Beschluss vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg - 5 S 2488/18

Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 27. September 2018 - 11 K 12390/17 - wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

 
I.
Die Antragstellerin begehrt die Anordnung eines selbständigen Beweisverfahrens.
Sie ist Eigentümerin des Grundstücks Flst. Nr. ..., ... in Horb-Talheim, auf dem sich ein hölzerner Schuppen befindet. Die Kellerstraße, die Teil der Ortsdurchfahrt der L 355 bzw. L 355a ist, wurde auf Grundlage eines Planfeststellungsbeschlusses des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 31. August 1994 ausgebaut. Die Bauarbeiten dauerten bis in das Jahr 2011 an. Dabei wurden wegen der Hanglage der Straße und der umliegenden Grundstücke unter anderem Stützmauern errichtet. Im Einzelnen besteht Uneinigkeit zwischen den Beteiligten hinsichtlich der Frage, ob die Stützmauern insbesondere im Bereich des Grundstücks der Antragstellerin ausreichend und ordnungsgemäß ausgeführt sind, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang es im Zuge der Straßenbauarbeiten zu einer Beschädigung des Schuppens der Antragstellerin gekommen ist und ob künftige Schäden zu befürchten und vom Antragsgegner zu erstatten sind. Im Zuge von Einigungsverhandlungen unter Einbeziehung eines Sachverständigen im Jahr 2016 zahlte der Antragsgegner an die Antragstellerin einen aus seiner Sicht für die Instandsetzung des Schuppens notwendigen Betrag von 6793,93 EUR aus, nachdem die Antragstellerin auf sein Angebot, die Sanierung zu übernehmen, nicht eingegangen war. Die Antragstellerin betrachtet diesen Betrag als zum Ausgleich ihrer Schäden nicht ausreichend.
Mit Schriftsatz vom 14. September 2017 stellte die Antragstellerin einen Antrag auf Einleitung eines selbständigen Beweisverfahrens, gerichtet auf Einholung eines schriftlichen Gutachtens eines Sachverständigen mit dem Ziel der Feststellungen, dass infolge des Ausbaus der Ortsdurchfahrt der L 355 beim Gebäude ..., Horb-Talheim, im Bereich des Untergeschosses keine ausreichende Hangsicherung vorhanden ist und dass der Ausbau zur Beschädigung des Gebäudes und einer Stützmauer geführt hat.
Das Verwaltungsgericht hat den Antrag abgelehnt. Der Antrag sei unzulässig, da die Antragstellerin weder das Vorliegen der Voraussetzungen des § 485 Abs. 1 ZPO noch des § 485 Abs. 2 ZPO glaubhaft gemacht habe. Zwar sei nicht auszuschließen, dass die Antragstellerin einen Anspruch auf eine nachträgliche Anordnung zum Planfeststellungsbeschluss aus § 75 Abs. 2 Satz 2 LVwVfG - insoweit sei auch der Rechtsweg zum Verwaltungsgericht eröffnet - habe. Der Verlust eines Beweismittels sei jedoch auf der Grundlage des Vortrags der Antragstellerin entgegen ihrer Auffassung nicht zu befürchten, da die bloßen Hinweise auf eine mögliche Beseitigung des Schuppens in der Zukunft oder eine geologische Geländeveränderung spekulativ seien. Auch ergebe sich unter Berücksichtigung des im Verwaltungsverfahren geltenden Amtsermittlungsgrundsatzes aus dem Vortrag der Antragstellerin kein rechtliches Interesse an einer Sachverhaltsaufklärung durch ein selbständiges Beweisverfahren. Vielmehr habe der Antragsgegner bereits eine eigene Sachaufklärung betrieben und hierfür einen Sachverständigen herangezogen. Soweit die Antragstellerin nach Durchführung eines Verwaltungsverfahrens mit der Sachaufklärung des Antragsgegners unzufrieden sei, müsse dies im Rahmen eines künftigen Hauptsacheverfahrens geklärt werden.
Hiergegen hat die Antragstellerin am 16. Oktober 2018 Beschwerde eingelegt. Sie macht im Wesentlichen geltend, entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts liege gerade keine ausreichende fachliche Stellungnahme vor, die eine Klärung der offenen Fragen ermögliche. Insbesondere fehle eine hinreichende statische Untersuchung. Damit bestehe auch unter Berücksichtigung des Amtsermittlungsgrundsatzes ein rechtliches Interesse an der Beweiserhebung, zumal weiterhin der Verlust von Beweismitteln drohe. Hierfür sprächen vor allem die bei der Hangbebauung möglichen Veränderungen, die verschiedene - auch geologische - Ursachen haben könnten. Zudem gingen die Möglichkeiten einer Sachverständigenaufklärung über die einer Amtsermittlung hinaus, die damit keine Alternative darstelle und auf die sich die Antragstellerin auch nicht verweisen lassen müsse.
