Urteil vom Verwaltungsgericht Sigmaringen - 3 K 2816/20

Tenor

Der Bescheid des Regierungspräsidiums Tübingen vom 25.11.2013 wird aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

 
Die Klägerin wendet sich gegen einen Bescheid des Regierungspräsidiums Tübingen, mit dem eine Ausnahmegenehmigung zur Kennzeichnung von Tieren mittels injizierter Transponder mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen wird. Diese Ausnahmegenehmigung war der Klägerin zuvor durch das Landratsamt … erteilt worden.
Die Klägerin hält im Rahmen ihrer Tätigkeit als Landwirtin Rinder unter der Marke „… “. Die Rinderherde und der zugehörige landwirtschaftliche Betrieb wurde ihr zum 01.07.1997 von ihrem Vater übertragen.
Die Form der ordnungsgemäßen Kennzeichnung der Tiere wird zwischen den Beteiligten seit den 1990er-Jahren diskutiert und ist zwischen ihnen streitig. Mit Bescheid des Landratsamts … vom 09.05.1996 war der Vater der Klägerin erstmals aufgefordert worden, seine Rinder im Rahmen einer tierärztlichen Untersuchung zu kennzeichnen und für die Kennzeichnung der Tiere Ohrmarken zu bestellen. Der Bescheid ist seit dem 28.08.1998 bestandskräftig. Im Zusammenhang mit der Vollziehung dieses Bescheids wurde von Klägerseite darauf hingewiesen, dass die Rinderherde seit 1982 als geschlossene Population unter anderem mit dem Ziel der Rückzüchtung von Rindern geführt werde. Es erfolge kein Viehverkehr, weshalb nicht die Notwendigkeit gesehen werde, die Rinder registrieren zu lassen. Man schlage vor, die Ohrmarken bereitzuhalten, die Tiere aber durch elektronische Transponder in Form von Injektaten zu kennzeichnen. Einstweilen werde man die Registrierungsbögen übersenden und die Ohrmarken bestellen. Mit Schreiben vom 26.01.1999 teilte das Landratsamt der Klägerin mit, dass man der Transponderkennzeichnung unter bestimmten im Schreiben näher definierten Voraussetzungen zustimmen könne. Daraufhin wurde im Laufe des Jahres 1999 mit der Implantierung von Transpondern begonnen. Seit dem 10.09.2002 werden nach Angaben der Klägerin im Wesentlichen alle Tiere der Herde mittels Transponder gekennzeichnet. Ein im Jahr 2002 gestellter Antrag auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung zur Kennzeichnung der Herde mittels Transponder zur Durchführung eines Forschungsprojekts wurde vom Regierungspräsidium Tübingen nach Rücksprache mit dem Landwirtschaftsministerium abgelehnt.
Mit E-Mail vom 10.04.2012 wurde das Regierungspräsidium durch das Landwirtschaftsministerium um Bericht gebeten, ob und in welcher Form die lebensmittel- und veterinärrechtlichen Bestimmungen durch den Betrieb der Klägerin eigehalten würden. Hintergrund sei, dass das bayerische Landwirtschaftsministerium mitgeteilt habe, dass bayerische Landwirte nach der Ausstrahlung einer Fernsehdokumentation über den Betrieb der Klägerin auf das Ministerium zugekommen seien und sich über die Ohrmarkenpflicht beschwert hätten. Auf entsprechende Weisung des Regierungspräsidiums glich das Landratsamt … zwischen dem 15.06. und dem 23.07.2012 die Transponder der Rinderherde und die zugehörigen Ohrmarken ab und stellte hierzu fest, es seien mit Blick auf die fachrechtlichen Vorgaben Mängel festgestellt worden, die für Betriebe dieser Größenordnung normal seien. Mit Blick auf die fachrechtliche Seite (Tierkennzeichnungsverordnung und Lebensmittelrecht) beabsichtige das Landratsamt, seine Praxis hinsichtlich der Kennzeichnung mittels Transpondern fortzusetzen. Was die subventionsrechtliche Seite betreffe, sei der Betrieb der Klägerin nicht gewillt, die Tiere ordnungsgemäß nach der Tierkennzeichnungsverordnung zu kennzeichnen. Das Landratsamt beabsichtige deshalb, die beantragten Prämien um 100 Prozent zu kürzen. Mit Schreiben vom 11.01.2013 wies das Regierungspräsidium das Landratsamt an, eine alternative Rinderkennzeichnung zukünftig generell und nicht nur mit Blick auf die Prämienzusage abzulehnen.
Mit Bescheid vom 08.02.2013 ordnete das Landratsamt daraufhin an, dass alle Rinder bis spätestens 30.06.2013 entsprechend den Vorgaben der Viehverkehrsverordnung mit zwei vom Landeskontrollverband Baden-Württemberg ausgegebenen Ohrmarken (eine Ohrmarke in jedem Ohr) zu kennzeichnen seien (Ziff. 1). Neugeborene Kälber seien ab sofort innerhalb von sieben Tagen nach ihrer Geburt entsprechend Ziff. 1 mit zwei Ohrmarken zu kennzeichnen (Ziff. 2). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die alternative Kennzeichnung mittels Transpondern verstoße gegen § 27 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ViehVerkVO und Art. 4 Abs. 1 VO (EG) 1760/2000. Die Verordnung unterscheide insoweit nicht zwischen Betrieben, die mit lebendem Vieh handelten und Betrieben, die selbst schlachteten. Die Klägerin könne sich auch nicht auf eine Ausnahme nach Art. 4 Abs. 1 UAbs. 3 VO (EG) Nr. 1760/2000 berufen, da die Klägerin die Rinder zum Zweck der Zucht und Schlachtung, nicht aber zu kulturellen oder sportlichen Zwecken halte. Durchgreifende Anhaltspunkte für die Nichtigkeit der Verordnungsbestimmungen bestünden nicht.
Mit Bescheiden vom 16.01.2013 und vom 13.03.2013 lehnte das Landratsamt … die zuvor gestellten Anträge der Klägerin und ihres Bruders auf Bewilligung von Agrarprämien für das Jahr 2012 teilweise ab. Ein hiergegen angestrengtes Klageverfahren (Az. 3 K 4831/13) ist inzwischen – nach Abweisung der Klage im Berufungsverfahren (Az. 10 S 2448/17) und Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde durch das BVerwG – abgeschlossen. Die hiergegen erhobene Verfassungsbeschwerde ist derzeit noch anhängig.
Auf den Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid des Landratsamts … vom 08.02.2013 erteilte das Landratsamt … der Klägerin mit Bescheid vom 10.06.2013 eine Ausnahmegenehmigung nach § 45 Abs. 2 ViehVerkVO, wonach die elektronische Tierkennzeichnung mit Mikrochip unter im Folgenden näher bestimmten Auflagen und stets widerruflich genehmigt wurde. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Klägerin halte nach ihren Angaben die Tiere nicht zum Zweck der Zucht und Schlachtung. Die Schlachtung diene lediglich der Bestandsregulierung und dem Erhalt der Herde. Die Tiere würden gehalten, um interessierten Verbrauchern, Landwirten und Wissenschaftlern die Möglichkeit zu bieten, die Rinderherde in ihrem ursprünglichen sozialen Wesen zu erleben. Die Herde sei zu einigen wissenschaftlichen Studien und im öffentlichen Interesse zu zahlreichen Publikationen herangezogen worden. Die Haltung erfülle auf dieser Grundlage die Merkmale einer ähnlichen Einrichtung im Sinne von § 45 Abs. 2 ViehVerkVO.
