Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 17. Juli 2020 - 10 K 2060/20 - mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert.
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 05.06.2020 gegen die Verfügung des Antragsgegners vom 26.05.2020 wird hinsichtlich deren Ziffer I. wiederhergestellt und hinsichtlich deren Ziffer III. angeordnet.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 92.769,- EUR festgesetzt.
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| Der Antragsteller wendet sich gegen eine lebensmittelrechtliche Anordnung. |
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| Der Antragsteller, ein deutscher Medienverlag und Versandhandel mit Sitz in R., vertreibt über das Internet u.a. das Produkt „K. Vital Kurkuma Kapseln" als Nahrungsergänzungsmittel. Mit Gutachten vom 21.04.2020 kam das Chemische und Veterinäruntersuchungsamt Stuttgart (im Folgenden CVUA) zu dem Ergebnis, dieses Produkt mit der Chargennummer L02790220 sei aufgrund des hohen Curcumingehalts nicht zum Verzehr geeignet und daher nicht sicher. Die erlaubte Tagesdosis werde bereits durch die Aufnahme einer Kapsel überschritten, bei Verzehr der empfohlenen Tagesdosis von drei Kapseln sogar um das Vierfache. Darüber hinaus bestünden Kennzeichnungsmängel in den Angaben des Etiketts. |
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| Daraufhin untersagte das Landratsamt dem Antragsteller mit Verfügung vom 26.05.2020 mit sofortiger Wirkung, das Produkt „K. Vital Kurkuma Kapseln" mit der Chargennummer L02790220 in den Verkehr zu bringen (Ziffer I.1) und gab ihm auf, einen Entsorgungsnachweis über den Verbleib des derzeit bestehenden Lagerbestandes (Stand: 04.05.2020) von 695 Stück dieser Charge zu erbringen (Ziffer I.2) sowie vor dem Inverkehrbringen neuer Chargen eines gleichsinnigen Produktes anhand von Analysen eines akkreditierten Labors zu belegen, dass die Tagesdosis innerhalb des erlaubten ADI-Wertes bleibt (Ziffer I.3). Das Landratsamt ordnete die sofortige Vollziehung der Ziffer I an (Ziffer II.) und drohte für den Fall der nicht fristgerechten bzw. nicht vollständigen Erfüllung der in den Ziffern I.1 und I.3 angeordneten Maßnahmen ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000,- EUR sowie für die nicht vollständige Erfüllung der in Ziffer I.2 angeordneten Maßnahme in Höhe von 300,- EUR an (Ziffer III.). |
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| Hiergegen erhob der Antragsteller am 05.06.2020 Widerspruch und suchte um einstweiligen gerichtlichen Rechtsschutz nach. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Ziffern I., III. und IV. der Anordnung des Landratsamts Tübingen vom 26.05.2020 wiederherzustellen bzw. anzuordnen, mit Beschluss vom 17.07.2020 - 10 K 2060/20 - abgelehnt. Das öffentliche Interesse am Sofortvollzug der Anordnung überwiege das Suspensivinteresse des Antragstellers. Das Verbot des Inverkehrbringens der Kurkuma-Kapseln erweise sich - ebenso wie die Folgeanordnungen - bei summarischer Prüfung als rechtmäßig. |
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| Die gemäß § 146 Abs. 1 VwGO statthafte sowie fristgerecht eingelegte (§ 147 Abs. 1 VwGO) und begründete (§ 146 Abs. 4 Satz 1 und 2 VwGO) Beschwerde des Antragstellers ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen die für sofort vollziehbar erklärte bzw. kraft Gesetzes sofort vollziehbare Verfügung des Landratsamts vom 26.05.2020 zu Unrecht abgelehnt. |
