer Risikobewertung und zuletzt eine (ohnehin schon teilweise in Form individueller „angemessener Schutz- und Hygienekonzepte“ verordnete) Berücksichtigung individueller Gefahrenquellen und Präventionsmaßnahmen, etwa eine freiwillige Absonderung im Ausland.
- 24
Eine Quarantäne-Verordnung muss nicht alle diese Faktoren abbilden. Würde sie es tun, wäre sie voraussichtlich unübersichtlich und schwer handhabbar und würde damit ihren infektionsschützenden Zweck verfehlen. Bereits die jetzige Quarantäne-Verordnung ist mit ihren Ausnahmeregelungen für den Normadressaten kaum noch zu überblicken. Würde sie weitere Parameter enthalten, könnte eine im Einzelfall ungerechtfertigte Ungleichbehandlung zwar ausgeschlossen werden; eine infektionsschützende Wirkung würde eine derartige Verordnung allerdings mangels Verständlichkeit kaum noch entfalten.“
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Selbiges gilt für die vorliegende QuarantäneVO.
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Zur Nichteinhaltung der Absonderungspflicht ist folglich eine Ausnahmegenehmigung nach § 2 Abs. 5 QuarantäneVO erforderlich.
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Da es sich um eine Ausnahme im Wege des behördlichen Ermessens handelt, kann ein Verpflichtungsanspruch zur Erteilung der Genehmigung nur dann bestehen, wenn die Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage vorliegen und eine Ermessensreduzierung auf Null dergestalt vorliegt, dass eine Ausnahme von der generellen Absonderungspflicht grundsätzlich erteilt werden müsste. Weder das eine noch das andere ist hier anzunehmen.
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Ein triftiger Grund kann (nur) dann bestehen, wenn eine mit den übrigen – vertypten – Ausnahmetatbeständen des § 2 Abs. 1 bis 4 QuarantäneVO vergleichbare Interessenlage vorliegt.
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Diese Auslegung gebieten sowohl die Systematik der Quarantäneverordnung als auch der Wortlaut der Ausnahmeregelung.
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Die dort geregelten Ausnahmen knüpfen sämtlich an bestimmte berufliche oder familiäre Anlässe an und bezwecken damit zum einen die Aufrechterhaltung der öffentlichen Daseinsvorsorge (Gesundheit, Wirtschaft, „systemrelevante“ Berufsgruppen wie Polizeivollzugsbeamte etc.) und zum anderen den verfassungs- und europarechtlich normierten Schutz von Ehe und Familie. Ein vergleichbarer Fall und damit ein „triftiger Grund“ im Sinne des § 2 Abs. 5 QuarantäneVO liegt in der Nutzung des Ferienhauses zu Urlaubszwecken nicht. Den (insoweit aus rechtlicher und wirtschaftlicher Sicht herabgestuften) Interessen der Erholungsreisenden wird durch die Möglichkeit der Quarantäneverkürzung nach Maßgabe des § 3 QuarantäneVO hinreichend Rechnung getragen.
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Diese Auslegung ist mit dem Wortlaut vereinbar, wonach eine Ausnahme nur bei Vorliegen eines triftigen Grundes erteilt werden kann. „Triftig“ bedeutet laut Duden: „sehr überzeugend, einleuchtend, schwerwiegend; zwingend, stichhaltig“ (https://www.duden.de/rechtschreibung/triftig_stichhaltig_ueberzeugend, abgerufen am 8. Januar 2021). Vergleichbar schwerwiegend, überzeugend und zwingend sind lediglich solche nicht ausdrücklich in den Regelungen in § 2 Abs. 1 bis 4 erfassten Gründe, die ihrerseits vergleichbar der Aufrechterhaltung öffentlicher Daseinsvorsorge oder dem Schutz wichtiger familiärer Belange dienen oder im Falle der Versagung einer Ausnahme jedenfalls zu einer vergleichbar intensiven Grundrechtsbetroffenheit führen.
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Die zu erwartenden Beeinträchtigungen der Antragsteller/innen infolge der Absonderungspflicht erreichen kein solches Maß. So tragen sie schon nicht vor, aus welchen Gründen eine Absonderung nicht möglich wäre bzw. für sie unzumutbar. Eine Verletzung des Rechts auf Bildung des Antragstellers zu 3. und der Antragstellerin zu 4. steht konkret wegen der beschlossenen Aussetzung der Präsenzpflicht von Schüler/innen nicht zu befürchten.
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Entgegen der Auffassung der Antragsteller/innen ist es für eine verfassungskonforme Auslegung des § 1 Abs. 1 QuarantäneVO auch nicht erforderlich, dass die für die Ausnahmeregelung zuständigen Gesundheitsbehörden eine ggf. vom Verordnungsgeber hingenommene (und sachlich gerechtfertigte) Ungleichbehandlung aufgrund möglicherweise geringerer Infektionsrisiken, im Wege einer Ausnahmegenehmigung ausgleichen. Eine Einzelfallprüfung des Infektionsrisikos, welches sich vor allem nach Inzidenz im jeweiligen Auslandsziel, Schutzmaßnahmen, Unterbringung und Lebensführung vor Ort sowie der Infektionsträchtigkeit des Hin- und Rückreiseweges bemisst, kann den hierfür zuständigen Gesundheitsbehörden nicht zugemutet werden. Denn stuft das hierfür gemäß § 2 Nr. 17 IfSG n. F. zuständige Bundesministerium für Gesundheit im Einvernehmen mit dem Auswärtigen Amt und dem Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat auf der Grundlage der von dem gemäß § 4 IfSG zuständigen Robert Koch-Institut abgegebenen Empfehlungen nach § 4 Abs. 2 Nr. 1 IfSG ein Land als Risikogebiet ein, kann es nicht dem zuständigen Gesundheitsamt obliegen, belastbarere Erkenntnisse als das Robert Koch-Institut im Rahmen der o. g. Bewertungsverfahren zum jeweiligen Infektionsschutz bzw. Infektionsrisiko zutage zu fördern und mit dem Infektionsrisiken am Erstwohnsitz der Reiserückkehrer/innen abzuwägen. Dies widerspräche der Stellung des RKI als die nationale Behörde zur Vorbeugung übertragbarer Krankheiten sowie zur frühzeitigen Erkennung und Verhinderung der Weiterverbreitung von Infektionen sowie der in § 2 Nr. 17 IfSG geregelten Zuständigkeit.
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Der Antragsgegnerin war folglich kein Ermessensspielraum eröffnet, im Rahmen dessen Gründe des Infektionsschutzes hätten erwogen werden müssen. Eine Ermessensreduzierung auf Null scheidet danach erst recht aus.
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Ergänzend sei ausgeführt, dass auch ein Verweis darauf, dass andere Mitreisende von ihrer Quarantänepflicht durch das Gesundheitsamt des Kreises Ostholstein befreit worden seien, zu keiner Ermessensreduzierung auf Null führt, da mangels gleicher Hoheitsträger bereits keine Verletzung von Art. 3 GG in Betracht kommt.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf §§ 63 Abs. 2, 53 Abs. 2, 52 Abs. 2 GKG.
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Referenzen
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