Urteil vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg - 8 S 2959/18
Tenor
Die Verwaltungsvorschrift des Umweltministeriums und des Wirtschaftsministeriums über Technische Baubestimmungen (Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen - VwV TB) vom 20. Dezember 2017 - Az.: 45-2601.1/51 (UM) und Az.: 5-2601.3 (WM) - wird, soweit sie für Span- und OSB-Platten Geltung beansprucht, hinsichtlich der in ihrem Anhang 8 (ABG) unter 2.2.1.1 enthaltenen Anforderungen an VOC-Emissionen betreffend die Summe der flüchtigen organischen Verbindungen (TVOCspez) und der Konzentrationen der schwerflüchtigen organischen Verbindungen (TSVOC), den nach einer Einzelstoffbewertung gebildeten (Summen)-R-Wert und die Mengenbegrenzung für nicht bewertbare VOC für unwirksam erklärt.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1
Die Antragstellerinnen wenden sich gegen die am 01.01.2018 in Kraft getretene Verwaltungsvorschrift des Umweltministeriums und des Wirtschaftsministeriums über Technische Baubestimmungen (Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen - VwV TB) vom 20.12.2017 - Az.: 452601.1/51 (UM) und Az.: 5-2601.3 (WM), soweit diese in dem unter A.3.2.1 in Bezug genommenen Anhang 8 - Anforderungen an bauliche Anlagen bezüglich des Gesundheitsschutzes (ABG) - unter 2.2.1.1 bestimmte, nach § 73a Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 LBVO auch von OSB- und Spanplatten („verklebte Hölzer“, Anlage 3) einzuhaltende Anforderungen an (anhand von Prüfkammertests nach der prEN16516:2015-05 zu bestimmende) VOC (volatile organic compounds)-Emissionen stellt.
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Danach sind nach 3 bzw. 28 Tagen (nach Einlegen des Holzwerkstoffs in die Prüfkammer) für die Summe der flüchtigen organischen Verbindungen (TVOCspez) und der Summe der Konzentrationen der schwerflüchtigen organischen Verbindungen (TSVOC) bestimmte „Grenzwerte“ einzuhalten. Zusätzlich zu diesen Summenwerten muss nach einer Einzelstoffbewertung der sog. (Summen-)R-Wert ≤ 1 sein und dürfen nicht bewertbare VOC ab einer Konzentration von ≥ 5 µg in der Summe 0,1 mg/m3 nicht übersteigen.
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Die in Deutschland ansässige Antragstellerin zu 1 stellt Spanplatten und die in Tschechien ansässige Antragstellerin zu 2 sog. OSB (oriented strand board) bzw. Grobspanplatten her, die sie auch in Baden-Württemberg vertreiben. Bei der Antragstellerin zu 2 entspricht dies einem Anteil von 11 % ihres Gesamtumsatzes. Der Schwerpunkt der Vermarktung liegt im Bauwesen, wo die Platten vor allem als Werk- bzw. Baustoffe in baulichen Anlagen verwendet werden (u.a. als Innenverkleidung von Wänden und Decken, als tragende Decken- und Bodenkonstruktionen, im Fertighausbau sowie als nichttragende Unterlagen, insbesondere Laminat- und Parkettböden).
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Am 17.12.2018 haben die Antragstellerinnen beim erkennenden Gerichtshof Normenkontrollanträge gestellt. Diese begründen sie damit, dass sie jedenfalls Span- und OSB-Platten aus Kiefernholz nicht mehr in Deutschland auf den Markt bringen könnten. Denn der natürliche VOC-Gehalt des Kiefernholzes lasse sich auch durch eine Umstellung des Produktionsprozesses oder ähnliche Maßnahmen nicht auf die in der Verwaltungsvorschrift festgelegten Grenzwerte reduzieren. Bei Produkten aus Fichten-, Buchen- und Aspenholz erscheine dies zwar grundsätzlich möglich, die Anforderungen könnten jedoch keinesfalls schon jetzt erfüllt werden, da anerkannte Prüfungsmethoden erst seit kurzem feststünden. Hinzukomme, dass die Prüfergebnisse erfahrungsgemäß schwankten und eine gesicherte Feststellung einer Vielzahl von Prüfungen über lange Zeiträume hinweg bedürfe. Neben dem Ausschluss von Kiefernholz vom deutschen Markt bedingten die VOC-Grenzwerte auch eine massive Veränderung der Lagerlogistik an ihren Produktionsstandorten. Auch müssten für die in Deutschland zu vermarktenden Platten spezielle Lager geschaffen und die Rezepturen mit erheblichem wirtschaftlichem Aufwand verändert werden.
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Bei der angegriffenen Verwaltungsvorschrift handle es sich um eine normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift und damit um einen tauglichen Antragsgegenstand. Ihre Antragsbefugnis ergebe sich aus einer möglichen Verletzung von Art. 8 Abs. 4 der Bauproduktenverordnung (BauPVO) sowie Art. 12 Abs. 1 GG. Die einzuhaltenden Grenzwerte für VOC verstießen gegen Art. 8 Abs. 4 BauPVO. Die einschlägige harmonisierte Norm DIN EN 13986 „Holzwerkstoffe zur Verwendung im Bauwesen - Eigenschaften, Bewertung der Konformität und Kennzeichnung“ sei in ihrem Anwendungsbereich abschließend. Insofern handle es sich bei den angegriffenen Anforderungen in den ABG um unzulässige nationale Nachregulierungen. Schließlich fehle es derzeit an gesicherten Forschungsergebnissen hinsichtlich gesundheitsschädlicher Auswirkungen von VOC-Emissionen und erst recht an einer fachlichen Grundlage für die streitgegenständlichen Grenzwerte. Insofern würden sie in ihren Grundrechten nach Art. 12 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG verletzt. Ergänzend verweisen die Antragstellerinnen auf ein Urteil des Europäischen Gerichts - T-229/17 - vom 19.04.2019. Außerdem machen sie geltend, selbst nicht an den Anhörungsverfahren beteiligt worden zu sein.
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Die Antragstellerin zu 1 beantragt,
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die Verwaltungsvorschrift des Umweltministeriums und des Wirtschaftsministeriums über Technische Baubestimmungen (Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen - VwV TB) vom 20. Dezember 2017 - Az.: 45-2601.1/51 (UM) und Az.: 5-2601.3 (WM) -, soweit sie für Spanplatten Geltung beansprucht, hinsichtlich der in ihrem Anhang 8 (ABG) unter 2.2.1.1 enthaltenen Anforderungen an VOC-Emissionen betreffend die Summe der flüchtigen organischen Verbindungen (TVOCspez) und der Konzentrationen der schwerflüchtigen organischen Verbindungen (TSVOC), den nach einer Einzelstoffbewertung gebildeten (Summen)-R-Wert und die Mengenbegrenzung für nicht bewertbare VOC für unwirk-sam zu erklären.
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Die Antragstellerin zu 2 beantragt,
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die Verwaltungsvorschrift des Umweltministeriums und des Wirtschaftsministeriums über Technische Baubestimmungen (Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen - VwV TB) vom 20. Dezember 2017 - Az.: 45-2601.1/51 (UM) und Az.: 5-2601.3 (WM) -, soweit sie für OSB-Platten Geltung beansprucht, hinsichtlich der in ihrem Anhang 8 (ABG) unter 2.2.1.1 enthaltenen Anforderungen an VOC-Emissionen betreffend die Summe der flüchtigen organischen Verbindungen (TVOCspez) und der Konzentrationen der schwerflüchtigen organischen Verbindungen (TSVOC), den nach einer Einzelstoffbewertung gebildeten (Summen)-R-Wert und die Mengenbegrenzung für nicht bewertbare VOC für unwirk-sam zu erklären.
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Der Antragsgegner beantragt,
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die Anträge abzuweisen.
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Hierzu lässt er im Wesentlichen ausführen: Der Antragstellerin fehle bereits die erforderliche Antragsbefugnis. Ein Verstoß gegen das Marktbehinderungsverbot aus Art. Abs. 4 der Bauprodukten-Verordnung scheide von vornherein aus, weil sich die Harmonisierungswirkung der EN 13986 nicht auf darin nicht genannte „sonstige gefährliche Stoffe“ erstrecke; dies sei gerade der Sinn der in Abschnitt 4.8 enthaltenen Öffnungsklausel. Aus dem Anhang I Ziff. 3 Buchst. b lasse sich nicht ableiten, dass VOC nicht zu den gefährlichen Stoffen gehörten. Die Änderung zum Normauftrag (sog. Mandat) M/113 lege vielmehr das Gegenteil nahe. Auch im Rahmen der übrigen EU-Normung würden mit dem „Oberbegriff“ gefährliche Stoffe“ auch VOC-Emissionen eingeschlossen.
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Auch die geltend gemachten Grundrechtsverstöße lägen nicht vor. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass das DIBt inzwischen für die Produkte der Antragstellerinnen Gutachten erstellt habe, die ihr bescheinigten, dass die Anforderungen eingehalten würden. Insofern habe sie keinerlei Nachteile zu erwarten.
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Die Verwaltungsvorschrift sei, soweit sie angegriffen werde, rechtmäßig. Sie entspreche der Musterverwaltungsvorschrift. Das entsprechende Anhörungsverfahren sei ordnungsgemäß durchgeführt worden. Die seinerzeit abgegebenen Stellungnahmen hätten sich nicht explizit auf die Anforderungen zu VOC-Emissionen bezogen. Es sei nicht ersichtlich, inwiefern eine vorliegend einschlägige Stellungnahme unberücksichtigt geblieben sein sollte. Der Antragsgegner habe unter Berücksichtigung einschlägiger wissenschaftlicher Erkenntnisse von seiner Einschätzungsprärogative Gebrauch gemacht und die streitgegenständliche normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift erlassen. Die nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu stellenden Anforderungen seien dabei beachtet worden. Die angegriffenen Vorschriften bewegten sich auch in dem durch die Ermächtigungsgrundlage vorgezeichneten Rahmen. Nach § 3 Satz 1 Halbs. 2 LBO seien bei der Auslegung des bauordnungsrechtlichen Gefahrenbegriffs auch die Grundanforderungen an Bauwerke gemäß Anhang I der Bauproduktenverordnung zu berücksichtigen. Damit sollten die von VOC-Emissionen ausgehenden Gefahren als solche im baurechtlichen Sinne verstanden werden. Aufgrund des weiteren Sachvortrags komme es auch nicht auf die vom Senat vorgenommene Differenzierung zwischen Gefahrenabwehr und Gefahrenvorsorge an. Ein Nachweis jeder einzelnen Wirkbeziehung zwischen einer bestimmten Konzentration und Zusammensetzung in der Innenraumluft sei wissenschaftlich nicht leistbar. Es reiche aus, dass die Gefahren ausgehend von nahezu allen Einzelstoffen nachgewiesen seien; zugleich sei die zu erwartende additive Wirkung belegt. Schließlich sei zu erwarten, dass die bereits angewandte horizontale Prüfnorm EN 16516 auch in die harmonisierten Produktnormen überführt werde. Gefahren durch flüchtige organische Verbindungen seien allgemein wissenschaftlicher Konsens. Deren Wirkungen könnten von Geruchsempfindungen und Reizwirkungen auf die Schleimhäute von Augen und Nase und Rachen über Wirkungen auf das Nervensystem hin zu Langzeitwirkungen reichen. Zur toxikologischen Bewertung von aus Bauprodukten emittierenden Stoffen könnten die bereits verfügbaren Informationen herangezogen werden, die in vielen Fällen Kenntnisse über Dosis-Wirkung-Beziehungen enthielten. Daraus ließen sich wiederum Konzentrationsniveaus ermitteln, unterhalb derer keine nachhaltig nachteiligen Wirkungen (mehr) zu befürchten seien. Insoweit werde auf das AgBB-Bewertungsschema 2018 verwiesen. Eine Orientierung hinsichtlich der gesundheitlichen Relevanz der einzelnen Emissionen ließen die wissenschaftlich abgesicherten NIK- bzw. LCI-Werte erkennen, unterhalb derer von einem Einzelstoff keine nachteiligen Wirkungen anzunehmen seien. Auch die Antragstellerinnen behaupteten nicht, dass die Ungefährlichkeit von VOC-Emissionen aus OSB-Platten erwiesen sei. Besonders schutzbedürftige Gruppen seien besonders anfällig.
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Entgegen der Auffassung des Senats im vorläufigen Rechtsschutzverfahren setzten die festgelegten Werte nicht weit im Vorfeld einer drohenden Schädigung an, sondern seien zur Abwehr der mit VOC-Emissionen verbundenen Gefahren erforderlich. Die Kriterien seien so gewählt, dass sie Gesundheitsgefahren in Aufenthaltsräumen abwehrten. Risiken für besonders vorbelastete Menschen seien nicht abgedeckt. Ein EU-LCI- bzw. NIK-Wert werde erst abgeleitet, wenn belastbare toxikologische Daten vorlägen sowie der Schadensverlauf und die Eintrittswahrscheinlichkeit sicher beurteilt werden könnten. Es habe sich in Tierversuchen mit Gemischen aus mehreren VOC gezeigt, dass die Wirkungen der einzelnen VOC additiv seien. Auch in Studien mit Menschen habe sich bestätigt, dass eine zu erwartende Wirkung von VOC-Mischungen die Summe der Wirkungen ihrer Komponenten sei. Der R-Wert basiere damit auf einer wissenschaftlich abgeleiteten und experimentell nachgewiesenen Schadensprognose und diene der Gefahrenabwehr. Bei einem TVOC-Summenwert jenseits der Grenze von 1 mg/m3 (in der Raumluft) seien gesundheitliche Beschwerden zu erwarten, die Gegenmaßnahmen erforderten. Die ABG beruhten auf einer rechnerischen Nachmodellierung eines Referenzraums anhand von Prüfkammertests. Verschiedene Studien zeigten, dass die TVOC-Konzentration auch ohne Kenntnis der genauen Zusammensetzung des jeweiligen Stoffgemisches ein guter Indikator für hierdurch verursachte Gesundheitsgefahren sei. Eine reine Einzelfallbetrachtung ließe demgegenüber wesentliche Gefahren außer Betracht. Bereits bei der niedrigsten in der Versuchskammer eingesetzten TVOC-Konzentration von 1 mg/m3 seien bei einer Expositionszeit von nur 50 Minuten erste Befindlichkeitsstörungen und Reizwirkungen genannt worden. Verschiedene Studien hätten Gesundheitsgefahren aufgrund des Summeneffekts von VOC bestätigt. Die TSVOC-Begrenzung stelle sicher, dass Menschen in neuen oder renovierten Gebäuden keinen Gesundheitsgefahren durch das Austreten diverser SVOC aus der Bausubstanz ausgesetzt seien. Die Exposition gegenüber diversen unbekannten oder nicht mit einem NIK-Wert versehenen Stoffen erhöhe die Wahrscheinlichkeit einer gesundheitlichen Gefährdung, was eine Gesamtbegrenzung auf 100 µg/m3 unabdingbar mache. Auch VOC-Emissionen aus OSB-Platten seien nach Umfang und Auswirkungen „breit nachgewiesen“. Die gesundheitliche Relevanz der einzelnen Emissionen folge aus den wissenschaftlich abgeleiteten NIK- bzw. LCI-Werten, unterhalb derer von einem Einzelstoff keine nachteiligen Wirkungen zu erwarten seien. Insoweit sei auch auf die sog. Fact-Sheets hinzuweisen, aus denen sich Gefahrenhinweise bzw. -kategorien ergäben, sowie auf die Einstufungen von auch aus OSB-Platten austretender Stoffe nach der CLP-Verordnung, insbesondere die sog. H-Sätze. Aus aktuellen Studien (Anlagen 28 ff.) zur Innenraumqualität bei Neubauten seien hohe Emissionen mit negativen Auswirkungen etwa auf die Lungenfunktion (Anlage 31) bekannt. Auch deutsche Fallbeispiele (Anlage 32 u. 33) belegten mögliche Auswirkungen der Verwendung von OSB-Platten. Die von der Antragstellerin vorgelegten Belege könnten den wissenschaftlichen Konsens der Gefährlichkeit von VOC-Emissionen im Allgemeinen oder in Bezug auf OSB-Platten nicht erschüttern. Bei dem HOMERA-Abschlussbericht handle es sich lediglich um eine Vorstudie, die zudem methodische Mängel aufweise. Der kritische gesundheitliche Wirkungsendpunkt der Holzemissionen werde nur in einer einzigen Studie (Gminski u. a., 2011) betrachtet, die durch den Holzabsatzfonds und die Arbeitsgruppe VOC der holzproduzierenden Hersteller finanziert worden sei. Auch die Studie von Ohlmeyer basiere lediglich auf Untersuchungen der akuten Toxizität von VOC. Relevant seien indessen primär die Wirkungen bei längerfristigen und wiederholten Expositionen. Die Studie „GesundHolz“ befinde sich schließlich noch im Entwurfsstudium. Inzwischen seien (am 28.08.2018) auch die entsprechenden Prüfprogramme und -bedingungen abgestimmt worden; danach müssten die Proben (erst) spätestens 16 Wochen nach Erreichen der Handelsfähigkeit gezogen und emissionsarm verpackt werden. Die Hersteller hätten schließlich zahlreiche Steuerungsmöglichkeiten hinsichtlich der VOC-Emissionen.
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Die angegriffenen Vorschriften verstießen auch nicht gegen die Bauproduktenverordnung. Denn in ihrem Anwendungsbereich sei von einer sukzessiven Harmonisierung auszugehen, die nationale Regelungen nur dann ausschließe, wenn (bereits) harmonisierte technische Spezifikationen bestünden, die nationale Regelungen ausschließen sollten. Insoweit bestehe allenfalls eine Vollständigkeitsvermutung, aber keine Vollständigkeitsfiktion. Die Reichweite der Harmonisierungswirkung sei durch Auslegung zu ermitteln, wobei die harmonisierten Normen selbst Teil des Unionsrechts seien. Aus Abschnitt 4.8 der EN 13986 ergebe sich indes, dass für „sonstige gefährliche Stoffe“ tatsächlich keine Harmonisierungswirkung bestehe. Eine andere Auslegung stünde zudem in Widerspruch zu Art. 114 AEUV. Auch im Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 16.10.2014 - C-100/13 - finde sich kein Hinweis, dass stets von der Vollständigkeit harmonisierter Normen auszugehen sei. Erst recht könne davon nicht bei ausdrücklich lückenhaften Normen ausgegangen werden. Die angegriffenen Anforderungen stünden mit den materiellen Wertungen sowohl der Bauproduktenverordnung als auch der Landesbauordnung, insbesondere mit § 3 Abs. 1 Satz 1 LBO in Einklang, wonach auch die Grundanforderungen an Bauwerke zu berücksichtigen seien. In Anhang I zur Bauproduktenverordnung seien unter „3. Hygiene, Gesundheit und Umweltschutz“ in Buchstabe b ausdrücklich Emissionen von gefährlichen Stoffen, flüchtigen organischen Verbindungen, Treibhausgasen oder gefährlichen Partikeln in die Innen- und Außenluft aufgeführt. Bereits daraus ergebe sich, dass VOC-Emissionen zu regulieren seien. Grundrechte der Antragstellerinnen würden nicht verletzt. Die Hersteller könnten die entsprechenden Vorgaben mit relativ geringem Aufwand - etwa durch entsprechende Lagerung - einhalten und gegebenenfalls auch (teilweise) auf Kiefernholz verzichten.
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Unter dem 10.07.2020 haben die Antragstellerinnen noch ausgeführt, dass die Antragserwiderung nicht nachzuweisen vermöge, dass die einzuhaltenden Grenzwerte für VOC-Emissionen i. S. des Gesundheitsschutzes und der Gefahrenabwehr erforderlich seien. Insofern fehle es bereits an einer Rechtsgrundlage. Auch aus den von ihnen eigens eingeholten Gutachten vom 10.06. bzw. 06.07.2020 ergebe sich, dass die Grenzwerte allenfalls im Bereich der Gefahrenvorsorge angesiedelt seien und es keine belastbaren Hinweise auf Gesundheitsgefahren gebe. Demgegenüber bezögen sich die vom Antragsgegner angeführten Studien, worauf der Senat bereits in seinen Eilbeschlüssen hingewiesen habe, fast ausschließlich auf VOC bzw. VOC-Gemische, die nicht aus Holz bzw. Holzwerkstoffen emittiert würden oder befassten sich gar nicht mit gesundheitlichen Auswirkungen. Auch weise das den ABG zugrundeliegende Bewertungskonzept grundsätzliche Mängel auf.
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Zwar habe die Antragstellerin zu 2 inzwischen Gutachten des DIBt eingeholt, diese verursachten jedoch einen erheblichen Verwaltungs- und Kostenaufwand, der in regelmäßigen Abständen immer wieder anfalle. Außerdem beschränke sich deren Aussagkraft auf die konkret getesteten Platten. Aufgrund der natürlichen Schwankungsbreite könnten Platten derselben Produktart die Grenzwerte einmal unter- und ein andermal überschreiten. Dies liege an der jeweiligen Verfügbarkeit der verwendeten Holzarten. Auch die Vielfalt weiterer Einflussfaktoren (Alter, Herkunft, Abtrocknungsgrad) könne in den Gutachten nicht abgebildet werden. Insofern trügen sie als Herstellerinnen weiterhin das Verwendungsrisiko, was sich allenfalls durch äußerst umfangreiche und aufwändige eigene Prüfmaßnahmen vermeiden ließe. Aber auch dann könnten verschiedene Platten nicht in Deutschland vertrieben werden. Im Übrigen bestehe weiterhin - jedenfalls teilweise - ein faktisches Vermarktungsverbot. Der Vorsorgecharakter der ABG und der NIK-Werte ergebe sich bereits aus ihrer Zielsetzung, ein Konzentrationsniveau zu ermitteln, unterhalb dessen keine nachteiligen Wirkungen mehr zu befürchten seien. Der TVOC-Wert und der R-Wert könnten schließlich durchaus zu unterschiedlichen Bewertungen führen. Für Spanplatten lägen bislang praktisch keine Messwerte vor. Deren Substanzen entsprächen zwar grundsätzlich denen aus OSB-Platten, sie lägen jedoch in der Summe auf einem niedrigen Niveau. Eine Übertragung von Emissionswerten aus Prüfkammern sei nachweislich nicht möglich. Auch nähmen die Emissionen immer mehr ab und würden zudem gegen den Innenraum „abgeschirmt“. TVOC- und TSVOC-Werte seien, worauf bereits der Senat hingewiesen habe, toxikologisch nicht aussagekräftig. Fragwürdig seien auch die NIK-Werte und die unterstellte additive Wirkung verschiedener VOC. Die EU-Kommission stelle in einem „Delegated Act“ auch auf individuelle Werte ab. Besonders problematisch sei, dass Formaldehyd in die Bildung des R-Werts einbezogen werde, was sich bei Spanplatten gravierend auswirke. Damit werde letztlich die für diesen Stoff maßgebliche, auf der DIN EN 13986 beruhende Emissionsklasse E 1 unterlaufen. Insofern könnten Spanplatten letztlich nicht anders als OSB-Platten behandelt werden. Nach Aussage ihres Gutachters schlössen human-toxikologische Untersuchungen Hinweise auf gesundheitliche Gefährdungen sogar aus. Krebserregende Stoffe sowie schwerflüchtige VOC (SVOC) spielten bei den in Rede stehenden Platten ohnehin keine Rolle.
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Auf eine Anhörung zur angegriffenen Verwaltungsvorschrift habe auch nicht verzichtet werden können, weil sie inhaltlich teilweise - etwa hinsichtlich des Brandschutzes - nicht der Musterverwaltungsvorschrift entspreche. Insofern hätte insgesamt eine neue Anhörung durchgeführt werden müssen. Im Übrigen sei die zur Musterverwaltungsvorschrift durchgeführte Anhörung im Hinblick auf die Stellungnahme des Deutschen Holzwirtschaftsrats vom 30.06.2017 fehlerhaft gewesen. Ohnehin sei nur die im August 2017 veröffentlichte Fassung Gegenstand der Anhörung gewesen. Bei der Fassung vom Dezember 2017 handle es sich nicht lediglich um eine „Druckfehlerkorrektur“.