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| Der Senat geht bei der ihm nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO aufgegebenen Interessenabwägung davon aus, dass die Erfolgsaussichten des Widerspruchs gegenwärtig offen sind, weil sich die angefochtene Untersagungsverfügung (Ziffer I. 1) weder als offensichtlich rechtmäßig noch offensichtlich rechtswidrig erweist (1.). Die danach vorzunehmende Abwägung der wechselseitigen Interessen ergibt einen Vorrang des Interesses des Antragstellers, bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache vom Vollzug der Untersagungsverfügung verschont zu bleiben (2.). Vor diesem Hintergrund kann der gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO angeordnete Sofortvollzug (Ziffer II.) auch hinsichtlich der in den Ziffern I.2. und I.3 der angefochtenen Verfügung auferlegten Verpflichtungen keinen Bestand haben (3.). Dies gilt auch für den gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO in Verbindung mit § 12 LVwVG gesetzlich angeordneten Sofortvollzug der Zwangsgeldandrohungen (4.). |
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| 1. Der vom Antragsgegner als rechtliche Grundlage herangezogene Art. 14 Abs. 1, 2 Buchst. b) der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 - BasisVO - i.V.m. Art. 138 Abs. 1, 2 Halbsatz 2 Buchst. d) der Verordnung (EU) 2017/625 - KontrollVO - dürfte die gegenständliche Untersagungsverfügung nicht tragen (a). Auch eine grundsätzlich mögliche Aufrechterhaltung des Verbots des Inverkehrbringens unter Austausch der Rechtsgrundlage dürfte im vorliegenden Fall nicht in Betracht kommen, da der Senat bei der im Eilverfahren allein gebotenen summarischen Prüfung gegenwärtig nicht abschließend beurteilen kann, ob die Kurkuma-Kapseln gesundheitsschädlich i.S.d. Art. 14 Abs. 1, 2 Buchst. a) BasisVO sind (b). |
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| a) Zutreffend dürfte das Verwaltungsgericht angenommen haben, dass der Antragsgegner die lebensmittelrechtliche Anordnung vom 26.05.2020 zu Unrecht auf Art. 14 Abs. 1, 2 Buchst. b) BasisVO i.V.m. Art. 138 Abs. 1, 2 Halbsatz 2 Buchst. d) KontrollVO gestützt hat (zum Anwendungsvorrang des Unionrechts und Verdrängung der nationalen Rechtsgrundlage des § 39 Abs. 2 LFGB vgl. VG Hannover, Urteil vom 15.01.2020 - 15 A 819/18 -, juris Rn. 23; so bereits zum Vorrang der Vorgängernorm in Art. 54 Abs. 1 und 2 der Verordnung (EG) 882/2004 BVerwG, Urteil vom 10.12.2015 - 3 C 7.14 -, BVerwGE 153, 335; Senatsurteil vom 16.06.2014 - 9 S 1273/13 -, juris Rn. 22 ff.). Nach Art. 14 Abs. 1 BasisVO dürfen Lebensmittel, die nicht sicher sind, nicht in den Verkehr gebracht werden. Dabei gelten Lebensmittel als nicht sicher, wenn davon auszugehen ist, dass sie für den Verzehr durch Menschen ungeeignet sind (Abs. 2 Buchst. b). Gemäß Art. 14 Abs. 3 BasisVO sind bei der Entscheidung der Frage, ob ein Lebensmittel sicher ist oder nicht, die normalen Bedingungen seiner Verwendung durch den Verbraucher und auf allen Produktions-, Verarbeitungs- und Vertriebsstufen zu berücksichtigen (Abs. 2 Buchst. a). Nach Art. 14 Abs. 5 BasisVO ist bei der Entscheidung der Frage, ob ein Lebensmittel für den Verzehr durch den Menschen ungeeignet ist, zu berücksichtigen, ob das Lebensmittel infolge einer durch Fremdstoffe oder auf andere Weise bewirkten Kontamination, durch Fäulnis, Verderb oder Zersetzung ausgehend von dem beabsichtigten Verwendungszweck für den Verzehr durch den Menschen inakzeptabel geworden ist. Fremdstoffe sind dabei Stoffe, die ein Lebensmittel üblicherweise und bei sorgfältiger Herstellung nicht enthält (vgl. Rathke in: Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, Stand: März 2020, Art. 14 BasisVO Rn. 58). |
