Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Berufung wird zugelassen.
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| | Die Klägerin wendet sich gegen die Untersagung der Ausführung ihres Bauvorhabens. |
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| | Am 4. Mai 2017 beantragte die Klägerin eine Baugenehmigung zur Errichtung zweier Plakatwerbetafeln (je 2,80 m x 3,80 m) für die wechselnde Produktwerbung auf dem Grundstück Flst.nr. ..., Bundesstraße ... in ... im vereinfachten Verfahren. Das Vorhabengrundstück liegt in unbeplantem Gebiet. |
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| | Mit Bescheid der Beklagten vom 22. Mai 2017 wurde der Antrag wegen Verstoßes gegen die Satzung über Werbeanlagen im Stadtteil ... abgelehnt. |
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| | Nach Einlegung von Widerspruch und Erhebung einer Untätigkeitsklage bei dem Verwaltungsgericht Sigmaringen (9 K 2898/19) wurde der Klägerin mit (Abhilfe-)Bescheid der Beklagten vom 22. August 2019 (Az. ...) die beantragte Baugenehmigung ohne Baufreigabe erteilt. |
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| | Mit weiterem Bescheid der Beklagten vom 22. August 2019 (Az. ...) wurde der Klägerin unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die Errichtung der genehmigten Werbeanlagen untersagt und ihr für den Fall des Zuwiderhandelns ein Zwangsgeld i.H.v. 5.000 Euro je Werbeanlage angedroht. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass das Vorhaben gegen § 11 Abs. 4 LBO verstoße. Die im faktischen Dorfgebiet geplante Anlage solle an Dritte vermietet werden und sei daher unzulässig, § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 5 BauNVO. Eine Abwägung der gegenüberstehenden Interessen im Rahmen der Anwendung des § 47 Abs. 1 LBO führe zum Überwiegen der Belange der Allgemeinheit, da dem Interesse an der Wahrung rechtmäßiger Zustände lediglich ein geringfügiger, den Kernbereich der Grundrechte nicht betreffender Eingriff auf Seiten der Klägerin gegenüberstehe. |
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| | Am 26. September 2019 legte die Klägerin gegen die Untersagung Widerspruch ein. |
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| | Mit Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums ... vom 26. Februar 2020, zugestellt am 3. März 2020, wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass das geplante Vorhaben gegen § 11 Abs. 4 LBO verstoße. Das Vorhabengrundstück liege im unbeplanten Innenbereich des Ortsteils ..., welches als faktisches Dorfgebiet einzuordnen sei. Zwar seien Werbeanlagen, die wie Gewerbebetriebe zu behandeln seien, in einem (faktischen) Dorfgebiet allgemein zulässig, § 5 Abs. 2 Nr. 6 BauNVO, jedoch werde die Zulässigkeit in § 11 Abs. 4 LBO dahingehend eingeschränkt, dass nur für Anschläge bestimmte Werbeanlagen sowie Werbeanlagen an der Stätte der Leistung zulässig seien. Eine solche Form der Werbeanlage liege hier indes nicht vor. Die Ermessensausübung sowie die Zwangsgeldandrohung seien nicht zu beanstanden. |
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| | Die Klägerin hat am 3. April 2020 Klage bei dem Verwaltungsgericht Sigmaringen erhoben. Das Vorhaben liege zwar in einem faktischen Dorfgebiet, allerdings finde der in § 11 Abs. 4 LBO mit der Baurechtsnovelle der Landesbauordnung im Jahr 2019 eingefügte Ausschlusskatalog aufgrund der Übergangsbestimmung des § 77 Abs. 1 LBO keine Anwendung. Der Bauantrag datiere auf den 4. Mai 2017. Zu diesem Zeitpunkt habe die Neufassung des § 11 Abs. 4 LBO noch nicht gegolten, so dass der Antrag nach der zuvor geltenden Fassung zu beurteilen und mithin auch bauordnungsrechtlich zulässig sei. |