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Mit dem klarstellenden Hinweis in § 3 Abs. 1 LBO auf den Anhang 1 der Bauproduktenverordnung sei keine inhaltliche Erweiterung der Schutzziele der Generalklausel verbunden.
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Nach wie vor sei von einem Verstoß gegen Art. 8 Abs. 4 BauPVO auszugehen. Die Bauproduktenverordnung toleriere es nicht, harmonisierte Normen von vornherein mit einem Vorbehalt oder einer Öffnungsklausel zu versehen. Insofern könne es sich allenfalls um einen unzutreffenden Hinweis handeln. Darauf, ob diese mit „gefährlichen Stoffen“ auch VOC erfasse, komme es nicht mehr an. Auch das vom Antragsgegner angeführte geänderte Mandat M/113 differenziere zwischen gefährlichen Stoffen und VOC. Was unter „gefährlichen Stoffen“ zu verstehe sei, werde in den verschiedenen EU-Rechtsakten durchaus unterschiedlich definiert.
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Der Antragsgegner hat unter dem 29.09.2020 noch wie folgt vorgetragen: Darüber, ob überhaupt gesundheitliche Auswirkungen zu erwarten seien und VOC regelmäßig mindestens eine additive Wirkung entfalteten, sei ggf. Beweis zu erheben, sofern es nicht ohnehin nur um die Verhältnismäßigkeit der angegriffenen Vorschriften zur Abwehr von Gefahren gehen sollte. Es werde weiterhin davon ausgegangen, dass sie zum Gesundheitsschutz erforderlich seien.
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Solange die Antragstellerinnen keine weiteren (freiwilligen) Angaben zu ihren Produkten machen wollten, müssten sie auch keine Gutachten des DIBt einholen. Ggf. könnten sie auch eine andere Art der Nachweisführung wählen oder diese den am Bau Beteiligten überlassen.
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Die Gefahrenprognose werde auf die Ableitung von NIK/LCI-Werten zur Beurteilung der Schwellen gestützt, ab denen von Einzelstoffen Beeinträchtigungen für die menschliche Gesundheit ausgingen, sowie auf die Annahme einer (mindestens) additiven Wirkung von VOC, die insbesondere bei aldehydreichen Stoffgemischen typischerweise anzunehmen sei. Mit den Ergebnissen aus den Prüfkammerverfahren würden die tatsächlichen Immissionen in der Innenraumluft jedenfalls eher unter- als überschätzt, zumal die tatsächlichen Lüftungsraten deutlich geringer seien. Das Abklingverhalten im Realraum sei auch deutlich geringer ausgeprägt als in der Prüfkammer; es verlangsame sich nach dem 28.Tag deutlich; einzelne Emissionen würden nachträglich sogar noch ansteigen. Die Festlegung von Grenzwerten sei lediglich eine Frage der Verhältnismäßigkeit. Die Regulierung beruhe auch auf der Berücksichtigung weiterer Effekte. Hofmann/Maraun hätten in ihrem Abschlussbericht vom 17./18.2020 zu einem Forschungsvorhaben des DIBt herausgearbeitet (Anlage 44), dass die angegriffenen Vorschriften gerade einmal geeignet seien, im Realraum die Einhaltung des Richtwerts II einzuhalten, der die Grenze zur Erforderlichkeit von Gefahrenmaßnahmen markiere.
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Aus Art. 8 Abs. 3 BauPVO ergebe sich im Umkehrschluss, dass die Mitgliedstaaten durchaus zu Bezugnahmen auf andere Kennzeichnungen befugt seien, sofern die Vorgabe „diesbezüglich“ nicht verletzt werde.
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Dass der sog. R-Wert auch unter Einbeziehung von Formaldehyd gebildet werde, verstoße keineswegs gegen Unionsrecht. Solange es kein europäisches Klassifizierungssystem gebe, könnten die Mitgliedsstaaten, wie sich aus Art. 27 Abs. 6 BauPVO ergebe, ihr eigenes System anwenden. Der R-Wert stelle letztlich eine zulässige Leistungsvorgabe dar. An den Schwellenwert der Chemikalien-Verordnung von 0,124 mg/m3 sei er nicht gebunden. Die mit der Einbeziehung von Formaldehyd in den R-Wert verbundene Dynamisierung der baurechtlichen Vorgabe zur Formaldehydabgabe sei aufgrund der additiven Wirkung nicht zu beanstanden.
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Zur Klärung der Fragen, ob Art. 8 Abs. 4 BauPVO einer Regelung entgegenstehe, die Leistungsanforderungen an ein von einer harmonisierten Norm nicht erfasstes wesentliches Merkmal aufstelle, und eine Öffnungsklausel wie in Abschnitt 4.8 der EN 13986 dahin zu verstehen sei, dass die betreffenden Merkmale nicht von der harmonisierten Norm erfasst seien und Abschnitt 4.8 dieser Norm sich auch auf VOC beziehe, liege es nahe, ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV einzuholen.
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Auf den Antrag der Antragstellerin zu 2 hatte der Senat mit Beschluss vom 10.07.2019 - 8 S 3008/18 - die Verwaltungsvorschrift in dem von ihr angegriffenen Umfang bis zur Entscheidung in diesem Verfahren außer Vollzug gesetzt. Den Antrag der Antragstellerin zu 1 hatte er mangels erheblicher Nachteile abgelehnt.
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Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die vom Antragsgegner vorgelegten Verwaltungsakten sowie die im vorläufigen Rechtsschutzverfahren - 8 S 3008/18 - sowie in den Parallelverfahren - 8 S 2962/18 und 8 S 2944/18 - angefallenen Senatsakten verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die Anträge der Antragstellerinnen, die Verwaltungsvorschrift des Umweltministeriums und des Wirtschaftsministeriums über Technische Baubestimmungen vom 20.12.2017 hinsichtlich darin enthaltener, auch für OSB-Platten bzw. Spanplatten geltender Anforderungen an VOC-Emissionen für unwirksam zu erklären, haben in dem beantragten Umfang Erfolg.
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1. Die Anträge sind nach § 47 Abs. 1 VwGO statthaft und auch sonst zulässig.
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a) Die angegriffene Verwaltungsvorschrift ist zulässiger Gegenstand eines Antrags nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO. Zwar unterliegen Verwaltungsvorschriften in der Regel nicht der Normenkontrolle, da es sich bei ihnen um keine (Außen-)Rechtssätze handelt. Anders verhält es sich jedoch dann, wenn eine gesetzliche Regelung - wie hier § 73a Abs. 1 u. 5 LBO - zur Konkretisierung gesetzlicher Anforderungen (hier: aus § 3 Abs. 1 Satz 1 LBO) auf eine Verwaltungsvorschrift verweist, die kraft Gesetzes - vorbehaltlich der hier nicht einschlägigen sog. Innovationsklausel in § 73a Abs. 1 Satz 2 LBO - eine Beachtenspflicht in Bezug auf die als Technische Baubestimmungen eingeführten technischen Regeln auslösen soll und damit diesen (jedenfalls) gegenüber den für den Bau Verantwortlichen eine verordnungsgleiche Außenrechtswirkung in Bezug auf die Standardisierung technischer Anforderungen verleiht (vgl. § 73a Abs. 1 Satz 2 LBO; vgl. BVerwG, Beschl. v. 25.11.1993 - 5 N 1.92 -, BVerwGE 94, 335; Urt. v. 26.01.1996 - 8 C 19.94 -, BVerwGE 100, 262; Urt. v. 25.11.2004 - 5 CN 1.03 -, BVerwGE 122, 26; Panzer, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO <38. EL Jan. 2020>, § 47 Rn. 26, 30; Ziekow, in Sodan/Ziekow, VwGO 5. A. 2018 - § 47 Rn. 126; Winkelmüller/van Schewick/Müller, Bauproduktrecht und technische Normung, 2015, Rn. 476 ff.; a.A. OVG NW, Beschl. v. 20.07.2010 – 2 A 61/08 -, juris Rn. 17).
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Ob die Technischen Baubestimmungen, soweit sie hier angegriffen sind, eine normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift in dem Sinne darstellen sollen, dass ihnen gegebenenfalls auch eine die Gerichte bindende Wirkung zukäme (vgl. BVerwG, Urt. v. 28.10.1998 - 8 C 16.96 -, BVerwGE 107, 338), wovon der Antragsgegner im Hinblick auf § 73a Abs. 5 Satz 1 LBO auszugehen scheint, mag hier dahinstehen.
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b) Die Antragstellerinnen sind auch antragsbefugt, da sie geltend machen können, durch die Anwendung der Verwaltungsvorschrift - faktisch - in ihrer Berufsfreiheit verletzt zu sein (vgl. Art. 12 Abs. 1 GG), auch wenn sich die Bauwerksanforderungen unmittelbar nur an den Bauherrn bzw. die sonstigen am Bau Beteiligten richten. Denn den - zur Erhaltung der weiteren Verkehrsfähigkeit ihrer Span- bzw. OSB-Platten - erforderlichen Nachweis zu deren Erfüllung können letztlich nur sie als Hersteller erbringen. Betroffen ist hier freilich nicht ihre Berufswahl, sondern (lediglich) ihre Berufsausübung (vgl. Jarass/Pieroth, GG 15. A. 2019, Art. 12 Rn. 10, 10a). Darauf können sich sowohl die Antragstellerin zu 1 als inländische (vgl. Art. 19 Abs. 3 GG) als auch die Antragstellerin zu 2 als ausländische juristische Person - freilich nur über Art. 2 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG, Beschl. v. 04.11.2015 - 2 BvR 282/13, 2 BvQ 56/12 -, NJW 2016, 292) - berufen.
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Beide Antragstellerinnen können sich auch auf einen möglichen Verstoß gegen das Marktbehinderungsverbot des Art. 8 Abs. 4 BauPVO berufen, auch wenn nur die Antragstellerin zu 2 von der in dieser Vorschrift konkretisierten Warenverkehrsfreiheit im Binnenmarkt (vgl. Artt. 28, 34 AEUV) Gebrauch macht. Denn die unmittelbar geltende Bauproduktenverordnung dient darüber hinaus der Schaffung einer in allen Mitgliedstaaten einheitlichen (harmonisierten) Regelung. Insofern haben die von ihr Betroffenen, zu denen auch die Hersteller gehören, unmittelbar die sich aus der Bauproduktenverordnung ergebenden Pflichten zu beachten, aber eben auch nur diese, sodass die darin liegende „Vereinfachung“ auch ihren Interessen zu dienen bestimmt ist (vgl. dazu etwa die Erwägungsgründe 34 ff.).
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Der Umstand, dass für einzelne Produkte der Antragstellerin zu 2 mittlerweile Gutachten des DIBt vorliegen, mit denen der erforderliche Nachweis erbracht werden kann, ändert nichts. Denn in ihren Rechten wäre sie bereits dann verletzt, wenn die angegriffenen Anforderungen an ihre Produkte nicht gestellt werden durften.
37
Auch das erforderliche Rechtsschutzinteresse kann ihr deswegen - schon im Hinblick auf etwa weiter erforderlich werdende Nachweise - nicht abgesprochen werden.
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2. Die Anträge sind auch im jeweils beantragten Umfang begründet.
39
Dass die Antragstellerin zu 1 Spanplatten und die Antragstellerin zu 2 OSB bzw. Grobspanplatten herstellt, rechtfertigt im Folgenden keine unterschiedliche rechtliche Beurteilung. Dass die Antragstellerin zu 1 aufgrund der von Spanplatten ausgehenden geringeren VOC-Emissionen weniger betroffen ist, was im vorläufigen Rechtsschutzverfahren dazu geführt hat, dass es an entsprechenden Nachteilen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung gefehlt hat, kommt im Hauptsacheverfahren nicht mehr zum Tragen. Vielmehr begründete dieser Umstand eher noch Zweifel, ob an Spanplatten dieselben Anforderungen gestellt werden durften.
40
Die Technischen Baubestimmungen entsprechen, soweit sie von den Antragstellerinnen angegriffen werden, schon nicht den gesetzlichen Anforderungen nach der Landesbauordnung. Darauf, ob sie den für normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften aufgestellten (weiteren) Anforderungen des Bundesverwaltungsgerichts entsprächen (vgl. BVerwG, Urt. v. 28.10.1998, a.a.O.), kommt es nicht an. Denn auch eine Verwaltungsvorschrift, der nur gegenüber den Normadressaten (Bauherrn oder sonstigen am Bau Beteiligten) - und nicht gegenüber den Gerichten - Außenwirkung zukommen soll (vgl. § 73a Abs. 1 Satz 2 LBO), muss formell und materiell rechtmäßig sein.
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a) Ob alle in der Verwaltungsvorschrift enthaltenen Technischen Baubestimmungen von den obersten Baurechtsbehörden in dem dafür vorgesehenen Verfahren erlassen worden sind (vgl. § 73a Abs. 5 Sätze 1 und 2 LBO), mag dahinstehen. Denn selbst dann, wenn bei der Bekanntmachung der Verwaltungsvorschrift in einem Teilbereich (Brandschutz) (erheblich) von der Musterverwaltungsvorschrift abgewichen worden und insoweit ein weiteres Anhörungsverfahren erforderlich gewesen sein sollte, stellte dies die Wirksamkeit der offensichtlich davon abtrennbaren Anforderungen im angegriffenen Anhang 8 der Verwaltungsvorschrift nicht in Frage.
42
Inwiefern bereits das zur Musterverwaltungsvorschrift durchgeführte Anhörungsverfahren nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden sein sollte, wie die Antragstellerinnen mit dem Hinweis auf unberücksichtigt gebliebene Kreise meinen, vermag der Senat nicht erkennen. Die Antragstellerinnen als einzelne Unternehmen mussten nicht beteiligt zu werden (vgl. dazu Tophoven, in: BeckOK UmweltR, § 51 BImSchG, Rn 5; Hofmann/Koch, in: GK BImschG Rn.21). Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Entwurf nach Durchführung der Anhörung in der Sache geändert worden wäre. Dass eine Stellungnahme beteiligter Kreise - etwa die der Deutschen Holzwirtschaft vom 30.06.2017 - nicht in deren Sinne Berücksichtigung gefunden haben mag, macht das Anhörungsverfahren noch nicht fehlerhaft. Insbesondere besteht keine Pflicht, eine solche durch eine eigene Stellungnahme zu erörtern oder gar formal zurückzuweisen (vgl. Thiel, in: Landmann/Rohmer UmweltR <92. EL Feb. 2020>, § 51 BImSchG Rn. 26 f.). Abgesehen davon führte eine etwa unzureichende Auseinandersetzung in der Sache mangels besonderer Schwere noch nicht zur Unwirksamkeit der Verwaltungsvorschrift aus formellen Gründen (vgl. Thiel, a.a.O., Rn. 30 f.; anders für den - hier freilich nicht vorliegenden - Fall einer gar nicht oder zu spät erfolgten Beteiligung Jarass, BImSchG 13. A. 2020, § 51 Rn. 4).
43
b) Die hier in Rede stehenden Technischen Baubestimmungen sind jedoch nicht von der Rechtsgrundlage in § 73a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 LBO gedeckt, auf die sie allein gestützt sind, sodass es auf die von den Beteiligten - zunächst allein - in den Vordergrund gestellte und in ihren Schriftsätzen ausführlich behandelte Frage einer Vereinbarkeit mit Unionsrecht, nämlich mit Art. 8 Abs. 4 der Bauproduktenverordnung i. V. m. der auf sie gestützten harmonisierten Norm DIN EN 13986 „Holzwerkstoffe zur Verwendung im Bauwesen - Eigenschaften, Bewertung der Konformität und Kennzeichnung“ sowie die Vereinbarkeit mit Grundrechten, insbesondere Art. 12 Abs. 1 GG, nicht mehr ankommt.
44
(1) Mit den angegriffenen Anforderungen an VOC-Emissionen sollen die Anforderungen des § 3 Abs. 1 Satz 1 LBO in Bezug auf die Leistung von Bauprodukten in bestimmten baulichen Anlagen und ihrer Teile konkretisiert werden, nämlich in Bezug auf Merkmale von Bauprodukten, die sich für einen Verwendungszweck auf die Erfüllung der Anforderungen nach § 3 Abs. 1 Satz 1 LBO auswirken (§ 73a Abs. 2 Nr. 3b LBO), ferner in Bezug auf Verfahren für die Feststellung der Leistung eines Bauprodukts im Hinblick auf solche Merkmale (§ 73a Abs. 2 Nr. 3c LBO) sowie schließlich in Bezug auf die für einen bestimmten Verwendungszweck erforderliche Leistung in Bezug auf ein solches Merkmal (§ 73a Abs. 2 Nr. 3f LBO). Dagegen handelt es sich, wie bereits aus dem für die Feststellung der Leistung maßgeblichen Verfahren („Prüfkammertests nach der prEN 16516:2015-05“) erhellt (vgl. auch 1 des Anhangs 8), nicht um unmittelbare Konkretisierungen in Bezug auf bestimmte bauliche Anlagen oder ihre Teile (§ 73a Abs. 2 Nr. 1 LBO) oder die Planung, Bemessung und Ausführung baulicher Anlagen und ihrer Teile (§ 73a Abs. 2 Nr. 2 LBO), wie es die Gliederungsüberschrift 2.2 ABG „Besondere Anforderungen an Aufenthaltsräume und baulich nicht davon abgetrennte Räume“ erwarten lässt.
45
(2) Einer Konkretisierung zugänglich sind nach § 73a Abs. 1 Satz1 LBO nur Anforderungen nach § 3 Abs. 1 Satz 1 LBO, mithin solche, die gewährleisten sollen, dass insbesondere durch bauliche Anlagen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung, insbesondere Leben, Gesundheit oder die natürlichen Lebensgrundlagen, nicht bedroht werden und jene ihrem Zweck entsprechend ohne Missstände benutzbar sind. § 3 Abs. 1 Satz 1 LBO gibt als Grundnorm den gesetzlichen Rahmen für das Bauordnungsrecht vor. Alle aufgrund der Landesbauordnung erlassenen Rechtsverordnungen, örtlichen Bauvorschriften, Verwaltungsvorschriften und Einzelanordnungen müssen sich, soweit nichts anderes bestimmt ist, in diesem Rahmen halten (vgl. Sauter, LBO 3. A. < Nov. 2019> § 3 Rn. 2, § 73 Rn. 16; auch Nds. OVG, Urt. v. 04.12.2015 - 1 LC 178/14 -, BauR 2016, 985).
46
Mit der Anforderung, dass „die öffentliche Sicherheit oder Ordnung, insbesondere Leben, Gesundheit oder die natürlichen Lebensgrundlagen, nicht bedroht werden“, ist die (klassische) Gefahrenabwehr (vgl. § 1 Abs. 1 PolG) und nicht eine darüberhinausgehende "Vorsorge" oder "Vorbeugung" angesprochen.
47
Mit der Anforderung, dass die baulichen Anlagen zweckentsprechend ohne Missstände benutzbar sein müssen, wird entgegen der Auffassung des Antragsgegners lediglich verdeutlicht, dass die Baugenehmigung nicht nur die Errichtung des Baukörpers, sondern auch die bestimmungsgemäße Nutzung der Anlage zum Gegenstand hat. Insofern ist für die Beurteilung, ob eine bauliche Anlage die öffentliche Sicherheit und Ordnung bedroht, nicht nur auf den Baukörper als solchen, sondern auch auf die Bausubstanz in der ihr zugedachten Funktion abzustellen. Missstände sind dementsprechend anzunehmen, wenn bei der bestimmungsgemäßen Nutzung - während der üblichen Lebensdauer der jeweiligen baulichen Anlage - die öffentliche Sicherheit und Ordnung beeinträchtigt wird (vgl. zum Ganzen Sauter, a.a.O., § 3 Rn. 19). Ist die Gefahrenprognose damit auch regelmäßig für eine längere Nutzungsdauer zu stellen und reicht es aus, dass auch erst nach Jahren mit einem Schadenseintritt zu rechnen ist (vgl. Schlotterbeck, in: ders./Hager/Busch/Gammerl, LBO/LOAVO 7. A. 2016, § 3 Rn. 30), bedeutet dies nicht, dass die Baurechtsbehörden zu einer Gefahrenvorsorge berufen wären. Dies gilt auch dann, wenn mit der weiteren Anforderung auch das „Bausozialrecht“ angesprochen sein sollte (vgl. Schlotterbeck, a.a.O., Rn. 40).
48
Soweit § 3 Abs. 1 Satz 1 LBO die Berücksichtigung der Grundanforderungen an Bauwerke gemäß Anhang 1 der Verordnung (EU) Nr. 305/2011 (Bauproduktenverordnung) vorsieht, führt auch dies entgegen der Auffassung des Antragsgegners nicht zu einer Erweiterung der sich aus § 3 Abs. 1 Satz 1 LBO ergebenden Hauptaufgabe des Bauordnungsrechts, Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwehren (vgl. dazu LT-Drs. 16/2745, S. 19).
49
Dass § 3 Abs. 1 LBO jedenfalls in vorliegendem Zusammenhang auch zur Gefahrenvorsorge ermächtigte, folgt auch nicht etwa aus der die Generalklausel bereits konkretisierenden Vorschrift des § 14 Abs. 2 LBO, wonach bauliche Anlagen u. a. so angeordnet, beschaffen und gebrauchstauglich sein müssen, dass u. a. durch chemische, physikalische und biologische Einflüsse bei sachgerechtem Gebrauch nicht Gefahren oder unzumutbare Belästigungen entstehen. Unter letzteren sind zwar Störungen des körperlichen oder seelischen Wohlbefindens zu verstehen, die (noch) nicht mit einem Schaden für die Gesundheit verbunden sind, aber von den Betroffenen rechtlich nicht mehr hingenommen zu werden brauchen (vgl. Sauter, a.a.O., § 14 Rn. 9). Jedoch führten solche Belästigungen zu einer Störung der öffentlichen Ordnung, sodass es auch insoweit um Gefahrenabwehr geht (vgl. BeckOK BauordnungsR BW <2020> / Spannowsky BW BWLBO § 3 Rn. 30); es wird lediglich ein anderes Schutzgut angesprochen.
50
Umfassen die Befugnisse und Ermächtigungen der Baurechtsbehörden - von besonders geregelten Ausnahmen einmal abgesehen (vgl. etwa § 15 Abs. 1 LBO zum vorbeugenden Brandschutz) - Vorsorgemaßnahmen nicht ausdrücklich, kann die in § 73a Abs. 1 Satz 1 LBO in Bezug genommenen Generalklausel auch nicht erweiternd i. S. einer Gefahrenvorsorge ausgelegt werden, indem den obersten Baurechtsbehörden, wie der Antragsgegner meint, eine "Einschätzungsprärogative" in Bezug darauf zugebilligt wird, ob die ihnen vorliegenden Erkenntnisse die Annahme einer (abstrakten) Gefahr rechtfertigen. Denn eine solche Einschätzungsprärogative ist dem in Generalklauseln nach Art des § 3 Abs. 1 Satz 1 LBO gefassten allgemeinen Recht der Gefahrenabwehr fremd (vgl. BVerwG, Urt. v. 03.07.2002 - 6 CN 8.01 -, BVerwGE 116, 347; i. E. wohl anders BeckOK, a.a.O., BWLBO § 3 Überblick u. Rn. 19 ff.; NdsOVG, Urt. v. 04.12.2015, a.a.O.). Auch der Verweis auf die Technischen Baubestimmungen, in denen eine Gefahrenvorsorge i. S. eines dynamischen Grundrechtsschutzes zum Ausdruck komme (vgl. BeckOK, a.a.O., BWLBO § 3 Rn. 20), führt nicht weiter, weil es sich insoweit um einen Zirkelschluss handelt.
51
Der klassische Gefahrenbegriff, der danach - jedenfalls im Grundsatz - auch der Landesbauordnung zugrunde liegt, ist dadurch gekennzeichnet, dass "aus gewissen gegenwärtigen Zuständen nach dem Gesetz der Kausalität gewisse andere Schaden bringende Zustände und Ereignisse erwachsen werden" (vgl. bereits PrOVG, Urt. v. 15.10. 1894, PrVBl 16, 125, 126). Schadensmöglichkeiten, die sich lediglich nicht ausschließen lassen, weil nach dem derzeitigen Wissensstand bestimmte Ursachenzusammenhänge weder bejaht noch verneint werden können, begründen noch keine Gefahr, sondern lediglich einen Gefahrenverdacht oder ein "Besorgnispotential" (vgl. BVerwG, Urt. v. 03.07.2002, a.a.O.; Urt. v. 19.12.1985 - 7 C 65.82 -, BVerwGE 72, 300, 315).
