Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (6. Kammer) - 6 B 10/22

Tenor

Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Sitzung des Ausschusses für Kultur und Denkmalpflege am 14.3.2022 in Form einer Videokonferenz zu ermöglichen.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 5.000,00 € festgesetzt.

Gründe

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Der zulässige Antrag,

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den Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten, die Sitzung des Ausschusses für Kultur und Denkmalpflege am 14.3.2022 in Form einer Videositzung zu ermöglichen, ist begründet.

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Gemäß § 123 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragsstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Satz 1). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden, oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint (Satz 2). Gemäß den § 123 Abs. 3 VwGO, § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) hat der Antragsteller sowohl die Eilbedürftigkeit der begehrten gerichtlichen Regelung (Anordnungsgrund) als auch seine materielle Anspruchsberechtigung (Anordnungsanspruch) glaubhaft zu machen.

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Vorliegend hat der Antragsteller sowohl einen Anordnungsgrund als auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.

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Der Anordnungsgrund in Form der Eilbedürftigkeit ergibt sich bereits daraus, dass die streitgegenständliche Sitzung des Ausschusses für Kultur und Denkmalpflege für den 14.3.2022 um 16 Uhr geplant ist. Die endgültige Ablehnung des Antragsgegners, einen Fall höherer Gewalt anzuerkennen und die Durchführung der Sitzung in Form einer Videokonferenz zu ermöglichen, erfolgte erst am 6.3.2022 und damit wenige Tage vor Beginn der geplanten Sitzung. Dabei hat es für die Eilbedürftigkeit keine Bedeutung, ob vergangene Veranstaltungen in Präsenz stattgefunden haben. Gegenstand des vorliegenden Antrags ist allein die Ausschusssitzung am 14.3.2022. Auch der Umstand, dass zu einer Präsenzveranstaltung und nicht zu einer Videokonferenz geladen wurde, lässt die Eilbedürftigkeit nicht entfallen. Dies betrifft lediglich die rechtmäßige Einberufung des Ausschusses.

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Dem Antragsteller steht auch ein Anordnungsanspruch zur Seite. Dieser ergibt sich aus § 2a Abs. 1, Abs. 2, Abs. 6 der Hauptsatzung der A-Stadt vom 19.6.2003 (in der Fassung der Änderungssatzung vom 11.2.2021; im Folgenden: Hauptsatzung) in Verbindung mit § 6 Abs. 9 der Geschäftsordnung für die Bürgerschaft der A-Stadt einschließlich Richtlinien über die Einwohnerfragestunde vom 3.4.2003 (einschließlich Änderungen vom 11.2.2021; im Folgenden: Geschäftsordnung). Entgegen der Auffassung des Antragsgegners ist nicht § 35a der Gemeindeordnung für Schleswig-Holstein (GO) die Rechtsgrundlage. Diese Norm ermöglicht den Kommunen lediglich, eine entsprechende Regelung zu treffen. Von dieser Befugnis hat die A-Stadt mit § 2a der Hauptsatzung Gebrauch gemacht.

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Nach § 2a Abs. 1 der Hauptsatzung können im Falle von Naturkatastrophen, aus Gründen des Infektionsschutzes oder vergleichbaren außergewöhnlichen Notsituationen, die eine Teilnahme der Bürgerschaftsmitglieder an Sitzungen der Bürgerschaft erschweren oder verhindern, die notwendigen Sitzungen der Bürgerschaft ohne persönliche Anwesenheit der Bürgerschaftsmitglieder im Sitzungsraum als Videokonferenz durchgeführt werden. Nach Absatz 2 der Vorschrift können Sitzungen der Ausschüsse und der Beiräte entsprechend Absatz 1 durchgeführt werden, sofern zum Zeitpunkt der Sitzung die erforderliche Infrastruktur räumlich, zeitlich und technisch zur Verfügung gestellt werden kann. Die Entscheidung hierüber trifft der Ausschussvorsitzende in Abstimmung mit der Bürgermeisterin/dem Bürgermeister. Alles Nähere regelt die Geschäftsordnung der Bürgerschaft, vgl. § 2a Abs. 6 der Hauptsatzung. § 6 Abs. 9 der Geschäftsordnung regelt Sitzungen in Fällen höherer Gewalt: Bei Naturkatastrophen, aus Gründen des Infektionsschutzes oder vergleichbaren Notsituationen können Sitzungen der Gemeindevertretung, des Ältestenrates, der Ausschüsse oder der Beiräte als Videokonferenz durchgeführt werden.

