Urteil vom Verwaltungsgericht Trier (7. Kammer) - 7 K 1250/19.TR

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des vollstreckungsfähigen Betrages abzuwenden, soweit nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

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Der Kläger, nach eigenen Angaben nigerianischer Staatsangehöriger, reiste nach seinen Angaben am 26. Januar 2019 in das Bundesgebiet ein und stellte am 14. Februar 2019 einen förmlichen Asylantrag.

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Ein Abgleich der Eurodac-Daten und der Fingerabdrücke ergab, dass er am 15. August 2013 und am 16. Oktober 2013 in Italien Asylanträge gestellt hat (jeweils Eurodac-Treffer der Kategorie „1“). Aufgrund dieser Anhaltspunkte für die Zuständigkeit eines anderen Staates gemäß der Verordnung Nr. 604/2013 des europäischen Parlaments und des Rates – Dublin III-Verordnung – richtete die Beklagte am 18. Februar 2019 ein Übernahmeersuchen an Italien, worauf die italienischen Behörden nicht antworteten.

3

Mit Bescheid vom 7. März 2019, nach den unbestrittenen Angaben des Klägers am 11. März 2019 zugestellt, lehnte die Beklagte den Asylantrag des Klägers nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 a) Asylgesetz – AsylG – als unzulässig ab, stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 S. 1 Aufenthaltsgesetz – AufenthG – nicht vorlägen, ordnete die Abschiebung des Klägers nach Italien an und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung.

4

Hiergegen hat der Kläger am 18. März 2019 die vorliegende Klage erhoben und einen Eilantrag gestellt, der mit Beschluss des erkennenden Gerichts vom 22. März 2019 abgelehnt wurde (7 L 1251/19.TR).

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Während des laufenden Klageverfahrens forderte die damals zuständige Ausländerbehörde, die Kreisverwaltung K..., den Kläger mit Schreiben vom 10. Mai 2019 auf, sich zur Durchführung der Abschiebung nach Italien am 17. Mai 2019 um 03:30 Uhr mit seinem Reisegepäck vor dem Gebäude 12 der Aufnahmeeinrichtung K... einzufinden. Das Schreiben wurde ihm durch einen Mitarbeiter der Kreisverwaltung K... am 13. Mai 2019 in deutscher und der ihm geläufigen englischer Sprache ausgehändigt und anschließend erläutert. Hierbei gab der Kläger ausweislich eines entsprechenden Vermerks auf dem Empfangsbekenntnis an, dass er nicht nach Italien gehen werde.

6

Die für den 17. Mai 2019 geplante Überstellung des Klägers scheiterte in der Folge, da dieser sich weder gemäß der Aufforderung im Schreiben vom 10. Mai 2019 vor dem Gebäude 12 der Aufnahmeeinrichtung K... aufhielt noch in dem ihm zugewiesenen Zimmer oder den Gemeinschaftsräumen angetroffen werden konnte. Nach entsprechender Mitteilung der Kreisverwaltung K... vom 27. Mai 2019 verlängerte das Bundesamtes am selben Tag die Überstellungsfrist am 28. Mai 2019 gemäß Art. 29 Abs. 2 Dublin III-Verordnung auf 18 Monate bis zum 22. September 2020, weil der Kläger flüchtig sei.

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Zur Begründung seiner Klage trägt der Kläger vor, sein Asylantrag sei in Italien abgelehnt worden und er habe auf der Straße schlafen müssen. Für seine Arbeit sei er nicht bezahlt worden. Er hab seit einem Schlag mit einer Waffe Schmerzen im Brustkorb. Weiter sei er wegen „blutigen Bewusstseins“ im Städtischen Klinikum K... behandelt worden. In Italien werde er keine hinreichende medizinische Versorgung erhalten. Auch drohe ihm Obdachlosigkeit. Schließlich habe er damit zu rechnen, von Italien aus nach Deutschland zurückgeschoben zu werden.

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Der Kläger beantragt,

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den Bescheid der Beklagten vom 7. März 2019 aufzuheben,

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hilfsweise, die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des genannten Bescheids zu verpflichten, festzustellen, dass im Hinblick auf den Kläger die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 des Aufenthaltsgesetzes vorliegen.

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Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

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die Klage abzuweisen.

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Sie bezieht sich zur Begründung ihres Antrags auf den angefochtenen Bescheid.

14

Vom 29. Januar 2020 bis zum 26. Februar 2020 hat die mittlerweile zuständige Ausländerbehörde, die Kreisverwaltung des W..., den Kläger nach unbekannt abgemeldet. In der mündlichen Verhandlung gab der Kläger an, sich vom 15. Dezember 2019 bis zum 24. Februar 2020 in Italien aufgehalten zu haben.

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Der Kläger hat bei Klageerhebung einer Entscheidung durch die Berichterstatterin zugestimmt. Das Einverständnis seitens der Beklagten ergibt sich hierbei aus der „Allgemeinen Prozesserklärung des Bundesamtes in Verwaltungsstreitsachen wegen Verfahren nach dem Asylgesetz“ vom 25. Februar 2016 in der Fassung vom 27. Juni 2017.

16

Die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands ergeben sich aus den zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätzen der Beteiligten und den vorgelegten Verwaltungsvorgängen der Beklagten, sowie der bei Gericht vorhandenen Asyldokumentation über die asyl- und abschiebungsrelevanten Verhältnisse in Italien, die jeweils Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind. Des Weiteren wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage, über welche im Einverständnis der Beteiligten die Berichterstatterin (§ 87a Abs. 2, 3 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO –) trotz Ausbleiben der Beklagten bzw. eines Vertreters der Beklagten in der mündlichen Verhandlung verhandeln und entscheiden konnte, da die Beklagte in der Ladung zum Termin auf diese Rechtsfolge hingewiesen worden ist, § 102 Abs. 2 VwGO, hat keinen Erfolg; sie ist zulässig aber unbegründet.

18

I. Es handelt sich bei der Anfechtungsklage um die statthafte Klageart, denn das auf die Herbeiführung einer Entscheidung im nationalen Verfahren gerichtete Begehren des Klägers lässt sich allein durch Aufhebung der Unzulässigkeitsentscheidung im Rahmen einer Anfechtungsklage erreichen, da ein „Durchentscheiden“ des Gerichts nicht möglich ist. Wird die Unzulässigkeitsentscheidung auf die Anfechtungsklage hin aufgehoben, ist auch die gegebenenfalls ergangene Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen, nebst Abschiebungsanordnung aufzuheben, denn beide Entscheidungen sind dann jedenfalls verfrüht ergangen (vgl. zu Vorstehendem: BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 2016, – 1 C 4.16 –, Rn. 16 f., juris).

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II. Der Hauptantrag bleibt jedoch ohne Erfolg. Die Unzulässigkeitsentscheidung unter Ziffer 1. des Bescheids des Bundesamtes vom 7. März 2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 AsylG) nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO). Das Gericht nimmt insoweit zunächst auf die zutreffenden Ausführungen im Beschluss des erkennenden Gerichts vom 22. März 2019 sowie im streitgegenständlichen Bescheid Bezug und macht sich nach eingehender Prüfung die Ausführungen der Beklagten in ihrem Bescheid zu Eigen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Ergänzend gilt folgendes:

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1. Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 a) AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn nach Maßgabe der Dublin III-Verordnung nicht die Bundesrepublik Deutschland, sondern ein anderer Staat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Italien ist nach Art. 3 Abs. 2 Dublin III-Verordnung zur Prüfung des klägerischen Asylantrags zuständig. Die Asylantragstellung in Italien ergibt sich aus dem Eurodac- Treffer der Kategorie 1 (Bl. 1 der elektronischen Asylakte). Diese Ziffer steht für einen Fall eines Drittstaatsangehörigen, der einen Asylantrag gestellt hat (Art. 24 Abs. 4 i.V.m. Art. 9 Abs. 1 VO (EU) Nr. 603/2013 vom 26. Juni 2013). Die Zustimmung zur Übernahme des Klägers gilt nach Art. 25 Abs. 2 Dublin III-Verordnung als erteilt.

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2. Gründe, i.S.v. Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 und 3 Dublin III- Verordnung, die der Zuständigkeit Italiens für die Prüfung des Asylantrags des Klägersentgegenstehen, liegen nicht vor. Nach dieser Vorschrift kann es sich als unmöglich erweisen, einen Asylantragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, wenn es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, welche die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union – GR-Charta – mit sich bringen. In diesem Fall setzt der die Zuständigkeit bestimmende Mitgliedstaat die Prüfung fort, ob ein anderer Mitgliedstaat bestimmt werden kann, der zuständig ist. Kann demnach keine Überstellung an einen anderen Mitgliedstaat erfolgen, so wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat selbst, hier die Bundesrepublik Deutschland, der zuständige Mitgliedstaat.

22

Derartige systemische Schwachstellen in Italien liegen derzeit nach Auswertung der aktuellen Erkenntnisquellen im Fall des Klägers nicht vor. Ihm droht weder während des Asylverfahrens noch nach dessen Abschluss bei einer zu unterstellenden Gewährung internationalen Schutzes in Italien eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 4 GR-Charta.

23

Italien ist Mitgliedstaat der Europäischen Union sowie Signatarstaat der Europäischen Menschenrechtskonvention – EMRK – und damit Teil des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, welches sich auf die uneingeschränkte und umfassende Anwendung der GR-Charta sowie der Genfer Flüchtlingskonvention – GFK – (vgl. Art. 18 GR-Charta und Art. 78 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union – AEUV –) stützt. Das Unionsrecht beruht auf der grundlegenden Prämisse, dass jeder Mitgliedstaat mit allen anderen Mitgliedstaaten eine Reihe gemeinsamer Werte teilt – und anerkennt, dass sie sie mit ihm teilen –, auf die sich, wie es in Art. 2 des Vertrags über die Europäische Union – EUV – heißt, die Union gründet. Diese Prämisse impliziert und rechtfertigt die Existenz gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten bei der Anerkennung dieser Werte und damit bei der Beachtung des Unionsrechts, mit dem sie umgesetzt werden, und gegenseitigen Vertrauens darauf, dass die nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten in der Lage sind, einen gleichwertigen und wirksamen Schutz der in der GR-Charta anerkannten Grundrechte, insbesondere ihren Art. 1 und 4, in denen einer der Grundwerte der Union und ihrer Mitgliedstaaten verankert ist, zu bieten (vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019 – C-163/17, Jawo –, a.a.O., Rn. 80 m.w.N.).

