Beschluss vom Verwaltungsgericht Schwerin (15. Kammer) - 15 B 1127/20 SN
Tenor
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.
Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens hat die Antragstellerin zu tragen.
Gründe
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Der Antrag der Antragstellerin,
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die aufschiebende Wirkung ihrer Klage 15 A 1126/20 SN gegen die im Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 16. Juni 2020 verfügte Abschiebungsandrohung anzuordnen,
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bleibt erfolglos.
I.
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Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutz ist zulässig.
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1. Nach § 75 Abs. 1 des Asylgesetzes (AsylG) hat eine Klage gegen asylrechtliche Entscheidungen nur in den Fällen der §§ 38 Abs. 1, 73, 73b und 73c AsylG aufschiebende Wirkung. Die hier streitgegenständliche Entscheidung stützt sich indessen auf § 71 a AsylG, so dass im vorliegenden Fall keine aufschiebende Wirkung besteht.
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2. Die Klage 15 A 1126/20 SN und der vorliegende Antrag sind am 29. Juni 2020 auch fristgerecht binnen einer Woche (dazu §§ 71 a Abs. 4, 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG) bei Gericht eingegangen. Der streitgegenständliche Bescheid ist am 22. Juni 2020 per Einschreiben der Antragstellerin übersandt worden und gilt damit gemäß § 4 Abs. 2 des Verwaltungszustellungsgesetzes als am dritten Tag nach Absendung als zugegangen, hier mithin am 25. Juni 2020.
II.
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Der Antrag hat aber in der Sache keinen Erfolg.
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1. Der angegriffene Bescheid begegnet keinen ernstlichen Rechtmäßigkeitszweifeln im Sinne des § 71 a Abs. 4 i.V.m. § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG. Ernstliche Zweifel liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die verfügte Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält.
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Vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1516/93 –, BVerfGE 94, 166 (194), juris LS 2b und Rn. 99.
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Bei Beachtung dieser Vorgaben ist der angegriffene Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes erforderlichen summarischen Prüfung höchstwahrscheinlich rechtmäßig und verletzt die Antragstellerin voraussichtlich auch nicht in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung [VwGO]). Das Bundesamt durfte das in Norwegen durchgeführte Asylverfahren im Sinne des § 71 a Abs. 1 AsylG als erfolglos abgeschlossen betrachten und den von der Antragstellerin in Deutschland gestellten Asylantrag als (unzulässigen) Zweitantrag bewerten.
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a) Nach § 71 a AsylG ist nur im Falle eines erfolglosen Abschlusses eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat ein Zweitverfahren in der Bundesrepublik durchzuführen. Dies setzt zunächst einen erfolglosen Abschluss des in einem anderen Mitgliedstaat betriebenen Asylverfahrens voraus. Der Asylantrag muss entweder unanfechtbar abgelehnt oder das Verfahren nach Rücknahme des Asylantrags bzw. dieser gleichgestellten Verhaltensweisen endgültig eingestellt worden sein.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 2016 – 1 C 4/16 –, BVerwGE 157, 18-34; BVerwG, Urteil vom 10. Februar 1998 – 9 C 28/97 –, BVerwGE 106, 171-177, juris jeweils Rn. 29; VG Schwerin, Beschluss vom 16. Juni 2018 - 15 B 742/18 SN -, juris LS 1 und Rn. 14 mwN; ebenso Marx, AsylG, 10. Aufl. 2019, § 71a Rn. 12 mwN.
