Beschluss vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg - 11 S 1500/15

Tenor

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 11. Juni 2015 - 6 K 2550/13 - wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- EUR festgesetzt.

Gründe

 
Der nach § 124a Abs. 4 Sätze 1 und 4 VwGO rechtzeitig gestellte und begründete, auf den Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Antrag bleibt ohne Erfolg.
Es kann offen bleiben, ob der Antrag auf Zulassung der Berufung rechtzeitig gestellt wurde bzw. ob dem Kläger insoweit Wiedereinsetzung hätte gewährt werden müssen. Denn der Antrag ist jedenfalls in der Sache nicht begründet.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegen vor, wenn unter Berücksichtigung der vom Antragsteller dargelegten Gesichtspunkte (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) die Richtigkeit des angefochtenen Urteils weiterer Prüfung bedarf, ein Erfolg der angestrebten Berufung nach den Erkenntnismöglichkeiten des Zulassungsverfahrens mithin möglich ist (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 10.03.2004 - 7 AV 4.03 - DVBl. 2004, 838, vom 15.12.2003 - 7 AV 2.03 - NVwZ 2004, 744, vom 12.11.2002 - 7 AV 4.02 - juris, vom 11.11.2002 - 7 AV 3.02 - DVBl. 2003, 401, und vom 14.06.2002 - 7 AV 1.02 - DVBl. 2002, 1556). Mit anderen Worten: Sie sind immer schon dann begründet, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 - NJW 2004, 2510, Kammerbeschluss vom 20.12.2010 - 1 BvR 2011/10 - NVwZ 2011, 546). Dabei ist davon auszugehen, dass das Zulassungsverfahren das Berufungsverfahren nicht vorwegnehmen soll (BVerfG, Kammerbeschluss vom 21.12.2009 - 1 BvR 812/09 - NJW 2010, 1062), es sei denn, es lässt sich schon im Zulassungsverfahren zuverlässig sagen, das Verwaltungsgericht habe die Rechtssache im Ergebnis richtig entschieden und die angestrebte Berufung werde deshalb keinen Erfolg haben (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10.03.2004, a.a.O.), sofern nicht seinerseits andere Gründe wiederum auf einen anderen Zulassungsgrund hinführen würden (vgl. hierzu Bader u.a., VwGO, 5. Aufl. 2011, § 124 Rdn. 22). Dabei sind auch nach Erlass der angegriffenen Entscheidung und bis zum Ablauf der gesetzlichen Begründungsfrist (vgl. § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) neu eingetretene Tatsachen sowie erhebliche Änderungen des maßgeblichen Rechts zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 14.06.2002 und vom 15.12.2003, jew. a.a.O.).
Zur Darlegung ernstlicher Zweifel ist eine substantiierte Auseinandersetzung mit der angegriffenen Entscheidung erforderlich. Der Streitstoff muss dabei unter konkreter Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Urteil gesichtet, rechtlich durchdrungen und aufbereitet werden; erforderlich ist eine fallbezogene Begründung, die dem Berufungsgericht eine Beurteilung der Zulassungsfrage ohne weitere eigene aufwendige Ermittlungen ermöglicht. Das Maß der zu leistenden Substantiierung kann dabei von der jeweiligen Begründungsdichte und dem Begründungsaufwand der Entscheidung abhängig sein.
Gemessen hieran zeigt die Antragsbegründung nicht auf, dass das angegriffene Urteil ernstlich zweifelhaft sein könnte. Sie geht schon nicht in dem gebotenen Maße auf die konkrete, die Entscheidung tragende Argumentation des Verwaltungsgerichts im angegriffenen Urteil ein, das ausgeführt hat, dass der Erteilung der begehrten Aufenthaltstitel zwingend die Vorschrift des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG entgegenstehe und auch keine Ausnahmemöglichkeit nach Absatz 3 Satz 2 gegeben ist. Das Verwaltungsgericht stellt gerade nicht infrage und übersieht - entgegen dem Vorbringen des Klägers - nicht, dass nach § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG bzw. § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG vom entgegenstehenden Ausweisungsgrund