Urteil vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (6. Kammer) - 6 A 166/19
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
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Die Klägerin wendet sich gegen eine Äußerung des ehemaligen Bürgermeisters der Beklagten in einer Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses.
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Die Klägerin war vom 28.09.2017 bis zum 31.05.2018 zweite stellvertretende Bürgermeisterin der Beklagten. Sie wohnt mit ihrem Lebensgefährten Herrn XX in der A-Straße in A-Stadt. Der Fußgängerweg vor dem Grundstück weist bereits seit mehreren Jahren erhebliche Mängel auf. Diesbezüglich kontaktierte Herr XX das Bauamt der Beklagten mehrfach, um eine Reparatur zu erwirken. Nach ihrer Ernennung zur zweiten stellvertretenden Bürgermeisterin begleitete die Klägerin ihren Lebensgefährten zu einem Gespräch im Bauamt der Beklagten.
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Am 19.03.2018 fand eine Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses der Beklagten statt. Im nichtöffentlichen Teil dieser Sitzung äußerte sich der damalige Bürgermeister der Beklagten, Herr XX, über einen Sachverhalt, der die Klägerin betraf. Die Anlage gemäß § 15 der Geschäftsordnung zur Niederschrift der Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses am 19.03.2018 enthält dazu unter der Überschrift „Zu TOP 16 Personalangelegenheiten“ die folgende Formulierung:
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„Herr Bürgermeister XX erläuterte eine mögliche Pflichtverletzung von Frau Stv. A. im Hinblick auf die getätigten Aussagen von Herrn XX in einem Pressebericht der SPD. Weiterhin ist zu prüfen, ob gegen Frau Stv. A. ein Verstoß gegen beamtenrechtliche Vorschriften aufgrund einer Vorteilsannahme im Amt vorliegt. Herr Bürgermeister XX führte hierzu aus, dass Frau Stv. A. kurz nach ihrer Ernennung zur zweiten Stellvertretenden des Bürgermeisters im FB 4 vorstellig wurde, um eine Entscheidung zur Reparatur des Fußgängerweges vor dem Haus von Herrn XX, in welchem sie ebenfalls wohnhaft ist, zu erhalten.
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Frau Stv. A. teilte daraufhin mit, dass Herr XX bereits vor mehreren Jahren einen Antrag zur Reparatur des Gehweges gestellt hat, wobei sie selbst zu diesem Zeitpunkt noch nicht dort wohnhaft war. Insofern sei im vorliegenden Fall kein Zusammenhang zum Amt der zweiten Stellvertretenden des Bürgermeisters erkennbar.
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Der Haupt- und Finanzausschuss kam überein, dass Herr Bürgermeister XX die Vorwürfe schriftlich fixieren und dem Ausschuss vorlegen soll. Der Haupt- und Finanzausschuss wird sich in einer der kommenden Sitzungen mit den Vorwürfen beschäftigen und über das weitere Vorgehen beraten.“
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Mit Schreiben vom 27.09.2018 wies die Klägerin die Beklagte darauf hin, dass die Behauptungen jeder Grundlage entbehrten und sie unberechtigt in ihrer Ehre angreifen würden. Sie habe einen Anspruch auf Widerruf dieser ehrverletzenden Äußerung aufgrund der ihr gegenüber bestehenden Fürsorge- und Schutzpflicht sowie unter dem Gesichtspunkt der Folgenbeseitigung. Diese Forderungen wiederholte die Klägerin mit Schreiben vom 15.02.2019 und forderte zudem die Berichtigung des Protokolls der Sitzung des Hauptausschusses vom 19.03.2018. Sodann erhob die Klägerin mit Schreiben vom 12.03.2019 Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Bürgermeister XX und stützte sich zur Begründung auf die Äußerung im Haupt- und Finanzausschuss sowie auf den ihr nach ihrer Ansicht zustehenden Protokollberichtigungsanspruch.