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| | den Bescheid der Beklagten vom 22. August 2019 (Az. ...) in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums ... vom 26. Februar 2020 aufzuheben und die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären. |
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| | Der Bescheid basiere auf § 47 Abs. 1 LBO und sei rechtmäßig. Das Vorhaben verstoße gegen § 11 Abs. 4 LBO, wonach Anlagen der Fremdwerbung in (faktischen) Dorfgebieten unzulässig seien. Die erteilte Baugenehmigung stehe dem auch nicht entgegen, da sie im vereinfachten Genehmigungsverfahren erteilt worden sei, bei dem ein verkürztes Prüfprogramm vorgegeben sei, das nicht erweitert werden könne. § 77 Abs. 1 LBO ändere hieran ebenfalls nichts. Unabhängig davon, dass die Norm (nur) auf Baugenehmigungsverfahren anzuwenden sei, falle der vorliegende Sachverhalt nicht in dessen Regelungsbereich, da § 11 Abs. 4 LBO nicht dem Prüfprogramm des § 52 Abs. 2 LBO unterliege; § 77 Abs. 1 LBO erstrecke sich nicht auf außerhalb des Prüfprogramms liegende Vorschriften. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung sei die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, zu der die Neufassung des § 11 Abs. 4 LBO bereits in Kraft getreten sei. |
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| | Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Inaugenscheinnahme des Vorhabengrundstücks und seiner näheren Umgebung. Wegen der Einzelheiten wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung nebst Anlagen verwiesen. |
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| | Dem Gericht liegen die Behördenakten vor. Wegen der weiteren Einzelheiten wird hierauf sowie auf die Gerichtsakte Bezug genommen. |
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| | Die Klage bleibt ohne Erfolg. Der Bescheid der Beklagten vom 22. August 2019 (Az. ...) und der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums ... vom 26. Februar 2020 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin daher nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. |
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| | Nach § 47 Abs. 1 Satz 1 LBO haben die Baurechtsbehörden darauf zu achten, dass die baurechtlichen Vorschriften sowie die anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften über die Errichtung und den Abbruch von Anlagen und Einrichtungen im Sinne des § 1 LBO eingehalten und die auf Grund dieser Vorschriften erlassenen Anordnungen befolgt werden. Nach Satz 2 des § 47 Abs. 1 LBO haben sie zur Wahrnehmung dieser Aufgaben diejenigen Maßnahmen zu treffen, die nach pflichtgemäßem Ermessen erforderlich sind. |
|
| | Zu den einzuhaltenden baurechtlichen Vorschriften gehört auch die Regelung des § 11 Abs. 4 LBO in der ab 1. August 2019 gültigen Fassung, wonach in reinen Wohngebieten, allgemeinen Wohngebieten, Dorfgebieten und Kleinsiedlungsgebieten nur für Anschläge bestimmte Werbeanlagen sowie Werbeanlagen an der Stätte der Leistung zulässig sind. |
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| | Die Anforderungen des § 11 Abs. 4 LBO werden von dem genehmigten Bauvorhaben der Klägerin nicht eingehalten, so dass die Beklagte die Ausführung untersagen kann. |
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| | a. Das Vorhaben befindet sich in einem (faktischen) Dorfgebiet, § 5 BauNVO, und dient dem Geschäftsmodell der Klägerin folgend der Fremdwerbung. |
