Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (1. Kammer) - 1 B 4/21

Tenor

Es wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig festgestellt, dass die integrative Lerntherapie des Antragstellers in Bezug auf Kinder- und Jugendliche, die nach § 35a SGB VIII eine Eingliederungshilfe erhalten, nach § 16 der Landesverordnung zur Bekämpfung des Coronavirus SARS-CoV-2 vom 8. Januar 2021 erlaubt ist.

Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens tragen der Antragsteller zu 9/10 und der Antragsgegner zu 1/10.

Der Streitwert wird auf 5.000,- € festgesetzt.

Gründe

1

Der Antrag des Antragstellers,

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im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 VwGO vorläufig festzustellen, dass ihm das Erbringen der Dienstleistung der Lerntherapie in Präsenz im Rahmen seiner Praxis für Lerntherapie nicht nach der Landesverordnung des Landes Schleswig-Holstein über Maßnahmen zur Bekämpfung der Ausbreitung des neuartigen Corona Virus SARS-CoV-2 (Corona-BekämpfungsVO) vom 14. Dezember 2020 untersagt ist,

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ist nach §§ 122, 88 VwGO dahingehend auszulegen, dass er sich nunmehr auf die aktuell geltende Corona-Bekämpfungsverordnung vom 8. Januar 2021 bezieht.

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Der so verstandene Antrag ist zulässig und aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.

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I. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig. Der Antrag ist statthaft, weil der Antragsteller sein Begehren in der Hauptsache im Wege der Feststellungsklage nach § 43 VwGO verfolgen könnte. Nach § 43 Abs. 1 VwGO kann durch Klage die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Unter einem feststellungsfähigen Rechtsverhältnis sind die rechtlichen Beziehungen zu verstehen, die sich aus einem konkreten Sachverhalt aufgrund einer öffentlich-rechtlichen Norm für das Verhältnis von (natürlichen oder juristischen) Personen untereinander oder einer Person zu einer Sache ergeben, kraft deren einer der beteiligten Personen etwas Bestimmtes tun muss, kann oder darf oder nicht zu tun braucht (BVerwG, Urteil vom 26. Januar 1996 – 8 C 19.94 –, BVerwGE 100, 262). Rechtliche Beziehungen haben sich nur dann zu einem Rechtsverhältnis im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO verdichtet, wenn die Anwendung einer bestimmten Norm des öffentlichen Rechts auf einen bereits übersehbaren Sachverhalt streitig ist (BVerwG, Urteil vom 07.05.1987– 3 C 53.85 –, BVerwGE 77, 207).

6

Ein solches feststellungsfähiges Rechtsverhältnis liegt vor. Zwischen dem Antragsteller und dem Antragsgegner als Träger der zuständigen Behörde für Maßnahmen nach dem Infektionsschutzgesetz ist streitig, ob die Corona-Bekämpfungsverordnung in der aktuell geltenden Fassung mit ihren Verbotstatbeständen auf die von dem Antragsteller beschriebene Tätigkeit Anwendung findet oder der Antragsteller diese Tätigkeit erlaubt ausüben darf. Die durch die Verordnung begründete Pflichtenbeziehung zwischen den Beteiligten hat sich durch den gegenteiligen Rechtsstandpunkt des Antragsgegners und die damit verbundene Behauptung der rechtlichen Unzulässigkeit der von dem Antragsteller konkret beschriebenen Tätigkeit der integrativen Lerntherapie zu einem Rechtsverhältnis im Sinne von § 43 Abs. 1 VwGO verdichtet. Der Antragsteller hat auch ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung, da er diese Dienstleistung in der konkret beschriebenen Form weiter anbieten möchte.

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II. Der Antrag ist insoweit begründet, als die vom Antragsteller angebotene integrative Lerntherapie in seiner Praxis eine Leistung nach Eingliederungshilfe nach § 35 a SGB VIII darstellt. Im Übrigen ist der Antrag unbegründet.