Der Antragsgegner hat beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen. Es mangele weiterhin an der Geltendmachung eines konkreten Grundes für den behaupteten drohenden Beweismittelverlust. Der Antragsgegner sei nach der erfolgten Zahlung auch nicht mehr kooperationsbereit. Das selbständige Beweisverfahren werde damit nicht mehr der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen können.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogenen Akten des Antragsgegners und des Verwaltungsgerichts sowie auf die Gerichtsakte verwiesen.
II.
Die gemäß § 146 Abs. 1 VwGO statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde, der das Verwaltungsgericht nicht abgeholfen hat, ist nicht begründet. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht es abgelehnt, auf den Antrag der Antragstellerin ein selbständiges Beweisverfahren anzuordnen.
Weder die Voraussetzungen des § 98 VwGO i. V. m. § 485 Abs. 1 ZPO (dazu 1.) noch des § 98 VwGO i. V. m. § 485 Abs. 2 ZPO (dazu 2.) liegen vor.
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1. Aus § 485 Abs. 1 ZPO folgt kein Anspruch der Antragstellerin auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens. Danach kann auf Antrag einer Partei u.a. die (schriftliche oder mündliche) Begutachtung durch einen Sachverständigen angeordnet werden, wenn der Gegner zustimmt oder zu besorgen ist, dass das Beweismittel verloren geht oder seine Benutzung erschwert ist. Verlust oder Erschwernis der Beweismittel des Augenscheins und des Sachverständigengutachtens sind zu besorgen, wenn die zu besichtigende oder zu begutachtende Sache unterzugehen oder verändert zu werden droht. Dies gilt auch dann, wenn der Antragsteller die Verlust- oder Veränderungssituation aus eigenem Entschluss herbeiführen will oder muss, um weitere Schäden zu verhindern oder einen unhaltbaren Zustand zu beseitigen (vgl. Schreiber in Münchener Kommentar zur ZPO, 5. Auflage 2016, § 485 Rn. 10 m. w. N.; Herget in Zöller, ZPO, 32. Auflage 2018, § 485 Rn. 5).
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Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Ob angesichts des Untersuchungsgrundsatzes allein wegen der Zustimmung des Antragsgegners auf die weiteren objektiven Voraussetzungen verzichtet werden könnte (kritisch hierzu Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 36. EL Februar 2019, § 98 Rn. 266 m. w. N.), kann dahinstehen, da zumindest keine Zustimmung vorliegt. Es ist auch nicht ersichtlich, dass es zu Veränderungen des Schuppens und seines Fundaments als maßgeblich zu begutachtendem Gegenstand kommen wird, die eine spätere sachverständige Begutachtung oder auch einen Augenschein verhindern oder erschweren könnten. Die Hinweise der Antragstellerin auf potentielle geologische Veränderungen aufgrund der Hanglage oder sonstige Einflüsse erweisen sich insoweit als rein spekulativ; konkret drohen entsprechende Umstände nach dem Vortrag der Antragstellerin nicht. So ist auch nicht ersichtlich und wird auch nicht behauptet, dass es nach dem Abschluss der Bauarbeiten vor etwa acht Jahren zu einer Veränderung gekommen wäre. Soweit die Antragstellerin darauf verweist, dass es möglicherweise in der Zukunft zu einem Abriss des Schuppens, mithin einer Vernichtung des Beweismittels durch sie selbst kommen könnte, kann dies die Zulässigkeitsvoraussetzungen nicht stützen, da ein hinreichender Anlass für die Beseitigung, insbesondere statische Unsicherheiten oder eine sonstige Unhaltbarkeit des seit Jahren andauernden Zustands, nicht erkennbar ist und von der Antragstellerin auch nicht behauptet wird und auch im Übrigen nicht unter Hinweis auf konkrete Veräußerungs- oder Umbauabsichten dargelegt wird, dass es zu einer Veränderung oder Veräußerung kommen wird.