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Am 09.07.2019 hat die Klägerin Klage erhoben. Klagebegründend trägt sie vor, Bürgermeister XX habe ihre Ehre verletzt, indem er in der Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses erklärt habe, dass eine Pflichtverletzung durch sie möglich sei und mithin ein Verstoß gegen beamtenrechtliche Vorschriften aufgrund einer Vorteilsannahme im Amt zu prüfen sei. Durch entsprechende Ermittlungen, z. B. eine Befragung ihrer Person, hätte Bürgermeister XX erkennen können, dass es keinerlei Anhaltspunkte für eine Pflichtverletzung und erst recht nicht für eine Vorteilsannahme im Amt gebe. Dann hätte er berichten können, dass sie in vorbildlicher Weise Person und Amt getrennt und zusätzlich klargestellt habe, dass sie ihren Lebensgefährten als Privatperson begleite. Sie sei nicht in ihrer Rolle als zweite stellvertretende Bürgermeisterin, sondern als Privatperson aufgetreten. Auch der zweiten stellvertretenden Bürgermeisterin sei es gestattet, ihren Lebensgefährten in das Rathaus zu begleiten und sich wie jedes Gemeindemitglied hinsichtlich ihrer Anliegen an die Verwaltung zu wenden. Selbst wenn sie sich in dem Gespräch im Bauamt als Privatperson für die Reparatur des Bürgersteigs eingesetzt habe, ergebe sich daraus nicht der Verdacht der Verletzung dienstlicher Pflichten. Wenn dies der Fall sei, könne sie als Trägerin kommunalpolitischer Ämter schon nicht mehr das Rathaus betreten, da sich daraus bereits ein böser Anschein ableiten ließe. Ein Bericht dieser Art und Weise sei nicht erforderlich gewesen, vielmehr habe der Bürgermeister zunächst das Gespräch mit ihr suchen müssen. Die Äußerung verstoße gegen das Sachlichkeitsgebot, da sie auf sachfremden Erwägungen beruhe. Der Bürgermeister XX habe nach ihrem Eindruck die Gelegenheit genutzt, sie zu diskreditieren. Der Dienstherr habe solchen unberechtigten Angriffen auf die Ehre der Beamtin zu begegnen. Dies habe die Beklagte zunächst auch richtig gesehen, indem Bürgermeister XX zur schriftliche Fixierung der Vorwürfe und Vorlage an den Ausschuss aufgefordert worden sei. Über eine anschließende weitere Beschäftigung und Beratung wäre dann eine Richtigstellung möglich gewesen. Dies sei unterblieben, sodass der Angriff auf ihre Ehre nicht aus dem Weg geräumt sei und fortwirke, zumal sie noch immer kommunalpolitisch aktiv sei.
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Die Klägerin beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, durch Erklärung im Haupt- und Finanzausschuss klarzustellen, dass ihr im Zusammenhang mit der Reparatur des Fußgängerweges vor dem Haus des Herrn XX, A-Straße in A-Stadt, keinerlei Fehlverhalten vorzuwerfen ist,
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die Niederschrift der Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses vom 19.03.2018, TOP 16, um die Klarstellung zu ergänzen, dass es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Klägerin gegen beamtenrechtliche Vorschriften verstoßen habe, insbesondere keine Vorteilsannahme im Amt vorliege.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung führt sie aus, der Bürgermeister habe wegen der anstehenden Kommunalwahlen und der Beendigung des Ehrenbeamtenverhältnisses von der Übereinkunft Abstand genommen. Eine inhaltliche Diskussion oder Wertung des Vorfalles habe nicht mehr stattgefunden. Ein Kontroll- oder Initiativrecht nach § 45b GO habe der Haupt- und Finanzausschuss nicht wahrgenommen. Der Bürgermeister werde die beanstandeten Äußerungen nicht wiederholen. Die Klage sei bereits unzulässig, da der Klägerin keine Klagebefugnis zustehe. Bei der streitbefangenen Äußerung handele es sich um ein Werturteil. Es gehe vorliegend um eine rechtliche Einschätzung und nicht um ein dem Beweis zugängliches Ereignis. Es fehle auch an der ernsthaften Möglichkeit, dass der Klägerin ein Unterlassungsanspruch als „Minus“ zur Seite stehe. Der Bürgermeister sei zu der Äußerung, es sei zu prüfen, ob in dem Verhalten der Klägerin ein Verstoß gegen beamtenrechtliche Vorschriften aufgrund einer Vorteilsnahme im Amt vorliege, befugt. Der Bürgermeister sei kein politisches Neutrum. Er sei berechtigt, eine wertende Stellungnahme abzugeben. Dabei unterliege er dem Sachlichkeitsgebot. Gegen dieses habe der Bürgermeister nicht verstoßen. Anlass für seine rechtliche Einschätzung sei eine zutreffende Tatsachengrundlage gewesen, sie beruhe nicht auf sachfremden Erwägungen. Da die Äußerung im nichtöffentlichen Teil der Sitzung stattgefunden habe, lasse sich nicht bestreiten, dass der Bürgermeister keinen Einfluss auf den politischen Meinungsbildungsprozess der Bevölkerung zu nehmen versucht habe. Darüber hinaus sei die Klage unbegründet, da kein öffentlich-rechtlicher Folgenbeseitigungsanspruch bzw. kein öffentlich-rechtlicher Unterlassungsanspruch bestehe.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage hat insgesamt keinen Erfolg.
