Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (8. Kammer) - 8 B 24/21

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 € festgesetzt.

Gründe

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Der am 4. Mai 2021 gestellte Antrag,

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der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, dem Antragsteller bzw. dessen Verfahrensbevollmächtigten unverzüglich Einsicht in die Bauakte für das Bauvorhaben … Straße …in … zu gewähren,

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hat keinen Erfolg. Der Antrag ist nur teilweise zulässig und im Übrigen unbegründet.

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Der Antrag ist mangels Rechtsschutzbedürfnisses bereits unzulässig, soweit der Antragsteller mit dem vorliegenden Antrag über die bei der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 19. November 2020 beantragte Einsichtnahme in die Baugenehmigung für das „Bauvorhaben … Straße …. in …“ hinaus Einsicht in die Bauakte begehrt. Der Antragsteller ist gehalten, zunächst bei der Antragsgegnerin einen Antrag auf Zugang zu den von ihm begehrten Informationen zu stellen (vgl. entsprechend zum Anwendungsbereich des IFG: Schoch IFG/Schoch, 2. Aufl. 2016, IFG § 9 Rn. 90; VG Berlin, Urteil vom 16. Juli 2013 – 2 K 282.12, BeckRS 2015, 50332, beck-online), was im Hinblick auf die Einsichtnahme in die Bauakte für das Bauvorhaben … Straße …. in … nach allen erkennbaren Umständen unterblieben ist, soweit dies nicht die in der Akte enthaltene Baugenehmigung selbst betrifft (vgl. Antragsschreiben vom 19. November 2020 sowie Schreiben vom 2. März 2021, Bl. 2 a sowie 3 der Beiakte „A“). Im Übrigen ist der Antrag zulässig.

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Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung des Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung notwendig erscheint, um insbesondere wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern. § 123 Abs. 1 VwGO setzt ein Bedürfnis für die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund) sowie einen sicherungsfähigen Anspruch (Anordnungsanspruch) voraus. Maßgeblicher Zeitpunkt für die gerichtliche Prüfung, ob ein Anordnungsgrund gegeben ist, ist stets die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (Thüringer Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 27. Juli 2017 – 3 EO 354/17 –, Rn. 3, juris: Bayerischer VGH, Beschluss vom 4. Juli 2017 - 1 CE 17.694 – juris). Die tatsächlichen Voraussetzungen für die besondere Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) und das Bestehen eines zu sichernden Rechts (Anordnungsanspruch) sind glaubhaft zu machen, § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO. Zielt der Antrag nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO – wie hier – auf eine Vorwegnahme der Hauptsache, kann ihm nur dann entsprochen werden, wenn dem Antragsteller ohne sofortige Befriedigung des Anspruchs schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung eine Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr führen könnte und wenn zudem ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für den Erfolg in der Hauptsache spricht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. November 2013 - 6 VR 3/13 - juris Rn. 5 m.w.N.).

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Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Zwar steht dem Antragsteller ein Anordnungsanspruch zur Seite (1.). Es fehlt jedoch an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes, der die Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigt (2.).

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1. Ein Anspruch des Antragstellers auf Einsichtnahme in die Akten ergibt sich zunächst nicht aus § 88 Abs. 1 LVwG. Diese Vorschrift betrifft nach ihrem ausdrücklichen Wortlaut nur die Akteneinsicht durch „Beteiligte“ im Sinne des § 78 Abs. 1 LVwG. Der Antragsteller war an dem auf den Erlass der Baugenehmigung gerichteten Verwaltungsverfahren nicht beteiligt. Maßgebend ist insoweit nicht eine etwaige rechtliche Betroffenheit, sondern allein die formelle, durch den formellen Akt der Antragstellung, der Eröffnung des Verfahrens gegen eine Person oder der Beiladung begründete Stellung im Verfahren (Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein, Urteil vom 13. Dezember 1994 – 4 K 1/94 –, Rn. 30 - 31, juris, m.w.N.). Es ist weder hinreichend dargelegt noch sonst ersichtlich, dass der Antragsteller von der Antragsgegnerin zu dem maßgeblichen Baugenehmigungsverfahren in seiner Eigenschaft als Nachbar i.S.d. § 78 Abs. 1 Nr. 4 LVwG hinzugezogen oder sonst beteiligt worden ist. Die Antragsgegnerin hat im Rahmen ihrer Antragserwiderung unwidersprochen dargelegt, dass dies gerade nicht der Fall gewesen ist. Der Antragsteller hat weiterhin nicht dargelegt, dass er ein bauaufsichtliches Einschreiten in Bezug auf das maßgebliche Bauvorhaben beantragt hat, weswegen er auch nicht aus diesem Grund als Beteiligter i.S.d. § 78 Abs. 1 LVwG anzusehen ist.

