Beschluss vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg - 9 S 1887/17

Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 27. Juli 2017 - 6 K 4404/16 - wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird - unter Abänderung der Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts - für beide Instanzen auf jeweils 5.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe

 
I.
Die Antragstellerin wendet sich gegen eine Anordnung der Lebensmittelüberwachungsbehörde.
Die Antragstellerin vertreibt bundesweit das Produkt „Artemisia annua intense Beifuß-Kapseln“, das als Nahrungsergänzungsmittel angeboten wird. Es besteht nach den Herstellerangaben aus konzentriertem Artemisia annua-Extrakt, dem Trägerstoff Inulin aus Chicorée sowie aus Hypromellose in der Kapselhülle.
Mit Gutachten vom 11.05.2016 kam das Chemische- und Veterinäruntersuchungsamt Karlsruhe (im Folgenden CVUA) - in Übereinstimmung mit früheren Untersuchungen - zu dem Ergebnis, das Produkt sei als Novel Food zu beurteilen, das nicht verkehrsfähig sei, da keine Genehmigung nach dem in Art. 3 Abs. 2 VO EG/258/97 genannten Verfahren erteilt worden sei. Daraufhin erließ das Landratsamt Rastatt nach Anhörung der Antragstellerin unter dem 25.08.2016 eine Verfügung, deren Ziffer 1 wie folgt lautet:
„1. Das Inverkehrbringen von „Artemisia annua intense Beifuß-Kapseln" wird der ...; ... untersagt. Frist: sofort.“
Die sofortige Vollziehung wurde angeordnet (Ziffer 2) und für den Fall der nicht fristgerechten Erfüllung der Maßnahme oder der Zuwiderhandlung ein Zwangsgeld in Höhe von 5.000,-- EUR angedroht (Ziffer 3).
Über den gegen die Verfügung am 31.08.2016 eingelegten Widerspruch ist noch nicht entschieden.
Den am 09.09.2016 gestellten Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Verfügung des Landratsamts vom 25.08.2016 wiederherzustellen beziehungsweise anzuordnen, hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 27.07.2017 abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotene Abwägung falle zu Lasten der Antragstellerin aus, weil sich die Verfügung voraussichtlich als rechtmäßig erweisen werde und dem Interesse der Verbraucher, vor nicht sicheren Lebensmitteln geschützt zu werden, der Vorrang gegenüber dem Interesse der Antragstellerin am weiteren Vertrieb ihres Produkts einzuräumen sei.
II.
Die gemäß § 146 Abs. 1 VwGO statthafte sowie fristgerecht eingelegte (§ 147 Abs. 1 VwGO) und begründete (§ 146 Abs. 4 Satz 1 und 2 VwGO) Beschwerde der Antragstellerin hat keinen Erfolg. Die mit der Beschwerde dargelegten, sich allein auf die Ziffern 1 und 2 der Verfügung beziehenden Gründe, aus denen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts abzuändern sein soll und auf deren Prüfung sich der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, ergeben nicht, dass das Verwaltungsgericht den Antrag der Antragstellerin zu Unrecht abgelehnt hat.
1. Die Antragstellerin macht geltend, entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts seien die formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO nicht gewahrt. Das Landratsamt habe darauf verwiesen, dass es in Belgien Sicherheitsbedenken gegen die Verwendung von Artemisia annua gebe. Im Umkehrschluss folge daraus, dass in allen anderen Ländern keine solchen bestünden. Es bleibe auch offen, auf welchen Tatsachen die Bedenken beruhten und ob diese auch für ihr Produkt in seiner spezifischen Zusammensetzung gelten könnten. Letztlich spekuliere das Landratsamt ohne substantiierte Gründe über Gesundheitsrisiken. Ohne Auseinandersetzung mit dem konkreten Produkt handele es sich um eine bloß formelhafte Begründung ohne den notwendigen Einzelfallbezug.
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Diese Rüge greift nicht durch. Die Begründung des Sofortvollzugs genügt dem Erfordernis des § 80 Abs. 3 VwGO.
