Beschluss vom Verwaltungsgericht Schwerin (7. Kammer) - 7 B 971/18 SN

Tenor

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 7. Mai 2018 wird wiederhergestellt.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.

Der Streitwert wird auf 12.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

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Die Beteiligten streiten um die Vollziehbarkeit des Widerrufs von dem Antragsteller erteilten Genehmigungen zur Ausführung des Verkehrs mit Taxen und mit Mietwagen sowie der zwangsgeldbewehrten Anordnung zur Ablieferung der hierüber erteilten Urkunden.

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Der Antragsteller ist seit Februar 2005 als Mietwagenunternehmer und seit März 2006 als Taxiunternehmer tätig. Der Antragsgegner erteilte ihm im Dezember 2013, bis zum 6. Januar 2019 befristet, eine Erlaubnis zur Ausübung des Verkehrs mit Taxen für einen Pkw mit einem D-Städter Betriebssitz sowie eine Erlaubnis zur Ausübung des Verkehrs mit Mietwagen für zwei Pkw von einem Betriebssitz an seiner Wohnanschrift aus und händigte ihm die Genehmigungsurkunden sowie Auszüge hieraus für jedes Fahrzeug aus. Im April 2015 genehmigte der Antragsgegner einen Wechsel des D-Städter Betriebssitzes und des Fahrzeugs für den Taxibetrieb, im Juni 2015 einen Wechsel des einen Fahrzeugs für den Mietwagenbetrieb, nahm entsprechende Nachträge in den Genehmigungsurkunden vor und händigte dem Antragsteller unter Einziehung der erteilten Auszüge neue Auszüge aus. Im Februar und im Mai 2018 verfuhr er entsprechend bei einem Wechsel des anderen Fahrzeugs für den Mietwagenbetrieb bzw. bei einem erneuten Wechsel des Fahrzeugs für den Taxenbetrieb.

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Zwischenzeitlich erfuhr er durch eine Anfrage des Bevollmächtigten des Antragstellers vom 28./29. Januar 2016 vom Erlass eines Strafbefehls durch das Amtsgericht E-Stadt am 21. Juni 2012 – … Cs …/12 – und, wie auch durch ein Schreiben des zuständig gewordenen Amtsgerichts B-Stadt vom 15. Februar 2016, vom hiergegen erhobenen Einspruch; am 29. Juli 2017 wurde ihm das in gleicher Sache ergangene Urteil des Amtsgerichts B-Stadt vom 9. Mai 2016 – … Cs …/15 – übermittelt. Am 28. Oktober 2017 erhielt er das im Berufungsverfahren ergangene, sogleich rechtskräftig gewordene Urteil des Landgerichts F-Stadt vom 6. September 2017 – … Ns …/16 – übersandt. Dieses bestätigte die Verurteilung des Antragstellers wegen (gewerbsmäßigen) Betruges in 26 Fällen (§ 263 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 sowie § 53 des Strafgesetzbuches – StGB –), senkte aber die im Urteil des Amtsgerichts verhängte Freiheitsstrafe, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, von einem Jahr und sechs Monaten auf neun Monate.

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Der Antragsgegner nahm Einsicht in die Ermittlungsakten … Js …/11 der Staatsanwaltschaft F-Stadt und wertete hieraus gefertigte Kopien aus. Mit Schreiben vom 21. März 2018 hörte er den Antragsteller zum Widerruf der ihm erteilten Erlaubnisse nach § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Personenbeförderungsgesetzes – PBefG – an; die Voraussetzungen für einen Widerruf wegen Tatsachen, die die Unzuverlässigkeit des Antragstellers als Unternehmers im Sinne von § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 PBefG dartun, bzw. wegen Anhaltspunkte für eine Unzuverlässigkeit im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 der Personenverkehr-Berufszulassungsverordnung – PBZugV – würden angenommen, und aus dem Strafverfahren ergäben sich außerdem Anhaltspunkte für eine jedenfalls vorübergehend unzureichende finanzielle Leistungsfähigkeit. Ferner gelangten zu den Akten, von beiden Beteiligten eingeholt, Unbedenklichkeitsbescheinigungen von Finanzamt und örtlicher kommunaler Finanzverwaltung, Berufsgenossenschaft sowie Krankenkassen, Gewerbeauskünfte, ein Führungszeugnis und Bescheinigungen des Steuerberaters nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 3 PBZugV, ferner eine Stellungnahme des Bevollmächtigten vom 12. April 2018.