52
Maßgebliches Kriterium zur Feststellung einer Gefahr ist damit die hinreichende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts (vgl. BVerwG, Urt. v. 03.07.2002, a.a.O.; Urt. v. 26.02.1974 - 1 C 31.72 - BVerwGE 45, 51, 57). Das trifft nicht nur für die "konkrete" Gefahr zu, die zu Abwehrmaßnahmen im Einzelfall berechtigt, sondern grundsätzlich auch für die für Rechtsverordnungen nach § 73 Abs. 1 LBO - und auch für die auf § 73a Abs. 1 LBO gestützten Verwaltungsvorschriften - erforderliche "abstrakte" Gefahr (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 04.12.1975 - III 905/73 -; anders im Ergebnis Nds. OVG, Beschl. v. 04.12.2015, a.a.O.). Diese unterscheidet sich von der konkreten Gefahr nicht durch den Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts, sondern durch den Bezugspunkt der Gefahrenprognose bzw. die Betrachtungsweise: Eine konkrete Gefahr liegt vor, wenn in dem zu beurteilenden konkreten Einzelfall in überschaubarer Zukunft mit dem Schadenseintritt hinreichend wahrscheinlich gerechnet werden kann; eine abstrakte Gefahr ist gegeben, wenn eine generell-abstrakte Betrachtung für bestimmte Arten von Verhaltensweisen oder Zuständen zu dem Ergebnis führt, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Schaden im Einzelfall einzutreten pflegt und daher Anlass besteht, diese Gefahr mit generell-abstrakten Mitteln, also einem Rechtssatz zu bekämpfen; das hat (lediglich) zur Folge, dass auf den Nachweis der Gefahr eines Schadenseintritts im Einzelfall verzichtet werden kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 03.07.2002, a.a.O.; Beschl. v. 24.10.1997 - 3 BN 1.97 -, Buchholz 418.9 TierSchG Nr. 10). Auch die Feststellung einer abstrakten Gefahr verlangt mithin eine in tatsächlicher Hinsicht genügend abgesicherte Prognose: Es müssen - bei abstrakt-genereller Betrachtung - hinreichende Anhaltspunkte vorhanden sein, die den Schluss auf den - hier innerhalb der üblichen Nutzungsdauer der entsprechenden baulichen Anlagen - drohenden Eintritt von Schäden rechtfertigen. Dabei liegt es im Wesen von Prognosen, dass die vorhergesagten Ereignisse wegen anderer als der erwarteten Geschehensabläufe ausbleiben können. Von dieser mit jeder Prognose verbundenen Unsicherheit ist jedoch die Ungewissheit zu unterscheiden, die bereits die tatsächlichen Grundlagen der Gefahrenprognose betrifft. Ist die Behörde mangels genügender Erkenntnisse über die Einzelheiten der zu regelnden Sachverhalte und/oder über die maßgeblichen Kausalverläufe zu der erforderlichen Gefahrenprognose nicht im Stande, so liegt keine Gefahr, sondern - allenfalls - eine mögliche Gefahr oder ein Gefahrenverdacht vor. Zwar kann auch in derartigen Situationen ein Bedürfnis bestehen, zum Schutz der etwa gefährdeten Rechtsgüter, namentlich höchstrangiger Rechtsgüter wie Leben und körperlicher Unversehrtheit von Menschen, Freiheitseinschränkungen anzuordnen. Doch beruht ein solches Einschreiten dann nicht auf der Feststellung einer Gefahr; vielmehr werden in einem solchen Falle Risiken bekämpft, die jenseits des Bereichs feststellbarer Gefahren verbleiben. Das setzt eine Risikobewertung voraus (vgl. dazu EuGH, Urt. v. 23.09.2003 - C-192/01 -, juris Rn. 49 ff.), die - im Gegensatz zur Feststellung einer Gefahr - über einen Rechtsanwendungsvorgang weit hinausgeht und mehr oder weniger zwangsläufig neben der Beurteilung der Intensität der bestehenden Verdachtsmomente eine Abschätzung der Hinnehmbarkeit der Risiken sowie der Akzeptanz oder Nichtakzeptanz der in Betracht kommenden Freiheitseinschränkungen in der Öffentlichkeit einschließt, mithin - in diesem Sinne - "politisch" geprägt oder mitgeprägt ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 03.07.2002, a.a.O.; BVerfG, Beschl. v. 28.02.2002 - 1 BvR 1676/01 -, DVBl 2002, 614).
53
Eine derart weitreichende Bewertungs- und Entscheidungskompetenz steht den obersten Baurechtsbehörden aufgrund der Ermächtigungen nach § 73a Abs. 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 LBO nicht zu. Es wäre mit den Grundsätzen der Bestimmtheit gesetzlicher Ermächtigungen zum Erlass von Rechtsvorschriften oder Verwaltungsvorschriften der Exekutive und des Vorbehalts des Gesetzes nicht vereinbar, wenn die Exekutive ohne strikte Bindung an den überlieferten Gefahrenbegriff kraft eigener Bewertung über die Notwendigkeit oder Vertretbarkeit eines Erlasses von Rechts- oder Verwaltungsvorschriften entscheiden könnte. Die rechtsstaatliche und demokratische Garantiefunktion der sicherheitsrechtlichen Normermächtigungen wäre in Frage gestellt, könnte die Exekutive nach jenen Vorschriften bereits einen mehr oder minder begründeten Verdacht zum Anlass für generelle Freiheitseinschränkungen nehmen. Vielmehr ist es Sache des zuständigen Gesetzgebers, sachgebietsbezogen darüber zu entscheiden, ob, mit welchem Schutzniveau (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.12.1985, a.a.O., S. 316) und auf welche Weise Schadensmöglichkeiten vorsorgend entgegengewirkt werden soll, die nicht durch ausreichende Kenntnisse belegt, aber auch nicht auszuschließen sind. Allein der Gesetzgeber ist befugt, unter Abwägung der widerstreitenden Interessen die Rechtsgrundlagen für Grundrechtseingriffe zu schaffen, mit denen Risiken vermindert werden sollen, für die - sei es aufgrund neuer Verdachtsmomente, sei es aufgrund eines gesellschaftlichen Wandels oder einer veränderten Wahrnehmung in der Bevölkerung - Regelungen gefordert werden. Das geschieht üblicherweise durch eine Absenkung der Gefahrenschwelle in dem ermächtigenden Gesetz von der "Gefahrenabwehr" zur "Vorsorge" gegen drohende Schäden (vgl. etwa § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG, § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG, § 6 Abs. 2 GenTG, § 7 BBodSchG; zum Ganzen BVerwG, Urt. v. 03.07.2002, a.a.O.), wovon in § 3 Abs. 1 Satz 1 LBO gerade kein Gebrauch gemacht worden ist. Auch darin zeigt sich positivrechtlich, dass dem Gefahrenbegriff eben nicht aus sich heraus bereits eine Erstreckung auf die Aufgabe der Risiko- oder Gefahrenvorsorge innewohnt (zum Ganzen BVerwG, Urt. v. 03.07.2002, a.a.O.; auch Schlotterbeck, a.a.O., § 3 Rn. 22, 25; Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 3. A. 2001, Rn. 35; VGH BW, Urt. v. 28.07.2009 - 1 S 2200/08 -, VBlBW 2010, 29; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 16.10.2001 - 1 S 2346/00 -. VBlBW 2002, 292; di Fabio, JURA 1996, 566 <571>; anders wohl BeckOK, a.a.O., BWLBO § 3 Rn. 19 ff.; Nds. OVG, Urt. v. 04.12.2015, a.a.O.; BayVGH, Urt. v. 18.05.2017 - 2 B 17.543 -, NVwZ-RR 2017, 811; Sächs.OVG, Beschl. v. 11.02.2019 - 1 B 454.18 -, juris Rn. 17: „vorbeugender Gesundheitsschutz“).
54
Danach muss ausgehend von dem bereits erreichten Stand von Wissenschaft und Technik (vgl. BVerwG, Beschl. v. 16.02.1998 - 11 B 5.98 -, Buchholz 451.171 § 7 AtG Nr. 6 zu § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG) aus Tatsachen entweder der allgemeine praktische Verstand oder der wissenschaftliche Sachverstand, gestützt auf entsprechende Lebenserfahrungen oder (gesicherte) wissenschaftliche Erfahrungssätze, eine abstrakte Schädigungsvermutung belegen und begründen können (vgl. Di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 67; Pfaundler, UPR 1999, 336 <337>). Bei unterschiedlichen wissenschaftlichen Auffassungen müssen die, die entsprechende - hier gesundheitsschädliche - Auswirkungen erwarten, bei einer wertenden Betrachtung überwiegen (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 17.09.2020 - 9 S 2343/20 - zu Art. 14 Abs. 2 Buchst. a) der VO (EG) Nr. 178/2002).
55
(3) Ausgehend davon vermag der Senat jedoch nicht festzustellen (vgl. demgegenüber Senatsbeschl. v. 15.05.1991 - 8 S 1068/91 -, UPR 1992, 32 zur konkreten Gefahr bei Spritzasbestbeschichtung), dass der zum maßgeblichen Zeitpunkt (vgl. EuGH, Urt. v. 23.09.2003, a.a.O., juris Rn. 48) des Erlasses der Verwaltungsvorschrift - dem 20.12.2017 - vorhandene (gesicherte) Erkenntnisstand die Annahme einer abstrakten Gefahr für die menschliche Gesundheit gerechtfertigt hätte, sollten die angegriffenen Summengrenzwerte TVOCspez und TSVOC, der vorgegebene (Summen-)R-Wert oder die festgelegte Mengenbegrenzung (2.2.1.1 ABG) überschritten werden.
56
Obwohl dem Antragsgegner die vorläufige Einschätzung des Senats aus den in den vorläufigen Rechtsschutzverfahren ergangenen Beschlüssen bekannt war, hat dieser bis zuletzt nicht aufzuzeigen vermocht, dass mit der Überschreitung der von ihm festgelegten Summenwerte bereits die Gefahrenschwelle überschritten würde.
57
Dies geht weder aus den umfangreichen Schriftsätzen seines Prozessbevollmächtigten hervor, in denen solches zuletzt einfach behauptet wird, noch aus den vorgelegten zahlreichen Studien und sachverständigen Stellungnahmen. Auch den ergänzenden Erläuterungen der in der mündlichen Verhandlung informatorisch gehörten sachverständigen Personen bzw. Sachverständigen kann dies nicht entnommen werden. Soweit die Beteiligten bis kurz vor der mündlichen Verhandlung noch verschiedene, teilweise eigens für das Normenkontrollverfahren eingeholte gutachterliche Stellungnahmen und Studien vorgelegt haben, waren diese freilich nur insoweit zu berücksichtigen, als sie den seinerzeit vorhandenen Erkenntnisstand erläutern. Soweit sie dagegen aufgrund neuerer Untersuchungen gewonnene Erkenntnisse wiedergeben, waren sie aufgrund des für die rechtliche Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkts des Erlasses der Verwaltungsvorschrift schon nicht entscheidungserheblich.
58
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass es - entgegen der Auffassung des Antragsgegners - nicht allgemein um von irgendwelchen VOC-Emissionen ausgehende, irgendwann festgestellte nachteilige Wirkungen geht, die in Abhängigkeit von ihrer jeweiligen Konzentration in der Innenraumluft geeignet sein können, nicht nur zu Gesundheitsrisiken, sondern zu einer Gesundheitsgefährdung zu führen (vgl. zu von aus Ottokraftstoff stammenden VOC-Emissionen etwa die zur Umsetzung der Richtlinie 94/63/EG erlassene 20. BImSchV und BVerwG, Beschl. v. 18.06.2012 - 7 B 62.11 -, Buchholz 406.25 § 7 BImSchG Nr. 2). Vielmehr kommt es darauf an, ob gerade die Einhaltung der im Anhang 8 - Anforderungen an bauliche Anlagen bezüglich des Gesundheitsschutzes (ABG) - unter 2.2.1.1 konkret an VOC-Emissionen gestellten Anforderungen, soweit sie angegriffen sind, erforderlich waren, um (auch) von Span- und OSB-Platten (als verklebte Hölzer) - im Hinblick auf die aus ihnen emittierenden spezifischen VOCs - abstrakte Gesundheitsgefahren abzuwehren, weil die entsprechenden VOC-Emissionen sonst während der üblichen (langen) Nutzungsdauer der (schutzbedürftige Räume umfassenden) baulichen Anlage zu einer Gesundheitsschädigung (oder zu einer - hier freilich nicht in Rede stehenden - unzumutbaren Belästigung) führten.
59
Eine solche Annahme setzt voraus, dass die konkret festgelegten Summenwerte nicht nur geeignet sind, eine gesundheitsgefährdende Exposition der Nutzer von vornherein auszuschließen, sondern gerade die Schwelle zu konkretisieren, die Gefahrenabwehrmaßnahmen erst zulässt. Insofern steht keineswegs nur die Verhältnismäßigkeit von jedenfalls zulässigen Gefahrenabwehrmaßnahmen in Rede, wie der Antragsgegner meint.
60
Danach führt es von vornherein nicht weiter, wenn der Antragsgegner immer wieder darauf verweist, dass Wirkungen von VOCs von Geruchsempfindungen und Reizwirkungen auf die Schleimhäute von Augen und Nase und Rachen über Wirkungen auf das Nervensystem hin zu Langzeitwirkungen reichten, denn damit wird noch nicht einmal ansatzweise aufgezeigt, dass es zu solchen Wirkungen bereits bei Nichteinhaltung der in der Verwaltungsvorschrift enthaltenen, streitgegenständlichen Anforderungen käme. Ebenso wenig lässt der weitere Hinweis, dass „zur Vermeidung einer unendlichen Gesamtkonzentration an Stoffemissionen und damit zur Abwehr gesundheitlich nachteiliger Wirkungen“ die „einschlägigen ECA-Berichte“ eine Obergrenze für TVOC als eine Mindestanforderung für einen hinreichenden Gesundheitsschutz vorsähen (vgl. AgBB Bewertungsschema für VOC aus Bauprodukten 2018), erkennen, dass gerade die hier in Rede stehenden, von den in Anlage 3 aufgeführten Bauprodukten in der Prüfkammer einzuhaltenden Summenwerte jeweils zur Gefahrenabwehr erforderlich wären.
61
Dass mit den angegriffenen Anforderungen an VOC-Emissionen unter 2.2.1.1. nicht abstrakte Gefahren, sondern i. S. einer Gefahrenvorsorge nur möglichen, nicht ausschließbaren Gefahren entgegengetreten werden sollte, lässt bereits der Anhang 8 - Anforderungen an bauliche Anlagen bezüglich des Gesundheitsschutzes (ABG) - selbst bzw. das ihm zugrundliegende AgBB-Bewertungsschema (nunmehr veröffentlicht als AgBB-Bewertungsschema 2018) erkennen. Die damit verfolgte Zielsetzung, die jeweiligen Definitionen der zu bestimmenden Parameter, das maßgebliche Prüfverfahren und die daraus letztlich abgeleiteten, „gegriffen“ erscheinenden, als Grenzwerte zu beachtenden Summenwerte lassen - zumal vor dem Hintergrund der für Einzelstoffe vorhandenen Innenraumwerte RW II - nur den Schluss zu, dass eine über die Gefahrenabwehr hinausgehende Schadens- bzw. Risikovorsorge getroffen wurde, auch wenn der Antragsgegner dies neuerdings anders darzustellen versucht, indem er etwas andere Formulierungen verwendet, die nahelegen sollen, dass mit jenen Anforderungen tatsächlich abstrakte Gefahren abgewehrt werden sollten.
62
Bereits aus den von ihm selbst vorgelegten Verlautbarungen des Ausschusses für gesundheitliche Bewertung (AgBB) „Anforderungen an die Innenraumluftqualität in Gebäuden: Gesundheitliche Bewertung der Emissionen von flüchtigen organischen Verbindungen (VVOC, VOC, und SVOC)“ geht hervor, dass es bei dem auch den angegriffenen AGB zugrundeliegenden AgBB-Bewertungsschema, um die „Sicherung einer gesundheitlich (bzw. hygienisch) unbedenklichen Innenraumqualität in baulichen Anlagen“ und damit nicht um die Abwehr abstrakter Gefahren geht. Auch an anderer Stelle hat der Ausschuss bei Aktualisierung seines Bewertungsschemas die Notwendigkeit betont, die Eignung von Bauprodukten zur Verwendung in Innenräumen zu prüfen und zu bewerten, um die Sicherstellung einer gesundheitlich unbedenklichen Innenraumluftqualität als baurechtliches Schutzziel zu gewährleisten(https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/355/dokumente/aenderungen_und ergaenzungen_im_agbb-schema_2018.pdf). Dem entspricht, dass die Anforderungen in den ABG auch mit Blick auf sich in Aufenthaltsräumen aufhaltende (chronisch) kranke Menschen aufgestellt wurden, auf die nach (bau)polizeirechtlichen Grundsätzen nicht abgehoben werden kann (vgl. Sauter, LBO 3. A. , § 3 Rn. 12); aus § 3 Abs. 2 LBO lässt sich für das Bauordnungsrecht nichts anderes herleiten (vgl. hierzu Sauter, a.a.O., § 3 Rn. 49 ff.). Schließlich wird nach dem Bewertungskonzept auch der konsequente Einsatz emissionsarmer Bauprodukte angestrebt.
63
Dass es nicht um die Einhaltung von Gefahrenschwellen geht, kommt insbesondere darin zum Ausdruck, dass die einzuhaltenden Werte - einmal abgesehen von den nicht angegriffenen, ebenfalls einzuhaltenden Emissionswerten von 0,01 bzw. 0.001 mg/m3 für einzelne kanzerogene Stoffe der EU-Kategorie 1A und 1B nach der CLP-Verordnung (EG) - allesamt Summenwerte sind (TVOCspez-Wert, TSVOC-Wert, R-Wert nach gewichteter Einzelstoffbewertung, Mengenbegrenzung von VOC ohne Bewertungsmaßstäbe nach NIK), die sich aus der Aufsummierung verschieden bewerteter Einzelstoffkonzentrationen ergeben, denen ganz unterschiedlich hohe Risiken eigen sind. Auch eine in dem Bewertungsschema ohne weiteres und ohne jede Differenzierung angenommene additive Wirkung von VOC stellt für sich genommen noch keinen plausiblen Grund dar, unabhängig davon, welche VOC aus der sehr umfangreichen Liste ganz unterschiedlicher Zielverbindungen in Anlage 2 letztlich für die Überschreitung der jeweiligen Summenwerte in der Prüfkammer ursächlich waren, allgemein deren Einhaltung von allen Bauprodukten der Anlage 3 zu fordern. Dies gilt unabhängig davon, ob eine additive Wirkung nur bei gleichen Wirkungsendpunkten (vgl. Prof. Dr. Mersch-Sundermann in der mündlichen Verhandlung), bei ähnlich wirkenden Einzelstoffen - etwa für Terpene einerseits und Aldehyde anderseits (vgl. die entsprechenden Innenraumwerte des AIR), oder bereits dann angenommen werden konnte, wenn die Einzelstoffe jeweils inhalativ aufgenommen werden (vgl. Dr. Witten, AgBB, ebenfalls in der mündlichen Verhandlung). Soweit der Antragsgegner im Schriftsatz vom 29.09.2020 nun gar - von Ausnahmen abgesehen - unabhängig von den jeweiligen Einzelstoffen und deren bekannten Wirkungen verallgemeinernd von einer (mindestens) additiven Wirkung ausgeht, lässt sich dies auch nicht der von ihm als „Beleg“ vorgelegten, eigens für das Normenkontrollverfahren eingeholten Stellungnahme des Umweltbundesamtes vom 20.09.2020 (S. 12) entnehmen.
64
Mit der zunächst bestimmten (absoluten) Obergrenze für VOC-Emissionen (TVOCspez) soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass die Bewohner von Gebäuden immer einer Vielzahl von Substanzen ausgesetzt sind, weshalb eine unendliche Gesamtkonzentration an Stoffemissionen vermieden werden soll. Wissenschaftlich kontrollierte anerkannte Humanstudien und epidemiologische Untersuchungen sollen eine eindeutige konzentrationsabhängige Wirkungsbeziehung für gesundheitliche Effekte durch die Summe an definierten flüchtigen organischen Stoffen ergeben haben. Die in den ABG als TVOCspez bezeichnete Summe von VOC stellt freilich die Summe der Konzentrationen der substanzspezifisch quantifizierten Zielverbindungen (NIK-Stoffe) sowie der über das Toluoläquivalent quantifizierten, nicht identifizierten und Nichtzielverbindungen mit jeweils einer Konzentration ab 5 µg/m3 dar. Es liegt auf der Hand, dass sich allein mit der Überschreitung eines aus ganz unterschiedlich hohe Risiken aufweisenden Einzelstoffen gebildeten Summenwerts von 1 mg/m3 nicht ohne Weiteres eine (abstrakte) Gefahr begründen lässt. Dem entspricht auch der Hinweis in der von der Verwaltungsvorschrift für maßgeblich erklärten, inzwischen in Kraft getretenen, in der harmonisierten Produktnorm DIN EN 13986 freilich (noch) nicht in Bezug genommenen horizontalen Prüfnorm DIN EN 16516:2018-01, die der Antragsgegner als Beleg für eine Gefährlichkeit der hier in Rede stehenden VOC gewertet wissen will. So heißt es dort (a.a.O., S. 34):
65
„Die Emissionswerte für TVOC und TSVOC beinhalten eine undefinierte Mischung von Substanzen unterschiedlicher oder nicht genau definierter Toxizität. Sie sind keine zuverlässigen Indikatoren dafür, welche Wirkungen die Emissionen aus Produkten auf die menschliche Gesundheit haben.“
66
Dem entspricht auch, dass von dem beim Umweltbundesamt gebildeten Ausschuss für Innenraumwerte (AIR) bzw. seinem Vorgängergremium (Ad-hoc-Arbeitsgruppe Innenraumwerte der IRK/AOLG) einerseits - für einzelne Substanzen oder Substanzgruppen - bundeseinheitliche, gesundheitsbezogene Richtwerte (RW I und RW II) sowie anderseits (in TVOC-Summenwerten ausgedrückte) hygienische Leit- bzw. Referenzwerte andererseits festgelegt wurden (vgl. die vom Antragsgegner vorgelegte Bekanntmachung des Umweltbundesamts „Beurteilung von Innenraumluftkontaminationen mittels Referenz- und Richtwerten (BuGesBl. 2007, 990 ff.; phttps://www.umweltbundesamt.de/themen/gesundheit/kommissionen-arbeitsgruppen/ausschuss-fuer-innenraumrichtwerte-vormals-ad-hoc-ausschuss-fur-innenraumrichtwerte). Dabei wird lediglich der Richtwert RW II als wirkungsbezogener Wert bezeichnet, der sich auf die gegenwärtigen toxikologischen und epidemiologischen Kenntnisse zur Wirkungsschwelle eines Stoffes - allerdings auch unter Einführung von Unsicherheitsfaktoren - stütze und die Konzentration darstelle, bei deren Erreichen bzw. Überschreiten unverzüglich zu handeln sei, weil sie (besonders) für empfindliche Personen bei Daueraufenthalt in den Räumen eine gesundheitliche Gefährdung sein k ö n n e bzw. nicht mehr mit hinreichender Wahrscheinlichkeit a u s z u s c h l i e ß e n sei. Im Hinblick auf die - auch vom Antragsgegner immer wieder angeführten - systematischen praktischen Erfahrungen, dass mit steigender Konzentration die Wahrscheinlichkeit für Beschwerden oder nachteilige Auswirkungen zunimmt, der Kenntnisstand aber nicht ausreicht, um rein toxikologisch begründete Richtwerte abzuleiten, sowie die Erkenntnis, dass die Innenraumluft zahlreiche organische Verbindungen enthalten kann, wurden 2007 auch in TVOC-Summenwerte ausgedrückte, als Referenzwerte zu interpretierende „hygienische Leitwerte“ erarbeitet, wobei der hier interessierende Konzentrationsbereich von 1,0 - bis 3,0 mg/m3 lediglich als „hygienisch auffällig“ bewertet wurde, was bedeute, dass die gesundheitliche Relevanz geprüft werden sollte und eine toxikologische Einzelbewertung zumindest der Stoffe mit den höchsten Konzentrationen empfohlen werde; dabei hätten die toxikologisch begründeten Richtwerte allerdings stets Vorrang vor dem TVOC-Konzept.