24

Der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten hat im Unionsrecht fundamentale Bedeutung, da er die Schaffung und Aufrechterhaltung eines Raums ohne Binnengrenzen ermöglicht. Konkret verlangt der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens, namentlich in Bezug auf den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, von jedem Mitgliedstaat, dass er, abgesehen von außergewöhnlichen Umständen, davon ausgeht, dass alle anderen Mitgliedstaaten das Unionsrecht und insbesondere die dort anerkannten Grundrechte beachten (vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019 – C-163/17, Jawo –, a.a.O., Rn. 81 m.w.N.).

25

Folglich muss im Kontext des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems und insbesondere der Dublin III-Verordnung, die auf dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens beruht und durch eine Rationalisierung der Anträge auf internationalen Schutz deren Bearbeitung im Interesse sowohl der Antragsteller als auch der teilnehmenden Staaten beschleunigen soll, die Vermutung gelten, dass die Behandlung der Personen, die internationalen Schutz beantragen, in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der GR-Charta, der GFK und der EMRK steht (vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019 – C-163/17, Jawo –, a.a.O., Rn. 82 m.w.N.).

26

Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass es in einem bestimmten Mitgliedstaat zu Funktionsstörungen kommt, die das ernsthafte Risiko begründen, dass Personen, die internationalen Schutz beantragen, bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt werden, die mit ihren Grundrechten unvereinbar ist. Insoweit ist das mit einem Rechtsbehelf gegen eine Überstellungsentscheidung befasste Gericht in dem Fall, dass es über Angaben verfügt, die die betreffende Person zum Nachweis des Vorliegens eines solchen Risikos vorgelegt hat, verpflichtet, auf der Grundlage objektiver, zuverlässiger, genauer und gebührend aktualisierter Angaben und im Hinblick auf den durch das Unionsrecht gewährleisteten Schutzstandard der Grundrechte zu würdigen, ob entweder systemische oder allgemeine oder aber bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen vorliegen (vgl. entsprechend EuGH, Urteil vom 19. März 2019 – C-163/17, Jawo –, a.a.O., Rn. 83, 90 m.w.N.).

27

Entsprechende Schwachstellen fallen jedoch nur dann unter Art. 4 GR-Charta, der Art. 3 der EMRK entspricht und nach Art. 52 Abs. 3 GR-Charta die gleiche Bedeutung und Tragweite hat, wie sie ihm in der EMRK verliehen wird, wenn sie eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen, die von sämtlichen Umständen des Falles abhängt (vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – Nr. 30696/09 –, M.S.S./Belgien und Griechenland, ECLI:CE:ECHR:2011:0121JUD003069609, § 254).

28

Diese besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit wäre erreicht, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (vgl. in diesem Sinne EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011, a.a.O., §§ 252 bis 263). Diese Schwelle ist daher selbst in durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichneten Situationen nicht erreicht, sofern sie nicht mit extremer materieller Not verbunden sind, aufgrund deren sich diese Person in einer solch schwerwiegenden Lage befindet, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden kann (vgl. zu Vorstehendem: EuGH, Urteile vom 19. März 2019 – C-163/17, Jawo –, a.a.O., Rn. 91 ff. und – C-297/17 u.a., Ibrahim –, juris Rn. 87 ff.).

29

Anhaltspunkte für derartige Schwachstellen im Fall des Klägers, aufgrund derer die aus dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens resultierende Vermutung grundrechtskonformen Verhaltens Italiens widerlegt wäre, vermag das Gericht auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der aktuellen Erkenntnismittel und unter Berücksichtigung der Schilderungen des Klägers weder während des Asylverfahrens (aa.) noch nach dessen Abschluss bei einer zu unterstellenden Gewährung internationalen Schutzes (bb.) festzustellen.

30

aa. Dem 31-jährigen Kläger, der nicht zu den in Art. 20 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 – Qualifikationsrichtlinie – und Art. 21 der Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 – Aufnahmerichtlinie – aufgeführten schutzbedürftigen Personengruppen zählt, weder mit Blick auf das Asylverfahren als solches (1) noch hinsichtlich der Aufnahmebedingungen in Italien (2) eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S.v. Art. 4 GR-Charta (vgl. Beschluss der 5. Kammer des erkennenden Gerichts vom 5. Dezember 2016 – 5 L 9135/16.TR – unter Hinweis auf OVG RP, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –; OVG RP, Beschlüsse des 10. Senats vom 2. Dezember 2016 – 10 A 11618/16.OVG – und vom 30. Juli 2015 – 10 A 10740/15.OVG – sowie des 6. Senats vom 20. November 2015 – 6 A 10781/15.OVG –, m.w.N.; ebenso VG Düsseldorf, Gerichtsbescheid vom 27. Januar 2020 – 22 K 13275/17.A –; VG Würzburg, Urteil vom 26. November 2019 – W 10 K 19.50275 –; VG Magdeburg, Beschluss vom 14. November 2019 – 8 B 398/19 –; VG Berlin, Beschluss vom 10. Juli 2019 – 3 L 380.19 A –; VG Köln, Urteil vom 6. Juni 2019 – 8 K 2689/18.A –; VG Lüneburg, Beschluss vom 15. März 2019 – 8 B 59/19 –; VG München, Beschluss vom 13. März 2019 – M 9 S 17.50582 –; VG Aachen, Beschluss vom 7. Februar 2019 – 9 L 84/19.A –; VG Hannover, Beschluss vom 14. Januar 2019 – 5 B 5153/18 –; vgl. auch VGH BW, Urteil vom 29. Juli 2019 – A 4 S 749/19 –; OVG Lüneburg, Urteil vom 4. April 2018 – 10 LB 96/17 – und Beschluss vom 6. August 2018 – 10 LA 320/18 –; OVG NRW, Beschluss vom 16. Februar 2017 – 13 A 316/17.A –; vgl. ferner bzgl. Asylbewerber mittleren Lebensalters und/oder mit nicht unerheblichen gesundheitlichen Einschränkungen: OVG NRW, Urteile vom 7. Juli 2016 – 13 A 2132/15.A –, vom 24. August 2016 – 13 A 63/16.A – und vom 22. September 2016 – 13 A 2448/15.A –; bestätigt durch BVerwG, Beschluss vom 20. Dezember 2016 – 1 B 121.16 –; vgl. für alleinstehende junge Frauen: OVG NRW, Urteil vom 21. Juni 2016 – 13 A 990/13.A –; VG Kassel, Beschluss vom 21. Oktober 2019 – 3 L 2365/19.KS.A –; alle veröffentlicht bei juris).

31

(1) Dublin-Rückkehrende, die in Italien bereits einen Asylantrag gestellt haben, bevor sie in einen anderen Mitgliedstaat weitergereist sind, müssen in die Region zurückkehren, die für die Prüfung des Asylantrags ursprünglich zuständig war. Ist noch kein förmlicher Asylantrag gestellt worden, finden die Aufnahme des Dublin-Rückkehrenden und das Asylverfahren in der Region statt, in der sich der Flughafen befindet, an dem der Dublin-Rückkehrende ankommt. Der Asylantrag kann in diesem Fall bei der Grenzpolizei gestellt werden (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Reception Conditions in Italy, Updated report on the situation of asylum seekers and beneficiaries of protection, in particular Dublin returnees, January 2020 – SFH 01/2020 –, abrufbar unter https://www.fluechtlingshilfe.ch/assets/herkunftslaender/dublin/italien/200121-italy-reception-conditions-en.pdf, S. 28). Bei Ankunft erhalten Dublin-Rückkehrende zudem ein Informationsschreiben von der Grenzpolizei mit Hinweisen auf die für die förmliche Registrierung und weitere Bearbeitung des Asylantrags zuständigen Stellen („Questura“). An den Flughäfen in Rom (Fiumicino), Mailand (Malpensa), Bologna, Bari und Venedig sind zudem Nichtregierungsorganisationen tätig, die erste Information, Beratung und, nach Möglichkeit, bei der Vermittlung an eine Unterkunft Unterstützung anbieten. Zur Unterstützung gehört auch die Bereitstellung von Essen und Bahn-Tickets (vgl. SFH 01/2020, S. 31 ff.). Dublin-Rückkehrende werden dabei normalerweise von der Grenzpolizei zur Nichtregierungsorganisation begleitet (vgl. Raphaelswerk.de, ITALIEN: Informationen für Geflüchtete, die nach Italien rücküberstellt werden, Stand: Dezember 2018, S. 3).

32

Die Situation von Dublin-Rückkehrenden hängt sodann vom Stand ihres Asylverfahrens in Italien ab. Ersucht der Rückkehrende, der in Italien noch keinen Asylantrag gestellt hat, bei der Grenzpolizei nicht um Asyl und verfügt nicht über eine Aufenthaltserlaubnis, erhält er eine Ausweisungsverfügung und wird – kapazitätsabhängig – in eine Abschiebeeinrichtung gebracht („Centro di permanenza per il rimpatrio“ – CPR –) (vgl. SFH 01/2020, S. 28).

