Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (12. Kammer) - 12 B 46/21

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 10.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

1

Der Antrag der Antragstellerin auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom xxx in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Kreises B-Stadt vom xxx ist zulässig, aber unbegründet.

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Gegen die Rechtmäßigkeit der Untersagungsverfügung des Antragsgegners und des Widerspruchsbescheides des Kreises B-Stadt bestehen weder in formeller noch in materieller Hinsicht durchgreifende rechtliche Bedenken.

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In formeller Hinsicht sind die Voraussetzungen der Vorschrift des § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO erfüllt. Nach dieser Bestimmung ist im Falle des § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO, in dem die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von einer Behörde angeordnet wird, das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung schriftlich zu begründen. Sinn und Zweck dieses Begründungszwanges ist es, die Behörde zu veranlassen, sich des Ausnahmecharakters der Vollzugsanordnung bewusst zu werden, und die Frage, ob das öffentliche Interesse die sofortige Vollziehung erfordert, sorgfältig zu prüfen. Außerdem soll die Begründung dem Betroffenen die Beurteilung der Erfolgsaussichten eines Aussetzungsantrages ermöglichen und dem Gericht die Erwägungen der Verwaltungsbehörde, die zu der Anordnung der sofortigen Vollziehung geführt haben, nachvollziehbar und überprüfbar machen (std. Rspr. der Kammer, vgl. etwa Beschluss vom 07.10.2014 -12 B 32/14 - juris Rn. 3 m.w.N.).

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Diesen Anforderungen genügt die für die sofortige Vollziehung gegebene Begründung des Antragsgegners. Sie lässt erkennen, dass er sich des Ausnahmecharakters des Sofortvollzuges bewusst gewesen ist und die sachlichen Gründe für die sofortige Vollziehung im Schutz der Allgemeinheit vor weiteren finanziellen Schäden durch die Antragstellerin und in der Befürchtung bzw. Erwartung sieht, dass sie bis zum Abschuss des Verfahrens in der Hauptsache weitere Abgaben- bzw. Beitragsrückstände entstehen lässt. Dass diese Gründe (teilweise) auch bei der Begründung der Gewerbeuntersagung selbst aufgeführt sind, ist nicht zu beanstanden. Denn das besondere Vollzugsinteresse kann im Gewerberecht als Gefahrenabwehrrecht mit dem allgemeinen Interesse am Erlass des Verwaltungsaktes zusammenfallen (vgl. Beschlüsse der Kammer vom 17.02.2011 – 12 B 5/11 – und vom 06.06.2012 – 12 B 65/12 unter Hinweis auf Tettinger/Wank, GewO, 8. Aufl., § 35 Rn. 170 f).

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In materieller Hinsicht wiegt das öffentliche Interesse an der Vollziehung der Untersagungsverfügung schwerer als das private Aufschubinteresse der Antragstellerin.

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Die gerichtliche Entscheidung nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO ergeht auf der Grundlage einer umfassenden Interessenabwägung. Gegenstand der Abwägung sind einerseits das private Aufschubinteresse der Antragstellerin daran, vom Vollzug der Untersagungsverfügung vorerst verschont zu bleiben, und andererseits das öffentliche Interesse an deren Vollziehung. Im Rahmen dieser Interessenabwägung können Erkenntnisse wie Rechtmäßigkeit und Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes Bedeutung erlangen, wenn aufgrund der gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Überprüfung Erfolg oder Misserfolg des Rechtsbehelfs offensichtlich erscheinen. Ergibt die rechtliche Prüfung des angefochtenen Bescheides, dass dieser offensichtlich rechtmäßig ist, führt dies regelmäßig zu Ablehnung des Antrages nach § 80 Abs. 5 VwGO.

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So liegt es hier.

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Zur Begründung nimmt die Kammer zunächst in entsprechender Anwendung des § 117 Abs. 5 VwGO Bezug auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Bescheide.