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Der erste Antrag ist zulässig, aber unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die begehrte klarstellende Erklärung. Ein solcher Anspruch ergibt sich zunächst nicht aus dem hierfür einschlägigen Folgenbeseitigungsanspruch.
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Ein derartiger Anspruch setzt voraus, dass durch einen hoheitlichen Eingriff in ein subjektives Recht ein rechtswidriger Zustand geschaffen wurde, der noch andauert. Er ist auf die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes durch Beseitigung der Folgen des rechtswidrigen Verwaltungshandelns gerichtet und besteht nur dann, wenn die Wiederherstellung des früheren Zustandes tatsächlich noch möglich und rechtlich zulässig ist und ferner nur dann, wenn der fragliche Zustand nicht z. B. durch einen bestandskräftigen Verwaltungsakt legalisiert ist (vgl. VG München, Beschluss vom 08.08.2019 – M 18 E 19.32238 –, juris Rn. 27, m.w.N; vgl. Riese in: Schoch/Schneider, 41. EL Juli 2021, § 113 Rn. 91; Wolff in: Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 5. Auflage 2018, § 113 Rn. 212 ff.). Bei der Frage der Rechtswidrigkeit des andauernden Zustandes ist auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung zum Folgenbeseitigungsanspruch abzustellen (vgl. Riese in: Schoch/Schneider, Verwaltungsgerichtsordnung, 41. EL Juli 2021, § 113 Rn. 91).
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Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Es kann offenbleiben, ob überhaupt ein Eingriff in ein subjektives Recht gegeben ist. Es ist nicht ersichtlich, dass die Äußerungen des ehemaligen Bürgermeisters sich negativ auf das Bild der Klägerin auswirken können, da diese im nichtöffentlichen Teil der Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses getätigt wurden und die Mitglieder über den Inhalt zur Verschwiegenheit verpflichtet sind (vgl. zur ehrverletzenden Wirkung einer unrichtigen Tatsachenbehauptung in einer nichtöffentlichen Sitzung: VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 18.11.1991 – 1 S 1088/90 –, juris Rn. 24). Der Bürgermeister der Beklagten hat über die mögliche Pflichtverletzung der Klägerin nur die Mitglieder der Stadtvertretung informiert. Die Mitglieder der Stadtvertretung sind gemäß § 21 Abs. 2 GO zur Verschwiegenheit verpflichtet, solange der Bürgermeister sie von der Verschwiegenheitspflicht nicht befreit, § 21 Abs. 3 GO. Eine solche Entbindung von der Schweigepflicht ist nicht erfolgt. Dass diese Äußerung bzw. das diese Aussage enthaltende Protokoll über den nichtöffentlichen Teil der Sitzung nach außen gedrungen ist, ist nicht ersichtlich.
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Jedenfalls liegt kein rechtswidriger Zustand vor (vgl. so auch VG Schleswig, Beschluss vom 30.05.2016 – 6 B 11/16 –, juris Rn. 38), weil die beanstandete Äußerung des ehemaligen Bürgermeisters XX keinen rechtlichen Bedenken begegnet.