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Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung treffen, wenn diese Regelung notwendig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Erforderlich ist danach zum einen das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d. h. die Notwendigkeit einer Eilentscheidung, und zum anderen ein Anordnungsanspruch, also ein rechtlicher Anspruch auf die begehrte Maßnahme. Dem Wesen und Zweck einer einstweiligen Anordnung entsprechend kann das Gericht im einstweiligen Anordnungsverfahren grundsätzlich nur vorläufige Regelungen treffen und einem Antragssteller nicht schon das zusprechen, was er – sofern ein Anspruch besteht – nur in einem Hauptsacheverfahren erreichen könnte. Dieser Grundsatz des Verbotes einer Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung gilt jedoch im Hinblick auf den durch Art. 19 Abs. 4 GG gewährleisteten wirksamen Rechtschutz dann nicht, wenn die erwarteten Nachteile bei einem Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache unzumutbar wären und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg in der Hauptsache spricht.

9

Es besteht vorliegend jedenfalls im Hinblick auf eine mögliche Ordnungswidrigkeit des Erbringens der beschriebenen angebotenen Dienstleistung gemäß § 21 Absatz 1 Nr. 30 (Verstoß gegen das Verbot außerschulische Bildungsangebote als Präsenzveranstaltung durchzuführen) der Corona-Bekämpfungsverordnung eine besondere Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) und das Abwarten einer rechtskräftigen Entscheidung im Verfahren der Hauptsache ist für den Antragsteller nicht zumutbar.

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Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stellt der Verweis auf ein im etwaigen Bußgeldverfahren zur Verfügung stehendes Rechtsmittel keinen ausreichenden effektiven Rechtsschutz dar. Einem Betroffenen sei es nicht zuzumuten, die Klärung verwaltungsrechtlicher Zweifelsfragen „auf der Anklagebank“ erleben zu müssen. Der Betroffene habe vielmehr ein schutzwürdig anzuerkennendes Interesse daran, den Verwaltungsrechtsweg als fachspezifischere Rechtsschutzform einzuschlagen, insbesondere, wenn ein Ordnungswidrigkeitsverfahren oder Strafverfahren droht. Seien die Gerichte zur Sachprüfung verpflichtet, könnten sie sich auch einer Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren insoweit nicht entziehen (BVerfG, Beschluss vom 7. März 2003 – 1 BvR 2129/02 – NVwZ 2003, 856). Dies bedeutet für den vorliegenden Fall, dass sowohl ein Bedürfnis für eine gerichtliche Eilentscheidung vorliegt, als auch, dass einer gerichtlichen Eilentscheidung nicht der Grundsatz des Verbots einer Vorwegnahme der Entscheidung in der Hauptsache entgegensteht.

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1. Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch nur insoweit glaubhaft gemacht, als seine Lerntherapie für Kinder- und Jugendliche eine Eingliederungshilfe nach § 35 a SGB VIII darstellt und die weiteren Auflagen des § 16 Corona-BekämpfVO erfüllt werden.

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Nach § 16 Abs. 1 Corona-BekämpfVO sind Angebote der Kinder- und Jugendhilfe im Rahmen des SGB VIII nur zulässig, soweit sie dem präventiven oder intervenierenden Kinder- und Jugendschutz dienen. Wie vom Antragsteller vorgetragen und vom Antragsgegner in Bezug auf zwei Kinder bestätigt, werden in der Praxis des Antragstellers auch Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe nach § 35a SGB VIII erbracht. Diese Leistungen sind von § 16 Abs. 1 Corona-BekämpfVO erfasst. Zur Begründung dieser Regelung führt der Verordnungsgeber aus, dass „Angebote der Kinder- und Jugendhilfe auch unter gegebenen Rahmenbedingungen ermöglicht werden, sofern sie und soweit sie aus dringenden Kinderschutzgesichtspunkten erforderlich sind. Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe sind und bleiben verpflichtet, den Kinderschutz durch die Aufrechterhaltung von im Einzelfall zwingend gebotene Maßnahmen und Angeboten fortzuführen. Dies kann im Einzelfall auch Kleingruppenangebote mit erzieherischen beziehungsweise pädagogisch-therapeutischen Angeboten betreffen“ (vgl. https://www.schleswig-holstein.de/DE/Schwerpunkte/Coronavirus/Erlasse/210108_CoronaVO.html, zuletzt abgerufen am 12. Januar 2021). Die vom Antragsteller angebotene integrative Lerntherapie stellt – soweit es sich um eine Eingliederungshilfe nach § 35a VIII handelt – eine zwingend notwendige Maßnahme zum Kinder- und Jugendschutz dar. Der Jugendhilfeträger ist nach § 35a VIII verpflichtet, diese therapeutische Maßnahme zu erbringen, da anderenfalls die seelische Gesundheit der Kinder gefährdet ist. Soweit der Antragsgegner darauf verweist, dass auch für diese Kinder ein Online-Angebot ausreichen würde, überzeugt dies nicht. Der Antragsteller hat insoweit nachvollziehbar glaubhaft gemacht, dass bei seelisch gefährdeten Kindern nach § 35a SGB VIII ein bloßes Online-Angebot nicht ausreicht.