67
Dazu wird in der Bekanntmachung (a.a.O., S. 995) im Einzelnen ausgeführt:
68
„Der Vorteil dieser (für die Innenraumluft aufgestellten) Richtwerte (der Ad-hoc-AG IRK/AOLG (Stand 2006) für Einzelstoffe) ist ihr einheitlicher, am Gefahrenbezug orientierter Ableitungsweg. ... Der Richtwert II ist dadurch charakterisiert, dass (erst) bei seiner Überschreitung im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 1 und § 16 der jeweiligen Landesbauordnung mit Gesundheitsgefahren besonders für empfindliche Personen wie z. B. Schwangere, Säuglinge und Kleinkinder zu rechnen ist.“
69
und (a.a.O., S. 996):
70
„Der TVOC-Wert hat aufgrund der unterschiedlichen Zusammensetzung des in der Innenraumluft auftretenden Substanzgemisches keine konkrete toxikologische Basis.“
71
sowie (a.a.O., S. 992, 997):
72
„Das TVOC-Konzept basiert prinzipiell auf der statistischen Auswertung der Daten des 1. Umweltsurveys von 1985/86, bei dem die Luft in Wohnräumen untersucht wurde. TVOC-Werte können damit im Sinne von Referenzwerten interpretiert werden.“
73
„Referenzwerte geben keinen Aufschluss über eine Gesundheitsgefährdung. Es wird lediglich ausgesagt, dass der überwiegende Teil der Bevölkerung in einer vergleichbaren Größenordnung exponiert ist.
74
Inwiefern der Antragsgegner 2017 von einem gegenteiligen Erkenntnisstand hätte ausgehen dürfen, lassen auch die von ihm darüber hinaus vorgelegten zahlreichen Anlagen nicht erkennen. Vielmehr bestätigen diese gerade, dass TVOC-Werte auch weiterhin nicht als zuverlässige Indikatoren dafür angesehen werden, welche Wirkungen die Emissionen aus Produkten auf die menschliche Gesundheit haben. Auch der Umstand, dass ein differenziertes Vorgehen nach Einzelstoffen bzw. Stoffgruppen aufwändiger sein mag, rechtfertigt es ungeachtet dessen, dass Hersteller auf nicht geregelte Einzelstoffe ausweichen könnten, nicht, Summenwerte festzulegen, die Gefahren jedenfalls auszuschließen geeignet sind.
75
Auch Hofmann/Maraun halten in ihrem vom Antragsgegner vorgelegten Abschlussbericht vom 17./18.09.2020 fest, dass die Emissionsbewertung von Bauprodukten (zwar) letztendlich den Ausschluss einer gesundheitlichen Gefährdung der Raumnutzer gewährleisten solle, die Vermeidung gesundheitlicher Beeinträchtigungen (jedoch) durch die Einhaltung von toxikologisch abgeleiteten Innenraumrichtwerten erreicht werde und Summenwerte aufgrund ihrer heterogenen Zusammensetzung keine zuverlässigen gesundheitsbezogenen Indikatoren darstellten (a.a.O. S. 15).
76
Soweit sie aufgrund eines Vergleichs mit den für einen Teil der Holzwerkstoff-typischen VOC-Emissionen zur Verfügung stehenden Innenraumrichtwerten auch das AgBB-Bewertungsschema - insoweit - als ein „auf Gefahrenabwehr abzielendes Instrument“ einstufen, vermag dies indes nicht zu überzeugen. Insbesondere wird nicht nachvollziehbar aufgezeigt, warum - bei OSB-Platten - bei Überschreitung des Summenwerts von 1 mg/m3 in der Prüfkammer jedenfalls auch eine Überschreitung der für die entsprechenden Einzelstoffe bzw. Stoffgruppen geltenden Innenraumrichtwerte RW II im Realraum zu erwarten wäre, weil etwa anderen Einzelstoffen keine maßgebliche Bedeutung zukäme. Auch lassen diese Überlegungen nicht erkennen, warum damit mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine gesundheitliche Gefährdung angenommen werden könnte. Denn dies setzte voraus, dass die Richtwerte RW II ungeachtet dessen die Gefahrenschwelle markieren, dass auch sie auf Unsicherheitsfaktoren gestützt sind und sie bei Konzentrationen oberhalb des Richtwerts RW II gesundheitliche Gefahren bei empfindlichen Raumnutzern lediglich nicht mehr mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausschließen (vgl. UBA, Bekanntmachung, a.a.O., S. 992). Im Übrigen erscheint zweifelhaft, ob sich der angegriffene TVOCspez-Wert hinsichtlich bestimmter Holzwerkstoffe als rechtmäßig erwiese, wenn er ungeachtet seines fehlerhaften Ansatzes die Gefahrenschwelle zufällig getroffen haben sollte.
77
Schließlich können die Prüfkammerergebnisse ohnehin nicht ohne weiteres auf den Realraum übertragen werden und sind die Emissionsraten bei gleichen Klimabedingungen lediglich sehr ähnlich (vgl. die vom Antragsgegner vorgelegte Stellungname der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung v. 18.09.2020, S. 3; Hofmann/Maraun, a.a.O., S. 86).
78
Insofern ist nicht nachvollziehbar, warum der in der Prüfkammer ermittelte TVOCspez-Wert nun auf einmal geeignet sein sollte, die Gefahrenschwelle zu markieren, zumal nach gesichertem wissenschaftlichen Erkenntnisstand gerade einige holzwerkstoffspezifische VOCs - nämlich die Terpene -, wovon auch der Antragsgegner ausgeht, auch nach dem 28.Tag weiter abnehmen („abklingen“, vgl. die im Parallelverfahren vorgelegte Anlage ASt 17, Metastudie „GesundHOLZ“, S. 48, 63; BAM-Studie „Emissionsverhalten von Holz und Holzwerkstoffen“ v. März 2012, S. 90).
79
Bezugspunkt der Gefahrenprognose ist schließlich nicht der 3. oder 28. Tag in der Prüfkammer, sondern der deutlich spätere - frühestens nach Einbau der Bauprodukte beginnende - Zeitraum der Nutzung als Wohnraum (vgl. Bekanntmachung des UBA, a.a.O., S. 999). Auch Hofmann/Maraun messen in ihrem Abschlussbericht dem Zeitpunkt des Einbaus Bedeutung zu (a.a.O., S. 14 f.). Diese allgemein bekannten Alterungseffekte dürften letztlich auch für die in Abstimmung mit den Herstellern vorgenommene „Spezifizierung“ des Prüfverfahrens maßgeblich gewesen sein, wonach die Proben nicht genommen werden müssen, sobald die üblichen Herstellungsprozesse abgeschlossen und sie (tatsächlich) zur Verwendung bereit sind (vgl. der in Anhang 8 in Bezug genommene Entwurf der DIN EN 16516 bzw. die inzwischen vorliegende DIN EN 16516:2018-01, Nr. 5.3.6 u. 5.8), sondern erst spätestens 16 Wochen nach Erreichen der Handelsfähigkeit (!) gezogen und auch erst dann emissionsarm verpackt werden müssen. Dies könnte darauf hindeuten, dass der Antragsgegner inzwischen selbst Zweifel hat, dass die Prüfkammerergebnisse an den beiden Stichtagen auf den Realraum übertragen werden können.
80
Soweit der Prozessbevollmächtigte des Antragsgegners demgegenüber behauptet, die Emissionsbelastung im Realraum würde aufgrund der Prüfkammerergebnisse ohnehin „regelmäßig und meist sogar deutlich unterschätzt“, hat er hierfür keine verallgemeinerungsfähigen wissenschaftlichen Erkenntnisse angeführt, mag auch der Luftaustausch im Realraum häufig geringer als in der Prüfkammer sein. Auch der von ihm vorgelegten Anlage 32 lässt sich dies nicht entnehmen; der Antragsgegner selbst hat zu diesem Fallbeispiel angemerkt, dass die seinerzeit für die nachteiligen Auswirkungen als ursächlich angesehene, besondere Einbausituation in der Prüfkammer durchaus hätte nachgebildet werden können, wenn bei der Messung nur die richtigen Beladungsfaktoren angegeben worden wären.
81
Die vorstehenden Bedenken bestehen gleichermaßen gegen die Anforderung an die Summe der Konzentrationen der schwerflüchtigen organischen Verbindungen, die sich auf die Summe der identifizierten und nicht identifizierten und über das Toluoläquivalent quantifizierten SVOC mit jeweils einer Konzentration ab 5 µg/m3 bezieht und auf einen zusätzlichen Beitrag von 10% (= 0,1 mg/m3) der maximal zulässigen TVOCspez-Konzentration begrenzt wird. Auch wenn diese bei den in Rede stehenden Span- und OSB-Platten nicht von Bedeutung sein dürften, unterliegen sie doch auch insoweit einer Prüfung.
82
Auch die Anforderung nach gewichteter Einzelstoffbewertung, dass R als die Summe aller Ri den Wert 1 nicht übersteigen darf, markiert - entgegen der Auffassung des Antragsgegners - nicht die Schwelle zur Gefahr. Denn die Anforderung an den R-Wert beruht auf der Annahme, dass, wenn Ri (= C1/NIK) den Wert 1 unterschreitet, (überhaupt) k e i n e Wirkung auftritt. Damit bedeutet dieser Wert aber nur, dass Wirkungen nicht a u s z u s c h l i e ß e n sind. Denn dieser beruht letztlich auf sog. NIK-Werten (niedrigste interessierende Konzentration, engl. LCI - Lowest Concentration of Interest), die - teilweise unter Berücksichtigung verschiedener Faktoren aus vorhandenen Arbeitsplatzgrenzwerten (AGW) bzw. MAK-Werten - abgeleitet wurden, um VOC-Emissionen aus Bauprodukten soweit zu begrenzen, dass die in der Raumluft resultierenden Immissionen auch unter ungünstigen, aber noch realistischen Bedingungen die Gesundheit auch e m p f i n d l i c h e r Personen (Allergiker) bei Daueraufenthalt (jedenfalls) nicht gefährden. Diese stoffspezifischen Rechengrößen beschreiben damit nur die Schwelle, unterhalb derer für den Einzelstoff k e i n e nachteiligen Wirkungen (mehr) zu befürchten sind. Insoweit verhält es sich nicht anders als bei den aus dem Naturschutzrecht bekannten sog. Critical Loads (vgl. hierzu den Senatsbeschl. v. 15.01.2019 - 8 S 846/18 -; BVerwG, Urt. v. 28.09.2011 - 7 C 21.09 -, NVwZ 2012, 176). Auch die inzwischen maßgeblichen EU-LCI-Werte dienen der Vermeidung von Gesundheitsrisiken („EU-LCI values should be applied in product safety assessment with the ultimate goal to avoid health risks from long-term exposore of the general population.“, Ref. Ares(2018)3820029 - 18/07/2018).
83
Soweit der Antragsgegner die NIK-/LCI-Werte nun entgegen allen bisherigen Verlautbarungen des Umweltbundesamts und dem Sprachgebrauch der EU - unter Bezugnahme auf eine eigens eingeholte Stellungnahme des Umweltbundesamts vom 20.09.2020 (S. 4, anders freilich S. 5, wo auf den NOAEL als Ausgangspunkt hingewiesen wird) - nun dahin definiert, dass mit ihnen Schwellen gekennzeichnet würden, ab denen mit entsprechenden Wirkungen zu r e c h n e n bzw. nachteilige Wirkungen auf die Gesundheit zu b e f ü r c h - t e n seien, ist dies nicht nachvollziehbar, sollte damit zum Ausdruck gebracht werden, dass mit solchen Wirkungen dann bereits mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu rechnen wäre.
84
Auch bei einer additiven Wirkung in dem vom Antragsgegner angenommenen umfassenden Sinne, erschlösse sich noch immer nicht, warum bei der Addition sämtlicher Einzelkonzentrationen, die für sich genommen keinerlei Wirkungen haben, bereits die Gefahrenschwelle überschritten sein sollte.
85
Soweit Hofmann/Maraun in ihrem Abschlussbericht (S. 10, 79) darauf hinweisen, dass einzelne NIK-Werte „in guter Übereinstimmung mit den ebenfalls toxikologisch zur Abwehr von Gefahren abgeleiteten Innenraumrichtwerten RW II-Werte“ stünden, der NIK-Wert für die bicyklischen Terpene mit der Leitkomponente α-Pinen nur leicht über dem Richtwert RW II liege, aus der Gruppe der Aldehyde die Summe von lediglich drei Vertretern den Summenwert des Richtwerts RW II überschreiten würde und aus der Gruppe der Carbonsäuren jeder einzelne NIK-Wert leicht bis deutlich über dem Summenwert des Richtwerts II liege, wird damit nicht aufgezeigt, dass der nach dem Anhang 8 letztlich maßgebliche (Summen-)R-Wert - bei Span- oder OSB-Platten - nur dann überschritten wird, wenn es in der Folge auch zu entsprechenden Überschreitungen der für die jeweiligen Stoffgruppen geltenden Richtwerte RW II käme.
86
Selbst wenn die Annahme einer additiven Wirkung jeglicher Verbindungen ab Konzentrationen von 5 µg/m3 bei Span- und OSB-Platten aufgrund der zu erwartenden Zielverbindungen nicht zum Tragen käme, kommt auch hier dazu, dass der Summen-R-Wert lange vor dem Einbau in den Realraum in der Prüfkammer einzuhalten ist und Terpene auch nach dem 28. Tag weiter „abklingen“, sodass eben nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden kann, dass später auch die Innenraumrichtwerte RW II überschritten würden, was - aufgrund der auch bei diesen berücksichtigten Unsicherheitsfaktoren - dann immer noch nicht die hinreichende Wahrscheinlichkeit einer gesundheitlichen Gefährdung belegte. Dass der R-Wert bis 1,49 auf 1 abzurunden wäre, ändert schließlich nichts.
87
Soweit der Antragsgegner noch auf die sog. Fact Sheets verweist, in denen verschiedene Informationen auch zu holzwerkstoffspezifischen VOC zusammengetragen sind und auf bereits existierende Werte Bezug genommen wird, erschließt sich nicht, inwiefern diese auf eine andere Beurteilung führen sollten. Im Gegenteil rufen die jeweils beschriebenen Schlüsselstudien („Key Study“) - im Wesentlichen Labor- bzw. Tierversuche - erhebliche Zweifel hervor, ob sich die daraus im Wege der Extrapolation abgeleiteten Werte nicht nur zur Bewertung von Gesundheitsrisiken eignen, sondern darüber hinaus alleinige Grundlage von Maßnahmen zur Abwehr von abstrakten Gefahren für die menschliche Gesundheit sein können, zumal die NIK-/LCI-Werte - wie auch Frau Dr. Witten (AgBB) auf Nachfrage bestätigt hat - unter Berücksichtigung von verschiedenen Unsicherheitsfaktoren gebildet werden.
88
Nicht weiter führt auch der Hinweis des Antragsgegners auf die Einstufung von (auch aus Spanplatten und OSB emittierenden) VOC nach der CLP-Verordnung und die dortigen „H-Sätze“. Denn diese lassen nicht erkennen, ab welcher Konzentration bestimmter Einzelstoffe die beschriebenen möglichen Auswirkungen zu erwarten sind.
89
Auch der Umstand, dass die Emissionen von Carbonsäuren, insbesondere die der Essigsäure aufgrund des maßgeblichen Probenahme- und Analyseverfahrens noch gar nicht vollständig erfasst sein mögen (vgl. Hofmann/Maraun, a.a.O., S. 16), ist ersichtlich nicht geeignet, den maßgeblichen TVOCspez-Wert oder den Summen-R-Wert - unter dem Gesichtspunkt der Gefahrenabwehr - im Ergebnis zu rechtfertigen.
90
Inwiefern aufgrund der noch vorgelegten, zahlreichen, insbesondere epidemiologischen (Querschnitts-)Studien und Untersuchungen, soweit sie überhaupt den Erkenntnisstand zum Zeitpunkt des Erlasses der Verwaltungsvorschrift wiedergeben, eine andere Beurteilung gerechtfertigt sein könnte, ist ebenso wenig zu erkennen.
91
Die vom Antragsgegner beigebrachten Studien beziehen sich teilweise noch nicht einmal (ausdrücklich) auf flüchtige organische Verbindungen, die gerade aus verklebten Hölzern, insbesondere Span- und OSB-Platten emittiert werden (vgl. Anlage 13: „Thereby wall-to-wall-carpets, PVC material, and laminate were the flooring material, which showed the strongest adverse associations.“). Andere Studien berücksichtigten wiederum besonders empfindliche Risikogruppen (Anlage 14: „. . . households with apparently unhealthy children“,) bzw. zeigten lediglich weiteren Forschungsbedarf auf (Anlage 11: „Therefore more studies that explore the biological mechanism of VOC’s neurotoxicity are needed.“).
92
Eine weitere Studie von 2000 (Anlage 28) belegt zwar VOC-Emissionen in Neubauten, die auch aus Holzwerkstoffen emittieren, inwiefern diese hauptursächlich waren und welche Wirkungen damit verbunden sein könnten, ist der Studie jedoch nicht zu entnehmen. Den TVOC-Werten wird freilich auch dort kein wissenschaftlicher Wert beigemessen. Ähnlich verhält es sich mit einer Studie von 2012 (Anlage 29), in der „wood panels/vinyl floor coverings“ als hauptursächlich für festgestellte VOC-Emissionen bezeichnet wurden. Eine weitere Studie (Anlage 30) datiert von 2018 und ist schon deshalb unerheblich. Die ebenfalls erst am 20.03.2020 vorgelegte Studie von S. Cakmak et al. (2014, Anlage 31) belegt zwar, dass sich einige der gemessenen VOC-Emissionen negativ auf die Lungenfunktion insbesondere bei Kindern und Jugendlichen ausgewirkt hätten, jedoch standen, worauf auch Prof. Dr. Mersch-Sundermann in seiner von den Antragstellerinnen im Parallelverfahren eingeholten medizinisch-wissenschaftlichen Stellungnahme vom 06.07.2020 (Anlage Ast 5) hinweist, eher geringe Konzentrationen in Rede, die nach bisherigem Erkenntnisstand noch nicht einmal Gesundheitsrisiken begründeten, sodass Zweifel an der angenommenen Wirkungsbeziehung bestehen. Dem entsprechend hat auch Frau Dr. Witten in der mündlichen Verhandlung dieser Studie nur eine eingeschränkte Aussagekraft beigemessen. Im Übrigen ist auch diese Studie ungeeignet, gerade das streitgegenständliche TVOCspez-Konzept zu tragen, da sie allenfalls Anforderungen an bestimmte VOC-Emissionen rechtfertigen könnte.
93
Auch die bereits angesprochene Anlage 32 mit einem Fallbeispiel aus 2004, wo insbesondere in einer Fußbodenheizungskonstruktion aus OSB-Platten höhere Konzentrationen der höheren Aldehyde bei einer sehr hohen Raumbeladung festgestellt wurde, die beim Bauherrn ein freilich nicht näher spezifiziertes „Unwohlsein und gesundheitlichen Auffälligkeiten“ verursacht hätten, mag das Prüfverfahren im Hinblick auf hohe Raumbeladungen in Frage stellen, aber nicht das TVOCspez-Konzept zu tragen. Die weiteren Fallbeispiele (Anlage 33) zeigen schließlich nur, dass für Formaldehyd, Ameisen- und Essigsäure eine deutlich geringere Lüftungseffizienz im Vergleich zu anderen VOC besteht.
94
Der mehrfache Hinweis auf die Regulierungsbedürftigkeit von VOC-Emissionen aus Holzwerkstoffen, die breiter Konsens sei, die wiederholte Bezugnahme auf das AgBB-Bewertungsschema und der Verweis auf zu einzelnen VOC vorliegende NIK- bzw. LCI-Werte führen nach alldem nicht weiter. Schon gar nicht kommt es auf „Empfehlungen der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung“ an, die sich freilich - wie die o.a. Richtwerte - an die Qualität der Innenraumluft zu richten scheinen.
95
Soweit der Antragsgegner darauf verweist, die Festlegungen der angegriffenen ABG seien „wissenschaftlich solide und breit im europäischen und internationalen Kontext hinterlegt“, mag dies zutreffen, soweit mit ihnen ein Gesundheitsrisiko beschrieben wird, das zu minimieren jedoch nicht ohne weiteres Aufgabe des Bauordnungsrechts der Mitgliedstaten ist. Dass die Aussage gleichermaßen für das Vorliegen einer aufgrund von VOC-Emissionen aus Span- und OSB-Platten etwa hervorgerufenen abstrakten Gefahr gälte, die Voraussetzung für Gefahrabwehrmaßnahmen nach dem Bauordnungsrecht für Baden-Württemberg ist, lassen diese Ausführungen nicht erkennen.
96
Dahinstehen kann vor diesem Hintergrund, ob die von den Antragstellerinnen angeführten Studien und Untersuchungen darüber hinaus geeignet sein könnten, das Vorliegen einer abstrakten Gefahr - oder gar eines Gefahrenverdachts - positiv auszuschließen.
97
(4) Die angegriffenen Anforderungen an VOC erweisen sich schließlich auch nicht unter dem Gesichtspunkt eines Gefahrerforschungseingriffs als zulässig. Dieser Gesichtspunkt könnte, sollte bei bestimmten Holzwerkstoffen ein hinreichender Gefahrenverdacht bestehen, allenfalls bestimmte Prüfungen zur Feststellung einer (abstrakten) Gefahr rechtfertigen, von der allein bei einer Überschreitung der vorgegebenen Werte jedoch nicht ausgegangen werden kann.
98
(5) Finden die hier angegriffenen Anforderungen an VOC-Emissionen danach bereits keine Rechtsgrundlage in § 73a Abs. 1 LBO, kommt es nicht mehr auf deren Vereinbarkeit mit den Grundrechten und der Bauproduktenverordnung an. Für den noch geltend gemachten Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG ist freilich nichts ersichtlich, nachdem im Hinblick auf die mit dem Herstellungsprozess jedenfalls bei OSB verbundenen erhöhten Emissionsabgaben ein sachlicher Grund bestehen dürfte, nicht dieselben Anforderungen an unbehandeltes Holz zu stellen.
99
c) Viel spricht allerdings dafür, dass die angegriffenen Anforderungen an VOC-Emissionen auch gegen das Marktbehinderungsverbot des Art. 8 Abs. 4 der Bauproduktenverordnung verstoßen, weil mit ihnen in der DIN EN 13986 „Holzwerkstoffe zur Verwendung im Bauwesen - Eigenschaften, Bewertung der Konformität und Kennzeichnung“ harmonisierte Bauprodukte, nämlich Holzwerkstoffe, zu denen auch die hier in Rede stehenden OSB-Platten gehören (vgl. S. 5 „1 Anwendungsbereich“), unzulässig nachreguliert worden sein dürften.
100
(1) Mit den angegriffenen Summenwerten stehen - anders als die Überschrift 2.2. „Besondere Anforderungen an Aufenthaltsräume und baulich nicht davon abgetrennte Räume“ dies erwarten lässt und anders als dies etwa bei den o. a. Richtwerten I und II der Ad-hoc-AG IRK/AOLG der Fall ist - nicht Anforderungen an die Innenraumluftqualität von Teilen baulicher Anlagen hinsichtlich VOC-Emissionen in Rede, zu denen der Antragsgegner - entgegen seiner eigenen, auf eine nicht einschlägige Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (Urt. v. 11.07.1974 - 8/74 - Dassonville -) gestützten Einschätzung - jedenfalls im Grundsatz (zutreffend Fehse, Die Auswirkungen der EU-Bauproduktenverordnung auf das nationale Recht, 2017, S. 84) unionsrechtlich berechtigt sein dürfte (vgl. den Erwägungsgrund (3) zur BauPVO), freilich nur im Rahmen seiner ihm nach nationalem Recht zustehenden Regelungsbefugnisse. Vielmehr werden unmittelbar an die in der DIN EN 13986 harmonisierten Bauprodukte Anforderungen gestellt (vgl. auch 1 ABG), was nach Art. 8 Abs. 4 BauPVO auch unter der Geltung der Bauproduktenverordnung, weil den Binnenmarkt behindernd, grundsätzlich unzulässig ist.