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aa) Die Antragstellerin ist nach eigenen Angaben am 5. Juni 2009 in Norwegen eingereist und hat dort einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Sie habe sich 8 ¾ Jahre dort aufgehalten und sei am 4. März 2018 ausgereist. Nach den in den Verwaltungsvorgängen des Bundesamtes vorliegende Mitteilung des norwegischen Immigrationsdirektoriums UDI vom 22. März 2018 (Beiakte 2, Bl. 93) ist bei Beachtung dieser Vorgaben das in Norwegen durchgeführte Asylverfahren erfolglos abgeschlossen worden. Dazu teilte die UDI mit, die Antragstellerin habe dort am 03. Juni 2009 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Sie habe am 16. April 2010 eine ablehnende Entscheidung (negative decision) erhalten. Dagegen habe sie ein Rechtsmittel anhängig gemacht (appeal was lodged). Eine abschließende (final) ablehnende Entscheidung sei am 28. April 2011 gefertigt worden. Diesen Verfahrenshergang hat die Antragstellerin in ihrer Anhörung beim Bundesamt am 14. März 2018 im Wesentlichen, wenn auch laienhaft bestätigt. Anschließend sei sie aus Norwegen aus- und in das Bundesgebiet eingereist.
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bb) Es gibt nach dem Akteninhalt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die norwegischen Auskünfte an das Bundesamt unzutreffend sind. Grundsätzlich ist es nicht erforderlich, die vollständigen Asylakten der zuständigen Behörde des sicheren Drittstaats beizuziehen. Es ist insbesondere nicht Aufgabe der deutschen Gerichtsbarkeit Asylbescheide sicherer Drittstaaten daraufhin zu untersuchen, ob sie auch alle Aspekte des internationalen Schutzes geprüft haben. Dies gilt auch für die Frage, ob in dem Verfahren (Übertragungs-) Fehler gemacht worden sind. Solche Fragen sind durch die Behörden und Gerichte des Drittstaates zu klären.
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Aus dem Grundsatz der Staatssouveränität folgt, dass die Ausübung der deutschen Gerichtsgewalt und damit die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts sich auf das deutsche Staatsgebiet beschränken.
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v. Albedyll in: Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, Verwaltungsgerichtsordnung, 7. Aufl. 2018, 6. Abschnitt Verwaltungsrechtsweg und Zuständigkeit, Vor § 40 Rn. 3 f.; Schenke/Ruthig, in: Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, Vor § 40 Rn. 37 je mwN; Ipsen, Völkerrecht, 6. Aufl. 2014, § 26 Rn. 10.
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Selbst wenn im Einzelfall die Behörde des Drittstaates keine vollständige Prüfung durchgeführt haben sollte, führt dies nicht dazu, dass die Bundesrepublik diese Prüfung nachholen muss.
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(1) Entgegen der Auffassung z. B. des VG Minden
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- VG Minden, Beschluss vom 13. September 2019 – 10 L 1000/19.A –, juris LS 1 und Rn.21 ff. -
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verstoßen die Rechtsvorschriften über das Zweitverfahren nicht gegen Unionsrecht, weil dort auch das Nicht-EU-Mitglied Norwegen (mit Island) [bzw. die Schweiz (mit Liechtenstein)] einbezogen sind (vgl. Anlage 1 zum AsylG [zu § 26a]). Zwar wird in Art. 2 b) der Asylverfahrensrichtlinie (Richtlinie 2013/32/EU vom 26. Juni 2013 - ABl. L 180/60) ein Antrag auf internationalen Schutz dahin definiert, dass es sich um ein Ersuchen auf Schutz durch einen Mitgliedstaat handelt. Jedoch sind diese Bestimmung in Kenntnis der Tatsache ergangen, dass Norwegen sich durch Abkommen mit der Europäischen Union am Dublin-System beteiligt (ABl EG vom 3. April 2001 Nr. L. 93 S. 40 ff.). Insofern ist der Begriff „Mitgliedstaat“ in der Dublin III-VO und in der Verfahrensrichtlinie erweiternd dahin auszulegen, das auch weitere am Dublin-System beteiligte Staaten wie Norwegen (und der Schweiz) als Mitgliedstaat in diesem Sinn zu betrachten sind.