bzw. Ausweisungsinteresse im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG im Ermessenswege abgesehen werden kann; es weist insbesondere darauf hin, dass hier auch in Betracht zu ziehen sei, von einer Ermessensreduzierung auf null auszugehen (vgl. UA S. 9 unten), weshalb auch die Ausländerbehörde die Erteilung einer Vorabzustimmung in Aussicht gestellt habe. Das Verwaltungsgericht hat aber ebenfalls in Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung (zu Recht) ausgeführt, dass eine Ermessensreduzierung nicht auf einen Anspruch im Sinne von § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG hinführen könne. Mit alledem setzt sich die Antragsbegründung nicht hinreichend auseinander.
Dem angegriffenen Urteil lässt sich entgegen dem Vorbringen des Klägers auch nicht entnehmen, dass es - in unzulässiger Weise - allein auf die Sichtweise des Vaters und nicht auch auf die des Kindes abgestellt haben könnte, wenn es um die Beurteilung einer Unzumutbarkeit der vorübergehenden Trennung geht. Das Verwaltungsgericht geht davon aus, dass die Trennung nicht unverhältnismäßig lang sein werde, weil zum einen die Ausländerbehörde eine Vorabzustimmung konkret in Aussicht gestellt und, wie bereits oben angesprochen, den familiären Belangen mit hohem Gewicht von der Auslandsvertretung Rechnung getragen werden müsse. Diese Einschätzung ist weder in rechtlicher noch in tatsächlicher Hinsicht vom Kläger erschüttert worden.
Sollen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils gerade hinsichtlich einer Tatsachen- oder Beweiswürdigung – wie sie auch im vorliegenden Fall erfolgt ist – geltend gemacht werden, sind besondere Anforderungen an die Darlegung der Zulassungsgründe zu stellen (vgl. hierzu VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 02.04.2008 - 13 S 171/08 - AuAS 2008, 150; BayVGH, Beschlüsse vom 29.07.2009 - 11 ZB 07.1043 - juris und vom 21.01.2013 - 8 ZB 11.2030 - juris; NiedersOVG, Beschlüsse vom 18.01.2001 - 4 L 2401/00 - juris und vom 23.01.2013 - 8 LA 226/12 - juris; SächsOVG, Beschluss vom 08.01.2010 - 3 B 197/07 - juris). Nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Verwaltungsgericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Es ist bei der Würdigung aller erheblichen Tatsachen - nicht nur des Ergebnisses einer gegebenenfalls durchgeführten förmlichen Beweisaufnahme, sondern auch des Inhalts der Akten, des Vortrags der Beteiligten, eingeholter Auskünfte usw. - frei, d.h. nur an die innere Überzeugungskraft der in Betracht kommenden Gesichtspunkte und Argumente, an die Denkgesetze, anerkannten Erfahrungssätze und Auslegungsgrundsätze gebunden (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 20. Aufl., 2014, § 108 Rdn. 4 m.w.N.). Ist das Gericht unter umfassender Würdigung des Akteninhalts und der Angaben der Beteiligten (sowie gegebenenfalls des Ergebnisses einer Beweisaufnahme) zu der Überzeugung gelangt, dass entscheidungserhebliche Tatsachen vorliegen oder nicht, können ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Beweiswürdigung nicht schon durch die Darlegung von Tatsachen hervorgerufen werden, die lediglich belegen, dass auch eine inhaltlich andere Überzeugung möglich gewesen wäre oder dass das Berufungsgericht bei einer Würdigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme nach Aktenlage zu einem anderen Ergebnis gelangen könnte; für die umfassende Würdigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme durch das Verwaltungsgericht fehlt dem Berufungsgericht im Zulassungsverfahren ohnehin regelmäßig der im Einzelfall wesentliche persönliche Eindruck von den Beteiligten und Zeugen. Vielmehr bedarf es der Darlegung erheblicher Fehler bei der Tatsachen- oder Beweiswürdigung, die etwa dann vorliegen können, wenn das Gericht von einem unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt ausgegangen ist, gegen Denkgesetze verstoßen, gesetzliche Beweisregeln missachtet hat oder die entscheidungstragenden Erwägungen nicht nachvollzogen werden können (vgl. BVerwG, Urteil vom 05.07.1994 - 9 C 158.94 - InfAuslR 1994, 424; Beschluss vom 28.03.2012 - 8 B 76.11 - juris m.w.N.; VGH Bad.