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2. Darüber hinaus ist der Antrag des Antragstellers indes unbegründet. Die von ihm betriebene Lerntherapie ist nach § 12a Corona-BekämpfVO als Präsenzbetrieb untersagt. Nach dieser Vorschrift sind außerschulische Bildungsangebote als Präsenzveranstaltung unzulässig. Dieser Vorschrift liegt (dabei) ein weites Begriffsverständnis außerschulischer Bildungsangebote zugrunde (vgl. auch OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30. Dezember 2020 – 13 B 1787/20.NE –, juris, Rn. 61), das jegliche Art von Unterricht umfasst, sofern er nicht der Regelung des § 12 Corona-BekämpfVO unterliegt. Dies folgt neben dem Wortlaut der Vorschrift aus der Systematik der Verordnung sowie aus der Begründung. Aus der Systematik ergibt sich, dass § 12 Corona-BekämpfVO die schulischen Bildungseinrichtungen und -angebote erfasst, während ergänzend hierzu § 12a der Verordnung Regelungen zu außerschulischen Bildungsangeboten trifft. Dass ein weites Verständnis der außerschulischen Bildungsangebote gemeint ist, ergibt sich aus der Begründung des Verordnungsgebers. Danach umfassen außerschulische Angebote „sämtliche Bildungsangebote und Bildungsstätten, die nicht unter § 12 fallen“ (vgl. https://www.schleswig-holstein.de/DE/Schwerpunkte/Coronavirus/Erlasse/210108_CoronaVO.html, zuletzt abgerufen am 12. Januar 2021). Klarstellend wird weiter aufgeführt, dass hierunter u.a. auch Fahrschulen fallen und damit auch Angebote erfasst werden, die einem engen Verständnis von Bildung und Unterricht nicht entsprechen würden.

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Ist danach ein weites Begriffsverständnis zugrunde zu legen und soll damit jegliche Art von Unterricht einbezogen werden, ist auch die vom Antragsteller betriebene Lerntherapie als außerschulisches Bildungsangebot zu subsumieren. Der Antragsteller beschreibt seine Lerntherapie nach dem Fachverband für integrative Lerntherapie e.V. als eine „Therapieform zur Behandlung von Lernstörungen wie Legasthenie und Dyskalkulie. Lernstörungen werden von den internationalen Klassifikationssystemen als umschriebene Entwicklungsstörungen schulischer Fähigkeiten definiert. Sie treten häufig in Kombination sowie i.V.m weiteren Störungen auf, wie z.B. Aufmerksamkeitsstörungen (ADHS). Lernstörungen bestehen von früher Kindheit an, erkennbar werden sie zumeist erst mit Schulbeginn. Es sind andauernde Störungen, teilweise mit Krankheitswert. Sie erfordern eine fachkundige und individualisierte Diagnostik und Therapie, welche in einer integrativen Lerntherapie geleistet werden. Die integrative Lerntherapie ermöglicht den Aufbau der Schlüsselkompetenzen Lesen, Schreiben, Rechnen. Darüber hinaus wird die seelische Gesundheit gestärkt und eine angemessene Teilhabe am gesellschaftlichen Leben sichergestellt.“

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Die so vom Antragsteller beschriebene Lerntherapie vermittelt Unterrichtsinhalte mit therapeutischen Ansätzen. Ziel der Lerntherapie ist Wissensvermittlung für Menschen mit Lese-Rechtschreibschwächen, Dyslexie oder weiteren Lernschwächen. Dabei geht es um die Vermittlung schulischen Wissens und der Fähigkeit, die schulischen Anforderungen zu erfüllen. Denn vorrangig ist es Aufgabe der Schule die Fähigkeiten des Lesens, Rechnens und Schreibens sowie weitere Fähigkeiten zu vermitteln (vgl. § 4 SchulG SH). Der Antragsteller mag dabei andere Methoden und pädagogisch-psychologische Ansätze der Vermittlung der schulischen Fähigkeiten verfolgen als dies herkömmlich in den Schulen der Fall ist. Im Vordergrund seines Angebots steht (dabei) aber nicht die Therapie von Störungen, sondern die Vermittlung von Wissen und schulischen Fähigkeiten.

