Beschluss vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg - 12 S 3283/21

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 12.10.2021 - 8 K 3108/21 - geändert.

Der Gegenstandswert wird auf 5.000,- EUR festgesetzt. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Gründe

Über die Beschwerde entscheidet, weil der angefochtene Gegenstandswertbeschluss durch die Berichterstatterin erlassen wurde, nach § 33 Abs. 8 Satz 1 Halbs. 2 RVG die Berichterstatterin des Beschwerdegerichts als Einzelrichterin.
Der Antragsgegner wendet sich mit seiner Beschwerde gegen den am 12.10.2021 zugestellten Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe, mit dem dieses den Gegenstandswert des Verfahrens mit dem Antrag, den Antragsgegner zu verpflichten, ihm vorläufig für das Schuljahr 2021/2022 bzw. vom Tage der Entscheidung an, längstens bis zur Entscheidung in der Hauptsache, eine schulische Integrationshilfe zum Besuch der C.-Schule weiterhin durch eine pädagogische Fachkraft der Therapeutischen Praxis N. für 18,5 Zeitstunden pro Woche zu bewilligen und die hierfür entstehenden Kosten zu übernehmen, auf 21.193,92 EUR festgesetzt hat. Während des erstinstanzlichen Verfahrens hatte der Antragsteller den Antrag auf 12 Zeitstunden abgeändert. Den festgesetzten Gegenstandswert hat das Gericht unter Zugrundelegung einer Stundenzahl von 12 Zeitstunden pro Schulwoche während der Schulzeit von 36 Wochen und den Kosten in Höhe von 49,06 EUR pro geleisteter Zeitstunde Schulbegleitung (12 x 36 x 49,06 EUR) errechnet.
Der Antragsgegner beantragt, den Gegenstandswert für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes - ausgehend von einem Wert im Hauptsacheverfahren von 5.000,- EUR - auf 2.500,- EUR herabzusetzen. Er ist der Auffassung, die laufende Leistung des Kinder- und Jugendhilferechts sei im vorliegenden Fall nicht streitig gewesen, da nicht in Frage gestanden habe, dass dem Antragteller im neuen Schuljahr weiterhin eine Schulbegleitung zur Verfügung stehe. Es sei lediglich nicht final geklärt gewesen, von welcher Person diese Leistung erbracht werde. Die Frage nach der Bestimmung des Leistungserbringers könne wertmäßig nicht beziffert werden, weshalb der Auffangwert zugrunde zu legen sei. Dieser Wert sei zu halbieren. Gründe für eine Anhebung wegen einer Vorwegnahme der Hauptsache lägen in dem vorliegenden atypischen Fall nicht vor.
Die Antragsteller-Vertreterin bringt dagegen vor, die Erbringung der Schulbegleitung als Leistung sei an sich streitig gewesen, da keine alternative Person zur Verfügung gestanden habe und für den Antragsteller nicht ersichtlich gewesen sei, dass eine Weiterleistung der Kinder- und Jugendhilfemaßnahme erfolge.
Die Beschwerde ist zulässig und teilweise begründet. Das Verwaltungsgericht hat den Gegenstandwert gemäß § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG zu Unrecht auf 21.193,92 EUR festgesetzt. Die vom Antragsgegner beantragte Herabsetzung auf 2.500,- EUR ist allerdings nicht veranlasst. Der Gegenstandswert ist - unter Zurückweisung der Beschwerde im Übrigen - auf 5.000,- EUR festzusetzen.
Die Festsetzung des Wertes des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit richtet sich nach den §§ 23 Abs. 1, 33 Abs. 1 RVG i.V.m. § 52 und § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG. Danach ist der Gegenstandswert nach der sich aus dem Antrag des Antragstellers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen (vgl. § 52 Abs. 1 GKG). Betrifft der Antrag des Antragstellers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt ist die Höhe der Geldleistung maßgeblich (vgl. § 52 Abs. 3 GKG). Bietet der Sach- und Streitstand nicht genügend Anhaltspunkte ist ein Streitwert von 5.000,- EUR anzunehmen (§ 52 Abs. 2 GKG). Soweit im Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes die Hauptsache vorweggenommen wird, entspricht der Streitwert dem des Hauptsacheverfahrens, im Übrigen kommt eine Reduzierung in Betracht (vgl. Hug in: Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, Anh § 164 Rn. 8, 11).
Der Antrag betrifft hier keine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt. Das Begehren ist nicht unmittelbar auf einen Geldbetrag gerichtet, der Auswirkungen auf das Vermögen des Antragstellers bzw. seiner Eltern hat, weshalb § 52 Abs. 3 GKG nicht greift (vgl. Dörndorfer in: Binz/Dörndorfer/Zimmermann, GKG, FamGKG, JVEG, 5. Aufl. 2021, § 52 GKG Rn. 7).