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2. Auch die Voraussetzungen des § 485 Abs. 2 ZPO sind nicht erfüllt. Danach kann eine Partei die schriftliche Begutachtung durch einen Sachverständigen beantragen, wenn sie ein rechtliches Interesse daran hat, dass (1.) der Zustand einer Person oder der Zustand oder Wert einer Sache, (2.) die Ursache eines Personenschadens, Sachschadens oder Sachmangels, (3.) der Aufwand für die Beseitigung eines Personenschadens, Sachschadens oder Sachmangels festgestellt wird. Ein rechtliches Interesse ist nach § 485 Abs. 2 Satz 2 ZPO dann anzunehmen, wenn die Feststellung der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen kann. Zwar dürfte diese Regelung über § 98 VwGO auch im Verfahren nach der Verwaltungsgerichtsordnung, das - anders als der Zivilprozess - nicht durch den Beibringungsgrundsatz geprägt ist, Anwendung finden (vgl. Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 36. EL Februar 2019, § 98 Rn. 268 m. w. N.). Jedoch sind bei der Anwendung - worauf das Verwaltungsgericht zutreffend hingewiesen hat - die Besonderheiten des Verwaltungsverfahrens zu berücksichtigen. Es ist danach grundsätzlich Aufgabe der Verwaltungsbehörde, im Rahmen der Amtsermittlung (§ 24 Abs. 1 LVwVfG) erforderlichenfalls weitere Sachaufklärung zu betreiben und gegebenenfalls ein Gutachten einzuholen, denn die Behörde hat auch die für die Beteiligten günstigen Umstände zu berücksichtigen. Ein rechtliches Interesse für die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens vor Anhängigkeit der Klage ist damit grundsätzlich zu verneinen, wenn dieses Fragen betrifft, denen die Behörde im Rahmen ihrer Amtsermittlungspflicht nachzugehen hat (vgl. Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 98 Rn. 62; Lang in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Auflage 2018, § 98 Rn. 294; OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 22.1.1998 - 2 M 36/97 - juris Rn. 3; vgl. auch Senatsbeschluss vom 3.5.2007 - 5 S 810/07 - juris Rn. 7). Die erforderliche Beweisaufnahme kann und muss insoweit bei der Behörde durchgeführt werden (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 23.4.1998 - 22 E 356/98 - beck-online Rn. 2). Eine Verlagerung der Sachverhaltsaufklärung auf das Verwaltungsgericht liefe dem gesetzlich vorgesehenen Verfahrensablauf damit grundsätzlich zuwider; nur wenn der Antragsteller glaubhaft machen kann, dass die Behörde unter Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes gar nicht oder fehlerhaft ermittelt, kann das notwendige rechtliche Interesse an der Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens bejaht werden (vgl. HessVGH, Beschluss vom 12.4.2018 - 2 B 227/18 - juris Rn. 6 m. w. N.). Vor der Einleitung eines antragsbedürftigen Verwaltungsverfahrens ist grundsätzlich nicht davon auszugehen, dass die Behörde ihre Verpflichtung zur Amtsermittlung verletzen wird.
13 
Nach dieser Maßgabe liegt ein rechtliches Interesse der Antragstellerin an der Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens nicht vor. Dabei kann dahinstehen, ob es von vornherein unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt ausgeschlossen ist, dass die Antragstellerin gegen den Antragsgegner im Zusammenhang mit Folgeschäden an ihrem Schuppen einen - im Verwaltungsrechtsweg zu verfolgenden - Anspruch auf nachträgliche Anordnung einer Entschädigung hat (§ 75 Abs. 2 Satz 4 VwVfG). Insoweit bedarf es auch keiner näheren Aufklärung des Verhältnisses dieser Anspruchsgrundlage zu einem etwaigen vor den Zivilgerichten geltend zu machenden Anspruch aus enteignendem Eingriff (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 23.4.2015 - III ZR 397/13 - juris Rn. 12 ff.). Denn es ist nicht ersichtlich, dass sich der Antragsgegner als für die nachträgliche Anordnung zuständige Planfeststellungsbehörde dem für die Feststellung der Voraussetzungen notwendigen Sachverhaltsfeststellungen in einem entsprechenden Verwaltungsverfahren verweigern würde. Der Entschädigungsanspruch aus § 75 Abs. 2 Satz 4 LVwVfG stellt lediglich einen Surrogatanspruch für den aus § 74 Abs. 2 Satz 2 LVwVfG folgenden Anspruch auf nachträgliche Schutzauflagen dar und ist daher - wie dieser auch - in einem allgemeinen und nur auf Antrag durchzuführenden Verwaltungsverfahren nach den Vorgaben des § 75 Abs. 3 LVwVfG geltend zu machen, am Ende dessen gegebenenfalls die Anordnung einer Entschädigung in Geld durch Planergänzung stünde (vgl. zum Ganzen Neumann/Külpmann in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Auflage 2018, § 75 Rn. 84 ff. m. w. N.). Ein unmittelbar verwaltungsgerichtlich einklagbarer Anspruch ist insoweit - anders als augenscheinlich von der Antragstellerin angenommen - nicht gegeben. Einen entsprechenden Antrag auf Einleitung des Verwaltungsverfahrens hat die Antragstellerin bisher nicht gestellt. Allein die Umstände, dass die Beteiligten außerhalb eines Verwaltungsverfahrens im Jahr 2016 Entschädigungsverhandlungen geführt haben, im Rahmen derer die sachverständige Stellungnahme eingeholt wurde, und dass es - auf nach Aktenlage unklarer Rechtsgrundlage - zu einer Auszahlung durch den Antragsgegner kam, ersetzt die Durchsetzung eines denkbaren gesetzlichen Anspruchs aus § 75 Abs. 2 Satz 4 LVwVfG im Verwaltungsverfahren nicht. Insoweit kann auch aus der Weigerung des Antragsgegners, bei jetzigem Verfahrensstand weitere Entschädigungszahlungen zu leisten und auch keine weitere Sachverhaltsaufklärung zu betreiben, nicht geschlossen werden, dass er seiner aus § 24 LVwVfG folgenden Verpflichtung zur Amtsermittlung in einem Verwaltungsverfahren nicht nachkäme.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Der Festsetzung eines Streitwerts für das Beschwerdeverfahren bedarf es nicht, weil gemäß KV-Nr. 5502 (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) eine Festgebühr von 60 Euro entsteht.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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