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Mit Bescheid vom 7. Mai 2018 widerrief der Antragsgegner unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die dem Antragsteller erteilten (einzeln benannten) Genehmigungen und forderte ihn zur Ablieferung der (einzeln aufgezählten) Genehmigungsurkunden und -auszüge in seinem Besitz binnen zweier Wochen auf, wobei er insoweit ein Zwangsgeld von 1.000 € je nicht beigebrachte Urkunde bzw. nicht beigebrachten Auszug androhte.

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Am 9. Mai 2018 erhob der Antragsteller hiergegen Widerspruch; darüber ist noch nicht entschieden.

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Mit dem vorliegenden Eilantrag vom 17. Mai 2018 macht der Antragsteller u. a. geltend: Er habe den unproblematisch zuverlässigen Herrn G. H. — dessen Prüfungszeugnisse mit dem Widerspruch vorgelegt wurden — mit sofortiger Wirkung zum Geschäftsführer bestellt. Von seiner, Antragstellers, Unzuverlässigkeit sei nicht auszugehen, denn er habe die Phase seiner — wie auch strafgerichtsseits betont — betriebsfernen und von ihm bereuten Straffälligkeit verarbeitet und den finanziellen Schaden wiedergutgemacht bzw. hierfür aussichtsreiche Vorkehrungen getroffen; das (einzige) Opfer aller Betrugsstraftaten habe ihm verziehen. Er sei seit 2011 nicht straffällig geworden. Der Widerruf der Genehmigungen sei unverhältnismäßig. Der Antragsteller beantragt schriftsätzlich,

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die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 9. Mai 2018 gegen den Widerrufsbescheid des Antragsgegners vom 7. Mai 2018 wiederherzustellen.

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Der Antragsgegner beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

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den Antrag abzulehnen,

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und verteidigt seinen Bescheid. Es fehle an einem atypischen Fall, in dem der Schluss von der rechtskräftigen Verurteilung auf eine Unzuverlässigkeit nicht gerechtfertigt sei. Der Widerruf der Genehmigungen sei auch nicht unverhältnismäßig. Ein Einsatz von Herrn H. könne bereits mangels dessen fachlicher Eignung dem Antragsteller nicht die Genehmigungen erhalten.

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Wegen der übrigen Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die vom Antragsgegner vorgelegten Verwaltungsvorgänge (vier Heftungen) Bezug genommen.

II.

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Der Eilantrag ist zulässig und begründet.

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In statthafter Weise begehrt der Antragsteller die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines zulässig erhobenen Widerspruchs, die durch die Anordnung der sofortigen Vollziehung in Tenorpunkt 3. des Bescheids fortfiel, gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 2 in Verbindung mit Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO –. Mit Blick auf die Beschlüsse des Oberverwaltungsgerichts für das Land Mecklenburg-Vorpommern vom 16. Dezember 2013 – 3 M 224/13 – (Zeitschrift für öffentliches Recht in Norddeutschland 2014, S. 182 [184]) und vom 3. Dezember 2007 – 3 O 106/07 – (juris Rdnr. 3), wonach eine mit der Grundverfügung verbundene Zwangsgeldandrohung hinsichtlich ihrer Vollziehbarkeit deren Schicksal teilt (anders noch mit Hinweis auf § 99 Abs. 1 Satz 2 des Sicherheits- und Ordnungsgesetzes der Beschluss vom 19. Juni 1997 – 3 M 115/96 –, NVwZ-RechtsprechungsReport 1997, S. 1027 [1029]), ist bezogen auf die Vollziehbarkeit der den Antragsteller gegenwärtig belastenden Tenorpunkte 1. und 2. einer- sowie 4. andererseits einheitlich zu verfahren.