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| | Dorfgebiete dienen der Unterbringung der Wirtschaftsstellen land- und forstwirtschaftlicher Betriebe, dem Wohnen und der Unterbringung von nicht wesentlich störenden Gewerbebetrieben sowie der Versorgung der Bewohner des Gebiets dienenden Handwerksbetrieben, § 5 Abs. 1 Satz 1 BauNVO. Nach den Feststellungen des Gerichts befinden sich im maßgeblichen Bereich der näheren Umgebung des Bauvorhabens ein großer sowie weitere kleinere landwirtschaftliche Betriebe (§ 5 Abs. 2 Nrn. 1, 2 und 4 BauNVO), diverse Wohnhäuser (§ 5 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO), kleinere nicht störende Gewerbebetriebe wie bspw. ein Gebrauchtwagenhandel (§ 5 Abs. 2 Nr. 6 BauNVO), ein Gasthaus (§ 5 Abs. 2 Nr. 5 BauNVO) sowie eine Kirche (§ 5 Abs. 2 Nr. 7 BauNVO) und damit für ein Dorfgebiet typische Nutzungsarten. |
|
| | Zwar handelt es sich bei dem hier streitigen Bauvorhaben auch um für Anschläge bestimmte Werbeanlagen, so dass das Verbot des § 11 Abs. 4 LBO seinem Wortlaut nach nicht einschlägig ist. Bei für Anschläge bestimmte Werbeanlagen handelt es sich um solche Anlagen, auf die Anschläge angebracht werden können. Anschläge sind alle flächigen Werbemittel textlichen oder bildnerischen Inhalts, die nach ihrer Beschaffenheit zur Befestigung an anderen Gegenständen (z.B. Tafeln, Flächen, Säulen) geeignet und dafür auch bestimmt sind (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 29. Juni 1994 - 3 S 1931/93 -, 1. Ls. und Rn. 20; Sauter, Stand: Nov. 2019, § 11 LBO Rn. 69). Die Klägerin beabsichtigt ausweislich des Vortrags des Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung, auf die zu errichtenden Werbeanlagen Werbefolien mit textlichem und bildnerischem Inhalt aufzubringen, und damit Anschläge. |
|
| | Allerdings sind in den in § 11 Abs. 4 LBO genannten, vorwiegend dem Wohnen dienenden Gebieten entgegen dem Wortlaut der Vorschrift – aus dem sich ein Verbot der Errichtung von Fremdwerbeanlagen zunächst nicht ergibt (siehe oben) – Werbeanlagen der Fremdwerbung – wie hier – generell ausgeschlossen, da der Gesetzgeber sie in diesen Gebieten als grundsätzlich wesensfremd betrachtet. Aus der Begründung für die Neufassung des § 11 Abs. 4 durch die LBO 1995 (LT-Drs. 11/5337, S. 86), in der Dorfgebiete nicht mehr aufgenommen worden waren, und der Wiederaufnahme des Dorfgebietes in die Vorschrift des § 11 Abs. 4 LBO mit Wirkung ab 1. August 2019 (LT-Drs. 16/6293, S. 12) ergibt sich, dass mit der Regelung des § 11 Abs. 4 LBO die Möglichkeiten der werbenden Wirtschaft, insbesondere großformatige Schilder in Dorfgebieten aufstellen zu können, beschränkt werden sollte. Das Dorfgebiet wurde (wieder) als Gebietstypus eingestuft, dem Werbeanlagen im Allgemeinen fremd sind (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 26. Juli 2016 - 3 S 1241/15 -, juris Rn. 25; Urteil vom 21. Februar 2017 - 3 S 1748/14 -, juris Rn. 55; a.A. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 12. Juli 1991 - 8 S 427/91 -, juris Rn. 18 f. zum wortgleichen § 13 Abs. 4 LBO i.d.F. vom 28. November 1983; Urteil vom 6. April 2011 - 8 S 1213/19 -, juris Rn. 30). Zulässig sind somit nur Werbeanlagen, die das Informationsbedürfnis der Bewohner befriedigen und damit der besonderen Funktion dieser vorwiegend dem Wohnen dienenden Gebiete entsprechen (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Juni 1965 - IV C 73.65 -, NJW 1966, 69 [71]; VG Karlsruhe, Urteil vom 12. Juli 2017 - 4 K 7092/16 -, juris Rn 47; siehe auch Sauter, Stand: Nov. 2019, § 11 LBO Rn. 66). Hierfür spricht auch der zweite Halbsatz der Regelung, nach dem nur Werbung an der Stätte der Leistung zugelassen und damit Fremdwerbung ausgeschlossen wird. Aus dem Vorgenannten folgt mithin, dass insoweit auch der erste Halbsatz der Regelung teleologisch zu reduzieren ist, um dem gesetzgeberischen Willen Ausdruck zu verleihen. |
|
| | b. Ermessensfehler sind nicht ersichtlich. Die Beklagte hat das ihr zustehende Ermessen erkannt und die widerstreitenden Interessen in nicht zu beanstandender Weise gegeneinander abgewogen. |
|