33

Hat der Rückkehrende bereits einen Asylantrag in Italien gestellt, ist aber nicht zu seiner persönlichen Anhörung erschienen, bevor er das Land verlassen hat, kann das Verfahren für bis zu zwölf Monate mit der Begründung ausgesetzt werden, dass er nicht erreichbar ist. Kehrt die Person innerhalb dieser zwölf Monate nach Italien zurück, kann das Asylverfahren wiederaufgenommen werden. Sind die zwölf Monate abgelaufen, wird das Verfahren eingestellt und ein neuerlicher Asylantrag wird als Folgeantrag behandelt, der neue Asylgründe enthalten muss (vgl. SFH 01/2020, S. 28; AIDA, Country Report, Italy, April 2019, abrufbar unter https://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2017update.pdf, S. 57 f.). Wurde der Asylantrag des Dublin-Rückkehrenden abgelehnt und ist die Rechtsmittelfrist bereits abgelaufen, erhält die betreffende Person eine Ausweisungsverfügung und kann in ein CPR gebracht werden. Die Möglichkeit, einen Folgeantrag zu stellen, der nur im Falle des Vorbringens neuer Asylgründe zulässig ist, besteht jedoch auch in diesem Fall (vgl. SFH 01/2020, S. 28 f.; AIDA, a.a.O., S. 58). Wird ein solcher Folgeantrag während der Durchsetzung der Abschiebung gestellt, kann er indes als unzulässig abgelehnt werden (vgl. AIDA, a.a.O., S. 14).

34

Während des Asylverfahrens werden Dublin-Rückkehrende in der Regel von Nichtregierungsorganisationen, bei der Anhörung vereinzelt auch von Rechtsberatern oder Rechtsanwälten, begleitet, deren Finanzierung durch die unterstützende Nichtregierungsorganisation von den zur Verfügung stehenden Mitteln abhängt (vgl. AIDA, a.a.O., S. 46 f.). Bei der persönlichen Anhörung stehen darüber hinaus Dolmetscher zur Verfügung (vgl. AIDA, a.a.O., S. 38 ff.). Zudem ist gegen ablehnende Entscheidungen gerichtlicher Rechtsschutz möglich (vgl. AIDA, a.a.O., S. 40 ff.). Rechtsbehelfen gegen abgelehnte Folgeanträge kommt dabei seit 2018 keine aufschiebende Wirkung mehr zu (vgl. SFH 01/2020, S. 29). Für bedürftige Antragsteller besteht darüber hinaus die Möglichkeit der Prozesskostenhilfe (vgl. AIDA, a.a.O., S. 47 f.).

35

Die vorstehend dargestellte Ausgestaltung des Asylverfahrens in Italien rechtfertigt nach alledem nicht die Annahme systemischer Schwachstellen i.S.v. Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin III-Verordnung. Dublin-Rückkehrende haben Zugang zum Asylverfahren und können ihre Rechte effektiv – notfalls gerichtlich – wahrnehmen.

36

(2) Auch mit Blick auf die Aufnahmebedingungen droht dem Kläger keine Situation extremer materieller Not. Ab der Erstregistrierung („fotosegnalemento“) haben Dublin-Rückkehrende nach dem Gesetz wie alle anderen Asylbegehrende in Italien Zugang zu Unterbringung und Versorgung. Diese gesetzliche Vorgabe wird in der Praxis in der Regel auch umgesetzt. Sofern der Zugang zu Unterbringung und Versorgung in der Vergangenheit erst ab der förmlichen Asylantragstellung („verbalizzazione“) gewährt wurde, ist zu sehen, dass sich die Wartezeit zwischen Erstregistrierung und förmlicher Antragstellung erheblich auf ein bis drei Wochen verkürzt hat (vgl. Auskunft der Sachverständigen Romer von der Schweizerischen Flüchtlingshilfe in den mündlichen Verhandlungen des Verwaltungsgerichts Minden vom 13. November 2019, Protokoll zu den Verfahren 10 K 7608/17.A, 10 K 1683/18.A und 10 K 2221/18.A, S. 12). Folgeantragsteller haben ebenfalls dieselben Rechte wie andere Asylbegehrende. Sie können in den Aufnahmeeinrichtungen untergebracht werden, sofern Plätze verfügbar sind (vgl. AIDA, a.a.O., S. 73).

37

Die Unterbringung von Dublin-Rückkehrenden erfolgt im Zuge der umfassenden Änderung des Unterbringungssystems durch das Gesetzesdekret Nr. 113/2018 vom 4. Oktober 2018 (abrufbar unter https://www.gazzettaufficiale.it/eli/id/2018/10/04/18G00140/sg) ebenso wie die Unterbringung aller anderen Asylbegehrenden nunmehr in den Erstaufnahmeeinrichtungen (prima accoglienza, bisher „Centro di accoglienza per richiedenti asilo“ – CARA – und „Centri di accoglienza straordinari“ – CAS –), wobei der überwiegende Anteil der verfügbaren Plätze auf die sog. CAS-Einrichtungen entfällt, welche unter anderem auch von Gemeinden, privaten Organisationen und Nichtregierungsorganisationen betrieben werden (vgl. SFH 01/2020, S. 22, 35 ff.; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Italien, Gesamtaktualisierung am 27. September 2018, Stand Februar 2019 – Länderinformationsblatt –, MILo, S. 6).

38

Für diese Erstaufnahmeeinrichtungen wurden seitens des italienischen Innenministeriums neue Ausschreibungsspezifikationen ausgearbeitet. Die Ausschreibung und staatliche Verwaltung bzw. Kontrolle der Einrichtungen obliegt den Präfekturen. Seitens des italienischen Innenministeriums wurde betont, dass die Einhaltung sämtlicher europarechtlicher Bestimmungen (in diesem Zusammenhang insbesondere die Aufnahmerichtlinie) unter Wahrung der menschlichen Würde jedenfalls sichergestellt sei. Herkunft, religiöse Überzeugung, Gesundheitszustand und Vulnerabilität finden Berücksichtigung. Die Versorgung beinhaltet u.a. die Unterbringung, Verpflegung, Sozialbetreuung, Information, notwendige Transporte, medizinische Betreuung durch Erstuntersuchung und ärztliche Betreuung in den Zentren zusätzlich zum allgemeinen Zugang zum nationalen Gesundheitsdienst, Hygieneprodukte, Wäschedienst oder Waschprodukte, Erstpaket (Kleidung, Bettzeug, Telefonkarte), Taschengeld (€ 2,50/Tag/Person und bis zu € 7,50/Tag für eine Kernfamilie), sowie Schulbedarf (vgl. zu Vorstehendem: Länderinformationsblatt, S. 6, 7).

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Zwar ist es durch das sog. „Capitolato“ zu Kürzungen der staatlichen Zuschüsse von 35 auf ungefähr 20 Euro pro Tag und Person gekommen, weshalb das Personal in den Aufnahmeeinrichtungen reduziert und zusätzliche Serviceleistungen, wie z.B. Sprachkurse, Rechtsberatung und Freizeitaktivitäten eingeschränkt wurden (vgl. SFH 01/2020, S. 38 ff.). Jedoch wird hierdurch die Schwelle einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung nicht überschritten. Insoweit ist nach der vorgenannten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs vom 19. März 2019 (C-163/17, a.a.O.) ausreichend, dass Asylbegehrende in den italienischen Aufnahmeeinrichtungen trotz der Kürzungen nach wie vor ihre elementarsten Bedürfnisse, wie sich zu ernähren und zu waschen, befriedigen können. Verifizierbare Anhaltspunkte, dass dies nicht der Fall wäre, liegen dem Gericht nicht vor.

40

Vor diesem Hintergrund geht die Kammer gemäß dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens davon aus, dass eine menschenrechtskonforme Unterbringung von nicht vulnerablen Asylbegehrenden in Italien gewährleistet ist. Vereinzelte Defizite und Fehler sind dabei nicht auszuschließen, sie beeinträchtigen jedoch nicht die Annahme des Fehlens systemischer Mängel im italienischen Asylverfahren und den Aufnahmebedingungen im Ganzen.

41

Ebenso wenig droht denjenigen Asylbegehrenden, die bereits offiziell in einer staatlichen Aufnahmeeinrichtung untergebracht waren und ihre Unterkunft grundlos und ohne Unterrichtung der zuständigen Behörde verlassen haben, eine Situation extremer materieller Not. Zwar kann nach Art. 23 Abs. 1 des Gesetzesdekrets Nr. 142/15 vom 18. August 2015 (abrufbar unter https://www.gazzettaufficiale.it/eli/id/2015/09/15/15G00158/sg), der in seinem direkten Anwendungsbereich grundsätzlich nur für die Zweitaufnahmeeinrichtungen gilt, allerdings auf die Unterbringung in den Erstaufnahmeeinrichtungen analog angewendet wird (vgl. Auskunft der Sachverständigen Romer von der Schweizerischen Flüchtlingshilfe in den mündlichen Verhandlungen des Verwaltungsgerichts Minden vom 13. November 2019, Protokoll zu den Verfahren 10 K 7608/17.A, 10 K 1683/18.A und 10 K 2221/18.A, S. 19), diesen Personen ihr Unterbringungsrecht entzogen werden (vgl. Länderinformationsblatt, S. 14; AIDA, a.a.O., S. 86 f.; SFH 01/2020, S. 41 ff.; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Aktuelle Situation für Asylsuchende in Italien, Mai 2019 – SFH 05/2019 –, abrufbar unter https://www.fluechtlingshilfe.ch/assets/herkunftslaender/dublin/italien/190508-auskunft-italien.pdf, S. 13, vgl. hierzu Fernsehbericht der Sendung Monitor vom 23. Mai 2019, „Hilflos, obdachlos, chancenlos: Das Elend der Flüchtlinge in Italien“, abrufbar unter https://www1.wdr.de/daserste/monitor/sendungen/fluechtlinge-italien-100.html). Allerdings kann der Anspruch auf Unterbringung in einer staatlichen Aufnahmeeinrichtung wieder aufleben, wenn ein entsprechender Antrag bei der Behörde gestellt wird, die ursprünglich für die Bearbeitung des Asylantrags zuständig war. Voraussetzung ist hierfür gemäß Art. 23 Abs. 3 des Gesetzesdekrets Nr. 142/15, dass der Asylbegehrende glaubhaft macht, durch höhere Gewalt, unvorhergesehene Umstände oder schwerwiegende persönliche Gründe daran gehindert gewesen zu sein, seine Abwesenheit den zuständigen Stellen mitzuteilen (vgl. zu Vorstehendem: SFH 01/2020, S. 42). Der Antrag auf erneute Unterbringung kann notfalls gerichtlich durchgesetzt werden, wobei der hierzu gegebenenfalls erforderliche Rechtsbeistand kostenlos ist (vgl. AIDA, a.a.O., S. 87). Eine Unterbringung in einer staatlichen Aufnahmeeinrichtung kann bei Genehmigung der Wiederaufnahme sodann wieder erfolgen.