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Vgl. zu dem Übereinkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Republik Island und dem Königreich Norwegen (ABl EG v. 3. April 2001 Nr. L. 93 S. 40 ff.) VG Würzburg, Beschluss vom 27. Januar 2014 – W 6 S 14.30036 –, juris Rn. 15; dazu jetzt ausführlich Broscheit, InfAuslR 2020, 230 ff m. umfassenden Nachw. aus der Rechtsprechung auch zur Gegenansicht. Ferner Filzwieser/Sprung, Dublin III-Verordnung, 1. Aufl. 2014, Art. 2 K1 und S. 407 ff. (Wortlaut des Abkommens mit Norwegen/Island).
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(2) Entgegen der Annahme der Antragstellerin ist bei vorläufiger Wertung in ihrem Fall rechtlich eine vollständige Prüfung des internationalen Flüchtlingsschutzes zum letzten Entscheidungszeitpunkt durch die norwegischen Behörden entweder durch unmittelbare oder analoge Anwendung der dort maßgebenden Bestimmungen gewährleistet gewesen. Das Gericht folgt insoweit dem VG Hamburg, das dazu näher ausgeführt hat:
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„Es bestehen keine durchgreifenden Anhaltspunkte dafür, dass das Prüfprogramm des in Norwegen gestellten Asylantrags nicht auch die Voraussetzungen des subsidiären Schutzes i.S.d. Art. 15 der Qualifikationsrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011, ABl. L 337/9) umfasste. Soweit in dem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes durch dieses Gericht (1 AE 7300/16) noch angeführt wurde, es bestünden ernstliche Zweifel, dass in dem hier maßgeblichen Zeitraum das norwegische Asylverfahren eine vollständige Prüfung des subsidiären Schutzes, insbesondere des Art. 15 lit. c) der Qualifikationsrichtlinie, beinhaltet habe, bestehen diese Zweifel nach erneuter Prüfung nicht fort.
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Gemäß Art. 28 des zum 1. Januar 2010 in Kraft getretenen norwegischen Ausländergesetzes vom 15. Mai 2008 (Lov om utlendingers adgang til riket og deres ophold her – utlendingsloven) wird ein ausländischer Staatsangehöriger auf Antrag als Flüchtling anerkannt, wenn er (a) begründete Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Herkunft, Hautfarbe, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder aus Gründen seiner politischen Überzeugung hat und den Schutz seines Heimatlandes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht in Anspruch nehmen will, oder (b), ohne in den Anwendungsbereich von (a) zu fallen, gleichwohl der tatsächlichen Gefahr ausgesetzt ist, nach Rückkehr in das Heimatland der Todesstrafe, Folter oder anderer unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen zu werden (Text mit englischer Übersetzung abrufbar unter https://lovdata.no/dokument/ NLE/lov/2008-05-15-35). Damit sind dem Wortlaut nach jedenfalls die Art. 15 lit. a) und lit. b) der Qualifikationsrichtlinie umgesetzt worden. Dagegen wurde Art. 15 lit. c) der Qualifikationsrichtlinie nicht in das norwegische Recht umgesetzt. Der norwegische Gesetzgeber hat bewusst auf eine wörtliche Umsetzung des Art. 15 lit. c) der Qualifikationsrichtlinie verzichtet, weil er dessen Anwendungsbereich bereits von dem Tatbestandsmerkmal des Schutzes vor unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung i.S.d. Art. 15 lit. b) der Qualifikationsrichtlinie bzw. Art. 3 EMRK erfasst sieht. Offenbar befürchtete der norwegische Gesetzgeber, dass bei einer wörtlichen Umsetzung des Art. 15 lit. c) der Qualifikationsrichtlinie Missverständnisse über den Anwendungsbereich des subsidiären Schutzes entstehen könnten, insbesondere im Hinblick auf Personen, die nicht aufgrund eines Kriegszustandes oder