Beschluss vom Verwaltungsgericht Stuttgart - A 12 K 10786/05

Tenor

Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die Abschiebungsandrohung im Bescheid des Bundesamtes vom 02.03.2005 wird angeordnet, soweit dort die Türkei als Zielstaat bezeichnet ist.

Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

Die Kosten des - gerichtskostenfreien - Verfahrens trägt die Antragsgegnerin.

Gründe

 
Der Antrag vom 17.03.2005 des Antragstellers, eines türkischen  Staatsangehörigen, auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage  (Az. A 12 K 10785/05), soweit sich diese gegen die Abschiebungsandrohung im Bescheid des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 02.03.2005 richtet, ist zulässig (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 und Abs. 5 Satz 1 VwGO, §§ 75, 36 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG), insbesondere innerhalb der Wochenfrist erhoben.
Er ist auch im aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang teilweise begründet. Nachdem das Bundesamt in Übereinstimmung mit dem Gesetz entschieden hat, dass die Voraussetzungen der Asylberechtigung sowie jene des § 60 Abs. 1 AufenthG offensichtlich nicht gegeben sind und auch kein Aufenthaltstitel vorliegt, ist es verpflichtet gewesen, zugleich die Abschiebung mit einer Ausreisefrist von einer Woche anzudrohen (§§ 34, 30 Abs. 1, 36 Abs. 1 AsylVfG; vgl. nachfolgend 1.). Jedoch dürfte es an der Aufnahme der Türkei in diese Abschiebungsandrohung gehindert gewesen sein, da in seine Prüfungskompetenz fallende Abschiebungsverbot in Betracht kommen, welche der Benennung dieses Zielstaates entgegenstehen (§ 34 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG u. § 59 Abs. 3 Satz 2 AufenthG, vgl. 2.).
Der Antragsteller trägt im Wesentlichen vor, zwischen 1990 und 1996 bewaffnetes Mitglied der PKK-Guerilla gewesen zu sein, bis ihn die kurdische Gegenmiliz KDP 1996 im Nordirak festgenommen habe. Es sei zwar an militärischen Operationen, jedoch nicht persönlich an Kämpfen beteiligt gewesen. Nach seiner Festnahme habe er sich der lokalen Guerilla im Nordirak anschließen müssen. Von dort sei er schließlich über den Iran in das Bundesgebiet gelangt, wobei ihm genutzt habe, dass er als Einkäufer der PKK in Besitz von 8.000 Dollar gewesen sei, welche er für die Reise eingesetzt habe.
1. Im Blick auf dieses Vorbringen begegnen der Asylablehnung und die Ablehnung der Feststellung des Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 1 AufenthG als offensichtlich unbegründet (§§ 30, 31 Abs. 2 AsylVfG) keine ernstlichen Zweifel (Art. 16a Abs. 4 Satz 1 GG; § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG; zum Entscheidungsmaßstab vgl. BVerfG, Urt. v. 14.05.1996, BVerfGE 94, 166; Beschl. v. 16.03.1999, InfAuslR 1999, 256).
Dabei hat das Bundesamt die Glaubwürdigkeit des Vortrags des Antragstellers teils offen gelassen, teils (etwa auf S. 10 des Bescheids) unterstellt, obgleich Zweifel angebracht wären, etwa im Hinblick auf seine Angaben zum Gewehr G 3  oder auf den Erhalt des Geldes für die Ausreise. Es hat die Anerkennung als Asylberechtigter und die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 1 AufenthG wegen der Ausschlussgründe  nach § 60 Abs. 8 Satz 2 2. u. 3. Alt. AufenthG verneint. Das begegnet im Hinblick jedenfalls auf die letztgenannte Alternative keinen Bedenken.
Nach § 60 Abs. 8 Satz 2 3. Alt. AufenthG findet § 60 Abs. 1 AufenthG keine Anwendung, wenn der Schutzsuchende sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, welche den Zielen und Grundsätzen der vereinten Nationen zuwiderlaufen. Dasselbe gilt mit hoher Wahrscheinlichkeit aus ungeschriebenem Verfassungsrecht auch für das Asylgrundrecht (vgl. BVerwG, Urt. v. 30.03.1999, BVerwGE 109, 1, allerdings für die Fälle des heutigen Abs. 8 Satz 1; VG Düsseldorf, Urt. v. 05.04.2004 - 4 K 8268/02.A -[Juris]; VG Sigmaringen, Urt. v. 15.10.2003 - K 10601/99 - [Juris]). Wie im Bescheid des Bundesamtes vom 02.03.2005 ausführlich begründet und zutreffend dargelegt, ist dies beim Einsatz in bewaffneten Einheiten der PKK und/oder ihrer Nachfolgeorganisationen der Fall.