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| Im Grundsatz ist davon auszugehen, dass der Tatbestand des Art. 14 Abs. 2 Buchst. b i.V.m. Abs. 5 BasisVO (außer in den Fällen der Fäulnis, des Verderbs oder der Zersetzung) die Feststellung voraussetzt, dass in den Verkehr gebrachte Lebensmittel kontaminiert wurden, indem sie beispielsweise mit kontaminierten Geräten in Berührung gekommen sind (vgl. Senatsbeschluss vom 12.02.2020 - 9 S 2637/19 -, juris; ferner VG Freiburg, Beschluss vom 30.04.2019 - 4 K 168/19 -, juris; Meyer in: Meyer/Streinz, LFGB - BasisVO, 2. Aufl. 2012, Art. 14 BasisVO Rn. 39 f.). Allerdings kann bei bestimmten Sachverhalten eine Kontamination unterstellt werden (vgl. Meyer, a.a.O., Rn. 39 f., mit entsprechenden Beispielsfällen; VG Freiburg, Beschluss vom 30.04.2019, a.a.O.). Im Übrigen legt die Verordnung fest, dass die in Abs. 5 genannten Kriterien lediglich „zu berücksichtigen“ sind. Daraus dürfte folgen, dass sie nicht abschließend bestimmen, ob ein Lebensmittel zum Verzehr ungeeignet ist, dass also auch andere Umstände den Tatbestand des Abs. 5 erfüllen können. So dürfte jedenfalls die Nichtbeachtung hygienischer Mindestanforderungen in Fällen gravierender und weitreichender Verunreinigungen den Schluss rechtfertigen können, dass ein Lebensmittel - bei Anwendung des objektivierten Maßstabs eines vernünftigen, durchschnittlich empfindlichen Verbrauchers - für den Verzehr durch den Menschen inakzeptabel geworden ist (vgl. Senatsbeschluss vom 12.02.2020, a.a.O.). |
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| Anhaltspunkte dafür, dass der Tatbestand Fälle erfassen soll, in denen - ungeachtet der in Art. 14 Abs. 5 genannten Kriterien und der aufgezeigten besonderen Konstellationen - lediglich das Lebensmittel selbst, etwa mit Blick auf seine Zusammensetzung, bestimmten Standards nicht entspricht, dürften auch mit Blick auf die gesetzliche Systematik (vgl. Art. 14 Abs. 2 Buchst. a BasisVO) nicht ersichtlich sein. Die behördliche Annahme, dass es sich bei dem Produkt des Antragstellers wegen der festgestellten Überschreitung des ADI-Werts für Curcumin (dazu noch unter b) um ein zum Verzehr ungeeignetes Nahrungsergänzungsmittel handelt, erscheint deshalb aller Voraussicht nach nicht tragfähig. |
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| b) Der Antragsgegner hat den von dem Antragsteller vertriebenen Kurkuma-Kapseln in der angegriffenen Verfügung - ebenso wie das CVUA in seinen Stellungnahmen vom 21.04. und 15.05.2020 - keine gesundheitsschädliche Wirkung i.S.d. Art. 14 Abs. 1, 2 Buchst. a) BasisVO beigemessen. Im Schriftsatz vom 20.08.2020 hat der Antragsgegner explizit erklärt, „ob das Produkt darüber hinaus gesundheitsschädlich nach Art. 14 Abs. 1 Nr. 2a VO (EG) 178/2002 ist, kann von hier nicht beurteilt werden“. Gerade auch vor diesem Hintergrund ist dem Senat auf der Grundlage der ihm im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel eine abschließende Beurteilung, ob die Kapseln gleichwohl eine gesundheitsschädliche Wirkung entfalten, nicht möglich. |