Mit Schreiben vom 11.07.2013 erteilte das Regierungspräsidium im Rahmen der Fachaufsicht gegenüber dem Landratsamt gestützt auf § 20 Abs. 2 Satz 1 LVG die Weisung, die erteilte Ausnahmegenehmigung unter Anordnung des Sofortvollzugs unverzüglich zurückzunehmen. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Ausnahmegenehmigung sei mit unvertretbarer Begründung und damit rechtswidrig erteilt worden. Der Betrieb der Klägerin, die etwa 270 Rinder halte, sei ein landwirtschaftlicher Betrieb. Es erfolgten zweimal pro Woche Schlachtungen. Das Fleisch werde mit Gewinnerzielungsabsicht als Lebensmittel in den Verkehr gebracht. Die Zurschaustellung sei trotz der aufgeführten Publikationen nicht Hauptzweck. Im Übrigen halte die Klägerin auch keine Wildtiere. Der Betrieb sei damit weder eine ähnliche Einrichtung im Sinne von § 45 Abs. 2 ViehVerkVO, noch falle er unter die in der Verordnung (EG) 644/2005 adressierte Rinderhaltung zu kulturellen und historischen Zwecken. Die jederzeitige Ablesbarkeit sei bei Transpondern nicht gewährleistet, da diese nicht von außen sichtbar seien. Bei diesen bestehe auch nach der im Zuge der Fortentwicklung des Kennzeichnungsrechts geäußerten Einschätzung der Kommission das Risiko, dass diese in die Nahrungskette gelangten oder nach Entnahme nicht lesbar seien.
Der Landrat … erläuterte in einem Schreiben an den Regierungspräsidenten vom 15.07.2013 die Rechtsauffassung des Landratsamts, ließ jedoch offen, ob das Landratsamt der Weisung nachkommen werde. Die praktizierte Kennzeichnung der Tiere mittels Transponder stelle die Kennzeichnung und Nachverfolgbarkeit der Rinder sicher und sei gerade mit Blick auf den Grundgedanken des Tierschutzes vernünftig. Die Verordnung (EG) Nr. 644/2005 sei inzwischen längst von Tatsachen und technischen Entwicklungen überholt. Mit Schreiben vom 25.07.2013 forderte der Regierungspräsident den Landrat unter Fristsetzung bis zum 19.08.2013 auf, die Ausnahmegenehmigung unter Anordnung der sofortigen Vollziehung zurückzunehmen, und führte hierzu aus, das Landratsamt habe als untere Verwaltungsbehörde das geltende Recht zu respektieren. Es stehe der Verwaltung nicht zu, ihre Überlegungen an die Stelle der Organe zu setzen, die nach der Rechtsordnung für den Erlass von Gesetzen und Verordnungen zuständig seien. Parallel wurde vom Regierungspräsidium in Abstimmung mit dem Landwirtschafts- und Innenministerium die Rechtslage hinsichtlich der Pflicht zur Tierkennzeichnung mittels Ohrmarken, die diesbezügliche Verwaltungspraxis im Regierungsbezirk und die rechtlichen Handlungsmöglichkeiten – eine Weisung an den Ersten Landesbeamten, die Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen den Landrat und die Annahme eines ungeschriebenen Selbsteintritts, einschließlich seiner Ausgestaltung – umfassend geprüft. Mit Schreiben vom 15.08.2013 teilte der Landrat … mit, dass er derzeit keine Veranlassung sehe, eine Ohrmarkenkennzeichnung durchzusetzen und die Ausnahmegenehmigung zurückzunehmen.
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Nach Anhörung der Klägerin nahm das Regierungspräsidium Tübingen die Ausnahmegenehmigung mit Bescheid vom 25.11.2013 gestützt auf § 48 Abs. 1 und Abs. 3 LVwVfG mit Wirkung für die Vergangenheit, aber ohne den Sofortvollzug anzuordnen, zurück. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, nachdem das Landratsamt der Weisung des Regierungspräsidiums keine Folge geleistet habe, sei das Regierungspräsidium auf Grundlage eines ungeschriebenen Selbsteintrittsrechts für den Erlass des Rücknahmebescheids zuständig. Die rechtswidrige Ausnahmegenehmigung könne vorliegend auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden, da sich die Klägerin nicht auf Vertrauensschutz berufen könne. Die Ausnahmegenehmigung sei stets widerruflich erteilt worden. Die Klägerin habe die Ausnahmegenehmigung ferner durch unrichtige Angaben erwirkt, da sie angegeben habe, die Rinder nicht zum Zweck der Zucht und Schlachtung zu halten. Vertrauensschutz werde ferner in der Regel nur gewährt, wenn der Betroffene sein Vertrauen durch entsprechende Maßnahmen bereits betätigt habe, wovon im Fall der Klägerin, die schon vor Erteilung der Ausnahmegenehmigung Transponder verwendet habe, keine Rede sein könne. Die Rücknahme sei im Übrigen auch verhältnismäßig, da sie der Herstellung rechtmäßiger Zustände und der Tierseuchenbekämpfung diene.
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Gegen den Rücknahmebescheid hat die Klägerin am 19.12.2013 Klage beim Verwaltungsgericht Sigmaringen erhoben. Das Verwaltungsgericht hat das Verfahren zunächst unter dem Aktenzeichen 3 K 4987/13 geführt und mit Beschluss vom 12.08.2014 auf Antrag der Beteiligten das Ruhen des Verfahrens angeordnet. Mit Schreiben des Regierungspräsidiums vom 26.08.2020 hat der Beklagte das Verfahren wiederangerufen.
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Nach Wiederanruf führt der Prozessbevollmächtigte der Klägerin zur Begründung der Klage aus, die Kennzeichnung der Rinder mittels Transpondern sei nach Art. 38 und 39 der Verordnung (EU) 2019/2035 sowie nach der Verordnung (EU) 2016/429 nunmehr zulässig. Davon unabhängig sei das Regierungspräsidium für den Erlass des Rücknahmebescheids nicht zuständig gewesen. Ein Selbsteintrittsrecht habe das Regierungspräsidium nicht gehabt. Aus intern geführter Korrespondenz und Aktenvermerken in den Verwaltungsakten ergebe sich deutlich, dass dieses Risiko vom Beklagten bewusst in Kauf genommen worden sei (wird ausgeführt, Schriftsatz vom 28.07.2021).
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Die Klägerin beantragt,
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den Bescheid des Regierungspräsidiums Tübingen vom 25.11.2013 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung führt das Regierungspräsidium aus, entsprechend den nicht tragenden Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofs im Prämienverfahren, die auch das Bundesverwaltungsgericht gestützt habe, sei die Klage abzuweisen. Letztlich schließe das einschlägige Verordnungsrecht auch eine Kennzeichnung von Tieren, die in die Nahrungskette eingingen, mittels Transpondern aus.
18 
Der Kammer liegen die Akten des Regierungspräsidiums Tübingen (3 Ordner), die Akten des Landratsamts … (1 Ordner, 1 Heft und eine Übersicht) vor, die auch den subventionsrechtlichen Vorgang betreffen; daneben liegen die Gerichtsakten des Verwaltungsgerichts Sigmaringen im Verfahren 3 K 4831/13 (2 Bände) vor. Hierauf und auf die Gerichtsakten im hiesigen Verfahren wird wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
19 
Die Kammer sieht sich nicht gehalten, die Verhandlung nach § 94 VwGO bis zur Entscheidung über die von der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 25.10.2016, das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 26.07.2018 und gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 08.02.2019 erhobene Verfassungsbeschwerde auszusetzen.
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Abgesehen davon, dass eine Pflicht zur Aussetzung nach § 94 VwGO nur im Ausnahmefall besteht, setzt diese Vorschrift voraus, dass die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet. Diese Voraussetzungen liegen hier schon deshalb nicht vor, da der Bescheid des Regierungspräsidiums Tübingen – ohne dass es auf die Beurteilung der materiellen Pflicht zur Kennzeichnung der Rinder mittels Ohrmarken ankommt – bereits aus formellen Gründen rechtswidrig ist (s. sogleich). Im Übrigen waren die aufgehobene Ausnahmegenehmigung und auch die Rücknahmeentscheidung des Regierungspräsidiums weder unmittelbar noch inzident Gegenstand des Prämienrechtsstreits. Allein der Umstand, dass sich in den Verfahren vergleichbare Rechtsfragen stellen können, macht die Verfassungsbeschwerde nicht vorgreiflich.
21 
Die zulässige Klage ist begründet. Der Rücknahmebescheid des Regierungspräsidiums Tübingen vom 25.11.2013 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Bescheids ist die Sach- und Rechtslage zum 25.11.2013 maßgeblich.