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Erforderlich ist danach eine auf den konkreten Einzelfall abstellende Darlegung des öffentlichen Interesses dafür, dass ausnahmsweise die sofortige Vollziehung notwendig ist und hinter dieses erhebliche öffentliche Interesse das Interesse des Betroffenen zurücktreten muss, von dem angefochtenen Verwaltungsakt einstweilen nicht betroffen zu werden (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 30.06.2016 - 5 S 1984/15 -, NuR 2016, 649, und vom 29.11.2016 - 5 S 2137/16 -, VBlBW 2017, 212; W.-R. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, § 80 Rn. 85, m.w.N.).
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Diesen formellen Anforderungen entspricht die Begründung in dem Bescheid vom 25.08.2016. Das Landratsamt hat unter anderem darauf abgestellt, nach der Stellungnahme des CVUA vom 07.12.2015 sei in Belgien die Verwendung von Artemisia annua in Lebensmitteln aufgrund von Sicherheitsbedenken verboten. Damit gelte Artemisia annua nicht als unbedenkliches Lebensmittel. Die Allgemeinheit habe somit ein besonderes Interesse daran, dass das Produkt der Antragstellerin nicht mehr in Verkehr gebracht werde. Ein weiteres Inverkehrbringen könnte nicht abzusehende Schäden für die Gesundheit des Verbrauchers zur Folge haben. Da sich ein Rechtsbehelfsverfahren über mehrere Jahre hinziehen könne, sei die sofortige Vollziehung zum Schutz der Verbraucher erforderlich. Den Zwecken des Begründungserfordernisses nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO, die Behörde zu einer sorgfältigen Prüfung des besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts anzuhalten, dem Betroffenen die für die Sofortvollzugsanordnung maßgeblichen Gründe zur Kenntnis zu bringen sowie die Grundlage für eine gerichtliche Kontrolle der Anordnung zu bilden (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 25.09.2012 - 10 S 731/12 -, DVBl. 2012, 1506), ist damit Rechnung getragen. Von einer unzureichenden, bloß formelhaften Begründung kann daher nicht gesprochen werden.
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2. Die Antragstellerin meint weiter, die Untersagungsverfügung sei nicht hinreichend bestimmt im Sinne von § 37 Abs. 1 LVwVfG. Die Anordnung sehe vor, dass Artemisia annua intense Beifußkapseln nicht mehr in den Verkehr gebracht werden könnten. Das gehe schon deshalb zu weit, weil das Inverkehrbringen jedenfalls dann nicht zu untersagen wäre, wenn eine Novel-Food-Genehmigung vorliegen würde. Somit hätte die Anordnung richtig lauten müssen: „Das Inverkehrbringen von Artemisia annua intense Beifußkapseln wird der ...-... untersagt, sofern keine Genehmigung nach der Novel-Food-Verordnung 285/97/EG vorliegt.“ Da die Anordnung so nicht erfolgt sei, werde der Eindruck erweckt, dass das Inverkehrbringen des Produkts generell untersagt sei, egal in welcher Produktkategorie und zu welchem Zweck.
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Mit diesen Darlegungen kann die Antragstellerin ebenfalls nicht durchdringen. Die Regelung in Nr. 1 des angegriffenen Bescheids ist im Sinne des § 37 Abs. 1 LVwVfG inhaltlich hinreichend bestimmt.