101
(2) Solches wäre freilich dann nicht der Fall, wenn sich die Harmonisierungswirkung, wie der Antragsgegner meint, gar nicht auf die hier in Rede stehenden VOC-Emissionen erstreckte. Wie weit die jeweilige Harmonisierung reicht, ist auch hier zunächst - im Wege der Auslegung - zu ermitteln (zutreffend Hofer, in: Simon/Busse, BayBO <137. EL Juli 2020>, vor Art. 15 Rn. 50). Im Hinblick auf das Ziel, durch harmonisierte technische Spezifikationen zur Angabe der Leistung von Bauprodukten das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts zu erreichen (vgl. Erwägungsgrund (58) zur BauPVO v. 09.03.2011), ist im Zweifel von einer „Vollharmonisierung“ auszugehen (vgl. EuGH, Urt. v. 16.10.2014, a.a.O. zur BPR; EuG, Urt. v. 10.04.2019 - T-229/17 -, Rn. 101 zur BPR), bei der alle wesentlichen Merkmale von Bauprodukten in den harmonisierten Spezifikationen in Bezug auf die Grundanforderungen an Bauwerke festgelegt sind (vgl. auch Art. 3 und Art. 17 Abs. 3 BauPVO). Bei einem derart abschließend harmonisierten System, wie es vom Europäischen Gericht in seinem Urteil vom 10.04.2019 auch unter der Geltung der Bauproduktenverordnung unterstellt wird, versteht es sich von selbst, dass es den Mitgliedstaten grundsätzlich verwehrt sein muss, unter Hinweis auf einen vermeintlich aus technischer Sicht nur „lückenhaft“ geregelten Sachverhalt von einer bloßen Teilharmonisierung bzw. sukzessiven Harmonisierung mit der Folge auszugehen, dass sie insoweit vorläufig - wie bei nicht harmonisierten Bauprodukten - zur (Nach-)Regulierung berechtigt wären. Anderes kann ersichtlich auch nicht aus Art. 19 BauPVO hergeleitet werden. Denn die in dieser Vorschrift vorgesehene Erstellung eines europäischen Bewertungsdokuments setzt ein nicht oder nicht vollständig von einer harmonisierten Norm erfasstes Bauprodukt voraus, dessen Leistung deshalb nicht vollständig anhand einer bestehenden harmonisierten Norm bewertet werden kann. Art. 19 Abs. 1 BauPVO ist daher entgegen der Auffassung des Antragsgegners kein Ausdruck „lückenhafter“ Normen, sondern ersichtlich besonderen Produkten geschuldet (vgl. Held/Jaguttis/Rupp, BauPVO 2019, Art. 19 Rn. 8).
102
Allerdings kann ein derart abschließend harmonisiertes System nicht, wie die Antragstellerinnen unter Verweis auf das angeführte Urteil des Europäischen Gerichts meinen, bei allen harmonisierten Normen unterstellt werden, da sich der Bauproduktenverordnung, insbesondere den Artt. 3 und 17 Abs. 3 BauPVO, nicht entnehmen lässt, dass es nicht auch - wenn auch nur vorübergehend - noch nicht abschließend harmonisierte, gleichwohl wirksame Normen geben kann. Dies dürfte sich jedenfalls daraus herleiten lassen, dass das in Art. 18 BauPVO geregelte Verfahren die Kommission gegebenenfalls berechtigte, eine Norm unter Vorbehalt zu veröffentlichen oder sie nur unter Vorbehalt zu belassen (vgl. Art. 18 Abs. 2 BauPVO), was ggf. auch dazu führen kann, dass die Mitgliedsstaaten hinsichtlich eines bestimmten wesentlichen Produktmerkmals nationale Zusatzanforderungen stellen könnten (vgl. hierzu Held/Jaguttis/Rupp, BauPVO 2019, § 18 Rn. 12).
103
Im Übrigen besteht, worauf der Antragsgegner hingewiesen hat, für CE-gekennzeichnete Bauprodukte anders als nach Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 89/106/EWG des Rates vom 21.12.1988 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über Bauprodukte (Bauproduktenrichtlinie - BPR, ABl. (EG) Nr. L 040 v. 11.02.1989) keine Brauchbarkeitsvermutung in dem Sinne mehr, dass diese die Anforderungen aus der harmonisierten Norm vollständig erfüllten, sodass von deren uneingeschränkter Verwendbarkeit auszugehen wäre. Vielmehr ist an deren Stelle die Vermutung der Konformität eines Bauprodukts mit der vom Hersteller erklärten Leistung getreten (vgl. Art. 4 Abs. 3 BauPVO). Dies lässt durchaus den Schluss zu, dass es unter der Geltung der Bauproduktenverordnung von einer harmonisierten Norm noch nicht (vollständig) erfasste wesentliche Merkmale geben kann. Aus Art. 8 Abs. 3 BauPVO, der - anders als Art. 4 Abs. 6 BPR - bestimmt, dass die CE-Kennzeichnung die einzige Kennzeichnung ist, die die Konformität des Bauprodukts mit der erklärten Leistung „in Bezug auf die wesentlichen Merkmale, die von der harmonisierten Norm erfasst sind“ und weiter bestimmt, dass die Mitgliedsstaaten (nur) „diesbezüglich“ keine Bezugnahme auf einen andere Kennzeichnung als die CE-Kennzeichnung einführen, dürfte dagegen weder für noch gegen eine Vollharmonisierung sprechen. Denn ergibt die Auslegung, dass die wesentlichen Merkmale in der harmonisierten Norm abschließend geregelt sind, muss es einem Mitgliedsstaat verwehrt sein, eine anderweitige Bezugnahme unter Hinweis auf ein besonderes, von ihm darüber hinaus für wesentlich bzw. noch nicht abschließend harmonisiert gehaltenes Merkmal einzuführen (vgl. den Erwägungsgrund 33; zutr. Fehse, a.a.O., S. 84). Bei einem anderen Auslegungsergebnis steht freilich auch der Einführung einer anderen Kennzeichnung nichts entgegen. Im Übrigen wäre es ohne Weiteres zulässig, zur Verbesserung des Schutzes der Verwender von Bauprodukten eine freiwillige Kennzeichnung einzuführen, mit der jenseits der Konformität lediglich ein besonders emissionsarmes Bauprodukt versprochen wird (vgl. Held/Jaguttis/Rupp, a.a.O, Art. 8 Rn. 19 ff.: etwa der „Blaue Engel“).
104
Von einer nicht gegen Bestimmungen der übergeordneten Bauproduktenverordnung verstoßenden, nicht abschließend harmonisierten Norm, die jedenfalls zu bestimmten (vorläufigen) Nachregulierungen berechtigte, dürfte auszugehen sein, wenn diese selbst ihren Geltungsanspruch entsprechend beschränkt, indem sie zum Ausdruck bringt, dass hinsichtlich bestimmter, (noch) nicht abschließend harmonisierter Merkmale bzw. Verfahren (weiterhin noch) vorläufig nationale Vorschriften gelten sollen (weitergehend Hofer, in: Simon/Busse, BayBO vor Art.15 Rn. 51: wenn im Anhang ZA der im Amtsblatt bekannt gemachten Produktnorm ein mandatiertes wesentliches Merkmal nicht enthalten ist oder harmonisierte Verfahren und Kriterien zur Bewertung eines mandatierten und im Anhang ZA enthaltenen Wesentlichen Merkmals fehlen, aber von erheblicher Relevanz zur Erfüllung der Bauwerksanforderung in Deutschland sind). Da die harmonisierten Normen ihrerseits Teil des Unionsrechts sind (vgl. EuGH, Urt. v. 27.10.2016 - C-613/14 -, Rn. 40, 47; Urt. v. 14.12.2017 - C-630/16 -, Rn. 32 ff.) ist kein Grund ersichtlich, warum eine solche Selbstbeschränkung der Harmonisierung, wie sie auch bei einem Vorbehalt nach Art. 18 Abs. 2 BauPVO bewirkt werden kann, unzulässig sein sollte. Dann kann aber von einer in jeder Hinsicht abschließenden Harmonisierung nicht die Rede sein. Auch Maßnahmen nach den Art. 18, 56 ff. BauPVO, auf die die Antragstellerin im Anschluss an das zur Bauproduktenrichtlinie ergangene Urteil des Europäischen Gerichtshofs verweist, machten im Fall einer derart offenbaren Lückenhaftigkeit einer Norm ersichtlich keinen Sinn.
105
Entgegen der Auffassung der Antragstellerinnen sind die vorstehenden Fragen mit dem inzwischen ergangenen Urteil des Europäischen Gerichts vom 19.04.2019 - T-229/17 - keineswegs in ihrem - gegenteiligen - Sinne geklärt. Vielmehr wurde in dem dortigen Verfahren, soweit hier von Interesse, nur formal darüber entschieden, ob die seinerzeit in Rede stehenden harmonisierten Normen unter dem von der Kommission versehenen Vorbehalt belassen werden durften oder dieser gerade in dem von Deutschland gewünschten Sinne, dass den Mitgliedstaaten ausdrücklich das Recht zur Nachregulierung zustehe, zu fassen gewesen wäre. Dass solches nicht beansprucht werden konnte, dürfte auf der Hand gelegen haben. Denn auch ein nicht vollständig umgesetztes Mandat muss nicht dazu führen, dass Regelungsbefugnisse der Mitgliedsstaaten wiederauflebten, welche ihnen für nicht harmonisierte Bauprodukte zustanden. Vielmehr gilt es in einem solchen Fall grundsätzlich die Lücke auf europäischer Ebene durch eine nunmehr abschließende Harmonisierung zu schließen, indem zu diesem Zwecke etwa auch von den Maßnahmen Gebrauch gemacht wird, die die Bauproduktenverordnung in einem solchen Fall bereithält. Eine andere, vom Europäischen Gericht nicht entschiedene, freilich eher zu verneinende Frage ist, ob allein im Hinblick auf eine das Ziel der Bauproduktenverordnung vollständig erreichende Vollharmonisierung eine Vertragsverletzung bzw. ein Verstoß gegen Art. 8 Abs. 4 BauPVO auch dann vorläge, wenn ein Mitgliedsstaat von einer bereits in der harmonisierten Norm enthaltenen Öffnungsklausel Gebrauch macht und (lediglich) entsprechende (vorläufige) Maßnahmen trifft.
106
So könnte es sich hier verhalten, weil die hier einschlägige DIN EN 13986 unter Nr. 4.8 ausdrücklich eine sog. Öffnungsklausel, allerdings nur für „sonstige gefährliche Stoffe“ enthält (vgl. § 114 Abs. 10 AEUV, der in einer vergleichbaren Konstellation eine Schutzklausel zum Schutz der in Art. 36 AEUV genannten Rechtsgüter vorsieht). So heißt es dort, dass nationale Vorschriften „zu gefährlichen Stoffen“ die Vorlage eines Nachweises und einer Deklaration über die Freisetzung von anderen als die bereits in anderen Abschnitten der Norm erfassten Stoffe und teilweise über deren Gehalt erfordern könnten und insofern die nationalen Vorschriften gelten sollten.
107
(3) Ob diese Öffnungsklausel dem Antragsgegner weiterhelfen würde, hält der Senat zwar nicht für ausgeschlossen, jedoch für eher unwahrscheinlich, weil sie eben nur für „sonstige gefährliche Stoffe“ einen entsprechenden, möglichweise auch nur klarstellenden Hinweis enthält. Der Anhang 1 unter 3. b) zur Bauproduktenverordnung, der neben gefährlichen Stoffen auch flüchtige organische Verbindungen anführt (wie auch das geänderte Mandat M/113), spricht jedenfalls dagegen, dass mit dem Begriff „sonstige gefährliche Stoffen“ auch alle VOC gemeint wären. Anderes folgt auch nicht aus dem - nicht offensichtlichen - Umstand, dass die EN 13986 (auch) insoweit hinter dem Mandat Nr.113 zurückgeblieben sein mag. Dass VOC grundsätzlich als gefährliche Stoffe zu gelten hätten, dürfte auch dem Urteil des Europäischen Gerichts nicht zu entnehmen sein.
108
Viel spricht dafür, dass unter gefährlichen Stoffen nur solche Stoffe gemeint sind, bei denen in allen Mitgliedstaaten und der Union Konsens besteht, dass sie (ohne Weiteres) gefährlich sind. Denn dann müssen die Mitgliedsstaaten (jedenfalls) zu (vorläufigen) Maßnahmen - wie bei der Berufung auf die verschiedenen Schutzklauseln - berechtigt sein (vgl. dazu Hofer, a.a.O., Rn. 51, unter Hinweis auf EuGH, Urt. v. 20.02.1979 - Rs. C-120/78 -, NJW 1979, 1766 - nach dem ordre-public-Vorbehalt des Art. 36 Satz 1 AEUV bzw. der Notwendigkeit, „um zwingenden Erfordernissen gerecht zu werden“).
109
Mit der Warenverkehrsfreiheit und der mit einer Harmonisierung verfolgten Vereinheitlichung der Anforderungen an Bauprodukte schwerlich vereinbar dürfte jedenfalls eine Auslegung der Öffnungsklausel sein, die es den Mitgliedstaaten ermöglichte, hinsichtlich aller Einzelstoffe, die potentiell gefährlich sind, eigene Anforderungen zu stellen. Denn dies ließe sich letztlich für alle Stoffe anführen. So hat der Europäische Gerichtshof aufgrund der Schutzklausel des Art. 12 der Verordnung Nr. 258/97 - als besondere Ausprägung des Vorsorgeprinzips - getroffenen Schutzmaßnamen eine Absage erteilt, die mit einer rein hypothetischen Betrachtung des Risikos begründet werden, die auf bloße wissenschaftlich noch nicht verifizierte Vermutungen gestützt wird (Urt. v. 09.09.2003 - C-236/01 -, juris).
Die Revision ist ungeachtet vergleichbarer Regelungen in anderen Bundesländern nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt. Insbesondere steht hinsichtlich der Würdigung des bei Erlass der Technischen Baubestimmungen vorhandenen Erkenntnisstandes keine Rechtsfrage in Rede, die auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache führen könnte.
112
Beschluss vom 7. Oktober 2020
113
Der Streitwert wird für das Normenkontrollverfahren im Hinblick auf den von den Antragstellerinnen angegebenen, angemessen erscheinenden Wert endgültig auf EUR 50.000,-- (2 x EUR 25.000,--) festgesetzt (vgl. §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 52 Abs. 1, 39 Abs. 1 GKG i.V.m. Nrn. 9.8.1 u. 1.1.1 des Streitwertkatalogs 2013).
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Der Beschluss ist unanfechtbar.
Gründe
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Die Anträge der Antragstellerinnen, die Verwaltungsvorschrift des Umweltministeriums und des Wirtschaftsministeriums über Technische Baubestimmungen vom 20.12.2017 hinsichtlich darin enthaltener, auch für OSB-Platten bzw. Spanplatten geltender Anforderungen an VOC-Emissionen für unwirksam zu erklären, haben in dem beantragten Umfang Erfolg.
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1. Die Anträge sind nach § 47 Abs. 1 VwGO statthaft und auch sonst zulässig.
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a) Die angegriffene Verwaltungsvorschrift ist zulässiger Gegenstand eines Antrags nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO. Zwar unterliegen Verwaltungsvorschriften in der Regel nicht der Normenkontrolle, da es sich bei ihnen um keine (Außen-)Rechtssätze handelt. Anders verhält es sich jedoch dann, wenn eine gesetzliche Regelung - wie hier § 73a Abs. 1 u. 5 LBO - zur Konkretisierung gesetzlicher Anforderungen (hier: aus § 3 Abs. 1 Satz 1 LBO) auf eine Verwaltungsvorschrift verweist, die kraft Gesetzes - vorbehaltlich der hier nicht einschlägigen sog. Innovationsklausel in § 73a Abs. 1 Satz 2 LBO - eine Beachtenspflicht in Bezug auf die als Technische Baubestimmungen eingeführten technischen Regeln auslösen soll und damit diesen (jedenfalls) gegenüber den für den Bau Verantwortlichen eine verordnungsgleiche Außenrechtswirkung in Bezug auf die Standardisierung technischer Anforderungen verleiht (vgl. § 73a Abs. 1 Satz 2 LBO; vgl. BVerwG, Beschl. v. 25.11.1993 - 5 N 1.92 -, BVerwGE 94, 335; Urt. v. 26.01.1996 - 8 C 19.94 -, BVerwGE 100, 262; Urt. v. 25.11.2004 - 5 CN 1.03 -, BVerwGE 122, 26; Panzer, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO <38. EL Jan. 2020>, § 47 Rn. 26, 30; Ziekow, in Sodan/Ziekow, VwGO 5. A. 2018 - § 47 Rn. 126; Winkelmüller/van Schewick/Müller, Bauproduktrecht und technische Normung, 2015, Rn. 476 ff.; a.A. OVG NW, Beschl. v. 20.07.2010 – 2 A 61/08 -, juris Rn. 17).
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Ob die Technischen Baubestimmungen, soweit sie hier angegriffen sind, eine normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift in dem Sinne darstellen sollen, dass ihnen gegebenenfalls auch eine die Gerichte bindende Wirkung zukäme (vgl. BVerwG, Urt. v. 28.10.1998 - 8 C 16.96 -, BVerwGE 107, 338), wovon der Antragsgegner im Hinblick auf § 73a Abs. 5 Satz 1 LBO auszugehen scheint, mag hier dahinstehen.
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b) Die Antragstellerinnen sind auch antragsbefugt, da sie geltend machen können, durch die Anwendung der Verwaltungsvorschrift - faktisch - in ihrer Berufsfreiheit verletzt zu sein (vgl. Art. 12 Abs. 1 GG), auch wenn sich die Bauwerksanforderungen unmittelbar nur an den Bauherrn bzw. die sonstigen am Bau Beteiligten richten. Denn den - zur Erhaltung der weiteren Verkehrsfähigkeit ihrer Span- bzw. OSB-Platten - erforderlichen Nachweis zu deren Erfüllung können letztlich nur sie als Hersteller erbringen. Betroffen ist hier freilich nicht ihre Berufswahl, sondern (lediglich) ihre Berufsausübung (vgl. Jarass/Pieroth, GG 15. A. 2019, Art. 12 Rn. 10, 10a). Darauf können sich sowohl die Antragstellerin zu 1 als inländische (vgl. Art. 19 Abs. 3 GG) als auch die Antragstellerin zu 2 als ausländische juristische Person - freilich nur über Art. 2 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG, Beschl. v. 04.11.2015 - 2 BvR 282/13, 2 BvQ 56/12 -, NJW 2016, 292) - berufen.
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Beide Antragstellerinnen können sich auch auf einen möglichen Verstoß gegen das Marktbehinderungsverbot des Art. 8 Abs. 4 BauPVO berufen, auch wenn nur die Antragstellerin zu 2 von der in dieser Vorschrift konkretisierten Warenverkehrsfreiheit im Binnenmarkt (vgl. Artt. 28, 34 AEUV) Gebrauch macht. Denn die unmittelbar geltende Bauproduktenverordnung dient darüber hinaus der Schaffung einer in allen Mitgliedstaaten einheitlichen (harmonisierten) Regelung. Insofern haben die von ihr Betroffenen, zu denen auch die Hersteller gehören, unmittelbar die sich aus der Bauproduktenverordnung ergebenden Pflichten zu beachten, aber eben auch nur diese, sodass die darin liegende „Vereinfachung“ auch ihren Interessen zu dienen bestimmt ist (vgl. dazu etwa die Erwägungsgründe 34 ff.).
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Der Umstand, dass für einzelne Produkte der Antragstellerin zu 2 mittlerweile Gutachten des DIBt vorliegen, mit denen der erforderliche Nachweis erbracht werden kann, ändert nichts. Denn in ihren Rechten wäre sie bereits dann verletzt, wenn die angegriffenen Anforderungen an ihre Produkte nicht gestellt werden durften.
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Auch das erforderliche Rechtsschutzinteresse kann ihr deswegen - schon im Hinblick auf etwa weiter erforderlich werdende Nachweise - nicht abgesprochen werden.
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2. Die Anträge sind auch im jeweils beantragten Umfang begründet.
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Dass die Antragstellerin zu 1 Spanplatten und die Antragstellerin zu 2 OSB bzw. Grobspanplatten herstellt, rechtfertigt im Folgenden keine unterschiedliche rechtliche Beurteilung. Dass die Antragstellerin zu 1 aufgrund der von Spanplatten ausgehenden geringeren VOC-Emissionen weniger betroffen ist, was im vorläufigen Rechtsschutzverfahren dazu geführt hat, dass es an entsprechenden Nachteilen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung gefehlt hat, kommt im Hauptsacheverfahren nicht mehr zum Tragen. Vielmehr begründete dieser Umstand eher noch Zweifel, ob an Spanplatten dieselben Anforderungen gestellt werden durften.
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Die Technischen Baubestimmungen entsprechen, soweit sie von den Antragstellerinnen angegriffen werden, schon nicht den gesetzlichen Anforderungen nach der Landesbauordnung. Darauf, ob sie den für normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften aufgestellten (weiteren) Anforderungen des Bundesverwaltungsgerichts entsprächen (vgl. BVerwG, Urt. v. 28.10.1998, a.a.O.), kommt es nicht an. Denn auch eine Verwaltungsvorschrift, der nur gegenüber den Normadressaten (Bauherrn oder sonstigen am Bau Beteiligten) - und nicht gegenüber den Gerichten - Außenwirkung zukommen soll (vgl. § 73a Abs. 1 Satz 2 LBO), muss formell und materiell rechtmäßig sein.
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a) Ob alle in der Verwaltungsvorschrift enthaltenen Technischen Baubestimmungen von den obersten Baurechtsbehörden in dem dafür vorgesehenen Verfahren erlassen worden sind (vgl. § 73a Abs. 5 Sätze 1 und 2 LBO), mag dahinstehen. Denn selbst dann, wenn bei der Bekanntmachung der Verwaltungsvorschrift in einem Teilbereich (Brandschutz) (erheblich) von der Musterverwaltungsvorschrift abgewichen worden und insoweit ein weiteres Anhörungsverfahren erforderlich gewesen sein sollte, stellte dies die Wirksamkeit der offensichtlich davon abtrennbaren Anforderungen im angegriffenen Anhang 8 der Verwaltungsvorschrift nicht in Frage.
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Inwiefern bereits das zur Musterverwaltungsvorschrift durchgeführte Anhörungsverfahren nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden sein sollte, wie die Antragstellerinnen mit dem Hinweis auf unberücksichtigt gebliebene Kreise meinen, vermag der Senat nicht erkennen. Die Antragstellerinnen als einzelne Unternehmen mussten nicht beteiligt zu werden (vgl. dazu Tophoven, in: BeckOK UmweltR, § 51 BImSchG, Rn 5; Hofmann/Koch, in: GK BImschG Rn.21). Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Entwurf nach Durchführung der Anhörung in der Sache geändert worden wäre. Dass eine Stellungnahme beteiligter Kreise - etwa die der Deutschen Holzwirtschaft vom 30.06.2017 - nicht in deren Sinne Berücksichtigung gefunden haben mag, macht das Anhörungsverfahren noch nicht fehlerhaft. Insbesondere besteht keine Pflicht, eine solche durch eine eigene Stellungnahme zu erörtern oder gar formal zurückzuweisen (vgl. Thiel, in: Landmann/Rohmer UmweltR <92. EL Feb. 2020>, § 51 BImSchG Rn. 26 f.). Abgesehen davon führte eine etwa unzureichende Auseinandersetzung in der Sache mangels besonderer Schwere noch nicht zur Unwirksamkeit der Verwaltungsvorschrift aus formellen Gründen (vgl. Thiel, a.a.O., Rn. 30 f.; anders für den - hier freilich nicht vorliegenden - Fall einer gar nicht oder zu spät erfolgten Beteiligung Jarass, BImSchG 13. A. 2020, § 51 Rn. 4).