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Ergänzend bzw. vertiefend ist noch Folgendes auszuführen:

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Gewerberechtlich unzuverlässig im Sinne des § 35 Abs. 1 GewO ist derjenige, der keine Gewähr dafür bietet, dass er sein Gewerbe in Zukunft ordnungsgemäß ausüben kann. Unzuverlässigkeit in diesem Sinne ist u. a. anzunehmen im Falle der Nichterfüllung steuerlicher Erklärungs- und Zahlungsverpflichtungen (vgl. Marcks in: Landmann/Rohmer, GewO, § 35 Rn. 49 mit zahlreichen weiteren Nachweisen aus Literatur und Rechtsprechung). Steuerverbindlichkeiten können im Rahmen der Unzuverlässigkeitsprognose dann negativ bewertet werden, wenn sie sowohl nach absoluter Höhe als auch im Verhältnis zur Gesamtbelastung des Gewerbetreibenden von einigem Gewicht sind (vgl. BVerwG, Beschluss vom 29.01.1988 - 1 B 164/87 - juris Rn. 3; VGH München, Beschluss vom 19.10.2020 - 22 ZB 20.362 - juris Rn. 13). Darüber hinaus kann die Annahme der Unzuverlässigkeit aus einer lange andauernden wirtschaftlichen Leistungsunfähigkeit abzuleiten sein, die infolge des Fehlens von Geldmitteln eine ordnungsgemäße Betriebsführung im allgemeinen und die Erfüllung öffentlich-rechtlicher Zahlungsverpflichtungen im Besonderen verhindert, ohne dass Anzeichen für eine Besserung erkennbar sind (BVerwG, Beschluss vom 29.01.1988, a.a.O.). Der Untersagungsgrund der wirtschaftlichen Leistungsunfähigkeit fällt nur dann weg, wenn der Gewerbetreibende zahlungswillig ist und – trotz seiner Schulden – nach einem sinnvollen und erfolgversprechenden Sanierungskonzept arbeitet (BVerwG, U. v. 02.02.1982 – 1 C 94/78, juris Rn. 15; BeckOK GewO/Brüning, GewO § 35 Rn. 23a).

11

Unter Steuerrückständen sind solche Steuern zu verstehen, die der Steuerpflichtige noch nicht gezahlt hat, obwohl er sie von Rechts wegen hätte entrichten müssen. Die Verwaltungsbehörde, die die weitere Gewerbeausübung untersagen will, und die Verwaltungsgerichte, die diese Verfügung überprüfen, sind nicht verpflichtet, die Rechtmäßigkeit der Steuerfestsetzung durch die Finanzbehörden zu prüfen (BVerwG, Beschluss vom 29.01.1988 a.a.O. Rn. 4). Weiterhin unerheblich ist auch, ob sich die Steuerschulden gemäß § 162 Abgabenordnung - AO - aus geschätzten oder exakt ermittelten Besteuerungsgrundlagen ergeben (BVerwG, Beschluss vom 29.01.1988 - a.a.O.).

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Ein Verschulden im Sinne eines moralischen oder ethischen Vorwurfs oder ein Charaktermangel auf Seiten des Gewerbetreibenden sind nicht Voraussetzung einer Gewerbeuntersagung wegen Unzuverlässigkeit (ständige Rechtsprechung seit BVerwG, Urteil vom 02. 02.1982 - 1 C 146/80 - juris Rn. 15).

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Unter Zugrundelegung dieser Kriterien ist die Antragsgegnerin zutreffend zu der Überzeugung gelangt, dass die Antragstellerin gewerberechtlich unzuverlässig ist. Bereits unter dem 05.09.2019 hatte das Finanzamt B-Stadt dem Antragsgegner mitgeteilt, dass sich die Steuerrückstände der Antragstellerin auf 217.006,30 € beliefen. Diese Rückstände sind im Laufe der Zeit noch gewachsen; nach Auskunft des Finanzamtes beliefen sie sich zum 28.11.2019 bereits auf 220.137,30 € und nunmehr (Stand: xxx), d. h. etwa zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides, auf den für die rechtliche Beurteilung maßgeblich abzustellen ist, auf 244.222,94 €. Das Finanzamt hat ferner mitgeteilt, dass den steuerlichen Verpflichtungen nur unregelmäßig nachgekommen werde und auch die Einkommenssteuererklärungen für xxx und xxx noch ausstünden.

14

Hinzu kommt, dass die Antragstellerin Gewerbesteuerrückstände in Höhe von 174.012,16 € aufweist und eine Kontopfändung bis auf einen Betrag von 250,00 € erfolglos verlaufen ist.