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Das Bestimmtheitsgebot verlangt, dass der Adressat eines Verwaltungsakts in der Lage sein muss zu erkennen, was von ihm gefordert wird, und zwar in dem Sinne, dass der behördliche Wille keiner unterschiedlichen subjektiven Bewertung zugänglich ist. Zum anderen muss der Verwaltungsakt Grundlage für Maßnahmen zu seiner zwangsweisen Durchsetzung sein können. Im Einzelnen richten sich die Anforderungen nach den Besonderheiten des Einzelfalls, insbesondere nach dem Regelungsgehalt des Verwaltungsaktes und dem mit ihm verfolgten Zweck (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13.10.2010 - 7 B 50.10 -, juris Rn. 8 und Urteil vom 02.07.2008 - 7 C 38.07 -, BVerwGE 131, 259, m.w.N.). Dabei muss sich die „Regelung“ (vgl. § 35 Satz 1 LVwVfG) nicht unmittelbar und allein aus dem Entscheidungssatz ergeben. Es reicht aus, wenn sie sich aus dem gesamten Inhalt des Bescheids, insbesondere seiner Begründung sowie den weiteren, den Beteiligten bekannten oder ohne Weiteres erkennbaren Umständen, unzweifelhaft erkennen lässt (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.04.2001 - 6 C 6.00 -, BVerwGE 114, 160, m.w.N.; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 11.07.2017 - 5 S 2067/15 -, juris).
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Gemessen an diesen Grundsätzen gehen die Einwände der Antragstellerin betreffend die Bestimmtheit der Anordnung fehl. Aus dem Bescheid des Landratsamts geht eindeutig hervor, dass dieses der Antragstellerin das Inverkehrbringen von Artemisia annua intense Beifuß-Kapseln als Lebensmittel untersagt. Den rein hypothetischen Fall, „wenn eine Novel-Food-Genehmigung vorliegen würde“, musste das Landratsamt - auch unter Bestimmtheitsgesichtspunkten - nicht zum Gegenstand seiner Regelung machen.
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3. Ferner rügt die Beschwerde, ihre Kapseln seien kein neuartiges Lebensmittel im Sinne der VO 258/97/EG. Der Antragsgegner habe weder belegt, dass eine neuartige Zutat vorkomme, die noch nicht in nennenswertem Umfang vor dem 15.05.1997 in der EU als Lebensmittel verwendet worden sei, noch, dass es sich um ein erfahrungsgemäß nicht unbedenkliches Produkt handele. Zu Unrecht meine das Verwaltungsgericht, dass die Beweislast dafür, es handele sich nicht um ein neuartiges Lebensmittel, bei ihr liege. Hierbei verkenne es, dass das Vertriebsverbot ihre Rechte auf freie Ausübung ihres Gewerbebetriebs gemäß Art. 14 Abs. 1 GG und ihr Recht auf allgemeine Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG verletze. Greife eine Behörde in Grundrechte ein, müsse sie beweisen, dass ihre Eingriffe gerechtfertigt seien. Ferner gelte der Grundsatz, dass Lebensmittel frei verkehrsfähig seien. Auch für Nahrungsergänzungsmittel bestehe gemäß § 5 NemV lediglich eine Anzeigepflicht, aber keine Genehmigungspflicht. Es sei zwar richtig, dass sie selbst das Produkt nicht vor dem 15.05.1997 in den Verkehr gebracht habe. Dies sei aber nicht entscheidend. Vielmehr komme es darauf an, ob die Zutaten vor dem 15.05.1997 in nennenswertem Umfang in der EU als Lebensmittel verwendet worden seien oder nicht.
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Das Verwaltungsgericht spekuliere darüber, dass die Pflanze Artemisia annua, die seit 2.000 Jahren in der Traditionellen Chinesischen Medizin im Rahmen der Diätetik eingesetzt werde, nicht das konkret von ihr in den Verkehr gebrachte Produkt betreffe. Das sei nicht nachvollziehbar, da ihr Produkt als alleinige Zutat Artemisia annua enthalte. Das Verwaltungsgericht begründe ferner nicht, weshalb generell die Verwendung im Rahmen der Diätetik in der Traditionellen Chinesischen Medizin nicht für den nennenswerten Verzehr im Gebiet der Europäischen Gemeinschaft als Lebensmittel ausreiche. Denn bei einem Diätetikum handele es sich um ein Lebensmittel. Als Lebensmittel würden gemäß § 2 LFBG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 der VO 178/2002/EG alle Stoffe definiert, die dazu bestimmt seien oder von denen nach vernünftigem Ermessen erwartet werden könne, dass sie in verarbeitetem, teilweise verarbeitetem oder unverarbeitetem Zustand vom Menschen aufgenommen werden könnten. Weshalb dies im Rahmen der Diätetik nach der Traditionellen Chinesischen Medizin nicht der Fall sein solle, erschließe sich nicht.