| | c. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Regelung des § 77 Abs. 1 LBO. Nach § 77 Abs. 1 Satz 1 LBO sind die vor Inkrafttreten dieses Gesetzes eingeleiteten Verfahren nach den bisherigen Verfahrensvorschriften weiterzuführen. Ergänzend zu dieser Regelung regelt § 77 Abs. 1 Satz 2 LBO, dass die materiellen Vorschriften dieses Gesetzes in nach Satz 1 genannten Verfahren nur insoweit anzuwenden sind, als sie für den Antragsteller eine günstigere Regelung enthalten als das bisher geltende Recht. Die Übergangsregelung gilt auch für die hier erfolgte Gesetzesänderung, § 77 Abs. 1 Satz 3 LBO (siehe auch Sauter, Stand: Nov. 2019, § 77 LBO Rn. 1), die Dorfgebiete in die Regelung des § 11 Abs. 4 LBO (wieder) aufgenommen hat. |
|
| | Das Verfahren, das zu dem Erlass des hier in Streit stehenden Verwaltungsakts, der Untersagung des Bauvorhabens, geführt hat, ist indes von § 77 Abs. 1 LBO nicht umfasst. Unabhängig davon, ob das mit Bauantrag 2017 und damit vor Inkrafttreten der Gesetzesänderung eingeleitete Baugenehmigungsverfahren durch die Erteilung der Baugenehmigung abgeschlossen ist oder dessen Abschluss zusätzlich die Erteilung der Baufreigabe erfordert, handelt es sich bei dem streitgegenständlichen Bescheid und dem diesem zugrundeliegenden Verfahren um ein von dem Baugenehmigungsverfahren abweichendes, von der Behörde initiiertes Verfahren, welches nicht Gegenstand der Regelung des § 77 Abs. 1 LBO ist (so wohl auch Sauter, Stand: Nov. 2019, § 77 LBO Rn. 1). Aus dem Wortlaut des § 77 Abs. 1 Satz 2 LBO ergibt sich, dass die alte, günstige Rechtslage nur in Verfahren zur Anwendung gelangt, die von einem „Antragsteller“ eingeleitet worden sind, so dass von Seiten der Behörde eingeleitete Untersagungsverfahren hiervon nicht erfasst sind. Dem Vorbringen des Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung, dass das behördliche Verfahren vorliegend nur deswegen habe eingeleitet werden müssen, da überhaupt ein Genehmigungsantrag gestellt worden und daraufhin die Baugenehmigung zu erteilen gewesen sei, was zur Anwendbarkeit der Regelung auch auf das vorliegende Vorhaben führe, steht der Wortlaut der Vorschrift entgegen. Auch Sinn und Zweck der Vorschrift, den Antragsteller während eines laufenden Verfahrens vor Änderungen der Rechtslage zu schützen, gebieten keine andere Bewertung, denn die Regelung des § 77 Abs. 1 LBO trägt dem ausreichend Rechnung. |
|
| | Dies erscheint im vorliegenden Verfahren auch nicht allein deshalb unbillig, weil die Klägerin zur Erlangung der Baugenehmigung ein vereinfachtes Verfahren nach § 52 LBO durchgeführt hat. Denn dem vereinfachten Baugenehmigungsverfahren ist es gerade immanent, dass nicht alle baurechtlich relevanten Normen geprüft werden, sondern nur die dort genannten. Eine legalisierende Wirkung durch die Baugenehmigung und daran anschließender Bestandsschutz kann demzufolge auch nur insoweit entstehen, als die Einhaltung des Vorhabens mit den dort genannten Regelungen erfolgt ist. Der Klägerin wäre es unbenommen geblieben, einen Antrag im regulären Genehmigungsverfahren (§ 58 LBO) zu stellen, um so die legalisierende Wirkung herbeizuführen, indem das Bauvorhaben nach allen baurechtlich relevanten Vorschriften überprüft und genehmigt wird. |
|
| | 2. Die Zwangsgeldandrohung ist ebenfalls rechtmäßig. Sie basiert auf den §§ 19, 20, 23 LVwVG. Anhaltspunkte für deren Rechtswidrigkeit sind nicht ersichtlich und auch nicht vorgetragen. Insbesondere war eine Fristsetzung entbehrlich, § 20 Abs. 1 Satz 2 2. Hs. LVwVG. |
|
| | 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Gericht macht vom Ermessen über die Entscheidung, das Urteil gemäß § 167 Abs. 2 VwGO für vorläufig vollstreckbar zu erklären, keinen Gebrauch. |
|