42

Zudem droht den genannten Personen auch während einer etwaigen Übergangsphase bis zur erneuten Aufnahme in einer staatlichen Aufnahmeeinrichtung oder bei Ablehnung ihres Antrags auf erneute Unterbringung keine Obdachlosigkeit, denn unter Aufbringung der zumutbaren Eigeninitiative ist es ihnen möglich und zumutbar, durch Rückgriff auf das bestehende Netzwerk an karitativen Organisationen bzw. Kirchen, die in Italien flächendeckend Unterbringungsmöglichkeiten anbieten (vgl. hierzu die Übersicht bei UNHCR, Juma Map, abrufbar unter https://www.jumamap.com/; vgl. auch Länderinformationsblatt, a.a.O., S. 21), eine Unterkunft zu finden. So werden z.B. am Flughafen in Rom, wo zahlreiche Dublin-Rückkehrer nach ihrer Rückführung landen, neben Information, Beratung und Bereitstellung von Essen und Bahn-Tickets auch Schlafplätze für bis zu drei Nächte angeboten (vgl. SFH 01/2020, S. 31 ff.). Darüber hinaus werden sowohl in Rom als auch in Mailand städtische Notunterkünfte bereitgehalten (vgl. SFH 01/2020, S. 66 f.). Auch darüber hinaus existiert in Italien ein umfangreiches Netz von Hilfsorganisationen, die Unterkunft und Unterstützung gewähren (vgl. UNHCR, Juma Map, abrufbar unter https://www.jumamap.com/ana/map/ALL/all/all/).

43

Ferner dürfen Asylbewerber bereits zwei Monate nach Antragstellung legal arbeiten (vgl. Länderinformationsblatt, S. 17) und werden dadurch in die Lage versetzt, selbst für ihren Lebensunterhalt aufzukommen. Obschon die Arbeitslosenrate in Italien im Jahr 2019 bei circa 10 Prozent lag (vgl. SFH 01/2020, S. 63), ist das Gericht der Überzeugung, dass es jedem Asylbegehrenden unter Aufbringung der erforderlichen Eigeninitiative möglich ist, einen Arbeitsplatz zu finden, da in den Wirtschaftszweigen Dienstleistungen (983.480), Industrie (380.130), Baugewerbe (104.860). Neueinstellungen in größerem Umfang vorgesehen sind. Auch wenn der Betreffende keine Fachausbildung aufweisen sollte, hat er die Möglichkeit, eine Einstellung zu finden, denn die gesuchten Berufe verteilen sich zu 16 Prozent auf ungelernte Arbeitskräfte, die hiermit hinter qualifizierten Berufen im Handel und Verkauf sowie Facharbeitern auf Platz drei der am stärksten nachgefragten Berufe stehen (vgl. zu Vorstehendem: EURES, Das Europäische Portal zur beruflichen Mobilität, abrufbar unter https://ec.europa.eu/eures/main.jsp?catId=2642&lmi=Y&acro=lmi&lang=de&recordLang=de&parentId=&countryId=IT®ionId=IT0&nuts2Code=%20&nuts3Code=null&mode=shortages®ionName=Nationale%20Ebene). Um an einen Job zu gelangen ist es überdies möglich und zumutbar, die Hilfe von Nichtregierungsorganisationen zur Jobberatung in Anspruch zu nehmen, eigenständige Anstrengungen zum Erlernen der italienischen Sprache zu unternehmen und sich initiativ an mehreren Stellen zu bewerben.

44

Dublin-Rückkehrer, deren Asylantrag in Italien bereits abgelehnt wurde, haben demgegenüber ohnehin keinen Anspruch mehr auf Verbleib im italienischen Hoheitsgebiet, um dort weiterhin von medizinischer, sozialer oder anderweitiger Unterstützung oder Leistung zu profitieren (vgl. EGMR, Beschluss vom 2. April 2013 – 27725/10 –, Rn. 71, beck-online). Der Anwendungsbereich der Aufnahmerichtlinie beschränkt sich zudem auf „Antragsteller“, d.h. auf Personen, über deren Antrag auf internationalen Schutz noch nicht endgültig entschieden wurde (vgl. Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 2b der Aufnahmerichtlinie). Ist das Schutzersuchen unbegründet, ist der Schutzsuchende hingegen zur Ausreise verpflichtet und kann sich nicht mehr auf Aufnahmebedingungen, die zur Durchführung des Asylverfahrens bestehen, berufen (vgl. VG Frankfurt, Urteil vom 4. Juni 2019, a.a.O., Rn. 14). Dass bestandskräftig abgelehnte Asylbewerber mit ihrer Abschiebung zu rechnen haben, ist kein Mangel des Asylverfahrens und im Übrigen nicht menschenrechtswidrig (vgl. OVG NRW, Urteil vom 19. Mai 2016 – 13 A 516/14.A –, juris). Dies gilt auch im Fall des Klägers.

45

Nichts anderes folgt aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 12. November 2019 (C-233/18, Celex-Nr. 62018CJ0233, juris), denn vorliegend geht es allein um die Frage, ob Dublin-Rückkehrern faktisch eine Situation extremer materieller Not droht, was gemäß den vorstehenden Ausführungen nicht der Fall ist.

46

Die vorstehenden Ausführungen gelten insbesondere vor dem Hintergrund, dass das Gericht nicht festzustellen vermag, dass das italienische Asylsystem aufgrund einer hohen Anzahl Asylbegehrender derart überlastet wäre, dass es bei der Unterbringung zu Engpässen käme. Das Gegenteil ist der Fall. Insbesondere auf dem Seeweg gelangen nur noch wenige Flüchtlinge nach Italien (vgl. https://www.augsburger-allgemeine.de/politik/Warum-kaum-noch-Fluechtlinge-in-Italien-landen-id53537221.html). Während im Jahr 2017 noch 119.249 Migranten in Italien angekommen sind und 126.560 Asylerstanträge gestellt wurden, wurden im Jahr 2018 nur noch 23.371 ankommende Migranten und 51.109 Asylerstanträge verzeichnet (vgl. UNHCR, Italy weekly snapshot – 30 Dec 2018, abrufbar unter https://data2.unhcr.org/en/documents/download/67444). Im Jahr 2019 ging die Zahl auf 11.471 ankommende Bootsflüchtlinge bei ca. 31.440 Asylerstanträgen zurück (vgl. UNHCR, Sea arrivals in Italy, abrufbar unter https://data2.unhcr.org/en/situations/mediterranean/location/5205; SFH 01/2020, S. 21). Vor diesem Hintergrund ist für die Kammer nicht erkennbar, dass die Unterbringungsplätze in den staatlichen Erst- und Zweitaufnahmeeinrichtungen, die im Januar 2019 noch bei 173.603 lagen und am Ende des Jahres 2019 von 95.020 Personen belegt waren (vgl. SFH 01/2020, S. 22), auch unter Berücksichtigung der infolge von Budgetkürzungen vorgenommenen Schließung von Einrichtungen und vermehrten Überstellungen im Rahmen des Dublin-Verfahrens (vgl. hierzu SFH 01/2020, S. 21 ff.) erschöpft wären. Gegenteiliges hat auch der Kläger nicht vorgetragen.

47

Darüber hinaus belegen die Darstellungen im Länderinformationsblatt, dass Italien auf die in der Vergangenheit erhobene Kritik reagiert hat und bestrebt ist, die zuvor bestehenden Defizite konsequent auszugleichen, durch die Neustrukturierung der Aufnahmeeinrichtungen eine adäquate Unterbringung zu gewährleisten und hierbei sämtliche europarechtlichen Bestimmungen einzuhalten. Eine Verbesserung ist zudem in der Durchführung der Dublin-Verfahren erkennbar, denn anders als in der Vergangenheit ist Italien mittlerweile offenbar bemüht, rechtzeitig auf Aufnahme- bzw. Wiederaufnahmeersuchen Deutschlands zu antworten und hat in einer Vielzahl von Fällen, welche der für Dublin-Verfahren zuständigen entscheidenden Kammer vorliegen, ausdrücklich die Übernahme der betreffenden Personen zugesagt. Dies verdeutlicht, dass sich Italien seiner Aufnahme- und Unterbringungspflicht bewusst ist und Sorge für die aufzunehmenden Personen trägt.