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Ebenfalls nicht nachvollziehbar sei die Würdigung des Gutachtens des öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen F. R. Auch hier bemängele das Verwaltungsgericht, dass der Verfasser sich nur auf die Verwendung der Pflanze selbst und ihren Einsatz im Rahmen einer Traditionellen Chinesischen Diätetik beziehe. Weshalb die Ausführungen indes ihr Monopräparat nicht betreffen sollten, werde nicht erläutert. Das Verwaltungsgericht lege nicht dar, woraus sich die Unterschiede zwischen ihrem Produkt und der Verwendung der Pflanze selbst beziehungsweise ihrer Verwendung im Rahmen einer Traditionellen Chinesischen Diätetik ergeben sollten. Die gleichen Erwägungen gälten für den Vertrieb der Zutat durch die Firma ... und Spekulationen des Verwaltungsgerichts darüber, dass sich möglicherweise die dortige Zutat von ihrem Präparat unterscheiden könne. Wenn das Verwaltungsgericht dies für entscheidungserheblich gehalten habe, hätte es den Sachverhalt näher aufklären müssen, um nicht gegen § 86 Abs. 1 VwGO zu verstoßen. Bei Sachverhalten, zu denen in der Wissenschaft oder unter Fachleuten unterschiedliche Auffassungen vertreten würden, müsse das Gericht alle vertretenen oder vertretbaren Auffassungen berücksichtigen. Erst recht gelte dies vor dem Hintergrund, dass sie das Gutachten eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen vorgelegt habe. Auch hinsichtlich der mit Schriftsatz vom 14.11.2016 vorgelegten Rechnungen des belgischen Unternehmens ... seien keine Unterschiede im Hinblick auf die Zutat Artemisia annua ersichtlich.
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Diese Darlegungen geben keinen Anlass, den angegriffenen Beschluss zu ändern. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zitiert, wonach (selbst) der Umstand, dass alle Zutaten eines Lebensmittels für sich genommen die Voraussetzung des Art. 1 Abs. 2 VO EG/258/97 erfüllen oder unbedenklich sind, nicht dafür ausreicht, die Anwendung dieser Verordnung auf das erzeugte Lebensmittel auszuschließen. Die Entscheidung, ob dieses als neuartiges Lebensmittel im Sinne der Verordnung einzustufen ist, ist für jeden Einzelfall unter Berücksichtigung aller Merkmale des Lebensmittels und des Herstellungsverfahrens zu treffen (EuGH, Urteil vom 15.01.2009 - C-383/07 -, Slg. I-115 Rn. 30; vgl. auch VG Schleswig, Beschluss vom 13.12.2016 - 1 B 74/16 -, LRE 73, 462; zur noch gegebenen Anwendbarkeit der VO EG/258/97 siehe die Geltungsanordnung in Art. 36 VO EU/2015/2283). Da nicht ausgeschlossen ist, dass der Herstellungsvorgang in der Struktur eines Lebensmittels zu physikalischen, chemischen oder biologischen Änderungen der verwendeten Zutaten mit möglicherweise schwerwiegenden Folgen für die öffentliche Gesundheit führen kann, ist die Prüfung, welche Folgen dieser Vorgang hat, selbst dann geboten, wenn das Enderzeugnis aus Zutaten besteht, die jeweils für sich genommen die Voraussetzung des Art. 1 Abs. 2 VO EG/258/97 erfüllen (EuGH, Urteil vom 15.01.2009, a.a.O. Rn. 27; vgl. auch BGH, Urteil vom 16.04.2015 - I ZR 27/14 -, GRUR 2015, 1140).