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b) Die hier in Rede stehenden Technischen Baubestimmungen sind jedoch nicht von der Rechtsgrundlage in § 73a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 LBO gedeckt, auf die sie allein gestützt sind, sodass es auf die von den Beteiligten - zunächst allein - in den Vordergrund gestellte und in ihren Schriftsätzen ausführlich behandelte Frage einer Vereinbarkeit mit Unionsrecht, nämlich mit Art. 8 Abs. 4 der Bauproduktenverordnung i. V. m. der auf sie gestützten harmonisierten Norm DIN EN 13986 „Holzwerkstoffe zur Verwendung im Bauwesen - Eigenschaften, Bewertung der Konformität und Kennzeichnung“ sowie die Vereinbarkeit mit Grundrechten, insbesondere Art. 12 Abs. 1 GG, nicht mehr ankommt.
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(1) Mit den angegriffenen Anforderungen an VOC-Emissionen sollen die Anforderungen des § 3 Abs. 1 Satz 1 LBO in Bezug auf die Leistung von Bauprodukten in bestimmten baulichen Anlagen und ihrer Teile konkretisiert werden, nämlich in Bezug auf Merkmale von Bauprodukten, die sich für einen Verwendungszweck auf die Erfüllung der Anforderungen nach § 3 Abs. 1 Satz 1 LBO auswirken (§ 73a Abs. 2 Nr. 3b LBO), ferner in Bezug auf Verfahren für die Feststellung der Leistung eines Bauprodukts im Hinblick auf solche Merkmale (§ 73a Abs. 2 Nr. 3c LBO) sowie schließlich in Bezug auf die für einen bestimmten Verwendungszweck erforderliche Leistung in Bezug auf ein solches Merkmal (§ 73a Abs. 2 Nr. 3f LBO). Dagegen handelt es sich, wie bereits aus dem für die Feststellung der Leistung maßgeblichen Verfahren („Prüfkammertests nach der prEN 16516:2015-05“) erhellt (vgl. auch 1 des Anhangs 8), nicht um unmittelbare Konkretisierungen in Bezug auf bestimmte bauliche Anlagen oder ihre Teile (§ 73a Abs. 2 Nr. 1 LBO) oder die Planung, Bemessung und Ausführung baulicher Anlagen und ihrer Teile (§ 73a Abs. 2 Nr. 2 LBO), wie es die Gliederungsüberschrift 2.2 ABG „Besondere Anforderungen an Aufenthaltsräume und baulich nicht davon abgetrennte Räume“ erwarten lässt.
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(2) Einer Konkretisierung zugänglich sind nach § 73a Abs. 1 Satz1 LBO nur Anforderungen nach § 3 Abs. 1 Satz 1 LBO, mithin solche, die gewährleisten sollen, dass insbesondere durch bauliche Anlagen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung, insbesondere Leben, Gesundheit oder die natürlichen Lebensgrundlagen, nicht bedroht werden und jene ihrem Zweck entsprechend ohne Missstände benutzbar sind. § 3 Abs. 1 Satz 1 LBO gibt als Grundnorm den gesetzlichen Rahmen für das Bauordnungsrecht vor. Alle aufgrund der Landesbauordnung erlassenen Rechtsverordnungen, örtlichen Bauvorschriften, Verwaltungsvorschriften und Einzelanordnungen müssen sich, soweit nichts anderes bestimmt ist, in diesem Rahmen halten (vgl. Sauter, LBO 3. A. < Nov. 2019> § 3 Rn. 2, § 73 Rn. 16; auch Nds. OVG, Urt. v. 04.12.2015 - 1 LC 178/14 -, BauR 2016, 985).
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Mit der Anforderung, dass „die öffentliche Sicherheit oder Ordnung, insbesondere Leben, Gesundheit oder die natürlichen Lebensgrundlagen, nicht bedroht werden“, ist die (klassische) Gefahrenabwehr (vgl. § 1 Abs. 1 PolG) und nicht eine darüberhinausgehende "Vorsorge" oder "Vorbeugung" angesprochen.
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Mit der Anforderung, dass die baulichen Anlagen zweckentsprechend ohne Missstände benutzbar sein müssen, wird entgegen der Auffassung des Antragsgegners lediglich verdeutlicht, dass die Baugenehmigung nicht nur die Errichtung des Baukörpers, sondern auch die bestimmungsgemäße Nutzung der Anlage zum Gegenstand hat. Insofern ist für die Beurteilung, ob eine bauliche Anlage die öffentliche Sicherheit und Ordnung bedroht, nicht nur auf den Baukörper als solchen, sondern auch auf die Bausubstanz in der ihr zugedachten Funktion abzustellen. Missstände sind dementsprechend anzunehmen, wenn bei der bestimmungsgemäßen Nutzung - während der üblichen Lebensdauer der jeweiligen baulichen Anlage - die öffentliche Sicherheit und Ordnung beeinträchtigt wird (vgl. zum Ganzen Sauter, a.a.O., § 3 Rn. 19). Ist die Gefahrenprognose damit auch regelmäßig für eine längere Nutzungsdauer zu stellen und reicht es aus, dass auch erst nach Jahren mit einem Schadenseintritt zu rechnen ist (vgl. Schlotterbeck, in: ders./Hager/Busch/Gammerl, LBO/LOAVO 7. A. 2016, § 3 Rn. 30), bedeutet dies nicht, dass die Baurechtsbehörden zu einer Gefahrenvorsorge berufen wären. Dies gilt auch dann, wenn mit der weiteren Anforderung auch das „Bausozialrecht“ angesprochen sein sollte (vgl. Schlotterbeck, a.a.O., Rn. 40).
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Soweit § 3 Abs. 1 Satz 1 LBO die Berücksichtigung der Grundanforderungen an Bauwerke gemäß Anhang 1 der Verordnung (EU) Nr. 305/2011 (Bauproduktenverordnung) vorsieht, führt auch dies entgegen der Auffassung des Antragsgegners nicht zu einer Erweiterung der sich aus § 3 Abs. 1 Satz 1 LBO ergebenden Hauptaufgabe des Bauordnungsrechts, Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwehren (vgl. dazu LT-Drs. 16/2745, S. 19).
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Dass § 3 Abs. 1 LBO jedenfalls in vorliegendem Zusammenhang auch zur Gefahrenvorsorge ermächtigte, folgt auch nicht etwa aus der die Generalklausel bereits konkretisierenden Vorschrift des § 14 Abs. 2 LBO, wonach bauliche Anlagen u. a. so angeordnet, beschaffen und gebrauchstauglich sein müssen, dass u. a. durch chemische, physikalische und biologische Einflüsse bei sachgerechtem Gebrauch nicht Gefahren oder unzumutbare Belästigungen entstehen. Unter letzteren sind zwar Störungen des körperlichen oder seelischen Wohlbefindens zu verstehen, die (noch) nicht mit einem Schaden für die Gesundheit verbunden sind, aber von den Betroffenen rechtlich nicht mehr hingenommen zu werden brauchen (vgl. Sauter, a.a.O., § 14 Rn. 9). Jedoch führten solche Belästigungen zu einer Störung der öffentlichen Ordnung, sodass es auch insoweit um Gefahrenabwehr geht (vgl. BeckOK BauordnungsR BW <2020> / Spannowsky BW BWLBO § 3 Rn. 30); es wird lediglich ein anderes Schutzgut angesprochen.
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Umfassen die Befugnisse und Ermächtigungen der Baurechtsbehörden - von besonders geregelten Ausnahmen einmal abgesehen (vgl. etwa § 15 Abs. 1 LBO zum vorbeugenden Brandschutz) - Vorsorgemaßnahmen nicht ausdrücklich, kann die in § 73a Abs. 1 Satz 1 LBO in Bezug genommenen Generalklausel auch nicht erweiternd i. S. einer Gefahrenvorsorge ausgelegt werden, indem den obersten Baurechtsbehörden, wie der Antragsgegner meint, eine "Einschätzungsprärogative" in Bezug darauf zugebilligt wird, ob die ihnen vorliegenden Erkenntnisse die Annahme einer (abstrakten) Gefahr rechtfertigen. Denn eine solche Einschätzungsprärogative ist dem in Generalklauseln nach Art des § 3 Abs. 1 Satz 1 LBO gefassten allgemeinen Recht der Gefahrenabwehr fremd (vgl. BVerwG, Urt. v. 03.07.2002 - 6 CN 8.01 -, BVerwGE 116, 347; i. E. wohl anders BeckOK, a.a.O., BWLBO § 3 Überblick u. Rn. 19 ff.; NdsOVG, Urt. v. 04.12.2015, a.a.O.). Auch der Verweis auf die Technischen Baubestimmungen, in denen eine Gefahrenvorsorge i. S. eines dynamischen Grundrechtsschutzes zum Ausdruck komme (vgl. BeckOK, a.a.O., BWLBO § 3 Rn. 20), führt nicht weiter, weil es sich insoweit um einen Zirkelschluss handelt.
51
Der klassische Gefahrenbegriff, der danach - jedenfalls im Grundsatz - auch der Landesbauordnung zugrunde liegt, ist dadurch gekennzeichnet, dass "aus gewissen gegenwärtigen Zuständen nach dem Gesetz der Kausalität gewisse andere Schaden bringende Zustände und Ereignisse erwachsen werden" (vgl. bereits PrOVG, Urt. v. 15.10. 1894, PrVBl 16, 125, 126). Schadensmöglichkeiten, die sich lediglich nicht ausschließen lassen, weil nach dem derzeitigen Wissensstand bestimmte Ursachenzusammenhänge weder bejaht noch verneint werden können, begründen noch keine Gefahr, sondern lediglich einen Gefahrenverdacht oder ein "Besorgnispotential" (vgl. BVerwG, Urt. v. 03.07.2002, a.a.O.; Urt. v. 19.12.1985 - 7 C 65.82 -, BVerwGE 72, 300, 315).
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Maßgebliches Kriterium zur Feststellung einer Gefahr ist damit die hinreichende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts (vgl. BVerwG, Urt. v. 03.07.2002, a.a.O.; Urt. v. 26.02.1974 - 1 C 31.72 - BVerwGE 45, 51, 57). Das trifft nicht nur für die "konkrete" Gefahr zu, die zu Abwehrmaßnahmen im Einzelfall berechtigt, sondern grundsätzlich auch für die für Rechtsverordnungen nach § 73 Abs. 1 LBO - und auch für die auf § 73a Abs. 1 LBO gestützten Verwaltungsvorschriften - erforderliche "abstrakte" Gefahr (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 04.12.1975 - III 905/73 -; anders im Ergebnis Nds. OVG, Beschl. v. 04.12.2015, a.a.O.). Diese unterscheidet sich von der konkreten Gefahr nicht durch den Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts, sondern durch den Bezugspunkt der Gefahrenprognose bzw. die Betrachtungsweise: Eine konkrete Gefahr liegt vor, wenn in dem zu beurteilenden konkreten Einzelfall in überschaubarer Zukunft mit dem Schadenseintritt hinreichend wahrscheinlich gerechnet werden kann; eine abstrakte Gefahr ist gegeben, wenn eine generell-abstrakte Betrachtung für bestimmte Arten von Verhaltensweisen oder Zuständen zu dem Ergebnis führt, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Schaden im Einzelfall einzutreten pflegt und daher Anlass besteht, diese Gefahr mit generell-abstrakten Mitteln, also einem Rechtssatz zu bekämpfen; das hat (lediglich) zur Folge, dass auf den Nachweis der Gefahr eines Schadenseintritts im Einzelfall verzichtet werden kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 03.07.2002, a.a.O.; Beschl. v. 24.10.1997 - 3 BN 1.97 -, Buchholz 418.9 TierSchG Nr. 10). Auch die Feststellung einer abstrakten Gefahr verlangt mithin eine in tatsächlicher Hinsicht genügend abgesicherte Prognose: Es müssen - bei abstrakt-genereller Betrachtung - hinreichende Anhaltspunkte vorhanden sein, die den Schluss auf den - hier innerhalb der üblichen Nutzungsdauer der entsprechenden baulichen Anlagen - drohenden Eintritt von Schäden rechtfertigen. Dabei liegt es im Wesen von Prognosen, dass die vorhergesagten Ereignisse wegen anderer als der erwarteten Geschehensabläufe ausbleiben können. Von dieser mit jeder Prognose verbundenen Unsicherheit ist jedoch die Ungewissheit zu unterscheiden, die bereits die tatsächlichen Grundlagen der Gefahrenprognose betrifft. Ist die Behörde mangels genügender Erkenntnisse über die Einzelheiten der zu regelnden Sachverhalte und/oder über die maßgeblichen Kausalverläufe zu der erforderlichen Gefahrenprognose nicht im Stande, so liegt keine Gefahr, sondern - allenfalls - eine mögliche Gefahr oder ein Gefahrenverdacht vor. Zwar kann auch in derartigen Situationen ein Bedürfnis bestehen, zum Schutz der etwa gefährdeten Rechtsgüter, namentlich höchstrangiger Rechtsgüter wie Leben und körperlicher Unversehrtheit von Menschen, Freiheitseinschränkungen anzuordnen. Doch beruht ein solches Einschreiten dann nicht auf der Feststellung einer Gefahr; vielmehr werden in einem solchen Falle Risiken bekämpft, die jenseits des Bereichs feststellbarer Gefahren verbleiben. Das setzt eine Risikobewertung voraus (vgl. dazu EuGH, Urt. v. 23.09.2003 - C-192/01 -, juris Rn. 49 ff.), die - im Gegensatz zur Feststellung einer Gefahr - über einen Rechtsanwendungsvorgang weit hinausgeht und mehr oder weniger zwangsläufig neben der Beurteilung der Intensität der bestehenden Verdachtsmomente eine Abschätzung der Hinnehmbarkeit der Risiken sowie der Akzeptanz oder Nichtakzeptanz der in Betracht kommenden Freiheitseinschränkungen in der Öffentlichkeit einschließt, mithin - in diesem Sinne - "politisch" geprägt oder mitgeprägt ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 03.07.2002, a.a.O.; BVerfG, Beschl. v. 28.02.2002 - 1 BvR 1676/01 -, DVBl 2002, 614).
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Eine derart weitreichende Bewertungs- und Entscheidungskompetenz steht den obersten Baurechtsbehörden aufgrund der Ermächtigungen nach § 73a Abs. 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 LBO nicht zu. Es wäre mit den Grundsätzen der Bestimmtheit gesetzlicher Ermächtigungen zum Erlass von Rechtsvorschriften oder Verwaltungsvorschriften der Exekutive und des Vorbehalts des Gesetzes nicht vereinbar, wenn die Exekutive ohne strikte Bindung an den überlieferten Gefahrenbegriff kraft eigener Bewertung über die Notwendigkeit oder Vertretbarkeit eines Erlasses von Rechts- oder Verwaltungsvorschriften entscheiden könnte. Die rechtsstaatliche und demokratische Garantiefunktion der sicherheitsrechtlichen Normermächtigungen wäre in Frage gestellt, könnte die Exekutive nach jenen Vorschriften bereits einen mehr oder minder begründeten Verdacht zum Anlass für generelle Freiheitseinschränkungen nehmen. Vielmehr ist es Sache des zuständigen Gesetzgebers, sachgebietsbezogen darüber zu entscheiden, ob, mit welchem Schutzniveau (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.12.1985, a.a.O., S. 316) und auf welche Weise Schadensmöglichkeiten vorsorgend entgegengewirkt werden soll, die nicht durch ausreichende Kenntnisse belegt, aber auch nicht auszuschließen sind. Allein der Gesetzgeber ist befugt, unter Abwägung der widerstreitenden Interessen die Rechtsgrundlagen für Grundrechtseingriffe zu schaffen, mit denen Risiken vermindert werden sollen, für die - sei es aufgrund neuer Verdachtsmomente, sei es aufgrund eines gesellschaftlichen Wandels oder einer veränderten Wahrnehmung in der Bevölkerung - Regelungen gefordert werden. Das geschieht üblicherweise durch eine Absenkung der Gefahrenschwelle in dem ermächtigenden Gesetz von der "Gefahrenabwehr" zur "Vorsorge" gegen drohende Schäden (vgl. etwa § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG, § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG, § 6 Abs. 2 GenTG, § 7 BBodSchG; zum Ganzen BVerwG, Urt. v. 03.07.2002, a.a.O.), wovon in § 3 Abs. 1 Satz 1 LBO gerade kein Gebrauch gemacht worden ist. Auch darin zeigt sich positivrechtlich, dass dem Gefahrenbegriff eben nicht aus sich heraus bereits eine Erstreckung auf die Aufgabe der Risiko- oder Gefahrenvorsorge innewohnt (zum Ganzen BVerwG, Urt. v. 03.07.2002, a.a.O.; auch Schlotterbeck, a.a.O., § 3 Rn. 22, 25; Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 3. A. 2001, Rn. 35; VGH BW, Urt. v. 28.07.2009 - 1 S 2200/08 -, VBlBW 2010, 29; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 16.10.2001 - 1 S 2346/00 -. VBlBW 2002, 292; di Fabio, JURA 1996, 566 <571>; anders wohl BeckOK, a.a.O., BWLBO § 3 Rn. 19 ff.; Nds. OVG, Urt. v. 04.12.2015, a.a.O.; BayVGH, Urt. v. 18.05.2017 - 2 B 17.543 -, NVwZ-RR 2017, 811; Sächs.OVG, Beschl. v. 11.02.2019 - 1 B 454.18 -, juris Rn. 17: „vorbeugender Gesundheitsschutz“).
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Danach muss ausgehend von dem bereits erreichten Stand von Wissenschaft und Technik (vgl. BVerwG, Beschl. v. 16.02.1998 - 11 B 5.98 -, Buchholz 451.171 § 7 AtG Nr. 6 zu § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG) aus Tatsachen entweder der allgemeine praktische Verstand oder der wissenschaftliche Sachverstand, gestützt auf entsprechende Lebenserfahrungen oder (gesicherte) wissenschaftliche Erfahrungssätze, eine abstrakte Schädigungsvermutung belegen und begründen können (vgl. Di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 67; Pfaundler, UPR 1999, 336 <337>). Bei unterschiedlichen wissenschaftlichen Auffassungen müssen die, die entsprechende - hier gesundheitsschädliche - Auswirkungen erwarten, bei einer wertenden Betrachtung überwiegen (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 17.09.2020 - 9 S 2343/20 - zu Art. 14 Abs. 2 Buchst. a) der VO (EG) Nr. 178/2002).
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(3) Ausgehend davon vermag der Senat jedoch nicht festzustellen (vgl. demgegenüber Senatsbeschl. v. 15.05.1991 - 8 S 1068/91 -, UPR 1992, 32 zur konkreten Gefahr bei Spritzasbestbeschichtung), dass der zum maßgeblichen Zeitpunkt (vgl. EuGH, Urt. v. 23.09.2003, a.a.O., juris Rn. 48) des Erlasses der Verwaltungsvorschrift - dem 20.12.2017 - vorhandene (gesicherte) Erkenntnisstand die Annahme einer abstrakten Gefahr für die menschliche Gesundheit gerechtfertigt hätte, sollten die angegriffenen Summengrenzwerte TVOCspez und TSVOC, der vorgegebene (Summen-)R-Wert oder die festgelegte Mengenbegrenzung (2.2.1.1 ABG) überschritten werden.
56
Obwohl dem Antragsgegner die vorläufige Einschätzung des Senats aus den in den vorläufigen Rechtsschutzverfahren ergangenen Beschlüssen bekannt war, hat dieser bis zuletzt nicht aufzuzeigen vermocht, dass mit der Überschreitung der von ihm festgelegten Summenwerte bereits die Gefahrenschwelle überschritten würde.
57
Dies geht weder aus den umfangreichen Schriftsätzen seines Prozessbevollmächtigten hervor, in denen solches zuletzt einfach behauptet wird, noch aus den vorgelegten zahlreichen Studien und sachverständigen Stellungnahmen. Auch den ergänzenden Erläuterungen der in der mündlichen Verhandlung informatorisch gehörten sachverständigen Personen bzw. Sachverständigen kann dies nicht entnommen werden. Soweit die Beteiligten bis kurz vor der mündlichen Verhandlung noch verschiedene, teilweise eigens für das Normenkontrollverfahren eingeholte gutachterliche Stellungnahmen und Studien vorgelegt haben, waren diese freilich nur insoweit zu berücksichtigen, als sie den seinerzeit vorhandenen Erkenntnisstand erläutern. Soweit sie dagegen aufgrund neuerer Untersuchungen gewonnene Erkenntnisse wiedergeben, waren sie aufgrund des für die rechtliche Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkts des Erlasses der Verwaltungsvorschrift schon nicht entscheidungserheblich.
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Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass es - entgegen der Auffassung des Antragsgegners - nicht allgemein um von irgendwelchen VOC-Emissionen ausgehende, irgendwann festgestellte nachteilige Wirkungen geht, die in Abhängigkeit von ihrer jeweiligen Konzentration in der Innenraumluft geeignet sein können, nicht nur zu Gesundheitsrisiken, sondern zu einer Gesundheitsgefährdung zu führen (vgl. zu von aus Ottokraftstoff stammenden VOC-Emissionen etwa die zur Umsetzung der Richtlinie 94/63/EG erlassene 20. BImSchV und BVerwG, Beschl. v. 18.06.2012 - 7 B 62.11 -, Buchholz 406.25 § 7 BImSchG Nr. 2). Vielmehr kommt es darauf an, ob gerade die Einhaltung der im Anhang 8 - Anforderungen an bauliche Anlagen bezüglich des Gesundheitsschutzes (ABG) - unter 2.2.1.1 konkret an VOC-Emissionen gestellten Anforderungen, soweit sie angegriffen sind, erforderlich waren, um (auch) von Span- und OSB-Platten (als verklebte Hölzer) - im Hinblick auf die aus ihnen emittierenden spezifischen VOCs - abstrakte Gesundheitsgefahren abzuwehren, weil die entsprechenden VOC-Emissionen sonst während der üblichen (langen) Nutzungsdauer der (schutzbedürftige Räume umfassenden) baulichen Anlage zu einer Gesundheitsschädigung (oder zu einer - hier freilich nicht in Rede stehenden - unzumutbaren Belästigung) führten.
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Eine solche Annahme setzt voraus, dass die konkret festgelegten Summenwerte nicht nur geeignet sind, eine gesundheitsgefährdende Exposition der Nutzer von vornherein auszuschließen, sondern gerade die Schwelle zu konkretisieren, die Gefahrenabwehrmaßnahmen erst zulässt. Insofern steht keineswegs nur die Verhältnismäßigkeit von jedenfalls zulässigen Gefahrenabwehrmaßnahmen in Rede, wie der Antragsgegner meint.
60
Danach führt es von vornherein nicht weiter, wenn der Antragsgegner immer wieder darauf verweist, dass Wirkungen von VOCs von Geruchsempfindungen und Reizwirkungen auf die Schleimhäute von Augen und Nase und Rachen über Wirkungen auf das Nervensystem hin zu Langzeitwirkungen reichten, denn damit wird noch nicht einmal ansatzweise aufgezeigt, dass es zu solchen Wirkungen bereits bei Nichteinhaltung der in der Verwaltungsvorschrift enthaltenen, streitgegenständlichen Anforderungen käme. Ebenso wenig lässt der weitere Hinweis, dass „zur Vermeidung einer unendlichen Gesamtkonzentration an Stoffemissionen und damit zur Abwehr gesundheitlich nachteiliger Wirkungen“ die „einschlägigen ECA-Berichte“ eine Obergrenze für TVOC als eine Mindestanforderung für einen hinreichenden Gesundheitsschutz vorsähen (vgl. AgBB Bewertungsschema für VOC aus Bauprodukten 2018), erkennen, dass gerade die hier in Rede stehenden, von den in Anlage 3 aufgeführten Bauprodukten in der Prüfkammer einzuhaltenden Summenwerte jeweils zur Gefahrenabwehr erforderlich wären.