48

Das italienische Asylsystem weist schließlich auch mit Blick auf die Krankheitsversorgung keine systemischen Mängel auf (vgl. Beschluss des erkennenden Gerichts vom 28. November 2016 – 5 L 8765/16 –; OVG RP, Beschluss vom 20. November 2015 – 6 A 10781/15 –; OVG NRW, Beschluss vom 22. September 2016 – 13 A 2448/15.A –; VG Frankfurt (Oder), Beschluss vom 27. Dezember 2019 – 2 L 615/19.A –, Rn. 14; VG Würzburg, Urteil vom 26. November 2019 – W 10 K 19.50275 –, Rn. 38; VG München Beschluss vom 23. Dezember 2016 – M 9 S 16.50788 –; zu Tuberkulose: VG München, Beschluss vom 23. März 2017 – M 9 S 17.50533 –, Rn. 40; alle veröffentlicht bei juris). Unabhängig von der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts in Italien sowie der Unterbringungssituation ist gesichert, dass Asylbegehrende Zugang zu medizinischer Notfallversorgung sowie der grundlegenden Versorgung im Falle von Krankheit und Unfällen haben (vgl. Auskunft der Sachverständigen Romer von der Schweizerischen Flüchtlingshilfe in den mündlichen Verhandlungen des Verwaltungsgerichts Minden vom 13. November 2019, Protokoll zu den Verfahren 10 K 2275/19.A, 10 K 2747/19.A und 10 K 2839/19.A, S. 15). Darüber hinaus haben Asylbegehrende Zugang zum nationalen Gesundheitsdienst („Servizio Sanitario Nazionale“ – SSN –) und dort dieselben Rechte wie italienische Staatsangehörige. Zwar bestehen mit Blick auf die Registrierung beim SSN erhebliche formale Hürden (vgl. SFH 01/2020, S. 70 ff.) und eine Registrierungsmöglichkeit bei den Gemeinden („residenza“) ist nicht länger vorgesehen. Allerdings ist nach der neuen Rechtslage die Einschreibung beim SSN für Asylbewerber auf Basis des Wohnsitzes („domicilio“) garantiert, welcher üblicherweise im Aufnahmezentrum liegt. Somit ist auch für Asylbewerber weiterhin die Ausstellung einer Gesundheitskarte („tessera sanitaria“) möglich, mit welcher sie uneingeschränkten Zugang zu ärztlichen Leistungen erhalten (vgl. Länderinformationsblatt, S. 8). Zusätzlich sind in den Erstaufnahmezentren Ärzte beschäftigt, die neben medizinischen Erstuntersuchungen und Notfallmaßnahmen auch den SSN entlasten sollen (vgl. Länderinformationsblatt, S. 8 f.). Bei fehlendem Wohnsitz genügt im Übrigen nach wie vor grundsätzlich die Angabe einer virtuellen Adresse bei einer Nichtregierungsorganisation (vgl. SFH 01/2020, S. 73 f.). Zudem kann den Betreffenden insoweit zugemutet werden, Eigeninitiative aufzubringen, um etwaige bürokratische Schwierigkeiten erforderlichenfalls mit der Hilfe von Nichtregierungsorganisationen zu überwinden. In der Übergangsphase ist schließlich – wie bereits ausgeführt – nach wie vor selbst für illegale Migranten eine medizinische Not- und Grundversorgung gewährleistet (vgl. SFH 01/2020, S. 70 ff.; Länderinformationsblatt, S. 9), weshalb auch im Falle einer plötzlichen Erkrankung keine Situation extremer Hilflosigkeit droht.

49

Auch die sonstigen im Gesetzesdekret Nr. 113/2018 vorgesehenen Änderungen (vgl. hierzu SFH 05/2019, S. 4 ff.) bringen Asylbegehrende in Italien nicht in die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung. Dies gilt für die Abschaffung des bisherigen sog. humanitären Schutzes („protezione umanitaria) bereits deshalb, weil es sich hierbei lediglich um einen Schutzstatus handelte, den das italienische Recht neben der unionsrechtlichen Gewährung internationalen Schutzes vorsah (vgl. Länderinformationsblatt, S. 5) und dessen Abschaffung demnach keine Unterschreitung des rechtlichen Mindeststandards im Gemeinsamen Europäischen Asylsystem bedeuten kann. Im Übrigen ist die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nicht gänzlich ausgeschlossen worden, denn aufgrund einer abschließenden Liste von Gründen kann nunmehr eine befristete Aufenthaltserlaubnis für Sonderfälle mit einer Gültigkeitsdauer von einem Jahr erteilt werden. Eine solche Aufenthaltserlaubnis ist etwa möglich für medizinische Behandlungen, für Opfer von Gewalt, bei außergewöhnlichen Katastrophen im Herkunftsland sowie bei Fällen des Non-Refoulement. Bestehende humanitäre Titel nach altem Recht werden zudem zwar nicht mehr erneuert oder verlängert, können aber bei rechtzeitiger Antragstellung und Erfüllung der Voraussetzungen in einen anderen Titel umgewandelt werden (vgl. Länderinformationsblatt, S. 5 f.; SFH 05/2019, S. 6).

50

In diesem Zusammenhang ist schließlich auch zu berücksichtigen, dass die Gewährung eines humanitären Aufenthaltsrechts nach unanfechtbarem negativem Abschluss des Asylverfahrens gemäß Art. 6 Abs. 4 der Richtlinie 2008/115/EG vom 16. Dezember 2008 – Rückführungsrichtlinie – im Ermessen der Mitgliedstaaten liegt. Demgegenüber regelt Art. 9 der Rückführungsrichtlinie die Fälle, in denen kraft Unionsrechts die Rückführung in das Herkunftsland trotz unanfechtbarer Ablehnung des Asylantrags nicht zulässig ist. Außerhalb des Anwendungsbereichs dieser Vorschrift ist der jeweilige Mitgliedstaat somit kraft seiner Gebietshoheit befugt, den Aufenthalt von unanfechtbar abgelehnten Asylbewerbern in seinem Hoheitsgebiet zu beenden, zu dulden oder durch Gewährung eines zumindest befristeten Aufenthaltsrechts (vorübergehend) zu legalisieren. Belastbare Anhaltspunkte dafür, dass die genannten Vorschriften der Rückführungsrichtlinie gegen primäres Unionsrecht, insbesondere Grundrechte der betroffenen Asylbewerber verstoßen würden, oder dass in der italienischen behördlichen Praxis rechtskräftig abgelehnte Asylbewerber unter Verstoß gegen diese Vorschriften in ihr Herkunftsland zurückgeführt würden, liegen nicht vor (vgl. auch VG Würzburg, Beschluss vom 13. November 2019 – W 10 S 19.50732 –, juris Rn. 47).

51

Daneben ist die nunmehr restriktivere Vergabe des internationalen Schutzes in Italien mit der bereits in Deutschland geltenden Regelung von § 3 Abs. 4 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 8 S. 3 AufenthG vergleichbar. Von der Verlängerung der maximalen Frist für Abschiebehaft sind letztendlich nur abgelehnte Asylbewerber betroffen, die trotz entsprechender Aufforderung nicht freiwillig aus Italien ausreisen. Auch der Umstand, dass die lokalen Zweitaufnahmeeinrichtungen (sog. „sistema di protezione per richiedenti asilo e rifugiati“ – SPRAR – bzw. nunmehr „sistema di protezione per titolari internazionale e per minori stranieri non accompagnati“ – SIPROIMI –) nur noch unbegleiteten Minderjährigen, anerkannt Schutzberechtigten sowie Personen, die nach der neuen Rechtslage einen Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen erhalten haben, zugänglich sind (vgl. SFH 01/2020, S. 50), ist zwar möglicherweise mit Einschränkungen für andere Asylbegehrende verbunden, führt aber nicht zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 GR-Charta, weil die Erstaufnahmeeinrichtungen – wie bereits ausgeführt – zur Unterbringung aller Asylbegehrenden geeignet und Kapazitätsengpässe zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht zu besorgen sind.

52

Anderes folgt auch nicht aus den Schilderungen des Klägers. Zum einen wurde er zunächst in einem Camp untergebracht, war dann in der Lage eine Wohnung anzumieten und hat im weiteren Verlauf zeitweise bei der Caritas eine Unterkunft gefunden (Bl. 46 f. der elektronischen Asylakte). Auch nach der in der mündlichen Verhandlung geschilderten erneuten Ausreise nach Italien hat er zunächst bei der Caritas eine Unterkunft gefunden. Im Übrigen lässt der behauptete Aufenthalt in Italien vom 15. Dezember 2019 bis zum 24. Februar 2020 bereits deshalb keine Rückschlüsse auf die Situation nach einer erneuten Überstellung im Dublin-Verfahren zu, da der Kläger nicht förmlich überstellt wurde, sondern „auf eigene Faust“ nach Italien zurückgekehrt ist, ohne dass die zuständigen Behörden damit befasst wurden und seine Rückkehr organisieren konnten. Zum anderen ist, sofern der Kläger die ihm mögliche und zumutbare Eigeninitiative aufwendet, aufgrund der obigen Ausführungen – entgegen seiner im vorliegenden Verfahren geäußerten Befürchtung – nicht davon auszugehen, dass ihm in Italien Obdachlosigkeit und eine Situation extremer materieller Not drohen. Dass der Kläger – welcher in der Lage war, selbstständig nach Italien und zurück zu reisen – zur Aufwendung der zumutbaren Eigeninitiative nicht in der Lage sein sollte, ist weder dezidiert vorgetragen noch sonst ersichtlich. Auch lässt sich den Schilderungen zu seinen bisherigen Aufenthalten in Italien nicht entnehmen, dass er alle möglichen und zumutbaren Anstrengungen zur Verbesserung seiner Situation unternommen hat, z. B. durch eine Nachfrage bei Hilfsorganisationen nach sonstigen Unterbringungsmöglichkeiten oder die Suche nach einer entlohnten Beschäftigung. Die Befürchtung des Klägers, auch nach einer Überstellung im Rahmen des Dublin-Verfahrens nach Deutschland zurückgeschickt zu werden, ist schließlich aus der Luft gegriffen.

53

bb. Auch im Falle einer zu unterstellenden Zuerkennung internationalen Schutzes in Italien nach Durchführung des Asylverfahrens droht dem Kläger keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S.v. Art. 4 GR-Charta (vgl. auch VGH BW, Urteil vom 29. Juli 2019, a.a.O., Rn. 40 ff.; VG Magdeburg, Beschluss vom 14. November 2019, a.a.O., Rn. 40 ff.).