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Öffentliche Äußerungen von Amtsträgern sind dann gerechtfertigt, wenn sie den hoheitlichen Kompetenzrahmen wahren und dem Sachlichkeitsgebot als Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips gerecht werden. Das verlangt, dass die jeweilige Äußerung in einem konkreten Bezug zur Erfüllung der hoheitlichen Aufgabe steht, Werturteile auf einem im Wesentlichen zutreffenden oder zumindest sachgerecht und vertretbar gewürdigten Tatsachenkern fußen und weder auf sachfremden Erwägungen beruhen noch den sachlich gebotenen Rahmen überschreiten (vgl. VGH Bayern, Beschluss vom 24.09.2019 – 4 CE 19.337 –, juris Rn. 19; OVG Bremen, Beschluss vom 31.05.2021 – 1 B 150/21 –, juris Rn. 20; OVG Schleswig, Beschluss vom 17.01.2017 – 3 MB 30/16 –, n. v.).
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Diese Grenzen hoheitlich zulässiger Aussagen sind vorliegend gewahrt. Zuerst tätigte der Bürgermeister die Äußerung in seinem organisatorischen Aufgabenbereich. Ob Äußerungen einer Amtsperson in einem funktionalen Zusammenhang mit dem Amt stehen, also dienstlich veranlasst sind, oder als rein persönliche Meinungsäußerung seiner Privatsphäre zugeordnet sind, beurteilt sich nach den gesamten Umständen des Einzelfalls. Da auch einem Amtsträger – als Privatperson – das Grundrecht der Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG zusteht, sind auch Äußerungen zu Angelegenheiten, die die Öffentlichkeit betreffen, nicht ohne vorherige Differenzierung automatisch der Amtsführung zuzurechnen (vgl. VGH Bayern, Beschluss vom 24.09.2019 – 4 CE 19.337 –, juris Rn. 11). Vorliegend bewegte sich der Bürgermeister XX mit seiner Äußerung in seinem hoheitlichen Kompetenzrahmen. Ein Bürgermeister hat im Rahmen der Aufgabenzuweisung seiner Gemeinde eine prinzipielle Befugnis zu kommunalpolitischen Stellungnahmen, d. h. eine Äußerungsbefugnis zu allen Themen, welche die Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft betreffen (vgl. OVG Schleswig, Beschluss vom 17.01.2017 – 3 MB 30/16 –, n. v., m. w. N.). Hier stand die Äußerung des Bürgermeisters im Zusammenhang mit der Amtsausübung der Klägerin und ihrer Position als zweite Stellvertretende des Bürgermeisters. Daraus ergibt sich bereits ein hinreichender Bezug zur örtlichen Gemeinschaft. Diese Äußerung hat der Bürgermeister im Rahmen des nichtöffentlichen Teils der Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses getätigt, der er ausweislich der Teilnehmerliste auch in seiner Funktion als Bürgermeister beiwohnte.
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Auch das Sachlichkeitsgebot ist gewahrt. Die Anforderungen an die Rechtmäßigkeit einer behördlichen Äußerung unterscheiden sich maßgeblich danach, ob eine Äußerung als Tatsachenbehauptung oder als Werturteil einzustufen ist (vgl. OVG Bremen, Beschluss vom 31.05.2021 – 1 B 150/21 –, juris Rn. 25; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 15.08.2018 – OVG 5 S 14.18 –, juris Rn. 7).