61
Dass mit den angegriffenen Anforderungen an VOC-Emissionen unter 2.2.1.1. nicht abstrakte Gefahren, sondern i. S. einer Gefahrenvorsorge nur möglichen, nicht ausschließbaren Gefahren entgegengetreten werden sollte, lässt bereits der Anhang 8 - Anforderungen an bauliche Anlagen bezüglich des Gesundheitsschutzes (ABG) - selbst bzw. das ihm zugrundliegende AgBB-Bewertungsschema (nunmehr veröffentlicht als AgBB-Bewertungsschema 2018) erkennen. Die damit verfolgte Zielsetzung, die jeweiligen Definitionen der zu bestimmenden Parameter, das maßgebliche Prüfverfahren und die daraus letztlich abgeleiteten, „gegriffen“ erscheinenden, als Grenzwerte zu beachtenden Summenwerte lassen - zumal vor dem Hintergrund der für Einzelstoffe vorhandenen Innenraumwerte RW II - nur den Schluss zu, dass eine über die Gefahrenabwehr hinausgehende Schadens- bzw. Risikovorsorge getroffen wurde, auch wenn der Antragsgegner dies neuerdings anders darzustellen versucht, indem er etwas andere Formulierungen verwendet, die nahelegen sollen, dass mit jenen Anforderungen tatsächlich abstrakte Gefahren abgewehrt werden sollten.
62
Bereits aus den von ihm selbst vorgelegten Verlautbarungen des Ausschusses für gesundheitliche Bewertung (AgBB) „Anforderungen an die Innenraumluftqualität in Gebäuden: Gesundheitliche Bewertung der Emissionen von flüchtigen organischen Verbindungen (VVOC, VOC, und SVOC)“ geht hervor, dass es bei dem auch den angegriffenen AGB zugrundeliegenden AgBB-Bewertungsschema, um die „Sicherung einer gesundheitlich (bzw. hygienisch) unbedenklichen Innenraumqualität in baulichen Anlagen“ und damit nicht um die Abwehr abstrakter Gefahren geht. Auch an anderer Stelle hat der Ausschuss bei Aktualisierung seines Bewertungsschemas die Notwendigkeit betont, die Eignung von Bauprodukten zur Verwendung in Innenräumen zu prüfen und zu bewerten, um die Sicherstellung einer gesundheitlich unbedenklichen Innenraumluftqualität als baurechtliches Schutzziel zu gewährleisten(https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/355/dokumente/aenderungen_und ergaenzungen_im_agbb-schema_2018.pdf). Dem entspricht, dass die Anforderungen in den ABG auch mit Blick auf sich in Aufenthaltsräumen aufhaltende (chronisch) kranke Menschen aufgestellt wurden, auf die nach (bau)polizeirechtlichen Grundsätzen nicht abgehoben werden kann (vgl. Sauter, LBO 3. A. , § 3 Rn. 12); aus § 3 Abs. 2 LBO lässt sich für das Bauordnungsrecht nichts anderes herleiten (vgl. hierzu Sauter, a.a.O., § 3 Rn. 49 ff.). Schließlich wird nach dem Bewertungskonzept auch der konsequente Einsatz emissionsarmer Bauprodukte angestrebt.
63
Dass es nicht um die Einhaltung von Gefahrenschwellen geht, kommt insbesondere darin zum Ausdruck, dass die einzuhaltenden Werte - einmal abgesehen von den nicht angegriffenen, ebenfalls einzuhaltenden Emissionswerten von 0,01 bzw. 0.001 mg/m3 für einzelne kanzerogene Stoffe der EU-Kategorie 1A und 1B nach der CLP-Verordnung (EG) - allesamt Summenwerte sind (TVOCspez-Wert, TSVOC-Wert, R-Wert nach gewichteter Einzelstoffbewertung, Mengenbegrenzung von VOC ohne Bewertungsmaßstäbe nach NIK), die sich aus der Aufsummierung verschieden bewerteter Einzelstoffkonzentrationen ergeben, denen ganz unterschiedlich hohe Risiken eigen sind. Auch eine in dem Bewertungsschema ohne weiteres und ohne jede Differenzierung angenommene additive Wirkung von VOC stellt für sich genommen noch keinen plausiblen Grund dar, unabhängig davon, welche VOC aus der sehr umfangreichen Liste ganz unterschiedlicher Zielverbindungen in Anlage 2 letztlich für die Überschreitung der jeweiligen Summenwerte in der Prüfkammer ursächlich waren, allgemein deren Einhaltung von allen Bauprodukten der Anlage 3 zu fordern. Dies gilt unabhängig davon, ob eine additive Wirkung nur bei gleichen Wirkungsendpunkten (vgl. Prof. Dr. Mersch-Sundermann in der mündlichen Verhandlung), bei ähnlich wirkenden Einzelstoffen - etwa für Terpene einerseits und Aldehyde anderseits (vgl. die entsprechenden Innenraumwerte des AIR), oder bereits dann angenommen werden konnte, wenn die Einzelstoffe jeweils inhalativ aufgenommen werden (vgl. Dr. Witten, AgBB, ebenfalls in der mündlichen Verhandlung). Soweit der Antragsgegner im Schriftsatz vom 29.09.2020 nun gar - von Ausnahmen abgesehen - unabhängig von den jeweiligen Einzelstoffen und deren bekannten Wirkungen verallgemeinernd von einer (mindestens) additiven Wirkung ausgeht, lässt sich dies auch nicht der von ihm als „Beleg“ vorgelegten, eigens für das Normenkontrollverfahren eingeholten Stellungnahme des Umweltbundesamtes vom 20.09.2020 (S. 12) entnehmen.
64
Mit der zunächst bestimmten (absoluten) Obergrenze für VOC-Emissionen (TVOCspez) soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass die Bewohner von Gebäuden immer einer Vielzahl von Substanzen ausgesetzt sind, weshalb eine unendliche Gesamtkonzentration an Stoffemissionen vermieden werden soll. Wissenschaftlich kontrollierte anerkannte Humanstudien und epidemiologische Untersuchungen sollen eine eindeutige konzentrationsabhängige Wirkungsbeziehung für gesundheitliche Effekte durch die Summe an definierten flüchtigen organischen Stoffen ergeben haben. Die in den ABG als TVOCspez bezeichnete Summe von VOC stellt freilich die Summe der Konzentrationen der substanzspezifisch quantifizierten Zielverbindungen (NIK-Stoffe) sowie der über das Toluoläquivalent quantifizierten, nicht identifizierten und Nichtzielverbindungen mit jeweils einer Konzentration ab 5 µg/m3 dar. Es liegt auf der Hand, dass sich allein mit der Überschreitung eines aus ganz unterschiedlich hohe Risiken aufweisenden Einzelstoffen gebildeten Summenwerts von 1 mg/m3 nicht ohne Weiteres eine (abstrakte) Gefahr begründen lässt. Dem entspricht auch der Hinweis in der von der Verwaltungsvorschrift für maßgeblich erklärten, inzwischen in Kraft getretenen, in der harmonisierten Produktnorm DIN EN 13986 freilich (noch) nicht in Bezug genommenen horizontalen Prüfnorm DIN EN 16516:2018-01, die der Antragsgegner als Beleg für eine Gefährlichkeit der hier in Rede stehenden VOC gewertet wissen will. So heißt es dort (a.a.O., S. 34):
65
„Die Emissionswerte für TVOC und TSVOC beinhalten eine undefinierte Mischung von Substanzen unterschiedlicher oder nicht genau definierter Toxizität. Sie sind keine zuverlässigen Indikatoren dafür, welche Wirkungen die Emissionen aus Produkten auf die menschliche Gesundheit haben.“
66
Dem entspricht auch, dass von dem beim Umweltbundesamt gebildeten Ausschuss für Innenraumwerte (AIR) bzw. seinem Vorgängergremium (Ad-hoc-Arbeitsgruppe Innenraumwerte der IRK/AOLG) einerseits - für einzelne Substanzen oder Substanzgruppen - bundeseinheitliche, gesundheitsbezogene Richtwerte (RW I und RW II) sowie anderseits (in TVOC-Summenwerten ausgedrückte) hygienische Leit- bzw. Referenzwerte andererseits festgelegt wurden (vgl. die vom Antragsgegner vorgelegte Bekanntmachung des Umweltbundesamts „Beurteilung von Innenraumluftkontaminationen mittels Referenz- und Richtwerten (BuGesBl. 2007, 990 ff.; phttps://www.umweltbundesamt.de/themen/gesundheit/kommissionen-arbeitsgruppen/ausschuss-fuer-innenraumrichtwerte-vormals-ad-hoc-ausschuss-fur-innenraumrichtwerte). Dabei wird lediglich der Richtwert RW II als wirkungsbezogener Wert bezeichnet, der sich auf die gegenwärtigen toxikologischen und epidemiologischen Kenntnisse zur Wirkungsschwelle eines Stoffes - allerdings auch unter Einführung von Unsicherheitsfaktoren - stütze und die Konzentration darstelle, bei deren Erreichen bzw. Überschreiten unverzüglich zu handeln sei, weil sie (besonders) für empfindliche Personen bei Daueraufenthalt in den Räumen eine gesundheitliche Gefährdung sein k ö n n e bzw. nicht mehr mit hinreichender Wahrscheinlichkeit a u s z u s c h l i e ß e n sei. Im Hinblick auf die - auch vom Antragsgegner immer wieder angeführten - systematischen praktischen Erfahrungen, dass mit steigender Konzentration die Wahrscheinlichkeit für Beschwerden oder nachteilige Auswirkungen zunimmt, der Kenntnisstand aber nicht ausreicht, um rein toxikologisch begründete Richtwerte abzuleiten, sowie die Erkenntnis, dass die Innenraumluft zahlreiche organische Verbindungen enthalten kann, wurden 2007 auch in TVOC-Summenwerte ausgedrückte, als Referenzwerte zu interpretierende „hygienische Leitwerte“ erarbeitet, wobei der hier interessierende Konzentrationsbereich von 1,0 - bis 3,0 mg/m3 lediglich als „hygienisch auffällig“ bewertet wurde, was bedeute, dass die gesundheitliche Relevanz geprüft werden sollte und eine toxikologische Einzelbewertung zumindest der Stoffe mit den höchsten Konzentrationen empfohlen werde; dabei hätten die toxikologisch begründeten Richtwerte allerdings stets Vorrang vor dem TVOC-Konzept.
67
Dazu wird in der Bekanntmachung (a.a.O., S. 995) im Einzelnen ausgeführt:
68
„Der Vorteil dieser (für die Innenraumluft aufgestellten) Richtwerte (der Ad-hoc-AG IRK/AOLG (Stand 2006) für Einzelstoffe) ist ihr einheitlicher, am Gefahrenbezug orientierter Ableitungsweg. ... Der Richtwert II ist dadurch charakterisiert, dass (erst) bei seiner Überschreitung im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 1 und § 16 der jeweiligen Landesbauordnung mit Gesundheitsgefahren besonders für empfindliche Personen wie z. B. Schwangere, Säuglinge und Kleinkinder zu rechnen ist.“
69
und (a.a.O., S. 996):
70
„Der TVOC-Wert hat aufgrund der unterschiedlichen Zusammensetzung des in der Innenraumluft auftretenden Substanzgemisches keine konkrete toxikologische Basis.“
71
sowie (a.a.O., S. 992, 997):
72
„Das TVOC-Konzept basiert prinzipiell auf der statistischen Auswertung der Daten des 1. Umweltsurveys von 1985/86, bei dem die Luft in Wohnräumen untersucht wurde. TVOC-Werte können damit im Sinne von Referenzwerten interpretiert werden.“
73
„Referenzwerte geben keinen Aufschluss über eine Gesundheitsgefährdung. Es wird lediglich ausgesagt, dass der überwiegende Teil der Bevölkerung in einer vergleichbaren Größenordnung exponiert ist.
74
Inwiefern der Antragsgegner 2017 von einem gegenteiligen Erkenntnisstand hätte ausgehen dürfen, lassen auch die von ihm darüber hinaus vorgelegten zahlreichen Anlagen nicht erkennen. Vielmehr bestätigen diese gerade, dass TVOC-Werte auch weiterhin nicht als zuverlässige Indikatoren dafür angesehen werden, welche Wirkungen die Emissionen aus Produkten auf die menschliche Gesundheit haben. Auch der Umstand, dass ein differenziertes Vorgehen nach Einzelstoffen bzw. Stoffgruppen aufwändiger sein mag, rechtfertigt es ungeachtet dessen, dass Hersteller auf nicht geregelte Einzelstoffe ausweichen könnten, nicht, Summenwerte festzulegen, die Gefahren jedenfalls auszuschließen geeignet sind.
75
Auch Hofmann/Maraun halten in ihrem vom Antragsgegner vorgelegten Abschlussbericht vom 17./18.09.2020 fest, dass die Emissionsbewertung von Bauprodukten (zwar) letztendlich den Ausschluss einer gesundheitlichen Gefährdung der Raumnutzer gewährleisten solle, die Vermeidung gesundheitlicher Beeinträchtigungen (jedoch) durch die Einhaltung von toxikologisch abgeleiteten Innenraumrichtwerten erreicht werde und Summenwerte aufgrund ihrer heterogenen Zusammensetzung keine zuverlässigen gesundheitsbezogenen Indikatoren darstellten (a.a.O. S. 15).
76
Soweit sie aufgrund eines Vergleichs mit den für einen Teil der Holzwerkstoff-typischen VOC-Emissionen zur Verfügung stehenden Innenraumrichtwerten auch das AgBB-Bewertungsschema - insoweit - als ein „auf Gefahrenabwehr abzielendes Instrument“ einstufen, vermag dies indes nicht zu überzeugen. Insbesondere wird nicht nachvollziehbar aufgezeigt, warum - bei OSB-Platten - bei Überschreitung des Summenwerts von 1 mg/m3 in der Prüfkammer jedenfalls auch eine Überschreitung der für die entsprechenden Einzelstoffe bzw. Stoffgruppen geltenden Innenraumrichtwerte RW II im Realraum zu erwarten wäre, weil etwa anderen Einzelstoffen keine maßgebliche Bedeutung zukäme. Auch lassen diese Überlegungen nicht erkennen, warum damit mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine gesundheitliche Gefährdung angenommen werden könnte. Denn dies setzte voraus, dass die Richtwerte RW II ungeachtet dessen die Gefahrenschwelle markieren, dass auch sie auf Unsicherheitsfaktoren gestützt sind und sie bei Konzentrationen oberhalb des Richtwerts RW II gesundheitliche Gefahren bei empfindlichen Raumnutzern lediglich nicht mehr mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausschließen (vgl. UBA, Bekanntmachung, a.a.O., S. 992). Im Übrigen erscheint zweifelhaft, ob sich der angegriffene TVOCspez-Wert hinsichtlich bestimmter Holzwerkstoffe als rechtmäßig erwiese, wenn er ungeachtet seines fehlerhaften Ansatzes die Gefahrenschwelle zufällig getroffen haben sollte.
77
Schließlich können die Prüfkammerergebnisse ohnehin nicht ohne weiteres auf den Realraum übertragen werden und sind die Emissionsraten bei gleichen Klimabedingungen lediglich sehr ähnlich (vgl. die vom Antragsgegner vorgelegte Stellungname der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung v. 18.09.2020, S. 3; Hofmann/Maraun, a.a.O., S. 86).
78
Insofern ist nicht nachvollziehbar, warum der in der Prüfkammer ermittelte TVOCspez-Wert nun auf einmal geeignet sein sollte, die Gefahrenschwelle zu markieren, zumal nach gesichertem wissenschaftlichen Erkenntnisstand gerade einige holzwerkstoffspezifische VOCs - nämlich die Terpene -, wovon auch der Antragsgegner ausgeht, auch nach dem 28.Tag weiter abnehmen („abklingen“, vgl. die im Parallelverfahren vorgelegte Anlage ASt 17, Metastudie „GesundHOLZ“, S. 48, 63; BAM-Studie „Emissionsverhalten von Holz und Holzwerkstoffen“ v. März 2012, S. 90).
79
Bezugspunkt der Gefahrenprognose ist schließlich nicht der 3. oder 28. Tag in der Prüfkammer, sondern der deutlich spätere - frühestens nach Einbau der Bauprodukte beginnende - Zeitraum der Nutzung als Wohnraum (vgl. Bekanntmachung des UBA, a.a.O., S. 999). Auch Hofmann/Maraun messen in ihrem Abschlussbericht dem Zeitpunkt des Einbaus Bedeutung zu (a.a.O., S. 14 f.). Diese allgemein bekannten Alterungseffekte dürften letztlich auch für die in Abstimmung mit den Herstellern vorgenommene „Spezifizierung“ des Prüfverfahrens maßgeblich gewesen sein, wonach die Proben nicht genommen werden müssen, sobald die üblichen Herstellungsprozesse abgeschlossen und sie (tatsächlich) zur Verwendung bereit sind (vgl. der in Anhang 8 in Bezug genommene Entwurf der DIN EN 16516 bzw. die inzwischen vorliegende DIN EN 16516:2018-01, Nr. 5.3.6 u. 5.8), sondern erst spätestens 16 Wochen nach Erreichen der Handelsfähigkeit (!) gezogen und auch erst dann emissionsarm verpackt werden müssen. Dies könnte darauf hindeuten, dass der Antragsgegner inzwischen selbst Zweifel hat, dass die Prüfkammerergebnisse an den beiden Stichtagen auf den Realraum übertragen werden können.
80
Soweit der Prozessbevollmächtigte des Antragsgegners demgegenüber behauptet, die Emissionsbelastung im Realraum würde aufgrund der Prüfkammerergebnisse ohnehin „regelmäßig und meist sogar deutlich unterschätzt“, hat er hierfür keine verallgemeinerungsfähigen wissenschaftlichen Erkenntnisse angeführt, mag auch der Luftaustausch im Realraum häufig geringer als in der Prüfkammer sein. Auch der von ihm vorgelegten Anlage 32 lässt sich dies nicht entnehmen; der Antragsgegner selbst hat zu diesem Fallbeispiel angemerkt, dass die seinerzeit für die nachteiligen Auswirkungen als ursächlich angesehene, besondere Einbausituation in der Prüfkammer durchaus hätte nachgebildet werden können, wenn bei der Messung nur die richtigen Beladungsfaktoren angegeben worden wären.
81
Die vorstehenden Bedenken bestehen gleichermaßen gegen die Anforderung an die Summe der Konzentrationen der schwerflüchtigen organischen Verbindungen, die sich auf die Summe der identifizierten und nicht identifizierten und über das Toluoläquivalent quantifizierten SVOC mit jeweils einer Konzentration ab 5 µg/m3 bezieht und auf einen zusätzlichen Beitrag von 10% (= 0,1 mg/m3) der maximal zulässigen TVOCspez-Konzentration begrenzt wird. Auch wenn diese bei den in Rede stehenden Span- und OSB-Platten nicht von Bedeutung sein dürften, unterliegen sie doch auch insoweit einer Prüfung.
82
Auch die Anforderung nach gewichteter Einzelstoffbewertung, dass R als die Summe aller Ri den Wert 1 nicht übersteigen darf, markiert - entgegen der Auffassung des Antragsgegners - nicht die Schwelle zur Gefahr. Denn die Anforderung an den R-Wert beruht auf der Annahme, dass, wenn Ri (= C1/NIK) den Wert 1 unterschreitet, (überhaupt) k e i n e Wirkung auftritt. Damit bedeutet dieser Wert aber nur, dass Wirkungen nicht a u s z u s c h l i e ß e n sind. Denn dieser beruht letztlich auf sog. NIK-Werten (niedrigste interessierende Konzentration, engl. LCI - Lowest Concentration of Interest), die - teilweise unter Berücksichtigung verschiedener Faktoren aus vorhandenen Arbeitsplatzgrenzwerten (AGW) bzw. MAK-Werten - abgeleitet wurden, um VOC-Emissionen aus Bauprodukten soweit zu begrenzen, dass die in der Raumluft resultierenden Immissionen auch unter ungünstigen, aber noch realistischen Bedingungen die Gesundheit auch e m p f i n d l i c h e r Personen (Allergiker) bei Daueraufenthalt (jedenfalls) nicht gefährden. Diese stoffspezifischen Rechengrößen beschreiben damit nur die Schwelle, unterhalb derer für den Einzelstoff k e i n e nachteiligen Wirkungen (mehr) zu befürchten sind. Insoweit verhält es sich nicht anders als bei den aus dem Naturschutzrecht bekannten sog. Critical Loads (vgl. hierzu den Senatsbeschl. v. 15.01.2019 - 8 S 846/18 -; BVerwG, Urt. v. 28.09.2011 - 7 C 21.09 -, NVwZ 2012, 176). Auch die inzwischen maßgeblichen EU-LCI-Werte dienen der Vermeidung von Gesundheitsrisiken („EU-LCI values should be applied in product safety assessment with the ultimate goal to avoid health risks from long-term exposore of the general population.“, Ref. Ares(2018)3820029 - 18/07/2018).
83
Soweit der Antragsgegner die NIK-/LCI-Werte nun entgegen allen bisherigen Verlautbarungen des Umweltbundesamts und dem Sprachgebrauch der EU - unter Bezugnahme auf eine eigens eingeholte Stellungnahme des Umweltbundesamts vom 20.09.2020 (S. 4, anders freilich S. 5, wo auf den NOAEL als Ausgangspunkt hingewiesen wird) - nun dahin definiert, dass mit ihnen Schwellen gekennzeichnet würden, ab denen mit entsprechenden Wirkungen zu r e c h n e n bzw. nachteilige Wirkungen auf die Gesundheit zu b e f ü r c h - t e n seien, ist dies nicht nachvollziehbar, sollte damit zum Ausdruck gebracht werden, dass mit solchen Wirkungen dann bereits mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu rechnen wäre.
84
Auch bei einer additiven Wirkung in dem vom Antragsgegner angenommenen umfassenden Sinne, erschlösse sich noch immer nicht, warum bei der Addition sämtlicher Einzelkonzentrationen, die für sich genommen keinerlei Wirkungen haben, bereits die Gefahrenschwelle überschritten sein sollte.
85
Soweit Hofmann/Maraun in ihrem Abschlussbericht (S. 10, 79) darauf hinweisen, dass einzelne NIK-Werte „in guter Übereinstimmung mit den ebenfalls toxikologisch zur Abwehr von Gefahren abgeleiteten Innenraumrichtwerten RW II-Werte“ stünden, der NIK-Wert für die bicyklischen Terpene mit der Leitkomponente α-Pinen nur leicht über dem Richtwert RW II liege, aus der Gruppe der Aldehyde die Summe von lediglich drei Vertretern den Summenwert des Richtwerts RW II überschreiten würde und aus der Gruppe der Carbonsäuren jeder einzelne NIK-Wert leicht bis deutlich über dem Summenwert des Richtwerts II liege, wird damit nicht aufgezeigt, dass der nach dem Anhang 8 letztlich maßgebliche (Summen-)R-Wert - bei Span- oder OSB-Platten - nur dann überschritten wird, wenn es in der Folge auch zu entsprechenden Überschreitungen der für die jeweiligen Stoffgruppen geltenden Richtwerte RW II käme.
86
Selbst wenn die Annahme einer additiven Wirkung jeglicher Verbindungen ab Konzentrationen von 5 µg/m3 bei Span- und OSB-Platten aufgrund der zu erwartenden Zielverbindungen nicht zum Tragen käme, kommt auch hier dazu, dass der Summen-R-Wert lange vor dem Einbau in den Realraum in der Prüfkammer einzuhalten ist und Terpene auch nach dem 28. Tag weiter „abklingen“, sodass eben nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden kann, dass später auch die Innenraumrichtwerte RW II überschritten würden, was - aufgrund der auch bei diesen berücksichtigten Unsicherheitsfaktoren - dann immer noch nicht die hinreichende Wahrscheinlichkeit einer gesundheitlichen Gefährdung belegte. Dass der R-Wert bis 1,49 auf 1 abzurunden wäre, ändert schließlich nichts.
87
Soweit der Antragsgegner noch auf die sog. Fact Sheets verweist, in denen verschiedene Informationen auch zu holzwerkstoffspezifischen VOC zusammengetragen sind und auf bereits existierende Werte Bezug genommen wird, erschließt sich nicht, inwiefern diese auf eine andere Beurteilung führen sollten. Im Gegenteil rufen die jeweils beschriebenen Schlüsselstudien („Key Study“) - im Wesentlichen Labor- bzw. Tierversuche - erhebliche Zweifel hervor, ob sich die daraus im Wege der Extrapolation abgeleiteten Werte nicht nur zur Bewertung von Gesundheitsrisiken eignen, sondern darüber hinaus alleinige Grundlage von Maßnahmen zur Abwehr von abstrakten Gefahren für die menschliche Gesundheit sein können, zumal die NIK-/LCI-Werte - wie auch Frau Dr. Witten (AgBB) auf Nachfrage bestätigt hat - unter Berücksichtigung von verschiedenen Unsicherheitsfaktoren gebildet werden.