Es lässt sich auch nicht feststellen, welche Bedeutung die Bewilligung eines Schulbegleiters einer von dem Antragsteller näher bezeichneten Praxis für ihn im Sinne des § 52 Abs. 1 GKG hat. Grundlage der Wertberechnung nach dieser Bestimmung ist die Bedeutung der Sache für den Antragsteller und zwar so, wie sie sich aufgrund seines Antrags objektiv ergibt (Toussaint in: BeckOK Kostenrecht, § 52 GKG Rn. 9). Irrelevant sind andere Umstände, wie beispielsweise der Umfang der Sache, die wirtschaftlichen Verhältnisse der Beteiligten oder die Bedeutung der Angelegenheit für den Antragsgegner. Die Bedeutung der Sache für den Antragsteller wird regelmäßig vom wirtschaftlichen Inhalt der angestrebten Regelung geprägt; sofern wirtschaftliche Interessen fehlen, können ideelle Interessen oder soziale Auswirkungen den Streitwert beeinflussen, die allerdings ihrerseits wirtschaftlich zu bewerten sind (vgl. Dörndorfer in: Binz/Dörndorfer/ Zimmermann, GKG, FamGKG, JVEG, 5. Aufl. 2021, § 52 GKG Rn. 2 f.; Hug in: Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, Anh 164 Rn. 7 mwN).
Das im gerichtlichen Verfahren zum Ausdruck kommende (ideelle und soziale) Interesse des Antragstellers ist auf den Erhalt einer angemessenen Schulbildung unter Zuhilfenahme eines Schulbegleiters als Maßnahme der Eingliederungshilfe gerichtet. Dieses Interesse ist aber nicht objektiv bestimmbar, insbesondere auch nicht wirtschaftlich eindeutig bewertbar (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 08.04.2019 - 12 S 1414/18 -, n.v.; so auch Sächsisches OVG, Beschluss vom 29.12.2021 - 3 E 54/21 -, juris Rn. 4; a.A. unter Bezugnahme auf § 52 Abs. 3 GKG: OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 18.07.2012 - 12 E 701/12 -, juris Rn. 2).
10 
An dem für die Wertfestsetzung maßgeblichen Interesse an einem erfolgreichen Schulbesuch und hierfür erforderlicher Begleitung als ideellem Anspruch ändert sich nichts durch die hier gewählte Form der Antragstellung (der Antrag hätte in seiner ursprünglichen Form als Berechnungsfaktor sogar 18,5 Zeitstunden und nicht lediglich die der Berechnung zugrunde gelegten 12 Zeitstunden vorgesehen). Das Begehren wandelt sich hierdurch insbesondere nicht in einen Anspruch auf Bewilligung einer laufenden Geldleistung. Das Interesse lässt sich - anders möglicherweise etwa im Fall der Selbstbeschaffung mit anschließender Geltendmachung der Aufwendungen - nicht anhand der Personalkosten des Schulbegleiters bestimmen.
11 
Die von dem Verwaltungsgericht herangezogene Ziffer 21.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013, wonach bei Verfahren betreffend Kinder- und Jugendhilferecht bei laufenden Leistungen der Wert der streitigen Leistung, höchstens der Jahresbetrag als Orientierung für die Gegenstandswertfestsetzung empfohlen wird, veranlasst zu keiner anderen Sichtweise (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 08.04.2019 - 12 S 1414/18 -, n.v.; im Ergebnis so auch Sächsisches OVG, Beschluss vom 29.12.2021 - 3 E 54/21 -, juris Rn. 5 f.). Aus hypothetischen Kosten für eine Schulbegleitung können keine entsprechenden Rückschlüsse auf die Bedeutung der begehrten Bewilligung einer Schulbegleitung für den Antragsteller gezogen werden. Dies zeigt sich im vorliegenden Fall eindrücklich, wonach Unstimmigkeiten über die Vergütung einer bislang die Schulbegleitung leistenden Fachkraft der Praxis N. und dem Antragsgegner - wie von der Antragsteller-Vertreterin im erstinstanzlichen Verfahren selbst vorgebracht - den Antragsteller nicht berühren sollten.
12 
Da der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Gegenstandwerts somit nicht genügend Anhaltspunkte bietet, ist auf den Auffangwert des § 52 Abs. 2 GKG in Höhe von 5.000,- EUR zurückzugreifen. Für eine Reduzierung des Gegenstandwerts mit Blick auf das Eilverfahren besteht dabei - anders als vom Antragsgegner vorgebracht - kein Anlass (vgl. auch VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 08.04.2019 - 12 S 1414/18 -, n.v.; Sächsisches OVG, Beschluss vom 29.12.2021 - 3 E 54/21 -, juris Rn. 7), da der Antragsteller irreversible Nachteile geltend macht und in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, die die Entscheidung in der Sache vorwegnehmen, der Streitwert bis zur Höhe des für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwertes angehoben werden kann (vgl. die Empfehlung in Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013).
13 
Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht, da das Verfahren gebührenfrei ist und Kosten nicht erstattet werden (§ 33 Abs. 9 RVG).
14 
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 33 Abs. 4 S. 3 RVG).

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen