Urteil vom Verwaltungsgericht Trier (5. Kammer) - 5 K 1134/11.TR
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckungsfähigen Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
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Die Klägerin, die gemäß § 2 des Gesetzes zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern vom 18. Dezember 1956 (BGBl. I S. 920), zuletzt geändert durch Art. 7 des Gesetzes vom 11. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2418), - IHKG - Pflichtmitglied bei der Beklagten ist, begehrt Rechtsschutz gegen die Erhebung von Beiträgen durch diese.
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Mit Bescheid vom 4. April 2011 wurde die Klägerin seitens der Beklagten für das Jahr 2009 zu einem endgültigen Beitrag in Höhe von 102,00 € und für das Jahr 2011 zu einem vorläufigen Beitrag in Höhe von 125,62 € veranlagt, wobei unter Berücksichtigung der bereits geleisteten Zahlungen noch ein Betrag in Höhe von 181,62 € zu zahlen sei. In dem Bescheid ist ausgeführt, dass sich die jeweiligen Jahresbeträge aus einem Grundbeitrag in Höhe von 102,00 € und - für das Jahr 2011 - einem Umlagebeitrag in Höhe von 23,62 € zusammensetzten. Der Umlagebeitrag ergebe sich aus der Bemessungsgrundlage Gewerbeertrag 2009 in Höhe von 21.900,00 €, wie ihn der die Klägerin und ihren Ehemann betreffende, die Einkommensteuer auf 0 € festsetzende Einkommensteuerbescheid 2009 ausweist, abzgl. eines Freibetrags in Höhe von 15.340,00 €, somit 6.560,00 €, multipliziert mit einem Hebesatz von 0,360 %.
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Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin mit Schriftsatz vom 1. Mai 2011 Widerspruch ein und machte mit weiterem Schriftsatz vom 16. Mai 2011 geltend, dass der Beitrag für die Jahre 2009 ff. erlassen werden müsse, weil die Beitragserhebung einen Eingriff in das steuerfreie Existenzminimum darstelle.
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Hierauf teilte die Beklagte der Klägerin unter dem 19. Mai 2011 mit, dass der für das Jahr 2009 vom Finanzamt mitgeteilte Gewerbeertrag die Grundlage für die Vorausleistungserhebung darstelle. Sollten die Ertragserwartungen für das laufende Jahr anders zu beurteilen sein, werde um entsprechende Mitteilung gebeten. Hierauf reagierte die Klägerin nicht.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 25. Juli 2011 wies die Beklagte alsdann den Widerspruch der Klägerin zurück. Zur Begründung des Widerspruchsbescheids ist ausgeführt, dass die Klägerin am 22. Februar 2007 das Gewerbe eines Büroservice gegründet und angemeldet habe und deshalb Mitglied der Beklagten sei. Da die Klägerin objektiv gewerbesteuerpflichtig sei, weil das Finanzamt einen Gewinn aus Gewerbebetrieb nach dem Einkommensteuergesetz festgesetzt habe, sei sie bei der Beklagten beitragspflichtig. Die Beitragshöhe sei ordnungsgemäß ermittelt worden. Dem Erlassantrag könne nicht entsprochen werden, da für das Vorliegen eines äußersten Härtefalls nichts ersichtlich sei, zumal die Klägerin die Möglichkeit der Reduzierung der vorläufigen Veranlagung durch Mitteilung einer niedrigeren Ertragserwartung für 2011 nicht genutzt habe.
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Am 23. August 2011 hat die Klägerin Klage erhoben, zu deren Begründung sie vorträgt, dass sie sich nicht gegen ihre Zwangsmitgliedschaft bei der Beklagten und die damit verbundene grundsätzliche Beitragspflicht wende. Allerdings müsse gesehen werden, dass sie von ihrem erkrankten Ehemann Teile von dessen Gewerbe übernommen habe und die Einnahmen aus dieser Tätigkeit gerade den nötigsten Bedarf deckten und die Inanspruchnahme fremder Hilfen verhinderten. In Ansehung einer Entscheidung des BVerfG vom 9. Februar 2011 - 1 BvL 1/09 u.a. - müsse ein menschenwürdiges Existenzminimum gewährleistet werden. Diese Grundforderung werde bei der Beitragserhebung durch die Beklagte missachtet, weil bei dem gewährten Freibetrag von 15.340 € nicht zwischen Alleinstehenden und alleinverdienenden Eheleuten differenziert werde. Im Übrigen seien die Widerspruchsgebühren völlig überhöht, da sie 83 % des Beitrags ausmachten.
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Die Klägerin beantragt,
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den Beitragsbescheid der Beklagten vom 4. April 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. Juli 2011 aufzuheben,
und
die Beklagte zu verurteilen, in künftigen Beitragsbescheiden den vom Bundesverfassungsgericht als unverfügbar beschriebenen Anspruch auf ein menschenwürdiges Existenzminimum zu berücksichtigen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie ist der Auffassung, dass das Urteil des BVerfG vorliegend nicht einschlägig sei; maßgebend sei vielmehr ausschließlich § 3 IHKG in Verbindung mit der Beitragsordnung und den Wirtschaftsplänen der Beklagten.
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Eine Beitragsbefreiung nach § 3 Abs. 3 IHKG in Verbindung mit § 5 Abs. 1 der Beitragsordnung der Beklagten komme nur in Betracht, wenn der Gewinn aus dem Gewerbebetrieb 5.200 € nicht übersteige. Da die Finanzverwaltung indessen bei der Klägerin einen Gewinn in Höhe von 21.900 € ermittelt habe, komme eine Beitragsbefreiung nicht in Betracht. Die Voraussetzungen für einen Beitragserlass, wie ihn § 19 der Beitragsordnung vorsehe, seien von der Klägerin nicht dargelegt worden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie die Verwaltungs- und Widerspruchsvorgänge, die vorlagen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist insoweit, als sie auf die Aufhebung des ergangenen Beitragsbescheids gerichtet ist, zulässig, sachlich jedoch nicht begründet, denn der von der Klägerin angefochtene Beitragsbescheid stellt sich als rechtmäßig dar und verletzt die Klägerin nicht in eigenen Rechten im Sinne des § 113 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -.
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Die Beitragserhebung der Beklagten findet ihre Rechtgrundlage in § 3 Abs. 2 und Abs. 3 des Gesetzes zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern - IHKG - in Verbindung mit den Regelungen des Wirtschaftsplans und der von der Aufsichtsbehörde genehmigten Beitragsordnung der Beklagten.
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Gemäß § 3 Abs. 2 IHKG werden die Kosten der Errichtung und Tätigkeit der Industrie- und Handelskammer, soweit sie nicht anderweitig gedeckt sind, nach Maßgabe des Wirtschaftsplans durch Beiträge der Kammerzugehörigen gemäß einer Beitragsordnung aufgebracht. Der Wirtschaftsplan ist jährlich nach den Grundsätzen einer sparsamen und wirtschaftlichen Finanzgebarung unter pfleglicher Behandlung der Leistungsfähigkeit der Kammerzugehörigen aufzustellen und auszuführen.
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§ 3 Abs. 3 Satz 1 IHKG sieht vor, dass die Industrie- und Handelskammer als Beiträge Grundbeiträge und Umlagen erhebt, wobei der Grundbeitrag gestaffelt werden kann und dabei insbesondere Art, Umfang und Leistungskraft des Gewerbebetriebes berücksichtigt werden sollen. In § 3 Abs. 3 Satz 6 IHKG ist ferner geregelt, dass in den Fällen, in denen für das Bemessungsjahr ein Gewerbesteuermessbetrag festgesetzt, der Gewerbeertrag nach dem Gewerbesteuergesetz Bemessungsgrundlage für die Umlage ist, wobei die Industrie- und Handelskammern gemäß § 9 Abs. 2 IHKG berechtigt sind, zur Festsetzung der Beiträge der Kammerzugehörigen Angaben zur Gewerbesteuerveranlagung sowie die nach § 3 Abs. 3 IHKG erforderlichen Bemessungsgrundlagen bei den Finanzbehörden zu erheben.
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Allerdings ist der Industrie- und Handelskammer bei der Ausgestaltung ihrer Beitragserhebungsbestimmungen eine gewisse Entscheidungsfreiheit als Ausprägung des auch mit Rechtssetzungsakten der Exekutive typischerweise verbundenen normativen Ermessens eingeräumt. Das Ermessen wird erst dann rechtswidrig ausgeübt, wenn die getroffene Entscheidung in Anbetracht des Zweckes der Ermächtigung schlechterdings unvertretbar oder unverhältnismäßig ist. Demgemäß beschränkt sich die verwaltungsgerichtliche Kontrolle darauf, ob diese äußersten rechtlichen Grenzen der Rechtssetzungsbefugnis überschritten sind. Die Rechtsprechung hat zu respektieren, dass der parlamentarische Gesetzgeber, der die Industrie- und Handelskammern ermächtigt hat, für die durch ihre Tätigkeit entstehenden Kosten nach einem von ihnen festzusetzenden Beitragsmaßstab die Pflichtmitglieder heranzuziehen, im Rahmen dieser Ermächtigung eigene Gestaltungsfreiräume an den Satzungsgeber weiterleitet und dass mit der Satzungsgebung vorbehaltlich gesetzlicher Beschränkungen die Bewertungsspielräume verbunden sind, die sonst dem parlamentarischen Gesetzgeber selbst zustehen (vgl. zu alledem BVerwG, Urteil vom 26. April 2006 - 6 C 19/05 -, juris). Von daher ist vorliegend zu berücksichtigen, dass die Industrie- und Handelskammern zum Bereich der nicht kommunalen Selbstverwaltung, der so genannten funktionalen Selbstverwaltung, gehören, in dem die wesentlichen Entscheidungen der Kammer ihrer Vollversammlung als dem demokratisch legitimierten höchsten Entscheidungsgremium vorbehalten sind (vgl. hierzu auch BVerwG, Urteil vom 31. März 2004 - 6 C 25/03 -, BVerwGE 120, S. 255 ff.).
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Mit diesen gesetzlichen Grundlagen stehen sowohl die Beitragsordnung der Beklagten als auch deren Wirtschaftssatzung und die vorliegend streitige Beitragserhebung in Einklang.
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§ 1 Abs. 2 der am 4. Dezember 2007 beschlossenen und für das Jahr 2009 Geltung beanspruchenden Beitragsordnung bestimmt entsprechend der gesetzlichen Vorgaben des § 3 Abs. 3 Satz 1 IHKG, dass die Kammerbeiträge als Grundbeiträge und Umlagen erhoben werden. Absatz 3 der Norm sieht vor, dass die Grundbeiträge und der Hebesatz der Umlagen in der jährlichen Wirtschaftssatzung festgesetzt werden. Nach § 7 der Beitragsordnung ist Bemessungsgrundlage für die Umlage der Gewerbeertrag in den jeweiligen Jahren. Die §§ 15, 16 der Beitragsordnung regeln dabei, dass, wenn der Gewerbeertrag für das Bemessungsjahr noch nicht vorliegt, Vorausleistungen auf der Grundlage des vorletzten vorliegenden Jahresertrags erhoben werden.
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Nach Abschnitt II.2.1.b der Wirtschaftssatzungen der Beklagten für die Geschäftsjahre 2009 und 2011 erhebt die Beklagte von allen Nichtkaufleuten mit einem Gewerbeertrag, hilfsweise Gewinn aus Gewerbebetrieb, über 10.000,00 € und bis 25.000,00 einen Grundbeitrag in Höhe von 102,00 €; als Umlagen sind nach II.3 der Wirtschaftssatzungen 0,39 % - Wirtschaftssatzung 2009 - bzw. 0,36 % - Wirtschaftssatzung 2011 - des Gewerbeertrages bzw. Gewinns aus Gewerbebetrieb zu erheben, wobei bei natürlichen Personen und Personengesellschaften die Bemessungsgrundlage einmal um einen Freibetrag von 15.340,00 € für das Unternehmen zu kürzen ist. Nach Abschnitt II.4 der Wirtschaftssatzungen sind dabei für die Beitragserhebung in den Jahren 2009 und 2011 die in diesen Jahren erzielten Gewinne maßgebend. Abschnitt II.5 der Wirtschaftssatzung 2011 regelt ferner, dass, soweit - wie vorliegend - ein Gewerbeertrag bzw. Gewinn aus Gewerbebetrieb für das Bemessungsjahr 2011 noch nicht bekannt ist, eine Vorauszahlung des Grundbeitrages und der Umlage auf der Grundlage des letzten der Industrie- und Handelskammer vorliegenden Gewerbeertrages bzw. Gewinns aus Gewerbebetrieb erhoben wird.