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Die hierbei berücksichtigten Umstände müssen das Lebensmittel oder die Zutat selbst, auf das oder die sich die Prüfung erstreckt, betreffen und nicht ein ähnliches oder vergleichbares Lebensmittel oder eine ähnliche oder vergleichbare Zutat. Auf dem Gebiet der neuartigen Lebensmittel oder neuartigen Lebensmittelzutaten lässt sich nämlich nicht ausschließen, dass selbst gering erscheinende Abweichungen ernst zu nehmende Folgen für die Gesundheit der Bevölkerung nach sich ziehen können, zumindest solange nicht die Unschädlichkeit des fraglichen Lebensmittels oder der fraglichen Zutat durch angemessene Verfahren nachgewiesen wurde (EuGH, Urteil vom 09.06.2005 - C-211/03, C-299/03 und C-316/03 bis C-318/03 -, Slg I-5141Rn. 86; vgl. auch VG Düsseldorf, Urteil vom 17.07.2012 - 16 K 4137/11 -, juris; VG Braunschweig, Urteil vom 27.02.2013 - 5 A 117/12 -, LRE 65, 289).
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Ausgehend von diesen Grundsätzen erschließt sich aus den Darlegungen der Antragstellerin nicht, dass die Verwendung der Pflanze Artemisia annua (nicht: des von der Antragstellerin in Kapselform überführten Extrakts) in der Traditionellen Chinesischen Medizin die Einstufung ihres Produktes als neuartiges Lebensmittel hindern könnte. Die Ausführungen des von der Antragstellerin beauftragten Diplomchemikers und Assessors d.L. F.R. gehen ebenso an der ausgesprochenen Untersagung vorbei wie etwa die bereits früher vorgelegte Stellungnahme des Diplomchemikers Dr. G. vom ... (S. 400-404 der Verwaltungsakte), in der etwa noch vom Einsatz zur Linderung von Malaria und als Bestandteil von Kosmetika berichtet wird. Soweit sich die Antragstellerin darauf beruft, Lebensmittel seien grundsätzlich frei verkehrsfähig, ist dem entgegenzuhalten, dass dieser Grundsatz Einschränkungen unterworfen ist, die sich unter anderem - wie hier - aus der VO EG/258/97 ergeben können. Auch die Regelung des § 5 Abs. 1 NemV, wonach derjenige, der ein Nahrungsergänzungsmittel als Hersteller oder Einführer in den Verkehr bringen will, dies spätestens beim ersten Inverkehrbringen dem Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit unter Vorlage eines Musters des für das Erzeugnis verwendeten Etiketts anzuzeigen hat, lässt weitergehende Ge- und Verbote aufgrund anderer Bestimmungen, namentlich solche nach der VO EG/258/97, unberührt (vgl. OLG Frankfurt/M., Urteil vom 04.12.2014 - 6 U 112/14 -, LMuR 2015, 137 zum Verhältnis der VO EG/258/97 zur RL 2002/46/EG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Nahrungsergänzungsmittel; siehe ferner Kügel/Hahn/Delewski, NemV, 2007, § 5 Rn. 14; Rathke/Gründig, in: Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, Stand: 165. EL, November 2016, Band III, NEMV, Vorb. Rn. 16 sowie § 5 Rn. 3). Somit lässt sich weder dem angesprochenen Grundsatz freier Verkehrsfähigkeit von Lebensmitteln noch dem besonderen Recht der Nahrungsergänzungsmittel etwas Durchgreifendes gegen die angefochtene Verfügung entnehmen.