22 
Der Aufhebungsbescheid ist gestützt auf § 48 LVwVfG bereits deshalb rechtswidrig, weil das Regierungspräsidium Tübingen für dessen Erlass nicht zuständig war. Die Zuständigkeit lag vielmehr beim Landratsamt … . Die daraus folgende formelle Rechtswidrigkeit des Bescheids ist weder unbeachtlich – § 46 LVwVfG – noch heilbar oder geheilt, sodass der Bescheid aufzuheben ist.
23 
Die sachliche Zuständigkeit für die Rücknahme eines Verwaltungsakts richtet sich in Ermangelung einer Sonderregelung nach den für den Erlass des aufgehobenen Verwaltungsakts geltenden Vorschriften (s. BVerwG, Urteil vom 20. Dezember 1999 – 7 C 42.98 –, BVerwGE 100, 226, 230 ff., zu § 48 VwVfG). Nach § 2 Abs. 1 TierSG (i.d.F. vom 09.12.2010, BGBl. I, S. 1934, TierSG a.F.; heute: § 24 Abs. 1 TierGesG) i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 3 des damals gültigen Gesetzes zur Ausführung des Tierseuchengesetzes vom 19.11.1987 in der Fassung vom 11.03.2004 (GBl. 2004, S. 112; AGTierSG a.F.) sind für die Durchführung des Tierseuchengesetzes die unteren Verwaltungsbehörden zuständig, soweit nichts anderes bestimmt ist. Nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 LVG und § 1 Abs. 3 Satz 2 LKrO sind untere Verwaltungsbehörden in den Landkreisen die Landratsämter als insoweit in den Behördenaufbau des Landes eingegliederte staatliche Behörden.
24 
Das Regierungspräsidium konnte eine Zuständigkeit nicht aus den Vorschriften über die Fachaufsicht herleiten. Zwar führt das Regierungspräsidium nach § 2 und § 20 Abs. 2 des Landesverwaltungsgesetzes (LVG) die Fachaufsicht über die Landratsämter. Dabei handelt es sich allerdings nur um eine Zuständigkeitsbestimmung für die Ausübung der Fachaufsicht im Innenverhältnis. Bereits die Systematik des Gesetzes zeigt, dass damit keine Ermächtigung zur Verschiebung der Zuständigkeitsordnung im Außenverhältnis verbunden ist. So steht § 20 Abs. 2 LVG im Abschnitt über den Aufbau der allgemeinen Verwaltungsbehörden und regelt seinem Wortlaut nach – anders als etwa § 21 Abs. 3 LVG – keine Aufsichtsbefugnisse. Zum Inhalt der Fachaufsicht besteht zudem mit § 3 LVG eine eigenständige Regelung, die in § 3 Abs. 3 Satz 1 LVG zwar ein Weisungsrecht, aber gerade kein darüber hinausgehendes Selbsteintrittsrecht normiert und im Übrigen in Abs. 5 auf die Gemeindeordnung, die Landkreisordnung und speziellere Regelungen im LVG und anderen Rechtsvorschriften verweist, durch die die Rechte der Dienstaufsichts- und Fachaufsichtsbehörden erweitert oder beschränkt werden (vgl. auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 23. Dezember 1994 – 9 S 653/93 –, NVwZ-RR 1995, 476).
25 
Eine hier einschlägige spezialgesetzliche Regelung zum Selbsteintritt der Fachaufsicht findet sich im Übrigen auch nicht in Vorschriften anderer Gesetze. Die Landkreisordnung (LKrO) regelt insoweit in § 51 lediglich die Aufsicht über das Tätigwerden des Landratsamts im eigenen Wirkungskreis des Landkreises – § 1 Abs. 3 Satz 1 Hs. 1 LKrO – und bestimmt im Hinblick auf die persönliche Stellung des Landrats nur, dass dieser im Bereich der staatlichen Verwaltung der Dienst- und Fachaufsicht des Regierungspräsidiums unterliegt (s. bereits VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 22. Juli 1991 – A 12 S 21/91 –, juris Rn. 5, dort zu § 51 LKrO a.F.). Ein Selbsteintritt der Fachaufsicht war zum maßgeblichen Zeitpunkt auch nicht im AGTierSG a.F. normiert, das zum damaligen Zeitpunkt lediglich Vorschriften zur Aufsicht über die Tierseuchenkasse – § 26 AGTierSG a.F. – und ein Eintrittsrecht zur einheitlichen Regelung kreisübergreifender Angelegenheiten – § 1 Abs. 2 AGTierSG a.F. (vgl. hierzu LT-Drs. 16/4028, S. 39) – enthielt.
26 
Auch auf § 65 Abs. 2 PolG in der damals gültigen Fassung vom 13.01.1992 (GBl. 1992, S. 1, ber. S. 596; GBl. 1993, S. 155; PolG a.F.) – die Vorschrift normiert ein Selbsteintrittsrecht der Fachaufsicht im Fall des Weisungsungehorsams – lässt sich der Selbsteintritt des Regierungspräsidiums nicht stützen, nachdem das Landratsamt, was die hier in Rede stehende Erteilung der Ausnahmegenehmigung zur Tierkennzeichnung anbelangt, weder institutionell als Kreispolizeibehörde im Bereich des Vollzugs des Polizeigesetzes, noch sonst – einschreitend – zur Abwehr einer Gefahr i.S.v. § 1 PolG gehandelt hat, sondern in Vollzug der Vermarktungsregelungen der Tierkennzeichnungsverordnung (s. zum Selbsteintritt gegenüber einer als untere Baurechtsbehörde handelnden Gemeinde vor Einführung von § 47 Abs. 5 Satz 2 LBO und zu § 51 Abs. 2 PolG a.F. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 24. Februar 1992 – 1 S 1131/90 –, juris Rn. 27; vgl. ferner zum engen Polizeibegriff Wolff/Stephan/Deger, PolG BW, 7. Aufl., § 62 Rn. 2 und § 1 Rn. 13 ff.; vgl. aber § 61 Rn. 2 zur Gegenansicht; hierzu offen VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 14. September 2004 – 10 S 1283/04 –, juris Rn. 22).
27 
Schließlich enthält die Rechtsordnung auch ein vom Regierungspräsidium angenommenes ungeschriebenes Selbsteintrittsrecht im Sinne eines Delegationsrechts nicht. Ein solches ungeschriebenes Selbsteintrittsrecht der Fachaufsicht in Fällen des Weisungsungehorsams wird in der Literatur zum Teil angenommen (s. hierzu etwa Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 19. Aufl., § 21 Rn. 49; ausf. zum Stand der Diskussion Herdegen, Die Verwaltung 1990, 183, 194 ff.; ausdrücklich offen gelassen VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 22. Juli 1991 – A 12 S 21/91 –, juris Rn. 6 m.w.N.; Bayerischer VGH, Beschluss vom 19. März 1981 – 22 B 80 A.989 –, DÖV, 1982, 83, 84; a.A. für den Bereich unmittelbarerer Staatsverwaltung Thüringer OVG, Beschluss vom 17. Juni 1993 – 1 B 117/92 –, juris Rn. 12 ff.; für den Bereich der mittelbaren Staatsverwaltung VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 24. Februar 1992 – 1 S 1131/90 –, juris Rn. 26). Auch die Annahme einer ungeschriebenen Zuständigkeitsregel unterliegt indes wie jede Regelung der behördlichen Zuständigkeit im Außenverhältnis dem in Art. 70 Abs. 1 LV festgeschriebenen Vorbehalt, wonach Aufbau, räumliche Gliederung und Zuständigkeiten der Landesverwaltung durch Gesetz geregelt werden. Daran fehlt es.
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Die Kammer verkennt dabei nicht, dass in Fällen des Weisungsungehorsams einer nachgeordneten Behörde durchaus ein greifbares praktisches Bedürfnis für einen Selbsteintritt der Fachaufsicht bestehen mag. Allein daraus lässt sich aber weder generell noch im konkreten Einzelfall ein rechtlicher Anknüpfungspunkt für die Herleitung eines solchen Rechts gewinnen. Bei der Herleitung eines ungeschriebenen Selbsteintrittsrechts handelte es sich der Sache nach um richterliche Rechtsfortbildung, die – gerade mit Blick auf Art. 70 LV – nur in engen Grenzen und auf einer hinreichenden rechtlichen Grundlage möglich ist und in diesem Zusammenhang jedenfalls eine planwidrige Regelungslücke voraussetzt.