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Formale Gründe gegen die Rechtmäßigkeit der genannten Beitragsordnungen und Wirtschaftssatzungen vermag die Kammer nicht zu erkennen.
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Des Weiteren stellen sich die die Jahre 2009 und 2011 betreffenden Beitragsordnungen und Wirtschaftssatzungen der Beklagten auch materiell-rechtlich als rechtmäßig dar.
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Zunächst hat die Beklagte bei ihren Bestimmungen das für die Beitragserhebung durch öffentlich-rechtliche Berufsorganisationen zu beachtende Äquivalenzprinzip und den Gleichheitssatz berücksichtigt. Das Äquivalenzprinzip fordert, dass zwischen der Höhe des Beitrags und dem Nutzen des Mitglieds ein Zusammenhang besteht. Die Höhe des Beitrags darf nicht in einem Missverhältnis zu dem Vorteil stehen, den er abgelten soll. Der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verlangt, niemanden im Vergleich zu anderen Normadressaten anders zu behandeln, ohne dass zwischen ihnen Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie eine ungleiche Behandlung rechtfertigen. Für die Erhebung vorteilsbezogener Mitgliedsbeiträge durch eine öffentlich-rechtliche Körperschaft bedeutet dies, dass wesentlichen Verschiedenheiten der Mitglieder Rechnung getragen werden muss und die Beiträge auch im Verhältnis der Beitragspflichtigen zueinander grundsätzlich vorteilsgerecht bemessen werden müssen (vgl. zu alledem BVerwG, Urteil vom 26. April 2006 - 6 C 19/05 -, juris).
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Diesen Anforderungen genügen die Bestimmungen der Beklagten.
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Soweit die Klägerin geltend macht, dass die Beitragserhebung deshalb rechtswidrig sei, weil die Beklagte bei der Beitragserhebung bei natürlichen Personen hinsichtlich des Freibetrags von 15.340,00 € nicht danach differenziere, ob die Person unverheiratet oder verheiratet, aber allein Einkommen erzielend sei, und weil dadurch jedenfalls bei allein verdienenden verheirateten Personen kein das Existenzminimum gewährleistender Freibetrag eingeräumt werde, vermag sich das Gericht dem nicht anzuschließen.
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Die Beitragserhebung erfolgt gemäß § 3 Abs. 2 IHKG zur Deckung der Kosten der Errichtung und Tätigkeit der Industrie- und Handelskammer und muss sich an dem Vorteil des Beitragspflichtigen orientieren. Dabei besteht angesichts der in § 3 Abs. 3 Satz 7 IHKG festgeschriebenen gesetzlichen Vorgaben hinsichtlich der Freibeträge für natürliche Personen, die die Beklagte in ihre Beitragsordnung bzw. Wirtschaftssatzungen unverändert übernommen hat, keine Veranlassung, die Freibeträge je nach den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des einzelnen Kammermitglieds zu staffeln.
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Diese Freibeträge bezwecken nicht, ein Existenzminimum für natürliche Personen zu sichern, die gemäß § 2 Abs. 1 IHKG Mitglied der Industrie- und Handelskammern sind. Dies ergibt sich aus der Gesetzesbegründung zu § 3 Abs. 3 Satz 7 IHKG (BT-Drucksache 13/9378 zu Art. 1 Nr. 5), in der es heißt, dass die Regelung dem Versuch einer annähernd gleichen Behandlung von Körperschaften und Personengesellschaften bzw. natürlichen Personen diene, denen beispielsweise bei der Erfassung der Bemessungsgrundlage nicht die Möglichkeit gegeben sei, ein Geschäftsführergehalt in Abzug zu bringen.
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Ein verfassungsrechtliches Gebot, dass Kammerbeiträge nur insoweit erhoben werden dürften, als dem Beitragspflichtigen ein Existenzminimum verbleibt, vermag das Gericht nicht zu erkennen.