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Auch ein Anspruch auf Informationszugang nach behördlichem Ermessen scheidet aus. Ein solcher (ungeschriebener) Anspruch auf ermessensfehlerfreie behördliche Entscheidung – etwa analog § 88 LVwG, aus Treu und Glauben oder dem Rechtsstaatsprinzip –, der außerhalb eines konkreten Verwaltungsverfahrens von Bedeutung ist, wenn der Anspruchsteller ein berechtigtes Interesse nachweisen kann, setzt voraus, dass das geschriebene Recht eine Regelung zum Informationszugang nicht kennt (vgl. zum Ganzen: Schoch in: Informationsfreiheitsgesetz, Kommentar, 2. Aufl. 2016, Einleitung Rn. 38 m.w.N.). Eine solche Regelungslücke besteht indes nicht; denn in Schleswig-Holstein gilt das Informationszugangsgesetz (IZG-SH) vom 19. Januar 2012 (GVOBl. S. 89), das bezweckt, den rechtlichen Rahmen für den freien Zugang zu Informationen bei informationspflichtigen Stellen sowie für die Veröffentlichung und Verbreitung dieser Informationen zu schaffen (§ 1 Abs.1 IZG-SH) und für jede natürliche und juristische Person einen Anspruch auf freien Zugang zu den Informationen, über eine informationspflichtige Stelle verfügt (§ 3 Satz 1 IZG-SH), normiert (Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein, Beschluss vom 25. März 2021 – 3 LB 2/17 –, Rn. 42 - 44, juris).

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Der Antragsteller hat indes glaubhaft gemacht, dass ihm ein Verfügungsanspruch aus § 3 Satz 1 IZG-SH zur Seite steht. Die Antragsgegnerin und auch das Gericht sind verpflichtet, das Akteneinsichtsgesuch des Antragstellers rechtlich umfänglich und damit auch unter dem Gesichtspunkt eines Anspruches nach § 3 Satz 1 IZG-SH zu prüfen. Eine ausdrückliche Bezugnahme auf das IZG-SH im Rahmen des Antrages bzw. des Verwaltungsverfahrens war entgegen der Rechtsauffassung der Antragsgegnerin nicht erforderlich (vgl. so auch Karg, PdK, A 16 SH, IZG-SH, Kommentar, § 4, S. 3). Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm liegen vor. Danach hat jede natürliche oder juristische Person ein Recht auf freien Zugang zu den Informationen, über die eine informationspflichtige Stelle verfügt. Der Antragsteller ist als natürliche Person grundsätzlich informationsrechtlich anspruchsberechtigt. Die Antragsgegnerin ist auch eine informationspflichtige Stelle i.S.d. § 2 Abs. 3 Nr. 1 IZG-SH. Sie hat auch nicht bestritten, dass sie über die begehrten Informationen verfügt (vgl. § 2 Abs. 5 IZG-SH). Ausschlussgründe nach §§ 9, 10 IZG-SH stehen dem geltend gemachten Anspruch auf Informationszugang nicht entgegen. Der Antragsgegnerin obliegt die Darlegungslast für das Vorliegen von Ausschlussgründen (Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht, Urteil vom 15. Dezember 2020 – 8 A 759/17, m.V.a. Schoch, Informationsfreiheitsgesetz, Zweiter Teil. Kommentar Vorbemerkung §§ 3 bis 6 Rn. 61, beck-online). Dabei müssen die Angaben der darlegungspflichtigen Behörde zwar nicht so detailliert sein, dass Rückschlüsse auf die geschützte Information möglich sind. Sie müssen aber so detailliert und nachvollziehbar sein, dass das Vorliegen des geltend gemachten Ausschlussgrundes vom Gericht geprüft und das Vorliegen des Geheimhaltungsgrundes für die betreffenden Unterlagen tatsächlich angenommen werden kann (vgl. VG Stuttgart, Urteil vom 17. Mai 2011 – 13 K 3505/09 –, Rn. 72, juris). Hieran mangelt es vorliegend. Die Antragsgegnerin hat in ihrer Antragserwiderung keinen substantiierten Hinweis auf das Vorliegen eines Ausschlussgrundes i.S.v. §§ 9, 10 IZG-SH gegeben. Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus dem pauschalen Verweis auf „datenschutzrechtliche Gründe“ in der außergerichtlichen Korrespondenz (vgl. Bl. 2 c. d. Beiakte „A“). Es ist auch nicht ohne weiteres erkennbar, dass etwa der Ausschlussgrund des § 10 Satz 1 Nr. 1 IZG-SH der Gewährung eines Informationszugangs entgegensteht. Denkbar ist insbesondere, dass eine juristische Person (ursprüngliche) Bauherrin des streitgegenständlichen Bauvorhabens gewesen ist, so dass ggf. schon keine personenbezogenen Daten i.S.v. Art. 4 Nummer 1 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung – nachfolgend: DS-GVO) von dem Informationszugang betroffen sind (vgl. hierzu auch: Paal/Pauly/Ernst, 3. Aufl. 2021, DS-GVO Art. 4 Rn. 5). So hat der Antragsteller insbesondere darauf hingewiesen, dass bis zum 23. Oktober 2018 die „Projektentwicklung L. GmbH“ Eigentümerin des maßgeblichen Grundstücks gewesen ist.