15

Ein tragfähiges Tilgungskonzept oder Vorschläge zur Reduzierung der Rückstände hat die Antragstellerin ebenfalls nicht abgegeben.

16

Die Gewerbeuntersagung war auch erforderlich und verhältnismäßig. Die Interessen des Steuerfiskus fallen in den Schutzbereich des Untersagungstatbestandes und rechtfertigen eine Gewerbeuntersagung und die Verhinderung der gewerblichen Betätigung. Eine solche Untersagung ist regelmäßig nicht unverhältnismäßig. Der Umstand, dass der Antragstellerin durch die Untersagung der Gewerbeausübung die Möglichkeit der (selbständigen) Einkommenserzielung genommen und sie möglicherweise auf die Inanspruchnahme von Sozialleistungen angewiesen sein wird, vermag die Verhältnismäßigkeit der Gewerbeuntersagung nicht in Frage zu stellen.

17

Auch die vom Antragsgegner angeordnete erweiterte Gewerbeuntersagung ist rechtlich nicht zu beanstanden. Nach der Bestimmung des § 35 Abs. 1 S. 2 GewO kann die Untersagung auch auf die Tätigkeit als Vertretungsberechtigter eines Gewerbetreibenden oder als mit der Leitung eines Gewerbebetriebes beauftragten Person sowie auf einzelne andere oder auf alle Gewerbe erstreckt werden, soweit die festgestellten Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Gewerbetreibende auch für diese Tätigkeiten oder Gewerbe unzuverlässig ist. Diese Voraussetzungen liegen regelmäßig dann vor, wenn der Gewerbetreibende solche Pflichten verletzt hat, die für jeden Gewerbetreibenden ohne Rücksicht auf die Branche gelten. Insbesondere die Nichterfüllung steuerrechtlicher Verpflichtungen kann - wie hier - eine solche gewerbeübergreifende Unzuverlässigkeit begründen. Die Erstreckung ist insoweit zulässig, als sie erforderlich ist. Das ist dann der Fall, wenn von dem Gewerbetreibenden ein Ausweichen in andere gewerbliche Tätigkeiten zu erwarten ist. Hierfür müssen keine positiven Anhaltspunkte gegeben sein. Die Wahrscheinlichkeit der anderweitigen Gewerbeausübung ergibt sich regelmäßig schon daraus, dass der Gewerbetreibende - wie hier die Antragstellerin - trotz Unzuverlässigkeit an seiner gewerblichen Tätigkeit festhält; denn durch solch ein Festhalten an dem tatsächlich ausgeübten Gewerbe hat er regelmäßig seinen Willen bekundet, sich auf jeden Fall gewerblich zu betätigen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 02.02.1982 a. a. O. Rn. 34).

18

Schließlich liegt die sofortige Vollziehung auch im besonderen öffentlichen Interesse. Ein solches Interesse an der sofortigen Vollziehung (Dringlichkeitsinteresse) an der Gewerbeuntersagungsverfügung ist dann gegeben, wenn die begründete Besorgnis besteht, dass der unzuverlässige Gewerbetreibende einen der vielfältigen berechtigten Belange der Allgemeinheit, zu denen u. a. die des Steuerfiskus gehören, dadurch weiterhin gefährdet, dass er sein Fehlverhalten im Anschluss an die behördliche Gewerbeuntersagung ggf. auch während des Hauptsacheverfahrens fortsetzt (vgl. Beschlüsse der Kammer vom 13.05.2008 - 12 B 16/08 - und vom 17.02.2011 - 12 B 5/11 - n. v. mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des BVerwG). Eine solche Gefährdung ist dann anzunehmen, wenn - wie hier - zu erwarten ist, dass dem Fiskus die jeweils neu entstehenden Abgaben erneut und über längere Zeit hinweg vorenthalten werden und die Abgabenrückstände ansteigen oder der Gewerbetreibende seine steuerlichen Verpflichtungen nach wie vor nicht erfüllt.

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Die Androhung unmittelbaren Zwanges findet ihre Rechtsgrundlage in §§ 236 Abs. 1, 235 Abs. 1 Nr. 3 LVwG.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; der Wert des Streitgegenstandes ist gem. §§ 52 Abs. 1, 63 Abs. 2 iVm Ziffer 54.2.1, 2 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit festgesetzt worden.


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