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Die Auffassung der Antragstellerin, das Verwaltungsgericht habe ihr zu Unrecht die Beweislast für die fehlende Novel-Food-Eigenschaft ihres Produkts aufgebürdet, teilt der Senat nicht. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat zu der Frage der Beweislast ausgeführt (Urteil vom 12.05.2009 - 9 B 09.199 -, LRE 59, 315):
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„Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs trägt in einer solchen Situation der Unternehmer die materielle Beweislast. Dafür spricht bereits die Tatsache, dass die Frage, ob Lebensmittel vor dem 15. Mai 1997 in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr in der Europäischen Gemeinschaft verwendet wurden, eher der Sphäre des Unternehmers zuzurechnen ist und ihm nach Art. 26 Abs. 2 Satz 1 BayVwVfG eine Mitwirkungspflicht obliegt. Nach der Stellungnahme der Europäischen Kommission vom 11. Dezember 2007 im Vorabentscheidungsverfahren folgt die materielle Beweislast des Unternehmers europarechtlich unmittelbar aus Art. 17 und 19 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit (ABl Nr. L 31 S. 1), wonach die Lebensmittelunternehmer insbesondere die Verantwortung für die Lebensmittelsicherheit der von ihnen eingeführten, erzeugten, verarbeiteten, hergestellten oder vertriebenen Lebensmittel haben (siehe hierzu auch 30. Erwägungsgrund zur Verordnung (EG) Nr. 178/2002; kritisch zur Beweislast des Unternehmers: Meisterernst ZLR 2007, 3).“
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Diese auch vom Verwaltungsgericht in Bezug genommene Argumentation, die von weiteren Verwaltungsgerichten geteilt wird (vgl. VG Braunschweig, a.a.O.; VG Schleswig, a.a.O.; offen dazu BVerwG, Beschluss vom 29.01.2010 - 3 B 84.09 -, juris), stellt die Antragstellerin mit ihren Darlegungen nicht nachvollziehbar in Frage. Ihre Behauptung, wegen des Grundrechtseingriffs müsse die Darlegungs- und Beweislast bei der Behörde liegen, substantiiert sie nicht näher. Allein daraus, dass Artemisia annua nicht im sogenannten Novel-Food-Katalog oder der Stoffliste des Bundes und der Länder erwähnt ist, dürfte es jedenfalls nicht rechtfertigen, dem Antragsgegner die Beweislast für die Voraussetzungen der Genehmigungspflicht nach Art. 3 Abs. 2 VO EG/258/97 aufzuerlegen (a.A. VG Dresden, Beschluss vom 31.01.2014 - 6 L 212/13 -, juris Rn. 16; siehe auch Meisterernst, ZLR 2007, 3; Verweis darauf - ohne eigene Würdigung - wiederum bei Ballke, in: Zipfel/Rathke, a.a.O., Novel-Food-VO, Art. 1 Rn. 19).
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Unabhängig davon hat das Landratsamt mehrere gutachtliche Stellungnahmen über das Produkt der Antragstellerin eingeholt, die nach Aktenlage klar für eine Novel-Food-Eigenschaft sprechen. Insbesondere vor diesem Hintergrund kann nicht davon ausgegangen werden, die Unbedenklichkeit des Produkts der Antragstellerin sei bereits so weit belegt, dass ihrem Interesse an der Aussetzung des Vollzugs der Untersagungsverfügung der Vorrang vor dem Vollzugsinteresse gebühre. Nach der nachvollziehbaren Begutachtung des CVUA handelt es sich um Novel Food, das als nicht verkehrsfähig zu beurteilen ist, wenn keine Genehmigung nach dem in Art. 3 Abs. 2 VO EG/258/97 genannten Verfahren erteilt wurde (vgl. Gutachten vom 11.05.2016 mit Bezug auf weitere Gutachten/Stellungnahmen). Es fehlt danach an einem Nachweis, dass das enthaltene Artemisia annua-Beifuß-Extrakt in vergleichbarer Weise bereits vor dem Inkrafttreten der VO EG/258/97 in nennenswertem Umfang zum menschlichen Verzehr verwendet wurde.