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Die Kammer stellt die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wieder her, da das Interesse des beruflich auf die Genehmigungen angewiesenen Antragstellers hieran gegenüber dem vom Antragsgegner angenommenen öffentlichen Interesse an Wirksamkeit und Vollzug der Widerrufsverfügung überwiegt. Wie nämlich bereits im Eilverfahren zu erkennen ist und bei der Interessengewichtung den Ausschlag geben muss, hat der Widerspruch des Antragstellers aus Rechtsgründen hohe Erfolgsaussichten, weil der Widerruf zu Unrecht erfolgte; ein öffentliches Interesse am Vollzug einer erkennbar rechtswidrigen Verfügung ist nämlich grundsätzlich nicht ersichtlich.

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Ohne Erfolg beruft sich der Antragsteller allerdings auf die Genehmigungsänderungen vom Februar und Mai 2018 anlässlich zweier Fahrzeugwechsel. Der Antragsgegner, der in der bereits seit Anfang 2016 geführten Korrespondenz stets betont hatte, nach Rechtskraft der strafrechtlichen Verurteilung die Frage des Fortbestands der Genehmigungen prüfen und hierüber entscheiden zu wollen, und der hierfür (ausweislich der zahlreichen Textmarkierungen) in vorbildlich gründlicher Weise die Unterlagen aus dem Strafverfahren ausgewertet hatte, hatte den Antragsteller bereits zu dem ins Auge gefassten Widerruf der Genehmigungen angehört und weitere Ermittlungen angestellt, wobei beim ersten Fahrzeugaustausch auch die Anhörungsfrist noch lief. Schon deswegen bedurfte es keines erneuten Hinweises der mit den Verfahren nach § 17 Abs. 2 Satz 1 PBefG befassten Sachbearbeiterin auf den drohenden Widerruf, wie er vom Antragsteller bestritten wird; andererseits hatte der Antragsgegner seine Befugnis zum Widerruf der Genehmigungen nicht verwirkt, auch nicht indem er noch drei Tage vor Erlass des angegriffenen Bescheids einen Fahrzeugaustausch genehmigte, denn die Genehmigung sollte nicht nur wegen ihres Bezugs auf ein „falsches“ Fahrzeug funktionslos, sondern durch bescheidliche Aufhebung förmlich beseitigt werden. Es war zudem absehbar, dass der Widerruf nicht unangefochten bleiben würde.

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Auch die im Widerspruchsverfahren vorgebrachte Beschäftigung von Herrn H. als Geschäftsführer lässt den Widerruf der Genehmigungen nicht rechtsfehlerhaft erscheinen; sie wäre nicht geeignet, an der — einmal unterstellten — persönlichen Unzuverlässigkeit des Antragstellers als (Einzel-)Unternehmers und Genehmigungsinhabers etwas zu ändern, die für den Bestand der Genehmigung wohl maßgeblich ist. Bei ihm dürfte es sich nämlich um die einzige natürliche Person handeln, auf deren persönliche Zuverlässigkeit abzustellen ist (s. hierzu die Begründung zur Änderung von § 1 Abs. 1 PBZugV durch die Verordnung vom 22. Februar 2013 in der Bundesrats-Drucksache 773/12, S. 11), weil, wie der Antragsgegner aufgezeigt hat, die Rechtsform seines Unternehmens keinen vom Unternehmer zu unterscheidenden Geschäftsführer kennen dürfte und weil selbst im Anwendungsbereich von § 13 Abs. 2 PBefG bzw. § 1 Abs. 2 PBZugV natürliche Personen als Einzelunternehmer das Zuverlässigkeits-Erfordernis für „Unternehmen“ nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 1071/2009 selbst erfüllen müssen (s. die genannte Begründung zum neuen § 1 Abs. 2 PBZugV, a. a. O.), da diese Verordnung sonst nur den (zwingend zu bestellenden) „Verkehrsleiter“ als ggf. vom Einzelunternehmer zu unterscheidendes verantwortliches Leitungspersonal kennt (s. Art. 2 Nr. 5 und Art. 4 Abs. 1 Buchst. b). Zutreffend erhebt der Antragsgegner außerdem Einwände wegen des gebotenen Nachweises der fachlichen Eignung des Herrn H. im Sinne von § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und Satz 2 PBefG sowie § 3 Abs. 2 Satz 2 und § 4 Abs. 1 oder § 6 PBZugV in Verbindung mit den Anlagen 3, 5 und 6 hierzu.

