Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (1. Kammer) - 1 B 94/21

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 10.000 € festgesetzt.

Gründe

1

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat keinen Erfolg.

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Der Antrag ist dahingehend auszulegen, dass die Antragsteller die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen die in dem Bescheid des Antragsgegners vom 1. Juni 2021 ausgesprochene Ablehnung der Aufenthaltserlaubnis (Ziffer 1 des Bescheides) sowie gegen die Abschiebungsandrohung (Ziffer 3 des Bescheides) begehren. Dies entspricht dem Wortlaut des gestellten Antrages, der sich insgesamt auf den Bescheid vom 1. Juni 2021 bezieht, sowie dem erkennbaren Rechtsschutzziel der Antragsteller, welches ersichtlich darauf gerichtet ist, dass die Antragsteller im Bundesgebiet bleiben können und nicht ausreisen müssen. Der Antrag ist über den ausdrücklichen Wortlaut hinaus zudem dahingehend auszulegen, dass die Antragsteller daneben den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO mit dem Ziel der vorläufigen Verpflichtung des Antragsgegners zur Aussetzung einer Abschiebung begehren. Dagegen wenden sich die Antragsteller gegenwärtig nicht gegen das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit Befristung für den Fall einer Abschiebung.

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1. Der Antrag ist nicht zulässig, soweit die Antragsteller die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs nach § 80 Abs. 5 Satz 1 1. Alt. VwGO gegen die Ablehnung des Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis durch Ziffer 1 des Bescheides des Antragsgegners vom 1. Juni 2021 begehren. Zwar haben Klage und Widerspruch gegen die Ablehnung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO in Verbindung mit § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG keine aufschiebende Wirkung. Gleichwohl ist ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen die Ablehnung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nur dann statthaft, wenn die kraft Gesetzes sofort vollziehbare Ablehnung den Antragstellern ihr durch die Antragstellung begründetes Aufenthaltsrecht nach § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG (sog. Erlaubnisfiktion) oder die sog. Fortgeltungsfiktion nach § 81 Abs. 4 AufenthG nimmt (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 8. Februar 2006 – 13 S 18/06 – juris, Rn. 9; Nds. OVG, Beschluss vom 12. Dezember 2013 – 8 ME 162/13 – juris, Rn. 17). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Der bei dem Antragsgegner gestellte Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis führte nicht nach § 81 Abs. 3 AufenthG zu einem vorläufig erlaubten Aufenthalt, weil die Antragsteller sich nicht – wie die Vorschrift es voraussetzt – rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten haben. Da die Antragsteller auch nicht im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis waren, kommt auch eine Fiktion des Fortbestehens einer Aufenthaltserlaubnis nach § 81 Abs. 4 AufenthG nicht in Betracht. Hat ein Antrag auf Verlängerung oder Neuerteilung einer Aufenthaltserlaubnis weder eine gesetzliche noch eine angeordnete Erlaubnis- oder Fiktionswirkung, die durch eine ablehnende Entscheidung der Ausländerbehörde beendet werden könnte, kommt vorläufiger Rechtsschutz nur nach § 123 VwGO in Betracht (Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 3. Juni 2020 – 2 M 35/20 –, juris).

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2. Der Antrag der Antragsteller auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen die Abschiebungsandrohung in Ziffer 3 des Bescheides vom 1. Juni 2021 ist nach § 80 Abs. 5 Satz 1 1. Alt. VwGO statthaft, weil gemäß § 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO in Verbindung mit § 248 Abs. 1 Satz 2 LVwG der Widerspruch gegen Maßnahmen, die in der Verwaltungsvollstreckung getroffen werden – dazu gehört auch der Erlass einer Abschiebungsandrohung – keine aufschiebende Wirkung hat.

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Der Antrag ist jedoch insoweit unbegründet, weil die Androhung der Abschiebung nach Afghanistan unter Bestimmung einer Frist für die freiwillige Ausreise in Ziffer 2 und 3 des Bescheides vom 1. Juni 2021 offensichtlich rechtmäßig ist, sodass die im Rahmen einer Entscheidung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO erforderliche Interessenabwägung zulasten der Antragsteller ausfällt.