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Gemessen hieran kann das Gericht schon nicht feststellen, dass das Landesrecht (insbesondere für Fälle des Weisungsungehorsams) zum maßgeblichen Zeitpunkt eine derartige planwidrige Lücke aufwies. Dagegen spricht bereits, dass sich der Gesetzgeber (zeitlich nach dem Ergehen des hier angefochtenen Bescheids) gehalten sah, mit dem Gesetz zur Ausführung des Tiergesundheitsgesetzes und anderer tiergesundheitsrechtlicher Vorschriften vom 19.08.2018 (GBl. 2018, S. 223) nunmehr ausdrücklich ein Selbsteintrittsrecht für bestimmte Fallkonstellationen im hier in Rede stehenden Sachgebiet zu normieren (§ 3 Abs. 1 TierGesAG). Dabei hat der Gesetzgeber offenkundig auch nicht etwa lediglich klarstellend eine bereits zuvor bestehende Rechtslage zur Schaffung größerer Rechtssicherheit und -klarheit festschreiben wollen. Vielmehr heißt es in der dazugehörigen Gesetzesentwurfsbegründung (LT-Drs. 16/4028, S. 37 f.) ausdrücklich:
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„(…) Dieses Selbsteintrittsrecht ist nicht bereits in der gesetzlichen Regelung der Fachaufsicht mitenthalten (ESVGH 42, 315–316). Ob es ein „ungeschriebenes“ Selbsteintrittsrecht der Fachaufsichtsbehörden als verfassungsrechtliches Gebot zumindest in eng begrenzten Ausnahmefällen als „Ultima Ratio“ zur Sicherung der Regierungsverantwortung oder zur Erfüllung von Schutzpflichten zugunsten von Individual- oder Allgemeininteressen mit Verfassungsrang „bei Gefahr im Verzug“ oder bei „Weisungsungehorsam“ gibt, ist in der Rechtslehre umstritten. Vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg wurde die Frage ausdrücklich offengelassen (ESVGH 42, 24–28). Daraus ergibt sich die Notwendigkeit einer ausdrücklichen Regelung des Selbsteintrittsrechts. Die Regelung des Selbsteintritts stellt eine Ausnahme vom Grundsatz der Subsidiarität (Artikel 71 Absatz 1 Satz 2 LV) dar und bedarf daher als Kompetenzregelung der Rechtsform eines parlamentarischen Gesetzes (Artikel 71 Absatz 1 Satz 1 LV). In Baden-Württemberg gibt es weder im LVwVfG noch im LVG eine für alle Aufsichtsbehörden geltende allgemeine Regelung eines Selbsteintrittsrechts. Es bleibt damit den einzelnen landesrechtlichen Fachgesetzen überlassen, ob und inwieweit sie den Fachaufsichtsbehörden ein Selbsteintrittsrecht einräumen.“
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Auch die ausdifferenzierte Regelungsstruktur in § 3 Abs. 1 TierGesAG und die differenzierte Gesetzesbegründung zeigen deutlich, dass der Rückgriff auf ein (erst noch im Einzelnen hinsichtlich der tatbestandlichen Voraussetzungen näher zu konturierendes) ungeschriebenes Selbsteintrittsrecht für die Zeit vor Inkrafttreten der Spezialregelung nicht ohne Weiteres zulässig sein kann. Der Gesetzgeber hat mit dieser Regelung selbst für den Bereich des Tiergesundheitsrechts gerade kein allumfassendes Selbsteintrittsrecht geschaffen, sondern bewusst eine Regelbeispielstechnik gewählt, sodass mit der rechtsstaatlich gebotenen Klarheit kaum zu bestimmen ist, in welchen Fallgestaltungen dies vorgeblich zuvor schon soll gegolten haben können.
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Dem Rückgriff auf ein ungeschriebenes Selbsteintrittsrecht zum Zeitpunkt des Erlasses der hier angefochtenen Rücknahmeentscheidung im Jahr 2013 steht überdies aber auch entgegen, dass sich auch die damalige Fassung der landesrechtlichen Ausführungsbestimmungen zum Tierseuchenrecht durchaus zu Fragen des Selbsteintritts bzw. der Zuständigkeitsverlagerung verhalten hat. In § 1 Abs. 2 des Tierseuchengesetz-Ausführungsgesetzes (in der bis 29.06.2018 geltenden Fassung) war nämlich bereichsspezifisch für den Fall kreisübergreifenden Aufgabenanfalls vorgesehen, dass die übergeordneten Behörden im Einzelfall die Zuständigkeit an sich ziehen konnten. Der Gesetzgeber hatte mithin Anwendungsfälle für eine Zuständigkeitsverlagerung an die nächsthöhere Behörde durchaus vor Augen, ohne aber etwa den Fall des sog. Weisungsungehorsams oder sonst Voraussetzungen für ein Selbsteintrittsrecht zu regeln.
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Auch sonst hat der Landesgesetzgeber (vor Einführung von § 3 TierGesAG) sowohl im Polizeirecht, als auch im besonderen Ordnungsrecht und – differenzierter – im Bereich der kommunalen Rechtsaufsicht sektorale Selbsteintrittsbefugnisse jeweils explizit geregelt, so etwa in § 65 Abs. 2 PolG a.F., § 47 Abs. 5 Satz 2 LBO, § 3 Abs. 6 DSchG, § 4 Abs. 4 AAZuVO, § 23 Abs. 7 NatSchG a.F., ferner § 121, § 123 und § 129 Abs. 2 Satz 2 GemO (vgl. hierzu auch die Ausführungen in der vorstehend bereits zitierten Begründung zum Entwurf des TierGesAG – LT-Drs. 16/4028, S. 38). Diesen sektoralen Ansatz hat der Gesetzgeber schließlich auch mit der differenzierten Regelung eines Selbsteintrittsrechts in § 3 TierGesAG weiterverfolgt, von einer generellen Regelung des Selbsteintritts – wie etwa in Art. 3b BayVwVfG erfolgt – indes auch weiterhin abgesehen. Bereits dies spricht aus Sicht der Kammer gegen einen im Landesrecht angedeuteten, aber planwidrig nicht normierten Rechtsgedanken, der ein allgemeines Selbsteintrittsrecht bei Weisungsungehorsam einer nachgeordneten Behörde vorsähe bzw. vorgesehen hätte. Es fehlt in diesem Zusammenhang zugleich an Anhaltspunkten, unter welchen Voraussetzungen, in welchen Grenzen und mit welchen Rechtsfolgen ein derartiges Selbsteintrittsrecht bestünde. Insoweit fällt auf, dass jedenfalls eine vom Regierungspräsidium angenommene Ausgestaltung als Delegationsrecht sich im geschriebenen sektoralen Landesrecht bislang soweit ersichtlich nicht findet (s. hierzu die differenzierten Ausführungen in der Begründung zu § 3 TierGesAG – LT-Drs. 16/4028, S. 38).
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Eine planwidrige Regelungslücke lässt sich ferner nicht aus dem Gedanken ableiten, dass ein Selbsteintrittsrecht der Fachaufsichtsbehörde im Bereich der unmittelbaren Staatsverwaltung – etwa in Fällen der Organleihe nach § 1 Abs. 3 LKrO – als tradierter verwaltungsrechtlicher Grundsatz bereits aus dem Weisungsrecht bzw. dem integrierten Behördenaufbau folgt und in diesem Sinne als Rechtsinstitut vorkonstitutionell bestanden hätte. Einen solchen Rechtsgrundsatz erkennt die Rechtsprechung mit Blick auf die Unterscheidung zwischen aufsichtsbehördlicher Befugnis im Innenverhältnis und Zuständigkeitsübergang im Außenverhältnis nicht an (s. allg. etwa VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 24. Februar 1992 – 1 S 1131/90 –, juris Rn. 26 m.w.N.; Bayerischer VGH, Beschluss vom 29. März 1977 – 7 XV 74 –, BayVBl. 1977, 503 f., m.w.N.; Urteil vom 19. März 1981 – 22 B 80 A.989 –, DÖV 1982, 83 f.; Urteil vom 09. April 2003 – 24 B 02.646 –, juris Rn. 30 ff.; OVG Berlin, Urteil vom 07. Januar 1977 – III B 7/76 –, NJW 1977, 1166, 1167; OVG Bremen, Beschluss vom 22. November 2018 – 1 B 232/18 –, juris Rn. 22; Thüringer OVG, Beschluss vom 17. Juni 1993 – 1 B 117/92 –, juris Rn. 13 ff.).