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Jedoch hält die Kammer den Antragsteller nicht für unzuverlässig im Sinne von § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 PBefG und § 1 Abs. 1 Satz 1 PBZugV, so dass dem verfügten Widerruf die — einzig in Betracht kommende — rechtliche Grundlage gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 PBefG fehlt, auf die der Antragsgegner ihn jedoch stützte. Wie auch die Beteiligten erkennen, steht der Behörde bezogen auf die Feststellung der Unzuverlässigkeit einschließlich der tatsächlichen Voraussetzungen hierfür sowie hinsichtlich der Konsequenzen hieraus weder ein Beurteilungs- noch ein Ermessensspielraum zu; die angegriffene Entscheidung steht vielmehr in vollem Umfang unter gerichtlicher Kontrolle.

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Gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 PBefG gehört zu den zwingenden Voraussetzungen für den Bestand einer Genehmigung im Sinne von § 2 PBefG, dass, was der Antragsgegner vorliegend in Abrede stellt, keine Tatsachen vorliegen, die die Unzuverlässigkeit des Genehmigungsantragstellers oder -inhabers als Unternehmer dartun. Aufgrund von § 57 Abs. 1 Nr. 4 PBefG wurden die näheren Voraussetzungen hierfür in § 1 Abs. 1 PBZugV geregelt. Nach Satz 1 der Vorschrift gilt der Unternehmer als zuverlässig im Sinne von § 13 Abs. 1 [Satz 1] Nr. 2 PBefG, wenn keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass bei der Führung des Unternehmens die für den Straßenpersonenverkehr geltenden Vorschriften missachtet oder die Allgemeinheit bei dem Betrieb des Unternehmens geschädigt oder gefährdet werden. Gemäß ihrem Satz 2 sind Anhaltspunkte für die Unzuverlässigkeit des Unternehmers insbesondere nach Nr. 1. rechtskräftige Verurteilungen wegen schwerer Verstöße gegen strafrechtliche Vorschriften und nach Nr. 2. schwere Verstöße gegen unter den Buchstaben a bis f aufgeführte Pflichten und Vorschiften. Letztere sind vorliegend allerdings nicht erkennbar. So dürfte der in den Verwaltungsvorgängen dokumentierte, nicht bestandskräftig mit einem Bußgeld von 500 € geahndete und in Einzelheiten zwischen den Beteiligten streitige zweimalige Verstoß gegen das Verbot von Personenbeförderungen ohne die notwendige Genehmigung am frühen Karnevalssamstag 2018 durch den Einsatz eines Mietwagens an Stelle des angeblich defekten (dem Antragsteller genehmigten) Taxis, dessen Ersatz angeblich kurzfristig dem Antragsgegner gemeldet worden sei, auch bei einer gerichtlichen Bestätigung der Feststellungen des Antragsgegners bereits nicht als schwerer Verstoß gegen das Personenbeförderungsrecht anzusehen sein (wie es etwa eine wissentliche dauerhafte Fortsetzung der Ausübung des Taxigewerbes nach Ablauf der Genehmigung wäre; s. hierzu das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts – VG – München vom 23. September 1998 – M 6 K 98.2635 –, juris Rdnr. 6 und 9; vgl. auch den Beschluss desselben Gerichts vom 8. September 1999 – M 6 E 99.3179 –, juris Rdnr. 21 und 33, ferner allgemein das Urteil des Bayerischen VG Augsburg vom 31. März 2009 – Au 3 K 08.1511 –, juris Rdnr. 28).