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2. Dem vorliegenden Antrag muss gleichwohl der Erfolg versagt bleiben, da es an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes fehlt, welcher die begehrte Vorwegnahme der Hauptsache in dem vorliegenden Einzelfall rechtfertigen würde. Das Gericht verkennt insoweit nicht, dass der Antragsteller maßgeblich darauf verwiesen hat, dass die Verjährung etwaiger Ansprüche gegenüber den (vormaligen) Bauherren, deren Identität er mittels der beantragten Einsichtnahme in die Baugenehmigung offenlegen will, mit Schluss dieses Jahres droht. Derartiges ist jedoch deswegen nicht hinreichend ersichtlich, weil die Regelung des § 199 Abs. 1 BGB vorsieht, dass die regelmäßige Verjährungsfrist, soweit nicht ein anderer Verjährungsbeginn bestimmt ist, mit dem Schluss des Jahres beginnt, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Kommen mehrere Beteiligte als Anspruchsgegner in Betracht, laufen für jeden der Beteiligten gesonderte Verjährungsfristen. Die Verjährungsfrist gegenüber dem tatsächlich Ersatzpflichtigen beginnt erst, wenn der Geschädigte keine begründeten Zweifel mehr über Person und Verantwortlichkeit hat (vgl. BeckOK BGB/Spindler, 58. Ed. 1.5.2021, BGB § 199 Rn. 41, m.w.N.) Für eine grob fahrlässige Unkenntnis bestehen, auch angesichts der in Gestalt der Antragstellung ergriffenen Maßnahme, derzeit gleichermaßen keine hinreichenden Anhaltspunkte. Soweit der Antragsteller darauf hinweist, dass er seitens der derzeitigen Eigentümerin dazu aufgefordert worden sei, die Kosten des bereits vor dem Landgericht Kiel angestrengten Beweissicherungsverfahrens (Az. 10 OH 1/21) zu übernehmen, ist jedenfalls nicht erkennbar, dass hierdurch Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung eine Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr führen könnte. Insgesamt ist nach den von dem Antragsteller dargelegten Umständen nicht hinreichend ersichtlich, dass dem Antragsteller derzeit ein endgültiger Rechtsverlust droht, der die Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigen könnte.

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Der Antrag war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1, 63 Abs. 2 GKG. Eine Reduzierung des Auffangstreitwertes findet in dem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes – entsprechend der ständigen Rechtsprechung der Kammer – nicht statt.


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