35 
Die richterrechtliche Begründung eines Selbsteintrittsrechts ist nach Auffassung der Kammer schließlich – selbst im Fall des Weisungsungehorsams – jedenfalls nicht generell durch höherrangiges Recht geboten. Die Kammer berücksichtigt auch insoweit, dass die Annahme eines Selbsteintrittsrechts in Fällen des Weisungsungehorsams die Aufsichtsbehörde in die Lage versetzt, die Bindung der Verwaltung an Recht und Gesetz – Art. 20 Abs. 3 GG – und dabei auch die Durchführung des Unionsrechts – Art. 4 Abs. 3 EUV, Art. 291 AEUV – lückenlos, effizient und insoweit vor allem kurzfristig zu gewährleisten. Allerdings ist selbst in Fällen, in denen der Vollzug von Unionsrecht in Rede steht, ein Selbsteintritt der Fachaufsicht nicht der einzig denkbare Weg, um eine rechtstaatliche und in diesem Sinne gesetzestreue Verwaltung zu gewährleisten. So besteht gerade im Bereich der unmittelbaren Staatsverwaltung regelmäßig die Möglichkeit, die nachgeordnete Stelle notfalls im Wege der Dienstaufsicht zum Weisungsgehorsam anzuhalten (so Thüringer OVG, Beschluss vom 17. Juni 1993 – 1 B 117/92 –, juris Rn. 15; krit. dagegen, allerdings mit Blick auf die Stellung des Landrats in Bayern Süß, BayVBl. 1987, 1, 3, dort auch zur Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs vom 22. Juli 1959 – Vf. 77-VII-58 –, VerwRspr 1960, 257, 260) – was im Übrigen auch im vorliegenden Fall durchaus in Erwägung gezogen und auch angegangen, aber letztlich nicht weiterverfolgt wurde. Andererseits bleibt es dem Gesetzgeber bzw. u.U. auch dem Ministerium – s. § 1 Abs. 1 Satz 2 AGTierSG a.F. – unbenommen, weitere sektorale Selbsteintrittsrechte oder ein generelles Selbsteintrittsrecht gesetzlich bzw. soweit vorgesehen im Verordnungsweg zu normieren. Andere Länder sind diesen Weg gegangen (s. etwa zur Entstehungsgeschichte von Art. 3a BayVwVfG a.F., nunmehr Art. 3b BayVwVfG Süß, BayVBl. 1987, 1; Kaup, BayVBl. 1990, 193; Boettcher, BayVBl. 1990, 200; s.a. Bayerischer VGH, Beschluss vom 13.05.1987 – 22 AS 87.40008 und 22 AS 87.40009 –, BayVBl. 1988, 552). Dass die Annahme eines Selbsteintrittsrechts im Sinne einer ultima ratio zwingend wäre, lässt sich nach alledem und auch mit Blick auf den hier in Rede stehenden Vollzug von Unionsrecht nicht feststellen. Art. 291 AEUV, aus dem sich ergibt, dass die Durchführung des Unionsrechts in Ermangelung anderer Regelungen Sache der Mitgliedstaaten ist und nach innerstaatlichem Recht erfolgt, macht deutlich, dass auch das Unionsrecht keine Rechtsfortbildung contra legem verlangt und eine Rechtsfortbildung praeter legem jedenfalls nur im erforderlichen und angemessenen Umfang (vgl. Gellermann, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 291 Rn. 5; Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 291 Rn. 17).
36 
Danach könnte die Annahme eines ungeschriebenen Selbsteintrittsrecht im Wege der Rechtsfortbildung allenfalls – entsprechend § 3 Abs. 4 LVwVfG – dann in Betracht kommen, wenn die zuständige Instanz nicht bereit ist, eine Weisung zu befolgen, und zusätzlich Gefahr im Verzug vorliegt, der Situation des Weisungsungehorsams bei unaufschiebbaren Maßnahmen also nicht in angemessener Zeit durch anderweitige gesetzgeberische oder administrative Maßnahmen begegnet werden kann (in diesem Sinne bereits Wilhelm, BayVBl. 1964, 277, 280 und Engel, DVBl. 1981, 757, 763, jeweils mit ausführlicher Begründung; vgl. ferner Herdegen, Die Verwaltung 1990, 183, 199, m.w.N.). Für eine derartige Situation bestehen im hier zu entscheidenden Fall indes keine Anhaltspunkte, nachdem das Regierungspräsidium jedenfalls seit 2002 von der aktiven Duldung einer alternativen und aus Sicht des Regierungspräsidiums nicht genehmigungsfähigen Tierkennzeichnung durch das Landratsamt Kenntnis hatte, erst im Jahr 2012 einen Hinweis des bayerischen Landwirtschaftsministeriums bzw. die darauf folgende Weisung des baden-württembergischen Landwirtschaftsministeriums zum Anlass nahm, auf eine Kennzeichnung mittels Ohrmarken hinzuwirken, und auch im Folgenden weder den Sofortvollzug des Rücknahmebescheids anordnete noch darauf hinwirkte, eine aus seiner Sicht ordnungsgemäße Kennzeichnung mittels Ohrmarken tatsächlich durchzusetzen (s. hierzu auch den Aktenvermerk vom 26.07.2013, Quadrangel 66 der Akte des Regierungspräsidiums).
37 
Nach alledem erweist sich der Rücknahmebescheid des Regierungspräsidiums bereits wegen fehlender sachlicher Zuständigkeit als rechtswidrig. Die Klägerin wird dadurch auch in ihren Rechten verletzt. Die Kammer lässt vor diesem Hintergrund offen, ob die Kennzeichnung der Rinderherde der Klägerin mittels Transponder nach damaliger Rechtslage bzw. unter der zwischenzeitlich außer Kraft getretenen Verordnung (EG) Nr. 1760/2000 zulässig war (s. hierzu aber bereits VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 26. Juli 2018 – 10 S 2447/17 –, juris Rn. 34 ff., vgl. auch Rn. 38 zum Folgenden) bzw. ob hiervon befreit werden durfte (vgl. zum Ganzen VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 25. Juli 2005 – 9 S 947/05 –, juris, insb. Rn. 8; VG Freiburg, Beschluss vom 12. April 2005 – 6 K 407/05 –, n.v.), und weiter, ob die übrigen Voraussetzungen für die Aufhebung der Ausnahmegenehmigung mit Wirkung für die Vergangenheit vorlagen.
38 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Kammer sieht von der Möglichkeit nach § 167 Abs. 2 VwGO ab, die Entscheidung hinsichtlich der Kosten für vorläufig vollstreckbar zu erklären.
39 
Die Berufung war nicht nach § 124a Abs. 1 VwGO zuzulassen, da Gründe für eine Zulassung der Berufung nicht vorliegen. Insbesondere hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Die hier entscheidungstragenden Ausführungen zur Zuständigkeit und zum Selbsteintrittsrecht der Fachaufsichtsbehörde betreffen eine Rechtsfrage, die sich infolge der Normierung eines Selbsteintrittsrechts der Fachaufsicht in § 3 TierGesAG im Jahr 2018 inzwischen nicht mehr in gleicher Weise stellt und deshalb nicht klärungsbedürftig ist.

Gründe

 
19 
Die Kammer sieht sich nicht gehalten, die Verhandlung nach § 94 VwGO bis zur Entscheidung über die von der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 25.10.2016, das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 26.07.2018 und gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 08.02.2019 erhobene Verfassungsbeschwerde auszusetzen.
20 
Abgesehen davon, dass eine Pflicht zur Aussetzung nach § 94 VwGO nur im Ausnahmefall besteht, setzt diese Vorschrift voraus, dass die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet. Diese Voraussetzungen liegen hier schon deshalb nicht vor, da der Bescheid des Regierungspräsidiums Tübingen – ohne dass es auf die Beurteilung der materiellen Pflicht zur Kennzeichnung der Rinder mittels Ohrmarken ankommt – bereits aus formellen Gründen rechtswidrig ist (s. sogleich). Im Übrigen waren die aufgehobene Ausnahmegenehmigung und auch die Rücknahmeentscheidung des Regierungspräsidiums weder unmittelbar noch inzident Gegenstand des Prämienrechtsstreits. Allein der Umstand, dass sich in den Verfahren vergleichbare Rechtsfragen stellen können, macht die Verfassungsbeschwerde nicht vorgreiflich.