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Der Erlass einer Abschiebungsandrohung setzt grundsätzlich eine Ausreisepflicht voraus. Die Antragsteller sind nach § 50 Abs. 1 AufenthG kraft Gesetzes ausreisepflichtig. Nach dieser Vorschrift ist ein Ausländer zur Ausreise verpflichtet, wenn er einen erforderlichen Aufenthaltstitel nicht oder nicht mehr besitzt und ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei nicht oder nicht mehr besteht. Die Antragsteller besitzen jedenfalls seit dem rechtskräftigen Abschluss ihres Asylverfahrens keinen Aufenthaltstitel. Die Abschiebungsandrohung wurde nach Maßgabe des § 59 AufenthG erlassen. Gemäß § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist die Abschiebung unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen 7 und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Dass der Antragsgegner hier die Frist auf einen Monat bestimmt hat, ist nach § § 59 Abs. 1 Satz 4 AufenthG zulässig und angemessen. Besondere Umstände des Einzelfalles, die einen noch längeren Zeitraum zur Folge hätte, sind nicht ersichtlich. Das Vorliegen von Abschiebungsverboten und Gründen für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung stünde gemäß § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG dem Erlass der Abschiebungsandrohung nicht entgegen. Die Rechtmäßigkeit einer Abschiebungsandrohung würde auch nicht die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht voraussetzen (vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 20. Februar 2009 – 18 A 2620/08 –, juris). Die Ausreisepflicht ist allerdings vorliegend nach § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG vollziehbar, weil der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht gemäß § 81 Abs. 3 AufenthG bzw. § 81 Abs. 4 AufenthG zu einem als erlaubt bzw. fortbestehend geltenden rechtmäßigen Aufenthalt geführt hat.

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3. Ein Antrag nach § 123 VwGO mit dem Ziel den Antragsgegner zu verpflichten, die Abschiebung auszusetzen, bleibt ebenfalls ohne Erfolg, da es an einem Anordnungsgrund fehlt.

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Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte oder wenn die Regelung eines vorläufigen Zustandes erforderlich ist, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Erforderlich sind danach das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, also die Eilbedürftigkeit einer Entscheidung, und ein Anordnungsanspruch, d.h. ein Anspruch auf die begehrte Maßnahme.

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Vorliegend fehlt es schon an einem Anordnungsgrund. Zwar wurde den Antragstellern eine Abschiebung mit dem Bescheid vom 1. Juni 2021 angedroht. Derzeitig sind allerdings Abschiebungen nach Afghanistan ausgesetzt (vgl. Mitteilung des Bundesinnenministeriums vom 11. August 2021, https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/pressemitteilungen/DE/2021/08/aussetzung-abschiebung.html). Zudem hatte auch der Antragsgegner bereits zuvor unter Verweis auf den Erlass des Ministeriums für Inneres, ländliche Räume und Integration vom 18. Juni 2019 – IV 225 – mitgeteilt, dass eine Abschiebung der Antragsteller nach Afghanistan nicht möglich und nicht geplant sei. Dass sich dies jederzeit ändern kann, wie die Antragsteller vortragen, ist nicht ersichtlich.

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4. Mangels Erfolgsaussichten war aus o.g. Gründen der Antrag auf Prozesskostenhilfe nach § 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO abzulehnen.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Der Streitwert wurde gemäß § 63 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 2 i. V. m. § 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz festgesetzt. Auf den Auffangwert des § 52 Abs. 2 GKG ist die in Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vorgesehene Reduzierung nicht anwendbar (vgl. OVG Schleswig, Beschluss vom 29. Mai 2015 – 3 O 23/15 –; Beschluss vom 10. August 1995 – 3 O 19/95 –; jeweils nicht veröffentlicht).


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