| | 4. Die Berufung ist aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Fragen, ob § 11 Abs. 4 LBO in der ab 1. August 2019 geltenden Fassung die Errichtung von Fremdwerbeanlagen generell in den dort genannten Gebieten ausschließt und ob § 77 Abs. 1 LBO ausschließlich auf nicht behördlich initiierte Verfahren anzuwenden ist, zuzulassen, § 124a Abs. 1 Satz 1, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. |
|
| | Beschluss vom 22. April 2021 |
|
| | Der Streitwert wird auf 10.000 Euro festgesetzt. |
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| |
| | Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 9.1.2.3.1 und 1.1.1 des Streitwertkatalogs. |
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| | Die Klage bleibt ohne Erfolg. Der Bescheid der Beklagten vom 22. August 2019 (Az. ...) und der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums ... vom 26. Februar 2020 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin daher nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. |
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| | Nach § 47 Abs. 1 Satz 1 LBO haben die Baurechtsbehörden darauf zu achten, dass die baurechtlichen Vorschriften sowie die anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften über die Errichtung und den Abbruch von Anlagen und Einrichtungen im Sinne des § 1 LBO eingehalten und die auf Grund dieser Vorschriften erlassenen Anordnungen befolgt werden. Nach Satz 2 des § 47 Abs. 1 LBO haben sie zur Wahrnehmung dieser Aufgaben diejenigen Maßnahmen zu treffen, die nach pflichtgemäßem Ermessen erforderlich sind. |
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| | Zu den einzuhaltenden baurechtlichen Vorschriften gehört auch die Regelung des § 11 Abs. 4 LBO in der ab 1. August 2019 gültigen Fassung, wonach in reinen Wohngebieten, allgemeinen Wohngebieten, Dorfgebieten und Kleinsiedlungsgebieten nur für Anschläge bestimmte Werbeanlagen sowie Werbeanlagen an der Stätte der Leistung zulässig sind. |
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| | Die Anforderungen des § 11 Abs. 4 LBO werden von dem genehmigten Bauvorhaben der Klägerin nicht eingehalten, so dass die Beklagte die Ausführung untersagen kann. |
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| | a. Das Vorhaben befindet sich in einem (faktischen) Dorfgebiet, § 5 BauNVO, und dient dem Geschäftsmodell der Klägerin folgend der Fremdwerbung. |
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| | Dorfgebiete dienen der Unterbringung der Wirtschaftsstellen land- und forstwirtschaftlicher Betriebe, dem Wohnen und der Unterbringung von nicht wesentlich störenden Gewerbebetrieben sowie der Versorgung der Bewohner des Gebiets dienenden Handwerksbetrieben, § 5 Abs. 1 Satz 1 BauNVO. Nach den Feststellungen des Gerichts befinden sich im maßgeblichen Bereich der näheren Umgebung des Bauvorhabens ein großer sowie weitere kleinere landwirtschaftliche Betriebe (§ 5 Abs. 2 Nrn. 1, 2 und 4 BauNVO), diverse Wohnhäuser (§ 5 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO), kleinere nicht störende Gewerbebetriebe wie bspw. ein Gebrauchtwagenhandel (§ 5 Abs. 2 Nr. 6 BauNVO), ein Gasthaus (§ 5 Abs. 2 Nr. 5 BauNVO) sowie eine Kirche (§ 5 Abs. 2 Nr. 7 BauNVO) und damit für ein Dorfgebiet typische Nutzungsarten. |
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| | Zwar handelt es sich bei dem hier streitigen Bauvorhaben auch um für Anschläge bestimmte Werbeanlagen, so dass das Verbot des § 11 Abs. 4 LBO seinem Wortlaut nach nicht einschlägig ist. Bei für Anschläge bestimmte Werbeanlagen handelt es sich um solche Anlagen, auf die Anschläge angebracht werden können. Anschläge sind alle flächigen Werbemittel textlichen oder bildnerischen Inhalts, die nach ihrer Beschaffenheit zur Befestigung an anderen Gegenständen (z.B. Tafeln, Flächen, Säulen) geeignet und dafür auch bestimmt sind (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 29. Juni 1994 - 3 S 1931/93 -, 1. Ls. und Rn. 20; Sauter, Stand: Nov. 2019, § 11 LBO Rn. 69). Die Klägerin beabsichtigt ausweislich des Vortrags des Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung, auf die zu errichtenden Werbeanlagen Werbefolien mit textlichem und bildnerischem Inhalt aufzubringen, und damit Anschläge. |