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| Zwar ist es grundsätzlich möglich, die im Bescheid - fehlerhaft - genannte nachträglich durch die - tatsächlich einschlägige - Rechtsgrundlage „auszutauschen“ (zum Maßstab BVerwG, Urteil vom 10.12.2015, a.a.O.; Senatsurteil vom 16.06.2014, a.a.O., juris Rn. 27). § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO legt dem Gericht die Pflicht auf, bei seiner Entscheidung über die begehrte Aufhebung eines Bescheids alle rechtlichen Begründungen und Tatsachen zu berücksichtigen, die die - gesamte oder teilweise - Aufrechterhaltung dieses Bescheids zu rechtfertigen vermögen, vorausgesetzt der Bescheid wird dadurch nicht in seinem Wesen verändert (vgl. BVerwG, Urteile vom 27.01.1982 - BVerwG 8 C 12.81 - BVerwGE 64, 356, vom 27.06.1985 - 8 C 30.84 -, BVerwGE 71, 363, und vom 25.02.1994 - 8 C 14.92 -, BVerwGE 95, 176; ferner Riese, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: Januar 2020, § 113 Rn. 34). |
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| Ob durch den Wechsel der rechtlichen Grundlage - der Bezeichnung eines lebensrechtlichen Verstoßes nach Art. 14 Abs. 1, 2 Buchst. a) BasisVO anstelle von Art. 14 Abs. 1, 2 Buchst. b) BasisVO - die angegriffene Verfügung des Landratsamts in ihrem Wesen verändert würde, ist mit Blick auf den identischen Befugnisrahmen der Normen und den Umstand, dass Art. 138 KontrollVO ein Entschließungsermessen nicht eröffnet, nicht naheliegend, kann jedoch letztlich dahingestellt bleiben. Denn abgesehen davon, dass weder der Antragsgegner noch das insoweit sachverständige CVUA den von dem Antragsteller vertriebenen Kurkuma-Kapseln eine gesundheitsschädliche Wirkung i.S.d. Art. 14 Abs. 1, 2 Buchst. a) BasisVO beigemessen haben, vermag auch der Senat nach Aktenlage nicht festzustellen, dass die Kapseln nach aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen gesundheitsschädlich sind. |
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| aa) Bei der Beurteilung, ob ein Lebensmittel gesundheitsschädlich i.S.d. Art. 14 Abs. 2 Buchst. a) BasisVO ist, sind gemäß Art. 14 Abs. 4 BasisVO die wahrscheinlichen sofortigen und/oder kurzfristigen und/oder langfristigen Auswirkungen des Lebensmittels nicht nur auf die Gesundheit des Verbrauchers, sondern auch auf nachfolgende Generationen (Buchst. a), die wahrscheinlichen kumulativen toxischen Auswirkungen (Buchst. b), und die besondere gesundheitliche Empfindlichkeit einer bestimmten Verbrauchergruppe, falls das Lebensmittel für diese Gruppe von Verbrauchern bestimmt ist (Buchst. c), zu berücksichtigen. Für die Wahrscheinlichkeit, dass ein Lebensmittel gesundheitsschädlich ist, reicht einerseits eine nur theoretische Möglichkeit gesundheitsschädlicher Auswirkungen nicht aus, andererseits bedarf es auch keiner an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit. Von der Wahrscheinlichkeit gesundheitsschädlicher Auswirkungen ist vielmehr dann auszugehen, wenn die wissenschaftlichen Auffassungen, die solche Auswirkungen erwarten, überwiegen. Dies kann allerdings nicht zahlenmäßig festgestellt werden; erforderlich ist vielmehr eine Gewichtung der wissenschaftlichen Qualifikation, der wissenschaftlichen Grundlagen und insbesondere, wie hoch in den einzelnen wissenschaftlichen Äußerungen die Wahrscheinlichkeit eingeschätzt wird (vgl. Rathke, in: Zipfel/Rathke, a.a.O., Art. 14 BasisVO Rn. 47; OLG München, Urteil vom 29.09.2011 - 6 U 1641/09 -, juris Rn. 31; ferner zum Maßstab bei Risikobewertungen EuGH, Urteile vom 09.09.2003 - C-236/01 [Kommission/Dänemark] -, juris Rn. 106, und vom 23.09.2003 - C-192/01 [Monsanto Agricoltura Italia SpA u.a.] -, juris Rn. 48 ff.). |
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| bb) Hiervon ausgehend ist dem Senat eine hinreichend verlässliche Beurteilung, dass die „K. Vital Kurkuma Kapseln" mit der Chargennummer L02790220 gesundheitsschädliche Wirkung entfalten, nicht möglich. Das Verwaltungsgericht hat die Gesundheitsschädlichkeit der Kapseln (allein) damit begründet, dass durch die tägliche Aufnahme einer Kapsel der sog. ADI-Wert („acceptable daily intake“, d.h. die erlaubte Tagesdosis) für Curcumin überschritten werde. Bereits bei der Einnahme einer Kapsel werde der nach derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnissen maßgebliche ADI-Wert von 0-3 mg/kg Körpergewicht überschritten, bei der von dem Antragsteller empfohlenen Einnahme von drei Kapseln (950 mg Curcumin [Deklaration]) sogar um das Vierfache (13,6 mg/kg Körpergewicht bei einer Person mit 70 kg Körpergewicht). |
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| (1) Das Verwaltungsgericht ist zwar zutreffend von einem ADI-Wert von 0-3 mg/kg Körpergewicht für den Stoff Curcumin ausgegangen. |
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| Diesen Wert hat der Gemeinsame FAO/WHO-Sachverständigenausschuss für Lebensmittelzusatzstoffe (Joint FAO/WHO Expert Committee on Food Additives - JECFA -) im Jahr 2004 für die Einnahme von Curcumin auf der Grundlage einer Multigenerationsstudie an Ratten abgeleitet (vgl. JECFA, Evaluation of certain food additives and contaminants, sixty-first report, Genf 2004, Ziffer 3.1.3., S. 18 ff. [21]). Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (European Food Safety Authority - EFSA -) hat ihn unter Berücksichtigung des aktuellen Forschungsstands im Jahr 2010 übernommen (vgl. EFSA, Scientific Opinion on the re-evaluation of curcumin [E 100] as a food additive, EFSA Journal 2010; 8 [9]:1679) und 2014 unter Berücksichtigung weiterer, aktueller Studien bestätigt (vgl. EFSA, Refined exposure assessment for curcumin [E 100], EFSA Journal 2014; 12 [10]:3876). Auch das norwegische Komitee für Lebensmittelsicherheit (Vitenskapskomiteen for Mattrygghet - VKM) hat sich dieser Einschätzung angeschlossen und einen ADI von 0-3 mg/kg Körpergewicht für maßgeblich gehalten (vgl. VKM Report 2016, 32, Risk Assessment of „Other Substances“ - Curcumin, S. 7, 50). Der Verweis des Antragstellers auf „weiterführende Erkenntnisse des aktuellen Stands der Wissenschaft“ dürfte den aus einer Vielzahl wissenschaftlicher Analysen abgeleiteten ADI-Wert von 0-3 mg/kg Körpergewicht nicht substantiiert in Zweifel ziehen. Die von dem Antragsteller in Bezug genommenen wissenschaftlichen Beiträge und Studien dürften bereits deshalb für den vorliegenden Fall nicht hinreichend aussagekräftig sein, weil sie sich nicht mit dem hier relevanten, für gesunde Menschen maßgeblichen ADI-Wert bezüglich Curcumin, sondern mit den gesundheitlichen Vorzügen des Stoffes bei der therapeutischen Behandlung erkrankter Personen beschäftigen. Der von JECFA und EFSA angenommene ADI-Wert von 0-3 mg/kg Körpergewicht dürfte von keiner der genannten Quellen ernstlich erschüttert werden. |
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| (2) Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts dürfte indes eine bloße Überschreitung des ADI-Wertes nicht ausreichen, eine gesundheitsschädliche Wirkung i.S.d. Art. 14 Abs. 2 Buchst. a) BasisVO zu begründen. |
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| Der ADI gibt die Menge eines Stoffes an, die täglich über die gesamte Lebenszeit ohne erkennbares Gesundheitsrisiko oral aufgenommen werden kann (vgl. nur Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), Leitfaden für die Bewertung gesundheitlicher Risiken, Juli 2020, S. 20 Glossar zu „ADI“; zum Zustandekommen vgl. Rathke/Sosnitza, in: Zipfel/Rathke, a.a.O., § 1 RHmV Rn. 89 ff.). Dies rechtfertigt die Annahme, dass bei einer Überschreitung des festgelegten Grenzwertes das Risiko für mögliche gesundheitliche Auswirkungen ansteigt bzw. dass in diesem Fall eine Gefahr für die menschliche Gesundheit (lediglich) „nicht sicher“ ausgeschlossen werden kann. Von der Überschreitung des ADI kann indes nicht ohne weiteres auf die im vorliegenden Zusammenhang erforderliche Wahrscheinlichkeit gesundheitsschädlicher Auswirkungen geschlossen werden (vgl. auch Senatsbeschluss vom 14.10.2019 - 9 S 2643/19 -, juris Rn. 9, sowie Senatsbeschluss vom 16.11.2015 - 9 S 1749/15 -, juris). Ob und inwieweit ein Gefahrenpotenzial für die menschliche Gesundheit bei Überschreitung des ADI-Wertes besteht, bedarf deshalb einer Bewertung im jeweiligen Einzelfall (vgl. etwa Rathke/Sosnitza, in: Zipfel/Rathke, a.a.O., § 1 RHmV Rn. 300, 95; vgl. auch Senatsbeschluss vom 16.11.2015, a.a.O., zum "ernsten Risiko" im Sinne des Art. 50 Abs. 2 Verordnung (EG) Nr. 178/2002 (juris: EGV 178/2002) als Voraussetzung für die Meldung von Informationen im Rahmen des Schnellwarnsystems für Lebensmittel, Lebensmittelbedarfsgegenstände und Futtermittel (RASFF)). An der danach gebotenen (sachverständigen) Einzelfallbewertung der von dem Produkt des Antragstellers ausgehenden Gesundheitsgefahr dürfte es hier derzeit fehlen. |
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| 2. Die bei dem danach offenen Ausgang des Hauptsacheverfahrens vorzunehmende Interessenabwägung ergibt einen Vorrang des Interesses des Antragstellers, bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache vom Vollzug der Verfügung verschont zu bleiben. |
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| Die Anordnung der sofortigen Vollziehung des in der Hauptsache angefochtenen Verwaltungsaktes bewirkt eine nicht unerhebliche Einschränkung der Berufsausübung des Antragstellers als einem auch in Herstellung und Vertrieb von Nahrungsergänzungsmitteln tätigem Verlag, die wegen der Abweichung von der im Gesetz grundsätzlich vorgesehenen aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs (§ 80 Abs. 1 VwGO) selbständig in sein Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG eingreift (vgl. Senatsbeschluss vom 26.03.2019 - 9 S 1668/18 -, juris Rn. 45 unter Verweis auf BVerfG, Beschluss vom 24.10.2003 - 1 BvR 1594/03 -, juris und Senatsbeschluss vom 19.03.2019 - 9 S 323/19 -). Beschränkungen der Berufsausübungsfreiheit sind nur dann mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar, wenn sie vernünftigen Zwecken des Gemeinwohls dienen und den Berufstätigen nicht übermäßig oder unzumutbar treffen, also dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen (vgl. Senatsurteil vom 13.03.2018 - 9 S 1071/16 -, juris m.w.N.). |