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Die Unterlagen, die die Antragstellerin dem entgegenhält, vermögen das Ergebnis der Begutachtung nach Aktenlage nicht zu entkräften. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht bei der Würdigung der gutachtlichen Stellungnahme des Diplomchemikers und Assessors d.L. F.R. vom 22.10.2015 darauf hingewiesen, dass dieser lediglich Aussagen zu Artemisia annua als Gewürzpflanze und zu ihrem traditionellen Einsatz im Rahmen der traditionellen chinesischen Diätetik getroffen hat. Ein näherer Bezug zu dem von der Antragstellerin verwendeten Extrakt ist nicht erkennbar. Die Ausführungen sind zudem äußerst allgemein gehalten („traditionelle(n) Verwendungen insbesondere … aus Wildsammlung“). Sie vermischen ferner offenbar teilweise verschiedene Arten der Pflanzengattung Artemisia, worauf bereits das Landratsamt in seiner Untersagungsverfügung hingewiesen hat. Bestimmte Produkte oder Vertriebskanäle in der Europäischen Union werden nicht benannt. Auch die von der Antragstellerin vorgelegten Dokumente zu - wiederum anderen - Erzeugnissen des belgischen Unternehmens ... beziehungsweise ... erlauben - wie das Verwaltungsgericht nachvollziehbar erläutert hat - keine hinreichenden Schlüsse, um das Produkt der Antragstellerin von der Genehmigungspflicht nach Art. 3 Abs. 2 VO EG/258/97 freizustellen.
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Für dieses Ergebnis spricht umso mehr, dass bei der Neuartigkeit eines Lebensmittels beziehungsweise einer Lebensmittelzutat an Negativtatsachen angeknüpft wird, da für sie die fehlende Verwendung bis zum Stichtag 15.05.1997 in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr (Art. 1 Abs. 2 VO EG/258/97) kennzeichnend ist. Den besonderen Schwierigkeiten bei dem Negativbeweis ist zwar regelmäßig nicht durch eine Umkehr der Beweislast Rechnung zu tragen (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.10.2016 - 2 A 2.16 -, NVwZ 2017, 232, 235, m.w.N.). Daher kann allein die normative Anknüpfung an eine Negativtatsache noch keine Beweislast der Antragstellerin begründen. Die Besonderheiten der Negativtatsache sind jedoch (zumindest) bei der Beweiswürdigung zu berücksichtigen und für die prozessuale Mitwirkungspflicht und die Mitwirkungslast der Beteiligten bedeutsam (vgl. BVerwG, Urteil vom 30.01.1997 - 2 C 10.96 -, BVerwGE 104, 55). Gerade angesichts dessen lässt das Vorbringen der Antragstellerin genügende Anhaltspunkte für das Fehlen der Neuartigkeit ihres Lebensmittels vermissen.
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4. Soweit die Antragstellerin die Auffassung vertritt, bereits aus ihrer eidesstattlichen Versicherung vom 07.09.2016 ergebe sich die erfahrungsgemäße Unbedenklichkeit ihres Produkts als Lebensmittel, folgt der Senat dem nicht. Aus der Erklärung geht im Wesentlichen lediglich hervor, dass die Antragstellerin ihre Kapseln seit 2009 auf dem deutschen Markt als Nahrungsergänzungsmittel vertreibt („mittlerweile 600 kg Rohstoff jährlich“) und bisher noch keine Beanstandung von Verbrauchern erhalten hat. Dies kann - wie bereits die Ausführungen unter 3. unterstreichen - nicht zum Beleg der Unbedenklichkeit des Produkts dienen.
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5. Schließlich hält die Antragstellerin die Untersagungsverfügung für ermessensfehlerhaft. Das Verwaltungsgericht verweise darauf, dass aufgrund einer belgischen Liste aus dem Jahr 1997 konkrete Anhaltspunkte für eine drohende Gesundheitsgefahr bestünden. Es fehle aber jede Auseinandersetzung mit ihrem konkreten Produkt und mit der eidesstattlichen Versicherung, dass das Produkt seit dem Jahr 2009 ohne jede Beanstandung und Nebenwirkung in den Verkehr gebracht worden sei. Ferner habe sie darauf verwiesen, dass es eine Liste mit gesundheitsgefährdenden, nicht erlaubten Stoffen gemäß der VO EG/1921/2006 gebe, auf der sich die Zutat nicht befinde.