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| | Allerdings sind in den in § 11 Abs. 4 LBO genannten, vorwiegend dem Wohnen dienenden Gebieten entgegen dem Wortlaut der Vorschrift – aus dem sich ein Verbot der Errichtung von Fremdwerbeanlagen zunächst nicht ergibt (siehe oben) – Werbeanlagen der Fremdwerbung – wie hier – generell ausgeschlossen, da der Gesetzgeber sie in diesen Gebieten als grundsätzlich wesensfremd betrachtet. Aus der Begründung für die Neufassung des § 11 Abs. 4 durch die LBO 1995 (LT-Drs. 11/5337, S. 86), in der Dorfgebiete nicht mehr aufgenommen worden waren, und der Wiederaufnahme des Dorfgebietes in die Vorschrift des § 11 Abs. 4 LBO mit Wirkung ab 1. August 2019 (LT-Drs. 16/6293, S. 12) ergibt sich, dass mit der Regelung des § 11 Abs. 4 LBO die Möglichkeiten der werbenden Wirtschaft, insbesondere großformatige Schilder in Dorfgebieten aufstellen zu können, beschränkt werden sollte. Das Dorfgebiet wurde (wieder) als Gebietstypus eingestuft, dem Werbeanlagen im Allgemeinen fremd sind (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 26. Juli 2016 - 3 S 1241/15 -, juris Rn. 25; Urteil vom 21. Februar 2017 - 3 S 1748/14 -, juris Rn. 55; a.A. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 12. Juli 1991 - 8 S 427/91 -, juris Rn. 18 f. zum wortgleichen § 13 Abs. 4 LBO i.d.F. vom 28. November 1983; Urteil vom 6. April 2011 - 8 S 1213/19 -, juris Rn. 30). Zulässig sind somit nur Werbeanlagen, die das Informationsbedürfnis der Bewohner befriedigen und damit der besonderen Funktion dieser vorwiegend dem Wohnen dienenden Gebiete entsprechen (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Juni 1965 - IV C 73.65 -, NJW 1966, 69 [71]; VG Karlsruhe, Urteil vom 12. Juli 2017 - 4 K 7092/16 -, juris Rn 47; siehe auch Sauter, Stand: Nov. 2019, § 11 LBO Rn. 66). Hierfür spricht auch der zweite Halbsatz der Regelung, nach dem nur Werbung an der Stätte der Leistung zugelassen und damit Fremdwerbung ausgeschlossen wird. Aus dem Vorgenannten folgt mithin, dass insoweit auch der erste Halbsatz der Regelung teleologisch zu reduzieren ist, um dem gesetzgeberischen Willen Ausdruck zu verleihen. |
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| | b. Ermessensfehler sind nicht ersichtlich. Die Beklagte hat das ihr zustehende Ermessen erkannt und die widerstreitenden Interessen in nicht zu beanstandender Weise gegeneinander abgewogen. |
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| | c. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Regelung des § 77 Abs. 1 LBO. Nach § 77 Abs. 1 Satz 1 LBO sind die vor Inkrafttreten dieses Gesetzes eingeleiteten Verfahren nach den bisherigen Verfahrensvorschriften weiterzuführen. Ergänzend zu dieser Regelung regelt § 77 Abs. 1 Satz 2 LBO, dass die materiellen Vorschriften dieses Gesetzes in nach Satz 1 genannten Verfahren nur insoweit anzuwenden sind, als sie für den Antragsteller eine günstigere Regelung enthalten als das bisher geltende Recht. Die Übergangsregelung gilt auch für die hier erfolgte Gesetzesänderung, § 77 Abs. 1 Satz 3 LBO (siehe auch Sauter, Stand: Nov. 2019, § 77 LBO Rn. 1), die Dorfgebiete in die Regelung des § 11 Abs. 4 LBO (wieder) aufgenommen hat. |