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Zweck der Beitragserhebung ist ausschließlich, die Kosten der Errichtung und Tätigkeit der Industrie- und Handelskammer zu decken.
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Soweit die Klägerin sich zur Stützung ihrer Auffassung, dass ein Existenzminimum gewährleistet werden müsse, auf die von ihr zitierte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar 2011 beruft, ist diese Entscheidung für eine Beitragserhebung durch die Beklagte nicht einschlägig. Das Urteil betrifft die Frage, ob die Höhe der Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts für Erwachsene und Kinder bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres im Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis zum 30. Juni 2005 nach § 20 Abs. 1 bis 3 und nach § 28 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) in der Fassung des Art. 1 Viertes Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 2003 (BGBl I S. 2954) mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Die Gewährung von Sozialleistungen kann indessen nicht gleichgesetzt werden mit einer kostendeckenden Beitragserhebung durch berufsständische Kammern, die sich an dem den Kammermitgliedern durch die Kammermitgliedschaft eröffneten Vorteil zu orientieren hat. Von daher ist die Entscheidung des BVerfG vorliegend nicht einschlägig.
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Ferner ist auch das von Verfassungs wegen bei der Erfüllung der Einkommenssteuerschuld zu berücksichtigende Existenzminimum (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 25. September 1992 - 2 BvL 5, 8, 14/91 -, BVerfGE 87, 153) auf das für die Beklagte geltende Beitragsrecht nicht zu übertragen, denn es handelt sich hier um einen Grundsatz, der allein für die direkt erhobene Steuer vom Einkommen gilt und bereits für indirekt erhobene Umsatz- und Verbrauchssteuern keine Entsprechung findet (vgl. VG Frankfurt, Urteil vom 6. November 2007 - 5 E 4869/06 -, juris). Insoweit muss vielmehr auf den Unterschied zwischen Steuern als eine nicht an eine Gegenleistung anknüpfende Möglichkeit der Einnahmenbeschaffung durch die öffentliche Hand einerseits und Beiträgen als Gegenleistung für einen hoheitlich gewährten Vorteil des Beitragspflichtigen abgestellt werden.
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Von daher ist die Beklagte nicht verpflichtet, zur Sicherstellung des Existenzminimums ihrer Mitglieder über die Freibeträge des § 3 Abs. 3 Satz 7 IHKG hinausgehende Freibeträge vorzusehen oder in jedem Einzelfall zu prüfen, ob das Existenzminimum gewahrt bleibt.
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Andere Gründe, die der Heranziehung der Klägerin zum Kammerbeitrag entgegenstehen könnten, sind nicht ersichtlich, so dass die Klage gegen den Bescheid vom 4. April 2011 keinen Erfolg haben kann, denn das von der Klägerin weiterhin geltend gemachte Vorbringen, dass die Beitragsschuld erlassen werden müsse, lässt die Rechtmäßigkeit der Beitragserhebung unberührt.
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Allerdings erfüllt die Klägerin auch nicht die Voraussetzungen für einen Erlass der Beitragsschuld. Nach § 19 Abs. 2 der Beitragsordnung der Beklagten können Beiträge auf Antrag im Falle einer unbilligen Härte ganz oder teilweise erlassen werden, wobei allerdings - so die Festschreibung in der Beitragsordnung - im Interesse einer gleichmäßigen Behandlung aller IHK-Zugehörigen an den Begriff der unbilligen Härte ein strenger Maßstab anzulegen ist.
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Eine unbillige Härte setzt dabei von vornherein eine atypische Fallgestaltung voraus. Dies kann der Fall sein, wenn eine Beitragsbelastung aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalles unzumutbar erscheint, z.B. wenn soziale Belange schwerwiegend berührt werden (vgl. hierzu auch OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 17. März 2009 - 12 A 3019/08 -, juris). Dafür ist vorliegend indessen nichts ersichtlich, denn die Klägerin hat keine eine exakte Beurteilung ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ermöglichenden Angaben gemacht, die die Schlussfolgerung zuließen, dass ihr Existenzminimum gefährdet sei.