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Zudem sei dem Antragsgegner der Vertrieb des Produkts bereits seit dem Jahr 2010 bekannt. Daher erschließe sich nicht, weshalb nun ein Sofortvollzug angezeigt sein solle. Der Antragsgegner habe die Nutzung jahrelang toleriert. In der Zwischenzeit habe es keinen neuen Sachverhalt gegeben. Hinzu komme, dass von der Anordnung 75 % ihres Gesamtumsatzes betroffen seien.
32 
Mit diesen Darlegungen wird weder ein Ermessensfehler aufgezeigt noch erkennbar gemacht, dass das Verwaltungsgericht zu Unrecht ein besonderes Vollzugsinteresse für die Untersagungsverfügung des Landratsamts bejaht hat. Das Landratsamt hat in seiner Verfügung eingeräumt, dass die Untersagung ein nicht unerheblicher Eingriff in die unternehmerische Tätigkeit der Antragstellerin ist und Auswirkungen auf ihren Umsatz und ihr Ergebnis hat. Er hat die Maßnahme gleichwohl als verhältnismäßig angesehen, da sie das mildeste Mittel zur Herstellung eines rechtskonformen Zustandes darstelle. In der belgischen Liste (Arrêté royal relatif à la fabrication et au commerce de denrées alimentaires composée ou contenant des plantes ou préparations de plantes vom 29.08.1997) werde Artemisia annua in der Liste der „Plantes dangereuses qui ne peuvent être utilisées ent tant que ou dans les denrées alimentaires“ genannt. Somit sei aufgrund von Sicherheitsbedenken die Verwendung von Artemisia annua in Lebensmitteln in Belgien verboten. Zudem habe die Antragstellerin lange Zeit und auch mehrfach die Möglichkeit gehabt, genügende Unterlagen vorzulegen oder einen Antrag gemäß Art. 4 Abs. 1 Satz 1 VO EG/258/97 zu stellen. Diesen Überlegungen stellt die Antragstellerin keine hinreichenden Argumente entgegen, die zu einer Änderung des angegriffenen Beschlusses führen können (vgl. zum Stellenwert des Schutzes der Verbraucher vor nicht sicheren Lebensmitteln BayVGH, Beschluss vom 30.01.2014 - 20 CS 13.1769 -, LRE 67, 446).
33 
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG und Nr. 1.5 Satz 2 der Empfehlungen des Streitwertkatalogs 2013 (VBlBW 2014, Sonderbeilage zu Heft 1). Nach § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 25.1 des Streitwertkatalogs und ständiger Rechtsprechung des beschließenden Senats (vgl. Senatsurteil vom 08.12.2010 - 9 S 783/10 -, juris, sowie Senatsbeschluss vom 13.12.2007 - 9 S 1958/07 -, NVwZ-RR 2008, 430) wird der Streitwert für Verkaufsverbote und ähnliche Maßnahmen im Lebens- und Arzneimittelrecht zwar anhand des Verkaufswerts der betroffenen Waren beziehungsweise der erwarteten wirtschaftlichen Auswirkungen bestimmt. Da das Vorbringen der Antragstellerin insoweit allerdings keine genügenden Anhaltspunkte enthält, hat der Senat den Auffangwert angesetzt, allerdings im Unterschied zum Verwaltungsgericht von der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes grundsätzlich angezeigten Halbierung mit Blick auf die teilweise Vorwegnahme der Hauptsache abgesehen (vgl. Senatsbeschluss vom 30.08.2017 - 9 S 1861/17 -, juris). Der Streitwert des Ausgangsverfahrens wird von Amts wegen entsprechend berichtigt (vgl. § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG).
34 
Der Beschluss ist unanfechtbar (vgl. § 152 Abs. 1 VwGO sowie § 68 Abs. 1 Satz 5 in Verbindung mit § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG hinsichtlich der Streitwertfestsetzung).

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