54

Zwar bezieht sich Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2, 3 Dublin III-Verordnung seinem Wortlaut nach nur auf die Situation, in der sich die tatsächliche Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GR-Charta aufgrund systemischer Schwachstellen des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Personen, die internationalen Schutz beantragen, in dem Mitgliedstaat ergibt, der nach dieser Verordnung als für die Prüfung des Antrags zuständig bestimmt ist. Jedoch ist bei der Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates auch die Situation anerkannt Schutzberechtigter im Hinblick auf ihre Vereinbarkeit mit Art. 4 GR-Charta zu prüfen, denn bei der Anwendung dieser Vorschrift ist es in Anbetracht ihres allgemeinen und absoluten Charakters, ausnahmslos jede Form unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung zu verbieten, gleichgültig, ob es zum Zeitpunkt der Überstellung, während des Asylverfahrens oder nach dessen Abschluss dazu kommt, dass die betreffende Person aufgrund ihrer Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat im Sinne der Dublin III-Verordnung einem ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erfahren. Das Gemeinsame Europäische Asylsystem und der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens beruhen auf der Zusicherung, dass die Anwendung dieses Systems in keinem Stadium und in keiner Weise zu einem ernsthaften Risiko von Verstößen gegen Art. 4 GR-Charta führt. In dieser Hinsicht wäre es widersprüchlich, wenn das Vorliegen eines solchen Risikos im Stadium des Asylverfahrens eine Überstellung verhindern würde, während dasselbe Risiko dann geduldet würde, wenn dieses Verfahren durch die Zuerkennung von internationalem Schutz zum Abschluss kommt (vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019 – C-163/17, Jawo –, a.a.O., Rn. 87 ff. und Beschluss vom 13. November 2019 – C-540/17 –, juris Rn. 37; BVerfG, Beschluss vom 7. Oktober 2019 – 2 BvR 721/19 –, juris).

55

Ausgehend hiervon droht dem Kläger auch im Fall der Zuerkennung internationalen Schutzes in Italien nach den dem Gericht zur Verfügung stehenden und aktuellen Erkenntnismitteln keine Situation extremer materieller Not i.S.v. Art. 4 GR-Charta. Die Kammer ist nämlich davon überzeugt, dass in Italien anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte grundsätzlich menschenrechtskonform behandelt werden und in der Lage sind, ihre Grundbedürfnisse zu decken.

56

Während Italien in der Vergangenheit für die Unterbringung von anerkannt Schutzberechtigten ein System sekundärer Aufnahmeeinrichtungen (SPRAR) vorhielt, wurde dieses System nunmehr durch das sogenannte SIPROIMI ersetzt. Nach dem italienischen Gesetz steht es nur Personen mit internationalem Schutz – auch solchen, die nach Aufenthalt in einem anderen Mitgliedsstaat nach Italien rücküberstellt werden (vgl. Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, borderline-europe und Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Berlin vom 16. Dezember 2019 zu den Rückkehrbedingungen für anerkannt Schutzberechtigte in Italien, S. 2) –, unbegleiteten Minderjährigen und Personen, die nach der neuen Rechtslage einen Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen erhalten haben (vgl. SFH 01/2020, S. 50; Länderinformationsblatt, S. 7), zur Verfügung. Gegenüber dem bisherigen System der Unterbringung und Versorgung der anerkannt Schutzberechtigten stellt das neue System eine Besserstellung dieser Personengruppe dar. Ihnen werden Leistungen zuteil, die ihre Perspektiven zur Begründung und Wahrung einer Existenz im Rahmen der Verfestigung ihres Aufenthalts in Italien verbessern. In diesen Einrichtungen werden zusätzlich zu den in den Erstaufnahmeeinrichtungen gewährten Leistungen (hierzu bereits oben) nämlich auch Maßnahmen mit dem Ziel einer umfassenden Integration (Gesellschaft, Arbeitsmarkt, Sprache, etc.) geboten (vgl. zu alledem: Länderinformationsblatt, S. 6 f.). Dass die Kapazitäten des SIPROIMI erschöpft wären und aus diesem Grunde ein Zugang nicht möglich wäre, ist nicht ersichtlich. Vielmehr waren ihm Jahr 2018 die Hälfte der verfügbaren Plätze unbesetzt (vgl. SFH 01/2020, S. 52 f.). In Fragen der Gesundheitsversorgung sind anerkannt Schutzberechtigte zudem den italienischen Staatsbürgern gleichgestellt und haben auch tatsächlich die Möglichkeit des Zugangs zu ausreichender gesundheitlicher Versorgung (vgl. auch VGH BW, Urteil vom 29. Juli 2019, a.a.O.).

57

Mit Ministerialdekret vom 18. November 2019 (abrufbar unter https://www.gazzettaufficiale.it/eli/id/2019/12/04/19A07582/sg) hat das italienische Innenministerium neue Richtlinien für das Funktionieren des SIPROIMI erlassen. Nach Art. 38 Abs. 1 dieser Richtlinien beträgt die Unterbringungszeit grundsätzlich sechs Monate. Nach Art. 39 Abs. 1 kann die Unterbringung für weitere sechs Monate verlängert werden, um beispielsweise den Integrationsprozess abzuschließen, aber auch um außergewöhnlichen Umständen wie Gesundheitsproblemen oder der besonderen Schutzbedürftigkeit von Personen i.S.v. Art. 17 des Gesetzesdekrets Nr. 142/15 Rechnung zu tragen. Eine zweite und grundsätzlich letzte Verlängerung der Unterbringungszeit um maximal weitere sechs Monate ist nach Art. 39 Abs. 2 der Richtlinien in besonderen Ausnahmefällen zusätzlich möglich (vgl. SFH 01/2020, S. 51). Auch wenn die maximale Unterbringungszeit in einer Zweitaufnahmeeinrichtung damit formal auf maximal achtzehn Monate begrenzt ist und das italienische Asylsystem grundsätzlich darauf ausgerichtet ist, dass anerkannt Schutzberechtigte jedenfalls nach dieser Zeit selbständig für ihren Lebensunterhalt aufzukommen haben, so kann die Kammer hierin keine Situation extremer materieller Not erblicken.

58

In diesem Zusammenhang ist nämlich zu berücksichtigen, dass anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte auch in die Lage versetzt werden, ihren Lebensunterhalt selbständig zu bestreiten, denn sie haben in Italien ungehinderten Zugang zum Arbeitsmarkt bzw. zu einer Berufsausbildung (vgl. Bundesrepublik Deutschland/Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Länderinformation: Italien, Stand: Mai 2017, Seite 3). Der Zugang international Schutzberechtigter zum Arbeitsmarkt wird durch das italienische Recht nicht beeinträchtigt. In Italien arbeiten viele von ihnen als Tagelöhner oder im Gartenbau oder auf Märkten (vgl. Bundesrepublik Deutschland/Auswärtiges Amt, Amtliche Auskunft zur „Situation international Schutzberechtigter in Italien“ an das Verwaltungsgericht Hamburg vom 13. Dezember 2017, S. 1 f.). Neben dem Niedriglohnsektor finden Migranten in Italien im Rahmen der Schwarzarbeit Beschäftigung (vgl. SFH 01/2020, S. 64). Dass es für anerkannt Schutzberechtigte gleichwohl u.U. mit Schwierigkeiten einhergeht, eine Erwerbstätigkeit zu ergreifen, ist alleine der – gegenüber Deutschland – schlechteren Arbeitsmarktsituation geschuldet. Der Zugang anerkannter Schutzberechtigter zum italienischen Arbeitsmarkt wird ferner durch Unterstützung bei der Stellensuche sowie weiteren Maßnahmen mit dem Ziel einer umfassenden Integration – auch in den Arbeitsmarkt – gefördert (vgl. SFH 01/2020, S. 35 f.; Länderinformationsblatt, S. 21). So haben anerkannt Schutzberechtigte Zugang zu einer Berufsvorbereitung sowie die Möglichkeit, Praktika zu absolvieren (vgl. SFH 01/2020, S. 63). Sie können bei der Berufsorientierung auf zahlreiche Unterstützungsangebote zurückgreifen (Associazione Ricreativa e Culturale Italiana (ARCI) und UNHCR, Juma Map, abrufbar unter https://www.jumamap.com/ana/map//orientamento-al-lavoro/all/). Bereits vor der stärker integrativen Ausrichtung des Zweitaufnahmesystems für anerkannt Schutzberechtigte im Jahr 2019 hatten etwa 40 % derer, welche die Zweitaufnahmeeinrichtungen verließen, bereits zu diesem Zeitpunkt eine Erwerbstätigkeit (vgl. SFH 01/2020, S. 63).

59

Für den Fall, dass es zur Erwerbslosigkeit kommt, haben anerkannt Schutzberechtigte rechtlich Zugang zu Sozialwohnungen und zu Sozialleistungen im selben Ausmaß wie italienische Staatsbürger (vgl. AIDA, a.a.O., S. 147; Länderinformationsblatt, S. 25, SFH 01/2020, S. 57). Die Soziallleistungen sind grundsätzlich nicht an einen festen Wohnsitz gebunden und nicht nur auf nationaler, sondern auch auf regionaler und kommunaler Ebene zugänglich (vgl. AIDA, a.a.O., S. 147 f.). Dass die Unterstützung in diesem Bereich gering ausfällt und italienische Staatsbürger daher oftmals auf Hilfe aus dem familiären Umfeld angewiesen sind, die bei anerkannt Schutzberechtigten für gewöhnlich fehlt (vgl. SFH 01/2020, S. 57 f.), führt nicht zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 GR-Charta, denn der Umstand, dass die Formen familiärer Solidarität, die italienischen Staatsbürger in Anspruch nehmen, um den Mängeln des Sozialsystems zu begegnen, bei anerkannt Schutzberechtigten im Allgemeinen fehlen, ist keine ausreichende Grundlage für die Feststellung, dass sich eine Person, die internationalen Schutz beantragt hat, im Fall ihrer Überstellung nach Italien in einer Situation extremer materieller Not befände (vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019 – C-163/17, Jawo –, a.a.O., Rn. 94). Im Übrigen können anerkannt Schutzberechtigte – ebenso wie Asylsuchende – im Notfall auf die Hilfe der in Italien tätigen kommunalen, karitativen und kirchlichen Einrichtungen, Obdachlosenunterkünfte sowie auf Nichtregierungsorganisationen zurückgreifen (vgl. Auskunft der Sachverständigen Romer von der Schweizerischen Flüchtlingshilfe in den mündlichen Verhandlungen des Verwaltungsgerichts Minden vom 13. November 2019, Protokoll zu den Verfahren 10 K 7608/17.A, 10 K 1683/18.A und 10 K 2221/18.A, S. 31).