massiver Gewalt Schutz beanspruchen (vgl. dazu http://emn.ee/wp-content/uploads/2016/03/Compilation_wider-dissemination_-_ad-hoc_query_on_asylum_sekers_from_afghanistan_5.pdf) . Demnach soll der Schutz vor Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung auch den Schutz vor einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts i.S.d. Art. 15 lit. c) der Qualifikationsrichtlinie erfassen (vgl. dazu die Erläuterung des Gesetzesvorschlags des norwegischen Ministeriums für Arbeit und Inklusion, Ot.prp.nr. 75, 2006 - 2007, S. 94 f.; abrufbar unter https://www.stortinget.no/noSaker-og-publikasjoner/Saker/Sak/?p=37763; vgl. auch VG Lüneburg, Beschl. v. 15.11.2018, 3 B 15/18, juris Rn. 38; VG München Beschl. v. 28.2.2018, M 16 S 17.47946, juris Rn. 22). Dies verdeutlicht auch eine Entscheidung des norwegischen Grand Board of the Immigration Appeals Board (UNE) aus Oktober 2010, der ebenfalls entnommen kann, dass Art. 28 Abs. 1 lit. b) des norwegischen Ausländergesetzes Art. 15 lit. c) der Qualifikationsrichtlinie abdecken soll und dass die entsprechende Praxis der EU-Mitgliedstaaten zu dieser Norm eine zu berücksichtigende Quelle für Norwegen sei (vgl. http://emn.ee/wp-content/uploads /2016/03/Compilation_wider-dissemination_-_ad-hoc_query_on_asylum_seekers_from_ afghanistan_5.pdf).“
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VG Hamburg, Urteil vom 15. Januar 2019 – 1 A 7299/16 –, juris Rn. 21 f.
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Das VG Schleswig hat ergänzend zur Frage der Möglichkeit subsidiären Schutzes in Norwegen ausgeführt:
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„Norwegen nimmt aufgrund des oben genannten Assoziierungsabkommens am Dublin-Zuständigkeitssystem teil, nunmehr unter der Dublin-III-VO. Norwegen hat die Geltung der Dublin-III-Verordnung als norwegisches Recht angeordnet. An die Aufnahmerichtlinie, die Asylverfahrensrichtlinie und die Qualifikationsrichtlinie ist Norwegen zwar nicht gebunden, die fortbestehende Einbeziehung Norwegens in das Dublin-Zuständigkeitssystem beruht jedoch auf der Annahme, dass das norwegische Asylsystem in seinem materiellen Schutzgehalt und in seiner verfahrensrechtlichen Ausgestaltung den unionsrechtlichen Vorgaben äquivalent ist und dass dies ausreichend ist. Andernfalls wäre es Norwegen nicht möglich, seine Verpflichtung aus Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 2 lit. d) Dublin-III-VO zu erfüllen. Dass das Asylrecht Norwegens wohl keinen Tatbestand enthält, der wörtlich dem Art. 15 lit. c) RL 2011/95/EU entspricht, erscheint unschädlich, da diese „Lücke“ über den Tatbestand des section 28 paragraph 1 (b) Immigration Act, der Art. 3 EMRK entspricht, aufgefangen werden kann.“
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Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht, Beschluss vom 30. Dezember 2019 – 13 A 392/19 –, juris Rn. 31 unter Hinweis auf section 32 paragraph 4 Immigration Act; englische Sprachfassung abrufbar unter: https://lovdata.no/dokument/NLE/lov/2008-05-15-35).
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Dies gilt auch, wenn zum Zeitpunkt der letzten Entscheidung die aktuelle Qualifikationsrichtlinie von 2011 noch nicht gegolten haben sollte. Dann war noch die Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 anwendbar, die in Art. 15 gleichlautende Bestimmungen zum subsidiären Schutz enthielt. Das Gericht geht bei summarischer Wertung davon aus, dass diese in Norwegen ab 1. Januar 2010 angewendet wurden und Grundlage der im vorliegenden Fall getroffenen Entscheidungen vom 16. April 2010 und vom 28. April 2011 gewesen ist.