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Im Übrigen hat das OVG Rheinland-Pfalz in einem Beschluss vom 24. April 2001 - 11 A 11224/00.OVG -, ESOVGRP, zum Erlass eines Kammerbeitrags einer Industrie- und Handelskammer ausgeführt:
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"Zwar sieht § 10 Abs. 2 der Beitragsordnung im Anschluss an § 3 Abs. 7 Satz 2 des IHK-Gesetzes vor, dass Beiträge auf Antrag im Falle einer unbilligen Härte ganz oder teilweise erlassen werden können. Die Klägerin trägt aber nichts vor, aus dem sich eine solche unbillige Härte ergibt.
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Im Abgabenrecht unterscheidet man zwischen einem Erlass wegen Unbilligkeit in der Person des Abgabepflichtigen und einem Erlass wegen Unbilligkeit in der Sache. ... Für eine sachliche Unbilligkeit ist aus folgenden Gründen nichts ersichtlich:
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Wie der Bundesfinanzhof in seinem von der Klägerin selbst genannten Urteil vom 26. Oktober 1994 (- X R 104/92 - Bundessteuerblatt 1995 II S. 297 ff.) ausführt, ist die Erhebung einer Steuer [und dementsprechend eines Mitgliedsbeitrages einer Körperschaft des öffentlichen Rechts] vor allem dann unbillig, wenn sie im Einzelfall nach dem Zweck des zugrunde liegenden Gesetzes [der Satzung] nicht (mehr) zu rechtfertigen ist und dessen Wertungen zuwiderläuft. Bei der sachlichen Billigkeitsprüfung müssen grundsätzlich solche Erwägungen unbeachtet bleiben, die der gesetzliche Tatbestand typischerweise mit sich bringt. Eine Billigkeitsmaßnahme darf unter gar keinen Umständen, selbst nicht unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten, dazu führen, die generelle Gültigkeitsanordnung des den Steueranspruch [Beitragsanspruch] begründenden Gesetzes [der Satzung] zu unterlaufen. ...
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Warum diese generell vorgeschriebene Verknüpfung der Beitragsforderung mit dem Gewerbeertrag gerade in dem Einzelfall der Klägerin unbillig sein soll, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Dass die Höhe des Beitrages die Unbilligkeit begründen könnte, ist schon deshalb ausgeschlossen, weil nach den genannten Bestimmungen alle Mitglieder, die einen gleich hohen Gewerbeertrag erzielt haben, den gleichen Beitrag zu zahlen haben. Ebenso ist die Art des gewerblichen Vorganges, aus dem der Gewerbeertrag entstanden ist, für das Erlassverfahren ohne Bedeutung. Das IHK-Gesetz und die Satzungen der Beklagten unterscheiden - von hier nicht einschlägigen Ausnahmen abgesehen - weder für die Mitgliedschaft noch für die Beitragspflicht nach der Art des betriebenen Gewerbes, sondern knüpfen daran an, ob die natürlichen oder juristischen Personen zur Gewerbesteuer veranlagt sind. ... Sofern ein Gewerbeertrag in gleicher Höhe erzielt wird, ist auch der Beitrag in gleicher Höhe zu zahlen. ...
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2. Das angefochtene Urteil weicht hinsichtlich des Erlasses nicht von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Oktober 1998 (1 C 19.97 - GewA 1999 S. 73, 74) ab. Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht, wie die Klägerin richtig bemerkt, dort ausgesprochen, das Satzungsrecht der Kammern gebe ihnen die Möglichkeit der "Feinregulierung" durch Erlass, Stundung oder Niederschlagung. Indem das Verwaltungsgericht die Voraussetzungen für einen Erlass wegen Fehlens einer sachlichen Unbilligkeit verneint hat, hat es aber keinen dem Bundesverwaltungsgericht widersprechenden allgemeinen Rechtssatz aufgestellt. Das Bundesverwaltungsgericht hat in der gewählten Formulierung im Übrigen nur mit anderen Worten umschrieben, was ohnehin Inhalt der Bestimmungen über Erlass, Stundung und Niederschlagung ist. Wann deren Voraussetzungen vorliegen, ist jeweils im Einzelfall zu entscheiden."