60

Soweit es mangels hinreichend langer Aufenthaltsdauer beim Zugang Schutzberechtigter zu dem im Jahr 2019 eingeführten „Bürgergeld“ (vgl. hierzu: AIDA, a.a.O., S. 147 f.) faktisch zu Schwierigkeiten kommen sollte, resultiert hieraus ebenfalls keine Verletzung von Art. 4 GR-Charta, denn das Gericht ist vor dem Hintergrund der vorstehenden Ausführungen der Überzeugung, dass anerkannt Schutzberechtigten auch ohne diese Unterstützung keine Situation extremer materieller Not droht. Insbesondere wäre auch eine tatsächliche Ungleichbehandlung mit Inländern als solche nicht geeignet, die Prognose einer drohenden extremen materiellen Not zu tragen (vgl. auch VG Magdeburg, Beschluss vom 14. November 2019, a.a.O., Rn. 45 ff.; VG Arnsberg, Urteil vom 12. September 2019 – 5 K 5990/17.A –; VG Lüneburg, Beschluss vom 19. September 2019 – 8 B 154/19 –; a.A. VG Hannover, Beschluss vom 13. August 2019 – 5 B 3516/19 –, alle veröffentlicht bei juris). Vor diesem Hintergrund hat auch der Europäische Gerichtshof entschieden, dass Verstöße gegen Bestimmungen des Kapitels VII der Qualifikationsrichtlinie, die nicht zu einer Verletzung von Art. 4 GR-Charta führen, die Mitgliedstaaten nicht daran hindern, ihre durch Art. 33 Abs. 2 lit. a der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 – Asylverfahrensrichtlinie – eingeräumte Befugnis auszuüben (vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019 – C-297/17 u.a., Ibrahim –, a.a.O., Rn. 92).

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3. Die Zuständigkeit Italiens ist überdies nicht wegen Ablaufs der sechsmonatigen Überstellungsfrist gemäß Art. 29 Abs. 2 S. 1 Dublin III-Verordnung auf die Beklagte übergegangen.

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Gemäß Art. 29 Abs. 1 UA. 1 Alt. 1 Dublin III-Verordnung ist hier die sechsmonatige Frist zur Überstellung des Klägers nach unanfechtbarer Ablehnung seines Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage mit dem Beschluss der Kammer vom 22. März 2019 – 7 L 1251/19.TR – in Lauf gesetzt worden. Zwar ist diese Frist zwischenzeitlich am 22. September 2019 abgelaufen (Art. 29 Abs. 1 S. 1 UA. 1 i.V.m. Art. 42 Dublin III-VO und § 34 a Abs. 2 S. 2 AsylG). Die Beklagte hat die Überstellungsfrist jedoch wirksam auf achtzehn Monate verlängert, weil der Kläger flüchtig i.S.v. Art. 29 Abs. 2 S. 2 Dublin III-VO war.

63

Nach dem Wortsinn setzt ein Flüchtig-Sein voraus, dass die betreffende Person der Möglichkeit des staatlichen Zugriffs entzogen ist. Grundvoraussetzung ist mithin eine Form des unbekannten Aufenthaltes (vgl. VG Berlin, Beschluss vom 10. August 2018 – 34 L 296.18 A –, juris Rn. 9; VG Minden, Beschluss vom 16. März 2018 - 10 L 258/18.A -, juris Rn. 19). Daneben setzt das Wort „Flucht“ im hier maßgeblichen Kontext des Art. 29 Abs. 2 S. 2 Dublin III-Verordnung einer Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat den Willen der betreffenden Person voraus, jemandem zu entkommen oder sich etwas gezielt zu entziehen (vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019 – C-163/17 –, a. o. O.). Da beim Nachweis der Absichten der betreffenden Person erhebliche Schwierigkeiten entstehen können, dürfen die zuständigen Behörden im Falle einer gescheiterten Überstellung wegen Verlassens der zugewiesenen Wohnung ohne ordnungsgemäße Anzeige ihrer Abwesenheit annehmen, dass die betreffende Person beabsichtigt hat, sich ihnen zu entziehen, um ihre Überstellung zu vereiteln. Voraussetzung für diese (widerlegliche) Vermutung ist jedoch, dass die betreffende Person ordnungsgemäß über die ihr insoweit obliegenden Pflichten unterrichtet worden ist (vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019 – C-163/17 –, a.a.O.).

64

Nach diesen Grundsätzen ist ein Kläger dann „flüchtig“ im Sinne von Art. 29 Abs. 2 S. 2 Dublin III-Verordnung, wenn er sich den für die Durchführung seiner Überstellung zuständigen nationalen Behörden gezielt entzieht, um die Überstellung zu vereiteln. Dies kann angenommen werden, wenn die Überstellung nicht durchgeführt werden kann, weil der Kläger die ihm zugewiesene Wohnung verlassen hat, ohne die zuständigen nationalen Behörden über seine Abwesenheit zu informieren, sofern er über die ihm insoweit obliegenden Pflichten unterrichtet wurde (vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019 – C-163/17 –, a. a. O.). Aufgrund dieser Vermutung kommt es daher auch nicht darauf an, ob der Kläger wusste, dass eine Abschiebung bevorsteht und ihm nachgewiesen werden kann, dass er sich der Abschiebung entziehen wollte (vgl. auch VG Göttingen, Beschluss vom 21. März 2019 – 2 B 85/19 –, juris). Vielmehr obliegt es dem Kläger, nachzuweisen, dass er den zuständigen Behörden seine Abwesenheit aus stichhaltigen Gründen nicht mitgeteilt hat, und nicht in der Absicht, sich den Behörden zu entziehen (vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019 – C-163/17 –, a. a. O.).

65

a. Zwar führt die Verweigerung der Selbstgestellung hiernach nicht schon für sich genommen dazu, dass der Kläger als „flüchtig“ i. S. v. Art. 29 Abs. 2 S. 2 Var. 2 Dublin III-Verordnung anzusehen wäre (vgl. VG Berlin, Beschluss vom 18. April 2019 – 28 L 88.19 A –, Rn. 21; VG Trier, Beschluss vom 16. Oktober 2018 – 7 L 5184/18.TR –, Rn. 15; VG Trier, Urteil vom 8. Juli 2019 – 7 K 3017/18.TR –, Rn. 28; sämtlich unter juris abrufbar). Allein die Tatsache, dass ein ausreisepflichtiger Asylbegehrender der Aufforderung, sich freiwillig zu seiner Abschiebung zu stellen, nicht nachkommt, lässt als solche – sofern keine weiteren Umstände hinzutreten – weder den Rückschluss zu, dass der Betreffende unbekannten Aufenthaltes ist noch, dass er die Absicht hat, sich gezielt seiner Überstellung zu entziehen. Vielmehr ergibt sich hieraus zunächst bloß, dass er nicht bereit ist, die Ausländerbehörde aktiv bei der Abschiebung zu unterstützen, indem er deren Mitarbeitern räumlich entgegenkommt.

66

b. Jedoch kommen vorliegend weitere Umstände hinzu, die den Tatbestand des Art. 29 Abs. 2 S. 2 Var. 2 Dublin III-Verordnung erfüllen.

67

aa. Der Kläger hat sich nicht darauf beschränkt, die Mitwirkung an seiner Überstellung zu vermeiden, indem er sich nicht vor der Aufnahmeeinrichtung in K... eingefunden hat, sondern sie war darüber hinaus zum Zeitpunkt der beabsichtigten Überstellung unbekannten Aufenthaltes. Ausweislich des Vermerks der Kreisverwaltung K... vom 17. Mai 2019 hat er sich nicht in dem ihm zugewiesenen Zimmer aufgehalten und konnte auch in den Gemeinschaftsräumen nicht angetroffen werden. Eine Mitteilung seines Aufenthaltsortes an die zuständige Ausländerbehörde ist nicht erfolgt.

68

bb. Des Weiteren ist die Beklagte im Zeitpunkt der Verlängerung der Überstellungsfrist am 28. Mai 2019 zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger die Absicht hatte, sich seiner Überstellung zu entziehen.

69

Neben den vom EuGH in Bezug genommenen Situationen sind auch andere Konstellationen denkbar, in denen der Nachweis geführt werden kann, dass ein Asylbewerber, dessen Überstellung wegen unbekannten Aufenthaltes scheitert, die Absicht hatte, sich der Abschiebung zu entziehen. Die vorstehend zitierte Entscheidung des EuGHs vom 19. März 2019 (– C-163/17 –, a. a. O.) schließt dies nicht aus, denn ihr lässt sich nicht entnehmen, dass Art. 29 Abs. 2 Var. 2 Dublin III-Verordnung ausschließlich in den Fällen Anwendung findet, in denen aufgrund einer vorangegangen Belehrung darauf geschlossen werden kann, der betreffende Asylbewerber wolle sich durch sein Untertauchen der Überstellung entziehen. Vielmehr sollen durch die Aufstellung dieser Vermutung lediglich die andernfalls beim Nachweis der Entziehungsabsicht zu befürchtenden Schwierigkeiten vermieden werden (vgl. Rn. 57 ff. der vorstehend zitierten Entscheidung). Hiervon bleibt jedoch die Möglichkeit der Behörden unberührt, trotz dieser Schwierigkeiten den Nachweis der Entziehungsabsicht zu erbringen (vgl. zu Vorstehendem: VG Trier, Urteil vom 10. Juli 2019 – 7 K 3478/18.TR –, Rn. 50, juris).