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Soweit die vom Antragsteller angebotene Lerntherapie begrifflich auch als eine Dienstleistung nach § 9 Corona-BekämpfVO subsumiert werden könnte, geht § 12a Corona-BekämpfVO als lex specialis der allgemeinen Regelung des § 9 Corona-BekämpfVO vor.

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Darüber hinaus handelt es sich bei der Lerntherapie des Antragstellers zudem nicht um eine medizinisch notwendige Dienstleistung nach § 9 Corona-BekämpfVO. Hier hat der Antragsteller schon nicht glaubhaft gemacht, dass er auf ärztliche Verordnung – im Gegensatz zu ärztlichem Anraten – hin tätig wird. Zwar mögen seine Kunden unter einem hohen seelischen Druck stehen und aus ihrer Sicht, eine Lerntherapie zwingend notwendig erscheinen. Dies allein führt allerdings nicht zu einer medizinischen Notwendigkeit. Dies unterscheidet die vom Antragsteller betriebene Lerntherapie zudem von der Ergotherapie, welche auf ärztliche Verordnung hin erfolgt. Ergänzend weist die Kammer daraufhin, dass der Antragsteller als Lerntherapeut psychische Störungen wie beispielsweise die vom ihm beschriebenen Depressionen oder Suizidgedanken von Kunden nicht behandeln dürfte, sofern er nicht über eine entsprechende Ausbildung bzw. Erlaubnis verfügt (vgl. § 1 HeilprG). Inwiefern es sich bei der Tätigkeit des Antragstellers um einen Gesundheits- oder Heilberuf im Sinne des § 9 Corona-BekämpfVO handelt, kann vor diesem Hintergrund dahinstehen.

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Nach alledem ist festzustellen, dass außerhalb der Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII die vom Antragsteller angebotene Lerntherapie als Präsenzveranstaltung nach § 12a Corona-BekämpfVO unzulässig ist.

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Die in § 12a Corona-BekämpfVO enthaltene Untersagung außerschulischer Bildungsangebote mittels Präsenzveranstaltungen ist verhältnismäßig, weil sie mit dem Infektionsschutz ein legitimes Ziel verfolgt und dabei geeignet, erforderlich und angemessen ist.

20

Die Untersagung außerschulischer Bildungsangebote in Präsenz dient der Beschränkung menschlicher Kontakte, um eine weitere Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 mit negativen Folgen für die Kontaktnachverfolgung und für die begrenzten intensivmedizinischen Kapazitäten schleswig-holsteinischer Krankenhäuser zu verhindern, nachdem die Infektionszahlen in Deutschland flächendeckend stark angestiegen sind und sich das Ausbruchsgeschehen in der weit überwiegenden Zahl der Fälle nicht mehr zurückverfolgen lässt. Es ist Aufgabe des Verordnungsgebers, dem insoweit eine Einschätzungsprärogative zukommt, die abstrakte Gefahr für die Funktionsfähigkeit insbesondere der intensivmedizinischen Krankenversorgung und letztlich für die Volksgesundheit einzuschätzen. Dass die Bewertung des Verordnungsgebers offensichtlich unzutreffend und damit rechtswidrig wäre, ist nicht erkennbar.

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Nachvollziehbar festzustellen ist insoweit, dass die Anzahl der intensivmedizinisch behandelten COVID-19-Fälle stark ansteigend ist und per Stand 6. Januar 2021 in Schleswig-Holstein zwölf Kreise bzw. kreisfreie Städte die Zahl von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner und Woche, ab der es für die Gesundheitsbehörden zunehmend schwierig wird, die Ansteckungen nachzuverfolgen, überschritten haben (vgl. u. a. OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 9. November 2020 – 3 MR 60/20, Rn. 35 m. w. N.).