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Diese Voraussetzungen liegen vor. Der Antragsteller hat in seiner Funktion als ... um die Durchführung der Sitzung des Ausschusses am 14.3.2022 als Videoveranstaltung gebeten. Jedenfalls ergibt sich dieses Begehren konkludent aus der E-Mail vom 3.3.2022, welche auf bereits zuvor erfolgte Kommunikation Bezug nimmt. In der E-Mail verweist er auf ein in Innenräumen erhöhtes Infektionsrisiko, die besonderen Hygieneregeln im ... Rathaus sowie die Feststellung der epidemischen Lage durch den Schleswig-Holsteinischen Landtag.

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Daraus ergibt sich, dass der Antragsteller vom Vorliegen eines Falles höherer Gewalt ausgeht. Zu dieser Feststellung war der Antragsteller in seiner Funktion als Ausschussvorsitzender auch berechtigt. Nach § 2a Abs. 2 der Hauptsatzung trifft der jeweilige Ausschussvorsitzende die Entscheidung in Abstimmung mit dem Bürgermeister. Diese Voraussetzung ist hier erfüllt, da der Antragsteller durch die Vorlage des E-Mail-Verkehrs glaubhaft gemacht hat, mit den Antragsgegner im Vorwege über die Absicht einer Videoveranstaltung im Austausch gewesen zu sein, was durch den Antragsgegner auch nicht bestritten wird.

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Zur Auslegung der Formulierung „in Abstimmung“ hat das erkennende Gericht bereits in einem vergleichbaren Fall festgestellt:

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„Die Vorschrift setzt dagegen nicht voraus, dass der Antragsteller diese Entscheidung nur in Übereinstimmung oder mit Zustimmung des Bürgermeisters treffen kann. Diese Lesart findet keine Grundlage im Wortlaut der Vorschrift. So heißt es dort „in Abstimmung“. Eine Zustimmung, Einwilligung oder ein Übereinstimmen wird gerade nicht vorausgesetzt, sodass die Norm vielmehr dahingehend auszulegen ist, dass die Auffassung des Bürgermeisters für die Entscheidung nach § 40 Abs. 1 der Geschäftsordnung im Vorwege einzuholen und zu berücksichtigen ist. Beides ist vorliegend geschehen. Für eine solche Auslegung des Passus‘ „in Abstimmung“ spricht letztlich auch, dass es sich bei den Sitzungen der Ausschüsse der Ratsversammlung der Stadt ... um Tätigkeiten im Rahmen der Gemeindevertretung handelt. Gemäß § 27 Abs. 1 Satz 2 der Gemeindeordnung Schleswig-Holstein (GO SH) trifft die Gemeindevertretung die wichtigen Entscheidungen in Selbstverwaltungsangelegenheiten und überwacht deren Durchführung. Sie stellt damit eine von der Verwaltung der Gemeinde unabhängige Stelle dar, deren innere Angelegenheiten aus kommunalverfassungsrechtlicher Sicht von einer Zustimmung oder einem Einvernehmen durch die Verwaltung oder deren Leitung nicht abhängig gemacht werden dürfen. (…) Eine Regelung zum Dissens bzw. ein etwaiges Vetorecht des Bürgermeisters gegen eine entsprechende Entscheidung nach § 40 Abs. 1 der Geschäftsordnung ist dagegen nicht ersichtlich. Auch in diesem Fall bleibt die Zuständigkeit zur Entscheidung über eine Sitzung im Fall höherer Gewalt bei dem jeweiligen Vorsitzenden.“ (vgl. Beschluss der Kammer vom 30.11.2022 – 6 B 10002/21 –, juris).

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Anhaltspunkte dafür, den Wortlaut der Satzung der A-Stadt auf andere Weise auszulegen sind nicht ersichtlich. Insbesondere führt auch das vom Antragsgegner vorgebrachte Kontrollrecht des Bürgermeisters nicht zu einer anderen Betrachtungsweise. Die Hauptsatzung wird der Funktion des Bürgermeisters dadurch gerecht, dass eine Abstimmung mit ihm zu erfolgen hat und seine Argumente und Bedenken im Entscheidungsprozess zu berücksichtigen sind.

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Der Antragsteller hat eine Sitzung im Falle höherer Gewalt auch zu Recht angenommen.