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b) Nach § 71 a Abs. 1 AsylG ist ein Zweitverfahren nur durchzuführen, wenn die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) vorliegen. Das ist der Fall, wenn sich die der Entscheidung der Behörde des sicheren Drittstaats zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat (Abs. 1 Nr. 1) oder neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (Abs. 1 Nr. 2). Nach § 51 Abs. 2 VwVfG ist der Antrag darüber hinaus nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen. Gemäß § 51 Abs. 3 VwVfG ist ein diesbezüglichen Antrag binnen drei Monate nach Kenntnis des Grundes zur Stellung eines Zweitantrags zu stellen.
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aa) Bei Beachtung dieser Vorgaben hat die Antragstellerin in ihren schriftlichen Angaben und in der Anhörung beim Bundesamt am 14. März 2018 nur solche Vorgänge dargestellt, die sie bereits in Norwegen vorgetragen hat bzw. hätte vortragen können. Dies gilt auch für die behauptete Mitgliedschaft in der unter anderen in Oslo existierenden Oppositionsgruppe SIMRET, (bzw. SMER oder SIMEER). Dazu hat sie vorgetragen, dieser Gruppe seit fünf oder sechs Jahren [seit 2018], also ca. seit 2011/12, anzugehören, ohne aber näher darzutun, welche Tätigkeiten oder Funktionen sie dort ausgeübt hat.
- 32
Auf Nachfrage des Einzelentscheiders hat sie beim Bundesamt angegeben, ihre Mitgliedschaft in der Oppositionsgruppe auch den norwegischen Behörden mitgeteilt zu haben. Aus den in den Verwaltungsvorgängen des Bundesamts (Beiakte 2) ab Bl. 294 ff vorhandenen norwegischen Unterlagen, die von Antragstellerseite in die deutsche Sprache übersetzt worden sind (Anlage zum Schriftsatz vom 03. September 2020), ergibt sich, dass - wohl im Rahmen eines Folgeverfahrens auf Beschwerde (Umkehrung) der Antragstellerin - ein undatierter Beschluss der norwegischen Beschwerdekammer für Ausländer ergangen ist, der das Asylbegehren der Antragstellerin erneut abgelehnt hat. Unter dem 24. Mai 2016 ist diese Entscheidung der Antragstellerin durch ihre Anwältin mitgeteilt worden. Desgleichen war die Antragstellerin mit einem weiteren Antrag erfolglos, der mit Beschluss vom 23. Juni 2017 abgelehnt worden ist. Dort heißt es, dass neue Informationen gezeigt hätten, dass die Antragstellerin gegen das Regime tätig gewesen sei. Demnach hat die Antragstellerin ihre Mitgliedschaft bereits den norwegischen Behörden mitgeteilt. Dieser Umstand ist daher im vorliegenden Verfahren nicht mehr als neu im Sinne des § 71a Abs. 1 AsylG zu betrachten.
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Nach allem hat die Antragstellerin schon deshalb keinen Anspruch auf Durchführung eines Asylverfahrens in Deutschland, weil sich die flüchtlingsrechtlich relevanten Verhältnisse in Eritrea seit der letzten Entscheidung in Norwegen nicht zu ihren Lasten verschlechtert haben, sondern im Wesentlichen gleich geblieben sind.
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c) Ein Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach § 4 AsylG scheidet aus den gleichen Gründen ebenfalls aus.
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d) Die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) liegen ebenfalls nicht vor. Es liegen keine Umstände vor, aus denen sich ergeben könnte, dass eine Abschiebung der Antragstellerin gegen Art. 3 der (Europäischen) Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) verstoßen könnte.