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Vorliegend war die beanstandete Aussage des Bürgermeisters durch Werturteile geprägt. Auch wenn der Beklagten und ihren Amtsträgern, soweit sie sich in dieser Eigenschaft äußern, das Grundrecht des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG nicht zukommt, gilt die Abgrenzung von Tatsachenbehauptung und Werturteil auch für amtliche Äußerungen (vgl. VGH Bayern, Beschluss vom 24.09.2019 – 4 CE 19.337 –, juris Rn. 14 f.). Tatsachenbehauptungen unterscheiden sich von Werturteilen dadurch, dass für Werturteile die subjektive Beziehung des sich Äußernden zum Inhalt seiner Aussage kennzeichnend ist, während Tatsachenbehauptungen durch die objektive Beziehung zwischen Äußerung und Wirklichkeit charakterisiert werden (vgl. VGH Bayern, Beschluss vom 24.09.2019 – 4 CE 19.337 –, juris Rn. 14, m. w. N.). Tatsachenbehauptungen setzen voraus, dass sie einer objektiven Klärung zugänglich sind und sich die Richtigkeit der Gesamtbehauptung durch eine Beweiserhebung klären lässt. Daher können Tatsachenbehauptungen von Amtsträgern nur aufrechterhalten werden, wenn sie sich als wahr erweisen. Sie sind rechtswidrig, wenn sie unwahr sind. Demgegenüber sind Werturteile durch das Element der wertenden Stellungnahme geprägt. Wegen ihres subjektiven Einschlags entziehen sie sich der Überprüfung als wahr oder unwahr. Sie sind in ihrer subjektiven Färbung erkennbar und erheben keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit, sondern stellen sich nur als eine von vielen möglichen Meinungen dar, die man teilen oder ablehnen kann (vgl. OVG Bremen, Beschluss vom 31.05.2021 – 1 B 150/21 –, juris Rn. 25, m. w. N.).
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Ob die Äußerungen sich als Tatsachenbehauptung oder als Werturteil darstellen, ist nach dem Gesamtkontext zu beurteilen, in dem sie gefallen sind, und darf nicht aus ihrem Zusammenhang herausgelöst einer rein isolierten Betrachtung zugeführt werden. Die Abgrenzung von Werturteilen und Tatsachenbehauptungen kann zwar schwierig sein, weil häufig erst beide gemeinsam den Sinn einer Äußerung ausmachen. Eine Trennung der tatsächlichen und wertenden Bestandteile ist aber nur zulässig, wenn dadurch der Sinn der Äußerung nicht verfälscht wird. Wo das nicht möglich ist, muss die Äußerung, jedenfalls wenn der tatsächliche Gehalt gegenüber der Wertung in den Hintergrund tritt, insgesamt als Werturteil angesehen werden, mit der Folge, dass an den Nachweis der tatsächlichen Grundlagen geringere Anforderungen zu stellen sind (vgl. OVG Bremen, Beschluss vom 31.05.2021 – 1 B 150/21 –, juris Rn. 26, m. w. N.). Für die Ermittlung des Erklärungsinhalts ist dabei darauf abzustellen, wie die Äußerung unter Berücksichtigung des allgemeinen Sprachgebrauchs von einem unvoreingenommenen Durchschnittsempfänger verstanden wird (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 15.08.2018 – OVG 5 S 14.18 –, juris Rn. 7, m. w. N.).
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Unter Heranziehung dieser Maßstäbe handelte es sich bei der Äußerung des ehemaligen Bürgermeisters XX um ein Werturteil. Die Frage, ob eine Vorteilsannahme im Amt bzw. eine beamtenrechtliche Pflichtverletzung vorliegt, ergibt sich aus einer juristischen Subsumtion der tatsächlichen Umstände unter die entsprechenden Rechtsnormen und ist damit eine Rechtsmeinung. Eine Rechtsmeinung kann nicht als „wahr“ oder „unwahr“ eingestuft werden und ist damit als Meinungsäußerung zu qualifizieren. Beinhaltet die angegriffene Äußerung ein Werturteil in Form einer Rechtsmeinung, genügt sie den rechtsstaatlichen Anforderungen an die Einhaltung des Sachlichkeitsgebots. In diesem Fall kommt es nicht darauf an, ob sich vertretene Ansicht auch als richtig erweist, sondern lediglich auf die sachliche Vertretbarkeit der in den Äußerungen zum Ausdruck kommenden Rechtsaufassung (vgl. OVG Bremen, Beschluss vom 31.05.2021 – 1 B 150/21 –, juris Rn. 30; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 15.08.2018 – OVG 5 S 14.18 –, juris Rn. 13). So liegt es hier. Der ehemalige Bürgermeister hat keine bestimmten Tatsachen herausgestellt, sondern vielmehr die vorliegenden tatsächlichen Umstände selbstständig bewertet und eine mögliche Rechtsauffassung hierzu geäußert. Dabei hat er nicht einmal deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er sich dieser Rechtsauffassung anschließt oder dass abweichende Rechtsmeinungen nicht vertretbar seien. Er hat lediglich von der Möglichkeit einer Pflichtverletzung berichtet, eine abschließende rechtliche Beurteilung sollte gerade erst noch erfolgen. Die Beklagte musste die Äußerung auch nicht als eigene Position kennzeichnen und damit eine Verabsolutierung vermeiden, noch auf Unsicherheiten und Unklarheiten bei der Tatsachengrundlage und der rechtlichen Bewertung hinweisen. Eines Hinweises auf abweichende Rechtsauffassungen oder ähnliches bedurfte es ebenfalls nicht (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 15.08.2018 – OVG 5 S 14.18 –, juris Rn. 20). Angesichts der im Kern unstreitigen tatsächlichen Umstände, die zu der gegenständlichen Äußerung geführt haben, ist die Möglichkeit einer Pflichtverletzung bzw. einer Vorteilsannahme im Amt auch nicht von vornherein vollkommen ausgeschlossen oder derart abwegig, dass der Anstoß einer Überprüfung nicht vertretbar war.