21 
Die zulässige Klage ist begründet. Der Rücknahmebescheid des Regierungspräsidiums Tübingen vom 25.11.2013 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Bescheids ist die Sach- und Rechtslage zum 25.11.2013 maßgeblich.
22 
Der Aufhebungsbescheid ist gestützt auf § 48 LVwVfG bereits deshalb rechtswidrig, weil das Regierungspräsidium Tübingen für dessen Erlass nicht zuständig war. Die Zuständigkeit lag vielmehr beim Landratsamt … . Die daraus folgende formelle Rechtswidrigkeit des Bescheids ist weder unbeachtlich – § 46 LVwVfG – noch heilbar oder geheilt, sodass der Bescheid aufzuheben ist.
23 
Die sachliche Zuständigkeit für die Rücknahme eines Verwaltungsakts richtet sich in Ermangelung einer Sonderregelung nach den für den Erlass des aufgehobenen Verwaltungsakts geltenden Vorschriften (s. BVerwG, Urteil vom 20. Dezember 1999 – 7 C 42.98 –, BVerwGE 100, 226, 230 ff., zu § 48 VwVfG). Nach § 2 Abs. 1 TierSG (i.d.F. vom 09.12.2010, BGBl. I, S. 1934, TierSG a.F.; heute: § 24 Abs. 1 TierGesG) i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 3 des damals gültigen Gesetzes zur Ausführung des Tierseuchengesetzes vom 19.11.1987 in der Fassung vom 11.03.2004 (GBl. 2004, S. 112; AGTierSG a.F.) sind für die Durchführung des Tierseuchengesetzes die unteren Verwaltungsbehörden zuständig, soweit nichts anderes bestimmt ist. Nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 LVG und § 1 Abs. 3 Satz 2 LKrO sind untere Verwaltungsbehörden in den Landkreisen die Landratsämter als insoweit in den Behördenaufbau des Landes eingegliederte staatliche Behörden.
24 
Das Regierungspräsidium konnte eine Zuständigkeit nicht aus den Vorschriften über die Fachaufsicht herleiten. Zwar führt das Regierungspräsidium nach § 2 und § 20 Abs. 2 des Landesverwaltungsgesetzes (LVG) die Fachaufsicht über die Landratsämter. Dabei handelt es sich allerdings nur um eine Zuständigkeitsbestimmung für die Ausübung der Fachaufsicht im Innenverhältnis. Bereits die Systematik des Gesetzes zeigt, dass damit keine Ermächtigung zur Verschiebung der Zuständigkeitsordnung im Außenverhältnis verbunden ist. So steht § 20 Abs. 2 LVG im Abschnitt über den Aufbau der allgemeinen Verwaltungsbehörden und regelt seinem Wortlaut nach – anders als etwa § 21 Abs. 3 LVG – keine Aufsichtsbefugnisse. Zum Inhalt der Fachaufsicht besteht zudem mit § 3 LVG eine eigenständige Regelung, die in § 3 Abs. 3 Satz 1 LVG zwar ein Weisungsrecht, aber gerade kein darüber hinausgehendes Selbsteintrittsrecht normiert und im Übrigen in Abs. 5 auf die Gemeindeordnung, die Landkreisordnung und speziellere Regelungen im LVG und anderen Rechtsvorschriften verweist, durch die die Rechte der Dienstaufsichts- und Fachaufsichtsbehörden erweitert oder beschränkt werden (vgl. auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 23. Dezember 1994 – 9 S 653/93 –, NVwZ-RR 1995, 476).
25 
Eine hier einschlägige spezialgesetzliche Regelung zum Selbsteintritt der Fachaufsicht findet sich im Übrigen auch nicht in Vorschriften anderer Gesetze. Die Landkreisordnung (LKrO) regelt insoweit in § 51 lediglich die Aufsicht über das Tätigwerden des Landratsamts im eigenen Wirkungskreis des Landkreises – § 1 Abs. 3 Satz 1 Hs. 1 LKrO – und bestimmt im Hinblick auf die persönliche Stellung des Landrats nur, dass dieser im Bereich der staatlichen Verwaltung der Dienst- und Fachaufsicht des Regierungspräsidiums unterliegt (s. bereits VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 22. Juli 1991 – A 12 S 21/91 –, juris Rn. 5, dort zu § 51 LKrO a.F.). Ein Selbsteintritt der Fachaufsicht war zum maßgeblichen Zeitpunkt auch nicht im AGTierSG a.F. normiert, das zum damaligen Zeitpunkt lediglich Vorschriften zur Aufsicht über die Tierseuchenkasse – § 26 AGTierSG a.F. – und ein Eintrittsrecht zur einheitlichen Regelung kreisübergreifender Angelegenheiten – § 1 Abs. 2 AGTierSG a.F. (vgl. hierzu LT-Drs. 16/4028, S. 39) – enthielt.
26 
Auch auf § 65 Abs. 2 PolG in der damals gültigen Fassung vom 13.01.1992 (GBl. 1992, S. 1, ber. S. 596; GBl. 1993, S. 155; PolG a.F.) – die Vorschrift normiert ein Selbsteintrittsrecht der Fachaufsicht im Fall des Weisungsungehorsams – lässt sich der Selbsteintritt des Regierungspräsidiums nicht stützen, nachdem das Landratsamt, was die hier in Rede stehende Erteilung der Ausnahmegenehmigung zur Tierkennzeichnung anbelangt, weder institutionell als Kreispolizeibehörde im Bereich des Vollzugs des Polizeigesetzes, noch sonst – einschreitend – zur Abwehr einer Gefahr i.S.v. § 1 PolG gehandelt hat, sondern in Vollzug der Vermarktungsregelungen der Tierkennzeichnungsverordnung (s. zum Selbsteintritt gegenüber einer als untere Baurechtsbehörde handelnden Gemeinde vor Einführung von § 47 Abs. 5 Satz 2 LBO und zu § 51 Abs. 2 PolG a.F. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 24. Februar 1992 – 1 S 1131/90 –, juris Rn. 27; vgl. ferner zum engen Polizeibegriff Wolff/Stephan/Deger, PolG BW, 7. Aufl., § 62 Rn. 2 und § 1 Rn. 13 ff.; vgl. aber § 61 Rn. 2 zur Gegenansicht; hierzu offen VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 14. September 2004 – 10 S 1283/04 –, juris Rn. 22).
27 
Schließlich enthält die Rechtsordnung auch ein vom Regierungspräsidium angenommenes ungeschriebenes Selbsteintrittsrecht im Sinne eines Delegationsrechts nicht. Ein solches ungeschriebenes Selbsteintrittsrecht der Fachaufsicht in Fällen des Weisungsungehorsams wird in der Literatur zum Teil angenommen (s. hierzu etwa Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 19. Aufl., § 21 Rn. 49; ausf. zum Stand der Diskussion Herdegen, Die Verwaltung 1990, 183, 194 ff.; ausdrücklich offen gelassen VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 22. Juli 1991 – A 12 S 21/91 –, juris Rn. 6 m.w.N.; Bayerischer VGH, Beschluss vom 19. März 1981 – 22 B 80 A.989 –, DÖV, 1982, 83, 84; a.A. für den Bereich unmittelbarerer Staatsverwaltung Thüringer OVG, Beschluss vom 17. Juni 1993 – 1 B 117/92 –, juris Rn. 12 ff.; für den Bereich der mittelbaren Staatsverwaltung VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 24. Februar 1992 – 1 S 1131/90 –, juris Rn. 26). Auch die Annahme einer ungeschriebenen Zuständigkeitsregel unterliegt indes wie jede Regelung der behördlichen Zuständigkeit im Außenverhältnis dem in Art. 70 Abs. 1 LV festgeschriebenen Vorbehalt, wonach Aufbau, räumliche Gliederung und Zuständigkeiten der Landesverwaltung durch Gesetz geregelt werden. Daran fehlt es.