-Württ., Beschlüsse vom 12.07.2012 - 2 S 1265/12 - NVwZ-RR 2012, 778, vom 27.03.2008 - 11 S 2194/07 und vom 02.04.2008 - 13 S 171/08 - a.a.O.; Bader u.a., VwGO, 6. Aufl., § 124 Rdn. 18 und 20). Derartige Mängel zeigt die Begründung des Zulassungsantrags nicht auf. Auch sieht der Senat keinen ausreichenden Ansatz dafür, dass eine hier nur kurzfristige Trennung mit den verfassungsrechtlichen Erfordernissen des Ehe- und Familienschutzes nicht mehr zu vereinbaren sein könnte. Eine Ausnahmesituation derart, dass im konkreten Fall eine ständige Anwesenheit des Klägers erforderlich wäre, ist nicht substantiiert dargelegt.
Wenn die Richtigkeit der amtsgerichtlichen Verurteilung unter Berufung auf die Auskunft des Generalkonsulats Lagos vom 01.08.2012 infrage gestellt wird, so liegt dieser Einwand offensichtlich neben der Sache. Der Kläger trat zunächst unter dem Namen „Emeka Nduka MADUABUCHI, geb. 10.04.1971 in Nnewi auf. Das Generalkonsulat bestätigte später die Personalien mit „Mmaduabuchukwu Chukwuemeka NDUKA, geb. 17.06.1982 in Nnewi“. Selbst unter Berücksichtigung gewisser phonetischer Verschiebungen kann auch mit Blick auf die unterschiedlichen Geburtsdaten offensichtlich von keiner Identität ausgegangen werden.
Aus den Ausführungen im Zulassungsantrag ergibt sich auch nicht hinreichend deutlich, dass dieses im Hinblick auf die Änderung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG durch Art. 1 Nr. 3 des Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27.7.2015 (BGBl. I, S. 1386) nunmehr ernstlichen Zweifeln ausgesetzt sein könnte. Zwar wurde insoweit der Begriff des „Ausweisungsgrundes“ durch den des „Ausweisungsinteresses“ ersetzt. Es ist jedoch nicht - auch nicht aufgrund der Ausführungen im Zulassungsverfahren - ersichtlich, dass damit eine materielle Änderung verbunden sein sollte. Denn es entsprach bislang allgemeinem Konsens, dass die Bejahung eines Ausweisungsgrundes nicht voraussetzt, dass etwa auch im konkreten Fall eine Ausweisungsverfügung rechtmäßig und ermessensfehlerfrei hätte erlassen werden dürfen (vgl. GK-AufenthG § 5 Rn. 56 m.w.N.). Dass nunmehr etwa ein Ausweisungsinteresse nur dann bejaht werden dürfte, wenn auch eine Ausweisung im konkreten Fall zulässig wäre, ist nicht ausreichend dargetan und auch nicht ersichtlich. In der Begründung des Gesetzentwurfes heißt es nämlich lapidar, „es handelt sich um eine Folgeänderung zur Neuordnung des Ausweisungsrechts in den §§ 53 ff.“ (vgl. BT-Drucks. 18/4097, S. 35). Es liegt daher nahe, wie bisher von einem Ausweisungsinteresse dann auszugehen und dieses zu bejahen, wenn der Aufenthalt des Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet (vgl. § 53 Abs. 1 AufenthG n.F.). Die Ausführungen im Zulassungsverfahren lassen keinen ausreichend tragfähigen Ansatz für eine andere Interpretation erkennen. Der aktuellen Anwendbarkeit der Vorschrift des neuen § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG steht auch nicht entgegen, dass gem. Art. 9 des Gesetzes vom 27.07.2015 die §§ 53 ff. erst zum 01.01.2016 in Kraft treten werden. Denn hieraus folgt nur, dass auf der Grundlage der neuen §§ 53 ff. vor dem 01.01.2016 noch keine Ausweisungsentscheidung ergehen darf (vgl. auch Zühlcke, in: HTK-AuslR, zu § 25 b Abs. 2 Ziff. 3).
10 
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl. § 124a Abs. 5 Satz 3 VwGO).
11 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
12 
Die Streitwertfestsetzung findet ihre Grundlage in § 63 Abs. 2, § 47 sowie § 52 Abs. 2 GKG.
13 
Der Beschluss ist unanfechtbar.

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