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Zu prüfen ist daher, ob die Annahme der Unzuverlässigkeit des Antragstellers, wie geschehen, auf das Vorliegen eines Anhaltspunkts im Sinne von § 1 Satz 2 Nr. 1 PBZugV gestützt werden kann, weil der Antragsteller durch das Landgericht rechtskräftig wegen (gewerbsmäßigen) Betruges in 26 Fällen verurteilt wurde. Diese Frage beantwortet die Kammer, anders als der Antragsgegner, verneinend.

21

Dabei dürfte es sich bei der Verurteilung durchaus um eine solche wegen schwerer Verstöße gegen strafrechtliche Vorschriften handeln, welches der vom Hamburgischen Oberverwaltungsgericht – HambOVG – in dessen Beschluss vom 15. September 2008 – 3 Bs 26/08 – (juris Rdnr. 4; s. auch den Beschluss des VG Hamburg vom 8. Februar 2011 – 15 E 3269/10 und 3326/10 –, juris Rdnr. 7 ff.) erörterten Kriterien für die Bestimmung des Schweregrads man auch für maßgeblich hält. Denn im nicht rechtskräftig gewordenen Strafbefehl vom 21. Juni 2012 und im nicht rechtskräftig gewordenen Urteil des Amtsgerichts vom 9. Mai 2016 wurde ebenso wie schließlich im Urteil des Landgerichts vom 6. September 2016 jeweils § 263 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 StGB angewandt, wonach in besonders schweren Fällen [des Betrugs] die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren ist und ein besonders schwerer Fall in der Regel vorliegt, wenn der Täter gewerbsmäßig handelt, d. h. in der Absicht, sich aus der Wiederholung des Betruges eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle von einigem Umfang zu verschaffen. Im Strafbefehl und im Landgerichtsurteil wurde auch — im ersten Fall wegen 29 Taten, im zweiten nach rechtskräftig gewordenem amtsgerichtlichem Teilfreispruch wegen 26 Taten — jeweils die nicht geringe gesetzliche Mindeststrafe von sechs Monaten als Einsatzstrafe verhängt; das Amtsgericht verhängte noch jeweils sieben Monate und in einem Fall zehn Monate. Nach den Feststellungen des Landgerichts ertrog der Antragsteller zwischen März 2010 und Januar 2011 ihm zumeist in bar ausgezahlte Geldbeträge in gesamter Höhe von 51.767,14 €. Das Landgericht verhängte, auch im Hinblick auf die lange Dauer des Strafverfahrens, immer noch eine Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten. Dies dürfte allein schon den Anforderungen an ein individuelle Schuld berücksichtigendes erhebliches Strafmaß genügen, wie es bei Erlass der Vorgängervorschrift in § 1 Abs. 2 Nr. 1 der Berufszugangs-Verordnung PBefG – PBefGBZV – als maßgeblich angesehen wurden (s. die amtliche Begründung in Bundesrats-Drucksache 890/90, S. 16). Darauf, dass ausweislich der Ermittlungsvorgänge aufgrund einer Verständigung mit dem Antragsteller in weitem Umfange Verfahrenseinstellungen nach § 154 Abs. 1 der Strafprozessordnung erfolgten und (daher nicht bestraft) beim Geschädigten ein weiterer Schaden im Umfang von 177.421,27 € zu beziffern war, kommt es mithin nicht mehr an.

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Indessen ist im vorliegenden Einzelfall der Schluss auf das Fehlen der Zuverlässigkeit des Antragstellers ausnahmsweise nicht tragfähig.