Nach Auffassung des Einzelrichter bedarf es auch anders als bei Satz 1 des § 60 Abs. 8 AufenthG keiner aus den Umständen des Einzelfalles zu vermutenden fortbestehenden Wiederholungsgefahr. Vielmehr wird diese vermutet, solange nicht eine endgültige Abkehr von der bisherigen Organisation und deren Aktivität, ähnlich wie von § 5 Abs. 4 Satz 2 AufenthG gefordert, hinreichend belegt ist (vgl. Storr/Wenger, Komm. z. ZuwG, § 60 AufenthG Rdnr. 9; strenger: Renner, ZAR 2003, 52, 58: überhaupt keine Gefährdungsprognose erforderlich; anders dagegen: VG Düsseldorf, Urt. v. 05.04.2004, a.a.O.). Die bloße Behauptung, nicht mehr politisch tätig zu sein, reicht dafür nicht aus. Das folgt, wenn nicht schon aus nationalem Recht, jedenfalls aus der  Qualifikations- oder Anerkennungsrichtlinie 2004/83/EG (Abl. 2004 L Nr. 304, S. 12). Nach deren Art. 12 Abs. 2 Nr. c reicht es für den Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung im Sinne der Richtlinie sogar aus, dass sich ein Ausländer die genannten Handlungen zuschulden kommen ließ (so auch VG Stuttgart, Beschl. v. 20.04.2005 - A 8 K 10683/05 -). Zwar ist die Umsetzungsfrist für diese Richtlinie noch nicht abgelaufen, so dass sie für den nationalen Richter noch nicht verbindlich ist. Es steht ihm aber im Blick auf Art. 10 EG schon ab Inkrafttreten einer Richtlinie frei, insbesondere unbestimmte Rechtsbegriffe des nationalen Rechts bereits richtlinienkonform auszulegen (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 12.05.2005 - A 3 S 358/05 -; BGH, Urt. v. 5.2.1998, NJW 1998, 2208)
2. Allerdings darf auch in einem solchen Falle die Abschiebung des  Antragstellers in das Herkunftsland nur dann angedroht werden, wenn  - wie hier unstreitig - kein Aufenthaltstitel  besessen wird (§ 34 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) und der Herkunftsstaat nicht als Zielstaat ausgenommen werden muss. Diese Einschränkung liegt aber vor. Wie sich nämlich § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG und § 59 Abs. 3 Satz 1 und 2 AufenthG entnehmen lässt, haben Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG zur Folge, dass der angedrohte Zielstaat, die Türkei, in der Abschiebungsandrohung hätte ausgenommen werden müssen. Eine solche Konstellation kommt vorliegend in Betracht.
Gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter unterworfen zu werden. Nach Abs. 5 der Norm darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 04.11.1950 (EMRK) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Nach deren Art. 3 darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.
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Die Absätze 2 bis 7 des § 60 AufenthG erfassen auch Gefahren, die auf Lebenssachverhalten beruhen, welche zugleich politische Verfolgung darstellen (so VGH Bad.-Württ., Urt. v. 10.07.2002 - 13 S 1871/01 - EZAR 043 Nr. 55 zu § 53 AuslG). Zwar sieht Art. 17 der genannten Richtlinie  dieselben Ausschlussgründe für den „subsidiären Schutz“ wie für die Flüchtlingsanerkennung vor. Es mag Manches dafür sprechen, dass davon zumindest das Refoulementverbot nach Art. 3 EMRK unberührt bleibt (vgl.  dazu auch VG Stuttgart, Beschl. v. 20.04.2005, a.a.O.; Marx, Ausländer- und Asylrecht. 2. Aufl., Asylverfahren § 7 Rdnr. 196). Das gilt jedenfalls vor dem Ablauf der Umsetzungsfrist der Richtlinie.
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Hiervon ausgehend ist nach derzeitiger, im Eilverfahren notwendig summarischer Einschätzung die Gefahr, dass der Antragsteller bei einer Rückkehr in die Türkei im Rahmen einer Festnahme gefoltert bzw. sonst unmenschlicher Behandlung unterworfen wird, jedenfalls nicht auszuschließen (so auch VG Düsseldorf, Urt. v. 05.04.2004 - 4 K 8268/02.A -[Juris]). Denn für die türkischen Sicherheitskräfte dürfte es nicht ohne Weiteres ersichtlich sein, dass der Antragsteller schon seit Jahren nicht mehr als Guerilla aktiv gewesen ist. Zwar mag - auch unter Glaubwürdigkeitsgesichtspunkten - zweifelhaft erscheinen, ob insoweit eine beachtliche Rückkehrgefährdung beim Antragsteller besteht. Allerdings lässt sich dies nur unter Würdigung des Vorbringens des Antragstellers im Rahmen einer Anhörung in der mündlichen Verhandlung beurteilen und ist - ebenso wie das Verhältnis von EMRK und der genannten Richtlinie - daher dem Hauptsacheverfahren vorzubehalten (so auch in einem vergleichbaren Fall  VG Stuttgart, 8. Kammer, Beschl. v. 20.04.2005, a.a.O.).  
12 
Die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden (§ 83b AsylVfG),
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sind dem unterliegenden Teil aufzuerlegen (§§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 1, 151 Abs. 1 Satz 3 VwGO).
14 
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 80 AsylVfG).

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