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Zudem legt der ehemalige Bürgermeister XX seiner Äußerung einen hinreichend zutreffenden Tatsachenbezug zugrunde. So bezieht er sich auf Tatsachen, die im Grundsatz zwischen den Beteiligten unstreitig sind, nämlich auf den Umstand, dass die Klägerin ihren Lebensgefährten zeitlich nach ihrer Ernennung zur zweiten stellvertretenden Bürgermeisterin zu einem Termin im Bauamt begleitete, bei dem es um die Reparatur des vor dem gemeinsam bewohnten Haus befindlichen Gehweges ging. Insoweit hat Bürgermeister XX seine Äußerung auf einen zutreffenden Tatsachenkern gestützt.
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Außerdem dürfen die Äußerungen im Hinblick auf das mit der Äußerung verfolgte sachliche Ziel im Verhältnis zu den Grundrechtspositionen, in die eingegriffen wird, nicht unverhältnismäßig sein. Das Sachlichkeitsgebot verlangt in diesem Kontext keine überzogene Zurückhaltung oder gar Neutralität eines Bürgermeisters. Ein Bürgermeister hat eine besondere Repräsentations- und Integrationsfunktion für die Gemeinde; er ist kein „politisches Neutrum“. Er darf auch Missstände anprangern (OVG Schleswig, Beschluss vom 17.01.2017 – 3 MB 30/16 –, n. v.). Hoheitsträger haben jedoch als Grundrechtsverpflichtete bei ihren Äußerungen zu berücksichtigen, ob und in welcher Intensität ihre Äußerungen zu mittelbaren Grundrechtsbeeinträchtigungen führen. Wie bei anderen staatlichen Maßnahmen auch sind Hoheitsträger bei ihren Äußerungen dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verpflichtet. Unnötige Übertreibungen und Zuspitzungen haben deshalb bei öffentlichen Äußerungen von Hoheitsträgern zu unterbleiben (vgl. OVG Bremen, Beschluss vom 31.05.2021 – 1 B 150/21 –, juris Rn. 37).
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Daran gemessen ist die Äußerung nicht unverhältnismäßig. In der Mitteilung des ehemaligen Bürgermeisters XX sind keine Übertreibungen oder Zuspitzungen erkennbar. Sie beschränkt sich auf die Mitteilung einer möglichen rechtlichen Bewertung des geschilderten Sachverhaltes. Die Wortwahl ist weder polemisch noch diffamierend, sondern wirkt vielmehr vorsichtig gewählt und weist ausdrücklich darauf hin, dass es sich noch nicht um das feststehende Ergebnis der Prüfung handelt, sondern um eine Möglichkeit, die zu überprüfen ist. Der Bürgermeister war auch nicht verpflichtet, zuerst das Gespräch mit der Klägerin zu suchen, um den Sachverhalt weiter aufzuklären und zu prüfen. Mit seiner Äußerung stieß Bürgermeister XX entsprechende Ermittlungen gerade an. Zu berücksichtigen ist weiter, dass die Klägerin ebenfalls an der Sitzung am 19.03.2018 teilgenommen hat und die damit einhergehende Gelegenheit zur sofortigen Erwiderung ausweislich des Protokolls auch genutzt hat.