70

Hiernach steht vorliegend bei einer Gesamtbetrachtung aller Indizien zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger sich der beabsichtigten Überstellung entziehen wollte, indem er sein Zimmer im Zeitraum der beabsichtigten Überstellung verlassen hat (vgl. zur Zulässigkeit des Indizienbeweises: BVerwG, Urteil vom 19. Januar 1990 – 4 C 28.89 –, Rn. 18, juris; BVerwG, Beschluss vom 15. Februar 2012 – 8 B 87.11 –, Rn. 5, juris; BVerwG, Beschluss vom 24. Januar 2014 – 2 B 59.13 –, Rn. 16, juris).

71

Ihm war infolge der Aufforderung zur Selbstgestellung vom 10. Mai 2019, welche ihm ausweislich des Vermerks des Mitarbeiters der Kreisverwaltung K... in der ihm geläufigen englischen Sprache ausgehändigt und mündlich übersetzt wurde, bekannt, dass am 17. Mai 2019 um 3:30 Uhr seine Überstellung stattfinden sollte. Hierbei lag auf der Hand, dass die zuständige Ausländerbehörde im Fall der Verweigerung der Selbstgestellung das Zimmer des Klägers aufsuchen und diesen gegebenenfalls unter Anwendung unmittelbaren Zwangs abschieben würde – zumal in der Aufforderung zur Selbstgestellung ausdrücklich darauf hingewiesen wurde, dass der Kläger Abschiebungshaftgründe setze, sofern sie der Aufforderung nicht nachkomme.

72

Diese Vorgehensweise hat der Kläger vereitelt, indem er sich exakt zum Zeitpunkt der beabsichtigten Überstellung nicht in seinem Zimmer aufgehalten hat. Insbesondere der Umstand, dass er weder in der Zeit vor dem Überstellungsversuch noch danach längerfristig als abgängig gemeldet wurde, lässt den Rückschluss zu, dass er beabsichtigt hat, sich der am 17. Mai 2019 konkret bevorstehenden Überstellung zu entziehen und hierzu gezielt im entsprechenden Zeitraum in den frühen Morgenstunden des 17. Mai 2019 sein Zimmer verlassen hat – in einem Zeitraum, in dem üblicherweise zu erwarten wäre, dass er sich in seinem Zimmer aufhält, Hierfür spricht auch, dass er ausweislich des Vermerks auf dem Empfangsbekenntnis zur Selbstgestellung angegeben hat, er werde nicht nach Italien gehen. Anderweitige Gründe, die seine Abwesenheit zum Zeitpunkt der beabsichtigten Überstellung erklären und gegen eine Entziehungsabsicht sprechen würden, sind demgegenüber weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. In dieser Situation genügt bereits die Feststellung der Ausländerbehörde, dass der Kläger trotz Kenntnis vom Überstellungstermin nicht in seinem Zimmer angetroffen werden konnte, zum Nachweis seiner Entziehungsabsicht (vgl. VG Trier, Urteil vom 10. Juli 2019, a. a. O., Rn. 55).

73

4. Nach alledem war die Beklagte auch nicht dazu verpflichtet, nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-Verordnung selbst in die materielle Prüfung des Asylbegehrens des Klägers einzutreten oder erneut über einen Selbsteintritt zu entscheiden.

74

III. Der auf die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 S. 1 AufenthG gerichtete Hilfsantrag ist ebenfalls zulässig aber unbegründet, da bezüglich Italien keine nationalen, zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote vorliegen.

75

1. Der Hilfsantrag ist als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage zulässig. Selbst, wenn der Kläger entsprechend seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung zwischenzeitlich nach Italien ausgereist sein sollte, hätte sich die Abschiebungsanordnung unter Ziffer 3. des Bescheids nicht gemäß § 43 Abs. 2 Verwaltungsverfahrensgesetz – VwVfG – erledigt. Zwar kann ein Verwaltungsakt u. U. mit der Erfüllung eines Gebotes erlöschen, sofern er nicht mehr geeignet ist, rechtliche Wirkungen zu erzeugen (vgl. BeckOK VwVfG/Schemmer, 46. Ed. 1.1.2020, VwVfG § 43 Rn. 55), so z. B. wenn eine Abschiebungsandrohung infolge einer freiwilligen Ausreise „verbraucht“ ist (vgl. VG Ansbach, Urteil vom 14. Januar 2005 – AN 5 K 04.01023 –, juris).

76

Im streng formalisierten Dublin-System führen freiwillige Ausreisen jedoch nur dann zur Erledigung der Abschiebungsanordnung, wenn sie offiziell in Abstimmung mit der zuständigen Ausländerbehörde und den zuständigen Behörden des Zielstaates erfolgen und im Ergebnis einer Überstellung gleichkommen (vgl. Erwägungsgrund Nr. 24 der Dublin III-Verordnung). Dies setzt grundsätzlich voraus, dass das in Art. 7 Abs. 1 a) der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 der Kommission vom 2. September 2003 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist – Durchführungsverordnung – vorgesehene Verfahren eingehalten wird. Nur auf diese Weise ist sichergestellt, dass der Zielstaat Kenntnis davon erlangt, dass der seiner Zuständigkeit unterfallende Asylbegehrende sich in seinem Staatsgebiet aufhält und seinen Verpflichtungen aus Art. 18 Dublin III-Verordnung nachkommen kann. Zudem liefe es der objektiven Ausrichtung des Dublin-Verfahrens (vgl. Erwägungsgrund Nr. 5 der Dublin III-Verordnung) zuwider, wenn der Asylbegehrende es in der Hand hätte, missbräuchlich die Erledigung seiner Abschiebungsanordnung herbeizuführen, indem er vor der gerichtlichen Entscheidung über den ihn betreffenden Bescheid kurzzeitig ausreist und sodann zurückkehrt. Gegenteiliges folgt auch nicht aus der Rechtsprechung des EuGHs zur Erforderlichkeit eines erneuten Dublin-Verfahrens in Fällen, in denen die Abschiebungsanordnung vollzogen wurde und der Betreffende illegal wieder in den unzuständigen Mitgliedstaat einreist (EuGH, Urteil vom 25. Januar 2018 – C-360/16 –, Rn. 41 ff., juris), denn diese setzt voraus, dass bereits eine Überstellung i. S. d. Dublin III-Verordnung stattgefunden hat. Zum einen kommt begrifflich nur unter dieser Voraussetzung eine „erneute Überstellung“ in Betracht (vgl. EuGH, Urteil vom 25. Januar 2018, a. a. O., Rn. 53) und zum anderen besteht in der Sache nur nach Abschluss des ursprünglichen Überstellungsverfahrens das Bedürfnis zur Durchführung eines erneuten Wiederaufnahmeverfahrens.

77

Hiervon ausgehend ist vorliegend keine Erledigung eingetreten, denn der Kläger hat weder die zuständige Ausländerbehörde noch das Bundesamt davon in Kenntnis gesetzt, dass er von der in Ziffer 3. des streitgegenständlichen Bescheids eröffneten Möglichkeit der freiwilligen Ausreise Gebrauch machen werde, sondern sich nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung eigenständig auf den Weg gemacht. Hierbei belegt die Abmeldung nach unbekannt, dass seine Ausreise außerhalb des in Art. 7 Abs. 1 a) Durchführungsverordnung vorgesehenen Verfahrens erfolgt ist. Letztlich stellt sich die Situation aus Sicht der zuständigen Behörden nicht anders dar, wie wenn der Kläger innerhalb des Bundesgebietes untergetaucht wäre. Dies vermag gemäß obigen Ausführungen jedoch nicht zur Erledigung der Abschiebungsanordnung zu führen.

78

2. Der Hilfsantrag bleibt in der Sache jedoch ohne Erfolg.

79

a. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK aufgrund einer alsbald nach Rückkehr nach Italien eintretenden unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ist auch unter Berücksichtigung der individuellen Umstände des Klägers nicht ersichtlich. Soweit er in der mündlichen Verhandlung auf die in Italien aufgetretenen Infektionen mit dem sog. Corona-Virus verwiesen hat, geht das Gericht nach dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens und mangels entgegenstehender verifizierbarer Anhaltspunkte davon aus, dass Italien wirksame Vorsorgemaßnahmen ergreift, um weitere Infektionen zu vermeiden. Im Übrigen ist gemäß den vorstehenden Ausführungen die medizinische Versorgung in Italien gesichert. Schließlich wird dieser Gefahr – wie bereits in der mündlichen Verhandlung erörtert – bereits im Vorfeld dadurch begegnet, dass Abschiebungen nach Italien derzeit gerichtsbekanntermaßen ausgesetzt sind.

80

b. Auch die Voraussetzungen eines gesundheitsbedingten Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 7 AufenthG sind nicht erfüllt. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG steht eine Erkrankung des Ausländers einer angeordneten oder angedrohten Abschiebung nur dann entgegen, wenn es sich um eine schwerwiegende oder lebensbedrohliche Erkrankung handelt, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, nach § 60a Abs. 2c AufenthG, der nach § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG anwendbar ist, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Daran fehlt es hier. Aus der vorgelegten ärztlichen Bescheinigung des Städtischen Klinikums K... vom 31. Januar 2019 ergibt sich lediglich, dass eine Erkrankung an Tuberkulose ausgeschlossen wurde und ein respiratorischer Infekt mit Adenoviren vorlag. Dass eine besonders schwere oder gar lebensbedrohliche Erkrankung vorlag, ist indes nicht ersichtlich. Vielmehr wurde der Kläger am 31. Januar 2019, d. h. vor über einem Jahr, in stabilem Allgemeinzustand und Besserung der Beschwerdesymptomatik entlassen. Aktuelle qualifizierte ärztliche Atteste zu seinem Gesundheitszustand im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) wurden nicht vorgelegt.

81

IV. Die Klage war daher mit der sich aus § 154 Abs. 1 VwGO ergebenden Kostenfolge abzuweisen. Die Gerichtskostenfreiheit resultiert aus § 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. der Zivilprozessordnung – ZPO –.

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