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| Der Antragsgegner hat die Anordnung des Sofortvollzuges damit begründet, dass im Fall einer Überschreitung des ADI-Wertes ein Risiko für die menschliche Gesundheit (lediglich) „nicht sicher ausgeschlossen“ werden könne. Diese hypothetische Gesundheitsgefährdung allein rechtfertigt indes aus Sicht des Senats den mit der Anordnung des Sofortvollzugs verbundenen Eingriff in die Berufsfreiheit des Antragstellers nicht. Erforderlich ist vielmehr, dass eine hinreichend konkrete Gefährdung der Gesundheit durch das jeweilige Produkt feststellbar ist (vgl. Senatsbeschluss vom 26.03.2019, a.a.O., juris Rn. 47, zu einer arzneimittelrechtlichen Untersagungsverfügung). Daran dürfte es jedenfalls gegenwärtig fehlen. |
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| 3. Da auch der auf Art. 138 Abs. 1, 2 Halbsatz 2 Buchstabe g) KontrollVO gestützte Entsorgungsnachweis sowie die auf Art. 138 Abs. 1 Buchstabe b), 2 Halbsatz 2 Buchstabe f) KontrollVO gestützte Vorlage von Analysen bei Inverkehrbringen neuer Chargen eines gleichsinnigen Produktes an den vom Antragsgegner voraussichtlich zu Unrecht angenommenen lebensmittelrechtlichen Verstoß anknüpfen, hat die behördliche Anordnung des Sofortvollzugs auch insoweit keinen Bestand. |
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| 4. Mit der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs hinsichtlich der Ziffern I.1, I.2 und I.3 der Verfügung vom 26.05.2020 einher geht die Anordnung der aufschiebenden Wirkung dieses Widerspruchs hinsichtlich den in der Ziffer III. der Verfügung enthaltenen Vollstreckungsmaßnahmen (Zwangsgeldandrohung). Denn die Rechtmäßigkeit von - für sich genommen sofort vollziehbaren (§ 12 LVwVG) - Maßnahmen der Zwangsvollstreckung hängt von der Vollziehbarkeit des zu vollstreckenden Verwaltungsaktes ab (§ 2 Nr. 2 LVwVG). |
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| 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 2, § 39 Abs. 1 GKG. Nach § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 25.1 der Empfehlungen des Streitwertkatalogs 2013 und ständiger Rechtsprechung des beschließenden Senats (vgl. Senatsurteil vom 08.12.2010 - 9 S 783/10 -, juris, sowie Senatsbeschlüsse vom 13.12.2007 - 9 S 1958/07 -, NVwZ-RR 2008, 430, und vom 23.10.2017 - 9 S 1887/17 -, juris) wird der Streitwert für Verkaufsverbote im Lebensmittelrecht anhand des Verkaufswerts der betroffenen Waren bzw. - hier dem Jahresbetrag der erwarteten wirtschaftlichen Auswirkungen - bestimmt. |
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| Für den Ziffer I.1 der angegriffenen Verfügung betreffenden Antrag ist mithin auf der Grundlage der Angaben des Antragstellers zu den für das Jahr 2019 mit dem streitgegenständlichen Produkt erzielten Gewinn von einem Streitwert in Höhe von 90.269,- EUR auszugehen. Mit Blick auf die teilweise Vorwegnahme der Hauptsache sieht der Senat hinsichtlich des Verkehrsverbots von der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes grundsätzlich angezeigten Halbierung nach Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs ab. Bezüglich der übrigen Maßnahmen (Entsorgungsnachweis bisheriger Charge, Vorlage von Analysen bei Inverkehrbringen neuer Chargen eines gleichsinnigen Produktes) wird der halbierte Auffangstreitwert zugrunde gelegt, sodass der Streitwert insgesamt 92.769,- EUR beträgt; die angedrohten Zwangsmittel bleiben dabei außer Betracht (vgl. Ziffer 1.7.2 des Streitwertkatalogs). |
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