28 
Die Kammer verkennt dabei nicht, dass in Fällen des Weisungsungehorsams einer nachgeordneten Behörde durchaus ein greifbares praktisches Bedürfnis für einen Selbsteintritt der Fachaufsicht bestehen mag. Allein daraus lässt sich aber weder generell noch im konkreten Einzelfall ein rechtlicher Anknüpfungspunkt für die Herleitung eines solchen Rechts gewinnen. Bei der Herleitung eines ungeschriebenen Selbsteintrittsrechts handelte es sich der Sache nach um richterliche Rechtsfortbildung, die – gerade mit Blick auf Art. 70 LV – nur in engen Grenzen und auf einer hinreichenden rechtlichen Grundlage möglich ist und in diesem Zusammenhang jedenfalls eine planwidrige Regelungslücke voraussetzt.
29 
Gemessen hieran kann das Gericht schon nicht feststellen, dass das Landesrecht (insbesondere für Fälle des Weisungsungehorsams) zum maßgeblichen Zeitpunkt eine derartige planwidrige Lücke aufwies. Dagegen spricht bereits, dass sich der Gesetzgeber (zeitlich nach dem Ergehen des hier angefochtenen Bescheids) gehalten sah, mit dem Gesetz zur Ausführung des Tiergesundheitsgesetzes und anderer tiergesundheitsrechtlicher Vorschriften vom 19.08.2018 (GBl. 2018, S. 223) nunmehr ausdrücklich ein Selbsteintrittsrecht für bestimmte Fallkonstellationen im hier in Rede stehenden Sachgebiet zu normieren (§ 3 Abs. 1 TierGesAG). Dabei hat der Gesetzgeber offenkundig auch nicht etwa lediglich klarstellend eine bereits zuvor bestehende Rechtslage zur Schaffung größerer Rechtssicherheit und -klarheit festschreiben wollen. Vielmehr heißt es in der dazugehörigen Gesetzesentwurfsbegründung (LT-Drs. 16/4028, S. 37 f.) ausdrücklich:
30 
„(…) Dieses Selbsteintrittsrecht ist nicht bereits in der gesetzlichen Regelung der Fachaufsicht mitenthalten (ESVGH 42, 315–316). Ob es ein „ungeschriebenes“ Selbsteintrittsrecht der Fachaufsichtsbehörden als verfassungsrechtliches Gebot zumindest in eng begrenzten Ausnahmefällen als „Ultima Ratio“ zur Sicherung der Regierungsverantwortung oder zur Erfüllung von Schutzpflichten zugunsten von Individual- oder Allgemeininteressen mit Verfassungsrang „bei Gefahr im Verzug“ oder bei „Weisungsungehorsam“ gibt, ist in der Rechtslehre umstritten. Vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg wurde die Frage ausdrücklich offengelassen (ESVGH 42, 24–28). Daraus ergibt sich die Notwendigkeit einer ausdrücklichen Regelung des Selbsteintrittsrechts. Die Regelung des Selbsteintritts stellt eine Ausnahme vom Grundsatz der Subsidiarität (Artikel 71 Absatz 1 Satz 2 LV) dar und bedarf daher als Kompetenzregelung der Rechtsform eines parlamentarischen Gesetzes (Artikel 71 Absatz 1 Satz 1 LV). In Baden-Württemberg gibt es weder im LVwVfG noch im LVG eine für alle Aufsichtsbehörden geltende allgemeine Regelung eines Selbsteintrittsrechts. Es bleibt damit den einzelnen landesrechtlichen Fachgesetzen überlassen, ob und inwieweit sie den Fachaufsichtsbehörden ein Selbsteintrittsrecht einräumen.“
31 
Auch die ausdifferenzierte Regelungsstruktur in § 3 Abs. 1 TierGesAG und die differenzierte Gesetzesbegründung zeigen deutlich, dass der Rückgriff auf ein (erst noch im Einzelnen hinsichtlich der tatbestandlichen Voraussetzungen näher zu konturierendes) ungeschriebenes Selbsteintrittsrecht für die Zeit vor Inkrafttreten der Spezialregelung nicht ohne Weiteres zulässig sein kann. Der Gesetzgeber hat mit dieser Regelung selbst für den Bereich des Tiergesundheitsrechts gerade kein allumfassendes Selbsteintrittsrecht geschaffen, sondern bewusst eine Regelbeispielstechnik gewählt, sodass mit der rechtsstaatlich gebotenen Klarheit kaum zu bestimmen ist, in welchen Fallgestaltungen dies vorgeblich zuvor schon soll gegolten haben können.
32 
Dem Rückgriff auf ein ungeschriebenes Selbsteintrittsrecht zum Zeitpunkt des Erlasses der hier angefochtenen Rücknahmeentscheidung im Jahr 2013 steht überdies aber auch entgegen, dass sich auch die damalige Fassung der landesrechtlichen Ausführungsbestimmungen zum Tierseuchenrecht durchaus zu Fragen des Selbsteintritts bzw. der Zuständigkeitsverlagerung verhalten hat. In § 1 Abs. 2 des Tierseuchengesetz-Ausführungsgesetzes (in der bis 29.06.2018 geltenden Fassung) war nämlich bereichsspezifisch für den Fall kreisübergreifenden Aufgabenanfalls vorgesehen, dass die übergeordneten Behörden im Einzelfall die Zuständigkeit an sich ziehen konnten. Der Gesetzgeber hatte mithin Anwendungsfälle für eine Zuständigkeitsverlagerung an die nächsthöhere Behörde durchaus vor Augen, ohne aber etwa den Fall des sog. Weisungsungehorsams oder sonst Voraussetzungen für ein Selbsteintrittsrecht zu regeln.
33 
Auch sonst hat der Landesgesetzgeber (vor Einführung von § 3 TierGesAG) sowohl im Polizeirecht, als auch im besonderen Ordnungsrecht und – differenzierter – im Bereich der kommunalen Rechtsaufsicht sektorale Selbsteintrittsbefugnisse jeweils explizit geregelt, so etwa in § 65 Abs. 2 PolG a.F., § 47 Abs. 5 Satz 2 LBO, § 3 Abs. 6 DSchG, § 4 Abs. 4 AAZuVO, § 23 Abs. 7 NatSchG a.F., ferner § 121, § 123 und § 129 Abs. 2 Satz 2 GemO (vgl. hierzu auch die Ausführungen in der vorstehend bereits zitierten Begründung zum Entwurf des TierGesAG – LT-Drs. 16/4028, S. 38). Diesen sektoralen Ansatz hat der Gesetzgeber schließlich auch mit der differenzierten Regelung eines Selbsteintrittsrechts in § 3 TierGesAG weiterverfolgt, von einer generellen Regelung des Selbsteintritts – wie etwa in Art. 3b BayVwVfG erfolgt – indes auch weiterhin abgesehen. Bereits dies spricht aus Sicht der Kammer gegen einen im Landesrecht angedeuteten, aber planwidrig nicht normierten Rechtsgedanken, der ein allgemeines Selbsteintrittsrecht bei Weisungsungehorsam einer nachgeordneten Behörde vorsähe bzw. vorgesehen hätte. Es fehlt in diesem Zusammenhang zugleich an Anhaltspunkten, unter welchen Voraussetzungen, in welchen Grenzen und mit welchen Rechtsfolgen ein derartiges Selbsteintrittsrecht bestünde. Insoweit fällt auf, dass jedenfalls eine vom Regierungspräsidium angenommene Ausgestaltung als Delegationsrecht sich im geschriebenen sektoralen Landesrecht bislang soweit ersichtlich nicht findet (s. hierzu die differenzierten Ausführungen in der Begründung zu § 3 TierGesAG – LT-Drs. 16/4028, S. 38).