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Des Weiteren ergibt sich auch aus der Fürsorge- und Schutzpflicht des Dienstherrn nach § 45 Satz 1 des Gesetzes zur Regelung des Statusrechts der Beamtinnen und Beamten in den Ländern (Beamtenstatusgesetz – BeamtStG) i. V. m. § 6 Abs. 1 des Landebeamtengesetzes (LBG) kein Anspruch auf die begehrte klarstellende Erklärung, da aus den o. g. Gründen keine Pflichtverletzung des Dienstherrn vorliegt.
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Auch der auf Protokollergänzung gerichtete zweite Antrag ist zulässig, aber unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die begehrte Protokollergänzung.
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Zunächst folgt ein solcher Anspruch auf Klarstellung in der Niederschrift der Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses der Beklagten vom 19.03.2018 nicht aus § 41 GO. Die darin enthaltenen Regelungen enthalten keine Bestimmung zu einer Ergänzung des Protokolls, sondern nur zu Einwendungen gegen die Niederschrift der Gemeindevertretung, vgl. § 41 Abs. 2 GO. Danach entscheidet über Einwendungen gegen die Niederschrift die Gemeindevertretung. Allerdings sind hier keine Einwendungen in diesem Sinne gegeben. Einwendungen gegen die Niederschrift liegen vor, wenn Mindestbestandteile fehlen, fehlerhaft dargestellt sind oder der geschilderte Verlauf der Beratungen anders gewesen ist (vgl. Dehn in: Bracker/Dehn, Gemeindeordnung Schleswig-Holstein, Kommentar, Stand: August 2018, § 41 Rn. 11). So liegt es hier nicht. Es wird von keinem der Beteiligten geltend gemacht, dass die Niederschrift unzutreffende Feststellungen enthält. Vielmehr besteht Einigkeit dahingehend, dass sich die Äußerung wie festgehalten zugetragen hat. Die Klägerin begehrt lediglich, dass zusätzlich nachträgliche Feststellungen aufgenommen werden. Ziel der Niederschrift ist es jedoch, den Ablauf von Sitzungen und die gefassten Beschlüsse zu dokumentieren und später nachvollziehbar zu machen (vgl. Dehn in: Bracker/Dehn, Gemeindeordnung Schleswig-Holstein, Kommentar, Stand: August 2018, § 41 Rn. 1). Daneben sind Aussagen und Vorkommnisse zu dokumentieren, die rechtlich bedeutsam sind oder sein können. Bei der Protokollierung des Verlaufs von Beratungen kommt es nur auf das tatsächlich Gesagte oder Geschehene, nicht hingegen auf die inhaltliche Richtigkeit oder Wahrheit des Gesagten oder Geschehen an (vgl. Dehn in: Bracker/Dehn, Gemeindeordnung Schleswig-Holstein, Kommentar, Stand: August 2018, § 41 Rn. 5). Demnach ist die Niederschrift nicht zu beanstanden und auch nicht nach § 41 Abs. 2 GO zu korrigieren.
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Ein Anspruch auf die Ergänzung des Protokolls aus dem Folgenbeseitigungsanspruch liegt aus den gleichen Gründen ebenfalls nicht vor.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 709 Satz 1 ZPO. Sie ist auch bei auf die Vornahme hoheitlichen Handelns gerichteten Urteilen aufgrund von Leistungsklagen entsprechend § 167 Abs. 2 VwGO auf die Kosten beschränkt (vgl. OVG Schleswig, Urteil vom 24.06.2020 – 5 KN 1/19 –, juris Rn. 95, m. w. N.).
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Referenzen
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- § 21 Abs. 3 GO 1x (nicht zugeordnet)
- § 41 Abs. 2 GO 2x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 154 1x
- VwGO § 167 2x
- ZPO § 709 Vorläufige Vollstreckbarkeit gegen Sicherheitsleistung 1x
- 1 S 1088/90 1x (nicht zugeordnet)
- Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (6. Kammer) - 6 B 11/16 1x
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- 3 MB 30/16 3x (nicht zugeordnet)
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