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Die Regelung des § 12a Corona-BekämpfVO ist auch geeignet und erforderlich, um die Corona-SARS-CoV-2-Pandemie zu bekämpfen. Mildere, gleichermaßen geeignete Mittel als das Verbot von Präsenzveranstaltungen für außerschulische Bildungsangebot sind nicht ersichtlich. Soweit der Antragsteller das Infektionsrisiko unter Verweis auf sein Hygienekonzept und die Steuerung der Kundenzahl in seiner Lerntherapiepraxis als gering einschätzt, vermag dies die Erforderlichkeit nicht in Frage zu stellen. Das von Bund und Ländern beschlossene Konzept zur Vermeidung einer akuten nationalen Gesundheitsnotlage basiert nicht auf dem Gedanken, besondere Infektionsherde auszuschalten, sondern generell Kontakte in der Fläche zu reduzieren (vgl. Beschluss von Bund und Ländern zur Bekämpfung der Coronavirus-Pandemie vom 5. Januar 2021, abrufbar unter: 2021-01-05-beschluss-mpk-data.pdf (bundesregierung.de), zuletzt abgerufen am 12. Januar 2021). Vor diesem Hintergrund ist nicht entscheidungserheblich, ob das Infektionsrisiko durch den Praxisbetrieb des Antragstellers wesentlich erhöht ist. Zudem stellt ein Hygienekonzept keine in gleicher Weise geeignete Maßnahme dar. Auch bei Beachtung des nicht in Abrede gestellten Hygienekonzepts, tritt eine Erweiterung der persönlichen Kontakte durch vorübergehende Änderung des Kontaktumfelds der Kunden des Antragstellers ein. So besteht nicht nur die Gefahr, das Infektionsgeschehen weiter zu tragen und das Virus zu verbreiten; im Falle einer Virusübertragung auf dem Weg zu der Praxis des Antragstellers besteht zudem die Gefahr, dass eine Kontaktnachverfolgung nicht möglich wäre (so bereits OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 9. November 2020 – 3 MR 60/20 –, juris Rn. 36).

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Die Beschränkung der außerschulischen Bildungsangebote auf einen Online-Betrieb – mithin die Untersagung des Präsensbetriebes – ist auch angemessen. Das Verbot dient wie die übrigen in der Corona-BekämpfVO angeordneten Maßnahmen dazu, Kontakte zu beschränken bzw. zu vermeiden, um die exponentiell wachsende Zahl der Neuinfektionen deutlich zu reduzieren und damit das öffentliche Gesundheitswesen spürbar zu entlasten. Dadurch sollen die Gesundheitsämter wieder in die Lage versetzt werden, Infektionsketten möglichst lückenlos zurückzuverfolgen. Gleichfalls muss es unter allen Umständen vermieden werden, die Krankenhausversorgung zu überlasten. Dies gilt umso mehr, als bereits jetzt festzustellen ist, dass ausreichendes (Intensiv-)Pflegepersonal nicht zur Verfügung steht und bis zu einem voraussichtlichen Greifen der Lockdown-Maßnahmen auf den Intensivstationen noch voraussichtlich noch weitere Wochen vergehen werden. So ist der 7-Tages-Inzidenzwert seit Inkrafttreten der neueren Beschränkungen am 16. Dezember 2020 nicht wesentlich gesunken, sondern lag am 6. Januar 2021 bei 79,1 und am 12. Januar gar bei 98 (vgl. Robert-Koch-Institut, RKI - Coronavirus SARS-CoV-2 - COVID-19: Fallzahlen in Deutschland und weltweit, abgerufen am 12. Januar 2021).

24

Die damit einhergehenden Einschränkungen der Berufsfreiheit des Antragstellers stehen im Verhältnis zu diesem Zweck, weil insbesondere keine gänzliche Untersagung der Tätigkeit des Antragstellers aus der Regelung folgt. Vielmehr ist es ihm weiterhin möglich, seine Lerntherapie vorübergehend über Online-Angebote wahrzunehmen. Dass dies nicht umsetzbar wäre, ist nicht ersichtlich und macht der Antragsteller nicht glaubhaft. Das Institut für integrative Lerntherapie und Weiterbildung bietet hierzu auf seinem Internetauftritt Informationen und führt Beispiele einer Online-Lerntherapie auf (vgl. Beitrag von Christine Falk-Frühbrodt, https://www.iflw.de/blog/lerntherapie-lerntherapeut/wie-geht-online-lerntherapie/, zuletzt abgerufen am 12. Januar 2021).

25

Dass die Lerntherapie weiterhin in anderen Bundesländern erlaubt ist, führt zu keinem anderen Ergebnis, weil vorliegend allein auf den schleswig-holsteinischen Verordnungsgeber abzustellen ist.

26

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG.


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