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| | Das Verfahren, das zu dem Erlass des hier in Streit stehenden Verwaltungsakts, der Untersagung des Bauvorhabens, geführt hat, ist indes von § 77 Abs. 1 LBO nicht umfasst. Unabhängig davon, ob das mit Bauantrag 2017 und damit vor Inkrafttreten der Gesetzesänderung eingeleitete Baugenehmigungsverfahren durch die Erteilung der Baugenehmigung abgeschlossen ist oder dessen Abschluss zusätzlich die Erteilung der Baufreigabe erfordert, handelt es sich bei dem streitgegenständlichen Bescheid und dem diesem zugrundeliegenden Verfahren um ein von dem Baugenehmigungsverfahren abweichendes, von der Behörde initiiertes Verfahren, welches nicht Gegenstand der Regelung des § 77 Abs. 1 LBO ist (so wohl auch Sauter, Stand: Nov. 2019, § 77 LBO Rn. 1). Aus dem Wortlaut des § 77 Abs. 1 Satz 2 LBO ergibt sich, dass die alte, günstige Rechtslage nur in Verfahren zur Anwendung gelangt, die von einem „Antragsteller“ eingeleitet worden sind, so dass von Seiten der Behörde eingeleitete Untersagungsverfahren hiervon nicht erfasst sind. Dem Vorbringen des Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung, dass das behördliche Verfahren vorliegend nur deswegen habe eingeleitet werden müssen, da überhaupt ein Genehmigungsantrag gestellt worden und daraufhin die Baugenehmigung zu erteilen gewesen sei, was zur Anwendbarkeit der Regelung auch auf das vorliegende Vorhaben führe, steht der Wortlaut der Vorschrift entgegen. Auch Sinn und Zweck der Vorschrift, den Antragsteller während eines laufenden Verfahrens vor Änderungen der Rechtslage zu schützen, gebieten keine andere Bewertung, denn die Regelung des § 77 Abs. 1 LBO trägt dem ausreichend Rechnung. |
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| | Dies erscheint im vorliegenden Verfahren auch nicht allein deshalb unbillig, weil die Klägerin zur Erlangung der Baugenehmigung ein vereinfachtes Verfahren nach § 52 LBO durchgeführt hat. Denn dem vereinfachten Baugenehmigungsverfahren ist es gerade immanent, dass nicht alle baurechtlich relevanten Normen geprüft werden, sondern nur die dort genannten. Eine legalisierende Wirkung durch die Baugenehmigung und daran anschließender Bestandsschutz kann demzufolge auch nur insoweit entstehen, als die Einhaltung des Vorhabens mit den dort genannten Regelungen erfolgt ist. Der Klägerin wäre es unbenommen geblieben, einen Antrag im regulären Genehmigungsverfahren (§ 58 LBO) zu stellen, um so die legalisierende Wirkung herbeizuführen, indem das Bauvorhaben nach allen baurechtlich relevanten Vorschriften überprüft und genehmigt wird. |
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| | 2. Die Zwangsgeldandrohung ist ebenfalls rechtmäßig. Sie basiert auf den §§ 19, 20, 23 LVwVG. Anhaltspunkte für deren Rechtswidrigkeit sind nicht ersichtlich und auch nicht vorgetragen. Insbesondere war eine Fristsetzung entbehrlich, § 20 Abs. 1 Satz 2 2. Hs. LVwVG. |
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| | 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Gericht macht vom Ermessen über die Entscheidung, das Urteil gemäß § 167 Abs. 2 VwGO für vorläufig vollstreckbar zu erklären, keinen Gebrauch. |
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| | 4. Die Berufung ist aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Fragen, ob § 11 Abs. 4 LBO in der ab 1. August 2019 geltenden Fassung die Errichtung von Fremdwerbeanlagen generell in den dort genannten Gebieten ausschließt und ob § 77 Abs. 1 LBO ausschließlich auf nicht behördlich initiierte Verfahren anzuwenden ist, zuzulassen, § 124a Abs. 1 Satz 1, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. |
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| | Beschluss vom 22. April 2021 |
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| | Der Streitwert wird auf 10.000 Euro festgesetzt. |
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| | Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 9.1.2.3.1 und 1.1.1 des Streitwertkatalogs. |
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