34 
Eine planwidrige Regelungslücke lässt sich ferner nicht aus dem Gedanken ableiten, dass ein Selbsteintrittsrecht der Fachaufsichtsbehörde im Bereich der unmittelbaren Staatsverwaltung – etwa in Fällen der Organleihe nach § 1 Abs. 3 LKrO – als tradierter verwaltungsrechtlicher Grundsatz bereits aus dem Weisungsrecht bzw. dem integrierten Behördenaufbau folgt und in diesem Sinne als Rechtsinstitut vorkonstitutionell bestanden hätte. Einen solchen Rechtsgrundsatz erkennt die Rechtsprechung mit Blick auf die Unterscheidung zwischen aufsichtsbehördlicher Befugnis im Innenverhältnis und Zuständigkeitsübergang im Außenverhältnis nicht an (s. allg. etwa VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 24. Februar 1992 – 1 S 1131/90 –, juris Rn. 26 m.w.N.; Bayerischer VGH, Beschluss vom 29. März 1977 – 7 XV 74 –, BayVBl. 1977, 503 f., m.w.N.; Urteil vom 19. März 1981 – 22 B 80 A.989 –, DÖV 1982, 83 f.; Urteil vom 09. April 2003 – 24 B 02.646 –, juris Rn. 30 ff.; OVG Berlin, Urteil vom 07. Januar 1977 – III B 7/76 –, NJW 1977, 1166, 1167; OVG Bremen, Beschluss vom 22. November 2018 – 1 B 232/18 –, juris Rn. 22; Thüringer OVG, Beschluss vom 17. Juni 1993 – 1 B 117/92 –, juris Rn. 13 ff.).
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Die richterrechtliche Begründung eines Selbsteintrittsrechts ist nach Auffassung der Kammer schließlich – selbst im Fall des Weisungsungehorsams – jedenfalls nicht generell durch höherrangiges Recht geboten. Die Kammer berücksichtigt auch insoweit, dass die Annahme eines Selbsteintrittsrechts in Fällen des Weisungsungehorsams die Aufsichtsbehörde in die Lage versetzt, die Bindung der Verwaltung an Recht und Gesetz – Art. 20 Abs. 3 GG – und dabei auch die Durchführung des Unionsrechts – Art. 4 Abs. 3 EUV, Art. 291 AEUV – lückenlos, effizient und insoweit vor allem kurzfristig zu gewährleisten. Allerdings ist selbst in Fällen, in denen der Vollzug von Unionsrecht in Rede steht, ein Selbsteintritt der Fachaufsicht nicht der einzig denkbare Weg, um eine rechtstaatliche und in diesem Sinne gesetzestreue Verwaltung zu gewährleisten. So besteht gerade im Bereich der unmittelbaren Staatsverwaltung regelmäßig die Möglichkeit, die nachgeordnete Stelle notfalls im Wege der Dienstaufsicht zum Weisungsgehorsam anzuhalten (so Thüringer OVG, Beschluss vom 17. Juni 1993 – 1 B 117/92 –, juris Rn. 15; krit. dagegen, allerdings mit Blick auf die Stellung des Landrats in Bayern Süß, BayVBl. 1987, 1, 3, dort auch zur Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs vom 22. Juli 1959 – Vf. 77-VII-58 –, VerwRspr 1960, 257, 260) – was im Übrigen auch im vorliegenden Fall durchaus in Erwägung gezogen und auch angegangen, aber letztlich nicht weiterverfolgt wurde. Andererseits bleibt es dem Gesetzgeber bzw. u.U. auch dem Ministerium – s. § 1 Abs. 1 Satz 2 AGTierSG a.F. – unbenommen, weitere sektorale Selbsteintrittsrechte oder ein generelles Selbsteintrittsrecht gesetzlich bzw. soweit vorgesehen im Verordnungsweg zu normieren. Andere Länder sind diesen Weg gegangen (s. etwa zur Entstehungsgeschichte von Art. 3a BayVwVfG a.F., nunmehr Art. 3b BayVwVfG Süß, BayVBl. 1987, 1; Kaup, BayVBl. 1990, 193; Boettcher, BayVBl. 1990, 200; s.a. Bayerischer VGH, Beschluss vom 13.05.1987 – 22 AS 87.40008 und 22 AS 87.40009 –, BayVBl. 1988, 552). Dass die Annahme eines Selbsteintrittsrechts im Sinne einer ultima ratio zwingend wäre, lässt sich nach alledem und auch mit Blick auf den hier in Rede stehenden Vollzug von Unionsrecht nicht feststellen. Art. 291 AEUV, aus dem sich ergibt, dass die Durchführung des Unionsrechts in Ermangelung anderer Regelungen Sache der Mitgliedstaaten ist und nach innerstaatlichem Recht erfolgt, macht deutlich, dass auch das Unionsrecht keine Rechtsfortbildung contra legem verlangt und eine Rechtsfortbildung praeter legem jedenfalls nur im erforderlichen und angemessenen Umfang (vgl. Gellermann, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 291 Rn. 5; Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 291 Rn. 17).
36 
Danach könnte die Annahme eines ungeschriebenen Selbsteintrittsrecht im Wege der Rechtsfortbildung allenfalls – entsprechend § 3 Abs. 4 LVwVfG – dann in Betracht kommen, wenn die zuständige Instanz nicht bereit ist, eine Weisung zu befolgen, und zusätzlich Gefahr im Verzug vorliegt, der Situation des Weisungsungehorsams bei unaufschiebbaren Maßnahmen also nicht in angemessener Zeit durch anderweitige gesetzgeberische oder administrative Maßnahmen begegnet werden kann (in diesem Sinne bereits Wilhelm, BayVBl. 1964, 277, 280 und Engel, DVBl. 1981, 757, 763, jeweils mit ausführlicher Begründung; vgl. ferner Herdegen, Die Verwaltung 1990, 183, 199, m.w.N.). Für eine derartige Situation bestehen im hier zu entscheidenden Fall indes keine Anhaltspunkte, nachdem das Regierungspräsidium jedenfalls seit 2002 von der aktiven Duldung einer alternativen und aus Sicht des Regierungspräsidiums nicht genehmigungsfähigen Tierkennzeichnung durch das Landratsamt Kenntnis hatte, erst im Jahr 2012 einen Hinweis des bayerischen Landwirtschaftsministeriums bzw. die darauf folgende Weisung des baden-württembergischen Landwirtschaftsministeriums zum Anlass nahm, auf eine Kennzeichnung mittels Ohrmarken hinzuwirken, und auch im Folgenden weder den Sofortvollzug des Rücknahmebescheids anordnete noch darauf hinwirkte, eine aus seiner Sicht ordnungsgemäße Kennzeichnung mittels Ohrmarken tatsächlich durchzusetzen (s. hierzu auch den Aktenvermerk vom 26.07.2013, Quadrangel 66 der Akte des Regierungspräsidiums).
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Nach alledem erweist sich der Rücknahmebescheid des Regierungspräsidiums bereits wegen fehlender sachlicher Zuständigkeit als rechtswidrig. Die Klägerin wird dadurch auch in ihren Rechten verletzt. Die Kammer lässt vor diesem Hintergrund offen, ob die Kennzeichnung der Rinderherde der Klägerin mittels Transponder nach damaliger Rechtslage bzw. unter der zwischenzeitlich außer Kraft getretenen Verordnung (EG) Nr. 1760/2000 zulässig war (s. hierzu aber bereits VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 26. Juli 2018 – 10 S 2447/17 –, juris Rn. 34 ff., vgl. auch Rn. 38 zum Folgenden) bzw. ob hiervon befreit werden durfte (vgl. zum Ganzen VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 25. Juli 2005 – 9 S 947/05 –, juris, insb. Rn. 8; VG Freiburg, Beschluss vom 12. April 2005 – 6 K 407/05 –, n.v.), und weiter, ob die übrigen Voraussetzungen für die Aufhebung der Ausnahmegenehmigung mit Wirkung für die Vergangenheit vorlagen.
38 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Kammer sieht von der Möglichkeit nach § 167 Abs. 2 VwGO ab, die Entscheidung hinsichtlich der Kosten für vorläufig vollstreckbar zu erklären.
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Die Berufung war nicht nach § 124a Abs. 1 VwGO zuzulassen, da Gründe für eine Zulassung der Berufung nicht vorliegen. Insbesondere hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Die hier entscheidungstragenden Ausführungen zur Zuständigkeit und zum Selbsteintrittsrecht der Fachaufsichtsbehörde betreffen eine Rechtsfrage, die sich infolge der Normierung eines Selbsteintrittsrechts der Fachaufsicht in § 3 TierGesAG im Jahr 2018 inzwischen nicht mehr in gleicher Weise stellt und deshalb nicht klärungsbedürftig ist.

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