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aa) Nach der Rechtsprechung des Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR)
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- vgl. Urteil vom 28. Juni 2011 – 8319/07, 11449/07 –, (Sufi u. Elmi/Vereinigtes Königreich) NVwZ 2012, 681, 685 juris (LS); vgl. jetzt auch klarstellend: EGMR, Urteil vom 13.12.2016 - 41738/10 - (Paposhvili/Belgium), zit. nach asyl.net.
- 38
können humanitäre Verhältnisse die Schwelle von Art. 3 EMRK („unmenschliche oder erniedrigende Behandlung“) nur in ganz außergewöhnlichen Fällen erreichen, wenn die gegen die Abschiebung sprechenden Gründe zwingend sind. Dies ist bejaht worden im Falle eines Ausländers, der schwerstkrank und offenbar dem Tode nahe war oder dessen Tod unmittelbar bevorstand, bei dem Pflege und medizinische Versorgung im Heimatland nicht gesichert waren und der dort keine Familie hatte, die bereit oder in der Lage gewesen wäre, ihm auch nur ein Minimum an Nahrung, Unterkunft oder sozialer Hilfe zukommen zu lassen. Es reicht für einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK nicht alleine aus, dass im Fall der Abschiebung in das Herkunftsgebiet die Lage des Betroffenen einschließlich seiner Lebenserwartung erheblich beeinträchtigt wird.
- 39
Vgl. EGMR, Urt. v. 27. Mai 2008 - 26 565/05 -N./Vereinigtes Königreich, zit. nach www.asyl.net.
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Auch der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat entschieden, dass die Überstellung eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK darstellt, wenn mit der Überstellung eines Asylbewerbers, der eine besonders schwere psychische oder physische Beeinträchtigung aufweist, die tatsächliche und erwiesene Gefahr einer wesentlichen und unumkehrbaren Verschlechterung seines Gesundheitszustands verbunden wäre.
- 41
Vgl. EuGH, Urteil vom 16. Februar 2017 – C-578/16 „PPU“ –, juris LS 2 (2. Spielstrich) und Rn. 55 ff.
- 42
bb) Die Antragstellerin hat im vorliegenden Fall indessen für sich keine Umstände vorgetragen, die in diesem Sinne zwingende Gründe gegen seine Abschiebung nach Äthiopien darstellen könnten. Nach allem wird sich die Antragstellerin im Falle ihrer Rückkehr keiner lebensbedrohlichen Extremsituation gegenübersehen, die den Fallgestaltungen entsprechen würde, welche den oben zitierten Entscheidungen des EGMR oder des EuGH zugrunde lagen.
- 43
cc) Auch eine individuell-konkrete Gefahr für die Antragstellerin im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist nicht ersichtlich.
- 44
2. Die Abschiebungsandrohung ist auch im Übrigen rechtlich nicht zu beanstanden. Dabei geht das Gericht davon aus, dass die neuere Rechtsprechung zum effektiven Rechtsschutz im Bereich des europäischen Flüchtlingsrechts insbesondere in Fällen, in denen der Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden ist, auch in Fällen des Zweitverfahrens zu beachten ist, da § 71 a Abs. 4 AsylG insofern auf die entsprechenden Bestimmungen verweist. Im Hinblick auf die dazu ergangene Entscheidung des BVerwG vom 20. Februar 2020 - 1 C 19.19 - hat das Bundesamt auf telefonischen richterlichen Hinweis unter dem 13. August 2020 gemäß § 80 Abs. 4 VwGO die Vollziehung der Abschiebungsandrohung und den Lauf der Ausreisefrist für die Dauer der Rechtsmittelfrist bzw. die Dauer des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes ausgesetzt. Es bestehen daher auch insofern keine rechtlichen Bedenken (mehr) gegenüber der verfügten Abschiebungsandrohung.
III.
- 45
Die Kosten des Verfahrens hat die Antragstellerin nach § 154 Abs. 1 VwGO als Unterliegende zu tragen. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei (§ 83b AsylG).
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