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Nach dem Wortlaut von § 1 Abs. 1 Satz 1 PBZugV müssen die in Satz 2 der Vorschrift beispielhaft („insbesondere“) aufgeführten Anhaltspunkte „hinreichend dafür vorliegen“, dass die genannten betriebs- oder unternehmensführungsbezogenen Verstöße, Schädigungen oder Gefährdungen eintreten. Die rechtskräftige Verurteilung wegen schwerer Verstöße gegen strafrechtliche Vorschriften führt daher anders als bei der Geltung von § 1 Abs. 2 Nr. 1 PBefGBZV („die Zuverlässigkeit ist zu verneinen“) nicht mehr zur Fiktion der personenbeförderungsrechtlichen Unzuverlässigkeit des Verurteilten. Derartiges kann auch nicht aus dem mit § 1 PBZugV umgesetzten EU-Recht hergeleitet werden (so noch, unter Bezugnahme auf die — durch die Richtlinie 98/76/EG vom 1. Oktober 1998 geänderte — Richtlinie 96/56/EG, das HambOVG im Beschluss vom 2. März 2007 – 1 Bs 340/16 –, Gewerbearchiv – GewArch – 2007, S. 253; überzeugend dagegen das VG Hamburg in den Urteilen vom 9. November 2011 – 5 K 775/11 – und vom 28. Mai 2015 – 5 K 895/15 –, juris Rdnr. 29 ff. bzw. 37 ff., dort auch noch mit Hinweis auf Geltungsbereich und Normstruktur der aktuellen Verordnung [EG] Nr. 1071/2009 vom 21. Oktober 2009). Mit dem VG Hamburg wird allerdings das Vorliegen eines der Anhaltspunkte gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 PBZugV als Regelfall zu qualifizieren sein, in dem er auch als „hinreichend“ für die Annahme der Unzuverlässigkeit zu qualifizieren ist, es sei denn, ausnahmsweise lägen besondere individuelle Umstände vor (Urteil vom 9. November 2011, juris Rdnr. 58 f.). Auf die Möglichkeit von Ausnahmefällen deutet der — fehlerhaft und missverständlich formulierte — Hinweis des Verordnungsgebers auf die Notwendigkeit einer „sachgerechten Ermessensentscheidung der Behörde“ bei der Anwendung von § 1 PBZugV (so in der Bundesrats-Drucksache 257/00, S. 24 zu Absatz 2 der Ursprungsfassung, der dem heutigen Absatz 1 Satz 2 entspricht) hin, der als Appell zum verantwortungsvollem Gebrauch des Augenmaßes bei der Prognoseentscheidung, die betriebsbezogene Pflichterfüllung sei in Frage gestellt, zu verstehen sein mag. Eine als Ausnahmefall ohne hinreichenden Betriebsbezug zu bewertende besondere und einmalige Fallgestaltung, die der Verurteilung des Antragstellers zugrunde liegt, liegt vor.

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Entscheidend kommt es bei der für die Zulässigkeitsbeurteilung zentralen Würdigung der Gesamtpersönlichkeit nämlich darauf an, ob der Betroffene eine allgemeine Neigung besitzt, die Gesetze zu missachten. Dann liegt nämlich ein charakterlicher Mangel vor, der auf eine Unzuverlässigkeit hinweist. Wird das festgestellt, dann besteht in der Tat die Gefahr, dass das Verhalten des Unternehmers sich nicht auf eine bestimmte Tätigkeit oder auf seine private Sphäre beschränkt, sondern die Befürchtung begründet, er werde auch künftig die in seinem Gewerbe zu beachtenden Vorschriften zum Schutze der Allgemeinheit oder seiner Arbeitnehmer vor Schäden und Gefahren verletzen und sich damit als nicht würdig des in ihn gesetzten Vertrauens erweisen (so das Bundesverwaltungsgericht – BVerwG – im Urteil vom 20. November 1970 – VII C 73.69 –, amtliche Entscheidungssammlung BVerwGE Bd. 36, S. 288 [290], in dem es die Zuverlässigkeit eines Güterkraftverkehrsunternehmers sogar auch nicht dadurch beeinträchtigt sah, „dass er eine Schwäche gegenüber dem Alkohol hat und infolge dieser Labilität nicht die Stärke aufbringt, sich in alkoholisiertem Zustand vom Lenkrad seines privaten Personenkraftwagens fernzuhalten“). Zwar ist die Betriebsbezogenheit einer Verfehlung weder im allgemeinen Gewerberecht noch im Personenbeförderungsrecht Voraussetzung für eine negative Zuverlässigkeitsprognose und besteht auch gerade für das durch Betrugsstraftaten geschädigte Vermögen Anderer eine Gefährdungslage auch im Bereich des Taxi- und Mietwagengewerbes. Die abgeurteilte Serie von Betrugsstraftaten unterscheidet sich jedoch in erheblichem Maße vom prognoserelevanten „Normalfall“.