88
Nicht weiter führt auch der Hinweis des Antragsgegners auf die Einstufung von (auch aus Spanplatten und OSB emittierenden) VOC nach der CLP-Verordnung und die dortigen „H-Sätze“. Denn diese lassen nicht erkennen, ab welcher Konzentration bestimmter Einzelstoffe die beschriebenen möglichen Auswirkungen zu erwarten sind.
89
Auch der Umstand, dass die Emissionen von Carbonsäuren, insbesondere die der Essigsäure aufgrund des maßgeblichen Probenahme- und Analyseverfahrens noch gar nicht vollständig erfasst sein mögen (vgl. Hofmann/Maraun, a.a.O., S. 16), ist ersichtlich nicht geeignet, den maßgeblichen TVOCspez-Wert oder den Summen-R-Wert - unter dem Gesichtspunkt der Gefahrenabwehr - im Ergebnis zu rechtfertigen.
90
Inwiefern aufgrund der noch vorgelegten, zahlreichen, insbesondere epidemiologischen (Querschnitts-)Studien und Untersuchungen, soweit sie überhaupt den Erkenntnisstand zum Zeitpunkt des Erlasses der Verwaltungsvorschrift wiedergeben, eine andere Beurteilung gerechtfertigt sein könnte, ist ebenso wenig zu erkennen.
91
Die vom Antragsgegner beigebrachten Studien beziehen sich teilweise noch nicht einmal (ausdrücklich) auf flüchtige organische Verbindungen, die gerade aus verklebten Hölzern, insbesondere Span- und OSB-Platten emittiert werden (vgl. Anlage 13: „Thereby wall-to-wall-carpets, PVC material, and laminate were the flooring material, which showed the strongest adverse associations.“). Andere Studien berücksichtigten wiederum besonders empfindliche Risikogruppen (Anlage 14: „. . . households with apparently unhealthy children“,) bzw. zeigten lediglich weiteren Forschungsbedarf auf (Anlage 11: „Therefore more studies that explore the biological mechanism of VOC’s neurotoxicity are needed.“).
92
Eine weitere Studie von 2000 (Anlage 28) belegt zwar VOC-Emissionen in Neubauten, die auch aus Holzwerkstoffen emittieren, inwiefern diese hauptursächlich waren und welche Wirkungen damit verbunden sein könnten, ist der Studie jedoch nicht zu entnehmen. Den TVOC-Werten wird freilich auch dort kein wissenschaftlicher Wert beigemessen. Ähnlich verhält es sich mit einer Studie von 2012 (Anlage 29), in der „wood panels/vinyl floor coverings“ als hauptursächlich für festgestellte VOC-Emissionen bezeichnet wurden. Eine weitere Studie (Anlage 30) datiert von 2018 und ist schon deshalb unerheblich. Die ebenfalls erst am 20.03.2020 vorgelegte Studie von S. Cakmak et al. (2014, Anlage 31) belegt zwar, dass sich einige der gemessenen VOC-Emissionen negativ auf die Lungenfunktion insbesondere bei Kindern und Jugendlichen ausgewirkt hätten, jedoch standen, worauf auch Prof. Dr. Mersch-Sundermann in seiner von den Antragstellerinnen im Parallelverfahren eingeholten medizinisch-wissenschaftlichen Stellungnahme vom 06.07.2020 (Anlage Ast 5) hinweist, eher geringe Konzentrationen in Rede, die nach bisherigem Erkenntnisstand noch nicht einmal Gesundheitsrisiken begründeten, sodass Zweifel an der angenommenen Wirkungsbeziehung bestehen. Dem entsprechend hat auch Frau Dr. Witten in der mündlichen Verhandlung dieser Studie nur eine eingeschränkte Aussagekraft beigemessen. Im Übrigen ist auch diese Studie ungeeignet, gerade das streitgegenständliche TVOCspez-Konzept zu tragen, da sie allenfalls Anforderungen an bestimmte VOC-Emissionen rechtfertigen könnte.
93
Auch die bereits angesprochene Anlage 32 mit einem Fallbeispiel aus 2004, wo insbesondere in einer Fußbodenheizungskonstruktion aus OSB-Platten höhere Konzentrationen der höheren Aldehyde bei einer sehr hohen Raumbeladung festgestellt wurde, die beim Bauherrn ein freilich nicht näher spezifiziertes „Unwohlsein und gesundheitlichen Auffälligkeiten“ verursacht hätten, mag das Prüfverfahren im Hinblick auf hohe Raumbeladungen in Frage stellen, aber nicht das TVOCspez-Konzept zu tragen. Die weiteren Fallbeispiele (Anlage 33) zeigen schließlich nur, dass für Formaldehyd, Ameisen- und Essigsäure eine deutlich geringere Lüftungseffizienz im Vergleich zu anderen VOC besteht.
94
Der mehrfache Hinweis auf die Regulierungsbedürftigkeit von VOC-Emissionen aus Holzwerkstoffen, die breiter Konsens sei, die wiederholte Bezugnahme auf das AgBB-Bewertungsschema und der Verweis auf zu einzelnen VOC vorliegende NIK- bzw. LCI-Werte führen nach alldem nicht weiter. Schon gar nicht kommt es auf „Empfehlungen der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung“ an, die sich freilich - wie die o.a. Richtwerte - an die Qualität der Innenraumluft zu richten scheinen.
95
Soweit der Antragsgegner darauf verweist, die Festlegungen der angegriffenen ABG seien „wissenschaftlich solide und breit im europäischen und internationalen Kontext hinterlegt“, mag dies zutreffen, soweit mit ihnen ein Gesundheitsrisiko beschrieben wird, das zu minimieren jedoch nicht ohne weiteres Aufgabe des Bauordnungsrechts der Mitgliedstaten ist. Dass die Aussage gleichermaßen für das Vorliegen einer aufgrund von VOC-Emissionen aus Span- und OSB-Platten etwa hervorgerufenen abstrakten Gefahr gälte, die Voraussetzung für Gefahrabwehrmaßnahmen nach dem Bauordnungsrecht für Baden-Württemberg ist, lassen diese Ausführungen nicht erkennen.
96
Dahinstehen kann vor diesem Hintergrund, ob die von den Antragstellerinnen angeführten Studien und Untersuchungen darüber hinaus geeignet sein könnten, das Vorliegen einer abstrakten Gefahr - oder gar eines Gefahrenverdachts - positiv auszuschließen.
97
(4) Die angegriffenen Anforderungen an VOC erweisen sich schließlich auch nicht unter dem Gesichtspunkt eines Gefahrerforschungseingriffs als zulässig. Dieser Gesichtspunkt könnte, sollte bei bestimmten Holzwerkstoffen ein hinreichender Gefahrenverdacht bestehen, allenfalls bestimmte Prüfungen zur Feststellung einer (abstrakten) Gefahr rechtfertigen, von der allein bei einer Überschreitung der vorgegebenen Werte jedoch nicht ausgegangen werden kann.
98
(5) Finden die hier angegriffenen Anforderungen an VOC-Emissionen danach bereits keine Rechtsgrundlage in § 73a Abs. 1 LBO, kommt es nicht mehr auf deren Vereinbarkeit mit den Grundrechten und der Bauproduktenverordnung an. Für den noch geltend gemachten Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG ist freilich nichts ersichtlich, nachdem im Hinblick auf die mit dem Herstellungsprozess jedenfalls bei OSB verbundenen erhöhten Emissionsabgaben ein sachlicher Grund bestehen dürfte, nicht dieselben Anforderungen an unbehandeltes Holz zu stellen.
99
c) Viel spricht allerdings dafür, dass die angegriffenen Anforderungen an VOC-Emissionen auch gegen das Marktbehinderungsverbot des Art. 8 Abs. 4 der Bauproduktenverordnung verstoßen, weil mit ihnen in der DIN EN 13986 „Holzwerkstoffe zur Verwendung im Bauwesen - Eigenschaften, Bewertung der Konformität und Kennzeichnung“ harmonisierte Bauprodukte, nämlich Holzwerkstoffe, zu denen auch die hier in Rede stehenden OSB-Platten gehören (vgl. S. 5 „1 Anwendungsbereich“), unzulässig nachreguliert worden sein dürften.
100
(1) Mit den angegriffenen Summenwerten stehen - anders als die Überschrift 2.2. „Besondere Anforderungen an Aufenthaltsräume und baulich nicht davon abgetrennte Räume“ dies erwarten lässt und anders als dies etwa bei den o. a. Richtwerten I und II der Ad-hoc-AG IRK/AOLG der Fall ist - nicht Anforderungen an die Innenraumluftqualität von Teilen baulicher Anlagen hinsichtlich VOC-Emissionen in Rede, zu denen der Antragsgegner - entgegen seiner eigenen, auf eine nicht einschlägige Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (Urt. v. 11.07.1974 - 8/74 - Dassonville -) gestützten Einschätzung - jedenfalls im Grundsatz (zutreffend Fehse, Die Auswirkungen der EU-Bauproduktenverordnung auf das nationale Recht, 2017, S. 84) unionsrechtlich berechtigt sein dürfte (vgl. den Erwägungsgrund (3) zur BauPVO), freilich nur im Rahmen seiner ihm nach nationalem Recht zustehenden Regelungsbefugnisse. Vielmehr werden unmittelbar an die in der DIN EN 13986 harmonisierten Bauprodukte Anforderungen gestellt (vgl. auch 1 ABG), was nach Art. 8 Abs. 4 BauPVO auch unter der Geltung der Bauproduktenverordnung, weil den Binnenmarkt behindernd, grundsätzlich unzulässig ist.
101
(2) Solches wäre freilich dann nicht der Fall, wenn sich die Harmonisierungswirkung, wie der Antragsgegner meint, gar nicht auf die hier in Rede stehenden VOC-Emissionen erstreckte. Wie weit die jeweilige Harmonisierung reicht, ist auch hier zunächst - im Wege der Auslegung - zu ermitteln (zutreffend Hofer, in: Simon/Busse, BayBO <137. EL Juli 2020>, vor Art. 15 Rn. 50). Im Hinblick auf das Ziel, durch harmonisierte technische Spezifikationen zur Angabe der Leistung von Bauprodukten das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts zu erreichen (vgl. Erwägungsgrund (58) zur BauPVO v. 09.03.2011), ist im Zweifel von einer „Vollharmonisierung“ auszugehen (vgl. EuGH, Urt. v. 16.10.2014, a.a.O. zur BPR; EuG, Urt. v. 10.04.2019 - T-229/17 -, Rn. 101 zur BPR), bei der alle wesentlichen Merkmale von Bauprodukten in den harmonisierten Spezifikationen in Bezug auf die Grundanforderungen an Bauwerke festgelegt sind (vgl. auch Art. 3 und Art. 17 Abs. 3 BauPVO). Bei einem derart abschließend harmonisierten System, wie es vom Europäischen Gericht in seinem Urteil vom 10.04.2019 auch unter der Geltung der Bauproduktenverordnung unterstellt wird, versteht es sich von selbst, dass es den Mitgliedstaten grundsätzlich verwehrt sein muss, unter Hinweis auf einen vermeintlich aus technischer Sicht nur „lückenhaft“ geregelten Sachverhalt von einer bloßen Teilharmonisierung bzw. sukzessiven Harmonisierung mit der Folge auszugehen, dass sie insoweit vorläufig - wie bei nicht harmonisierten Bauprodukten - zur (Nach-)Regulierung berechtigt wären. Anderes kann ersichtlich auch nicht aus Art. 19 BauPVO hergeleitet werden. Denn die in dieser Vorschrift vorgesehene Erstellung eines europäischen Bewertungsdokuments setzt ein nicht oder nicht vollständig von einer harmonisierten Norm erfasstes Bauprodukt voraus, dessen Leistung deshalb nicht vollständig anhand einer bestehenden harmonisierten Norm bewertet werden kann. Art. 19 Abs. 1 BauPVO ist daher entgegen der Auffassung des Antragsgegners kein Ausdruck „lückenhafter“ Normen, sondern ersichtlich besonderen Produkten geschuldet (vgl. Held/Jaguttis/Rupp, BauPVO 2019, Art. 19 Rn. 8).
102
Allerdings kann ein derart abschließend harmonisiertes System nicht, wie die Antragstellerinnen unter Verweis auf das angeführte Urteil des Europäischen Gerichts meinen, bei allen harmonisierten Normen unterstellt werden, da sich der Bauproduktenverordnung, insbesondere den Artt. 3 und 17 Abs. 3 BauPVO, nicht entnehmen lässt, dass es nicht auch - wenn auch nur vorübergehend - noch nicht abschließend harmonisierte, gleichwohl wirksame Normen geben kann. Dies dürfte sich jedenfalls daraus herleiten lassen, dass das in Art. 18 BauPVO geregelte Verfahren die Kommission gegebenenfalls berechtigte, eine Norm unter Vorbehalt zu veröffentlichen oder sie nur unter Vorbehalt zu belassen (vgl. Art. 18 Abs. 2 BauPVO), was ggf. auch dazu führen kann, dass die Mitgliedsstaaten hinsichtlich eines bestimmten wesentlichen Produktmerkmals nationale Zusatzanforderungen stellen könnten (vgl. hierzu Held/Jaguttis/Rupp, BauPVO 2019, § 18 Rn. 12).
103
Im Übrigen besteht, worauf der Antragsgegner hingewiesen hat, für CE-gekennzeichnete Bauprodukte anders als nach Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 89/106/EWG des Rates vom 21.12.1988 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über Bauprodukte (Bauproduktenrichtlinie - BPR, ABl. (EG) Nr. L 040 v. 11.02.1989) keine Brauchbarkeitsvermutung in dem Sinne mehr, dass diese die Anforderungen aus der harmonisierten Norm vollständig erfüllten, sodass von deren uneingeschränkter Verwendbarkeit auszugehen wäre. Vielmehr ist an deren Stelle die Vermutung der Konformität eines Bauprodukts mit der vom Hersteller erklärten Leistung getreten (vgl. Art. 4 Abs. 3 BauPVO). Dies lässt durchaus den Schluss zu, dass es unter der Geltung der Bauproduktenverordnung von einer harmonisierten Norm noch nicht (vollständig) erfasste wesentliche Merkmale geben kann. Aus Art. 8 Abs. 3 BauPVO, der - anders als Art. 4 Abs. 6 BPR - bestimmt, dass die CE-Kennzeichnung die einzige Kennzeichnung ist, die die Konformität des Bauprodukts mit der erklärten Leistung „in Bezug auf die wesentlichen Merkmale, die von der harmonisierten Norm erfasst sind“ und weiter bestimmt, dass die Mitgliedsstaaten (nur) „diesbezüglich“ keine Bezugnahme auf einen andere Kennzeichnung als die CE-Kennzeichnung einführen, dürfte dagegen weder für noch gegen eine Vollharmonisierung sprechen. Denn ergibt die Auslegung, dass die wesentlichen Merkmale in der harmonisierten Norm abschließend geregelt sind, muss es einem Mitgliedsstaat verwehrt sein, eine anderweitige Bezugnahme unter Hinweis auf ein besonderes, von ihm darüber hinaus für wesentlich bzw. noch nicht abschließend harmonisiert gehaltenes Merkmal einzuführen (vgl. den Erwägungsgrund 33; zutr. Fehse, a.a.O., S. 84). Bei einem anderen Auslegungsergebnis steht freilich auch der Einführung einer anderen Kennzeichnung nichts entgegen. Im Übrigen wäre es ohne Weiteres zulässig, zur Verbesserung des Schutzes der Verwender von Bauprodukten eine freiwillige Kennzeichnung einzuführen, mit der jenseits der Konformität lediglich ein besonders emissionsarmes Bauprodukt versprochen wird (vgl. Held/Jaguttis/Rupp, a.a.O, Art. 8 Rn. 19 ff.: etwa der „Blaue Engel“).
104
Von einer nicht gegen Bestimmungen der übergeordneten Bauproduktenverordnung verstoßenden, nicht abschließend harmonisierten Norm, die jedenfalls zu bestimmten (vorläufigen) Nachregulierungen berechtigte, dürfte auszugehen sein, wenn diese selbst ihren Geltungsanspruch entsprechend beschränkt, indem sie zum Ausdruck bringt, dass hinsichtlich bestimmter, (noch) nicht abschließend harmonisierter Merkmale bzw. Verfahren (weiterhin noch) vorläufig nationale Vorschriften gelten sollen (weitergehend Hofer, in: Simon/Busse, BayBO vor Art.15 Rn. 51: wenn im Anhang ZA der im Amtsblatt bekannt gemachten Produktnorm ein mandatiertes wesentliches Merkmal nicht enthalten ist oder harmonisierte Verfahren und Kriterien zur Bewertung eines mandatierten und im Anhang ZA enthaltenen Wesentlichen Merkmals fehlen, aber von erheblicher Relevanz zur Erfüllung der Bauwerksanforderung in Deutschland sind). Da die harmonisierten Normen ihrerseits Teil des Unionsrechts sind (vgl. EuGH, Urt. v. 27.10.2016 - C-613/14 -, Rn. 40, 47; Urt. v. 14.12.2017 - C-630/16 -, Rn. 32 ff.) ist kein Grund ersichtlich, warum eine solche Selbstbeschränkung der Harmonisierung, wie sie auch bei einem Vorbehalt nach Art. 18 Abs. 2 BauPVO bewirkt werden kann, unzulässig sein sollte. Dann kann aber von einer in jeder Hinsicht abschließenden Harmonisierung nicht die Rede sein. Auch Maßnahmen nach den Art. 18, 56 ff. BauPVO, auf die die Antragstellerin im Anschluss an das zur Bauproduktenrichtlinie ergangene Urteil des Europäischen Gerichtshofs verweist, machten im Fall einer derart offenbaren Lückenhaftigkeit einer Norm ersichtlich keinen Sinn.
105
Entgegen der Auffassung der Antragstellerinnen sind die vorstehenden Fragen mit dem inzwischen ergangenen Urteil des Europäischen Gerichts vom 19.04.2019 - T-229/17 - keineswegs in ihrem - gegenteiligen - Sinne geklärt. Vielmehr wurde in dem dortigen Verfahren, soweit hier von Interesse, nur formal darüber entschieden, ob die seinerzeit in Rede stehenden harmonisierten Normen unter dem von der Kommission versehenen Vorbehalt belassen werden durften oder dieser gerade in dem von Deutschland gewünschten Sinne, dass den Mitgliedstaaten ausdrücklich das Recht zur Nachregulierung zustehe, zu fassen gewesen wäre. Dass solches nicht beansprucht werden konnte, dürfte auf der Hand gelegen haben. Denn auch ein nicht vollständig umgesetztes Mandat muss nicht dazu führen, dass Regelungsbefugnisse der Mitgliedsstaaten wiederauflebten, welche ihnen für nicht harmonisierte Bauprodukte zustanden. Vielmehr gilt es in einem solchen Fall grundsätzlich die Lücke auf europäischer Ebene durch eine nunmehr abschließende Harmonisierung zu schließen, indem zu diesem Zwecke etwa auch von den Maßnahmen Gebrauch gemacht wird, die die Bauproduktenverordnung in einem solchen Fall bereithält. Eine andere, vom Europäischen Gericht nicht entschiedene, freilich eher zu verneinende Frage ist, ob allein im Hinblick auf eine das Ziel der Bauproduktenverordnung vollständig erreichende Vollharmonisierung eine Vertragsverletzung bzw. ein Verstoß gegen Art. 8 Abs. 4 BauPVO auch dann vorläge, wenn ein Mitgliedsstaat von einer bereits in der harmonisierten Norm enthaltenen Öffnungsklausel Gebrauch macht und (lediglich) entsprechende (vorläufige) Maßnahmen trifft.
106
So könnte es sich hier verhalten, weil die hier einschlägige DIN EN 13986 unter Nr. 4.8 ausdrücklich eine sog. Öffnungsklausel, allerdings nur für „sonstige gefährliche Stoffe“ enthält (vgl. § 114 Abs. 10 AEUV, der in einer vergleichbaren Konstellation eine Schutzklausel zum Schutz der in Art. 36 AEUV genannten Rechtsgüter vorsieht). So heißt es dort, dass nationale Vorschriften „zu gefährlichen Stoffen“ die Vorlage eines Nachweises und einer Deklaration über die Freisetzung von anderen als die bereits in anderen Abschnitten der Norm erfassten Stoffe und teilweise über deren Gehalt erfordern könnten und insofern die nationalen Vorschriften gelten sollten.
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(3) Ob diese Öffnungsklausel dem Antragsgegner weiterhelfen würde, hält der Senat zwar nicht für ausgeschlossen, jedoch für eher unwahrscheinlich, weil sie eben nur für „sonstige gefährliche Stoffe“ einen entsprechenden, möglichweise auch nur klarstellenden Hinweis enthält. Der Anhang 1 unter 3. b) zur Bauproduktenverordnung, der neben gefährlichen Stoffen auch flüchtige organische Verbindungen anführt (wie auch das geänderte Mandat M/113), spricht jedenfalls dagegen, dass mit dem Begriff „sonstige gefährliche Stoffen“ auch alle VOC gemeint wären. Anderes folgt auch nicht aus dem - nicht offensichtlichen - Umstand, dass die EN 13986 (auch) insoweit hinter dem Mandat Nr.113 zurückgeblieben sein mag. Dass VOC grundsätzlich als gefährliche Stoffe zu gelten hätten, dürfte auch dem Urteil des Europäischen Gerichts nicht zu entnehmen sein.
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Viel spricht dafür, dass unter gefährlichen Stoffen nur solche Stoffe gemeint sind, bei denen in allen Mitgliedstaaten und der Union Konsens besteht, dass sie (ohne Weiteres) gefährlich sind. Denn dann müssen die Mitgliedsstaaten (jedenfalls) zu (vorläufigen) Maßnahmen - wie bei der Berufung auf die verschiedenen Schutzklauseln - berechtigt sein (vgl. dazu Hofer, a.a.O., Rn. 51, unter Hinweis auf EuGH, Urt. v. 20.02.1979 - Rs. C-120/78 -, NJW 1979, 1766 - nach dem ordre-public-Vorbehalt des Art. 36 Satz 1 AEUV bzw. der Notwendigkeit, „um zwingenden Erfordernissen gerecht zu werden“).
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Mit der Warenverkehrsfreiheit und der mit einer Harmonisierung verfolgten Vereinheitlichung der Anforderungen an Bauprodukte schwerlich vereinbar dürfte jedenfalls eine Auslegung der Öffnungsklausel sein, die es den Mitgliedstaaten ermöglichte, hinsichtlich aller Einzelstoffe, die potentiell gefährlich sind, eigene Anforderungen zu stellen. Denn dies ließe sich letztlich für alle Stoffe anführen. So hat der Europäische Gerichtshof aufgrund der Schutzklausel des Art. 12 der Verordnung Nr. 258/97 - als besondere Ausprägung des Vorsorgeprinzips - getroffenen Schutzmaßnamen eine Absage erteilt, die mit einer rein hypothetischen Betrachtung des Risikos begründet werden, die auf bloße wissenschaftlich noch nicht verifizierte Vermutungen gestützt wird (Urt. v. 09.09.2003 - C-236/01 -, juris).
Die Revision ist ungeachtet vergleichbarer Regelungen in anderen Bundesländern nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt. Insbesondere steht hinsichtlich der Würdigung des bei Erlass der Technischen Baubestimmungen vorhandenen Erkenntnisstandes keine Rechtsfrage in Rede, die auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache führen könnte.
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Beschluss vom 7. Oktober 2020
113
Der Streitwert wird für das Normenkontrollverfahren im Hinblick auf den von den Antragstellerinnen angegebenen, angemessen erscheinenden Wert endgültig auf EUR 50.000,-- (2 x EUR 25.000,--) festgesetzt (vgl. §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 52 Abs. 1, 39 Abs. 1 GKG i.V.m. Nrn. 9.8.1 u. 1.1.1 des Streitwertkatalogs 2013).