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Ein solcher ist nach § 2a Abs. 1 der Hauptsatzung bereits dann anzunehmen, wenn den

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Ausschussmitgliedern die Teilnahme aus Gründen des Infektionsschutzes erschwert ist. Dies ist hier anzunehmen. Daran vermag auch der umfangreiche Vortrag des Antragsgegners zu den organisatorischen Maßnahmen zur Geringhaltung des Infektionsrisikos, der hohen Impfquote und der veränderten Verordnungslage nichts zu ändern. Zwar hat sich die Pandemielage in den vergangenen zwei Jahren stetig verändert und es werden aktuell verschiedene Lockerungen der Schutzmaßnahmen in Aussicht gestellt. Gleichwohl bleiben sowohl Inzidenz als auch Ansteckungsgefahr im Bundesgebiet hoch. Hygieneregeln werden auch nicht vollständig abgeschafft. Vielmehr sind für einen reibungslosen Sitzungsablauf weiterhin Hygienemaßnahmen erforderlich und für den Zugang zum ... Rathaus auch festgesetzt. Gerade durch all die Schutzmechanismen wird deutlich, dass eine Präsenzsitzung nur unter erschwerten Bedingungen durchzuführen ist, wie in § 2a Abs. 1 der Hauptsatzung vorausgesetzt.

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Eine Unmöglichkeit ist ebenfalls nicht ersichtlich, insbesondere weist der Antragsgegner in seiner E-Mail vom 24.2.2022 ausdrücklich darauf hin, dass die IT-Infrastruktur für eine Videokonferenz vorhanden ist.

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Eine Verletzung des Grundsatzes der Öffentlichkeit gemäß § 35 GO steht entgegen der Auffassung des Antragsgegners nicht zu befürchten. Nach § 2a Abs. 5 der Hauptsatzung wird die Öffentlichkeit im Sinne des § 35 Abs. 1 Satz 1 GO durch eine zeitgleiche Übertragung von Bild und Ton in einem öffentlich zugänglichen Raum und durch eine Echtzeitübertragung oder eine vergleichbare Einbindung über Internet hergestellt. Damit hat die A-Stadt in ihrer Hauptsatzung Vorkehrungen getroffen, um die Öffentlichkeit der Ausschusssitzungen auch bei Videokonferenzen zu gewährleisten.

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Sofern der Antragsgegner bemängelt, der Antragsteller begehre nicht die Durchführung einer reinen Videokonferenz, sondern eine Hybridveranstaltung, so ist dies nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Der Antragsteller begehrt ausdrücklich die Ermöglichung einer Videokonferenz. Dessen ungeachtet begegnet auch eine Hybridveranstaltung keinen rechtlichen Bedenken. Es kann nach der Auffassung der Kammer keinen entscheidungserheblichen Unterschied machen, ob der Antragsteller nur einen Teil oder die Gesamtheit der Veranstaltung als Videokonferenz durchführen möchte. Da die Präsenzveranstaltung nach dem Vortrag des Antragsgegners unproblematisch stattfinden könnte, wäre auch bei einer Hybridveranstaltung der Teil der Videokonferenz der einzige streitige Aspekt zwischen den Beteiligten. Die rechtlichen Voraussetzungen bleiben unabhängig davon, ob es sich um eine reine Videokonferenz oder um eine Hybridveranstaltung handelt, die gleichen.

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Der Antragsteller hat das ihm zustehende Ermessen ausgeübt. Nach § 114 Satz 1 VwGO beschränkt sich die gerichtliche Überprüfung der Ermessensausübung lediglich darauf, ob

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die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Daran gemessen sind keine Ermessensfehler ersichtlich. Der Antragsteller nennt im eingereichten E-Mailverkehr die für ihn tragenden Aspekte seiner Entscheidung. Es ist nicht erforderlich, dass er alle denkbaren und vom Antragsgegner genannten Argumente ausdrücklich in seiner Entscheidung auflistet und eingehend beleuchtet. Es genügt, wenn erkennbar ist, dass der Antragsteller eine Abwägung durchgeführt hat und dabei die wesentlichen Gründe seiner Entscheidung mitteilt.

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Die hier anzunehmende Vorwegnahme der Hauptsache lässt den Anordnungsanspruch des Antragstellers ausnahmsweise nicht entfallen, da das Gebot des effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) ausnahmsweise einstweiligen Rechtsschutz zulässt, wenn durch Zeitverlust andernfalls ein irreversibler Rechtsverlust droht (vgl. Schoch, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 123, Rn. 90). So liegt es hier. In Anbetracht der Tatsache, dass die streitgegenständliche Sitzung bereits am 14.3.2022 um 16 Uhr stattfinden soll, würde das Abwarten auf eine Entscheidung in der Hauptsache durch bloßen Zeitablauf dazu führen, dass dem Antragsteller Rechtsschutz in dieser Angelegenheit nicht mehr gewährt werden kann.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

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Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1 und § 52 Abs. 2 GKG. Das Gericht folgt dabei dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, Anh § 164, Rn. 14 ff.) und legt nach dessen Ziffer 22.2 den Auffangwert zugrunde. Eine Halbierung des Streitwerts kommt im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nach der Rechtsprechung des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts mangels gesetzlichem Anhaltspunkt nicht in Betracht (Beschluss vom

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13.1.2020 – 4 O 2/20 –).


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