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Denn durch die zahlreichen Betrugshandlungen eher „mittleren Zuschnitts“ geschädigt wurde, wie erwähnt, immer dieselbe Person. Es handelte sich um einen großzügigen, vermögenden Freiberufler, zu dem und dessen Frau der Antragsteller und seine erste Familie — von der er erst seit August 2011 oder 2012 getrennt lebt — eine freundschaftlich-familiäre Beziehung aufbauten, in der das betrogene Ehepaar die Rolle von „Großeltern“ einnahm. Mit zahlreichen erfundenen Geschichten über Pressionen seitens Konkurrenz und Behörden oder der Justiz, die zu Liquiditätsengpässen und Zwangslagen führten, verleitete der Antragsteller den Geschädigten zur Aushändigung zahlreicher Geldbeträge als „Überbrückungsdarlehen“, die er zum Erhalt der Zahlungsbereitschaft des Opfers teilweise zurückzahlte oder wofür er — kaum taugliche — „Sicherheiten“ stellte. Zur erheblichen Zahl der Fälle trug nach den strafrichterlichen Ausführungen einerseits die kriminelle Energie des Antragstellers, die sich in varianten- und detailreichen, wenngleich objektiv bisweilen abstrus erscheinenden, Erfindungen und Vorspiegelungen von Sachverhalten manifestierte, andererseits aber auch die Naivität und Leichtgläubigkeit des Betrugsopfers bei. Dass die dem Opfer und seiner Ehefrau dargestellten finanziellen Zwangslagen teilweise mit den Personenbeförderungsbetrieben des Antragstellers zu tun gehabt haben sollen, stellt sich nach den Sachverhalten der Urteile und den vom Antragsgegner beigezogenen Zeugenvernehmungen nur als Teil der Erfindungen zu Täuschungszwecken dar, die auch vielfach „aufeinander aufbauten“. Ausgangspunkt der Betrugshandlungen seien allerdings erhebliche Geldsorgen des Antragstellers im Jahr 2010 gewesen.

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Nach den Feststellungen von Amts- und Landgericht hatte sich der Antragsteller, der nach Auffassung der Gerichte seine Beförderungsbetriebe im Wesentlichen beanstandungsfrei führte, zur Zeit der Verurteilungen bereits von seinem strafbaren Handeln, mit dem er offenbar in einer Lebenskrise begonnen habe, distanziert und Vorkehrungen zur Schadenswiedergutmachung getroffen; zur Zeit des landgerichtlichen Urteils zahlte er an den Geschädigten monatlich 750 € und wollte ab Jahresbeginn 2018 monatlich 1.000 € zahlen. Wie er — wenn auch nicht eidesstattlich — versichert, liegt eine notarielle Ratenzahlungsvereinbarung mit dem ihm verzeihenden Opfer vor.

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Über eine erneute Straffälligkeit des auch zuvor strafrechtlich unbelastet gewesenen Antragstellers ist nichts bekannt. Dies betonten auch schon die Strafgerichte in ihren Urteilen, in denen sie — wie auch der B-Städter Strafrichter in seinem Schreiben an den Antragsgegner vom 15. Februar 2016 — ihre Auffassung ausdrückten, die Angelegenheit habe mit der „Taxilizenz“ des Antragstellers wenig zu tun. In der Tat sieht auch das beschließende Gericht bereits keine Möglichkeit, dass es derart leicht wieder zu einer „kriminellen Versuchung“ für den Antragsteller kommen könnte wie 2010/2011 aufgrund der besonderen Leichtgläubigkeit des Betrugsopfers und dessen besonderer Nähe zum Antragsteller. Die erheblichen straftatbedingten Schulden des Antragstellers sind wegen der großzügigen Kreditierung der Rückzahlungsforderungen in Gestalt der Ratenzahlungsvereinbarung nicht als strafrechtlicher Rückfallgrund auszumachen.