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Ausgehend hiervon rechtfertigt das pauschale Vorbringen der Klägerin, dass die Beitragserhebung deshalb erlassen werden müsse, weil nicht gewährleistet sei, dass ihr das verfassungsrechtlich gebotene Existenzminimum zur Verfügung stehe, dies nicht die Schlussfolgerung, dass bei ihr eine unbillige Härte im Sinne des § 19 Abs. 2 der Beitragsordnung vorliege. Aus dem bei den Akten befindlichen Bescheid vom 10. November 2010 über Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag 2009 ergibt sich lediglich, dass die Klägerin in diesem Jahr ein zu versteuerndes Einkommen in Höhe von 21.940 € erzielt hat. Selbst wenn man davon ausgeht, dass unter Berücksichtigung von Sonderausgaben damit das durch § 52 Abs. 41 EStG bei der Einkommensteuerhebung zu berücksichtigende Existenzminimum unterschritten würde, lässt sich hieraus jedoch nicht die Schlussfolgerung ziehen, dass die Beitragserhebung gegenüber der Klägerin eine unbillige Härte darstellen würde. Die Klägerin hat nämlich weder im Verwaltungs- noch im Gerichtsverfahren ihre gesamten wirtschaftlichen Verhältnisse offenbart und auf den Hinweis der Beklagten, dass die Vorausleistungserhebung für 2011 aufgrund ihrer konkreten Gewinnaussichten für dieses Jahr geändert werden könne, nicht reagiert. Auch in der mündlichen Verhandlung vor Gericht hat die Klägerin durch ihren Ehemann nur pauschal darauf verwiesen, dass das Existenzminimum gewährleistet sein müsse.
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Von daher ist nicht ersichtlich, dass die Beitragserhebung bei der Klägerin eine unbillige Härte darstellen könnte, so dass die Klägerin die tatbestandlichen Voraussetzungen für den Erlass der Beitragsforderungen nicht glaubhaft gemacht hat.
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Von daher kann die Klage insoweit, als sie auf Aufhebung der Beitragsbescheide gerichtet ist, keinen Erfolg haben. Ergänzend ist dabei noch darauf hinzuweisen, dass das Vorbringen der Klägerin, die Widerspruchsgebühren seien überhöht, im vorliegenden Verfahren nicht entscheidungserheblich ist, weil ein eventuell ergangener Bescheid über die Erhebung von Widerspruchsgebühren nicht Gegenstand des Klageverfahrens ist.
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Soweit die Klägerin eine Verurteilung der Beklagten dahingehend erstrebt, in zukünftigen Beitragsbescheiden den von ihr behaupteten Anspruch auf ein menschenwürdiges Existenzminimum zu berücksichtigen, ist die Klage unzulässig. Für einen vorbeugenden Rechtsschutz ist nämlich vorliegend kein Raum, weil die Klägerin insoweit in zumutbarer Weise auf den von der Verwaltungsgerichtsordnung als grundsätzlich angemessen und ausreichend angesehenen nachträglichen Rechtsschutz verwiesen werden muss (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Juli 1977 - IV C 51.75 -, juris).
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Von daher kann die Klage insgesamt keinen Erfolg haben.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils hinsichtlich der Kosten findet ihre Rechtsgrundlage in §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung - ZPO -.
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Gründe, nach § 124a Abs. 1 VwGO die Berufung zuzulassen, sind nicht gegeben, denn die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch liegt eine Abweichung von obergerichtlicher Rechtsprechung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO vor.
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Beschluss
- 52
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 727,65 € festgesetzt, wobei die Kammer zum einen die Beträge der Beitragsfestsetzungen für die Jahre 2009 und 2011 in Höhe von insgesamt 227,65 € berücksichtigt und zum anderen das Interesse der Klägerin an einer die künftigen Jahre betreffenden Entscheidung mit 500,00 € bewertet (§§ 52 Abs. 1 und Abs. 3, 63 Abs. 2 GKG).
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Dabei sieht die Kammer keine Veranlassung, die Beschwerde gegen die Streitwertfestsetzung nach Maßgabe des § 68 Abs. 1 Satz 2 GKG zuzulassen, denn die Streitwertfestsetzung hat keine grundsätzliche Bedeutung.
- 54
Die Festsetzung des Streitwertes kann nach Maßgabe des § 68 Abs. 1 GKG mit der Beschwerde angefochten werden, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200,00 € übersteigt.
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