28

So gilt es, da keine sonstigen, auch etwaige „ungeschriebenen“ Anhaltspunkte für eine Unzuverlässigkeit des Antragstellers im Sinne von § 1 PBZugV vorliegen, gegenwärtig zu beurteilen, ob die ungewöhnliche Serie von Straftaten, deren Beendigung zur Zeit der angegriffenen Verfügung bereits über sieben Jahre zurücklag, geeignet ist, das betriebsbezogene gesetzeskonforme Verhalten des Antragstellers in Frage zu stellen. Dies ist zu verneinen.

29

Auch wenn dem Antragsgegner im Bereich strafrechtlicher Verurteilungen die Prüfung im Hinblick auf ihre Eigenschaft als Tatsachen im Sinne von § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 PBefG bis zur Rechtskraft der Gerichtsentscheidung verwehrt gewesen sein mag (vgl. den zitierten Beschluss des HambOVG vom 15. September 2008, a. a. O.), hält es die Kammer nicht für geboten, erst die Rechtskraft des Strafurteils als Beginn einer möglicherweise zuverlässigkeitsrelevanten Wohlverhaltens-Phase anzusehen. Gesetzliche Regelungen über die im Regelfall erforderliche Mindestdauer einer Straffreiheit ab Rechtskraft einer Verurteilung wie etwa in § 34b Abs. 4 Nr. 1 oder § 34c Abs. 2 Nr. 1 der Gewerbeordnung (s. zu letzterem auch den Beschluss des BVerwG vom 9. Juli 1993 – 1 B 105.93 –, GewArch 1993, S. 414 f.), § 5 Abs. 1 und 2 des Waffengesetzes oder § 7 Abs. 1a des Luftsicherheitsgesetzes bestehen im Bereich des Personenbeförderungsrechts nicht. Daher hält die Kammer (ebenso wie das Bayerische VG Augsburg im zitierten Urteil vom 31. März 2009 – Au 3 K 08.1511 –, juris Rdnr. 27, in einem Vergleichsfall) einen siebenjährigen Zeitraum seit der letzten abgeurteilten Tat für eine aussagekräftige Bestätigung des charakterlichen Wandels beim Antragsteller, der nicht nur als „Wohlverhalten unter Verfahrensdruck“ zu würdigen ist.

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Ferner fehlt es nicht erkennbar an der von Amts wegen zu prüfenden Genehmigungsvoraussetzung der Leistungsfähigkeit des Betriebs des Antragstellers im Sinne von § 13 Abs. 1 Nr. 1 PBefG. Der Antragsteller hat auf Anforderung des Antragsgegners die zum Beleg des Gegenteils nach § 2 Abs. 2 bis 4 PBZugV erforderlichen, aber auch ausreichenden Bestätigungen vorgelegt; danach ist jedenfalls nicht vom Tatbestand des § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 PBZugV auszugehen.

31

Danach fehlt es nach dem der Kammer bekannten und vorgetragenen Sachstand sowohl bei Erlass der Widerrufsverfügung als auch gegenwärtig bereits an den prognostischen Grundlagen hierfür. Auf die von den Beteiligten unterschiedlich beurteilten Fragen der Beachtung des Übermaßverbots durch die angegriffene Widerrufsverfügung kommt es hiernach nicht mehr an.

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Die Kostenentscheidung zu Lasten des unterliegenden Antragsgegners ergeht gemäß § 154 Abs. 1 VwGO.

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Die Wertfestsetzung für die Gerichtsgebühren beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 52 Abs. 1, 2 und 8 sowie § 53 Abs. 2 Nr. 2 des Gerichtskostengesetzes. Sie orientiert sich an Nr. 47.4 und 47.5 sowie Nr. 1.5 Satz 1 des „Streitwertkatalogs 2013“ und berücksichtigt dabei die Verbindung der widerrufenen Erlaubnisse in einem Unternehmen (vgl. den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 17. Januar 2018 – 11 CS 17.2555 –, juris Rn. 16) sowie die Vorläufigkeit der getroffenen Eilentscheidung.

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